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Umschlagbild: „Allvater“. Zeichnung von Prof. Ludwig Fahrenkrog 1920.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2015 Baron Árpád von Nahodyl Neményi

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7386-9981-4

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Bibel ist noch heute das verbreitetste und am häufigsten übersetzte Buch der Welt; für zahlreiche Kirchen und Religionsgemeinschaften ist die Bibel ganz oder teilweise Grundlage ihres Glaubens.

Die Religionen, die sich u. a. auf die Bibel berufen, sind die ursprünglich aus dem Orient stammenden Eingottreligionen Christentum, Judentum und Islam. Insbesondere das Christentum hat sich in den letzten 2000 Jahren über den orientalischen Raum hinaus ausgebreitet und die bei den neu hinzugewonnenen Völkern zuvor herrschenden heidnischen Mythen und Glaubensvorstellungen verdrängt. Auch der Islam breitet sich immer weiter aus, während das Judentum in den in vielen Ländern bestehenden jüdischen Gemeinden praktiziert wird.

Für das Christentum bilden die ganze Bibel, also das Alte und Neue Testament, aber auch andere Schriften der Kirchenväter Grundlage des Glaubens. Der Islam hat als Hauptschrift den Koran, er anerkennt aber auch viele Teile des Alten Testamentes und sieht selbst in Jesus einen Abgesandten oder Propheten, nicht aber einen Gottessohn. Das Judentum erkennt nur das Alte Testament an und verwendet daneben die mündliche Überlieferung, die in den Büchern des Talmud niedergelegt ist.

Ich will in dieser Zusammenstellung aufzeigen, daß die heidnischen Mythen und die biblischen Überlieferungen gar nicht so weit auseinanderstehen, wie man gemeinhin annimmt, vielmehr finden sich interessante Gemeinsamkeiten die zeigen, daß gegenseitige Einflüsse vorhanden sind. Hinter vielen Erzählungen der Bibel stehen archaische Mythen heidnischer Kulturen, die noch häufig deutlich durchscheinen. Insbesondere die große, indogermanische Kultur mit den Zentren Indien, Griechenland, Rom und Germanien hinterließ ihre Spuren in den Bibelgeschichten. Viele bisher unklare Bibelstellen werden bei Heranziehung dieser Mythologien erst voll verständlich und deutbar und lassen vieles in einem anderen Lichte erscheinen.

Während die christliche Theologie früherer Jahrhunderte mythische Sichtweisen durchaus in ihre Deutungen einbezog, finden wir heute hauptsächlich einen Buchstabenglauben vor. Man geht davon aus, daß sich alles in der Bibel erzählte auch genauso tatsächlich ereignet hat und sucht z. B. mithilfe der Archäologie dafür Beweise. Auch Bibelstellen, die ganz eindeutig mythisch zu verstehen sind und auch immer so verstanden wurden, werden heute zuersteinmal wortwörtlich gedeutet. Alttestamentarische Personen wie z. B. Adam, Abraham oder Noah werden nach dieser Herangehensweise als rein geschichtliche Figuren aufgefaßt die tatsächlich gelebt hatten, Archäologen versuchen, Spuren dieser Personen zu entdecken, wie etwa die diversen Versuche, Reste der Arche Noah finden zu wollen, zeigen. Für mythische Deutungen, bei denen z. B. hinter dem biblischen Noah ein ursprünglicher Mondgott erkannt wird, läßt diese Form der Bibelexegese (Bibelauslegung) keinen Platz.

Wenn ich nun versuche, die Spuren, die die heidnischen Mythologien auch in der Bibelüberlieferung hinterlassen haben, herauszufinden und aufzuzeigen, dann will ich damit weder die Bibel als Glaubensquelle entthronen, noch ihre Erzählungen als unwahr hinstellen. Es geht mir vielmehr darum, in eine andere Dimension der Deutung und Entschlüsselung vorzudringen, die allen, die sich mit diesen Texten befassen, neue Erkenntnisse und neue Wahrheiten vermittelt. Für viele Menschen sind die vor etwa 2500 Jahren und später entstandenen Bibelbücher lediglich Geschichtsquellen, die vom Leben und Glauben der darin behandelten Völker berichten. Wenn nun aber die mythologischen Verbindungen erkannt werden, werden diese Bücher auch als mythische Texte, die eine immerwährende Gültigkeit besitzen, verständlich. Mythen sind ja bekanntlich auch Bilder für Vorgänge in der Natur, die tagtäglich noch bis heute geschehen. Um beim Beispiel Noah zu bleiben: Wenn es sich bei Noah ursprünglich um einen Mondgott gehandelt hat, dann ist dieser Mondgott mit seiner Arche noch heute am Himmel (als Mond) zu sehen, und der Noah-Mythos wird aus seinem geschichtlichen Dornröschenschlaf in unsere moderne Zeit geholt.

Aus einzelnen angeführten Beispielen ergibt sich auch, daß die Schreiber der Bibelbücher selbst eine derartige mythische Sichtweise hatten. Vor 2500 Jahren kannten sie heidnische Mythen noch genau und verwendeten diese Bilder daher ganz bewußt und absichtlich in ihren Schriften.

Ein besonderes Gewicht haben dabei auch die wichtigen Wesenheiten der Bibel, Gott, Christus, Maria, die Erzengel, die Apostel, der heilige Geist und der Satan, denen ich mehrere Kapitel gewidmet habe. Auch auf die Heiligen gehe ich ein, obgleich die meisten von ihnen nicht biblisch sind. Aber gerade in der volkstümlichen Verehrung der Heiligen haben sich viele heidnische Glaubensinhalte noch bis heute erhalten.

Dort, wo es sinnvoll erscheint, habe ich auch die Apokryphen, also biblische Bücher, die heute nicht mehr in den Bibelausgaben enthalten sind, mit angeführt. Ein eigenes Kapitel stellt einige der wichtigsten Apokryphen kurz vor.

Damit kommen wir auch gleich zu der Frage, welche Bibelübersetzungen man verwenden sollte. Man muß leider feststellen, daß sowohl ältere wie jüngere Bibelübersetzungen Unstimmigkeiten enthalten. Ein Beispiel soll dies zeigen. Im II. Regum 12, 31 heißt es in der alten Lutherübersetzung:

>Aber das Volk drinnen führte er heraus, und legte sie unter eiserne Sägen und Zacken und eiserne Keile, und verbrannte sie in Ziegelöfen. So tat er allen Städten der Kinder Ammon. Da kehrte David und alles Volk wieder gen Jerusalem<.

Aus den Kriegsverbrechen Davids wurde dann in einer revidierten Textfassung von 1975:

>Aber das Volk darin führte er heraus und stellte sie als Fronarbeiter an die Sägen, die eisernen Pickel und an die eisernen Äxte und ließ sie an den Ziegelöfen arbeiten. So tat er mit allen Städten der Ammoniter. Danach kehrten David und das ganze Kriegsvolk nach Jerusalem zurück<.

