Prof. Dr. Cordula Löffler, Sonderpädagogin und Germanistin, lehrt „Sprachliches Lernen“ im Fach Deutsch an der PH Weingarten.
Prof. Dr. Franziska Vogt, Primarlehrerin, leitet das Institut Lehr- und Lernforschung an der PH St. Gallen und lehrt dort Pädagogik und Psychologie, insbesondere im internationalen Masterstudiengang „Early Childhood Studies“.
Außerdem von C. Löffler (zusammen mit I. Füssenich) im Ernst Reinhardt Verlag erschienen:
– Schriftspracherwerb. Einschulung, erstes und zweites Schuljahr (3., akt. Aufl. 2018, ISBN 978-3-497-02748-4)
– Materialheft Schriftspracherwerb. Einschulung, erstes und zweites Schuljahr (2., überarb. Aufl. 2009, ISBN 978-3-497-02116-1)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-497-02996-9 (Print)
ISBN 978-3-497-61380-9 (PDF-E-Book)
ISBN 978-3-497-61381-6 (EPUB)
2., aktualisierte Auflage
Diese Publikation wurde gefördert durch die Stiftung Ravensburger Verlag
© 2020 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München
Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in EU
Cover unter Verwendung eines Fotos von © Robert Kneschke – fotolia.com
Satz: ew print & medien service GmbH, Würzburg
Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München
Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de
Inhalt
Vorwort
1 Sprache im Alltag fördern
Von Bea Zumwald und Mandy Schönfelder
1.1 Formen sprachlicher Förderung
1.2 Dialogorientierte Sprachfördersettings
1.3 Leitprinzipien alltagsintegrierter Sprachförderung
1.4 Strategien der Sprachförderung
1.5 Vereinigung der Strategien im Dialog
1.6 Entwicklungsangemessene und adaptive Unterstützung
2 Kindlicher Spracherwerb
Von Andrea Haid und Cordula Löffler
2.1 Meilensteine des Spracherwerbs
2.2 Deutsch als Zweitsprache erwerben
2.3 Sprachbeobachtung
3 Erste Strategie: Im Dialog mit Kindern
Von Franziska Vogt und Bea Zumwald
3.1 Im Dialog konkret
3.2 Weiterführende Fördervorschläge
4 Zweite Strategie: Schritt für Schritt den Wortschatz fördern
Von Nadine Itel und Andrea Haid
4.1 Wortschatzförderung konkret
4.2 Weiterführende Fördervorschläge
5 Dritte Strategie: Sprache modellieren
Von Cordula Löffler und Nadine Itel
5.1 Modellierung konkret
5.2 Weiterführende Fördervorschläge
6 Vierte Strategie: Den Spracherwerb mit Fragen fördern und begleiten
Von Mandy Schönfelder
6.1 Sprachfördernde Fragen konkret
6.2 Weiterführende Fördervorschläge
7 Fünfte Strategie: Redirect
Von Elke Reichmann
7.1 Redirect konkret
7.2 Weiterführende Fördervorschläge
8 Alle Strategien im Überblick
Von Nadine Itel und Mandy Schönfelder
8.1 Von der Beobachtung zur Sprachförderung
8.2 Der entwicklungsangemessene Einsatz der Sprachförderstrategien
8.3 Schlusswort
9 Literatur
Die Autorinnen
Sachregister
Passwort für die Online-Materialien
Online-Materialien
Übersichten, Vorlagen und Dialogbeispiele zu den Kapiteln können Leserinnen und Leser dieses Praxisbuchs auf der Homepage des Ernst Reinhardt Verlags unter http://www.reinhardt-verlag.de herunterladen. Das Zusatz-Material ist passwortgeschützt, das Passwort zum Öffnen der Dateien finden Sie am Ende des Buches.
