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E. Noni Höfner • Charlotte Cordes

Einführung
in den Provokativen Ansatz

2018

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Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

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Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlag: Heiner Eiermann

Illustrationen: E. Noni Höfner

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in the Czech Republic

Druck und Bindung: FINIDR, s.r.o.

Erste Auflage, 2018

ISBN 978-3-8497-0246-5 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8148-4 (ePUB)

ISBN 978-3-8497-8149-1 (PDF)

© 2018 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

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Zu diesem Buch finden Sie auf der Internetseite www.carl-auer.de/machbar/einfuehrung_in_den_provokativen_ansatz/ ergänzendes Material

Inhalt

Vorwort

1Frank Farrelly

1.1Die Erfindung der Provokativen Therapie

1.2Farrellys Werdegang

2Grundlagen und Voraussetzungen des Provokativen Ansatzes

2.1Was ist Provokation in unserem Sinne?

2.2Der Provokative Ansatz in Kurzform

2.3Das L – die Grundhaltung des Beraters

2.4Das K – der Humor

2.5Das W – das Weltbild und die Wachstumsbremsen

2.6Verbale und nonverbale Kommunikation

2.7Der Widerstand des Klienten

3Einordnung der Provokativen Therapie

3.1Die Provokative Therapie – eine kognitive Verhaltenstherapie?

3.2Der emotionale Ansatz

3.3Der systemische Aspekt

3.4Der Provokative Ansatz und die Hypnotherapie

3.5Die wissenschaftliche Überprüfung der Provokativen Therapie

4Die Vorgehensweise im Provokativen Ansatz

4.1Der Provokative Ansatz als Technik?

4.2Der Ablauf einer Beratungsstunde

4.3Ziel- und Lösungsorientierung

4.4Körperliche Berührungen

4.5Das Einüben von Verhaltensweisen

5Einige provokative Werkzeuge

5.1Differenzierungen provozieren

5.2Den Esel am Schwanz ziehen oder: Zeige Begeisterung für das Symptom!

5.3Die Sündenbocktechnik

5.4Vor- und Nachteile auf den Kopf stellen

5.5Das Offensichtliche ansprechen

5.6Bilder verwenden und ausschmücken

5.7Zukunftsszenarien

5.8Den Klienten imitieren

5.9Pingpong

6Der Bezug zum Improvisationstheater

7Wann darf man provokativ werden und wann nicht?

7.1Das Problem des Klienten ist Ihnen fremd

7.2Sie haben das gleiche Problem wie der Klient

7.3Sie scheuen vor bestimmten Themen zurück

7.4Der Klient geht Ihnen auf die Nerven

8Vier Fallbeispiele

8.1Fallbeispiel aus der Coachingspraxis (Charlotte Cordes)

8.2Fallbeispiel aus der Supervision (Noni Höfner)

8.3Fallbeispiel 1 aus der Therapie (Frank Farrelly)

8.4Fallbeispiel 2 aus der Therapie (Frank Farrelly)

Literatur

Über die Autorinnen

Vorwort

Dieses Buch bietet einen kurzen Abriss des Provokativen Ansatzes. Er ist aus der Provokativen Therapie entstanden, die Frank Farrelly in den 1960er Jahren entwickelt hat. Wir skizzieren, was hinter dem Provokativen Ansatz steckt, und illustrieren ihn an vier Fallbeispielen aus unserer Praxis und der von Frank Farrelly, damit Sie sich diese komplexe Vorgehensweise etwas besser vorstellen können. Wenn Sie sich ausführlicher damit beschäftigen möchten, können Sie Ihr Wissen mithilfe unserer anderen Publikationen vertiefen (Höfner 2016b; Cordes 2017). Da wir das Rad nicht neu erfinden können, lassen sich Überschneidungen zu diesen Büchern nicht vermeiden.

Wir haben in den letzten Jahrzehnten aus der Provokativen Therapie die Provokative SystemArbeit (ProSA)®, das Provokative Coaching (ProCo)® und den Provokativen Stil (ProSt)® entwickelt. Im Folgenden haben wir die provokativen Vorgehensweisen der Einfachheit halber unter dem Begriff »Provokativer Ansatz« zusammengefasst, der sich in fast alle Beratungs- und Therapieformen integrieren lässt.

