Es handelt sich um:
Frau Kommerzienrat Reichenbach.
Hanni Reichenbach, deren Tochter.
Heinz Reichenbach, Frau Reichenbachs Neffe.
Heinrich Morener, Großspekulant.
Karl Morener, dessen Neffe.
Hedda v. Nedlitz.In die Handlung greifen ein:
Kommerzienrat Reichenbach.
Urbach, Meßter, Direktoren bei Reichenbach.
L. E. Schnitter, Finanzierungen.
Gräfin Amalie Wahl-Reuth, Heddas Tante.
Kumbier, Wirt des »Schmetterling«.
Haase.
Der Rote Franz.
Der Blonde.
Irrenärzte, Rechtsanwälte, Kommissare.
Nach dem Essen ging die Jugend in den kleinen Saal, aus dem schon, als die Diener die Speisen reichten, die Klänge einer bekannten Jazz-Band zum Tanze lockten. Heinrich Morener aber führte die Frau Kommerzienrat Reichenbach in den Salon. Ziemlich unvermittelt begann er, als sie sich gesetzt hatten.
»Sie sehen, ich habe die Räume hier unverändert gelassen.«
»Man hatte es mir erzählt – und ich habe mich darüber gefreut.«
»Die Ehrlichkeit verlangt zu sagen, daß es nicht aus Pietät geschah.«
»Also teilen Sie den schlichten Geschmack meines seligen Mannes?«
»Ich verstehe nicht viel davon. Aber ich habe mir gedacht: wer weiß, wer nach mir hier leben wird.«
»Ihr Neffe vermutlich.«
»Gewiß. Er hat die größte Chance – vorausgesetzt, daß er meinen Wunsch erfüllt –« Er hielt inne, weil er hoffte, daß Frau Reichenbach ihn fragen würde: welchen Wunsch? Da das nicht geschah, so fragte er: »Sie erraten es nicht?«
»Sie wünschen sich vermutlich, daß er heiratet.«
»Und zwar so, daß die Reichenbachs hier wieder zu Hause sind.« – Er erwartete eine Antwort. Da sie ausblieb, so fuhr er fort: »Das, gnädige Frau, ist der Grund, aus dem ich mir die Freiheit nahm, Sie zu mir zu bitten.«
»Das heißt doch nicht, daß meine Tochter . . .?«
»Überrascht Sie das? Es ist nur folgerichtig. – Oder würden Sie es lieber sehen, wenn ich Sie um Ihre Hand bitte?«
Frau Reichenbach erhob sich und sagte kalt:
»Sie werden mich in diesem Hause nicht beleidigen.«
»Ich finde den Gedanken weniger kränkend als die Art, in der Sie ihn ablehnen.«
»Ich habe den Wunsch, den Namen meines Mannes bis an mein Ende zu tragen.«
»Niemand begreift das mehr als ich. Ich habe daher auch niemals den Versuch gemacht.«
»Sie vergessen schnell, Herr Morener!«
»Für einen Menschen wie mich ist es Bedingung, schnell zu handeln und ebenso schnell zu vergessen. Denn ich muß erlernen, was Ihnen im Blute liegt.«
»Um so vorsichtiger sollten Sie alles vermeiden, was möglicherweise Anstoß erregt.«
»Gerade aus seinen Verstößen lernt man am schnellsten. Aber indem man sie begeht und erkennt, muß man sie auch schon hinter sich haben.«
»Das gilt für Sie – aber nicht für Ihre Opfer.«
»Fällt es Ihnen so schwer, zu vergessen, daß ich Sie vor Jahren einmal begehrt habe?«
»Begehrt? – Berechnet haben Sie!«
»Gnädige Frau!«
»Sie glaubten, Ihr Geschäft mit meinem Mann zu einem schnelleren und für Sie günstigeren Abschluß zu bringen, wenn Sie in mir Ihre Verbündete hätten.«
»Ich habe heute den Mut, zu bekennen, daß es so war. Aber ich kann mein Gewissen nicht mit Fehlern belasten, die Jahre zurückliegen.«
»Sie verfolgen mit der Ehe Ihres Neffen und meiner Tochter nur den Zweck, die Distanz zwischen unseren Familien zu verwischen. Aber Sie dürfen das gleiche Interesse nicht bei uns voraussetzen.«
»Sie sind sehr stolz.«
»Stolz nicht, aber bitter. Und diese Bitterkeit Menschen wie Ihnen gegenüber, mag sie noch so ungerecht sein – ist das einzige, was uns dies veränderte Leben erträglich macht.«
»Durch diese Ehe würden sich die Verhältnisse mit einem Schlage ändern.«
»Ich glaube, daß meine Tochter in einem solchen Falle nur ihr Herz befragen wird.«
»Nicht einmal ich fühle mich stark genug, eine Entscheidung von dieser Bedeutung nur nach dem Gefühl zu treffen.«
»Sie, Herr Morener, hat der wirtschaftliche Aufstieg zu einem unfreieren Menschen gemacht als uns der Zusammenbruch. Früher hätten Sie eine Dame vom Varieté heiraten können – niemand hätte es Ihnen verübelt. Heute ist der Stammbaum für Sie wichtiger als der Mensch.«
»Es handelt sich nicht um uns, sondern um Ihr Kind und meinen Neffen.«
»Das müssen die beiden jungen Leute untereinander ausmachen. Ich bin in Sachen des Herzens nicht Anwalt meines Kindes.«
»Über meinen Neffen bin ich im klaren. Wenn Sie also glauben, daß auch das Herz Ihrer Tochter noch frei ist?«
»Sie hängt an ihrem Vetter.«
»An Heinz Reichenbach? – Aber liebe, gnädige Frau, das hieße ja Ihre finanzielle Misere verewigen.«
»Möglich, daß es nicht mehr ist als verwandtschaftliches Gefühl.«
»Würden Sie dann bitte Ihr Fräulein Tochter zu uns bitten?«
»Wie denn? Ich soll in Ihrer Gegenwart . . .«
»Sie könnte Fragen stellen, die nur ich beantworten kann.«
»Wie wenig kennen Sie mein Kind!«
»Lassen wir es darauf ankommen.«
Frau Reichenbach ging zur Tür und verständigte sich durch einen Blick mit ihrer Tochter, die gerade mit Reichenbach tanzte.
Heinrich Morener erhob sich, als Hanni ins Zimmer trat.
»Setz dich, bitte!« sagte die Mutter.
Aber Hanni, der man die innere Erregung ansah, erwiderte:
»Ich kann nicht – diese Baroneß!«
»Was ist mit ihr?« fragte Morener.
»Gleich nach dem Essen nahm sie mich beiseite und sagte: ›Haben Sie es bemerkt? Man will uns verkuppeln.‹«
»Was ist das für ein Wort!« rief Frau Reichenbach und wandte sich an Morener.
