Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Bald ist es soweit
  1. 2 Weihnachten
  1. 3 Neustart

1 Der lange Weg

Weihnachten sollte man sich langsam annähern. Es ist ein langer Weg, der uns schließlich an unser Ziel, das große Fest, führt.

Im August werden die Regale im Supermarkt inspiziert, im September notiert man die Geschenke für die Lieben auf einer Liste, im Oktober und November schreibt man jeweils eine neue Liste. Die Zettel liegen immer irgendwo herum, nie dort, wo sie gesucht werden. Plötzlich, kurz nach Weihnachten findet man sie dann am richtigen Ort wieder.

In der Adventszeit geht es Schlag auf Schlag. Der Nikolaus kommt, ein Weihnachtsbaum muss besorgt, kühl gelagert und schließlich herausgeschmückt werden. Zu essen soll es zum Fest auch reichlich geben. Es wird gekauft, als ob sich tausend Vielfraße angesagt hätten. Wir wollen uns nicht blamieren. Der Weihnachtsmarkt wartet auf unseren Besuch. Letztes Jahr war der Punsch viel zu süß, in diesem Jahr…

Schließlich fahnden wir schon wieder nach dieser Liste. Doch wir dürfen keine Zeit mit dem Suchen verplempern. Wir müssen los, noch irgendetwas besorgen, in einer halben Stunde schließen die Läden.

Wenn es so schlimm wird, sollte man eine Last- Minute-Reise buchen, irgendwohin, am besten ans andere Ende der Welt. Bei richtiger, generalstabmäßiger Planung wird es so weit nicht kommen.

Der Endspurt

13

24. Oktober

Von der Zielgeraden, eisgekühltem Glühwein, Herzbeschwerden, Prioritäten, lustvollem Stöhnen, viel Klimbim, Problemfällen, Parfüm, einer Espressomaschine, einer Frauenzeitschrift, viel Spachtelmasse, Socken, einer doofen Zicke, Entzugserscheinungen, einem Bauernfrühstück und Vanillepudding

Meilensteine

23

Ende November

Von Weihnachtsmännern im September, dem Oberbürgermeister, der roten Weihnachtsmannnase, der PKW-Maut, Onkel Hugo, Wichtelgeschenken, einer Brandkatastrophe und Ostern

Schuhe

33

5. Dezember

Von den zehn Minuten, die einen Mann altern lassen, einem Duftwechsel, gerissenen Schnürsenkeln, einem gemütlichen Lebensabend, dem grünen Punkt und ganz viel Schokolade

Der Weihnachtsmarkt-Kleptomane

39

Mitte Dezember

Von mächtigem Gedränge, einem Kinderwagen, zwei Möpsen, osteuropäischen Künstlern, vier Vierlingen, einem Kleptomanen und keiner Inspiration

Die Zimtzicke

49

Im Advent

Von Dauerregen, Zimt, einem Expressversand, der Presse, meterhohem Schnee, einem Leibchen, so einer Art Zwitter, dem Kölner Karneval, einem missglückten Wetterexperiment, einer Pfütze, roter, weißgepunkteter Unterwäsche, einem Interview und mordsmäßigem Umsatz

Der Endspurt

24. Oktober

Das Leben ist eine Spirale. Niemals sollte man denken:

„Geschafft! Das war’s. Weihnachten ist überstanden!“ Im selben Moment geht es wieder ganz von vorne los, wie jedes Jahr.

In zwei Monaten ist es wieder so weit. Dann kommt der Weihnachtsmann. Wir müssen jetzt alle Kräfte zusammennehmen und den Endspurt beginnen. Wir befinden uns fast auf der Zielgeraden, in den Köpfen tönt der Countdown, das Ziel ist am Horizont zu erkennen. Vorwärts!