Seit Jahrzehnten1 geben wir unser Wissen auf Kongressen und Vorträgen sowie in den Aus- und Weiterbildungen im Deutschen Institut für Provokative Therapie (DIP)2 weiter.

Wir sind Frank Farrelly sehr dankbar für die geistigen Türen, die er uns mit seiner Provokativen Therapie geöffnet hat. Er war für uns ein unschätzbarer Lehrer und guter Freund, der während seiner Reisen durch Europa immer wieder bei uns im Haus wohnte, das er »my home away from home« nannte, und wo er unter anderem unser deftiges selbstgebackenes Schrotbrot liebte, das sich vom weichen amerikanischen Weißbrot ähnlich unterscheidet wie der Provokative Ansatz von manch anderer Vorgehensweise.

E. Noni Höfner & Charlotte Cordes
München, im März 2018

1 Noni Höfner schon seit den 1980er Jahren, Charlotte Cordes seit Anfang 2000.

2 www.provokativ.com.

1Frank Farrelly

1.1Die Erfindung der Provokativen Therapie

Der US-Amerikaner Frank Farrelly (1931–2013) hat die Provokative Therapie Anfang der Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts in einer psychiatrischen Klinik entwickelt. Er selbst sagt, er habe sie in einer einzigen Sitzung mit einem Patienten aus der geschlossenen Abteilung seiner Klinik mehr oder weniger zufällig entdeckt. Farrelly war damals Mitarbeiter von Carl Rogers3 und plagte sich redlich, aber erfolglos, diesem Patienten gesprächstherapeutisch Mut zu machen. Bei diesem tat sich gar nichts, er beharrte darauf, nutzlos und unfähig zu sein. In der 91. Stunde verlor Farrelly die Geduld und gab dem Patienten Recht. Zu Farrellys Verblüffung wurde der bis dahin in sich gekehrte und zusammengesunkene Patient lebhaft und begann heftig zu widersprechen und aufzuzählen, was er alles könne.

Die Reaktion dieses Klienten stellte Farrellys bisherige Grundannahmen auf den Kopf, die besagten, dass man Patienten schonen und verbal bestärken und unterstützen müsse, um ihre Ressourcen zu wecken. Er erkannte, dass ungeahnte Kräfte im Patienten schlummern, die zum Vorschein kommen, wenn man Dinge tut, die in der Psychotherapie nach damaliger allgemeiner Übereinkunft nicht erlaubt waren.

Farrelly sah sofort, welche Möglichkeiten in dieser neuen Vorgehensweise steckten, und war leidenschaftlich bestrebt, sie in der klinischen Praxis unter Beweis zu stellen. Er bemühte sich darum, die Effizienz seiner neuen Therapieform, die damals noch keinen Namen hatte, möglichst an den hoffnungslosen Problemfällen zu erproben, und erlebte, wie diese abhängigen und hilflosen Patienten oft schon nach kurzer Zeit eine 180-Grad-Wendung vollzogen und ihr Leben wieder selbst in die Hand nahmen. Dennoch war es ein dorniger Weg, die Widerstände seiner Fachkollegen beiseitezuräumen, denn obwohl es ihm in den folgenden Jahren immer wieder gelang, Patienten aus den geschlossenen Abteilungen der psychiatrischen Klinik hinaus zu »provozieren«, war die Fachwelt keineswegs einhellig begeistert von seiner Vorgehensweise. Er musste sich anhören, dass seine Ergebnisse zwar bemerkenswert, die Methode aber unmöglich sei.

