Clemens Brentano

Die drei Nüsse

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066109691

Inhaltsverzeichnis


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Die drei Nüsse

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Clemens Brentano



Daniel Wilhelm Möller, Professor und Bibliothekar zu Altorf, lebte im Jahr 1665 in Kolmar als Hofmeister der drei Söhne des Bürgermeisters Maggi. Im Oktober dieses Jahres hatte der Bürgermeister einen reisenden Alchimisten zum Gaste, und als bei dem Nachtische der Abendmahlzeit unter anderm Obste auch welsche Nüsse auf die Tafel gesetzt wurden, sprach die Gesellschaft mancherlei von den Eigenschaften dieser Frucht. Da aber die drei Zöglinge Möllers etwas unmäßig zu den Nüssen griffen und sie lustig nacheinander aufknackten, verwies Möller es ihnen freundlich und gab ihnen folgenden Vers aus der Schola Salernitana zu verdeutschen auf: "Unica nux prodest, nocet altera, tertia mors est."--Da übersetzten sie: "Eine Nuß nützt, die zweite schadet, der Tod ist die dritte." Möller aber sagte zu ihnen, diese Übersetzung könne unmöglich die rechte sein, da sie die dritte Nuß längst genossen und doch noch frisch und gesund seien; sie möchten sich eines Bessern besinnen. Kaum waren diese Worte gesprochen, als der Alchimist mit Bestürzung plötzlich vom Tische aufsprang und sich in der ihm angewiesenen Stube verschloß, worüber alle Anwesende in nicht geringer Verwunderung waren. Der jüngste Sohn des Bürgermeisters folgte dem Fremden, um ihn auf Befehl seines Vaters zu fragen, ob ihm etwas zugestoßen sei; da er aber die Türe verschlossen fand, sah er durch das Schlüsselloch den Fremden auf den Knien liegen und unter Tränen und Händeringen mehrere Male ausrufen: "Ah, mon Dieu, mon Dieu!"

Kaum hatte der Knabe seinem Vater dies hinterbracht, als der Fremde sich von dem Diener zu einer einsamen Unterredung melden ließ. Alle entfernten sich. Da trat der Alchimist herein, fiel auf die Knie, umfaßte die Füße des Bürgermeisters und flehte ihn unter heftigen Tränen an: er möge ihn nicht vor Gericht bringen, er möge ihn vor einem schmählichen Tode erretten.