Jakob Michael Reinhold Lenz

Der Hofmeister

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066108977

Inhaltsverzeichnis


Namen.
Erster Akt.
Zweyter Akt.
Dritter Akt.
Vierter Akt.
Fünfter Akt.
"

Der Hofmeister odor Vortheile der Privaterziehung

Jakob Michael Reinhold Lenz

Eine Komödie.

Namen.

Inhaltsverzeichnis

Herr von Berg. Geheimer Rath.
Der Major. Sein Bruder.
Die Majorin.
Gustchen. Ihre Tochter.
Fritz von Berg.
Graf Wermuth.
Läuffer. Ein Hofmeister.
Pätus und Bollwerk. Studenten.
Herr von Seiffenblase.
Sein Hofmeister.
Frau Hamster. Räthin.
Jungfer Hamster.
Jungfer Knicks.
Frau Blitzer.
Wenzeslaus. Ein Schulmeister.
Marthe. Alte Frau.
Lise.
Der alte Pätus.
Der alte Läuffer. Stadtprediger.
Leopold. Junker des Majors. Ein Kind.
Herr Rehhaar. Lautenist.
Jungfer Rehhaar. Seine Tochter.

Erster Akt.

Inhaltsverzeichnis

Erste Scene.

Zu Insterburg in Preussen.

Läuffer. Mein Vater sagt: ich sey nicht tauglich zum Adjunkt. Ich glaube, der Fehler liegt in seinem Beutel; er will keinen bezahlen. Zum Pfaffen bin ich auch zu jung, zu gut gewachsen, habe zu viel Welt gesehn und bey der Stadtschule hat mich der geheime Rath nicht annehmen wollen. Mag's! er ist ein Pedant und dem ist freylich der Teufel selber nicht gelehrt genug. Im halben Jahr hätt' ich doch wieder eingeholt, was ich von der Schule mitgebracht, und dann wär' ich für einen Klassenpräceptor noch immer viel zu gelehrt gewesen, aber der Herr geheime Rath muß das Ding besser verstehen. Er nennt mich immer nur Monsieur Läuffer, und wenn wir von Leipzig sprechen, fragt er nach Händels Kuchengarten und Richters Kaffehaus, ich weiß nicht: soll das Satyre seyn, oder—Ich hab' ihn doch mit unserm Konrektor bisweilen tiefsinnig genug diskuriren hören; er sieht mich vermuthlich nicht für voll an.—Da kommt er eben mit dem Major; ich weiß nicht, ich scheu ihn ärger als den Teufel. Der Kerl hat etwas in seinem Gesicht, das mir unerträglich ist. (geht dem geheimen Rath und dem Major mit viel freundlichen Scharrfüssen vorbey.)

Zweyte Scene.

Geheimer Rath. Major.

Major.
Was willst du denn? Ist das nicht ein ganz artiges Männichen?

Geh. Rath. Artig genug, nur zu artig. Aber was soll er Deinen Sohn lehren?

Major.
Ich weiß nicht, Berg, Du thust immer solche wunderliche
Fragen.

Geh. Rath. Nein aufrichtig! Du must doch eine Absicht haben, wenn Du einen Hofmeister nimmst und den Beutel mit einemmahl so weit aufthust, daß dreihundert Dukaten herausfallen. Sag mir, was meinst Du mit dem Geld auszurichten; was foderst Du dafür von Deinem Hofmeister?

Major. Daß er—was ich—daß er meinen Sohn in allen Wissenschaften und Artigkeiten und Weltmanieren—Ich weiß auch nicht, was Du immer mit Deinen Fragen willst; das wird sich schon finden; das werd ich ihm alles schon zu seiner Zeit sagen.

Geh. Rath. Das heißt: Du willst Hofmeister Deines Hofmeisters seyn; bedenkst Du aber auch, was Du da auf Dich nimmst—Was soll Dein Sohn werden, sag mir einmahl?

Major. Was er… Soldat soll er werden; ein Kerl, wie ich gewesen bin.

Geh. Rath. Das letzte laß nur weg, lieber Bruder; unsere Kinder sollen und müssen das nicht werden, was wir waren: die Zeiten ändern sich, Sitten, Umstände, alles, und wenn Du nichts mehr und nichts weniger geworden wärst, als das leibhafte Kontrefey Deines Eltervaters—

Major. Potz hundert! wenn er Major wird, und ein braver Kerl wie ich, und dem König so redlich dient als ich!