Daß hier aber kein Frondienst gemeint sein kann, ergibt sich daraus, daß David mit allen Kriegern wieder abzog, so daß er nicht dafür sorgen konnte, daß die Fronarbeiter nach seinem Abzug auch weiterhin Frondienste leisteten.

Leider wurden und werden Bibelübersetzungen bis heute eben nicht von unabhängigen Wissenschaftlern hergestellt, sondern von Theologen und Mitgliedern der verschiedenen Kirchen und Religionsgemeinschaften. Diese fürchten um ihre Glaubwürdigkeit und sind daher meist nicht bereit, alte Übersetzungsfehler zu korrigieren. Auch fehlt die nötige Kenntnis der vorchristlichen Mythen, ohne die viele Bibelstellen nicht in ihrer ursprünglichen Bedeutung verstanden werden können. Dazu kommen theologische Vorgaben, die die Übersetzer und ihre Auftraggeber auch in den Bibelbüchern wiederfinden wollen.

Ich habe die Bibelzitate aus der alten Lutherübersetzung1 genommen. Diese ist nicht besser oder schlechter, als neue Übersetzungen, aber sie ist weit verbreitet und gilt als die erste deutsche Übersetzung. Auch Luther machte natürlich Fehler, ihm ging es aber darum, den Text möglichst wortgetreu zu übertragen und er war dabei nicht bereit, sich den Vorgaben seiner Kirche zu beugen und den Text dafür zu verfälschen. Da Luther, und fast alle modernen Bibelübersetzungen, nicht die Gottesnamen des Originals verwenden, habe ich diese nach dem hebräischen Original selbständig hinzugesetzt.

Wenn ich speziell auch germanische Gottheiten und Mythen mit den biblischen Geschichten vergleiche, dann deshalb, weil diese Mythen das Empfinden von uns Mitteleuropäern am besten wiedergeben. Ich gehe von indogermanischen oder älteren Vorstellungen aus, die auch im indischen, iranischen, griechisch-römischen und germanischen Raume vorhanden waren. Im Zuge der engen kulturellen Berührung Israels mit Persien – Palästina war über 200 Jahre lang ein Teil des Persischen Großreiches – sind diese indogermanischen Mythen auch Bestandteil der jüdischen und später christlichen Religion geworden und so auch in die Bibel gelangt.

Die Gemeinsamkeiten zwischen biblischen und germanischen Mythen ergeben sich also aus einer gemeinsamen indogermanischen Quelle. Die germanische Mythologie hat dabei den Vorteil, daß ihre Mythen sehr geschlossen in der „Edda“ genannten Sammlung von nordischen Götter- und Heldenliedern enthalten sind.

Die Edda2 unterteilt man in eine ältere und jüngere, die ältere Edda wurde um 1087 u. Zt. in Island aufgeschrieben. In der Edda ist diejenige Religion überliefert, die unsere heidnischen Vorfahren vor der gewaltsamen Einführung des Christentums praktiziert hatten. Es ist also diejenige „heilige Schrift“, die unsere eigene Kultur hervorgebracht hat, während die Bibel eben zuerst eine religiöse heilige Schrift des vorderen Orients ist.

Der erste Impuls zur Abfassung dieses Buches ist übrigens den regelmäßigen Besuchen von Vertretern der Glaubensgemeinschaft „Jehovas Zeugen“ bei mir zu verdanken. Die Argumente, die ich für die interessanten Diskussionen mit den „Zeugen“ heraussuchen mußte, führten zu dem Wunsche, diese auch gesammelt als Buch größeren Kreisen zugänglich zu machen. Dabei kam mir zur Hilfe, daß mein Vater ein katholischer Theologe ist, den ich zu vielen Einzelheiten fragen konnte.

Möge denn mein Buch, das in seinen Grundzügen schon 1997 fertiggestellt war und seitdem von mir stetig ergänzt und verbessert wurde, zeigen, wie alt viele der heidnischen Mythen sind und in welchem Gewande sie in der Bibel weiterleben. Und möge mein Buch zum tieferen Verständnis der Herkunft und Bedeutung vieler biblischer Glaubensinhalte helfen und zur regen Diskussion darüber beitragen, auf daß sich Heiden und Christen inhaltlich näher kommen.

Bad Belzig 2015

1.

Gott

In den biblischen Büchern finden wir nicht einen alleinherrschenden himmlischen Allgott, sondern ganz verschiedene Gottheiten mit unterschiedlichen Eigennamen, die aber heute von den Theologen als eine einzige Gottheit betrachtet werden. Dies ist eine Interpretation, die den ursprünglichen Texten nicht entspricht.

Deus, Theos.

In den lateinischen Bibelhandschriften, z. B. der Itala und Vulgata (Ende des 4. Jh.) findet sich häufig die Bezeichnung lat. „Deus“ („Gott“), in den griechischen Handschriften steht stattdessen griech. „Theos“ („Gott“).

Die ältesten griechischen Bibelhandschriften sind übrigens der Vaticanus (4. Jh.), der Alexandrinus (2. Hälfte des 5. Jh.), der Sinaiticus (4. Jh.), der Codex Ephraemi rescriptus (Anfang des 6. Jh.) und der Codex Bezae Cantabriegiensis (6. Jh.).

Die Gottesnamen „Theos“ bzw. „Deus“ sind etymologisch urverwandt mit dem heidnischen griechischen Gottesnamen Zeus, römisch Jupiter (eigentlich: Ziu-Piter, „Zeus-Vater“), germanisch Zius, Tius oder Tiu, nordisch Týr und gehen zurück auf den indogermanischen Himmelsgott Dyaush (Himmel) und das indogerm. Wort *deiwos (Leuchten)3.

Bei den Balten heißt dieser heidnische Gott „Dievs“ (lettisch), „Dievas“ (litauisch) oder „Deices“ (preußisch). Dievs wird als junger Mann dargestellt, der in prächtige silberne Gewänder aus Seide gekleidet ist und ein leuchtendes oder grünes Schwert trägt. Er wohnt in einem Hof auf einem hohen Berge im Himmel. Er fährt mit einem goldenen oder silbernen, von zwei Rossen gezogenen Wagen auf die Erde um dem Land Fruchtbarkeit zu bringen. Dievs hat mehrere Söhne, die um die Sonnentöchter freien und gilt auch als Vater der Schicksalsgöttin Laima. Der Name des Gottes ist bei den Balten aber zugleich auch Bezeichnung für den christlichen Gott, d. h. man kann nur anhand der Beschreibung des Gottes erkennen, ob der christliche oder der heidnische Dievs gemeint ist. Bei Dievs als Vater des Jesus handelt es sich um christliche (biblische) Vorstellungen, bei Dievs als Vater der Dievssöhne aber um den heidnischen Himmelsgott.