* * *

Über die Weihnachtstage wollten sie wegfahren, am besten in die Karibik. Auf einem Ozeanriesen unter einer bunten Plastiktanne bei fünfunddreißig Grad im Schatten einen Bratapfel essen und eisgekühlten Glühwein trinken. Das war der Plan. Doch Tante Erna und Onkel Ludwig haben sich für die Feiertage angesagt. Da kann man nichts machen. Der Onkel hat Herzbeschwerden und ist stinkreich. Ob die Tante, die hat ständig diese furchtbaren Migräneanfälle, sein Hinscheiden lange überlebt, ist fraglich. Es sei denn, sie schmeißt sich an den feschen Erwin ran. Auf den hatte sie vor zwei Jahren mal ein Auge geworfen und nur weil Ludwig mit Konsequenzen drohte, hat sie ihre Prioritäten, wenigstens vorübergehend, geändert.

Nein, Pfefferkuchen aus der Augustlieferung im Supermarkt hat Anastasia noch nicht gekauft. Wer tut so etwas? Irgendwer muss doch so verfressen sein. Nur als Dekoration werden die Regale garantiert nicht mit den weihnachtlichen Schokoteilchen gefüllt! Bestimmt gibt es Tausende, die seit Ostern darauf gieren, endlich Pfefferkuchen kaufen zu können. Dann rennen sie ganz heimlich, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, von Supermarkt zu Supermarkt und packen alle Sonderangebote weihnachtlicher Naschereien in die Einkaufswagen.

„Oh, ist das lecker!“, frohlocken sie. Schnell noch ein Pfefferkuchenherz schnabuliert und noch eins und… Hinterher haben sie Bauchweh. Sie verbringen Nächte mit hochrotem Kopf auf dem Klo. Sie jammern über Verstopfung und schwören, nie wieder Schokolade anzuschauen, geschweige denn ein Stückchen davon zu essen. Geht es ihnen auch nur einen Hauch besser, verputzen sie das nächste Kilo! Die Abführmittelindustrie boomt.

Benjamin, Anastasias Freund, ist solch ein Kandidat. Wenn er Schokolade sieht, dann sieht er rot. Wie ein Stier in der Arena erwartet den erlösenden Dolchstoß, ist nicht zu bremsen.

„Das Zeug schmeckt doch so lecker!“, rechtfertigt er sich mit vollem Mund, „Glücklich macht Schokolade auch noch!“

„Da brauchst du mich ja nicht mehr“, gibt seine Freundin Anastasia beleidigt zurück.

„Nein, Annalein, so war das nicht gemeint. Komm, greif zu, bevor ich das letzte Stück hinunterwürge.“ In solchen Momenten liebkost er sie immer mit seinem „Annalein“, was Annalein noch mehr auf die Palme bringt. Stattdessen lädt sie ihn zum Joggen ein. Die Kilokalorien sollen gar nicht erst auf die dumme Idee kommen, sich irgendwo festzusetzen. Doch bei diesem Kerl fühlen die sich nicht wohl. Anders ist es bei ihr. Alleine beim Gedanken an Weihnachten hört sie die Waage lustvoll stöhnen.

* * *

Das Fest der Freude - Weihnachten - ist das Fest des Stresses, des großen Kaufens, der Geheimnisse, der unverstandenen Floskeln, des schlechten Gewissens, des ununterbrochenen Schnabulierens, des gedankenlosen Fressens. Wir sehen es kommen und rennen wie die Lemminge mitten hinein.

Was soll man schenken? Das ist die entscheidende Frage, die uns im Jahresabstand plagt.

Erkundigen wir uns doch einfach mal, was sich gewünscht wird. Die Antwort… Die Frage hätten wir uns sparen können - meistens. Mehr als ein:

„Äh… Hm… Weiß nicht… Muss erst mal überlegen…“, kommt da selten.

Ereilt uns selbst diese Frage, sieht es auch nicht besser aus.

„Was soll ich mir wünschen, ich habe doch längst alles und noch viel mehr von solch unnützen Klimbim… Nächstes Jahr wird aufgeräumt, versprochen!“, schießt es uns durch den Kopf.

Bei Kindern ist der Wunschzettel meterlang. Bei Jugendlichen ein wenig kürzer, dafür kostenintensiver. Bei der erwachsenen Generation? Na, das ist eine harte Nuss. Wenn uns etwas gefällt, etwas was wir tatsächlich besitzenswert finden, dann kaufen wir es. Da wartet fast niemand bis Dezember, um es sich endlich schenken zu lassen.