1.2Farrellys Werdegang

Frank Farrelly war das neunte von zwölf Kindern einer irisch-katholischen Familie. Irisch-katholisch bedeutet so viel wie katholisch im Quadrat, und deshalb war es selbstverständlich, dass er und alle seine Geschwister in eine Klosterschule gingen und von Nonnen unterrichtet wurden.4 Mehrere seiner Geschwister wurden Priester und Nonnen, und Frank wollte das zunächst auch werden, studierte Theologie und trat als Novize in ein Benediktinerkloster ein. Kurz vor den endgültigen Weihen wurde er wegen mangelnden Gehorsams an die Luft gesetzt, wofür wir diesem Kloster heute noch sehr dankbar sind.

Farrelly war von einem Tag auf den anderen seiner sicheren Zukunftsperspektive beraubt und ziemlich verzweifelt. Schließlich entschloss er sich, Sozialarbeit zu studieren5, um sich auf diese Weise um das Seelenheil anderer Menschen zu kümmern. Nach seinem Studium arbeitete er fast 20 Jahre lang am Mendota Mental Health Krankenhaus, hatte nebenher und auch nach seinem Verlassen der Klinik eine Privatpraxis und lehrte als Professor an der Universität in Madison/Wisconsin. In den Siebzigerjahren – so erzählte Farrelly uns – war er einer der »Modelle« für Grinder und Bandlers NLP6.

In den frühen Achtzigerjahren begann Farrelly, Workshops außerhalb der USA zu halten und kam auch erstmals nach Deutschland. Bis er sich aus Krankheitsgründen 2011 zurückzog, zeigte er weltweit Therapeuten, Beratern, Coachs, Mediatoren, Trainern und anderen professionellen Kommunikatoren7 der unterschiedlichsten Richtungen seine provokative Vorgehensweise. Und er war überzeugt: »Wenn es an die Emotionen geht, reagieren Menschen auf der ganzen Welt in gleicher Weise.«

1985, in einem seiner ersten Workshops in Deutschland, lernte eine von uns, Noni Höfner, Farrelly kennen und beobachtete fasziniert, wie er alle ihr bis dahin bekannten Regeln der Psychotherapie, die sie für unumstößlich gehalten hatte, fröhlich ignorierte und verletzte. Sie fühlte, dass sie auf etwas gestoßen war, wonach sie schon seit Beginn ihres Psychologiestudiums im Jahr 1965 gesucht hatte. Ihr akademischer Verstand konnte jedoch nicht mal ansatzweise einordnen, was Frank Farrelly da machte. Sie fühlte sich wie von einem Lastwagen überfahren, und das ist einer der Gründe, warum wir die provokative Vorgehensweise mit dem Kürzel LKW umschreiben.8

Am Ende des ersten Tages sagte Noni Höfner ziemlich fassungslos zu Farrelly: »Sie beleidigen die Klienten die ganze Zeit, sagen ihnen die unmöglichsten Sachen, und danach melden diese unisono zurück, dass sie sich noch nie vorher so verstanden und so wohl gefühlt hätten. Ich verstehe das nicht! There must be something more!« – »Yes, there is something more!«, sagte er nur, und forderte sie auf, am nächsten Tag eine Live-Arbeit mit ihm zu machen. In dieser Live-Arbeit begann sie, auf der emotionalen Ebene zu spüren, was ihr der Verstand vorher verwehrt hatte – nämlich, an welchen Stellen die provokativen Interventionen ansetzen und was sie mit einem anstellen.

3 Begründer der Gesprächstherapie (Client Centered Therapy).

4 Farrelly hat seine Kindheitserlebnisse in seinem Buch Me and God sehr anschaulich und humorvoll beschrieben (Farrelly 2014).

5 Social Work ist in den USA ein Studium in angewandter Psychologie und mit dem deutschen »Sozialarbeiter« nicht vergleichbar.

6 Neurolinguistisches Programmieren: Bandler u. Grinder (2013): Neue Wege der Kurzzeit-Therapie (»Frogs into Princes«).

7 Sinngemäß gilt alles Gesagte selbstverständlich auch für alle weiblichen Kommunikatorinnen, Therapeutinnen, Coachs und sonstige Anwenderinnen. Die Doppelnennung männlicher und weiblicher Formen ist umständlich und macht jeden Text holprig. Wir werden deshalb im Folgenden meistens nur die männliche Form verwenden. Wir wollen damit keineswegs das weibliche Geschlecht diskriminieren, dem wir sehr gerne angehören.