Vorwort
Die Wichtigkeit und Bedeutung von gezielter Sprachförderung ist inzwischen unbestritten, in Kindergarten und Schule ist sie unverzichtbarer Bestandteil geworden. Zahlreiche Förderprogramme werden entwickelt, eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Materialien ist erhältlich und für frühpädagogische Fachpersonen werden viele Fortbildungen angeboten. Der Markt ist kaum überschaubar. Die Autorinnen haben sich die Frage gestellt, wie sie als Alternative zu Sprachförderprogrammen die Integration der Sprachförderung in den Alltag unterstützen können. So entstand unser Forschungsprojekt „Sprachförderung im Alltag von Spielgruppe, Kita und Kindergarten (Sprima)“, in dem alle Autorinnen dieses Buches mitgearbeitet haben. Das vorliegende Buch entstand im Rahmen dieses Forschungsprojektes. Es ist aber kein Forschungsbericht, sondern ein Praxisbuch für alle, die Sprachförderung zu ihren Aufgaben zählen.
Die Autorinnen lehren und forschen an unterschiedlichen Hochschulen in Deutschland und in der Schweiz: der Pädagogischen Hochschule Weingarten, der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, der Pädagogischen Hochschule St. Gallen und der Schweizer Hochschule für Logopädie Rorschach. Am Projekt nahmen 45 Spielgruppenleiterinnen, Erzieherinnen und Kindergarten-Lehrpersonen teil. Die Frühpädagoginnen besuchten unsere zweieinhalbtägige Weiterbildung zur alltagsintegrierten Sprachförderung. Vor und nach der Weiterbildung wurde ihre Sprachförderkompetenz mittels Videoaufzeichnungen erfasst, um die Wirkung der Intervention zu überprüfen. Aus diesen Aufnahmen stammen die zahlreichen Beispiele in diesem Buch. In den Schweizer Beispielen wurde das Schweizerdeutsche, in den Beispielen aus dem Raum Oberschwaben / Bodensee das Schwäbische ins Standarddeutsche übertragen.
Unsere Arbeit im Projekt wurde von unterschiedlichen Seiten unterstützt. Unser Dank gilt vor allem der Internationalen Bodenseehochschule IBH, die das Projekt durch die finanzielle Förderung erst ermöglicht hat. Daneben wurden wir von der Stadt St. Gallen, der Schweizer Arbeitsgemeinschaft für Logopädie und der Stiftung Ravensburger Verlag finanziell unterstützt. Wir danken den Praktikantinnen des Master-Studiengangs Early Childhood Studies (PH St. Gallen und PH Weingarten) für ihre Mitarbeit bei der Kodierung des Videomaterials: Lena Hollenstein, Sarah Kaye, Susanne Mock Tributsch, Karine Müller, Monika Schwitter und Silvia Suter. Daniel Berwanger danken wir für seine Unterstützung bei der Korrektur und Formatierung des Textes. Für das intensive Lektorat bedanken wir uns bei Stefan Klotter.
Im Text verwenden wir die geschlechtsneutrale Bezeichnung frühpädagogische Fachperson, bei den Beispielen dagegen Frühpädagogin, weil am Projekt ausschließlich weibliche Fachpersonen teilgenommen haben. Auch ihnen danken wir für ihr großes Interesse und die Teilnahme am Forschungsprojekt.
Wir freuen uns, wenn unser Buch dazu anregt, das Potenzial für Sprachförderung in den verschiedensten Alltagssituationen in Kita und Kindergarten zu nutzen.