»Ich habe keine Silbe mit der Baroneß gesprochen, das Sie nicht gehört haben. Aber ich bin überzeugt, sie meint das ganz harmlos.«
Die beiden Frauen sahen ihn an, und Morener fuhr fort:
»Was kann sie anders meinen, als daß ich Sie bat, auf dem Tournier der Leute wegen auf seiten meines Neffen zu kämpfen?«
»Der Leute wegen?«
»Vielleicht auch mit Rücksicht auf die Gefühle meines Neffen.«
»Was sind das für Gefühle? – und was haben sie mit dem Sport zu tun?«
»Mein Neffe liebt Sie!«
»Das ist nicht wahr!«
Heinrich Morener ging zur Tür und rief:
»Karl!« – Dann wandte er sich wieder zu Hanni: »Er wird es Ihnen selber sagen.«
Als Karl Morener in den Salon trat, ging Hanni auf ihn zu, sah ihn scharf an und sagte:
»Mama fühlt sich nicht wohl! Wollen Sie uns bitte an den Wagen begleiten.«
Heinrich Morener warf den Kopf zurück und sagte:
»Ja – was heißt denn das?« – während Karl der Frau Kommerzienrat den Arm reichte und sie hinausführte.
Hanni blieb zurück, ging auf Morener zu und sagte:
»Sie wollten mich also doch verkuppeln.«
»Ich wollte Ihnen wieder emporhelfen – Ihnen und Ihrer Frau Mutter!«
»Danke,« erwiderte Hanni. »Ich habe nicht das Gefühl, daß wir gesunken sind.« Sie bewegte leicht den Kopf, wandte ihm den Rücken und ging.
Während Karl die beiden Damen an das Auto begleitete, saß Morener nachdenklich im Salon und sagte sich: Was hat man nun von seinem Geld, man bleibt diesen Menschen gegenüber doch, was man war. – Aber diese Erkenntnis war für ihn nur ein Grund mehr, um sich der Baroneß Nedlitz zu nähern – zumal sie ihm gefiel und der Aufmerksamkeit nach, die sie ihm während des Diners zuwandte, auch an ihm Gefallen zu finden schien.
Obgleich die Jazz-Kapelle, in dem Gefühl, von Morener überbezahlt zu werden, ohne Pausen spielte, tanzten die Baroneß und Reichenbach nicht mehr, sondern zogen sich in eine Nische des kleinen Saales zurück. Sie hatten sich zuvor viel voneinander erzählt. Nun aber sprachen sie nicht mehr, da die Baroneß mit den Vorgängen im Salon beschäftigt war und Reichenbach über die Gründe nachdachte, die Heinrich Morener veranlaßt haben könnten, seine Familie nach vier Jahren plötzlich ohne äußeren Anlaß einzuladen.
Da er es aber als unhöflich empfand, schweigend neben der Baroneß zu sitzen, so sagte er unvermittelt:
»In diesem Schloß habe ich meine Jugend verlebt – aber ich gebe mir Mühe, nicht daran zu denken.«
Hedda Nedlitz wandte sich zu ihm und erwiderte:
»Und ich sage mir jeden Tag und jede Stunde: denke daran, daß deine Vorfahren in Schlössern lebten – und ruhe nicht, bevor auch du wieder in dem Stil lebst, der dir zukommt.«
»Mit welchem Recht zukommt?« fragte Heinz Reichenbach. »Gerechterweise kommt einem doch nur zu, was man durch seine eigene Tüchtigkeit erworben hat.«
»So etwas sagen Sie?« erwiderte Hedda entsetzt. »Menschen, die ans Familien kommen wie wir. Menschen mit unserer Kinderstube, die vom ersten Tage verwöhnt worden sind und nie damit gerechnet haben, je Geld verdienen zu müssen – wo sollen wir denn die Tüchtigkeit hernehmen?«
»Für eine Frau wie Sie mag es nicht zutreffen. Da entscheidet das Schicksal – von dem wohl auch für uns mehr abhängt als von unserer Tüchtigkeit.«
»Ich verlasse mich lieber auf meinen Verstand.«
»Wir streiten uns um Begriffe – aber Sie haben schon recht: Menschen wie wir zwei mögen in allen nebensächlichen Dingen des Lebens noch so verschieden urteilen und handeln – in allem Wesentlichen stimmen wir doch überein.«
»Was nennen Sie das Wesentliche?«
»Die großen Momente im Leben – in denen die wahre Natur in uns so unvermittelt hervorbricht, daß wir die Äußerlichkeiten des Lebens völlig vergessen.«
»Wenn ich das große Los gewänne oder der Maharadscha von Johore um meine Hand anhielte – das wären für mich die großen Momente.«
»Bei denen Sie innerlich unbeteiligt blieben. – Nein! von innen muß es geschehen – nicht von außen –, daß Ihnen plötzlich die Erleuchtung kommt: alle bisherigen Vorstellungen von Welt und Menschen waren falsch – daß Sie mit einem Schlage ein anderer Mensch werden.«
»Einen solchen Moment wird es für mich nie geben.«
»Das bestimmen nicht Sie!«
»Sie sind ein Phantast! – Mit diesen Ideen werden Sie es nie zu etwas bringen.«
»Für jeden Menschen kommt einmal dieser Augenblick. Wissen Sie, was ich mir wünsche – ich möchte dabei sein dürfen, wenn Sie diese Stunde erleben.«
»Das klingt ja beinahe, als wenn Sie Ihr Schicksal mit meinem verknüpfen wollen.«
»Das Schicksal geht seinen Weg und kümmert sich nicht um unsere Wünsche.«
»Philosophierst du schon wieder,« sagte Karl, der eben mit Heinrich Morener in die Nische trat.
»Spielen Sie lieber eine Partie Schach mit meinem Neffen,« bat Heinrich Morener.
»Sie spielen Schach, Herr Reichenbach?« fragte Hedda erstaunt. »Mit dem Gefühl? – oder nehmen Sie da ausnahmsweise den Verstand zu Hilfe?«
»Für das Spiel reicht der Verstand aus,« erwiderte Heinz, »aber das Leben setzt sich darüber hinweg.«
»Ist das auch Ihre Meinung?« fragte Hedda und wandte sich an Heinrich Morener.
»Ich stehe auf dem Standpunkt, gescheit zu handeln ist besser als gescheit zu reden.«
»Also handeln wir!« sagte Hedda und sah Morener so scharf an, daß der verlegen sagte:
»Darf ich Sie noch ein Viertelstündchen langweilen?«
»Ich werde genau nach der Uhr sehen und nicht eine Minute länger bleiben,« erwiderte Hedda lächelnd.
Morener erschrak und sagte:
»So war das nicht gemeint.«
Er bot ihr den Arm und führte sie in den Salon.
»Ein sonderbarer Mensch, dieser Herr Reichenbach,« sagte Hedda.
»Etwas selbstbewußt – aber gewissenhaft.«
»Ich finde, er hat so etwas, was in die Zukunft weist.«
Morener lachte laut auf.