Bei den Nordgermanen heißt dieser Gott Týr, bei den Südgermanen Tius. Nach Tius ist auch der zweite Wochentag, Dienstag (eigentlich „Tiustag“ oder „Tingstag“, „Tius Tag“ oder „Tag der Volksversammlung“) benannt. Tius ist Gott des Krieges, des Mutes und der Tapferkeit und ist ein Sohn Wodans, er wird üblicherweise dem römischen Gott Mars gleichgesetzt. Tius ist auch Gott der Volksversammlung (das „Ting“ oder „Thing“), vielleicht ist von seinem Namen auch der Begriff „diot“ (= Volk, vgl. „deutsch“) abgeleitet.

Der Unterschied zwischen den Namen Deus/Theos und Dyaush (später: Zeus) liegt darin, daß diese Namen, obwohl sie von Dyaush abgeleitet sind, schon meist neutral für Gottheiten allgemein verwendet werden, so daß auch z. B. der Gott Jachveh damit bezeichnet sein kann. Es fand also eine Begriffserweiterung statt, indem nun der Name des Dyaush (Zeus) auch auf andere Gottheiten ausgedehnt wurde. Als der syrische König Antiochus IV. Epiphanes den jerusalemer Kult hellenisieren wollte, errichtete er im Jahre 168 v. u. Zt. auf dem Tempelplatz des Jerusalemer Tempels einen Altar für den „Zeus Olympikos“ (Zeus als Herrscher des Olymps) und widmete den ganzen Tempel dem Zeus. Dieser Tempel war ursprünglich für Jachveh errichtet.

Auch bei den Germanen wurde der Name des Gottes Tius bzw. Týr gebraucht, um andere Gottheiten zu bezeichnen. In den Skáldskaparmál Kap. 1 der Jüngeren Edda4 wird dies erläutert:

>Das Dritte ist Umschreibung, und die besteht darin, daß wir z. B. „Ódinn“ sagen, „Thórr“ oder „Týr“ oder überhaupt irgendeinen Asen oder Alfen nennen und zu dem Genannten einen Begriff hinzufügen, welcher zu dem Eigentum eines andern Asen gehört oder eine Tat eines solchen ausdrückt. Dann ist dieser bezeichnet und nicht jener, dessen Name gewählt wird. Zum Beispiel sagen wir „Sieg-Týr“ oder „Hanga-Týr“ oder „Farma-Týr“, das sind Ódinsnamen, und zwar umschriebene Namen, ebenso „Wagen-Týr“.<

Wagen-Týr ist ein Name für den Gott Donar. Aber auch in der Mehrzahl wurde der Begriff verwendet, das altnordische „tívar“ ist von „Týr“ abgeleitet und bezeichnet allgemein die Götter.

In der lateinischen und griechischen Bibel finden wir häufig die Bezeichnung lat. Dominus oder griech. Kýrios („Herr“). Dies ist aber kein Name, sondern ein Anredetitel für verschiedene Gottheiten, z. B. für Jachveh, El, oder auch für Jesus.

Gott.

Der Begriff „Gott“ findet sich in deutschen Bibelübersetzungen, in englischen oder skandinavischen Bibeln steht „God“ oder „Gud“. Diese Bezeichnung ist rein germanisch und hat keinerlei Verbindungen zu indogermanischen Wörtern. Auch mit unserem deutschen Wort „gut“ hat „Gott“ nichts zu tun. Der Forscher Jan de Vries schreibt in seiner „Altgermanischen Religionsgeschichte“5:

>Das allgemeingermanische Wort Gott ist ein Neutrum. Der ursprüngliche Begriffsinhalt kann nur durch etymologische Spekulation bestimmt werden, und die Beschränkung des Wortes auf das germanische Sprachgebiet macht es auch zweifelhaft, ob wir es aus dem indogermanischen Sprachmaterial erklären dürfen. Ursprünglich wurde es eigentlich nur als Pluralis gebraucht und bedeutet „die göttlichen Mächte“. Das Alter dieser Bezeichnung wird durch das Wort für Priester erwiesen: gotisch gudja und altnordisch gódi; daraus geht aber auch hervor, daß gutha das allgemeine Wort für „Gottheit“ war ... Das Wort ist später in die christliche Terminologie übergegangen. Dabei ist es männlich geworden<.

Auch ein anderer Forscher, Richard M. Meyer verfaßte ein Werk mit dem Titel „Altgermanische Religionsgeschichte“ (1909). Er stellte darin fest6:

>Es gibt kein indogermanisches Wort für „Gott“<.

Dennoch wurde häufig versucht, ein indogermanisches Urwort zu finden. Angeführt wurde ein vermutetes Wort *ghuto-m der Verbalwurzel *ghau (= mit Zauberwort anrufen), *gheu, gotisch giutan (= Guß, Trankopfer ausgießen)7 oder *hu (= opfern)8. Diese Spekulationen würden sich aber klar auf heidnische Gottheiten beziehen.

Das vermutete germanische Wort *guda mit sächlichem Geschlecht ist Gattungsbegriff für männliche und weibliche Gottheiten. Aber welche Bedeutung hatte das Wort, bevor es zu einer allgemeinen Bezeichnung für Gottheiten wurde? Genau wie die Bezeichnungen „Deus“ bzw. „Theos“ allgemein „Gottheit“ bedeuten, aber von dem Eigennamen einer ganz bestimmten Gottheit Dyaush (Zeus) abgeleitet sind, und genau wie das nordische „tívar“ Götter bezeichnet, aber vom Eigennamen eines einzelnen Gottes (Tius) stammt, so war es auch mit dem Terminus „Gott“. Diese Bezeichnung wurde vom Eigennamen des Gottes Wodan (nordisch: Ódinn) abgeleitet. Die Erklärung dazu liefert uns der Chronist Paulus diaconus (Paul der Diakon) in der von ihm nach 774 in lateinisch verfaßten „Gesta Langobardorum“ (Geschichte der Langobarden)9:

>Wotan aber, den sie mit Beifügung eines Buchstabens Guodan nannten, ist der nämliche Gott, der bei den Römern Mercurius heißt, und von allen Völkern Germaniens als Gott verehrt wird<.

In der Handschrift finden sich die Schreibweisen „Guodan“ bzw. „Gvodan“ und „Gotan“. Durch Verkürzung wurde daraus „Guod“ und „Got“, was der alt- und mittelhochdeutschen Schreibweise des Wortes „Gott“ entspricht.

Nach der Christianisierung wurde dieser ursprüngliche Eigenname Wodans im gesamten germanischen Sprachbereich als Bezeichnung des höchsten Gottes verwendet, nun allerdings sah man nicht mehr Wodan, sondern Jachveh als höchsten Gott an, behielt aber den alten Wodansnamen bei. Man ging also ähnlich vor, wie beim baltischen Gott Dievs. Auch andere Wörter und Begriffe, die den Namen Wodans enthielten, veränderten sich entsprechend, z. B. einige der vielen Orts- und Flurnamen, die auf Kultorte des Gottes hinwiesen. So hieß der heutige „Godesberg“ (Gottesberg) bei Bonn nachweisbar früher „Wodes-“ oder „Wodansberg“ und war ein Wodans-Heiligtum, der „Gudensberg“ in Hessen wurde in Urkunden von 1209 und 1226 noch „Wotensberg“ und „Wuodensberg“ genannt10, auf dem später „Gottesberg“ genannten Hügel in Berlin-Reinickendorf wurden zahlreiche Urnengräber der Bronzezeit gefunden, so daß auch hier angenommen werden kann, daß der Berg einst dem ursprünglichen Totengott Wodan geweiht war11.

