Paarungszeit in der Antarktis

Sie schießen fast senkrecht aus dem Wasser. Es knallt und klatscht, es spritzt und zischt. Pinguinen beim Landen zuzugucken, ist unterhaltsamer als jedes Fernsehprogramm. Jede Welle spuckt neue Vögel auf die Eiskante. Sie purzeln, stolpern, rutschen weiter, manche landen kopfüber, andere kommen gekonnt auf den Füßen oder dem Bauch auf, prallen auf wie ein Flummi und nutzen den Schwung der Brandung gleich zum Fortkommen. Weg, nichts wie weg von den Gefahren, die im Meer lauern. Und hin, nichts wie hin zu den anderen. Ein runder Kopf guckt einige Meter weiter aus dem Wasser wie das Monster von Loch Ness, ein grün-schwarz gefleckter Seeleopard mit Zähnen scharf wie Rasiermesser. Er wartet nur auf einen günstigen Moment. Neben den Orcas und Seelöwen ist dieses Tier der einzige antarktische Räuber, der erwachsenen Pinguinen wirklich gefährlich werden kann. Also nichts wie raus aus dem Wasser und hin zur Kolonie.

Pinguine sind nicht nur ungern allein, sie haben es auch fast immer eilig. Auch und vor allem zur Paarungszeit. Der Sommer ist kurz im tiefen Süden, die Vögel müssen sich ranhalten, wenn sie ihr Brutgeschäft erfolgreich absolvieren wollen. Es gibt jede Menge zu tun und für die Ausübung der langen Liste an Pflichten nur wenig Zeit. Den Großteil des Jahres verbringen sie auf See, um zu fressen. Eines Tages dann im Frühling geben Licht und Hormonstatus ihnen das Signal, dass es Zeit ist, heimzukehren und sich einen Partner zu suchen. Wie genau sie es schaffen, den Ort ihrer Schlupfgeburt jedes Jahr wiederzufinden, ist noch immer ungeklärt. Landschaftsprofile und der Magnetismus der Erde spielen dabei vermutlich eine wichtige Rolle. Ab dem Betreten des heimatlichen Bodens tickt für paarungswillige Pinguine die Stoffwechseluhr, denn ab diesem Moment beginnt das große Intervallfasten. Balzen, Brüten, Junge aufziehen – all das erledigen die Frackträger in frenetischer Aktivität und ohne an Land auch nur den kleinsten Snack zu sich zu nehmen. Was für ein Stress!

Kaiserpinguine sind faszinierende Tiere. Ihr Brutzyklus ist derart komplex, dass Forscher mehrere Jahrzehnte gebraucht haben, um die Logik seines Ablaufs zu verstehen. Für den unbedarften Beobachter benehmen sich diese Tiere völlig rätselhaft: Sie kommen und gehen stets im Frack daher, stets gemeinsam, wie auf ein unsichtbares Kommando hin. Zu einer Konferenz oder Beerdigung? Wohl nicht, aber was dann? Das Verhalten von Tieren zu entschlüsseln ist mühsam und langwierig – sie setzen sich ja nicht zu einem und erzählen, was sie heute so vorhaben und warum. Es bedarf geduldiger und ausdauernder Beobachtung, um sich einen Reim darauf zu machen.

Erst im Jahr 1953 ließ sich das Rätsel um das Brutverhalten der Kaiserpinguine abschließend lösen, und das mehr oder weniger durch Zufall. Der Engländer Bernard Stonehouse lebte und arbeitete damals für zwei Jahre als Meteorologe auf einer britischen Antarktisstation. Das Schiff, das ihn zum Dienstschluss abholen sollte, konnte wegen dichten Packeises die Station nicht erreichen, und so musste er unfreiwillig verlängern. Während seines dritten Winters in der Antarktis baute er sich ein Iglu und studierte den Brutzyklus in einer nahe gelegenen Kaiserpinguinkolonie. Er legte damit den Grundstein des Verständnisses, das wir heute von Kaiserpinguinen haben, und schulte anschließend an der Universität Oxford auf Pinguinforscher um.