8 Siehe ausführlich im Kapitel »Der Provokative Ansatz in Kurzform«.

2Grundlagen und Voraussetzungen des Provokativen Ansatzes

2.1Was ist Provokation in unserem Sinne

Der Begriff Provokativer Ansatz hat für viele Menschen auf den ersten Blick einen negativen Beigeschmack. Fragen Sie einmal wahllos zehn Menschen, was sie unter »provokativ sein« verstehen. Mindestens acht von zehn werden negative Begriffe verwenden wie »jemand ans Schienbein treten«, »ihn ärgern«, »ihn in Rage bringen«, »ihm einmal richtig die Meinung sagen«, »ihn fertigmachen«, »ihm mal ordentlich was vor den Latz knallen« und dergleichen. All das klingt ätzend und ist nicht das, was wir unter provokativer Arbeit verstehen. Die verbleibenden zwei von zehn Menschen haben entweder schon einmal etwas von Frank Farrelly oder uns gehört und vielleicht ein Buch gelesen oder ein Seminar besucht. Sie verwenden dann meist die aus dem Lateinischen abgeleitete Bedeutung von provokativ: »provocare« bedeutet sinngemäß »etwas hervorlocken«, »etwas verdeutlichen«, »etwas sichtbar machen«.

Es gibt leider immer wieder selbst ernannte Provokateure, die lauthals verkünden, sie arbeiten mit Provokativer Therapie, auch wenn sie nur nebenbei flüchtig etwas darüber gehört haben. Meistens greifen sie dann nur den konfrontativen Aspekt heraus und hauen ihre Klienten aggressiv in die Pfanne. Wenn sie merken, dass das nicht funktioniert und die Klienten sauer werden und nicht mehr wiederkommen, verbreiten sie, dass diese Art zu arbeiten nichts tauge.

Auch wir treten den Klienten in den Hintern, aber nicht aggressiv oder abwertend, sondern äußerst liebevoll und humorvoll. Wir bringen sie mit unseren provokativen Interventionen in Bewegung. Ganz im Sinne von »provocare«.

Bildlich gesprochen stehen die meisten Klienten mit dem Gesicht zur Wand, starren in eine Ecke und versichern ebenso trotzig wie verzweifelt, dass es hier nicht weitergeht. Durch gezielte Provokationen werden sie von uns herausgefordert, ihre emotionalen Energien produktiver zu nutzen und ihr Leben wieder selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Der provokative Berater packt im übertragenen Sinne den Klienten an den Schultern und dreht ihn einfach um, sodass er in die andere Richtung schauen kann. Die Klienten merken dann, dass der Raum nicht nur aus dieser einen Ecke besteht, sondern mehrere Türen hat, durch die sie gehen könnten. Die Berater fungieren dabei als Katalysatoren für die schlummernden Ressourcen der Klienten, nicht als deren Erzeuger. Sie leiten die selbstschädigenden Energien um, die die Symptomatik aufrechterhalten, und aktivieren damit die Selbstheilungskräfte der Klienten.

2.2Der Provokative Ansatz in Kurzform

Die griffigste Kurzformel für die provokative Vorgehensweise ist LKW (s. auch Höfner 2016b und Cordes 2017) – passend zu der Erfahrung von Noni Höfner in ihrer ersten Begegnung mit Frank Farrelly, bei der sie sich wie vom Lastwagen überfahren fühlte.

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LKW steht für das Liebevolle Karikieren des Weltbildes des Klienten.

Um den emotionalen Widerstand des Klienten gegen seine Selbstschädigung zu provozieren, macht ein provokativer Berater folgendes:

Das W

Der Berater steigt in das Weltbild des Klienten ein.

Das K

Der Berater karikiert humorvoll die Symptomatik, d. h. die Stolpersteine, die der Klient sich selbst in den Weg legt, bis dieser darüber lachen kann.