»Der und in die Zukunft weisend! Das dürfen Sie vielleicht von mir sagen – denn ich sehe darin keine Schmeichelei. Aber Heinz Reichenbach? Wenn der überhaupt irgendwohin weist, dann in die Vergangenheit.«
Im Salon vertauschte Morener schnell den Sessel, auf den sich Hedda eben setzen wollte, mit einem etwas tieferen, der daneben stand – und sagte:
»Hier sitzen Sie besser.«
»Also abergläubisch! Das hätte ich von Ihnen nicht gedacht.« – Und da Morener tat, als verstände er nicht, so fügte sie hinzu: »Auf dem Sessel, den Sie mir da eben entzogen haben, saß vorhin die Frau Kommerzienrat.«
»Allerdings.«
»Ich hatte mir gedacht, daß es nicht glücken würde.«
»Mein Neffe scheint Sie ja eingehend informiert zu haben.«
»Er nimmt Ihnen die Arbeit ab, das ist ja wohl seine Aufgabe.«
»Ich wünschte, er nähme es in geschäftlichen Dingen auch so genau.«
»Ist es Zufall, daß Sie die Beschwerden über Ihren Neffen bei mir anbringen?«
»Nein! denn ich glaube, daß Sie Einfluß auf ihn haben.«
»Während der Sommermonate.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Solange wir zusammen reiten und Tennis spielen.«
»Es gäbe ja eine Möglichkeit, diesen Einfluß auch auf die Wintermonate auszudehnen.«
»Indem Sie uns zum Wintersport nach St. Moritz schicken.«
»Als was – sollten Sie – ihn begleiten?«
Wieder sah Hedda ihm scharf in die Augen und sagte bestimmt:
»Als seine Tante.«
Morener sprang auf.
»Auch das hat Ihnen mein Neffe gesagt?«
»Wäre ich sonst hier?«
Morener konnte seine Erregung nicht verbergen.
»Sie könnten sich also entschließen . . .?«
»Wir sprachen vom Wintersport in St. Moritz, Herr Morener.«
»Ich weiß – aber Sie sagten . . .«
»Ich fragte, ob Sie zu Ihrem Neffen das Vertrauen hätten, ihn mit seiner Tante nach St. Moritz zu schicken?«
»Wenn Sie diese Tante wären?«
»Ich setz' den Fall.«
»Und Sie wünschen eine Antwort? Da ich die Zuneigung meines Neffen zu Ihnen kenne, so wäre ich mitschuldig, wenn ich Sie und ihn der Gefahr aussetzte . . .«
»Sie halten die Gefahr in Berlin für weniger groß?«
»Allerdings! Und zwar im selben Verhältnis, in dem die Gefahr der Entdeckung größer ist. Und da mein Neffe trotz allen guten Gefühlen – die er – was ich durchaus verstehe – für Sie hat, in letzter Linie ein Rechner ist, so würde er – was er in dem sehr viel sichereren St. Moritz wahrscheinlich nicht täte – sich in Berlin berechnen, was für ihn dabei auf dem Spiele steht.«
»Und meine Gefühle interessieren Sie gar nicht?«
»Für diesen besonderen Fall nicht. Denn, wenn Sie sich entschließen sollten, meine Frau zu werden, so weiß ich, daß Sie diesen Schritt nicht aus Liebe tun, sondern ans Klugheit.«
»Und wenn es so wäre?«
»Ihre Liebe könnte mir jeder rauben, der um dreißig Jahre jünger ist als ich. Nicht aber Ihre Klugheit. Sie ist mir im Gegenteil Gewähr dafür, daß Sie im Augenblick der Gefahr sich sagen werden: dazu haben Sie das Opfer nicht gebracht und mich geheiratet, um einer Liebelei wegen die Vorteile dieser Ehe aufs Spiel zu setzen.«
»Wie ist es möglich, daß Sie mich so richtig beurteilen, wo Sie mich gar nicht kennen?«
»Ich kenne Sie nicht erst seit heute, Baroneß.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Man hat Sie mir – natürlich ohne Ihr Wissen – von verschiedenen Seiten angetragen.«
»Mich – Ihnen? – Das ist unmöglich!«
»Verwandte von Ihnen, die es gut mit Ihnen meinen.«
»Doch nicht etwa meine Tante, die Gräfin . . .«
»Aber nein!«
»Was hat sie Ihnen von mir erzählt?«
»Daß Ihre Gläubiger im selben Augenblick aufhören werden, Sie zu belästigen, in dem ich meine Verlobung mit Ihnen bekanntgebe.«
»Glauben Sie das auch?«
Morener mußte über die Frage lächeln und erwiderte:
»Ich bin überzeugt davon.«
Hedda schien alles das schon viel zu lange zu dauern.
»Ich glaube, die Viertelstunde ist jetzt herum,« sagte sie.
Morener stand auf, trat vor den Sessel und fragte:
»Baroneß, darf ich Sie als meine Braut betrachten?«
Hedda erhob sich. Sie standen sich dicht gegenüber.
»Was werden die Leute sagen, wo wir uns heute zum ersten Male sehen?« fragte sie. »Aber das braucht ja niemand zu wissen. Wir können uns ja schon von meiner Tante her kennen.« – Sie sah ihn an. – »Ich hatte Sie mir – ja, wie sag ich nur? – viel härter und derber vorgestellt«. – Sie wies auf seinen Bart: »Der muß ab. Das ist das erste Opfer, das Sie mir bringen müssen.«
Morener versuchte eine schwache Verteidigung.
»Es gibt Frauen,« sagte er, »die lieben das.«
»Was können das schon für Frauen sein?« erwiderte sie. »Aus meinen Kreisen sicherlich nicht. – Da fällt mir ein . . .« – sie zögerte und trat einen Schritt zurück.
»So reden Sie!« drängte Morener.
»Sie heißen Morener.«
»Der Name ist ja wohl das einzige an mir, was Ihnen nicht fremd war.«
»Gewiß! – aber der Gedanke, daß ich in ein paar Wochen statt Hedda Hildegard Luise Baroneß von Nedlitz-Tornau-Neukirch einfach – Morener heißen werde . . .«
»Die Vornamen bleiben Ihnen.«
»Nein! Hedda Hildegard Luise – Morener, das klingt nicht! das ist unmöglich!«
»Das wäre doch bei meinem Neffen genau dasselbe gewesen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Er hat mich doch mit Ihrem Wissen gestern gebeten, in die Verbindung mit Ihnen einzuwilligen.«
»Selbstverständlich.«
»Und wenn ich ja gesagt hätte?«
»Wenn ich nicht genau gewußt hätte, daß Sie nein sagen, hätte ich ihn nicht zu Ihnen geschickt.«
»Das beruhigt mich. Aber warum haben Sie es dann getan?«
»Erraten Sie es wirklich nicht?«
»Nein! – Bitte sagen Sie's mir!«
»Dazu muß ich erst wissen, ob wir denn nun wirklich verlobt sind.«
»Ich für meine Person bin es! Aber da zu einer Verlobung unbedingt zwei gehören . . .«
Sie streckte ihm die Hand hin und sagte:
»Abgemacht!«
Jetzt war der Augenblick da, wo er sie – im Leben wie im Roman – an sich drücken und ihr einen Kuß – zum mindesten auf die Stirn drücken mußte. Beide hatten diesen Gedanken. Und während ihr das Wort: »später« auf den Lippen lag, lenkte er ab, indem er das Gespräch von zuvor wieder aufnahm, und fragte:
»Und jetzt darf ich auch wissen, weshalb . . .« Er bekam das »Du« nicht über die Lippen.
