Von den Fünf Assen sind folgende Titel erhältlich:

#Abgetaucht #Ausreißer #Doppeltreffer

#Fehltritt #Freiwurf #Kälteschock

#Pistenjagd #Schmetterball #Schulterwurf

#Spielmacher #Stromschnelle #Vollbremsung

Impressum

Verlag Akademie-der-Abenteuer

Boris Pfeiffer, Pfalzburger Straße 10, 10719 Berlin

E-Mail: info@verlag-akademie-der-abenteuer.de

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck, auch auszugsweise, nicht gestattet.

© Verlag Akademie-der-Abenteuer, Berlin 2021

1. Auflage

Umschlagillustration: Irene Margil

Satz: Kris Kersting

Herstellung: Verlag Akademie-der-Abenteuer

Druck und Bindung: BoD, Norderstedt

www.verlagakademie.de

ISBN (print): 978-3-98530-042-6

ISBN (ebook): 978-3-98530-043-3

Printed in Germany

Inhalt

Aufregung

Linh stand vor dem Eingang der Jugendherberge und konnte es nicht fassen. So ehrgeizig und voller Siegeswillen ihre Freunde bei Wettkämpfen auch waren, einen solchen Spurt, wie ihn Michael, Lennart und Jabali gerade hinlegten, hatte sie lange nicht gesehen. Mit schweren Rucksäcken, vollgehängt mit Schlafsäcken, Trinkflaschen, Seilen und Helmen, stürmten sie voran und versuchten, sich gleichzeitig durch die Eingangstür der Jugendherberge zu zwängen.

„Ich schlafe oben!“, brüllte Michael.

„Ich auch!“, stellte Lennart klar.

„Ich sowieso!“, verkündete Jabali.

Ihr Andrang wurde jäh durch einen massigen Bauch gestoppt. Breitbeinig, mit den Händen in die Hüften gestützt, hatte sich der Herbergsvater in die Tür gestellt und die drei Jungs zu einem abrupten Bremsmanöver gezwungen.

„Immer mit der Ruhe“, brummte ihnen die tiefe Stimme des Zwei-Meter-Mannes entgegen. “Hier hat bisher noch jeder ein Bett abbekommen.“

Genauso sah Linh die Sache auch. In aller Ruhe ließ sie sich vom Busfahrer ihren Rucksack herausgeben, stellte ihn neben sich und wartete auf Ilka.

„Willst du auch unbedingt oben schlafen?“, fragte Linh.

Ilka schüttelte lachend den Kopf.. “Ist mir völlig egal. Hauptsache, ich kann beim Aufwachen aus dem Fenster schauen und sehe den Himmel.“

Linh nickte. Ein gutes Kriterium, um einen Schlafplatz auszusuchen, fand sie.

In der Jugendherberge gab es Viererzimmer. Das wussten die Mädchen ebenso wie die Jungs, weil Frau Kick es ihnen in der Vorbereitung gesagt hatte.

Für mindestens einen der drei Jungs würde also der Wunsch, das obere Bett zu bekommen, nicht in Erfüllung gehen. Linh nahm an, dass es Jabali sein würde. Denn er war langsamer als Lennart und nicht so kräftig wie Michael. Und bei den Jungs wurden solche Entscheidungen in der Regel nicht aufgrund von Argumenten getroffen.

Nachdem der Herbergsvater die Jungs hatte passieren lassen, nahmen die drei wieder volles Tempo auf. Frau Kick hatte es aufgegeben, ihnen hinterherzurufen und wandte sich stattdessen an die Mädchen:. “Wir treffen uns in einer Stunde in kompletter Montur wieder hier vor der Tür. Sagt es bitte auch den Jungs. Dann können wir den Nachmittag noch nutzen und uns schon mal mit dem Sandsteinfelsen vertraut machen.“

Die Augen der Mädchen begannen zu glänzen.

