Hugo von Hofmannsthal
Jedermann.
Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes
Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929), eigentlich: Hugo Laurenz August Hofmann, Edler von Hofmannsthal, war ein österreichischer Schriftsteller, der ein umfangreiches Werk an Erzählungen, Aufsätzen, Dramen, Gedichten und Operntexten hinterlassen hat. In seine Lebenszeit fiel die Hochzeit, der Niedergang und die Auflösung der österreichisch-ungarischen Donaumonarchie. Sein bekanntestes Werk ist das Theaterstück „Jedermann“, das 1911 in Berlin uraufgeführt wurde.
Hofmannsthal genoss eine umfassende humanistische Schulbildung, studierte zunächst Jura und promovierte anschließend in Romanistik. Statt einer akademischen Karriere schlug er kurz nach der Jahrhundertwende die Laufbahn eines freien Schriftstellers ein.
1919 wurde Hofmannsthal zum ersten Mal für den Nobelpreis für Literatur vorgeschlagen. Drei weitere Nominierungen schlossen sich an, allerdings wurde ihm diese Auszeichnung nie verliehen. Hofmannsthal unternahm zahlreiche Reisen durch Europa, unter anderem nach Deutschland, Großbritannien, Polen, Skandinavien, Italien, Griechenland und in die Schweiz. Als Nachkomme konvertierter jüdischer Vorfahren war er häufig antisemitischer Kritik ausgesetzt. Nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich (1938), also fast zehn Jahre nach seinem Tod durch einen Schlaganfall im Jahr 1929, musste seine Familie emigrieren.
Abgesehen von seiner literarischen Produktion äußerte sich Hofmannsthal in Aufsätzen auch zu literaturtheoretischen Fragen. Dabei unterlagen seine poetologischen Überlegungen einem starken Wandel. So orientierte er sich bis 1900 am Ästhetizismus seines Freundes Stefan George, danach entwickelte er eine tiefe Skepsis, was die künstlerischen Möglichkeiten der Sprache betrifft („Chandos-Brief“). In späteren Überlegungen überwindet er diese Skepsis durch eine stärkere Hinwendung zu den ästhetischen Möglichkeiten des volkstümlichen Dramas. Ein zentrales Beispiel ist das Theaterspiel „Jedermann“.
Mammon:
Bald werden dir die Sinn vergehen
Und mich wirst nimmer wiedersehen.
War dir geliehen für irdische Täg
Und geh nit mit auf deinen Weg,
Geh nit, bleib hier, lass dich allein
Ganz bloß und nackt in Not und Pein.
Ist alls um nichts dein Handausrecken
Und hilft kein Knirschen und Zähneblecken,
Fährst in die Gruben nackt und bloß,
So wie du kamst aus Mutter Schoß.
Künstlerisches Vorbild für den „Jedermann“ von Hofmannsthal sind die volkstümlichen Mysterienspiele des Spätmittelalters, in denen vor allem das Verhältnis zwischen Gut und Böse bildhaft dargestellt wurde. Dabei kamen abstrakte Begriffe und Werte als Personen auf die Schauspielbühne. Diese Allegorien verkörperten zum Beispiel Tugenden und Laster, Tod, Teufel oder das Streben nach Reichtum. Die Handlung des Mysterienspiels ist also eine Allegorie der christlichen Welt, in der sich der Mensch, also jedermann, gegenüber Gott verantworten muss. Im Gegensatz zum früheren Nachspielen biblischer Geschichten oder Heiligenlegenden thematisierten diese Mysterienspiele allerdings existenzielle Grundfragen und können so gleichsam als Vorläufer des modernen Dramas angesehen werden.
Die konkrete Vorlage für den „Jedermann“ war ein englisches Mysterienspiel mit dem Titel „Everyman. A Morality Play“, das aus dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts stammt. Außerdem orientierte sich Hofmannsthal an diversen späteren Mysterienspielen, etwa an Hans Sachs' „Von dem sterbenden reichen Menschen, Hekastus genannt“ (1549) und dem Schulddrama „Hecastus“ (1539) von Georgius Macropedius. Dieser Jedermann-Stoff gelangte übrigens in Salzburg bereits 1632 auf die Bühne der dortigen Benediktineruniversität. Hier wurde das Theaterstück „Anastasius fortunae pila, terrae piaculum, orci monstrum – Anastasius, Spielball des Glücks, Opfer der Welt, Schaubild der Hölle“ aufgeführt, das der Benediktinerpater Thomas Weiss verfasst hatte.
In Hofmannsthals Stück wird der begüterte Jedermann in seiner Lebensmitte unerwartet mit dem Tod konfrontiert, der ihn vor den Richtstuhl Gottes führen soll. Auf diesem Weg will ihn niemand begleiten – weder sein treuer Diener noch sein Freund oder seine Verwandten noch sein Geld. Durch deren Weigerungen erkennt er, dass er sein bisheriges Leben auf ein vergängliches Fundament aufgebaut hat. Durch den Auftritt seiner „Werke“ und des „Glaubens“ erkennt er, wie sich sein Leben rechtfertigen lässt. Er bekennt sich zum Christentum und erfährt als reuiger Bekehrter die Erlösung.