»Ich Ihren Neffen zu Ihnen schickte?« fiel sie ihm ins Wort. »Um Sie aufzumuntern. – Ich wußte, er würde Ihnen nur Gutes von mir erzählen.«
In diesem Augenblick hatte Morener so etwas wie eine Gemütsbewegung. Aber es war wohl mehr Eigenliebe als ein gutes Gefühl, als er jetzt den Arm um Hedda legte und mit veränderter Stimme beinahe zärtlich fragte:
»Dann hast du es dir wohl gar gewünscht, meine Frau zu werden?«
Hedda lächelte verschmitzt, legte kokett den Kopf an seine Schulter, sah zu ihm auf und erwiderte zärtlich:
»Ich habe damit gerechnet.« –
Im selben Augenblick sagte Heinz Reichenbach laut:
»Schach dem König!« und setzte seinen Gegner matt.
»Das klingt ja wie bestellt!« meinte Heinrich Morener und sah verdutzt nach der Ecke, in der die beiden spielten.
»Schon wieder abergläubisch?« fragte Hedda und rief dann zu dem Tisch hinüber:
»Wir haben unsere Rollen vertauscht, Herr Reichenbach. Sie haben mit dem Verstand gesiegt – bei uns hat das Herz entschieden,« – sie wies dabei auf Heinrich Morener, dessen Hand sie nahm und sagte: »Wir haben uns soeben verlobt.«
Die beiden jungen Leute sprangen auf. Reichenbach, dem es unerwartet kam, blieb beherrscht. Er trat an Hedda heran, verbeugte sich und wünschte Glück. Er reichte erst ihr, dann Morener die Hand.
Und Karl, dem diese Augenblicke Zeit ließen, sich zu sammeln, sagte scherzend:
»Also auch die Partie verloren.«
»Ich freue mich, daß du es nicht tragisch nimmst,« erwiderte Morener – »und werde dir das nächste Spielgewinnen helfen, indem ich dein Gehalt verdoppele.«
Er läßt mich meine Abhängigkeit fühlen, dachte Karl und dankte lächelnd. Aber Hedda trat an ihn heran, legte die Hand auf seine Schulter und sagte:
»Sie sehen, Karl, daß ich Ihnen auch als Tante nützlich sein kann.«
Morener trug dem Diener auf, Champagner zu bringen – und als Heinz Reichenbach sagte:
»Ich störe vielleicht bei dieser Familienfeier« – und sich zurückziehen wollte, rief Morener ihm zu:
»Was soll das heißen? Sie gehören zur Familie! – genau wie mein Neffe!« – Er erhob sein Glas. – »Die Familien von Nedlitz, Reichenbach und Morener gehören zusammen! Jeder für sich hat zwar eine Bedeutung – aber erst zusammen sind sie eine Macht und ein Programm: Sie sollen leben!«
»Hoch! – noch einmal hoch! – und zum dritten Male hoch!!« riefen alle. –
Eine Viertelstunde später fuhren zwei Automobile von Schloß Reichenbach über Brandenburg nach Berlin.
In dem einen saß Baroneß Nedlitz mit Heinrich Morener. Sie nahm den Verlobungskuß, den ihr Morener mehr feierlich als zärtlich nun doch auf die Lippen drückte, wie etwas Notwendiges entgegen, lehnte den Kopf an seine Schulter, sagte:
»Ich bin sehr müde – darf ich?« und schloß die Augen.
Dreißig Meter zurück am Steuer des offenen Sportwagens saß, wie auf der Hinfahrt, Karl Morener. Aber auf dem Sitz daneben, von dem noch ein Duft von Puder und Parfüm aufstieg, saß jetzt Heinz Reichenbach. Er wies auf das geschlossene Auto, das vor ihnen fuhr und fragte:
»Glaubst du, daß die beiden glücklich werden?«
»Darauf kann ich dir vielleicht in zwei Jahren einmal Antwort geben,« erwiderte Karl.
Wochen vergingen, ohne daß sich Heinrich Moreners Zustand veränderte. Man ließ Frau Hedda nicht zu ihm – weniger des Kranken wegen, auf dessen Befinden es ohne jeden Einfluß gewesen wäre, als auf Rücksicht auf sie, deren Niederkunft bevorstand.
Körperlich hatte sich sein Zustand wohl gebessert. Er schlief wieder vier bis fünf Stunden des Nachts, obschon man nur noch mit harmlosen Mitteln nachhalf. Trotz dieser körperlichen Besserung stellte sich aber plötzlich eine Sinnesverwirrung ein, für die die Ärzte zunächst keine Erklärung hatten. Heinrich Morener redete sich eines Tages ein, nicht mehr er, sondern der verstorbene Leonard Reichenbach zu sein. Ja, das Sonderbarste war, er änderte Haltung und Bewegung, und als man ihm, in der Absicht, ihn von seiner Wahnidee zu überzeugen, Briefe und andere Schriftstücke vorlegte, die von seiner Hand stammten, brauste er auf und rief:
»Betrüger! Das habe ich nicht geschrieben! Das stammt von dem Halsabschneider Heinrich Morener, der mich hier gefangenhält.«
Diese krankhafte Vorstellung vertiefte sich von Woche zu Woche mehr. Er schrieb Briefe als Leonard Reichenbach an seine Frau und beschwor sie, sich nicht von diesem Morener einfangen und gegen ihn aufhetzen zu lassen. Er bat sie, alle notwendigen Schritte zu seiner Befreiung zu tun. Die sämtlichen Ärzte seien von Morener bestochen. – Er schrieb an den Staatsanwalt und forderte Moreners Verhaftung wegen Freiheitsberaubung und Urkundenfälschung. – Er schrieb von glühender Liebe erfüllte Briefe an seine »Tochter« Hanni und warnte sie vor Karl Morener, der es darauf abgesehen habe, sie zu heiraten. Er beschwor sie, den Namen Reichenbach hochzuhalten und lieber in beengten Verhältnissen zu leben als eine solche Mesalliance zu schließen. – Er verfaßte schließlich geschäftliche Berichte, die durchaus klar und vernünftig waren und addressierte sie »an meinen Neffen Heinz Reichenbach«. Sie verfolgten immer das gleiche Ziel, indem sie Mittel und Wege nannten, durch die man Heinrich Morener das Bankhaus Reichenbach wieder entreißen könne. Hätten sich die Ärzte die Mühe gemacht, und diese Berichte Bankleuten zur Begutachtung vorgelegt, ohne die Quelle zu nennen, so hätten sie erfahren, daß die Gedankengänge nicht nur klar und vernünftig, sondern genial und vielleicht auch durchführbar waren. Und hätte ein Zufall diese Berichte in die Hände Heinz Reichenbachs geführt – wer weiß, ob der kranke Heinrich Morener nicht die Erfolge des gesunden zerstört und Reichenbachs tatsächlich das Bankhaus wieder in die Hände gespielt hätte. Jedenfalls handelte es sich hier um ein psychopathisches Phänomen, das der Wissenschaft interessante Einblicke in ein krankhaftes Geistesleben und Schriftstellern reichen Stoff für einen spannenden Roman gegeben hätte. – Die Ärzte hingegen begnügten sich mit der Diagnose: der Patient hatte Jahre hindurch den Wunsch, in allem seinem Vorgänger Leonard Reichenbach ähnlich zu werden. Dieser Gedanke hat so intensiv von ihm Besitz ergriffen, daß er sich immer tiefer in die fremde Persönlichkeit versenkte und bei jeder Frage, vor die er sich gestellt sah, nicht mehr als Morener, sondern als Reichenbach dachte und entschied. Sein starker Wille hatte dann dazu geführt, daß er schließlich primär nicht mehr als er selbst, sondern als Reichenbach dachte – etwa wie man durch ständiges Sprechen einer fremden Sprache die eigene vernachlässigt und schließlich, wenn man gezwungen ist, sie gelegentlich doch zu sprechen, aus der fremden übersetzt. So hat der Patient allmählich aufgehört, als Morener zu denken und nur noch als Reichenbach gedacht – bis sich durch dies Verdrängen der eigenen Person schließlich die krankhafte Vorstellung in ihm festsetzte, der zu sein, der zu sein er sich wünschte. –
Seit seiner Erkrankung sah man Frau Hedda nirgends. Nicht einmal auf Schloß Reichenbach gönnte sie sich irgendwelche Zerstreuung. Sie ging weder zu Leuten, noch sah sie Gäste bei sich. Sie kümmerte sich tagsüber um die Bewirtschaftung des Gutes, und es kam ihr zustatten, daß sie sich von Kindheit an auf den Gütern ihres Vaters auf allen Gebieten der Landwirtschaft betätigt hatte. Die Art, in der sie mit dem Personal verkehrte, verschaffte ihr überall Sympathien und Respekt. Keiner der Angestellten kam auch nur einen Augenblick lang auf den Gedanken, daß Karl Morener, der regelmäßig des Abends zum Essen erschien, aus einem andern Grunde kam, als dem, die Frau »Baronin« – so hieß sie allgemein auf dem Gute – über die Geschäfte in dem Bankhaus auf dem Laufenden zu halten. Was war auch natürlicher, als daß er, der Neffe des Herrn, diese Pflicht auf sich nahm, mit deren Erfüllung er der Frau Baronin zugleich über die Einsamkeit hinweghalf.