„Wirklich?“, fragte Ilka. “Wir machen heute noch eine Kletterpartie?“

Frau Kick lachte:. “Na, wir wollen unsere Zeit doch nutzen. Und nach fünf Stunden Busfahrt wird uns ein wenig Bewegung guttun.“

„Super!“, freute sich Linh. Sie war ebenso wenig wie Ilka eine Sportkletterin. Aber die Kletterwand in der Schule nutzte sie wie die meisten gern als entspannendes Freizeitvergnügen. Und wie die anderen freute sie sich, ihre zahlreichen Übungen an der Wand in der Schule nun das erste Mal im freien Gelände an einem echten Felsen ausprobieren zu dürfen.

Fünf Tage Klassenreise lagen vor ihnen und zum Glück begann der Tischdienst erst am Abend. Zu Mittag hatten sie alle noch ihre Brote während der Fahrt gegessen.

„Gibt’s hier auch Pferde?“, fragte Jessica, die erst seit Kurzem an der Schule war. Eine Spitzenturnerin in den Disziplinen Schwebebalken, Bodenturnen und natürlich liebte sie auch das Voltigieren.

„Seit wann können Pferde klettern?“, fragte Vanessa, die kräftige Kugelstoßerin, und amüsierte sich selbst am meisten über ihren eigenen Witz.

Linh, Ilka, Vanessa und Jessica belegten ein Viererzimmer und sie bildeten auch die ersten beiden Klettergruppen. Geklettert wurde immer zu zweit. Eine an der Wand, die andere sicherte das Halteseil. Ilka fragte sich, wie das bei Jessica und Vanessa funktionieren sollte. Wenn Vanessa abstürzte, dann würde die zwar groß gewachsene, aber unglaublich zierliche und dünne Jessica durch Vanessas Gewicht doch katapultartig mit dem Seil in den Himmel geschossen, stellte sie sich vor. Aber Frau Kick vertraute den beiden, die unbedingt zusammen klettern wollten.

Im Jungszimmer tat sich genau das, was Linh vermutet hatte. Lennart hatte als Erster das Zimmer erreicht, warf seinen Rucksack auf das obere Bett der linken Seite und hatte es damit besetzt. Michael knockte Jabali auf den letzten drei Metern mit einem Bodycheck gegen die Wand, schritt majestätisch durch die Zimmertür und nahm das obere Bett der rechten Seite in Besitz. Für Jabali blieben nur noch die unteren Betten. Durch die ungerade Zahl der mitgefahrenen Jungs blieben die drei in dem Zimmer unter sich. Michael und Lennart bildeten auch eine Klettergruppe. Jabali blieb freiwillig übrig. Er machte sich nichts aus Klettern und Frau Kick hatte ihm ausdrücklich erlaubt, dass er den Felsen stattdessen mit Bergläufen auf den Wanderwegen erobern durfte. Er wollte sich so für einen Crosslauf vorbereiten, der unmittelbar nach der Klassenreise stattfand.

Frau Kick hatte ihren Schülern eine Stunde Zeit gegeben, um ihr Gepäck zu verstauen, ihre Zimmer einzurichten und die Betten zu beziehen. Nachdem die Jungs die Nachricht vernommen hatten, dass noch am gleichen Tag geklettert würde, standen sie bereits nach fünf Minuten in voller Montur mit Haltegurten, Seilen, Sicherungsgeräten, Karabinern, Magnesiumbeuteln und Helmen draußen vor der Tür, die Kletterschuhe zum Wechseln in den Händen oder Rucksäcken, in denen sie auch Fitnessriegel und Getränke mit sich führten, und warteten dort ungeduldig auf die Mädchen.

„Was machen die denn bloß so lange?“, fragte Michael, nachdem er 30 Sekunden gewartet hatte. “Tapezieren die noch ihr Zimmer, oder was?“

Lennart zuckte mit den Schultern. Ihm war es genauso unverständlich, wie man sooooo unendlich lange brauchen konnte, um seine Kletterausrüstung zu schnappen und damit herauszukommen.

„Habt ihr etwa auch eure Betten schon fertig bezogen?“, fragte Ilka verwundert, als sie nach 35 Minuten als erstes Mädchen aus der Herberge trat.

„Mach ich nachher“, verkündete Michael.