Klug beraten ist allerdings, wer sich bis zum Fest geduldet und mal so ganz nebenbei sagt

„Ach das da, das würde mir schon gefallen.“ Frauen haben dafür meistens ein Gespür. Und dann steht für sie fest:

„Ja, dieser Ring liegt unterm Weihnachtsbaum.“ Wie groß kann eine Enttäuschung sein, nur weil er im entscheidenden Moment gedanklich abwesend war? Vor dem Schmuckladen sollten Männer deshalb generell ihre Ohren spitzen. Allerdings: Das wird teuer. Auf keinen Fall sollte er ein Kunststoffimitat aus dem Ein-Euro-Shop besorgen. Dann würde ausgerechnet beim „Fest der Freude“ die Sucherei nach einer Neuen von vorn beginnen, keiner neuen Kette, einer neuen Liebsten. Mit diesen miesen Referenzen hat er allerdings schlechte Karten auf dem Markt. Wer möchte auf Dauer Single sein?

Frauen dagegen merken sich jede klitzekleine Regung, sie schnuppern es regelrecht. Und dann wundern sich die Männer, was der Weihnachtsmann unter den Baum legt. Im falschen Moment, vor einem Schaufenster, beim Zeitunglesen, bei der TVWerbung, so ganz beiläufig zu sagen „Hm, nicht schlecht!“, kann fatale Folgen haben.

Männer sind ein Problemfall - weihnachtstechnisch betrachtet. Die haben ganz spezielle Wünsche, damit überfordern sie jede Frau. Es ist hoffnungslos.

Frauen sind ein Problemfall - weihnachtstechnisch betrachtet. Die Männer kapieren selten, dass die Worte der Holden gerade ein potenzieller Weihnachtswunsch sind. Dass diese das Ende allen vergeblichen Grübelns bedeuten. Dass sie sich diesen Tipp einfach mal merken sollten. Schließlich brüten sie am 23. Dezember, was sie schenken könnten, rennen am Heiligen Abend schon früh morgens los, irgendeines dieser höllisch teuren Parfüms zu kaufen. Das ist dann garantiert das Falsche, aber der Name des Richtigen ist dem großen Vergessen anheimgefallen. Wenn man das Zeug iFüm, iPar, iMief, iDuft, iPipi, iKack oder iParfümAir nennen würde, dann könnte man sich das wenigstens merken, dann wüsste man, wo es das inkl. Zweijahresvertrag zu kaufen gibt. Alleine dieses „ei“ garantiert Qualität. Was für welche ist doch schnuppe! Und wenn es etwas mehr sein soll, für die Dame des Herzens, dann kaufen wir es iMer-weise.

* * *

Anastasia weiß, was sie will. Sie schickt ihrem Ben eine Nachricht mit der klaren Ansage:

„Schenk mir zu Weihnachten eine Espressomaschine, eine mit Strom und ohne diese teuren Pads.“ Peng! Das war es. Unten drunter gibt sie ihm den Tipp, die Mail gut zu archivieren und rechtzeitig loszuflitzen, solch ein Teil zu besorgen.

Das kapiert auch ein Mann, Ben sowieso. Meistens jedenfalls, manchmal. Benjamin ist pfiffig und total verliebt in seine Anastasia. Er wächst über sich hinaus und notiert noch das Wort „Kaffeepulver“. Sonst wird das eventuell eine Weihnachtskatastrophe, eine Kaffeemaschine ohne Kaffeepulver hat das Potenzial zu einer ausgewachsenen Beziehungskrise.

