»Enttäuschen Sie mich nicht, Adams. Ich halte große Stücke auf Sie.«
Nicholas Delavall klopfte Dave mit seiner fleischigen Hand auf die Schulter und setzte sich dann schwerfällig. Der dunkle Ledersessel knarzte unter seinem Gewicht. Für Dave bedeutete diese Geste, dass die Unterredung damit beendet war. Delavall drehte sich in seinem Stuhl und blickte durch die verglaste Front auf Manhattans Midtown.
»Natürlich, Sir«, erwiderte Dave knapp und verließ das großzügige Eckbüro. Sein Chef hatte Daves Bedenken zum Fall Bassanelli mit einer abfälligen Handbewegung abgetan und ihm gesagt, dass er sich nicht lächerlich machen solle. Die Mafia hätte weitreichende Verbindungen, aber ganz sicher nicht bis hinauf in die Staatsanwaltschaft. Seine Argumente, dass er von seinem Informanten gehört habe, dass ein Maulwurf in ihren Reihen eingeschleust worden sei, hatte er mit einem schallenden Lachen abgewürgt und ihn kurz darauf quasi aus seinem Büro geworfen. Er solle sich mal nicht ins Hemd machen und sich entspannen.
Dave war nicht wütend, dass sein Chef ihn nicht ernst nahm, aber besorgt. Sein Gefühl hatte ihn bisher noch nie getrogen, aber er hatte einfach keinen Ansatzpunkt, um seine Bedenken zu untermauern. Dass Delavall seine Einschätzungen nicht teilte, war nicht gerade hilfreich für weitere Maßnahmen, die ihm einen Tipp zu einer Leckage geben konnten.
Gedankenverloren ging er über den Flur zurück in Richtung seines Büros. Er wollte alle Sachverhalte und Unterlagen noch einmal sorgfältig durchgehen, um sicher zu sein, dass er nichts übersehen hatte. Irgendwo musste es einen Hinweis geben, der ihm bisher entgangen war.
Viel zu spät bemerkte Dave, dass er nicht allein auf dem Gang war. Und dann passierte es auch schon. Er prallte mit einer Frau zusammen, die einen Stapel brauner Kartonhefter in den Armen balancierte. Seine Unfallgegnerin stieß einen spitzen Schrei aus und im selben Moment segelten Hunderte Papiere durch die Luft, bis der Großteil der Akten mit einem lauten Knall auf dem glatten Boden der Staatsanwaltschaft aufschlug.
»Merda!«, hörte er eine melodische Stimme unterdrückt fluchen. Sofort begann die Frau damit, die verstreuten Zettel hektisch zusammenzusammeln.
Dave fiel erst jetzt auf, dass es sich um die Brünette handelte, die er gestern Abend beim Kopierer getroffen hatte. Sie hatte ihm gerade noch gefehlt. Er stand wie angewurzelt da, bis er realisierte, dass er schuld an der Misere war.
»Verzeihung«, brummte er und ging in die Hocke, um ihr zu helfen.
Sie schaute zu ihm auf und was dann geschah, konnte er bestenfalls als Einbildung abtun. Es war, als läge ein Band zwischen ihnen, das es ihm nicht ermöglichte, wegzusehen. Dabei schienen sich kleine elektrisch aufgeladene Teilchen hin und her zu bewegen, die ihn bis ins Mark erschütterten.
Endlich gelang es Dave, seinen Blick von ihr loszureißen, aber nur, um an ihrem einladenden Dekolleté hängen zu bleiben. Unter der weißen Bluse blitzte ein cremefarbener Spitzen-BH hervor, der den Ansatz ihrer Brüste äußerst vorteilhaft betonte. Obwohl all das nur wenige Sekunden dauerte, war danach nichts mehr wie zuvor.
»Gehen Sie nur«, sagte sie schroff. »Ich mache das schon.«
Schon wieder! Er hatte sie schon wieder angegafft wie ein notgeiler Perversling.
Dave glotzte sie fassungslos an. »Wie? Nein. Es ist absolut mein Fehler. Ich habe nicht aufgepasst.«
»Ach was.« Ihre Stimme klang mit einem Mal unterkühlt und ein Ruck ging durch ihren Körper. Sie straffte ihren Rücken und funkelte ihn an. »Das ist ganz sicher nicht Ihre Aufgabe, Mr. Adams.«
Aha. Sie wusste also, wer er war. Etwas, das er nicht über sie behaupten konnte.