Pinguine sind alle gleich – und alle verschieden. Wenn ich in diesem Buch vom Verhalten der Pinguine spreche, dann ist das immer mit Vorsicht zu genießen. Die verschiedenen Arten unterscheiden sich zum Teil erheblich, eine oder auch mehrere Ausnahmen, die die Regel bestätigen, finden sich immer, und vollständig abbilden lässt sich in der Biologie ohnehin gar nichts. Den großen Zyklus des Paarungs- und Brutverhaltens will ich anhand der Kaiserpinguine erklären, weil sie durch Filme wie Die Reise der Pinguine zum Pinguin-Prototypen geworden sind und vielen Menschen als der »klassische Pinguin« vor Augen stehen. Das macht es ein wenig kompliziert, denn der Kaiser bildet in vielem die Ausnahme. Wo immer es spannende Unterschiede gibt, komme ich darauf zu sprechen.

Dieses Buch ist also ein Versuch, vom sonderbaren Verhalten der Pinguine zur Paarungszeit zu erzählen.

In der Regel sind es die Männchen, die zuerst eintreffen. Der frühe Vogel ist in diesem Fall klar im Vorteil, denn wer zuerst da ist, belegt die besten Plätze in der Kolonie. Kaiser- und auch Königspinguine bauen keine Nester, aber sie kennen ihren Standort dennoch sehr genau. Sobald sie aus dem Wasser kommen, watscheln sie direkt zum bewährten Treffpunkt. Wenn alles gut geht, haben sie dort ein Date mit der Partnerin vom Vorjahr. Das klappt nicht immer gleich gut, auch Pinguine sind in Sachen Orientierung unterschiedlich begabt. Vor allem die Kaiser haben es schwer. Nicht nur, dass sie keine Nester bauen – das Terrain, auf dem sie brüten, verändert sich auch noch von Jahr zu Jahr, denn das Meereis ist ständig in Bewegung. Aber dazu an späterer Stelle mehr.

Andere Arten wie zum Beispiel die sehr viel kleineren Adeliepinguine – übrigens romantischerweise von dem französischen Entdecker Jules-Sébastien-César Dumont d’Urville nach seiner Frau Adèle benannt – sind stark an ihre Nester gebunden. Sie finden ihren persönlichen Steinhaufen unter Hunderttausenden von Kieselburgen wieder. Kaum eingetroffen, beginnen die Männer umgehend mit dem Frühjahrsputz. Heißt: Steine heranschleppen und das Nest auf Vordermann bringen. Wenn die Partnerin an Land kommt, muss die Bude hübsch sein. Esels-, Adelie- und Zügelpinguine bauen richtige kleine Festungen. Als Baumaterial wird verwendet, was das Gelände hergibt, durchaus auch Schneckenhäuser, Knochen, Gras oder herumliegender Müll. Mann ist da nicht wählerisch. Auf gar keinen Fall fehlen aber dürfen die Kiesel am Boden, zu Drainagezwecken. Nur so sind die Eier, die zu legen der ganze Zweck dieser Baumaßnahmen ist, vor Regen- und Schmelzwasser geschützt.

Magellanpinguine sind die Dachse unter den Pinguinen. Auf den Falklandinseln, auf denen ich viel Zeit verbringe, nisten sie in Torfhöhlen. Wenn ich im September, also zu südfrühlinghafter Nestbauzeit, dort bin, sehe ich oft braune Staubgeysire über den Hügeln aufsteigen. Das ist Herr Magellan, der gerade renoviert. Mit Schnabel, Flippern und Krallen scharrend wird ein neues Kinderzimmer gebaut. Er lebt in einer Gefahrenzone, denn auf den Falklands wird ein herumwandernder Mensch oft ungewollt zum Einbrecher. Der Boden ist so feucht, dass man beim Darüberlaufen ruckzuck mit dem Fuß einbricht und ohne Anmeldung bei Magellans im Wohnzimmer steht, und das bis zum Oberschenkel. Dementsprechend empört fällt die Reaktion der Hausbesitzer aus. Magellanpinguine haben scharfe Schnäbel, das kann unangenehm werden. Unter normalen Umständen ist ein Magellanpinguin aber ein freundlicher, eher scheuer Zeitgenosse, der gern nichts als den Kopf aus seinem Bau herausstreckt, um zu beäugen, was draußen vor sich geht. Dabei legt er den Kopf schief, erst auf die eine, dann auf die andere Seite, um sich ein dreidimensionales Bild der Lage machen zu können.

