Meister Jordan

 

Der Kesselflicker

Wer kennt nicht zu Altenheim, der Hauptstadt des Fürstentums, den braven Bürger Jonas Jordan, der am Schlossplatze in dem kleinen, alten Eckhause neben dem alten großen palastartigen Gebäude der Gewerbeschule wohnt? Ich will Euch seine Geschichte erzählen.

Jonas war armer Leute Kind. Sein Vater, Namens Thaddäus, und seines Handwerks ein Spengler, oder Klempner, brachte sich kümmerlich durch. Es fehlte ihm nicht an Fleiß und Ehrlichkeit, aber an Arbeit und Bestellungen. Er verstand sein Handwerk ziemlich; Andere aber verstanden es besser. Das war schlimm; aber noch schlimmer, dass er ein schmuckes Mädchen zur Frau genommen hatte, welche sich gern putzte und damit Geld verputzte; guten Tisch liebte, doch nicht Schaffen im Hause; und lieber bei ihren Kaffeeschwestern, als in Küche und Keller war. So ging Gewerbe und Wirtschaft zu Grunde. Als sie starb. hinterließ sie ihrem Mann den kleinen Jonas und Schulden dazu. Thaddäus Vorrat von Messing und Eisenblech um einen Spottpreis hingeben. Nun arbeitete er ein paar Jahre als Gesell bei andern Meistern; hatte aber davon für sich und sein Kind kaum Salz auf das liebe Brot.

Da er sich nicht mehr zu wusste, kam ihm über Nacht ein guter Gedanke. Er ging zu seinem Nachbar, dem Gürtler Fenchel. Der war ein guter, hablicher Mann; nur sah er am Tage das Schnapsglas und des Abends die Wirtshäuser zu gern. Das machte ihm, wie manchem seiner Art, oft den Kopf schwer, aber immer den Beutel leer und täglich der Sorgen mehr. Thaddäus sah wohl voraus, dass auch Fenchels Geschäft den Krebsgang zu nehmen anfing.

Darum begab er sich zu ihm und sprach: »Nachbar, ich sehe, Ihr habt der schönen Waren vollauf, aber der Kunden und Käufer zu wenig. Es will heutiges Tages nicht mehr mit den Handwerkern vorwärts. Die Fabriken im Auslande verkümmern unsern Verdienst; Juden und Handelsreisende streichen in der ganzen Welt herum. Ich bin also der Meinung: Wurst, wider Wurst; kaufe mir heut ein Hausiererpatent; ziehe Land auf Land ab mit meinen letzten Lampen und Löffeln, Kannen und Becken; und, so Ihr wollt und mir billigen Prosit gebet, auch mit Euern Gürtlerwaren, Knöpfen und Schnallen. So wird Euch und mir geholfen. An Absatz fehlt's nicht, wenn man's den Leuten ins Haus bringt, und sie einen weiten Weg sparen können.«

Der Einfall leuchtete dem Meister Fenchel ein. Man ward Handels einig. Nach wenigen Tagen schob Thaddäus einen hohen, bepackten Karren vor sich her; zum Stadtthor hinaus; von Dorf zu Dorf; und neben ihm trabte, barfuß und lustig, sein kleiner Jonas. Seine Ware fand bald Liebhaber; an gutem Maulwerk fehlte es ihm nicht, sie anzupreisen, wenn sie sich nicht selber lobte. Die Bauernweiber gaben ihm Kessel und Küchengeschirr aller Art zu flicken und zu löten; Niemand war geschickter, alten Plunder in neuen zu verwandeln. Sein Karren ward einmal ums andere leer und wiedergefüllt; denn er besuchte auch die Jahrmärkte. Der Karren musste endlich zum Wägelein werden mit einem grauen Eselein davor. Da nannte man ihn nicht mehr den fröhlichen Kesselflicker, sondern den fröhlichen Krämer. Er war aller Orten gern gesehen und Vielen willkommen.