„Oder wünscht sie sich solch einen Apparat mit integrierter Kaffeemühle?“ Das wird teuer. Vielleicht schenkt er doch besser einen dunkelgrünen Bodenstaubsauger von dieser Firma, deren Vertreter vor ein paar Wochen so penetrant nach Dreck in seinem Wohnzimmer gesucht hat. Endlose zwei Sekunden später ist er fündig geworden. Ben hätte ihn am liebsten die ganze Wohnung putzen lassen. Als er andeutete, dass ihm die läppischen zweitausend Kröten deutlich zu viel seien und er im Baumarkt ein rosafarbiges Gerät für unter hundert Mäuse gesehen hätte, ist der maulend abgezogen. Aber nun hat Anna neue Prioritäten gesetzt. Zwei Minuten später schickt sie ihm ein Foto aus so einer Frauenzeitschrift, wie sie immer beim Frisör herumliegen. Jetzt kann er sich in Ruhe entscheiden: Kaffeemaschine in Edelstahllook oder rosa Staubsauger. Beides liegt in derselben Preiskategorie.

Nun hofft Ben, dass er Annas Wunsch nicht vergisst, dass er irgendwann, also rechtzeitig vor dem Fest, diesen harten Weg in den Laden einschlägt.

„Oder kann man solch ein Gerät im Internet bestellen? Bestimmt!“

Im letzten Jahr gab es eine echte Pleite zu Weihnachten. Anna hatte sich ein paar neue, wunderhübsche Anhänger für ihre hübschen Ohren und ein passendes Tuch obendrein gekauft. Dann hat sie es Benjamin in die Hand gedrückt.

„Falls dir nichts einfällt, was du mir schenken kannst, hier ist etwas, worüber ich mich riesig freuen würde. Ich habe auch schon vergessen, was du mir schenkst!“ Es war ein genialer Trick! So ein Geschenk kommt richtig von Herzen, von Anastasias Herz!

Zwei Tage vor dem Fest düste Ben dreimal durch alle Geschäfte der Stadt. Guter Rat war teuer.

„Was kann ich Anna nur schenken?“ Zuerst erstand er einen riesigen Pralinenkasten. Doch so richtig wohl war ihm dabei nicht, denn sicher werden die meisten Teilchen in seinem Bauch landen. Anna macht ständig eine Diät. Dann kaufte er zwei Musik-CDs. So genau kannte er ihren Geschmack noch nicht, schließlich lernten sie sich erst vier Monate zuvor kennen. Im Buchladen wollte er dann das Buch „Schminken von A bis Z“ erwerben. Ihm kamen Zweifel. Sie könnte das als Kritik auffassen.

„Frauen sind manchmal etwas komisch“, dachte er. Außerdem kann er es nicht leiden, wenn Anastasia eine dicke Schicht Schminke draufspachtelt.

„Du hast ja überhaupt keine Ahnung!“, sagt sie dann immer und kleistert eine zweite Lage, natürlich andersfarbig, drüber. Zum Glück passiert so etwas selten, höchstens, wenn sie mal ausgehen, einmal am Wochenende, manchmal auch am Mittwochabend. Das war das Stichwort: Ausgehen. Also fragte er an der Theaterkasse nach Karten. Das einzige Stück, das ihm gefallen könnte, hatte noch freie Plätze für eine Aprilvorstellung, in der drittletzten Reihe.

„Egal! Ich brauche ein Geschenk für meine Freundin!“

Erst über eine Stunde nach der Bescherung fragte Anna ganz schüchtern mit Tränen in den Augen nach ihren Ohrringen.

„Oh Gott! Ja, die Ohrringe! Die hat sie mir vor zwei Monaten gegeben… Wo habe ich die nur hingelegt?“ Nach zweistündiger Suche, er hatte alle Schrankfächer durchstöbert, die weihnachtliche Ordnung war völlig ruiniert, gestand er das Malheur ein. Anastasia war sauer, zu recht und die Weihnachtsstimmung war dahin. War es ein Versehen oder ihre Wut auf ihn, dass der Weihnachtsbraten am nächsten Tag verkohlte? Als Ben den etwas kräftigen Geschmack lobte, rannte sie heulend hinaus und war erst zum Abendessen, als ihre Mutter vor der Tür stand, wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Ben möchte nicht wissen, was die zwei Frauen beredet haben.