Auffälliger war die veränderte Lebensführung Karl Moreners. Zwar sah man ihn hin und wieder noch zu Pferde. Aber nicht, wie Jahre hindurch, genau wie eine Uhr allmorgendlich von acht bis zehn, sondern unregelmäßig zu den verschiedensten Zeiten und stets allein. Dem Tennis-, Golf- und Poloplatz blieb er ganz fern. Und hier war es, wo man sein Ausbleiben besonders spürte und daher besprach. So glaubwürdig seine Erklärung war, daß er durch die Krankheit seines Onkels geschäftlich in Anspruch genommen sei – den Damen und Herren der Gesellschaft, die gewöhnt waren, den Sommer auf dem grünen Rasen zu verbringen und andere für sich arbeiten zu lassen, schien dieser Grund nicht überzeugend – und sie fanden es zum mindesten auffällig, daß er sich selbst an Sonntagen und auf den Turnieren nicht zeigte. So bildete es bald den Gesprächsstoff, daß dahinter eine Frau stecken müsse. Von dieser Vermutung bis zu der Entdeckung, daß diese Frau niemand anders als die Baroneß Nedlitz sei – Hedda behielt auch im sportlichen Leben ihren Mädchennamen bei – war nur ein Schritt. Denn man hatte die beiden Jahre hindurch auf allen Sportplätzen zusammen gesehen. Ja, man fand es in diesen Kreisen, denen die Kunst, korrekt zu erscheinen, als höchste gesellschaftliche Tugend galt, von Karl Morener taktlos, die Baroneß Nedlitz derart zu kompromittieren. Sie fanden, daß er die Pflicht hätte, nun wenn möglich noch regelmäßiger seinen sportlichen Neigungen nachzugehen.
Der einzige, der ihn mit Leidenschaft und Überzeugung verteidigte, war Heinz Reichenbach. Er ging dabei weit über das Maß hinaus, das man von einem, der nicht persönlich von der Nachrede betroffen wurde, erwarten konnte. Es war daher nicht weiter erstaunlich, als eines Tages eine Dame nach einer seiner üblichen Verteidigungsreden meinte:
»Ich verstehe gar nicht, Herr Reichenbach, weshalb Sie sich immer so erregen. Schließlich sagen wir Ihrem Freunde ja nicht nach, daß er silberne Löffel gestohlen hat. Eine Liaison mit einer so schönen Frau wie der Nedlitz ist für einen Mann wie Morener doch nur eine Empfehlung.«
»Aber nicht für die Baroneß!« erwiderte Reichenbach.
»Schätzen Sie Ihren Freund so niedrig ein?«
»Ich schätze die Frau so hoch ein – ja, ich lege meine Hände für diese Frau ins Feuer.«
»Kennen Sie sie denn so genau?«
Diese Frage verursachte allgemeines Lächeln.
»Genau genug,« erwiderte Reichenbach, »um zu wissen, daß sie eine Dame ist.«
»Und wenn zwischen ihr und Karl Morener eine Liebelei bestände – wäre sie in Ihren Augen keine Dame mehr?«
»Dazu müßte sie erst ein anderer Mensch werden.«
»Bei uns« – sie wies auf sich und ein paar Freundinnen, die um sie herum standen – »wäre Ihrer Ansicht nach eine solche Wandlung nicht nötig?«
»Der eine nimmt es eben leichter als der andere.«
»Sagen wir lieber, der eine Mann ist geschickter als der andere.«
Da die Freundinnen zustimmten und lachten, so sagte Reichenbach:
»Halten Sie mich etwa für besonders ungeschickt?«
»Hallo!« riefen die Damen. »Jetzt haben Sie sich gefangen!«
»Ich wüßte nicht.«
»Damit, daß Sie sich bei der Baroneß vergeblich bemüht haben, ist noch lange nicht gesagt, daß auch Karl Morener keinen Erfolg hatte.«
»Ich bitte doch!« wehrte Reichenbach ab.
»Sie schwärmt nun mal für Menschen, die ein paar Klassen unter ihr stehen. Zwischen Ihnen und ihr ist ihr der Kontrast nicht groß genug.«
»Ich verbitte mir – vor allem, was meine Person betrifft – aber auch im Zusammenhang mit Karl Morener – jede Verdächtigung dieser Frau!«
»Was ist das für ein Ton, Herr Reichenbach? – Sie sprechen mit Damen! – Sonderbar, daß man Ihnen das sagen muß.«
Reichenbach ließ sich von einem Balljungen seine Sachen bringen. Er verbeugte sich und ging.
Die Damen standen sprachlos und sahen ihm nach. Nach einer Weile sagte eine junge Frau:
»Wenn sich ein Reichenbach so benimmt, was soll man da von den anderen Männern erwarten.«
»Wie erklärt ihr euch das?« fragte eine andere. Und eine dritte erwiderte:
»Wir haben seine Eitelkeit gekränkt – das ist alles!«
»Für einen Mann allerdings genug, um ihn seine Kinderstube vergessen zu lassen.«
»Er liebt die Baroneß und hat sich einen Korb geholt.«
»Weiß seine Cousine das?«
»Schon möglich, daß sich Hanni deshalb nicht mehr hier sehen läßt.«
»Das hat doch andere Gründe. Mein Papa hat erzählt, daß Frau Reichenbach einen Prozeß noch von ihrem Manne her weitergeführt und dadurch auch den Rest ihres Vermögens verloren hat.«
»Die arme Hanni! sie tut mir leid.«
»Eine Pute ist sie! Dreimal schon konnte sie einen reichen Mann haben.«
»Mit Ehe?«
»Das ist doch gleich.«
»Erlaub mal!«
»Für ein Mädchen wie sie, das nichts hat.«
»Wenn eine Frau es geschickt anstellt, bekommt sie den Mann auch nachher dazu, sie zu heiraten.«
»Aber nicht Hanni!«
»Sie hat den Namen.«
»Dafür zahlt man heute nichts mehr – nicht mal dafür, um einen schlechten Namen loszuwerden.«
»Heinrich Morener hat es sich doch etwas kosten lassen.«
»Für einen Reichenbach hält ihn darum doch niemand.«
»Ich habe gehört, der alte Morener wollte seinen Neffen mit Hanni verheiraten.«
»Das wäre doch eine Glanzpartie für sie gewesen!«
»Sie soll ihn abgelehnt haben.«
»Und das hast du ihr geglaubt?«
»Sie hat es mir nicht erzählt.«
In diesem Augenblick erschien – seit Wochen zum ersten Male – Hanni Reichenbach auf dem Sportplatz.