Geh. Rath. Ganz gut, aber nach funfzig Jahren haben wir vielleicht einen andern König und eine andre Art ihm zu dienen. Aber ich seh schon, ich kann mich mit Dir in die Sachen nicht einlassen, ich müste zu weit ausholen und würde doch nichts ausrichten. Du siehst immer nur der graden Linie nach, die Deine Frau Dir mit Kreide über den Schnabel zieht.

Major.
Was willst Du damit sagen, Berg? Ich bitt Dich, misch
Dich nicht in meine Hausangelegenheiten, so wie ich mich
nicht in die Deinigen.—Aber sieh doch! da läuft ja
eben Dein gnädiger Junker mit zwey Hollunken aus der
Schule heraus.—Vortrefliche Erziehung, Herr Philosophus!
Das wird einmal was rechts geben! Wer sollt' es in aller
Welt glauben, daß der Gassenbengel der einzige Sohn Sr.
Excellenz des königlichen geheimen Raths—

Geh. Rath. Laß ihn nur.—Seine lustigen Spielgesellen werden ihn minder verderben als ein galonirter Müßiggänger, unterstützt von einer eiteln Patronin.

Major.
Du nimmst Dir Freyheiten heraus.—Adieu.

Geh. Rath.
Ich bedaure Dich.

Dritte Scene.

Der Majorin Zimmer.
Frau Majorin. (auf einem Kanapee)
Läuffer. (in sehr demüthiger Stellung neben ihr sitzend)
Leopold. (steht)

Majorin. Ich habe mit Ihrem Herrn Vater gesprochen und von den dreihundert Dukaten stehenden Gehalts sind wir bis auf hundert und funfzig einig worden. Dafür verlang' ich aber auch Herr—Wie heissen Sie?—Herr Läuffer, daß Sie Sich in Kleidern sauber halten, und unserm Hause keine Schande machen. Ich weiß, daß Sie Geschmack haben; ich habe schon von Ihnen gehört, als Sie noch in Leipzig waren. Sie wissen, daß man heut zu Tage auf nichts in der Welt so sehr sieht, als ob ein Mensch sich zu führen wisse.

Läuffer. Ich hoff', Euer Gnaden werden mit mir zufrieden seyn. Wenigstens hab' ich in Leipzig keinen Ball ausgelassen, und wohl über die funfzehn Tanzmeister in meinem Leben gehabt.

Majorin. So? lassen Sie doch sehen. (Läuffer steht auf) Nicht furchtsam, Herr…Läuffer! nicht furchtsam! Mein Sohn ist buschscheu genug; wenn der einen blöden Hofmeister bekommt, so ists aus mit ihm. Versuchen Sie doch einmal, mir ein Kompliment aus der Menuet zu machen; zur Probe nur, damit ich doch sehe.—Nun, nun, das geht schon an! Mein Sohn braucht vor der Hand keinen Tanzmeister! Auch einen Pas, wenn's Ihnen beliebt.—Es wird schon gehen; das wird sich alles geben, wenn Sie einmal einer unsrer Assembleen werden beigewohnt haben. Sind Sie musikalisch?

Läuffer.
Ich spiele die Geige, und das Klavier zur Noth.

Majorin. Desto besser: wenn wir aufs Land gehn und Fräulein Milchzahn besuchen uns einmal; ich habe bisher ihnen immer was vorsingen müssen, wenn die guten Kinder Lust bekamen zu tanzen: aber besser ist besser.

Läuffer.
Euer Gnaden setzen mich ausser mich: wo wär ein Virtuos
auf der Welt, der auf seinem Instrument Euer Gnaden
Stimme zu erreichen hoffen dürfte.

Majorin.
Ha ha ha! Sie haben mich ja noch nicht gehört. … Warten
Sie; ist Ihnen die Menuet bekannt? (singt)

Läuffer. O… o… verzeihen Sie dem Entzücken, dem Enthusiasmus, der mich hinreißt. (küßt ihr die Hand.)

Majorin. Und ich bin doch enrhumirt dazu; ich muß heut krähen wie ein Rabe. Vous parlez françois, sans doute?

Läuffer.
Un peu, Madame

Majorin.
Avez Vous deja fait Vôtre tour de France?

Läuffer.
Non Madame. … Oui Madame.