Dave begann entgegen ihrer Aufforderung, ihr beim Beseitigen des Desasters zu helfen. Noch ehe er richtig loslegen konnte, riss sie ihm jedoch die ersten Blätter aus der Hand.
»Haben Sie mich nicht gehört? Sie haben sicher Wichtigeres zu tun. Das hier ist nicht Ihre Aufgabe!« Ihre Stimme klang schrill. Ihr musste die Sache wirklich unangenehm sein.
»Aber ich bitte Sie, äh, Miss …?«, begann er und griff erneut nach umliegenden Papieren.
»Pierce. Ich bin die Praktikantin. Hören Sie, es tut mir schrecklich leid, dass ich Sie umgerannt habe. Bitte tun Sie mir den Gefallen und gehen Sie. Wenn mein Boss mitbekommt, dass ich hier alle Unterlagen verteilt habe, bin ich gefeuert. Dass ich Ihnen auch noch Umstände bereite, ist nicht gerade hilfreich …«
Er hatte Mühe, sich auf das, was sie sagte, zu konzentrieren. Er sah zwar, dass sich ihre sinnlichen Lippen bewegten, aber was sie ihm mitteilte, drang nicht bis zu ihm vor. Dave hielt in seiner Bewegung inne, als er realisierte, dass er im Begriff war, zu sabbern. Er musste sich endlich wieder professionell benehmen.
Sie war eine Praktikantin und er würde den Teufel tun und sie belästigen, egal wie scharf er sie fand.
Sie wollte keinen Ärger mit ihrem Boss, hatte sie gesagt. Wer war eigentlich ihr Boss?
Ach ja, der fette Logan Burkle hatte die Praktikantinnen unter sich. Er konnte verstehen, dass sie kein Theater mit ihm haben wollte. Wenn der Kerl schlechte Laune hatte, verspeiste er unschuldige Mädchen zum Frühstück.
»Na schön. Miss Pierce«, lenkte Dave schließlich ein. »Wie Sie wünschen. Es … tut mir leid.« Dann stand er auf und stürzte davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Zurück in seinem Büro, versuchte Dave, einen klaren Kopf zu bekommen, was alles andere als einfach war. Zum einen schwirrte immer noch das Bild von Miss Pierce in seinem Kopf herum, und dann war da noch der Fall, der weitaus wichtiger war als seine sexuellen Bedürfnisse.
Er hatte keinerlei Beweise für seine Vermutungen bezüglich der Informationslücke finden können. Was ihn gleichzeitig stutzig machte und beunruhigte, war zudem die Tatsache, dass es in den letzten Tagen um Antonio Bassanelli verdammt ruhig geworden war. Üblicherweise gab es so kurz vor wichtigen Prozessen immer wieder störende Ereignisse im Umfeld, die vom eigentlichen Thema ablenken sollten. Ein Untergrundkampf hier und da, das brennende Auto eines Staatsdieners oder ungeklärte Einbrüche und Verwüstungen bei Menschen, die am Verfahren beteiligt waren. Nicht aber in diesem Fall.
Bassanelli musste sich enorm sicher sein, dass er die besseren Karten hatte, wenn er nicht mal die üblichen Ablenkungsmanöver durchzog. Und das gab Dave schwer zu denken.
Was seinen Verstand zusätzlich trübte, hatte glänzende braune Haare und zwei verdammt wohlgeformte Argumente … Immer wieder schweiften seine Gedanken in ihre Richtung. Faszinierend. Es war so faszinierend wie ärgerlich. Seit Ewigkeiten hatte ihn keine Frau mehr auf diese Weise interessiert. Vielleicht noch nie.
Dave hatte immer geglaubt, dass er gegen sexuelle Reize im Büro immun wäre – bis er sie getroffen hatte. Er war sich nicht sicher, ob er einer Annäherung ihrerseits widerstehen könnte, wenn sie jemals eine wagen sollte.