Zurück zur Nestbausaison. Sobald das Haus für die zu gründende Familie auf Vordermann gebracht ist, stehen die Männchen mit geschwellter Brust am Nest und erwarten die Ankunft ihrer Göttergattinnen. Kaiser- oder Königsmännchen, die keine Nester bauen, hoffen, am richtigen Fleck zu stehen und gefunden zu werden. So oder so: Ein gesunder Pinguinmann sieht zu diesem Zeitpunkt prächtig aus. Das Weiß der frisch gemauserten Brust schimmert in der Sonne wie Perlmutt, und darunter zeichnet sich ein wohlgenährtes Muskelpaket ab.

Die Damen treffen etwa zwei Wochen nach den Herren ein. Auch sie stolpern, klatschen und taumeln an Land – und dann geht umgehend ein Knattern, Tröten und Keckern los, das jedes menschliche Trommelfell das Fürchten lehrt. Sie stolzieren in Richtung Kolonie und singen, was das Zeug hält. In den Gehörgängen der hormonseligen Pinguine ist dieser ohrenbetäubende Lärm reine Musik. Jede einzelne Lady lässt ihre unverwechselbare Stimme erklingen, und jedes erwartungsfrohe Männchen antwortet voller Begeisterung. Es ist wirklich wahr: Paare vom Vorjahr erkennen einander unter Hunderttausenden von Vögeln, die allesamt aus vollem Halse kreischen. Jedes Tier trötet mit einer unverwechselbaren individuellen Klangsignatur. Auch Eltern und Küken finden einander später auf diese Weise wieder. Das ist schon sehr beeindruckend. Verbinden Sie sich mal in einem Stadion voller grölender Fußballfans die Augen, und versuchen Sie, anhand der Stimme Ihren Partner zu finden. Für Pinguine kein Problem.

Subantarktische Wohngemeinschaften

An vielen Orten schreien nicht nur die Pinguine durcheinander, sondern zusätzlich auch noch etliche andere Arten. Gerade in der Subantarktis, auf den Falklandinseln oder auf Südgeorgien bietet sich mir jedes Jahr im Südfrühling ein überwältigendes Schauspiel. Denn dann sind alle da. In den Furious Fifties, den »rasenden Fünfzigern«, ist dann Hochsaison. Ein altes Seglersprichwort sagt: Jenseits des fünfzigsten Breitengrades gibt es kein Gesetz, und jenseits des sechzigsten keinen Gott. Irgendwann muss er aber doch mal da gewesen sein, denn was man in den Breitengraden der berüchtigten Stürme zu sehen bekommt, sieht aus wie die Schöpfung am ersten Tag.

Subantarktis

Auf etwa fünfzig Grad Süd liegt die antarktische Konvergenz, ein Gebiet, in dem das kalte antarktische Wasser des Südpolarmeeres auf wärmeres Wasser aus dem Norden stößt. Die subantarktischen Inseln befinden sich rund um den Globus im Bereich dieser Zone. Das Gebiet ist reich an Nährstoffen und Mikroorganismen, die das ganze Netz des Lebens nach sich ziehen – ein wichtiger Lebensraum für viele Tiere, die an der Konvergenz auf Nahrungssuche gehen.