Majorin. Vous devez donc savoir, qu'en France, on ne baise pas les mains, mon cher. …

Bedienter. (tritt herein)
Der Graf Wermuth …

Graf Wermuth. (tritt herein)

Graf. (nach einigen stummen Komplimenten setzt sich zur Majorin aufs Kanapee. Läuffer bleibt verlegen stehen) Haben Euer Gnaden den neuen Tanzmeister schon gesehn, der aus Dresden angekommen? Er ist ein Marchese aus Florenz, und heißt … Aufrichtig: ich habe nur zwey auf meinen Reisen angetroffen, die ihm vorzuziehen waren.

Majorin.
Das gesteh' ich, nur zwey! In der That, Sie machen mich
neugierig; ich weiß, welchen verzärtelten Geschmack der
Graf Wermuth hat.

Läuffer. Pintinello … nicht wahr? ich hab' ihn in Leipzig auf dem Theater tanzen sehen; er tanzt nicht sonderlich …

Graf. Er tanzt—on ne peut pas mieux.—Wie ich Ihnen sage, gnädige Frau, in Petersburg hab' ich einen Beluzzi gesehn, der ihm vorzuziehen war: aber dieser hat eine Leichtigkeit in seinen Füssen, so etwas freyes, göttlichnachläßiges in seiner Stellung, in seinen Armen, in seinen Wendungen—

Läuffer. Auf dem Kochischen Theater ward er ausgepfiffen, als er sich das letztemal sehen ließ.

Majorin.
Merk Er sich, mein Freund! daß Domestiken in
Gesellschaften von Standespersonen nicht mitreden. Geh
Er auf Sein Zimmer. Wer hat Ihn gefragt? (Läuffer tritt
einige Schritte zurück)

Graf. Vermuthlich der Hofmeister, den Sie dem jungen Herrn bestimmt? …

Majorin. Er kommt ganz frisch von der hohen Schule.—Geh' Er nur! Er hört ja, daß man von Ihm spricht; desto weniger schickt es sich, stehen zu bleiben. (Läuffer geht mit einem steifen Kompliment ab) Es ist was unerträgliches, daß man für sein Geld keinen rechtschaffenen Menschen mehr antreffen kann. Mein Mann hat wohl dreymahl an einen dasigen Professor geschrieben und dies soll doch noch der galanteste Mensch auf der ganzen Akademie gewesen seyn. Sie sehens auch wohl an seinem links bordirten Kleide. Stellen Sie sich vor, von Leipzig bis Insterburg zweihundert Dukaten Reisegeld und jährliches Gehalt fünfhundert Dukaten, ist das nicht erschröcklich?

Graf.
Ich glaube, sein Vater ist der Prediger hier aus dem Ort …

Majorin. Ich weiß nicht—es kann seyn—ich habe nicht darnach gefragt, ja doch, ich glaub' es fast: er heißt ja auch Läuffer; nun denn ist er freylich noch artig genug. Denn das ist ein rechter Bär, wenigstens hat er mich ein für allemal aus der Kirche gebrüllt.

Graf.
Ists ein Katholik?

Majorin.
Nein doch, Sie wissen ja, daß in Insterburg keine
katholische Kirche ist: er ist Lutherisch, oder
Protestantisch wollt' ich sagen; er ist protestantisch.

Graf.
Pintinello tanzt … Es ist wahr, ich habe mir mein
Tanzen einige dreißig tausend Gulden kosten lassen, aber
noch einmal so viel gäb' ich drum, wenn …

Vierte Scene.

Läuffers Zimmer.
Läuffer. Leopold. Der Major.
(Erstere sitzen an einem Tisch, ein Buch in der Hand,
indem sie der letztere überfällt.)

Major. So recht; so lieb' ichs; hübsch fleißig—und wenn die Kanaille nicht behalten will, Herr Läuffer, so schlagen Sie ihm das Buch an den Kopf, daß ers Aufstehen vergißt, oder wollt' ich sagen, so dürfen Sie mirs nur klagen. Ich will Dir den Kopf zurecht setzen, Heyduk Du! Seht da zieht er das Maul schon wieder. Bist empfindlich, wenn Dir Dein Vater was sagt? Wer soll Dirs denn sagen? Du sollst mir anders werden, oder ich will Dich peitschen, daß Dir die Eingeweide krachen sollen, Tuckmäuser! Und Sie, Herr, seyn Sie fleißig mit ihm, das bitt' ich mir aus, und kein Feriiren und Pausiren und Rekreiren, das leid ich nicht. Zum Plunder, vom Arbeiten wird kein Mensch das Malum hydropisiacum kriegen. Das sind nur Ausreden von euch Herren Gelehrten.—Wie stehts, kann er seinen Cornelio? Lippel! ich bitt Dich um tausend Gottes willen, den Kopf grad. Den Kopf in die Höhe, Junge! (richtet ihn) Tausend Sakkerment den Kopf aus den Schultern! oder ich zerbrech Dir Dein Rückenbein in tausendmillionen Stücken.