Cordula Löffler und Franziska Vogt
Weingarten und St. Gallen im Februar 2015 und im Februar 2020
1 Sprache im Alltag fördern
Von Bea Zumwald und Mandy Schönfelder
Der Spracherwerb stellt die Jüngsten unserer Gesellschaft vor eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Kinder müssen ein Lautinventar aufbauen, Wortbedeutungen sammeln (Wortschatzerwerb) und grammatische Regelmäßigkeiten ableiten (Szagun 2011). Dieser eigenaktive Prozess basiert auf einer anregenden Interaktion mit Erwachsenen oder anderen Kindern (Gasteiger-Klicpera et al. 2010; Gretsch / Fröhlich-Gildhoff 2012). Je vielfältiger der Input in Quantität und Qualität ist, desto mehr sprachliche Erfahrungen kann das Kind dabei sammeln. Deshalb ist es pädagogisch sinnvoll, Kinder im Erst- und Zweitspracherwerb zu begleiten und zu fördern. Die Inhalte der Sprachförderung entstammen den Bausteinen des Spracherwerbs. Dazu zählen Lautbildung, Wortschatz, Grammatik und Sprachhandeln, aber auch Sprachverständnis und Literalität (Adler 2011).
1.1 Formen sprachlicher Förderung
Frühförderung im Vorschulalter hat das Ziel, den Lernerfolg, die Chancengleichheit und die Integration positiv zu beeinflussen (Fried / Briedigkeit 2008; Dickinson / Porche 2011). Insbesondere der frühen sprachlichen Bildung – praktisch umgesetzt von frühpädagogischen Fachpersonen – soll Rechnung getragen werden (OECD 2004, nach den Studien „Effective Provision of Pre-School Education“ (EPPE) und „Effective Pedagogy in the Early Years“ (EPEY) 2002).
Für die sprachliche Begleitung in Kindergarten und Kita stehen sich zwei Ansätze gegenüber: spezifische Förderprogramme und alltagsintegrierte Sprachförderung (Gasteiger-Klicpera et al. 2010; Kieferle et al. 2013).
Sprachförderprogramme basieren auf der Annahme, dass sich Sprachlernen durch Wissensvermittlung und Übung erfolgreich steuern lässt. Dazu wird ein geplantes und schrittweise aufbauendes Förderschema benötigt. Der Spracherwerb wird in Einzelbausteine zergliedert, systematisch strukturiert und allgemeingültig umgesetzt. Sprache wird als festes System vermittelt. Die Aufgabe der frühpädagogischen Fachperson liegt dabei in der Anleitung und Durchführung vorstrukturierter Aktivitäten wie Übungen oder Lernspiele. Darüber hinaus kennzeichnen sich Sprachförderprogramme durch eine verbindliche Reihenfolge der Inhalte, eine Lernzielkontrolle und eine sprachzentrierte Lernumgebung (Wiedenmann 2007). Da Sprachförderprogramme auf festgelegten Unterrichtseinheiten basieren, ignorieren sie das Potenzial der Sprachförderung in Alltagssituationen. Soziale, motivationale und emotionale Aspekte, die für einen erfolgreichen Spracherwerb bedeutsam sind, werden eher vernachlässigt. Wenn sprachliche Strukturen ohne natürlichen Anlass gelernt und eingeübt werden, kann eine Übertragung auf den konkreten Alltag scheitern, sodass eine Kluft zwischen erworbenem Sprachwissen und dem Sprachhandeln entsteht. Es zeigt sich,
„dass es […] kein Wissen als abgespeicherte […] Repräsentationen gibt, die in einem […] Kontext erworben und in einen anderen Kontext umgewandelt werden können“ (Renkl 2018, 839).
Vielmehr wird Sprache zwischen Person(en) und Situation konstruiert. Diese Schwachstellen bestätigen sich auch in Wirkungsanalysen. So zeigen stark strukturierte Konzepte keine Wirkung (Gasteiger-Klicpera et al. 2010; Hasselbach et al. 2007; Sachse et al. 2012; Egert /Hopf 2016). Wenn mit Programmen gearbeitet wird, muss dies sehr intensiv und über mehrere Jahre erfolgen, damit eine Wirkung erzielt werden kann (Hany 1997).