Für mich gibt es nichts Schöneres, als an einen Stein – oder noch besser: an ein sonnenwarmes Büschel Tussockgras – gelehnt dem Treiben zuzuschauen. Am Strand liegen die Seeelefanten. Ein Bulle von vier Tonnen oder mehr, mit einem seltsam anmutenden überdimensionalen Riechorgan im Gesicht, bewacht seinen Harem, Anfang Oktober werden die Babys geboren. Während diese Fellwürste mit ihren großen Kulleraugen am Strand vor sich hin stoffwechseln und wachsen, geht der Bulle weiter seiner Pflicht nach und begattet ein Weibchen nach dem anderen. Angenehm sieht das nicht aus. Das Weibchen ist etwa drei Tonnen leichter, der Bulle stinkt und stöhnt und furzt dabei, und am liebsten möchte man als Beobachter eine Nummer wählen und Missbrauch melden. Aber alles spielt sich genauso ab, wie es sich gehört.

Weiter oben am Hang, auf einem Felsvorsprung hoch über dem Atlantik, tanzt ein Albatrospaar seinen Balzwalzer. Die Schwanzfedern weit gespreizt, wiegt das Pärchen sich im Rhythmus einer Musik, die nur die beiden hören, selbstvergessen schnäbelnd heben und senken sie ihre untertellergroßen Watschelfüße auf den Stein. Die Szene hat etwas von einem verliebten Pärchen auf dem Schulhof – die Großen knutschen, die Kleinen gucken zu.

Ein Felsenpinguin hat sich ganz in der Nähe postiert und scheint das Paar gebannt zu beobachten. Regungslos steht er da, sein gelber Kopfschmuck flattert im Wind, und die Sonne lässt seine Augen rubinrot aufleuchten. Noch ist er allein. Ein Blauaugenkormoran kommt vom Himmel getrudelt und stört mit seiner rumpeligen Landung die Ruhe des Voyeurs, der das Aufgestöbertwerden prompt mit einem Schnabelhacker quittiert. Kormorane sind fleißige Bauherren, auch dieser hat den Schnabel voll mit Nistmaterial. Die Felsenpinguine auf den Falklandinseln teilen ihre Kolonien gern mit Albatrossen und Kormoranen. Ihre Topfnester bieten den Schopfpinguinen, die selbst nur kleine Mulden graben, einen guten Windschutz. Wenn die ursprünglichen Eigentümer sie irgendwann verlassen, oft erst nach Jahrzehnten, wird der leer stehende Wohnraum auch gerne übernommen: Ein Felsenpinguinpärchen, das auf einem verlassenen Albatrosnest vor sich hin brütet, ist ein häufiger Anblick. Einer von beiden sitzt dann auf dem Ei, wichtig aufgeplustert und mit stoischem Gesichtsausdruck, und der andere steht als Bodyguard daneben.

Der Schwarzbrauenalbatros von nebenan ist damit beschäftigt, sein Nest zu mauern. Mit dem Schnabel klopft er Kot und Stroh zu einer perfekten Lehmwand zusammen; der Klackerrhythmus der mauernden Albatrosschnäbel ist der dumpfe Beat dieser gemischten Wohngebiete in den Felsamphitheatern über dem Ozean. Darüber knattert, quietscht und hupt es aus Tausenden von Kehlen – der Pegel braust auf und ebbt wieder ab, Wellen von Verliebtheit, Empörung und Aufregung branden durch die Kolonie.

Wenn ich so dasitze und dem Leben beim Leben zuschaue, dann gibt es diesen Moment, in dem nichts mehr eine Rolle spielt. Den Punkt, an dem ich einfach zum Teil der Landschaft werde. Diese Tiere brauchen nichts und niemanden, auch mich nicht, sie sind vollständig angepasst an das, was ihre Umgebung ihnen abverlangt, sie sind absolut und ausschließlich dort, wo sie sind. Das ist ansteckend. Zeit wird relativ, sie wird wort- und gegenstandslos. Pinguinzeit.