Das L

Der Berater vermittelt die ganze Zeit nonverbal ein uneingeschränktes Vertrauen in die Ressourcen des Klienten und seine Fähigkeiten, sich zu verändern. Das L ist die absolute, zwingende Basis. Ohne L geht nichts! Wir werden das so lange wiederholen, bis es keiner mehr vergessen kann!

In den folgenden Erläuterungen bekommt dieses »provokative Skelett« etwas Fleisch auf die Rippen.

2.3Das L – die Grundhaltung des Beraters

Das wichtigste am LKW ist das L, das Liebevolle. Es ist die unabdingbare Grundlage für alles Weitere, was wir hier ausführen.

Hinter der Anwendung provokativer Interventionen steht die Annahme, dass der Klient nicht schwach und hilflos, sondern mündig und stark ist und die nötigen Ressourcen hat, um sein Fühlen, Denken und Verhalten zu ändern. Und zwar prinzipiell auch alleine, ohne dass er von einem Experten in einer Sänfte durch seine Problemfelder getragen wird. Er braucht nur einen Anstoß.

Das L heißt nicht, dass der Berater den Klienten liebt und mit ihm den Rest seines Lebens verbringen möchte, sondern es bedeutet nur das bedingungslose Zutrauen in dessen Ressourcen. Wobei es dieses »nur« in sich hat, denn der Berater muss seine innere Einstellung zum Klienten immer wieder auf den Prüfstand stellen.

Als provokativer Berater konzentrieren wir unsere Aufmerksamkeit auf das, was der Klient kann oder potenziell könnte, und glauben fest an seine Möglichkeiten. Wenn man sich nach einigen Jahren Beratung viele Klagen angehört hat, kann es stattdessen zur Berufskrankheit werden, dass man automatisch sein Augenmerk auf die defekten Stellen des Klienten richtet und sie geistig so einordnet, wie es der Mediziner tut, der von »der Leber auf Zimmer 216« spricht.

Viele Klienten fühlen sich als hilfloses Opfer, das die Umstände, die schuld an seinen Problemen sind, nicht beeinflussen kann. Die Schuldigen sind wahlweise die Mitmenschen, die Herkunft, die Erziehung, die Mutter, der Vater, die Kinder usw. Deshalb fühlen sie sich auch nicht selbst für die Problemlösung verantwortlich, sondern erwarten ein Patentrezept von außen. Sie machen dem Therapeuten nachdrücklich klar, er möge die Stolpersteine bitte zur Seite schieben, die das Schicksal ihnen in den Weg gelegt hat, denn dafür werde er ja bezahlt. Er soll eine Lösung finden und die Verantwortung dafür übernehmen, dass sie funktioniert und es ihnen dann besser geht. Dabei möge er alle Nachteile des selbstschädigenden Verhaltens beseitigen, aber die Vorteile bitte erhalten. Sie handeln damit nach dem altbekannten Motto »Wasch mich, aber mach mich nicht nass!«.

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Durch gezielte Provokationen wird der Klient herausgefordert, seine emotionalen Energien produktiver zu nutzen und sein Leben wieder selbstbestimmt in die Hand zu nehmen.

Wenn also ein Klient in die Praxis schlurft, der völlig verdreckt ist, nach Alkohol riecht und bei der Begrüßung seinen Mund grinsend aufsperrt, sodass man sieht, dass er nur einen einzigen Zahn im Mund hat, wäre die Normalreaktion vermutlich folgender Gedanke: »Oh Gott! Was ist das denn? Warum kommt der ausgerechnet zu mir!« Als provokativer Berater konzentrieren Sie sich stattdessen auf das Positive und denken: »Sie haben da einen bemerkenswert gesunden Zahn im Mund!«

2.4Das K – der Humor

Ein Herzstück der provokativen Arbeit ist der Humor. Wir grenzen den provokativen Humor ausdrücklich ab von Ironie, Sarkasmus und Zynismus, die mancher oberflächliche Betrachter als provokative Vorgehensweise missversteht. Diese negativen Schwestern des Humors sind frei von Wertschätzung und Wohlwollen und erheben den Anwender arrogant über sein Gegenüber.