Abb. 1: Darstellung des Gottes Ódinn (Wodan) mit seinen beiden Raben und Sonnensymbol. Aus einer Handschrift der Jüngeren Edda von 1760, die auf eine verlorene Vorlage von 1665 zurückgeht, die selbst wiederum eine Abschrift der Originalhandschrift (13. Jh.) war.

Der Terminus „Gott“ wandelte sich also von einer Bezeichnung für eine einzelne Gottheit (Wodan) zu einem Gattungsbegriff für verschiedene, männliche und weibliche heidnische Gottheiten, schließlich wurde daraus - meist ohne Artikel gebraucht - eine Bezeichnung des biblischen Gottes Jachveh. Mit Artikel versehen oder unter Anfügung des individuellen Namens wird der Begriff Gott bis heute auch weiterhin für heidnische Gottheiten gebraucht.

Abb. 2: Das Auge Gottes, Wodans, und das Horusauge.

Wenn wir uns nun die Darstellungen des christlichen Gottes ansehen, dann finden wir oft einen alten Mann mit dreieckigem Heiligenschein (siehe Abbildung 5) als Symbol der Dreieinigkeit. Aber wir finden auch ein Dreieck mit einem Auge darinnen und Strahlen (Abb. 2 links). Die Einäugigkeit des biblischen Gottes geht wiederum auf heidnische Vorstellungen zurück, denn in der Bibel selbst wird Jachveh nicht einäugig dargestellt. So lautet etwa Proverbia 15, 3:

>Die Augen des Herrn (Jachvehs) schauen an allen Orten, beide, die Bösen und Frommen<.

Bei den Ägyptern wurde der Gott Horus (= der oben Befindliche, der Ferne) als Lichtgott Harachte (= Horus vom Horizont) verehrt, seine beiden Augen bilden Sonne und Mond. Horus ist Sohn von Osiris und Isis; als es zum Kampf mit dem Mörder seines Vaters, Seth, kommt, reißt dieser dem Horus ein Auge heraus. Das verbliebene Horusauge (Abb. 2 rechts) symbolisiert die Sonne.

In der germanischen Mythologie ist der Gott Wodan einäugig, in der Symbolik wird er auch mit einem Auge in einem Strahlenkranz dargestellt (Abb. 2 Mitte). In der Gylf. 15 der Jüngeren Edda heißt es:

>Einst kam Allvater dahin [zum Weisheitsbrunnen] und verlangte einen Trunk aus dem Brunnen, erhielt ihn aber nicht eher, bis er sein Auge zum Pfand setzte<.

Wodan ist Sturm- und Totengott, aber auch Sonnen- und Himmelsgott, sein Auge symbolisiert − wie bei Horus − die Sonne; in der germanischen Ikonographie wird Wodan oft mit einer Sonne dargestellt (siehe Abbildung 1 Seite 19).

Auch das Auge Gottes im strahlenumgebenen Dreieck soll die Sonne symbolisieren, das Dreieck bedeutet dabei die Dreieinigkeit (Abb. 2). Gleichzeitig symbolisiert das „allsehende Auge“ die Einheit dieses „einzigen“ Gottes. Auch Wodan-Ódinn wird der „Erste“ (Grm. 44) oder „der Einzige“ genannt; so bedeutet „odin“ im russischen noch heute die Zahl „Eins“. Ein einzelnes Auge als Symbol wurde schon von den alten Ägyptern zur Darstellung des Osiris gebraucht.

El, Eloah, Ilah.

In den Originalen der Bibel finden wir weitere heidnische Götternamen, die in deutschen Ausgaben nur mit „Gott“ übersetzt und auf den Gott Jachveh bezogen werden. Als Jakob sich in Sichem ansiedelte, errichtete er auch einen Altar für den Gott El (Genesis 33, 20):

>Und richtete daselbst einen Altar zu, und rief an den Namen des starken Gottes (El) Israels<.

In Genesis 49 ist der Jakobssegen enthalten, in dem es heißt (Genesis 49, 25):

>Von deines Vaters Gott ist dir geholfen, und von dem Allmächtigen (El) bist du gesegnet mit Segen oben vom Himmel herab, mit Segen von der Tiefe, die unten liegt, mit Segen der Brüste und des Mutterleibs<.

In dieser Stelle erweist noch der Bezug zur Erdgöttin („Tiefe“) und zu den „Brüsten des Mutterleibs“ ihre Herkunft aus dem heidnischen Mythos. Auch in Genesis 46, 3 und anderen Stellen steht im Original der Bibel der Gott El. Mit einem Beinamen finden wir den Gott El z. B. in Genesis 14, 18ff:

>Aber Melchisedek, der König von Salem, trug Brot und Wein hervor. Und er war ein Priester Gottes des Höchsten (El eljón). Und segnete ihn und sprach: Gesegnet seist du, Abram, dem höchsten Gott (El eljón), der Himmel und Erde geschaffen hat<

„El eljón“ bedeutet „allerhöchster El“, als „El ólám“ („ewiger, seit alten Zeiten bestehender El“) erscheint der Gott z. B. in Genesis 21, 33, „El rachamim“ ist der „barmherzige El“, als „El von Bethel“ („Bethel“, eigentlich „beth-El“ bedeutet „Haus/Heiligtum des El“), finden wir ihn z. B. in Genesis 31, 13 und 37, 7. Jakob errichtete dem Gott El dieses Heiligtum, wie Genesis 28, 18f und 22 belegt:

>Und Jakob stund des Morgens frühe auf, und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Mal, und goß Öl oben drauf, und hieß die Stätte Beth-El; vorhin aber hieß die Stadt Lus. Und Jakob tat ein Gelübde, und sprach: (...) Und dieser Stein, den ich aufgerichtet habe zu einem Mal, soll ein Gotteshaus (Haus des El) werden; und alles was du mir gibst, des will ich dir den Zehnten geben<.

Auch in biblischen Eigennamen, z. B. „Micha-el“ („Wer ist wie El?“), „Gabri-el“ („Stärke Els“) usw.12 steckt der Name des Gottes El. In deutschen Bibelübersetzungen wird dieser Name fälschlich mit „Gott“ übertragen und damit wird der Unterschied zum Gott Jachveh verwischt.

Abb. 3 Der Gott El.