Man könnte meinen, dass bei so vielen Lebewesen auf engstem Raum Chaos ausbricht. Aber das ist nicht der Fall. Auf YouTube kursiert zwar ein Video, in dem ein Seebär einen Pinguin vergewaltigt – erstaunlich: die Klickzahlen, die solche Videos generieren! –, aber so etwas ist die absolute Ausnahme. Friedliche Koexistenz der Arten ist die Regel, oder auch: herzliches Desinteresse. Die Küken sind noch neugierig, sie ziehen gerne los und gehen auf Erkundungstour durch die Kolonie. Die Alttiere reagieren eigentlich nur dann aufeinander, wenn ein anderer Mitbewohner der großen interkulturellen Wohngemeinschaft die naturgesetzlich vorgeschriebene Schnabellänge Abstand nicht einhält. Dann gibt es Haue. Diese Sprache versteht jeder.

Auch unterschiedliche Pinguinarten teilen sich oft denselben Lebensraum. Deshalb ist es gerade bei der Paarung wichtig, gut auf die Frisur zu achten. Abgesehen vom Gesang erkennen die Arten einander vor allem am Kopf, denn da sind die typischen Merkmale am besten zu sehen. Insbesondere auf See hat das seinen Sinn, da guckt dieser Körperteil meist als einziges aus dem Wasser.

Die sieben Arten der Schopfpinguine sehen sich untereinander recht ähnlich: Alle haben sie eine ziemlich wilde Frisur, bei der auffällige gelbe Schopffedern eine Rolle spielen. Die verschiedenen Schopfpinguinarten vermischen sich auch und zeugen zum Teil miteinander fruchtbare Nachkommen. Auf den Falklandinseln sehe ich oft Goldschopfpinguine unter den Felsenpinguinen sitzen. Sie sind ein bisschen stämmiger und im Style noch entschiedener, sie tragen die Schopffedern als dicke orangegelbe Tolle. Englische Seefahrer haben sie deshalb auch Macaronipinguine genannt, nach einer auffälligen Mode im 19. Jahrhundert, die auch in dem bekannten Lied »Yankee Doodle« besungen wird:

»Yankee Doodle went to town

A-riding on a pony.

Stuck a feather in his cap

And called it macaroni.«

Aber nicht nur der Kopfputz macht den Pinguin. Für den menschlichen Beobachter, der sich ein bisschen auskennt, sind die unterschiedlichen Arten meist schon von Weitem erkennbar. An der Größe, aber auch am Gang und am Charakter. Eselspinguine sind recht ängstlich, an Land haben sie es immer ganz besonders eilig. Sie kommen stets nervös, dabei aber breitbeinig daher und pendeln stark hin und her. Wenn sie vom Wasser aus an Land wollen, schwimmen sie schon mal eine ganze Stunde unschlüssig hin und her, um sicherzugehen, dass auch ja alles in Ordnung ist. Felsenpinguine, auch »Rockhopper« genannt, brüten an Felsküsten und bewältigen im Hopseschritt die erstaunlichsten Steigungen. In kleinen Grüppchen kraxeln sie unerschütterlich bergauf und bergab, davon kann sich jede Bergziege ein Scheibchen abschneiden. Dazu beugen sie den Oberkörper weit nach vorne und ziehen dann ruckartig die Füße nach. Das gibt ordentlich Muckis, und die sieht man auch.

Magellanpinguine sind Sonderlinge. Sie stiefeln am liebsten allein in kleinen, säuberlichen Trippelschrittchen aus dem Wasser, stellen sich dann aber gerne betont unbeteiligt zu anderen Arten dazu. In der Nachbarschaft von Eselgrüppchen fühlen sie sich sicher. Könige und Kaiser haben ordentlich Selbstbewusstsein. Sie bewegen sich zügig aus dem Wasser, und an Land respektive auf dem Eis stolzieren sie aristokratisch einher.