Läuffer.
Der Herr Major verzeihen: er kann kaum lateinisch lesen.

Major. Was? So hat der Rakker vergessen.—Der vorige Hofmeister hat mir doch gesagt, er sey perfekt im Lateinischen, perfekt. … Hat ers ausgeschwitzt—aber ich will Dir— Ich will es nicht einmal vor Gottes Gericht zu verantworten haben, daß ich Dir keinen Daumen aufs Auge gesetzt habe, und daß ein Galgendieb aus Dir geworden ist, wie der junge Hufeise oder wie Deines Onkels Friedrich, eh Du mir so ein Gassenläufferischer Taugenichts—Ich will dich zu Tode hauen—(giebt ihm eine Ohrfeige) Schon wieder wie ein Fragzeichen? Er läßt sich nicht sagen.—Fort mir aus den Augen.—Fort! Soll ich Dir Beine machen? Fort, sag' ich. (stampft mit dem Fuß. Leopold geht ab. Major setzt sich auf seinen Stuhl. Zu Läuffern.) Bleiben Sie sitzen, Herr Läuffer; ich wollte mit ihnen ein paar Worte allein sprechen, darum schickt' ich den jungen Herrn fort. Sie können immer sitzen bleiben; ganz, ganz. Zum Henker Sie brechen mir ja den Stuhl entzwey, wenn Sie immer so auf einer Ecke … Dafür steht ja der Stuhl da, daß man drauf sitzen soll. Sind Sie so weit gereist und wissen das noch nicht?—Hören Sie nur: ich seh' Sie für einen hübschen artigen Mann an, der Gott fürchtet und folgsam ist, sonst würd' ich das nimmer thun, was ich für Sie thue. Hundert und vierzig Dukaten jährlich hab' ich Ihnen versprochen: das machen drey—Warte— Dreymal hundert und vierzig: wieviel machen das?

Läuffer.
Vier hundert und zwanzig.

Major. Ists gewiß? Macht das soviel? Nun damit wir gerade Zahl haben, vierhundert Thaler preußisch Courant hab' ich zu Ihrem Salarii bestimmt. Sehen Sie, das ist mehr als das ganze Land giebt.

Läuffer. Aber mit Eurer Gnaden gnädigen Erlaubniß, die Frau Majorin haben mir von hundert funfzig Dukaten gesagt; das machte gerade vierhundert funfzig Thaler und auf diese Bedingungen hab' ich mich eingelassen.

Major. Ey was wissen die Weiber!—Vierhundert Thaler, Monsieur; mehr kann Er mit gutem Gewissen nicht fodern. Der vorige hat zweihundert funfzig gehabt und ist zufrieden gewesen wie ein Gott. Er war doch, mein Seel! ein gelehrter Mann; auch und ein Hofmann zugleich: die ganze Welt gab' ihm das Zeugniß, und Herr, Er muß noch ganz anders werden, eh' Er so wird. Ich thu' es nur aus Freundschaft für Seinen Herrn Vater, was ich an Ihm thue und um Seinetwillen auch, wenn Er hübsch folgsam ist, und werd' auch schon einmal für Sein Glück zu sorgen wissen; das kann Er versichert seyn.—Hör Er doch einmal: ich hab' eine Tochter, das mein Ebenbild ist und die ganze Welt giebt ihr das Zeugniß, daß ihres gleichen an Schönheit im ganzen Preussenlande nichts anzutreffen. Das Mädchen hat ein ganz anders Gemüth als mein Sohn, der Buschklepper. Mit dem muß ganz anders umgegangen werden! Es weiß sein Christenthum aus dem Grunde und in dem Grunde, aber es ist denn nun doch, weil sie bald zum Nachtmahl gehen soll und ich weiß wie die Pfaffen sind, so soll er auch alle Morgen etwas aus dem Christenthum mit ihr nehmen. Alle Tage Morgens eine Stunde und da geht Er auf ihr Zimmer; angezogen, das versteht sich: denn Gott behüte, daß Er so ein Schweinigel seyn sollte wie ich einen gehabt habe, der durchaus im Schlafrock an Tisch kommen wollte.—Kann Er auch zeichnen?

Läuffer.
Etwas, gnädiger Herr.—Ich kann Ihnen einige Proben weisen.