Danach sah es allerdings ganz und gar nicht aus. Ihre schroffe Abfuhr sagte ihm klar und deutlich, dass sie kein Interesse hatte, obwohl er diese spezielle Anziehung zwischen ihnen gespürt hatte. Vielleicht war es doch einseitig. Ganz sicher sogar.
Es war nahezu absurd, in welche Richtung sich seine Gedanken bewegten. Er musste sich das alles eingebildet haben: die flirrende Luft, die zu langen Blicke, ihr Atem, der zu schnell ging, wenn sie ihn so lange mit ihren hübschen Augen fixierte …
Nein, da war sicher nichts dran und sie hatte wahrscheinlich wirklich nur Angst gehabt, dass Burkle sie feuern würde, weil sie die Papiere durcheinandergebracht hatte. Sein kleiner Freund sah das alles leider ganz anders, denn in seiner Hose war schon wieder mehr Leben, als ihm lieb war. Dave hatte sich immer eingebildet, und bisher hatte er es auch so gelebt, dass er der korrekte Typ wäre. Dass man Arbeit und Privatleben trennen konnte. Er hatte sich oft halb totgelacht über die Kerle, die ihre Sekretärinnen flachlegten und sich dann wunderten, dass sie Probleme im Büro bekamen.
Und dann lief ihm eine Miss Pierce über den Weg und er hatte sexuelle Fantasien über ein feuriges Intermezzo, in dem sein Schreibtisch die Hauptrolle spielte – mit ihr darauf. Sein Interesse galt allein ihrem verführerischen Körper. Er kannte nicht mal ihren Vornamen und wenn er ganz ehrlich war, interessierte es ihn auch nicht, wie sie hieß. Er stellte sich vielmehr vor, wie sie leise seinen Namen schrie …
Dave lachte humorlos und schlug sich gegen die Stirn. Er musste einen Dachschaden haben. Absolut.
Jetzt war definitiv nicht die richtige Zeit für eine Büroaffäre. Aber wenn der Prozess vorbei war, würde er für sexuelle Zerstreuung sorgen. Allerdings nicht mit Miss Pierce! Jedenfalls nicht, solange sie hier arbeitete. So viel war sicher.
Dave rieb sich über das glatt rasierte Kinn und versuchte damit, die sexuellen Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben. Er musste sich noch für ein paar Tage am Riemen reißen und die undichte Stelle in der Staatsanwaltschaft finden, sonst würde ihn am Eröffnungstag des Prozesses eine unliebsame Überraschung erwarten. Die Angst, sich im Gerichtssaal lächerlich zu machen, brachte ihn so weit auf den Boden der Tatsachen zurück, dass er sich endlich wieder auf die Schriftsätze auf seinem Tisch konzentrieren konnte.
Er war wieder bei der Sache. Akribisch arbeitete er sich von Akte zu Akte, von Absatz zu Absatz durch. Er saß die ganze Nacht am Schreibtisch, bis er eins und eins zusammenzählen konnte. Das erklärte vielleicht auch seine verrückte Reaktion gestern. Er musste gespürt haben, dass etwas nicht gepasst hatte, und es mit sexueller Anziehung verwechselt haben. Er war beinahe erleichtert darüber, dass er nicht komplett durchgeknallt war.
Dave stieß einen leisen Pfiff aus. Noch war es nur eine Vermutung, aber wenn sich diese verdichtete, würde er sich Gedanken machen, wie er diese Informationen gezielt einsetzen würde.
Zeit für eine Stunde Schlaf, sagte er sich, als er gegen sechs Uhr morgens das Büro verließ und in sein Apartment an der Upper Eastside fuhr.
Erschöpft warf er die Schlüssel in eine Chromschale auf der Anrichte im Flur seiner Wohnung. Obwohl er hundemüde war, schwirrte ihm so viel durch den Kopf, dass er, anstatt direkt ins Bett zu gehen, erst in die Küche schlurfte und sich ein Rührei briet. Essen würde ihm helfen, sich zu entspannen.
Erst als er die Eier in die Pfanne schlug, fiel ihm auf, dass er nicht einmal ein Abendessen zu sich genommen hatte. Das war allerdings zweitrangig. Viel wichtiger war, dass er womöglich den Schlüssel zur undichten Stelle gefunden hatte. Ob er recht hatte, würde er bald herausfinden. Er freute sich ein bisschen darauf, diese Befragung durchzuführen.