Trotz gutem Erwerb und Verdienst lebte jedoch der Krämer so armselig, wie der verlumpteste Kesselflicker. Sommers hielt er sein kärgliches Mahl unter freiem Himmel. Oft genügten Wasser und Brot zur Nahrung; eine Scheune, ein Stall zur Schlafstätte. Niemand wusste, wo er das Geld ließ. Dennoch gediehen Vater und Sohn in ihrem Landstreicherleben wunderbar. Der kleine Jonas, in allem Wetter abgehärtet, blühte wie eine Rose; schlecht genug gekleidet, doch dabei äußerst reinlich gehalten, glich er zwar einem Betteljungen. Aber Almosen zu fordern, oder zu nehmen, verbot ihm der Alte mit großer Strenge. Fast täglich musst' er das Sprüchlein hersagen, oder anhören:

Bettelbrot führt in den Kot;
Diebesbrot zum Galgentod;
Arbeit hilft aus aller Not;
Denn die Arbeit segnet Gott.

»Aber ich bin ja noch klein, Vater,« bemerkte der Bube eines Tages zu diesem Spruch: »Was soll ich denn arbeiten? Und du bleibst ja doch arm, bei aller Arbeit; und der liebe Gott macht nur die vornehmen Leute reich, die nichts schaffen. Ist das ganz recht?«

Thaddäus verwunderte sich über die erwachende Weisheit seines Sohnes und war fast um die Antwort verlegen. Doch sagte er: »Ganz recht, vollkommen recht! Du bist ein einfältiger Bube. Der liebe Gott hat darum Reich und Arm gemacht, dass Einer dem Andern diene; der Eine mit Geld diene, der Andere mir Arbeit. Wären alle Menschen reich, so würden ja alle gleich arm sein. Jeder müsste sich seine Schuhe selber machen, und seine Hosen selber flicken. Begreifst du das?«

Jonas erwiderte lachend: »Das wäre doch lustig, Vater. Nur, denk' ich, der liebe Gott sollte nicht dem Einen Alles und dem Andern Nichts geben.«

»Du verstehst das nicht!« widerlegte ihn der Vater: »Eigentlich gibt Gott den Menschen nichts; er leiht und borgt ihnen nur für die Lebenszeit. Wenn sie sterben, müssen sie Alles wieder herausgeben. Dann liegt der König im Grabe, so nackt und mausekahl, wie der Bettler da. Aber ihre Seelen müssen dann Rechenschaft ablegen, und werden von Gott gefragt, wie sie mit dem Viel oder Wenig, das er ihnen auf Erden geliehen, zum Wohl und Besten ihrer Mitmenschen gehaust haben? Wehe dem, der seine Kräfte, seinen Verstand, sein Geld nur für sich allein benutzte, und wenig oder nichts für das Glück Anderer verwendete! Da wird dann, in einem künftigen Leben, wer hier der Reichste war, oft der Ärmste sein, und der Elendeste hier, dort der Herrlichste vor Gott. Verstehst du mich?«

Der Knabe nickte mit dem Kopf; entgegnete aber wieder: »Was soll denn aus mir vor dem lieben Gott werden? Ich bin noch zu klein, habe nichts zu erwerben und nichts zu verwenden.«

Vater Thaddäus lachte, blieb jedoch die Antwort nicht schuldig. »Siehst du das Rotkehlchen da, mit dem Strohhalm im Schnabel? Es ist viel kleiner, denn du, und arbeitet dennoch und baut seinen Jungen ein Nest. Siehst du die Sperlinge dort auf der Straße, wie sie suchen und picken? Hörst du den Specht im Walde, wie er mit dem Schnabel in die Baumrinde hackt und hämmert? Geh', arbeite für Nahrung und suche, wie diese.«

Jonas kratzte sich hinter die Ohren und fragte beinahe weinend: »Ich will wohl, Vater, aber wo denn? und was auch?«