»Hallo! Endlich!!« riefen alle und taten erfreut. Hanni, die schmal und blaß, in ihrem einfachen Tennisdreß aber unendlich fein aussah, schüttelte ein Dutzend Hände und sagte:
»Es wird wohl das letztemal heut sein.«
»Ja warum?« fragten sie teilnahmsvoll.
»Es ist – ihr wißt ja . . .«
»Hanni! Du hast dich verlobt?«
»Aber nein!«
»Wir wissen es ja!«
»Wer sollte mich armes Mädchen . . .?«
»Einer, der viel Geld hat.«
»So einer tut es schon gar nicht. Und wenn er es täte, dann müßte er mich schon sehr lieb haben – und ich ihn natürlich auch.«
»Du verlangst viel! Geld und Liebe!«
»Also wen meint ihr denn?«
»Karl Morener.«
»Wie kommt ihr darauf?«
»Man erzählt es sich. Er soll sich um dich bemühen.«
»Ihr wollt mich aushorchen.«
»Wir wissen auch, daß du ihm einen Korb gegeben hast.«
»Dann wißt ihr mehr als ich.«
»Wir wissen sogar, weshalb du ihm einen Korb gegeben hast.«
»Da bin ich doch neugierig.«
»Weil du einen andern liebst.«
»Ihr seid gründlich, das muß ich sagen.«
»Gibst du es zu?«
»Nichts gebe ich zu. Und was Karl Morener betrifft, so schwöre ich« – sie hob das Rackett hoch, um ihrem Schwur Nachdruck zu verleihen –, »daß er sich mir nie in irgendeiner Form genähert hat.«
»Also stimmt es mit ihm und der Baronin.«
»Was ist denn das nun wieder?«
»Ein Geheimnis!«
»Mir scheint doch, daß ihr es alle wißt!«
»Bei deinen Beziehungen zur Familie Morener wollen wir uns lieber nicht den Mund verbrennen.«
»Wollen wir nicht lieber Tennis spielen?«
»Dazu haben wir noch immer Zeit.«
Hanni sah sich zu den Spielplätzen hin um und fragte:
»Ist Heinz Reichenbach noch nicht hier?«
Die Damen sahen sich verständnisvoll an – und ein junges Mädchen sagte:
»Er war hier.«
»Er ist schon fort?« fragte Hanni erregt. »Aber er kommt doch wieder?«
»Kaum.«
»Mit wem hat er gespielt?«
»Mit niemandem. Er hatte wohl die Absicht, aber es kam nicht dazu.«
»Ist er geschäftlich abberufen worden?«
»So kann man es nennen. Denn in diesem Falle ist die Liebe wohl ein Geschäft.«
»Wessen Geschäft?« Sie verbesserte schnell und sagte: »Wessen Liebe?«
»Ja, das ist noch nicht genau heraus. Allem Anschein nach aber hat Karl Morener das Rennen gemacht – während sich Heinz Reichenbach unter›ferner liefen‹ befindet.«
»Ich verstehe nichts.«
»Bist du aber naiv, Hanni!«
»Handelt es sich um eine Frau? – Gar um die Baroneß Nedlitz?«
»Siehst du! Du weißt es ja! – Wozu also erst die Verstellung?«
»Was hat das mit meinem Vetter zu tun?«
»Du hättest hören sollen, wie er sie verteidigt hat – sie und seinen Freund Karl. – Ein schöner Zug von ihm, wo er doch selbst bis über die Ohren in die Baroneß verliebt ist.«
»In die Baroneß – verliebt ist?« wiederholte Hanni und verbarg ihre Erregung. »Woher wißt ihr das?«
»Die Baroneß versteht es jedenfalls besser als du.«
»Laßt die Frau in Ruh! Sie ist zu bedauern.«
»Weil ihr Mann seit ein paar Monaten in einem Sanatorium liegt? Ich glaube nicht, daß sie sich selbst bedauert.«
»Sie hat heute nacht einen Knaben zur Welt gebracht – und liegt in hohem Fieber.«
Da schwiegen sie, gingen auf ihre Plätze zurück und setzten das Spiel fort. – Hanni Reichenbach aber verschwand im Klubhaus. Sie überzeugte sich, daß ihr Vetter nicht mehr da war, verließ den Sportplatz und fuhr mit der nächsten Straßenbahn nach Hause.
Frau Hedda hatte gleich nach ihrer Ankunft in Berlin den Wärter des Südender Sanatoriums, der von dem kranken Morener bestochen worden war, bestimmt, ein Geständnis abzulegen. Dann war sie mit der Schwester Angelica zum Staatsanwalt geeilt. – Sie wurde sofort vorgelassen und erstattete Bericht.
»Dazu paßt durchaus, was Schnitter erklärt,« erwiderte der Staatsanwalt, als sie geendet hatte. »Er behauptet nämlich, daß der alte Morener in der Nacht vom 8. zum 9. März bei ihm Einlaß begehrt, verstört und in völlig derangiertem Zustande ihm die Pakete mit den Devisen aufgedrängt und erklärt habe:
»Nimm sie! behalte sie! ich schwöre, sie gehören mir! Aber versprich mir, daß du nie verrätst, von wem du sie bekommen hast.«
Dann sei er mit dem Ausruf: »Ich bin gerächt!« davongestürmt, ohne daß Schnitter auch nur Zeit gefunden habe, eine Frage an ihn zu richten.
»Und damit«, fragte Frau Hedda, »ist der Fall nun wohl geklärt?«
»Dank Ihnen,« erwiderte der Staatsanwalt. »Sie wären ein Staatsanwalt geworden, von dem wir alle hätten lernen können.«
»Da ist gar nichts zu lernen,« sagte sie, »so einfach ist es. Man braucht nur dem Gefühl denselben Platz einzuräumen wie dem Verstand. Um ein Boot zu bauen, ein Haus oder eine Maschine, also eine tote Sache, braucht man nur den Kopf. Wenn es sich aber darum handelt, Dinge zu ergründen, die ein Mensch tat, soll man neben dem Kopf auch das Herz befragen.«
»Sie haben recht,« erwiderte der Staatsanwalt und reichte Frau Hedda die Hand. – Dann geleitete er sie persönlich zum Untersuchungsrichter und bewirkte, daß man alle, die in dieser Affäre verwickelt waren, noch am selben Tage auf freien Fuß setzte. – –
An einem klaren Sommertage, als die Sonne leuchtend über dem Rigi stand, trug man auf dem Friedhof von Luzern, den kein Friedhof Europas an lieblicher Schönheit erreicht, Heinrich Morener zur letzten Ruhe. Außer Frau Hedda und der Schwester Angelica erwiesen Frau Reichenbach, Hanni und Heinz, sowie Karl Morener ihm die letzte Ehre.