Zufrieden rührte er erschöpft, gleichzeitig seltsam energiegeladen in der gelblichen Masse vor sich.
An Schlaf war leider auch nach dem Frühstück nicht zu denken, er war viel zu aufgedreht. Aber zumindest eine heiße Dusche und ein frisches Hemd waren nötig, bevor er sich wieder auf den Weg ins Büro machte. Er ließ sich absichtlich mehr Zeit als sonst, denn es würde ein langer Tag werden.
Susana goss sich Kaffee in ihren Thermobecher, dabei unterdrückte sie ein Gähnen. Sie hatte letzte Nacht kaum ein Auge zugetan und stand nun erschöpft in der kleinen Pantryküche ihres Blumenladens und genoss den vertrauten Geruch, den die verschiedenen Blüten im ganzen Laden verströmten. Sie nutzte die kleine Ecke hinter dem Verkaufsraum sonst, um Blumensträuße zu binden, da sie hier eine vernünftige Arbeitsfläche hatte, wo sie Schere und Materialien ablegen konnte, die sie zum Binden benötigte.
»Hey, guten Morgen«, grüßte sie ihre Nachbarin, als diese den kleinen Raum betrat. Tracey war momentan ihre größte Hilfe. Ohne sie hätte sie den Laden längst dichtmachen müssen. »Möchtest du auch einen Kaffee?«
»Nein danke, mein Magen, du weißt ja.«
Sie war nicht mehr die Jüngste und obwohl sie längst das Rentenalter überschritten hatte, konnte sie jeden zusätzlichen Penny gut gebrauchen. Susana war durchaus klar, dass sie es nicht vorrangig wegen der Aufbesserung ihrer mageren Rente, sondern vielmehr aus Nächstenliebe – und Langeweile – tat. Trotzdem, Susana nahm sich vor, ihr am Ende einen Extrabonus zukommen zu lassen. Sie war gleich viel besser gelaunt und lächelte.
»Okay, aber heute machst du dann etwas früher zu, ja?«
»Was sollen die Kunden denken?«
»Die werden es verschmerzen. Ich bin dir so dankbar, dass du für mich einspringst, während ich die, äh, Fortbildung mache.«
Es tat ihr so leid, dass sie Tracey anlügen musste, aber die alte Dame würde sicher einen Herzinfarkt erleiden, wenn sie wüsste, dass sie für die Mafiagrößen der Stadt als Informantin unterwegs war.
Wie der Herr, so’s Gescherr, dachte Susana sarkastisch, ohne dass ihr je jemand hundertprozentig bestätigt hätte, dass ihr Vater tatsächlich krumme Dinger mit der Mafia gedreht hatte. Egal was es gewesen war, eines Tages war er einfach verschwunden gewesen. Entweder war er abgehauen oder mit zwei Zementblöcken im Hudson River versenkt worden. Beide Versionen waren so grauenhaft, dass sie noch nie ausführlich mit Sofia, ihrer kleinen Schwester, darüber geredet hatte. Das Thema wurde totgeschwiegen.
Ungefähr so hatten sie es auch mit der Krankheit ihrer Mutter gehandhabt. Sie hatte sich vor als auch nach dem Verschwinden ihres Mannes nicht wirklich für ihre Kinder interessiert. Sie hatte ein Leben zwischen Depressionen, Drogen und Alkohol geführt, sodass Susana schon sehr früh Verantwortung für sich und Sofia hatte übernehmen müssen. Vor drei Jahren war die Mutter an Leberversagen gestorben. Das jämmerliche Ende eines verkorksten Daseins.
Die Schwestern waren schon immer füreinander da gewesen, sie hatten ja niemand anderen gehabt, der sich um sie gekümmert hätte, und das hatte sich bis heute nicht geändert. Die Großeltern waren in Italien geblieben. Dort lebte mittlerweile nur noch eine Nonna, zu der sie nur zu Weihnachten und zum Geburtstag Kontakt hatten. Susana vermutete, dass ihr Vater schon in der Heimat nicht ganz gesetzeskonform gelebt hatte und seine eigene Mutter deshalb nach dem Abschied die Verbindung absichtlich hatte abreißen lassen.