Das Theaterstück benutzt die Versform, die Sprache besitzt eine mittelhochdeutsche Prägung. Vermutlich wollte Hofmannsthal, wie im praktisch zeitgleich geschaffenen „Rosenkavalier“ eine „imaginäre Sprache“ erzeugen, die die Gegenwart in der Vergangenheit künstlerisch sichtbar werden lässt. Auch das Bühnenbild der Uraufführung orientierte sich an der altenglischen Tradition.
Die erste Aufführung erfolgt 1911. Sie ist nicht sehr erfolgreich, die Reaktionen sind eher ablehnend. Vor allem die schlichte Antwort auf die Frage nach dem Sinngebung des Lebens „Sei ein guter Mensch und glaube an Gott!“ findet wenig Zustimmung und hinterlässt wenig künstlerische Wirkung bei Kritik und Zuschauern. Bis heute reichen die Reaktionen auf das Stück von begeisterter Zustimmung bis zur totalen Ablehnung. Diese Reaktionen verdeutlichen aber auch, wie sehr die Frage nach der moralische Rechtfertigung des menschlichen Lebens die Menschen in ihrem Innersten trifft.
Seine Premiere in Salzburg hatte „Jedermann“ im Jahr 1920. Noch heute wird das Stück alljährlich bei den Salzburger Festspielen aufgeführt, bei gutem Wetter vor dem Dom. Durch das städtebauliche Ensemble ergibt sich eine stimmungsvolle Verbindung von Mittelalter und Barockzeit, Kirche und alltäglichem Leben. Diese Wirkung wird seit 2013 noch durch einen Umzug verstärkt, der vom Festspielhaus aus zum Domplatz erfolgt und der jeder Aufführung vorausgeht.
Die deutschen Hausmärchen, pflegt man zu sagen, haben keinen Verfasser. Sie wurden von Mund zu Mund weitergetragen, bis am Ende langer Zeiten, als Gefahr war, sie könnten vergessen werden oder durch Abänderungen und Zutaten ihr wahres Gesicht verlieren, zwei Männer sie endgültig aufschrieben.
Als ein solches Märchen mag man auch die Geschichte von Jedermanns Ladung vor Gottes Richterstuhl ansehen. Man hat sie das Mittelalter hindurch an vielen Orten in vielen Fassungen erzählt; dann erzählte sie ein Engländer des fünfzehnten Jahrhunderts in der Weise, dass er die einzelnen Gestalten lebendig auf eine Bühne treten ließ, jeder die ihr gemäßen Reden in den Mund legte und so die ganze Erzählung unter die Gestalten aufteilte. Diesem folgte ein Niederländer, dann gelehrte Deutsche, die sich der lateinischen oder der griechischen Sprache zu dem gleichen Werk bedienten. Ihrer einem schrieb Hans Sachs seine Komödie vom sterbenden reichen Mann nach.
Alle diese Aufschreibungen stehen nicht in jenem Besitz, den man als den lebendigen des deutschen Volkes bezeichnen kann, sondern sie treiben im toten Wasser des gelehrten Besitzstandes. Darum wurde hier versucht, dieses allen Zeiten gehörige und allgemeingültige Märchen abermals in Bescheidenheit aufzuzeichnen. Vielleicht geschieht es zum letzten Mal, vielleicht muss es später durch den Zugehörigen einer künftigen Zeit noch einmal geschehen.
Dramatis Personae
Gott der Herr
Erzengel Michael
Tod
Teufel
Jedermann
Jedermanns Mutter
Jedermanns guter Gesell
Der Hausvogt
Der Koch
Ein armer Nachbar
Ein Schuldknecht
Des Schuldknechts Weib
Buhlschaft
Dicker Vetter
Dünner Vetter
Etliche junge Fräulein
Etliche von Jedermanns Tischgesellen
Büttel
Knechte
Spielleute
Buben
Mammon
Werke
Glaube
Mönch
Engel
SPIELANSAGER tritt vor und sagt das Spiel an.
Jetzt habet allsamt Achtung, Leut!
Und hört was wir vorstellen heut!
Ist als ein geistlich Spiel bewandt,
Vorladung Jedermanns ist es zubenannt.
Darin euch wird gewiesen werden,
Wie unsere Tag und Werk auf Erden
Vergänglich sind und hinfällig gar.
Der Hergang ist recht schön und klar,
der Stoff ist kostbar von dem Spiel,
Dahinter aber liegt noch viel,
Das müsst ihr zu Gemüt führen
Und aus dem Inhalt die Lehr ausspüren.
GOTT DER HERR wird sichtbar auf seinem Thron und spricht.
Fürwahr mag länger das nit ertragen,
Dass alle Kreatur gegen mich
Ihr Herz verhärtet böslich,
Dass sie ohn einige Furcht vor mir
Schmählicher hinleben als das Getier.
Des geistlichen Auges sind sie erblindt,
In Sünd ersoffen, das ist was sie sind,
Und kennen mich nit für ihren Gott,
Ihr Trachten geht auf irdisch Gut allein,
Und was darüber, das ist ihr Spott,
Und wie ich sie mir anschau zur Stund,
So han sie rein vergessen den Bund,
Den ich mit ihnen aufgericht hab,
Da ich am Holz mein Blut hingab.
Auf dass sie sollten das Leben erlangen,
Bin ich am Marterholz gehangen.
Hab ihnen die Dörn aus dem Fuß getan
Und auf meinem Haupt sie getragen als Kron.
So viel ich vermocht, hab ich vollbracht,
Und nun wird meiner schlecht geacht.