»Hörst du Bursch! Wir sind noch im Frühjahr. Suche Schlehen- und Hollunderblüten, Rosen- und Salbei-Blätter, Majoran, Seidelbast und Thymian, wo du kannst und darfst. Die verkaufen wir den Apothekern. Sammle im Sommer Erd- und Heidel-, Brom- und Himbeeren; die vertrage in die Häuser. Das gibt Geld. Für den Winter sammeln und dörren wir Waldhaar für Sattler und Tapezierer; Weidenruten zum Korb- und Tellerflechten. Es fallen vom Tische des lieben Gottes für uns tausend Brosamen; die wollen wir auflesen. Das gibt dir Käs aufs Brot und ein Stückchen Fleisch zu den Kartoffeln. Nur angefangen! Ich schaffe dir ein leichtes Kärrlein, und Zubehör.«

Der Alte hatte das nicht in den Wind gesprochen. Jonas war ein flinkes, verständiges Bübchen. Die Nutzanwendung folgte der Predigt sogleich. Der Kleine war den ganzen Tag unermüdet auf den Beinen und es ging mit seinem Geschäft nicht gar übel. Denn wo irgend er bei guten Leuten, zu Stadt und Land, mit seinem beladenen Schiebkarren vorfuhr, sah man ihm freundlich ins freundliche Gesicht, und kaufte ihm ab, oft mehr seiner selbst, als der Ware willen. Zuweilen schenkte man ihm noch ein paar Kreuzer, oder abgelegte Kleider dazu, weil er recht schmeichelhaft höflich sein konnte, und weil man seine altklugen Antworten, oder kindlichen Fragen gern hörte.

Freilich war's nicht zu vermeiden; er musste nicht selten viele Tage, vom Vater getrennt, in der Weite umherziehen, und sich durchhelfen, wie er konnte. Doch auch das tat ihm gut. Er lernte dabei auf eigenen Füßen stehen und sich gegen Fremde umsichtig benehmen. Und dies freie Umherfahren und Schaffen ward für ihn bald das angenehmste Leben von der Welt. Aber sein größter Festtag war immer, wenn er wieder zum Vater kam. Tag und Ort des Zusammentreffens jedes Mal voraus. Wenn er dann seine kleinen Abenteuer erzählen, die vom Verkauf gelösten Kreuzer, sogar halbe Guldenstücke vorlegen konnte, und der Vater ihm die Wangen streichelte und ihm gütlich tat, hätt' er mit keinem Prinzen in der Welt tauschen mögen.

Der Abschied

Die über Erwarten glückliche Erfahrung, welche der alte Thaddäus Jordan mit seinem Sohne machte, führte ihn bald auf den kühnen Gedanken, sein Gewerbe noch weiter auszudehnen. Zwar blieb er Kesselflicker und Krämer. Allein er hatte in diesem und jenem Dorfe bettelarme Leute, bedürftige Taglöhner-Familien kennen gelernt, die viel Mühe hatten, ihren Lebensunterhalt zu erschwingen. Diese ermunterte er, sich einen Nebenverdienst zu verschaffen, und er wolle Hand dazu bieten. So ließ er die Einen Federn, Borsten, Lumpen, Knochen und dergleichen einsammeln, die Andern heilsame Kräuter suchen und Wurzeln graben, welche er sie kennen lehrte. Dann kaufte er ihnen die kleinen Vorräte ab; häufte sie da und hier zusammen und trieb solchergestalt einträglichen Handel mit angesessenen Kaufleuten, Knopfmachern, Messerschmieden, Papiermüllern, Apothekern, Färbern u. s. w.