Den Gegensatz zu den Sprachförderprogrammen bildet eine Sprachförderung, die in den Alltag integriert ist und alle Kinder – dem Stand ihres (Zweit-)Spracherwerbs entsprechend – einbezieht. Diese alltagsintegrierte Vorgehensweise für die Sprachförderung entspricht auch den curricularen Vorgaben:
„Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen wird nicht als isoliertes Sprachtraining verstanden, sondern als gezielte Erweiterung der Sprachkompetenz durch in den Alltag integrierte sprachanregende Angebote“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2011, 36).
In der alltagsintegrierten Sprachförderung ist Sprache ein Werkzeug situationsorientierter Interaktion (König 2009). Vor dem Hintergrund, dass jeder Tag ein Sprachlerntag ist, bieten sich alltägliche Situationen und natürliche Gespräche (Fachperson-Kind, Kind-Kind) jederzeit zur Sprachförderung an. Bei der erfolgreichen Begleitung des kindlichen Spracherwerbs sollen alle Kinder entsprechend ihrer Fähigkeiten unterstützt werden.
1.2 Dialogorientierte Sprachfördersettings
Gemeinhin wird in der Kita, in der Spielgruppe und im Kindergarten zwischen strukturierten Angeboten und offenen Aktivitäten unterschieden (Kucharz 2012; Wildgruber et al. 2015). Beide Formen eignen sich gleichermaßen, um mit den Kindern in sprachförderliche Dialoge einzusteigen (Vogt et al. 2015a, 2015b), da dialogorientierte Sprachförderung immer stattfinden kann.
In strukturierten Angeboten wie Regelspielen oder Bastelarbeiten bestimmt die frühpädagogische Fachperson ein Stück weit, was zu tun ist. Sie verfolgt ein klares Ziel und gibt das Material oder einen Ablauf vor. Trotzdem soll das Kind im vorgegebenen Rahmen seine eigenen Ideen einbringen. Häufig werden in Kitas und Spielgruppen als strukturiertes Angebot auch Bilderbücher erzählt. Um die Kinder zum Sprechen anzuregen, ist die dialogische Bilderbuchbetrachtung (Kraus 2005; Whitehurst et al. 1988) besonders hilfreich. Dabei liest die frühpädagogische Fachperson nicht nur vor oder erzählt, sondern sie führt mit den Kindern ein Gespräch über das Buch. Die Kinder bringen ihre eigenen Gedanken und Überlegungen ein. Die frühpädagogische Fachperson greift im Bilderbuch angesprochene Themen auf und erweitert und vertieft sie. Dadurch wird das Denken des Kindes angeregt und der Sprachinput sowie der Sprachgebrauch werden intensiviert.
Offene Aktivitäten sind weniger geplant, kommen jedoch in der Einrichtung häufig vor. Die Kinder essen, ziehen sich an und aus, basteln oder gehen nach draußen. Diese Tätigkeiten eignen sich sehr gut, um mit den Kindern zu sprechen. Neben diesen Alltagstätigkeiten bietet das Freispiel unzählige Möglichkeiten für Dialoge. Das Spielen ist für Kinder im Vorschulalter ein wichtiges sprachliches Lernfeld (Hauser 2013; Lorentz 1999). Denn die Entwicklung des Spiels ist eng mit der Entwicklung der Sprache verbunden. Beides beeinflusst sich gegenseitig. Insbesondere unterstützt das Spiel das Symbolverständnis des Kindes. Dieses spielt für den Spracherwerb eine zentrale Rolle, da Wörter auch Symbole sind. In einer anregenden Spielumgebung soll den Kindern interessantes Material zur Verfügung gestellt werden, das sie motiviert, in ihre Fantasiewelten einzutauchen (Wannack et al. 2009). Die Rolle der frühpädagogischen Fachperson beschränkt sich jedoch nicht darauf, das Spiel über Material anzuregen (Tournier et al. 2014). Sie sollte dazu beitragen, dass die Kinder miteinander ins Spiel und somit ins Gespräch kommen. Auch Kinder mit geringen Sprachkenntnissen sollten in das Spiel involviert werden. Damit sind sie gefordert, sich in Worten und Handlungen spontan auszudrücken. Die frühpädagogische Fachperson kann auch selbst am Spiel teilnehmen. Sie übernimmt eine Rolle, fasst das Geschehen in Worte, geht auf die Kinder ein. Durch das Eintreten in den Dialog regt sie kognitive Prozesse an und dient den Kindern als wertvolles Sprachvorbild (Sylva et al. 2004).