Dafür wurde es eine Woche später eine besonders schöne Silvesterparty. Ben überreichte seiner Liebsten, so ganz nebenbei, mit reumütigem Dackelblick und dickem Kuss ein kleines, hübsch verpacktes Schächtelchen. Das Geschenk lag genau dort, wo er es Tage zuvor dreimal vermutet hatte, nur eben unter seinen Socken, nicht oben drauf. Drei Stunden hat er gebraucht, den Schmuck samt buntem Tuch liebevoll einzupacken. Drei Rollen Klebeband sind dabei draufgegangen.

Noch ist Oktober, die Spätherbstsonne lässt alle Gedanken an Weihnachten dahinschmelzen. Dieses Jahr gibt es endlich wieder mal eine weiße Weihnacht - das steht fest, wie jedes Jahr. Trotzdem ist eine professionelle Vorbereitung unverzichtbar, selbst schon in dieser Jahreszeit!

* * *

Jetzt wird es langsam Zeit, den Weihnachtsschmuck aus der großen Kiste im Keller herauszukramen. Es gibt gerade Neues, spottbillig in den Angeboten aller Discounter. Die Nachbarin, die Kollegin und die doofe Zicke aus dem Sportverein, die immer prahlt, in den letzten zwei Wochen zweiunddreißig Gramm abgenommen zu haben, besorgten sich das auch. Nun rennt Anastasia in die Stadt und kehrt mit einem dreiviertel Zentner Weihnachtskitsch heim. Genaugenommen gefällt der ihr gar nicht, aber man muss mit der Zeit gehen, dem Trend folgen, die Außenseiterposition aufgeben.

Den Streit mit Ben wegen der unnötigen Geldverschwendung kontert sie gekonnt mit dem Hinweis darauf, dass sie dem schlechten Kaufindex der Deutschen ein wenig auf die Beine helfen wollte. Das Wirtschaftswachstum muss beflügelt werden!

„Du willst doch ein schönes Weihnachtsfest haben!“ Was soll er da noch sagen?

Die Entzugserscheinungen vom Weihnachtsmarkt wachsen jetzt gefährlich an. Es ist inzwischen so kalt, dass ein überteuerter, versüßter Punsch aus schlecht ausgewaschenen Bechern mit Weihnachtsmotiv die Blutzirkulation antreiben könnte. Und eine Pudelmütze ist auch längstmal wieder fällig! Die drei Exemplare vom letzten Jahr sind doch völlig unmodern. So kann Anastasia wirklich nicht mehr herumrennen! Neue Handschuhe benötigt sie ebenfalls, möglichst paarweise, am besten mit Ersatzhandschuh für jede Seite, falls mal einer verloren geht. Die haben eine sonderbare Vorstellung von Freiheit.

Für den Weihnachtsbaum ist es noch etwas zu früh. Aber einen Eintrag im Kalender ist er Ben allemal schon Wert. Nichts wäre peinlicher, als am 24. Dezember nachmittags auf Knien vor dem Weihnachtsbaumverkäufer herumzurutschen und ihn um die allerletzte Krücke anzuflehen. Besonders clevere Menschen beugen vor, haben im Januar den Baum vom letzten Jahr eingefroren.

„Ich sollte einen Speiseplan aufstellen“, beschließt Anastasia. Schließlich müssen die tausend Zutaten besorgt werden. Und wenn, wie im vergangenen Jahr, im Stollen keine Rosinen zu finden sind, gibt es Theater. Die Befragung von Ben ergibt klare Prioritäten.

„Ach, letztes Jahr hat es doch so gut geschmeckt.“

„Meint er das Menü, was seine Mutter am zweiten Weihnachtstag kredenzt hat? Mein Braten am Tag zuvor war farblich und vom Geschmack her eher deutlich zu schwarz geraten. Und am Grünkohl war etwas viel Salz. Vielleicht könnte er… Nein, das ist keine gute Idee. Außer Bauernfrühstück bringt er nichts zustande, Vanillepudding mit Müh und Not.“

* * *

Kleiner Tipp am Rande von einer unbekannten Expertin aus dem TV:

Lasst euch Zeit mit dem Besorgen der Geschenke. Am letzten verkaufsoffenen Sonntag vor Weihnachten, wenn alle in die Kaufhäuser drängen, macht das Einkaufen besonders viel Spaß! Es ist richtig schön kuschelig vor dem Ständer mit den scheinbar gesenkten Blusen. „SALE“ öffnet den Händlern alle Geldbörsen. Und der Schweißgeruch dieser Dicken neben dir, die nach Größe XXL sucht, duftet fast wie Bratapfel, nur deutlich strenger. Die weiblichen Nervenzellen laufen zur Höchstform auf! Sie fühlen sich, als wären sie im Wellnesshotel*******.