Wer nicht blind war, sah wohl, der Mann strich Geld ein, doch Niemand wusste und erfuhr, wo er es ließ? Er ging wohl sauber, aber grob gekleidet; ebenso Jonas. Er, wie dieser, begnügten sich mit geringster Kost; zufrieden, wenn sie satt waren. Bier kam selten über ihre Lippen; Wein niemals; und ein Gläschen Schnaps ward verschmäht, wenn man's auch unentgeltlich anbieten wollte.

»Der Kerl ist ein Geizhals, ein Filz!« sagten Manche von seinen lumpigen Bekannten: »Er scharrt zusammen, was er vermag, und vergräbt irgendwo den Mammon. Da wäre für unserer Einen ein Schatz zu heben. Wüsste man nur, wo er läge!« – Andere riefen: »Der schlaue Fuchs! Wär' er kein Bruder Liederlich, würd' er bei der Profession geblieben und nicht Landstreicher geworden sein. Wer weiß denn, in welchem Gaunerwinkel er mit andern Vagabunden in Saus und Braus verbraust, was er hier zusammenschachert!«

Thaddäus ließ die Leute lästern nach Herzenslust, und ging ruhig seinen Weg. Er kannte den Pöbel genugsam. Wer von sich selbst nicht viel Gutes weiß, hält seinen Nächsten für weit schlechter. Thaddäus tat, und warum? So oft er in die Stadt kam, legte er seine Barschaft in die Altenheimer Ersparniskasse an Zins. Die Gutscheine aber dafür ließ er auf seines Sohnes Namen ausstellen, und bewahrte sie mit väterlicher Sorgfalt.

Auch dem Meister Fenchel ward dabei geholfen. Der hatte, durch des Hausierers Fleiß und Redlichkeit, abermals Arbeit in Fülle gewonnen. Er wäre wieder auf einen grünen Zweig gelangt, hätte er nur den Zweig mit Wasser, und nicht mit verzehrendem Branntwein, begossen.

So währte es einige Jahre; doch konnt' es nicht ewig so währen. Vater Thaddäus dachte endlich daran, seinen Knaben auch ein Handwerk erlernen zu lassen, um ihn nicht an die herumziehende Lebensart zu gewöhnen. Was in Notfällen nützt, das nützt nicht jederzeit, so wenig, als Arznei in gesunden Tagen. Er besprach sich mit Freund Fenchel, der sich ganz willig zeigte, den Knaben in die Lehre zu nehmen, und mit dankbarer Gesinnung sogar ausschlug, ein billiges Lehrgeld dafür zu empfangen. Doch daraus ward nichts. Thaddäus zahlte, und machte, Lebens und Sterbens halber, die Sache schriftlich ab. Er war ein Mann, der, wenn er konnte, nichts halb tat, und das Sichere und Gewisse lieber, als das Mögliche, in der Hand hatte. Dies musste ihn sein Sohn das letztemal auf einen Hausiererzug begleiten.

Ja wohl zum letzten Mal! Denn Thaddäus ward unterwegs sterbenskrank, und ihm musste es erquickend sein, von kindlichen Händen gepflegt zu werden. Da er sich nicht weiter fortschleppen konnte, ward er auf einem Bauernkarren nach Altenheim gebracht, und ins Spital der Stadt geführt, wo er manchen Tag still und gottergeben auf dem Schmerzensbett lag.

Als er am Ende selber fühlte, der Todesengel nähere sich mit leisen Schritten seinem Bette, ließ er den kleinen Jonas aus Fenchels Haus zu sich rufen. Er gab ihm, mit dem Lebewohl, seinen väterlichen Segen. Dabei überreichte er ihm eine kleine versiegelte Büchse und sprach:

»Nimm, Jonas, nimm und siehe! Das ist in Sommerglut und Winterfrost sauererworbenes, ehrliches Gut. Das ist dein Erbteil. Nur zusammengerolltes, leichtes Papier liegt in der Büchse; aber, ich sage dir, schöne tausend Gulden schwer. Darum hüte dich, von dieser Büchse zu reden; zeige sie Niemandem; verbirg sie am heimlichsten Ort. Solchen Bissen dir wegzuschnappen, könnte die unschuldigste Taube zum diebischen Raben werden. Nur nach vollendeten Lehrjahren, früher nicht, darfst du das Siegel erbrechen; und auch dann nicht, wenn du dir anders zu helfen weißt!«

Jonas nahm die leichte, blecherne Büchse; küsste bitterlich schluchzend die väterliche Hand, und gelobte in allen Stücken das Geheißene zu erfüllen.