Das große Balzen

Ob mit Frisur oder ohne, ob Single oder verheiratet – ums Balzen kommt in der Pinguinkolonie niemand herum. Wer je eine Fernbeziehung geführt hat, kennt das: Die Bindung will gefestigt und die Liebe gefeiert sein, sonst hält die Sache nicht. Die Pinguine haben im Schnitt ein halbes Jahr getrennt voneinander auf See verbracht, wenn sie zum großen Frühlingsfest an Land kommen. Ohne Skype, WhatsApp und E-Mails bleibt ihnen fürs Werben und Lieben nur das kurze Zeitfenster, das die Evolution ihnen dafür einräumt. In der Regel sind das etwa zehn Tage bis zwei Wochen. Die kleinen Adelies in der Antarktis haben den straffesten Zeitplan aller Pinguine – ihnen bleiben nur achtundvierzig Stunden. Auch nicht groß anders als bei uns: Das Timing muss stimmen.

Zwei Liebende, die einander gefunden haben, gehen in die Vollen. Sie machen sich lang, recken die Körper gen Himmel, blähen die Brust, strecken den Hals und schlagen waagerecht mit den Flügeln, um ihre Begeisterung zu bekunden. Die schallt in Form ihres typischen Rufes in die Welt, der bei jeder Art anders klingt. Allen gemeinsam ist jedoch das typische Himmelwärtsstrecken des Kopfes, ekstatisches Aufrichten genannt. Genau das ist es auch. Die Partner in spe beglücken einander mit ihrem Sound, und sie stecken die umstehenden Paare mit ihrem Überschwang an. Das Ergebnis ist eine La Ola der akustischen Wonne, die durch die Kolonie rollt. Dann wird es sinnlich. Besonders bei Kaiser- und Königspinguinen ist dieses Schauspiel edel anzusehen.

Das Paar steht voreinander, Bauch an Bauch, die schwarzen Köpfe mit den gebogenen Schnäbeln einander zugeneigt. Feierlich wie auf einem Maskenball entspinnt sich der Tanz. Auch unter Pinguinen hat die Balz viel mit der Optik zu tun. Königs- und Kaiserdamen achten zum Beispiel sehr auf die Farbe der Bäckchen ihres Partners. Schön kräftig muss sie sein, bei den Kaisern gelb, bei den Königen orange. Die sogenannte Mandibularplatte an der Unterseite des Schnabels ist quasi das Sixpack dieser beiden größten Arten, ein sicherer Fitnessindikator. Hat der erfolgreiche Bänkelsänger die Gunst seiner Dame gewonnen, streicht er mit dem Schnabel über die Bäckchen seiner Angebeteten. Beide schmiegen die Schnäbel aneinander, wie Verliebte das eben tun. Newcomer erkennt man daran, dass sie ungelenk ihre Köpfe hin- und herschwenken. Bei den erfahreneren Liebhabern finden die Schnäbel einander wie von selbst, sie streichen aneinander entlang und folgen den sanften Wölbungen der royalen Körper. Dabei lassen sich die Pinguine unendlich viel Zeit, es ist, als würde die Welt um sie herum versinken. Ist ein Turtelzyklus abgeschlossen, neigt man den Kopf und verbeugt sich voreinander – eine Geste, die Pinguine lieben.

So jedenfalls der Idealfall, eindrücklich besungen in Die Reise der Pinguine. In der Realität ist immer auch ein bisschen Dorfdisko dabei. Das Männchen baut sich auf, Bauch rein, Brust raus. »Hier bin ich, meine Schöne, willst du mich haben?« Und dann kommt, auch nicht anders als bei uns, meistens erst mal einer vorbei, der Ärger macht. Der Störenfried ist entweder ein Jungspund, der das erste Mal auf Partnersuche ist, oder es sind alleinstehende Damen oder Herren, die es leid sind, auf ihren spät heimkehrenden Partner zu warten. Das Leben auf See ist voller Gefahren, so manche(r) stellt bei der Heimkehr fest, dass er oder sie übers Jahr verwitwet ist. Trauer ist nicht angezeigt, es gilt, sich schnellstmöglich nach einem neuen Partner umzuschauen.