So waren die zwei Mädchen mehr oder weniger allein für sich verantwortlich gewesen. Schon als Teenager hatte Susana im Blumenladen gejobbt und da die ehemalige Eigentümerin keine Erben gehabt hatte, hatte sie ihr den Laden schließlich vermacht und Susanas Nebenjob war damit zu ihrem eigenen Geschäft geworden. Susana hatte nach ihrem ersten Mafia-Auftrag im zarten Alter von fünfzehn Jahren ihre Ohren einfach noch ein wenig mehr gespitzt und war immer öfter konsultiert worden. Ihre Tätigkeit als Informantin hatte sich zu dem Zeitpunkt schon herumgesprochen und nach und nach war der Laden zum inoffiziellen Treffpunkt geworden. Es gab ihr einen zusätzlichen Bonus, dass sie bereit gewesen war, die Informationen direkt von der Quelle zu beschaffen. Susana hatte schon immer gut rechnen können und mit dieser ersten echten Aufgabe als Maulwurf hatte sie mehr verdient als mit all ihren kleinen Gefälligkeiten zuvor.
Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, bereitete sie sich einen Tee zu. Dabei stürzte ihr die lose Schranktür, wie immer, beinahe entgegen. Hier musste unbedingt mal ein Handwerker ran.
Während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, schaute sie sich im Laden um. Der alte Linoleumboden war so durchgetreten, dass an einigen Stellen der blanke Beton hervorlugte. Die Blumenkübel hätten bereits vor zehn Jahren erneuert werden müssen und über die Wände wollte sie gar nicht erst nachdenken.
Einst waren sie weiß gewesen, mittlerweile konnte man die Farbe bestenfalls als Gelb bezeichnen. Ein schmutziges, schmierig wirkendes Gelb, das neue Kunden das erste Mal oft so abschreckte, dass sie den Laden direkt wieder verließen, ohne etwas zu kaufen. Susanas Blumenoase war genau das Gegenteil von dem, was der Name versprach. Der Laden glich vielmehr einem Schlachtfeld nach Kriegsende. Hier kaufte nur, wer die Qualität der Ware zu schätzen wusste oder einen ganz speziellen Grund für den Besuch hatte.
Natürlich war Tracey nicht entgangen, dass Susana gelegentlich »Sonderaufträge« ausführte. Wie jetzt zum Beispiel. Sie konnte sogar verstehen, weshalb sie die Mata Hari für die schmierigen Mafiosi mimte, denn Susana und Sofia hatten es als Kinder nicht leicht gehabt. Susana war tough und klug, sie kam sicher klar. Das bedeutete aber nicht, dass Tracey sich keine Sorgen um sie machte. Bisher war alles gut gegangen und sie wusste auch, dass das Mädchen nicht gerade Mordaufträge ausführte, sondern immer nur als Schnüfflerin unterwegs war. Dennoch, gutheißen konnte sie es nicht und sehr bald würde sie mit der jungen Dame mal ein Wörtchen darüber reden müssen. Was, wenn sie einmal aufflog? Mit ihren »Geschäftspartnern« war nicht zu spaßen. Die Kerle würden sie sicher nicht aus dem Knast raushauen. Im Gegenteil, wenn sie einen Schuldigen gefunden hatten, würden sie keinen Finger rühren, um die Aufmerksamkeit am Ende auf sich zu lenken.
Nein. Tracey schüttelte den Kopf. Das musste aufhören.
Das Piepen des Wasserkochers erschreckte sie, sie schrie spitz auf. »Guter Gott, meine Nerven!«, brabbelte sie, während sie den Tee aufgoss.
Wenn sie schon nur der Gedanke an die Mafia so schockte, dass sie sich beinahe in die Hosen machte, wie musste es Susana dann erst gehen?
»Muss am italienischen Blut liegen, die haben keine Angst vor gar nichts, diese Frauen!«, schimpfte sie leise, aber ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht.
Ja, Susana würde schon wissen, wie sie zu reagieren hatte, wenn mal was nicht nach Plan lief. Das Mädchen war dank früher Schule mit allen Wassern gewaschen und nicht auf den Kopf gefallen.