»Ich sterbe zufrieden,« fuhr jener fort: »wie ich zufrieden gelebt habe. Leb' und stirb du auch so, mein Kind. Ich will dir dazu das beste Mittel an die Hand geben; es ist probat: Bete und arbeite! – Beten und Arbeiten verschafft in dieser und jener Welt guten Platz.«

Doch merke dir: mit aller Arbeit ist's nur halbes Werk. Die andere und schwerste, aber beste Hälfte der Arbeit, heißt Sparen. Was hilft's den Leuten, die vom Morgen bis Abend ein durchlöchertes Fass füllen, das unten ausläuft?«

Zuerst spare dir einen Notpfennig; denn die Not kehrt früh, oder spät, in Jedermanns Haus ein. Darum entbehre standhaft alles und jedes Entbehrliche. Ob Wein und Braten, oder Wasser und Brot, – es sieht uns Niemand in den Magen – und man wird doch satt. Hast du also den Notpfennig gewonnen und geborgen, dann arbeite noch fleißiger; das heißt, spare einen Hilfspfennig für Andere zusammen! Gott hat dich nicht deinetwillen in die Welt gesetzt, sondern für Andere. Wärst du für dich allein erschaffen, hätt' er die Übrigen nicht gerufen. Hast du den Hilfspfennig errungen und erschwungen, und wendest ihn weise an: dann, Jonas, dann verwandelt sich dein Pfennig für Not und Hilfe von selbst zum Ehrenpfennig; dann bist du nicht abhängig von fremder Gnadengunst; bist eigner Herr; Freiherr, mehr denn ein Baron; hast genug geleistet für das Zeitliche.«

»Also, mein gutes Kind, bete und arbeite! Beten heißt mit dem lieben Gott innig und eins sein. Man ist aber mit dem Vater im Himmel nicht innig einig, wenn man mit seinen Kindern uneinig ist; sie hasst, sie beneidet, verlästert, betrügt und zum Bösen verführt. Seine Kinder sind die übrigen Menschen. Sei gerecht gegen Alle, und gütig gegen so viele du kannst. Gebet auf der Zunge und Bosheit im Herzen ist kein Bund mit Gott, sondern mit dem Teufel! Gott lässt sich nicht mit glatten Worten, Krokodilstränen und Versprechungen hintergehen. Was du Löbliches auf Erden verrichtest, das wird dein Notpfennig im Himmel werden.«

»Nun geh! Gottes Segen über dich sei deines Vaters Segen für dich!«

Also sprach der alte Thaddäus.

Auch von seinem Freund Fenchel nahm er nachher rührende Abschied, und empfahl ihm dringend den armen Jonas.

»Es ist nicht erwiderte der Gürtler mit tränenvollen Augen: »Es ist nicht nötig; denn ich weiß, was ich Eurer Mühewaltung zu verdanken habe. Euerm Kinde soll's vergolten werden.«

Thaddäus reichte ihm die matte Hand, und sagte: »Mir ist es wohl bewusst, Ihr seid ein redlicher Mann gegen alle Welt, nur leider gegen Euch selbst nicht. Nehmt mir's nicht übel, dass mir deshalb gar bang um meinen Jonas ist. Ihr und der böse Geist seid schon zu gute Freunde.«

Meister Fenchel fuhr erschrocken auf und meinte, der Kranke rede irre. »Was denket Ihr von mir?« rief er: »Der böse Geist? Wer?«