El (siehe Abb. 3), der Name bedeutet „Starker, Mächtiger, Erster, Oberhaupt“, ist ein syrisch-phönicischer Fruchtbarkeitsgott, Vater der Götter Baal, Mot und der Anath, Gemahl der Atirat und der Ashera (die danach selbst „Elat“, „Frau Els“ oder „Elat-Jahu“, d. i. „Frau Els, erhabene Taube“ heißt), Vater der 70 Söhne der Ashera. El ist Vater der Menschen und Schöpfer der Erde, er ist ein idealer Herrscher, weise, gütig und duldsam, der niemals Ärger zeigt, sondern nur Freude oder Trauer. Damit unterscheidet er sich klar vom Gott Jachveh, der häufig zornig ist. El ist König der Götter, sitzt der Götterversammlung vor und muß zu allen wichtigen Angelegenheiten der Götter seine Zustimmung geben. Als Zwillingssöhne des El erscheinen Shahar („Morgendämmerung“, der Morgenstern) und Shalim („Abenddämmerung“, der Abendstern). Die Verehrung des Gottes des Abendsternes, Shalim, fand besonders in Jerusalem statt; diese Stadt, hebräisch „Jerushalajim“, ursprünglich „Urusalim“, ist nach Shalim benannt. Man sieht auch hinter den Namen der Söhne Davids, Shelomo (Salomon) und Abschalom, den Namen des Gottes Shalim (= der Friedensreiche). Damit verwandt ist der Gruß „Salam“ oder „Schalom“ (Frieden). El wird als Greis und König dargestellt, sein Attribut ist der Stier. Nach dem Verlust seiner Zeugungskraft im hohen Alter nimmt sein Sohn Baal (nach anderen Quellen ist Baal sein Bruder) seine Stelle ein. Schon in den Mythen von Ugarit kommt der Gott El als „'L“ vor, bei den Akkadern heißt er „Ilu“, bei den Arabern „'Ilah“, in Südarabien „'Il“.

Allah.

Den Namen „Ilah“ für „El“ haben die Araber auch beibehalten, als sie islamisch wurden, allerdings wurde der Eigenname schon in der heidnischen Zeit zum allgemeinen Gattungsbegriff „Gott“ (wie etwa „Deus“ oder „Gott“, s. o.) und in dieser Bedeutung für andere heidnische Götter gebraucht, z. B. den Gott Hubel, dem das Heiligtum der Kaaba geweiht ist, in dessen 360 Bögen des Umganges übrigens 360 Götterbilder standen, die die Tierkreisgrade symbolisierten. Der Koran kennt noch einige dieser heidnischen arabischen Götter, z. B. (Sure 71, 23f)13:

>Und sprachen: „Verlasset nicht eure Götter und verlasset nicht Wadd und Suwa. Und nicht Yagut und Yauq und Nasr“<.

Jede größere Stadt hatte dabei ihren Lokal- oder Schutzgott, der aus Ehrfurcht immer nur mit „der Gott“ (al ilah), ohne Nennung des eigentlichen Namens, angeredet wurde. Erst durch Mohammed, der die zerstrittenen Kulte und Stämme aus politischen Gründen einigen wollte, wurde quasi per Definition aus den verschiedenen lokalen „ilahs“ (Göttern) der eine, „al-ilah“ (Allah, Gott). So nannten die heidnischen Araber den Gott El auch „al-ilah Taala“, im Gegensatz zu „al Glahat“, den untergeordneten Göttern.

Die Eingottvorstellung des Islam beruht also nicht auf Offenbarung, sondern auf einem politisch gewollten theologischen Konstrukt. Mohammeds Gegner konnten darum fragen (Koran, Sure 38, 4)14:

>Macht er [Mohammed] etwa die Götter zu einem Gott? Siehe, dies ist wahrlich ein wunderbarlich Ding. Und ihre Häupter gingen hinfort: „Geht und haltet fest an euren Göttern; siehe, das ist ein Ding, das bezweckt ist“<.

In der Vorstellung des Allah lebt also der alte Gott El weiter, allerdings übernahm er auch Kulte und Funktionen anderer, ursprünglich von ihm unabhängiger Gottheiten, da Mohammed auch christliche Texte vorlagen, die mit in seinen Koran eingeflossen sind. Diese Vielfalt kommt heute z. B. dadurch zum Ausdruck, daß es im Koran 99 sogenannte „schöne Namen“ Allahs gibt.

In einem Hadith von Abu Huraiyra soll Mohammed gesagt haben15:

>Wahrlich, Gott hat neunundneunzig Namen, einen weniger als hundert. Wer sie aufzählt geht ins Paradies.<

Von den 99 Namen Gottes stehen viele wörtlich im Koran. Der hundertste Name Gottes ist nach islamischer Auffassung unaussprechbar und den Menschen unbekannt. Mit diesen 99 Namen soll der Gläubige Allah anrufen und sich Ihm nähern16:

>Und Allahs sind die schönsten Namen; so ruft Ihn mit ihnen an.<

Hier die vollständige Namensliste. Die Zählung weicht zuweilen von andern derartigen Listen ab. Die Namen verdeutlichen, daß es sich um teils sogar widersprechende Zuständigkeiten von unterschiedlichen Gottheiten handelt, die nun alle dem Eingott zugeschrieben werden:

1. „Ar-Rahman“ der Gnädige; 2. „Ar-Rahiem“ der Barmherzige; 3. „Al-Malik“ der Herrscher, König; 4. „Al-Qudduus“ der Heilige, Reine, Makellose; 5. „As-Salaam“ der Retter, Friedensverleiher; 6. „Al-Mu'min“ der Wahrer der Sicherheit; 7. „Al-Muhaimin“ der Beschützer und Bewacher; 8. „Al-A'sies“ der Erhabene, Ehrwürdige; 9. „Al-Dschabbaar“ der Gewaltige, Unterwerfer; 10. „Al-Mutakabbir“ der Vornehme, Stolze; 11. „Al-Chaliq“ der Schöpfer; 12. „Al-Bary“ der Erschaffer; 13. „Al-Musawwir“ der Former; 14. „Al-Ghaffar“ der große Verzeiher; 15. „Al-Qahhaar“ der Alles-Bezwinger; 16. „Al-Wahhab“ der Geber und Verleiher; 17. „Ar-Rassaq“ der Versorger; 18. „Al-Fattah“ der Öffnende; 19. „Al-A'liem“ der Allwissende; 20. „Al-Qabid“ der Gaben Zurückhalter; 21. „Al-Baaßit“ der Gaben Gewährer; 22. „Al-Chaafid“ der Erniedriger; 23. „Ar-Raafi'“ der Erhörer; 24. „Al-Muis“ der Ehre-Verleiher; 25. „Al-Musill“ der Demütiger; 26. „As-Sami'“ der Hörende; 27. „Al-Basir“ der Sehende; 28. „Al-Hakam“ der weise Richter; 29. „Al-Adl“ der Gerechte; 30. „Al-Latief“ der Feinfühlige, Gütige; 31. „Al-Chabier“ der Kundige; 32. „Al-Haliem“ der Nachsichtige, Mitfühlende; 33. „Al-A'siem“ der Großartige, Erhabene; 34. „Al-Ghafur“ der wieder Verzeihende; 35. „Asch-Schakur“ der Dankbare; 36. „Al-Aliy“ der Höchste; 37. „Al-Kabir“ der unvergleichlich Große; 38. „Al-Hafieth“ der Bewahrer, Erhalter; 39. „Al-Muqiet“ der alle Ernährende; 40. „Al-Hasieb“ der genau Berechnende, Garant; 41. „Al-Dschalil“ der Majestätische; 42. „Al-Kariem“ der Ehrenvolle, Großzügige; 43. „Al-Raqieb“ der Wachsame; 44. „Al-Mudschieb“ der Gebeterhörer; 45. „Al-Wasi'„ der Weite, alles Umfassende; 46. „Al-Hakiem“ der Allweise; 47. „Al-Wadud“ der Liebevolle; 48. „Al-Madschied“ der Glorreiche; 49. „Al-Ba`ith“ der die Menschen Wiedererweckende; 50. „Asch-Schahied“ der Zeuge; 51. „Al-Haq“ der Wahre, Wahrhaftige; 52. „Al-Wakiel“ der Vertrauenswürdige, Helfer und Bewacher; 53. „Al-Qawi“ der Starke; 54. „Al-Matien“ der Feste, Starke, Dauerhafte; 55. „Al-Waliy“ der Schutzherr der Schutzbedürftigen; 56. „Al-Hamied“ der Preiswürdige; 57. „Al-Muhsy“ der alles Aufzeichnende; 58. „Al-Mubdi“ der Beginnende, Urheber; 59. „Al-Mu'ied“ der Wiedererwekkende; 60. „Al-Muhjie“ der Lebensspendende; 61. „Al-Mumiet“ der Todesherr; 62. „Al-Haiy“ der aus sich selbst Lebende; 63. „Al-Qayum“ der allein Stehende, Ewige; 64. „Al-Waadschid“ der alles Bekommende und Findende; 65. „Al-Maadschid“ der Ruhmvolle; 66. „Al-Waahid“ der Eine, Einzigartige; 67. „Al-Ahad“ der Einzige, Alleinige; 68. „As-Samad“ der Unabhängige; 69. „Al-Quadir“ der Allfähige, Allmächtige; 70. „Al-Muqtadir“ der alles Bestimmende; 71. „Al-Muqaddim“ der Voranstellende; 72. „Al-Mu'achir“ der Aufschiebende; 73. „Al-Awwal“ der Erste ohne Beginn; 74. „Al-Aachir“ der Letzte ohne Ende; 75. „Al-Saahir“ der Offenbare; 76. „Al-Baatin“ der Verborgene; 77. „Al-Waali“ der einzige Herrscher; 78. „Al-Muta'aali“ der Reine, Hohe; 79. „Al-Barr“ der Gute; 80. „Al-Tawwab“ der die Reue Annehmende; 81. „Al-Muntaqim“ der gerechte Vergelter; 82. „Al-Afwu“ der Vergeber der Sünden; 83. „Ar-Ra'uf“ der Mitleidige; 84. „Malik-ul-Mulk“ Inhaber aller Reichtümer; 85. „Sul-Dschalali-wal-Ikram“ der Majestätische, Ehrgebührende; 86. „Al-Muqsit“ der unparteiisch Richtende; 87. „Al-Dschaami“ der Versammelnde; 88. „Al-Ghany“ der Reiche; 89. „Al-Mughni“ der Verleiher der Reichtümer; 90. „Al-Mani'„ der Zurückweisende; 91. „Ad-Dhar“ der Schaden zufügende; 92. „An-Naafi'“ der Vorteil gebende; 93. „An-Nur“ das Licht; 94. „Al-Hadi“ der Leitung gebende; 95. „Al-Badi'“ der Schöpfer des Neuen; 96. „Al-Baaqi“ der ewig Bleibende; 97. „Al-Waarith“ der einzige Erbe; 98. „Ar-Raschied“ der Führung gebende; 99. „As-Sabur“ der Geduldige.

Übrigens hat kürzlich der niederländische Bischof Martinus Muskens vorgeschlagen, daß man doch „Gott“ künftig „Allah“ nennen sollte, dann würden sich religiöse Unterschiede zwischen Christentum und Islam relativieren, was dann auch möglicherweise weniger Terroranschläge bedeuten könnte. Zuvor hatte das auch schon der katholische Bischof von Breda, Tiny Muskens vorgeschlagen.

Adon.

Der Name „Adon“ (auch mit Artikel: „ha-Adon“) kommt im hebräischen Text der Bibel z. B. in Jesaja 1, 24 vor:

>Darum spricht der Herr (Adon), Herr (Jachveh) Zebaoth, der Mächtige in Israel<.

In deutschen Bibelfassungen wird der Eigenname Adon meist mit „Herr“ übersetzt. Adon („Herr“) ist ein phönicischer Sonnengott, der in Byblus (Syrien) verehrt wurde. Er repräsentiert die überreife, ermattete Sonne nach der Sonnenwende und entspricht dem frühsterbenden Adonis, der zur Sommersonnenwende (Phönicien, Ägypten) und zur Frühlingsgleiche (Griechenland) kultisch verehrt wurde. Vielleicht verkörpert er auch die Idee der alljährlich absterbenden und sich dann wieder erneuernden Vegetation der Erde. Auch im Arabischen wurde er als Sonnengott mit Namen „Adone“17 kultisch verehrt, indem man ihm täglich Myrrhen und Weihrauch opferte. Adon entspricht auch dem ägyptischen Osiris.

Abb. 4: Venus und Adonis.

Am bekanntesten ist Adon unter seinem griechisch-römischen Namen Adonis. Er wurde in Griechenland, Nordafrika, Spanien und Rom kultisch verehrt (siehe Abbildung 4). Adonis ist Sohn König Kinyras und der Myrrha und wurde bei den Babyloniern Duzi genannt. Seit Hieronymus identifiziert man Adonis auch mit Thamuz, der zur Zeit Ezechiels am Nordtor des Tempels von Jerusalem von jüdischen Frauen verehrt wurde. Ezechiel beklagt in 8, 14 diesen vermeintlichen Götzendienst:

>Und er führte mich hinein zum Tor an des Herrn (Jachvehs) Hause, das gegen Mitternacht stehet; und siehe, daselbst saßen Weiber, die weineten über den Thamuz<.

Im Mythos weint auch die Göttin Venus um den gestorbenen Adonis. In der Bibel finden wir für „Adon“ auch die Schreibweise „Adonai“; das Endungs-i ist die Mehrzahlform, wurde dann aber als Pronominalsuffix der ersten Person („mein“) umgedeutet, so daß der Begriff mit „mein Adon“ statt „Herren“ übersetzt wird18.

Jachveh.