Männliche Ganglien, falls es noch welche gibt, sterben spontan und unwiederbringlich ab.

Bald nun ist Weihnachtszeit!

Meilensteine

Ende November

Weihnachtszeit

Ein Kerzlein leuchtet im Advent,

Erst ist es allein.

Bescheiden kommt die Zwei hinzu,

Die Drei mahnt, es eilt die Zeit.

Numero Vier, es ist so weit.

Wenn das fünfte Lichtlein brennt,

ist es längst nicht mehr Advent,

dann habt ihr Weihnachten verpennt!

Das wäre die Höchststrafe. Soweit darf es nicht kommen! Auf das Weihnachtsfest muss man sich langfristig, strategisch und professionell vorbereiten. Dann kann solch eine Katastrophe nicht passieren.

Als Erstes werden im Spätsommer die Regale im Supermarkt mit Pfefferkuchen gefüllt. Niemand kauft die Lebkuchen. Die Septembersonne lässt die Schokolade zu einem Klumpen verschmelzen. Alle befinden sich noch in sommerlicher Urlaubsstimmung. Aber wenigstens sorgen die verachtungsvollen Diskussionen über die vorweihnachtliche Supermarktaktion für Aufmerksamkeit. Ganz, ganz langsam trauen sich in der letzten Septemberwoche die ersten Unentwegten, eine Tüte Pfeffernüsse zu kaufen. Sie tun dies natürlich unheimlich heimlich. Niemand soll das mitbekommen. Im stillem Kämmerlein futtern, nein verschlingen sie die Beute. Käme das heraus, es wäre doch so peinlich: Die Kollegen und die Schulze aus Parterrewohnung erst einmal, Gertrud aus der Gymnastikgruppe und Erwin vom Vorstand des Taubenzüchtervereins! Nein, Erwin nicht, der besorgt sich im nachweihnachtlichen Abverkauf einen Vorrat, der bis zum Spätsommer reichen soll. Ostern beginnt er regelmäßig zu jammern, dass er einen Engpass hat. Wir wissen nicht, ob er die Reserven an Lebkuchen oder den Gürtel an der Hose meint.

Phase zwei der Einstimmung auf Weihnachten ist die festliche Dekoration der Schaufenster und Straßen. Das beginnt im Oktober und erreicht im November seinen Höhepunkt. Noch schaltet man die Lichter nicht ein. Doch rechtzeitiges Montieren beugt bösen Überraschungen, wie unbemerkt, unerlaubt durchgebrannten Glühbirnen vor. Es bleibt etwas Zeit zur Reparatur.

Spätestens Mitte November werden im tiefen Wald die dreißig Meter hohen, jahrhundertealten Weihnachtstannen mediengerecht erlegt und auf Großtransportern in die Städte gefahren. Ein Kran ist nötig, das Monstrum in seine Halterung zu hieven. Jetzt sieht man auch, dass auf halber Höhe ein fetter Ast fehlt. Da drüben ist einer schon total vertrocknet. Kennt sich die Natur mit symmetrischen Weihnachtsbäumen etwa nicht aus? Da muss der örtliche Schreiner ran. Er montiert zwei Ersatzzweige von der kürzlich im Stadtpark gefällten Eiche. Die tausendbirnige Beleuchtung samt der silbernen Riesenkugeln und rosaroten Plastikschleifen verdecken die reparierten Stellen.

Der Weihnachtsbaum auf dem leeren Weihnachtsmarkt läutet die nächste Phase ein. Die Fress- und Glühweinbuden werden in den Straßen und auf den Plätzen aufgebaut und geschmückt. Tagelang hört man überall in der Stadt ein reges Hämmern, Sägen