»Der Weingeist!« war die Antwort: »Er ist der böseste von allen Geistern. Denn wo er eingeht, geht der Verstand aus. Wein bringt Euch trunkene Freud', und nüchternes Leid; jagt den kleinsten Kummer zum Fenster hinaus, und führt den größten zur Tür herein; macht den Kopf schwer und den Beutel leer. Das richtet unsere Handwerker zu Grunde, dass sie Abends in Kneipen und Schenken lieber dem Wirte, als Weib und Kind daheim, gefallen wollen. Will's der Wein nicht mehr tun, dass endlich Magen, Herz und Hirn darin verbrennen. Branntwein ist Scheidewasser, das Sehnen und Nerven allmählich durchätzt und zerfrisst, und zuletzt von Ehre und Frieden, Gesundheit und Wohlstand scheidet. Erst heißt's: täglich nur ein Gläschen voll schadet nicht! Nachher heißt's: eine Flasche voll tut mir wohl! Freund Fenchel, hütet Euch. Gebt Ihr dem Teufel ein Haar in die Krallen, er zieht Euch damit recht sanft in den Rachen. Schnaps, sagtet Ihr oft, sei nur langsames Gift, man könne auch alt dabei werden. Und doch ist er Gift und wirkt darum giftig; macht graue Köpfe zu Narrenköpfen, dumpf und stumpf, und kindisch vor der Zeit.«

Meister Fenchel sah, schuldbewusst, finster und düster, bei dieser Rede zu Boden. Thaddäus wollte ihn nicht kränken; reichte ihm wieder die Hand und sprach: »Nichts für ungut, lieber Freund; ich meint' es gut. Sterbende aber können nicht lügen.«

Drei Tage nach diesem war der gute Alte im Herrn entschlafen und im Ewigen erwacht.

Der Lehrbursch

Jonas weinte seinem Vater im Stillen lange nach. Er war nun ein Waisenknabe; ohne Rat und Liebe eines Verwandten; Lehrling und Mündel des Gürtlers. Im Hause desselben lebte für ihn anfangs wenig Freude. Eine alte, böse Magd, die mit aller Welt keifte und zankte, und wenn sie friedlich sein wollte, nur brummte und murrte, regierte und hantierte nach eigenem Wohlgefallen. Jonas musste ihr Holz und Wasser tragen, Schuhe und Teller putzen; bald Fleisch vom Scharren, bald Gemüse vom Markt, oder ein Loth Schnupftabak vom Krämer Wester für ihre Nase holen. Zwei Gürtlergesellen, die beim Meister in Arbeit standen, brauchten ihn ebenfalls zu ihrem Dienst; neckten ihn schadenfroh, wenn sie bei guter Laune waren, oder versetzten ihm Stoße und Püffe, wenn sie eine Grille im Kopfe hatten. Er beklagte sich wohl einmal darüber bei dem Meister. Der aber tröstete ihn mit den Worten: »Das ist Handwerksbrauch, dummer Junge. Ein Lehrknabe muss sich Alles gefallen lassen. Bist du einmal Gesell, machst du es ebenso.«

Fenchel behandelte ihn unter Allen im Hause am mildesten, und wollte ihm wohl; aber er war ein Mann ohne Erziehung und Unterricht, und im höchsten Grade leichtsinnig. Die Ermahnung des sterbenden Thaddäus hatte großen Eindruck auf ihn gemacht. Er trank wirklich in den ersten Tagen keinen Tropfen Branntwein mehr. Aber nachdem jener zur Erde bestattet worden, nahm er doch wieder ein Schnäpschen; den Tag nachher einen guten Schnaps, und so ging's wieder in die alte Ordnung oder Unordnung hinein.