Der häufigste Gottesname des Alten Testaments ist der Name Jachveh, der in den hebräischen Bibelhandschriften nur in der Abkürzung „JHVH“ (das sog. „Tetragrammaton“, d. i. der vierbuchstabige Name) vorkommt. Die Vokale wurden im Althebräischen ursprünglich nicht aufgezeichnet; sie symbolisieren ja den reinen (und damit göttlichen) Stimmlaut, während die Konsonanten diesen reinen Laut mithilfe der Zunge oder des Gaumens brechen − Symbol für die in das Irdische getretene Gotteskraft. Später aber wurden Punkte zu den hebräischen Schriftzeichen hinzugefügt, die dem Leser angaben, welche Vokale er beim Sprechen des Textes einzusetzen hatte, damit es da keine Fehldeutungen geben konnte. Nur beim Gottesnamen getraute man sich aus Ehrfurcht nicht, diese Punkte hinzuzufügen, um nicht verleitet zu werden, den Namen aus Versehen auszusprechen. In Leviticus 24, 16 heißt es nämlich:

>Welcher des Herrn (Jachvehs) Namen lästert, der soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen. Wie der Fremdling, so soll auch der Einheimische sein; wenn er den Namen lästert, so soll er sterben<.

Und das zweite Gebot der bekannten zehn Gebote Gottes lautet (Exodus 20, 7):

>Du sollst den Namen des Herrn (Jachvehs), deines Gottes, nicht mißbrauchen; denn der Herr (Jachveh) wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht<.

Die Juden deuteten diese Schriftstellen in der Weise, daß sie untersagten, den Namen des Gottes auszusprechen. Nur der Oberpriester durfte diesen Namen einmal im Jahre, am 10. Tag des Monats Tisri, im Tempel ausrufen. Dabei mußten die Leute im Tempel großen Lärm machen, damit keiner die richtige Aussprache des Namens verstehe. Danach sagte man: „Schem hamm phorasch“ (hebräisch, „der Name ist gut ausgesprochen“). Wenn man die Bibeltexte rezitierte, mußte immer an Stellen, wo der Text die Abkürzung des Gottesnamens „JHVH“ enthielt, der Name „Adonai“ gelesen werden. Darum setzte man später die Vokalpunkte des Namens „Adonai“ zu „JHVH“. Nur wenn die Namen „JHVH“ und „Adonai“ zusammenstanden, setzte man für „JHVH“ die Vokalzeichen des Begriffs „Elohim“. In späteren Jahrhunderten vergaßen die Priester, wie ihr Gottesname „JHVH“ korrekt zu vokalisieren wäre. Im Christentum führte der um 1500 lebende Franziskaner Galatin die Bezeichnung „Jehovah“ ein, indem er die Vokalzeichen des Namens „Adonai“ (das anlautende „a“ in der Schreibung verkürzt zu „e“) aus Unkenntnis des jüdischen Brauches zu „JHVH“ gehörig mißdeutete und sie in den Terminus „JHVH“ einsetzte.

Bei den verschiedenen Autoren finden wir die unterschiedlichsten Schreibweisen des Namens. So schrieb Sanchuniathon (um 1250 v. u. Zt.) in der nur bruchstückhaft erhaltenen „Geschichte Phöniciens“ den Namen „Jevo“, Diodorius Sicillius (1. Jh. v. u. Zt.), Origenes (185-254), Clemens Alexandrinus (geb. um 220), der hl. Hieronymus (340-420) sowie Macrobius (5. Jh.) nannten ihn „Jao“, die Samaritaner (eine jüdische Sekte) und Epiphanius (gestorben 403) hatten „Jahe“ oder „Jeve“, Ludwig Cappel (1585-1658) liest „Javoh“, Johannes Drusius (1550-1616) „Jahve“, Hottinger (1652-1735) „Jehva“, Mercerus (1500-1570) „Jehovah“, Castellio (1515-1563) „Jovah“ und Le Clerc (1577-1638) „Jawoh“ oder „Javoh“.

Tatsächlich aber sprachen − nach Theodoretus (5. Jh.) die Samaritaner den Namen als „Iabé“. Somit ist der Name „JHVH“ richtig zu „Ja(c)hveh“ (gesprochen: „Jachveh“) zu ergänzen; dies ergibt sich auch aus den griechischen Schriften der Bibel selbst oder der Abkürzung dieses Namens in dem Ausruf „Hallelu-jah“ (Preiset Jachveh)19.

In vielen Bezeichnungen findet sich der Name Jachveh, so in den Namen „Jesa-ja“ („Rettung von Jah.“) oder „Adon-ia“ („Mein Herr ist Ja.“)20. In lateinischen Namensformen von ursprünglich hebräischen Namen wie „Jonathan“ („Jo hat gegeben“) oder „Josua“ („Jeschuah“) („Je ist Rettung“) kann sowohl Jachveh, als auch Jovis (= Jupiter) gemeint sein. Diese Namen waren vermutlich absichtlich doppeldeutig.

Die Bedeutung des Namens Jachveh ist unklar. Man hat ihn zu dem hebräischen Verb „hawah“ gestellt, welches „Werden“ bedeutet. Diese Deutung ist genauso unwahrscheinlich wie die Übersetzungen als „Schöpfer“, „Seiender“, „Ewiger“ oder „Ich bin da“ (mit Bezug zu Genesis 3, 14).

Jachveh (siehe Figur) ist eigentlich ein arabischer Berg- und Naturgott u. a. bei den Kenitern auf der Halbinsel Sinai, der in einem ägyptischen Dokument „Jahu-Bel“ (vgl. „Hubel“) genannt wird. Vielleicht war er ursprünglich ein Vulkan- oder Schmiedegott.

Schon früh wurde Jachveh mit dem griechisch-römischen Gott des Weins, der Fruchtbarkeit, des Rausches und der Ekstase, Bacchus (= Schaller, Geschrei), gleichgesetzt. Bacchus, auch „Pater Liber“ (= Vater der Freiheit), ist Sohn der Semele und des Zeus und heißt daher auch Dionysos (= Sohn des Zeus). Ein Beiname des Bacchus lautet „Jacchus“ (= der Jubelnde), und dieser Beiname klingt an Jachveh an.

Eine Silbermünze aus dem 4. Jh. v. u. Zt. die bei Gaza gefunden wurde21 zeigt auf der Vorderseite das bärtige Haupt des Dionysos, auf der Rückseite einen bärtigen Gott in einem geflügelten Wagen mit einem Vogel auf der Hand, vor ihm ein Gesicht, und die hebräische Inschrift „yhw“ (= Jachveh) (siehe Abb. 5).

Abb. 5: Münze aus Gaza mit der Darstellung des Gottes Jachveh.