1.3 Leitprinzipien alltagsintegrierter Sprachförderung
■ Für die Sprachförderung im Alltag ist die Interaktion von Fachperson und Kind von zentraler Bedeutung. Eine professionelle Form dieser dialogisch ausgerichteten Gesprächsführung stellt die Interaktionsform des gemeinsam geteilten Denkens (Sustained Shared Thinking) (Sylva et al. 2004) dar. Dabei werden gemeinsam herausfordernde Gedanken entwickelt und fortgeführt.
■ Eng damit verbunden ist der Ansatz sensitiver und erweiternder Responsivität (Remsperger 2013). Sensitive Responsivität meint, dass die Signale der Kinder aufgegriffen und die sprachlichen Äußerungen der Kinder ergänzt werden. Die erweiternde Responsivität wird durch den Einsatz sprachfördernder Strategien umgesetzt (Inputmanagement nach Dannenbauer 1994).
■ Die Kontextoptimierung (Motsch 2017) zielt darauf ab, dass Kinder die Formen und Funktionen sprachlicher Strukturen stets in konkreten Situationen erfahren können. Die Spracherfahrungen werden dabei nicht konstruiert, sondern ergeben sich im konkreten Handeln.
■ Auch die Entwicklungsangemessenheit (Adaptivität) (Ruberg / Rothweiler 2012) gilt als Qualitätskriterium. Die sprachförderlichen Verhaltensweisen werden an den kindlichen Sprachstand angepasst. Dazu bedarf es des Wissens um die kindlichen Sprachfähigkeiten, damit Förderstrategien adaptiv und wirksam eingesetzt werden können.
Mit den Eigenschaften der Adaptivität und der Einbettung in konkrete Situationen grenzt sich die alltagsintegrierte Förderung von den Sprachförderprogrammen ab und verankert sich zunehmend in der frühpädagogischen Praxis.
1.4 Strategien der Sprachförderung
Um Kinder in ihrem Spracherwerb wirksam fördern zu können, sollte die frühpädagogische Fachperson konkrete Strategien zur Verwendung im Alltag kennen. Für das IBH-Forschungsprojekt „Sprima – Sprachförderung im Alltag von Spielgruppe, Kita und Kindergarten“ (Vorwort) wurden fünf Strategien ausgewählt und weiterentwickelt, die aufgrund der Literatur zu Sprachförderung als wirksam einzustufen sind (Übersicht „Vergissmeinnicht der Sprachförderung“ im Online-Material).
Die fünf Strategien werden in den Kapiteln drei bis sieben ausführlich vorgestellt. Vorab ein kurzer Überblick:
■ Erste Strategie „Im Dialog mit Kindern“: Der Dialog mit den Kindern ist von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Sprachförderung (König 2007). Dazu muss die frühpädagogische Fachperson für von den Kindern ausgehende Impulse offen sein. Sie greift die Themen des Kindes auf, erweitert diese und fragt nach. Sie interessiert sich für die Welt des Kindes. Von sich aus vertieft sie Themen, die sich im Alltag ergeben (Bertau 2006; Best et al. 2011). Ein echter Dialog zeichnet sich dadurch aus, dass das Kind auch aktiv eigene Gedanken einbringt. Im Dialog versprachlicht die frühpädagogische Fachperson Handlungen, die das Kind oder sie selber ausführt. Indem das Kind seine Aufmerksamkeit auf die Handlung richtet und gleichzeitig in Worten hört, was es sieht, erweitert sich sein Verständnis. Es lernt neue Wörter und Zusammenhänge.