Jonas fügte sich in sein Schicksal. Was konnte er tun? Er gedachte desto öfter der frommen Lehren, die er vom Vater empfangen hatte. Seine einzige Lust und Freude im Hause war Fenchels Kind, die kleine fünfjährige Martha. Wenn er mit ihr spielen konnte, vergaß er wieder alles Herzeleid; und das Kind, um welches sich der Vater fast zu wenig bekümmerte, hatte keine bessere Zuflucht, als zu Jonas.

Der Bursch war, als er in die Lehre trat, schon fünfzehn Jahre alt. Er konnte aber noch nicht recht lesen und noch weniger schreiben. Etwas Kopfrechnen hatte er im Hausiererleben gelernt. Er schämte sich, wenn er sah, wie kleinere Buben das besser verstanden. Gern wäre er auch in die Schule gegangen. Er versprach dem Meister, recht fleißig zu sein. Allein die alte Magd konnte ihn in ihrer Wirtschaft nicht missen, und der Meister sagte: »Du sollst ein Gürtler und kein Gelehrter werden«. So blieb's. Kein Wunder, wenn's bei vielen Handwerksleuten rückwärtsgeht. Ohne Kenntnisse, oft ohne die notdürftigsten, und zu früh aus der Schule weggenommen, werden sie zur Profession getan; helfen und lernen da maschinenmäßig nachmachen, was Meister und Gesell maschinenmäßig verfertigen, und vermögen es später dann nicht höher damit zu bringen, weil ihnen, zum Bessern, Verstand und Wissen fehlen.

So lernte Jonas, was die Übrigen kannten und konnten; Schnallen und Knöpfe gestalten, vergolden und versilbern; auch Messerhefte, Löffel und Haken, sogar Bleche für Patronentaschen und Mützen der Soldaten bereiten. Das war Alles. »Und das ist genug. um als Ehrenmann dein Brot zu verdienen,« sagte der Meister. Viel Anderes erlernte also der Knabe nicht; allenfalls noch Fluchen und Schwören von den Gesellen, wenn er nicht der Vaterslehren gedacht hätte; und abergläubiges Zeug, Traumdeutungen, Hexen-, Gespenster- und Kobolds-Geschichten, von der alten Magd, wenn nicht der Vater oft darüber gespottet hätte.

Als er einmal am Sonntagabend von einem Spaziergang zurückkehrte und in die Stube trat, sah er sämtliche Hausgenossen in tiefster Stille um ein hässliches Weib stehen. Es saß am Tisch bei einer dunkel brennenden Lampe, und schlug den Andern die Karten. Es war die bekannte Wahrsagerin zu Altenheim, die graue Natchen. Jonas erschrak vor dem ungewohnten Anblick und wollte sich furchtsam flüchten. Allein man hielt ihn zurück. Auch ihm sollte gewahrsagt werden.

Die Alte sah dem Burschen eine Weile starr ins ängstliche Gesicht; legte die Karten aus einander und sprach mit quakender Stimme: »Vater- und mutterloses Ding, du bist im guten Zeichen geboren; wirst weit umherkommen; großes Ungemach erfahren; doch wird dich dein Stern begleiten. Zwei Freunde begleiten dich. Der Eine weiset dir den rechten Weg; der Andere ist sehr reich. Nach langer Not wirst du Haus und Hof bekommen; aber auch Feinde. Die zwei Freunde können dir dann nichts nützen. Doch wird dein kleines Haus das große des Andern verschlingen.«

Die Prophezeiung fiel dem Knaben um so schwerer aufs Herz, je weniger Sinn darin lag. Die Gesellen hänselten und foppten ihn damit lange Zeit, weil er das Geschwätz der Kartenschlägerin zu glauben schien, und er glaubte wirklich um so steifer und fester daran, weil er sich einbildete, die zwei Freunde schon zu besitzen, deren die weise Frau gedachte.