Der Pfarrer schloß mit den Worten:
»Die Wahrheit ist in Gott – uns bleibt das Forschen.« –
Am Abend desselben Tages saßen sie alle auf der Veranda ihres Luzerner Hotels und aßen zu Abend. Frau Kommerzienrat Reichenbach klopfte leise an das Glas und sagte mit ernster Stimme:
»Meine Lieben! Gott hat uns allen schwere Prüfungen auferlegt. Die Sehnsucht, mit der Heinrich Morener starb, hat sich mit seinem Tode erfüllt.« – Sie nahm Frau Heddas Hand und legte sie in die ihres Neffen. Dann fügte sie Karl Moreners und ihrer Tochter Hannis Hände zusammen und fuhr fort: »Gott gebe, daß diese Stunde, in der das Bankhaus Reichenbach in Karl Morener und Heinz Reichenbach seine natürlichen Leiter erhält, sich als eine für alle Beteiligten glückliche erweist.«
Leise klangen die Gläser aneinander. – Unten bei Flüelen tauchte blutrot die Sonne in den See.
Das Bankhaus der Gebrüder Reichenbach & Co. am Berliner Gendarmenmarkt war eins der angesehensten Privatinstitute der Reichshauptstadt. Im Jahre 1778 von Ferdinand Reichenbach gegründet, den König Friedrich II. mit dem Titel Hofbankier auszeichnete, sah es bald der Feier seines hundertfünzigjährigen Bestehens entgegen. Auch gesellschaftlich spielte die Familie Reichenbach bis zum Weltkriege eine Rolle. Nicht durch geräuschvolle Feste und Hervortreten bei öffentlichen Veranstaltungen. Man sah sie weder bei den Premieren im Opernhaus, noch auf den Subskriptions- und Pressebällen, weder zu den Paraden auf dem Tempelhofer Feld, noch bei den Rennen in Hoppegarten und Karlshorst. Aber es galt für einen Vorzug, bei Reichenbachs zu verkehren, selbst für die Offiziere der Gardekavallerie, die sich bekanntlich nicht gerade in die bürgerlichen Salons drängten. Die Botschafter und Gesandten der fremden Staaten gaben bei ihnen die Karten ab, und zwar zuerst, was den Neid gesellschaftlich ehrgeiziger Familien, die sich mehr dünkten, erregte. Zu alledem taten Reichenbachs nichts. Darin gerade lag ihre Stärke. Sie suchten nicht, sie ließen sich suchen. Das taten viele. Aber von den vielen unterschieden sie sich dadurch: sie taten nichts dazu, daß man sie fand.
Die Umstellung nach dem Kriege und der Revolution bot Menschen ohne Tradition, selbst wenn sie Gewissen hatten, keine Schwierigkeit. Am allerwenigsten den Angehörigen des Bankgewerbes. Gerade ihnen hatte man Generationen hindurch den Staat als das Muster eines redlichen Kaufmanns vor Augen gehalten. Warum sollten sie sich da nicht auch jetzt auf ihn als Vorbild berufen, wenn sie Dinge taten, die, über das ungeschriebene Gesetz der guten Sitten hinaus, gegen Treu und Glauben verstießen. Wer sich wie Leonard Reichenbach aber die Frage vorlegte: wie hätte dein Vater, Groß- und Urgroßvater in einem solchen Falle gehandelt, der rettete zwar seinen guten Ruf, der um das Jahr 1928 herum nicht hoch im Preise stand, verlor aber sein Vermögen.
Als Leonard Reichenbach damals, um durch den Krieg unterbrochene Geschäftsverbindungen wieder anzuknüpfen, mit den Direktoren anderer Banken nach Neuyork fuhr, erwiesen sich Tradition und Charakter für ihn als schwere Belastung. Denn während jene Direktoren, die im Interesse der von ihnen geleiteten Banken reisten, in erster Linie an die Rettung ihres eigenen Vermögens dachten, sah Reichenbach seine Hauptaufgabe darin, die ihm anvertrauten Kapitalien seiner Kunden zu retten.
So kam es, daß Reichenbach nach seiner Rückkehr sich stolz sagen konnte, alle, die sich ihm anvertraut hatten, wenn auch nicht vor Verlusten, so doch vor dem Zusammenbruch bewahrt zu haben. Er selbst aber hatte den größten Teil seines Vermögens verloren. Und als der Staat bald darauf seine Bürger durch die völlige Entwertung einer neuen Anleihe erneut um die ihm anvertrauten Sparanlagen betrog, räumte Reichenbach allen Kunden, denen er im Vertrauen auf den Staat zur Zeichnung geraten hatte und die nun in Bedrängnis waren, Kredite ein.
Das führte zu Verbindlichkeiten, denen das bereits geschwächte Bankhaus nicht gewachsen war. Eines Tages sah sich Reichenbach vor die Notwendigkeit gestellt, seine Firma und sein bei Brandenburg gelegenes Gut mit Schloß Reichenbach dem bekannten Grundstücksspekulanten Heinrich Morener gegen Übernahme sämtlicher Verbindlichkeiten auszuliefern. Und er mußte mit dieser Lösung, die ihm mit Frau und Tochter gerade noch die Möglichkeit einer bescheidenen Existenz ließ, noch zufrieden sein. Denn die Übernahme erfolgte nicht etwa auf Grund einer Bilanz, die unzweideutig den Zusammenbruch und die Passiva in Höhe von vielen Millionen Mark ergab, sondern sie war dem Zufall zu danken, daß der Großspekulant Heinrich Morener von dem Ehrgeiz besessen war, ein von der guten Gesellschaft anerkannter, sogenannter feiner Mann zu werden. Und man mußte schon eine Urkunde gefälscht oder silberne Löffel gestohlen haben, um als Chef des Hauses Gebrüder Reichenbach & Co. nicht als feiner Mann zu gelten.
Morener hatte denn auch aus seinen Motiven kein Geheimnis gemacht und gesagt:
»Wenn ich kein Geschäft mehr anrühre und als Wohltäter der Menschheit mein Vermögen opfere, so bleibe ich in den Augen der Welt doch immer der Grundstücksspekulant Heinrich Morener. Als Inhaber des Bankhauses Gebrüder Reichenbach auf Schloß Reichenbach aber wird aus Heinrich Morener ein anderer Mensch. Und das lasse ich mich etwas kosten.«
Leonard Reichenbach empfand bei diesen Verhandlungen so starkes seelisches und körperliches Unbehagen, daß er oft nachgab, nur um zu einem Ende zu kommen. Im übrigen befand er sich in einer Lage, in der Morener diktieren konnte. Auch jetzt, als er die Herausgabe der in seinem Privatbureau und im Konferenzsaal hängenden Familienbilder als etwas Selbstverständliches forderte, erwiderte Morener:
»Sie gehören zur Firma, um die Kontinuität zu wahren. Ihr Aus- und mein Eintritt muß als ununterbrochene Fortdauer eines Ganzen erfolgen. Wenn der Zusammenhang unterbrochen wird, so entsteht etwas Neues, und ich kann statt Reichenbach ebensogut Morener firmieren. Mir aber liegt gerade daran, das Alte fortzusetzen.«
Reichenbach verstand das nur zu gut. Die Einwände Moreners waren ja gerade die Gründe, aus denen er alles, was an seine Vorfahren erinnerte, aus dem Kauf hatte ausschließen wollen.