■ Zweite Strategie „Schritt für Schritt den Wortschatz fördern“: Die frühpädagogische Fachperson verwendet oft neue Wörter, die das Kind noch nicht kennt. So findet Wortschatzförderung im Alltag häufig statt. In den ersten Lebensjahren sind Kinder wie Wort-Staubsauger. Sie können sich Wörter bereits nach nur einmaligem Hören merken. Damit sie die Bedeutung und die korrekte Verwendung von Begriffen verinnerlichen, müssen sie diese immer wieder in verschiedenen Situationen hören und erleben. Erst zu einem späteren Zeitpunkt können die Kinder die Wörter bewusst anwenden (Apeltauer 2012).
■ Dritte Strategie „Sprache modellieren“: Durch die korrekte Wiederholung fehlerhafter Äußerungen korrigiert die frühpädagogische Fachperson das Kind nebenbei. Sie kann dem Kind eine bessere Satzstruktur anbieten oder das Gesagte inhaltlich erweitern (Dannenbauer 2002; Motsch 2017). Dabei weist sie das Kind nicht explizit auf einen Fehler hin, weil solch ein „Tadel“ seine Sprechfreude beeinträchtigen kann. Während die frühpädagogische Fachperson dem Kind zeigt, dass sie es richtig verstanden hat, hört das Kind gleichzeitig die korrekte Äußerung. Es wird indirekt korrigiert und kann die richtigen Formen abspeichern. Ursprünglich stammen diese Techniken aus den frühen Eltern-Kind-Dialogen. Sie wirken jedoch auch bei älteren Kindern, wenn sie gezielt eingesetzt werden (Ruberg / Rothweiler 2012).
■ Vierte Strategie „Den Spracherwerb mit Fragen fördern und begleiten“: Durch Fragen hält die frühpädagogische Fachperson den Dialog aufrecht und bekundet Interesse an dem Thema des Kindes. Die gestellten Fragen regen das Kind an, Äußerungen zu formulieren, eigene Gedanken auszusprechen und über etwas nachzudenken (König 2009; Schmidt et al. 2019).
■ Fünfte Strategie „Redirect“: Nicht nur der Dialog mit der frühpädagogischen Fachperson wirkt sprachförderlich, sondern auch die Interaktionen der Kinder untereinander (Licandro / Lüdtke 2013; Rice et al. 1991; Schuele et al. 1995). Wenn die Kinder mit anderen spielen und kommunizieren, verbessern sie nebenbei ihre Sprachfähigkeiten. Die Technik des Redirects zielt deshalb darauf, dass die frühpädagogische Fachperson Gespräche zwischen den Kindern initiiert und unterstützt. Wenn ein Kind mit einem Anliegen an die Fachperson herantritt, leitet sie es an ein anderes Kind weiter. Oder sie schlägt zum Beispiel einem allein spielenden Kind vor, was es einem anderen Kind sagen kann, damit es eventuell zu einem gemeinsamen Spiel kommt.
1.5 Vereinigung der Strategien im Dialog
Während eines Dialogs der frühpädagogischen Fachperson mit einem Kind oder einer Kindergruppe verwendet sie alle Strategien. Sie stellt Fragen und bietet neue Wörter an. Mittels Modellierungsstrategien reagiert sie auf Äußerungen des Kindes, korrigiert und erweitert sie. Ab und zu lässt sie ein Redirect einfließen. Im folgenden Beispiel schaut eine frühpädagogische Fachperson mit einem Kind ein Bilderbuch an (Tab. 1).