Der Eine derselben war des reichen Goldschmieds Kürbis Sohn; ein Knabe, zwei Jahre älter, als er, dessen Bekanntschaft und Freundschaft er einst bei einer Prügelei gewonnen hatte. Weil Gideon Kürbis, so hieß der Bursch, angesehener Eltern einziges Kind war, die ihn verhätschelt hatten, trug er die Nase hoch; wollte Alles besser verstehen; war grob, aber auch feige dazu. Weil er jedoch in Wirtshäusern und allerlei Lustparthien immer Geld genug zu vertun hatte, fehlte es ihm nicht an Kameraden, die sich Vieles von ihm gefallen ließen. Wenn es aber sein Maul zu arg trieb, bezahlten sie ihn mit Ohrfeigen und Schlägen.

Zufällig war Jonas eines Tages zu solcher Rauferei gekommen, da ihrer drei den jämmerlich schreienden Gideon fuchtelten. Jonas, seiner eignen Stärke und Geschmeidigkeit bewusst, eilte zur Rettung des Übermannten; sprang, wie eine Katze, dem Stärksten der Schläger in den Rücken; riss ihn rücklings zu Boden, und trieb mit dessen Stecken die andern in die Flucht. Seitdem musste er sonntäglich den feigen Gideon, vielleicht als Schutzwacht, auf allen Lustwegen begleiten. Das hochmütige Muttersöhnchen gebrauchte ihn dabei, wie einen Bedienten; schulmeisterte ihn fleißig; tat ihm aber mit Pasteten, Kuchen und Braten und dergleichen gütlich. Jonas ließ sich das behagen; so etwas gab's für ihn in Fenchels Hause nicht.

Der zweite von den besagten Freunden war der Krämer Wester, bei welchem Jonas bald Schnupftabak für die alte Magd, bald Käse für die Gesellen holen musste. Es war ein freundlicher, treuherziger Mann, der den alten Thaddäus wohl gekannt hatte, welcher ihm ehemals beim Hausieren oft nützlich geworden war. Darum nahm er sich des verwaisten Knaben, soviel er konnte, an; ließ ihn in jeder freiem Stunde zu sich kommen, und unterrichtete ihn sogar im Lesen, Schreiben und Rechnen. Da dachte Jonas: »Halt! das ist der, welcher dir den rechten Weg zeigt.« – Er hatte nicht ganz Unrecht. Der Krämer und seine Frau behandelten ihn fast, als wenn er ihr eigenes Kind wäre.

So verstrichen fünf Jahre. Dann erhielt er den Lehrbrief; ward in den Gesellenstand aufgenommen, und empfing damit zunftmäßig Recht und Pflicht, die Wanderschaft anzutreten. Dahin ging längst sein Sehnen. Schon ein paar Jahre vor ihm war auch Gideon Kürbis in die Fremde gegangen, oder vielmehr gefahren mit der Post.

Nun säumte er nicht, den Habersack zu packen, und aufzubrechen. Die blecherne Büchse des Vater Thaddäus aber nahm er wegen möglicher Reisegefahren nicht mit sich, sondern vertraute sie dem ehrlichen Krämer Wester an beim Abschiednehmen. Er hätte wohl auch zu seinem Meister Fenchel dasselbe Vertrauen gehabt. Allein der Mann hatte sich schon zu sehr dem Trunk ergeben; sein Gewerbe und Hauswesen vernachlässigt und konnte kaum noch einen Gesellen mit Arbeit beschäftigen.

Das Scheiden von ihm war leicht; desto schwerer von seinem zehnjährigen Kinde, der kleinen Martha. Sie warf sich mit herzzerreißendem Jammer um den Hals des weinenden Jonas, und wollte und konnte ihn nicht loslassen. Sie verlor an ihm ihren Gespielen, ihren einzigen Freund im Hause.

»Ade! Ade!« rief Jonas: »Weine nicht, denn Gott ist unser! Leb' wohl, wir sehen uns in wenigen Jahren wieder.«

Die Heimkunft des Gesellen