Als Morener sah – staunend sah, wie schwer es Reichenbach wurde, sich von diesen Bildern zu trennen, die ihm seiner Ansicht nach doch nichts mehr nützen konnten, schlug er ihm vor, in der Firma zu bleiben – als Chef, wenn er wolle – neben ihm.
»Reichtum und Wohlbefinden sind relative Begriffe,« erwiderte Leonard Reichenbach. »War es bis heute für mich ein Erlebnis, wenn eine meiner hochgezogenen Stuten fohlte, so wird es mir von morgen ab genau dieselbe Freude bereiten, wenn meine Jagdhündin Junge wirft.«
»Und schließlich werden Sie sich damit begnügen, daß eines Ihrer Hühner Eier legt. – Mein lieber Kommerzienrat, Sie verzeihen – aber bei der Weltanschauung wundert es mich nicht, daß Sie dahin gekommen sind, wo Sie heute stehen.«
»Und wenn ich Ihnen erkläre, Herr Morener, daß ich auch da, wo ich heute stehe, noch nicht mit Ihnen tausche.«
»Was heißt das? Sie haben mit mir getauscht – und zwar so gründlich, daß ich auch als Mensch an Ihre Stelle treten werde.«
»Das möchte ich nicht erleben.«
»Es ist der einzige Grund, aus dem ich derartige Opfer bringe. Für nichts anderes zahle ich meine Millionen als für den hundertfünfzigjährigen Glanz Ihres Namens, von dem ich in diesem Augenblick, in dem ich meinen Namen unter diese Urkunde setze, Besitz ergreife – um ihn nie wieder freizugeben.«
»Sie begnügen sich nicht mit dem Bankhaus, der Firma, dem Schloß, dem Gut, dem Gestüt – Sie wollen mich mit Haut und Haaren fressen.«
Und wenn man den hochgewachsenen, breitschultrigen, schweren Heinrich Morener jetzt vor dem schmächtigen, zarten Leonard Reichenbach, der ihm kaum bis zur Schulter reichte, stehen sah, konnte man es beinahe für möglich halten.
»Mein Ziel ist es,« erwiderte Morener, »daß, wenn in ein, zwei Jahren irgendwo der Name Morener fällt – Jeder fragt: »Sie meinen Morener–Reichenbach?« – Das mag eine fixe Idee von mir sein – möglich! Aber ich habe sie und führe sie – wie alles, was ich anpacke – durch.«
»Wenn mit mir auch der Geist Reichenbach verschwände – dann vielleicht. Aber Sie irren, wenn Sie glauben, daß Sie an die Stelle eines Toten treten. Sie werden auf einen unsichtbaren Widerstand stoßen – überall, wo Sie versuchen werden, sich über diesen Geist hinwegzusetzen.«
»Das klingt vorzüglich, Herr Kommerzienrat. Aber über alle diese Dinge ist die Zeit hinweggeschritten – erbarmungslos hinweggeschritten.«
»Diese Dinge leben, sage ich Ihnen – und sie kehren wieder.«
»Dann wird man sich ihnen anpassen.«
»Man kann sich nur Dingen anpassen, die man erlernen kann.«
»Wie meinen Sie das?«
»Daß Tradition unerlernbar ist.«
»Sie sehen überall Reibungsflächen und konstruieren Gegensätze, die gar nicht vorhanden sind.«
»Gibt es größere Gegensätze als unsere Weltanschauungen?«
»Weltanschauungen? – Ich habe keine Zeit, mir eine zu bilden. Ich denke und handle. Meine Weltanschauung ist der Erfolg – und danach allein werden Sie heute beurteilt.«
»Haben Sie Ihren Neffen Karl Morener, der doch voraussichtlich mal an Ihre Stelle treten wird, auch in diesem Geiste erzogen?«
»Allerdings! Und ich gebe Ihnen den Rat, auch auf Ihren Neffen Heinz, den ich nach unserem Vertrage ja mit übernehmen soll, in diesem Sinne zu wirken.«
»Das geht über meine Verpflichtung hinaus.«
»Es wird sein Fortkommen erleichtern.«
»Ich lehne es trotzdem ab. Sie, Herr Morener, werden sich nicht ändern! Aber ich hoffe, daß in dem unabwendbaren Kampf zwischen unseren Neffen die Reichenbachsche Weltanschauung siegen wird.«
»Ich sehe nur voraus, daß Sie eine neue Enttäuschung erleben werden.«
»Warten wir ab,« erwiderte Reichenbach, nahm die Feder und unterschrieb. Nach ihm Morener. Und als sie sich nach vollzogener Unterschrift die Hände reichten, fühlten sie, daß dieser Vertrag trotz langwieriger Verhandlungen, die vorausgegangen waren, kein Abschluß, sondern ein Anfang war.
Das Geschäft freilich, ganz geführt in Moreners Geiste, der ja der Geist der Zeit war, entwickelte sich derart, daß Gebrüder Reichenbach & Co. schon nach zwei Jahren wieder die erste Privatbank Berlins war. In diesem Jahre starb Leonard Reichenbach. Nach Jahren zum ersten Male erinnerte man sich wieder der Verdienste dieses seltenen Mannes, um den sich nach seinem Zusammenbruch kein Mensch mehr gekümmert hatte. Sein Begräbnis war ein weithin sichtbares Zeichen seiner einstigen geschäftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung.
Viele der früheren Freunde drückten wohl etwas beschämt die Hände der Frau Kommerzienrat Reichenbach und ihrer eben erwachsenen Tochter. Und wenn mancher dabei versprach – und es in dieser Stunde wohl auch so meinte – daß er sich nun der Witwe und der Tochter annehmen werde, so wußten Mutter und Kind doch, daß dieser Händedruck der letzte war.
Heinrich Morener aber, der neben der Witwe stand, war so stark von dieser letzten Kundgebung zu Ehren Reichenbachs beeindruckt, daß er sich in seinem gesellschaftlichen Ehrgeiz bei jedem, der Frau Reichenbach die Hand reichte, fragte: »Wird der wohl auch an meinem Begräbnis teilnehmen?« – Wohl nicht ganz frei von diesem Gedanken, bot er der Witwe am nächsten Tage außer seinem Trost eine in dem Vertrage nicht vorgesehene Rente aus dem Reingewinn der Bank. Frau Reichenbach lehnte in höflichster Form eine Unterstützung ab, die nicht im Sinne ihres in Gott ruhenden Mannes sei. Sie gab aber ihrer großen Freude über das Anerbieten Ausdruck, weil sie daraus ersehe, daß der Geist Reichenbach auch unter Heinrich Moreners Leitung fortlebe. Weniger die Ablehnung als die Begründung stimmte Morener nachdenklich –.