1.6 Entwicklungsangemessene und adaptive Unterstützung
Zur Förderung der Sprache tritt die frühpädagogische Fachperson in den Dialog mit den Kindern. Dabei setzt sie flexibel die beschriebenen Strategien ein. Da die Strategien ins Gespräch eingebunden sind, müssen sie inhaltlich und von der sprachlichen Form den Äußerungen des Kindes angepasst sein. Forschungsergebnisse zeigen, dass sprachliche Interaktionen mit Kindern besonders dann wirksam sind, wenn sie der sprachlichen Entwicklung des Kindes angepasst werden (Ruberg / Rothweiler 2012). Die sprachliche Entwicklung des Kindes erfolgt nach einem bestimmten natürlichen Ablauf. Somit lässt sich bei exakter Beobachtung des Sprechverhaltens des Kindes der nächste Entwicklungsschritt voraussehen. Eine wirksame Förderung orientiert sich an diesem nächsten Entwicklungsschritt (Vygotskij 1972). Dabei dient die frühpädagogische Fachperson als Sprachvorbild und liefert dem Kind die Strukturen, die es erwerben soll. Das Kind wird darin unterstützt, seine eigenen Sprachfähigkeiten der Zielsprache anzupassen. Es kann neue Wörter und Sprachmuster entdecken (Albers 2009; Dannenbauer 1984; Gibbons 2002; Siraj-Blatchford et al. 2002). Kinder sind in der Lage, aus dem sprachlichen Angebot die Strukturen herauszunehmen, die sie brauchen. Deshalb sollten diese möglichst häufig in natürlichen Gesprächssituationen angeboten werden (Ruberg / Rothweiler 2012, 47). Da jedes Kind angemessen gefördert werden soll, entfällt die ausschließliche Konzentration auf wenig Deutsch sprechende Kinder mit Migrationshintergrund oder auf Kinder mit Spracherwerbsverzögerungen.
Tab. 1: Vereinigung der Strategien am Beispiel
Beispiel | Gewählte Strategie |
FP: Wer ist das? | Frage (Ergänzungsfrage; vgl. Kapitel 6) |
Nadja: Der Ennetrack. | |
FP: Der Traktor, genau. | Modellierung (auf der Wortebene; vgl. Kapitel 5) |
N: Der Ennetrack, das kenn ich. Macht viel Lärm. | |
FP: Ah, ja. Woher kennst du das? | Frage (Ergänzungsfrage) Dialog (Thema des Kindes aufnehmen und weiterführen) |
N: Hab ich als Spielzeugtraktor. Spiel ich oft mit meine Buder. | |
FP: Ach so. Mit deinem Bruder spielst du das! | Modellierung (auf Laut- und Grammatikebene) |
FP: Schau mal, wer lebt noch auf dem Hof und steht hinter dem Traktor? | Frage (Ergänzungsfrage) |
N: Hund! | |
FP: Der Hund! Genau, ein Dalmatiner! | Modellierung (Erweiterung auf Satzebene)
Wortschatz (Anbieten eines neuen Wortes; vgl. Kapitel 4) |
N: Wau, wau | |
FP: Wau, wau, genau. Der Hund bellt. Warum bellt der Hund den Traktor laut an? | Versprachlichen (vgl. Kapitel 3)
Frage (Ergänzungsfrage mit Warum) |
N: Weiss nicht … | N. kann die Frage nicht beantworten. |
FP: Meinst du, er freut sich, weil der Bauer gleich losfährt, oder möchte er gern etwas zu fressen? | Frage (Alternativfrage, die N. beantworten kann) |
Voraussetzung für die Sprachförderkompetenz (Fried 2009; Müller et al. 2014) ist ein hinreichendes Wissen über den Spracherwerb des Kindes sowie die Fähigkeit, dessen aktuelles sprachliches Lernen zu beobachten und einzuschätzen. Sprachdiagnose ist als Grundlage für wirksames pädagogisches Handeln unabdingbar (Ruberg / Rothweiler 2012Fried 2013Kany / Schöler 2010Reichert-Garschhammer / Kieferle 2011BeobachtungsbogenKap. 2