Auf eine nahe Verwandtschaft zwischen Bacchus und Jachveh deutet auch eine andere Namensparallele. Denn ein weiterer Beiname des Bacchus lautet „Sabakios“ (= Heerscharen), der sich auf die herumziehenden Bacchanten bezieht. Ursprünglich war Sabakios, der auch Sabazios, Savazios oder Sabos heißt, ein eigenständiger phrygisch-lydischer Gott des Ackerbaus und Lebens und Arztgott, der den Gebärenden hilft. Als er mit Bacchus identifiziert wurde, wurde sein Name Beiname des Bacchus: Bacchus Sabakios, Sohn des Jupiter und der Proserpina, auch Zagreus genannt. Seine Feste wurden unter nächtlichen Waschungen und Reinigungen mit Ausschweifungen gefeiert, die Verehrerinnen des Gottes zogen sich eine Schlange, heiliges Tier des Sabakios und Phallussymbol, durch ihren Schoß als Zeichen der Liebesvereinigung mit diesem Gott, der auch den Beinamen Bassareus (= der mit einer langen Fuchshaut Bekleidete) trägt. Nach dem Mythos wurde der Gott von den Titanen in sieben Stücke zerrissen; sein Herz brachte Minerva dem Jupiter. Wohl aus diesem Grunde ging der Beiname Sabakios auf Jupiter selbst über, der nun „sabakischer Zeus“ bzw. „sabakischer Jovis (Jupiter)“ genannt wurde. Kleinasiatische Juden setzten jedenfalls Sabakios mit Jachveh gleich und deuteten ihn als Gott des Sabbats. In der Bibel lebt der Beiname als „Sabaoth“ (Zebaoth) fort.

In Plutarchs „Quaestiones Conviviales“ behauptet einer der Gäste, er könne beweisen, daß der Gott der Juden in Wahrheit der „Dionysos Sabakios“ sei.

Und Tacitus schreibt in seinen Historien22 über den Kult der Juden:

>Weil aber ihre Priester Flöten- und Paukenspiel erschallen ließen, sich mit Efeu bekränzten und man eine goldene Rebe im Tempel fand, haben einige gemeint, es werde Pater Liber [= Dionysos] verehrt, der Bezwinger des Morgenlandes. Dazu stimmen aber ihre Bräuche nicht. Dionysos nämlich hat festliche und fröhliche Bräuche eingeführt, die Weise der Juden ist abgeschmackt und schäbig<.

Tacitus geht hier also von einem Kult des Bacchus aus, Valerius Maximus dagegen von einem Kult des Zeus. Er erzählt, daß C. Cornelius Hispallus, der Praetor für die Fremdvölker, um 139 v. u. Zt. viele Juden aus Rom auswies, die

>versucht hatten, die römischen Sitten durch einen falschen Kult des sabakischen Jovis zu untergraben<.

In der Bibel erscheint Jachveh als Herr des Himmels, Wettergott, Kriegsgott, Fruchtbarkeitsgott, Heilgott und Richtergott, da Jachveh verschiedene Gottheiten ersetzt. Damit entspricht Jachveh dem Gott Zeus; unter diesem Namen wurde er auch im Tempel von Jerusalem verehrt (siehe Seite 16). Sein Attribut ist der Stier. Der Prophet Jerobeam stellte den Gott Jachveh als Stier dar, damit seine Untertanen nicht bis nach Jerusalem zum Tempel reisen mußten (I. Regum 12, 28f):

>Und der König hielt einen Rat, und machte zwei güldene Kälber [Stiere], und sprach zu ihnen: Es ist euch zu viel, hinauf gen Jerusalem zu gehen; siehe, da sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenlande geführet haben. Und er setzte eins zu Beth-El, und das andre tat er gen Dan.<

Auch Osee 10, 5-6 und Exodus 32, 4-6 berichten von den Stierbildern. Jachveh hingegen ist über diese Stierbilder erzürnt. Ursprünglich war der Stier eines der Attribute des Gottes El; schon der Gott 'L (El) von Ugarit hatte als Zeichen den Stier. Nachdem aber einige Juden El mit Jachveh identifizierten, wurde auch der Stier als Jachvehs Zeichen übernommen. In Leviticus 16, 5-16 verlangt Jachveh, daß ihm, sowie dem heidnischen Gott Asasel, jeweils ein Ziegenbock und Jachveh zusätzlich ein Stier geopfert werden soll. Beide Götter, Jachveh und Asasel sind hier gleichwertig (siehe Seite 186f).

Ashera und Shekhina.

Da Jachveh auch Mythen weiblicher Gottheiten übernommen hat (z. B. löst er an Stelle der Ishtar die Sintflut aus), wurde gefolgert, daß Jachveh ursprünglich eine Göttin gewesen sein muß. Man hat hier die sumerische Mond- und Liebesgöttin „Jahu“, Els Frau, angeführt23, die der Ashera (Ishtar, Astarte) entspricht und als Vorläuferin des Jachveh gedeutet wird. Der Name „Jahu“ bedeutet „erhabene Taube“; die Taube ist in vielen Kulturen eines der heiligen Tiere der Liebesgöttin. Auch bei den Germanen ist die Taube der Liebesgöttin Frowa geweiht. Manasse von Juda ließ im Tempel von Jerusalem ein Bild der „Gemahlin Jachvehs“, Ashera, aufstellen (II. Regum 21, 7), welches aber 621 v. u. Zt. durch Josia wieder entfernt wurde. Auch fand man Tonscherben mit Segen für Jachveh und Ashera:

>Ich segne euch durch JHVH von Samaria und durch seine Ashera< >Gesegnet sei Uriyahu durch JHVH und von seinen Bedrängern hat er ihn gerettet durch seine Ashera<.

Erst durch die ein Jahrhundert währende assyrische Besetzung kam Jachveh in eine Hauptposition, und Ashera wurde vergessen. Ashera ist aber genaugenommen Gemahlin des Gottes El, nicht des Jachveh. Als El durch Jachveh verdrängt (ersetzt) wurde, übernahm er auch dessen Gemahlin Ashera. Aber der Jachvehkult duldete später keine göttliche Mutter mehr, so daß Bibelschreiber eine Geschichte erfanden, nach der Jachveh der Ashera einen Scheidungsbrief ausgestellt hatte. Ein Rest davon ist in der Bibel, bei Hosea 2, 4 erhalten, wo es heißt:

>Verklagt eure Mutter, verklagt sie! Denn sie ist nicht meine Frau, und ich bin nicht ihr Mann.

Sie soll von ihrem Gesicht das Dirnenzeichen entfernen und von ihren Brüsten die Male des Ehebruchs<.

Diese Formulierungen sind in Mesopotamien und wohl auch bei den Israeliten als Ehescheidungsformeln bezeugt. Jachveh hatte also seinen Kindern (dem Volk Israels) von der Schlechtigkeit ihrer Mutter Ashera durch Hosea (7. Jh. v. Ztw.) erzählt und sie aufgefordert, diesen Kult zu unterlassen. Das blieb aber erfolglos, erst Josia gelang es (621 v. Ztw.), den Kult der Muttergöttin auszurotten. Ursprünglich war Ashera eine syrische Göttin, hieß dort Aratum und war mit dem Gott Amurru vermählt. In Ugarit war sie die Hauptgöttin, und auch im vorexilischen Israel wurde sie verehrt. Etwa 40mal kommt ihr Name in der Bibel vor; zuweilen hatte sie die Gestalt eines Baumes oder Pfahls angenommen.