„Und die Taschen ausgepackt?“ Diese Frage kam von Linh, die sich nun auch startklar zu den anderen gesellte.

„Was gibt’s denn da zu packen?“, wollte Lennart wissen.

„Zum Beispiel die Wäsche in den Schrank“, antwortete Linh, obwohl sie diese Erklärung als überflüssig empfand. Das lag ja auf der Hand.

„Was denn für ein Schrank?“, fragte Jabali, der die unendlich lange Wartezeit mit einem kleinen Dauerlauf überbrückt hatte.

Ilka und Linh glaubten es nicht: Die Jungs hatten nicht mal bemerkt, dass in ihrem Zimmer ein Kleiderschrank stand! Sie hatten die großen Reise-Rucksäcke auf die Betten geworfen, die kleineren Rucksäcke mit den Kletterausrüstungen aufgesetzt, die restliche Ausrüstung wie Helm, Schuhe und Seile gegriffen und waren nichts wie rausgerannt. Alles andere war so liegen geblieben wie bei einem Feueralarm.

Nach 50 Minuten war die Klasse vollzählig.

Bis auf Jessica.

Michael setzte sich auf einen Mauervorsprung und stöhnte laut. “Was treibt die denn so lange?“

Lennart konnte es sich vorstellen. “Haare fönen, Schleifchen binden, Schühchen putzen.“

Niemand hatte so schnell einen Spitznamen in der Schule weggehabt wie Jessica: “die Ballerina“. Da auf der James-Connolly-Schule, einer Gesamtschule mit dem Schwerpunkt Sport, ohnehin täglich irgendeine Sportdisziplin auf dem Stundenplan stand, zogen die meisten Schüler ihr Sportzeug gar nicht mehr aus. Auch im Mathematik- oder Englischunterricht saßen sie nur in Trainingsanzügen. Außer Jessica. Von Stunde zu Stunde zog sie sich um und wirkte in dieser Sportschule wie eine Marzipanfigur auf ’ner Tüte Pommes. Und so trat sie auch aus der Herberge auf den Hof. Von Kopf bis Fuß in Rosa gekleidet: rosa Hosen, rosa Kapuzenshirt, rosa Halstuch und rosa Käppi und die Kletterschuhe in der Hand: rosa!

„Ich wusste gar nicht, dass es solche Kleidung in Rosa gibt“, staunte Jabali.

„Es gibt alles in Rosa“, war Lennart sich sicher. “Solange es Mädchen gibt, die so etwas kaufen.“ Er schielte sogar auf Jessicas Seil, um zu sehen, ob das auch rosa war. Es hätte ihn nicht gewundert.

„Sieht ein bisschen aus wie mein Sparschwein“, feixte Ilka.

Und Linh überlegte stumm, ob Vanessa bei der dicken Freundschaft, die sich auf geheimnisvolle Weise zwischen ihr und Jessica entsponnen hatte, künftig mit rosafarbenen Metallkugeln stoßen würde.

Aber dann ging es endlich los.

Der Sandsteinfelsen

Der heiß ersehnte Sandsteinfelsen lag nur 20 Minuten Fußweg entfernt. “Nur“ aus Jabalis Sicht, der die Strecke schnell abgelaufen war und die Schritte dazu gezählt hatte: Es waren genau 2156, etwa zwei Kilometer. Vanessa dagegen erschien es wie eine Marathon-Entfernung. Sie hasste alles, was mit Gehen oder Laufen zu tun hatte.

Jabali hatte den Kletterfelsen bereits nach zehn Minuten erreicht, kurz nach ihm folgten Lennart und Michael, die sich, als sie den Felsen entdeckten, mit einem 200-Meter-Sprint von dem Rest der Gruppe absetzten. Ähnlich wie bei den Betten besetzten Michael und Lennart sofort den besten Platz zum Klettern. Die Wand vor ihnen traf genau ihren Geschmack. Sehr hoch, mit vielen Windungen und Schwierigkeitsgraden. Und bereits mit vielen eingelassenen Bouldern und Sicherheitspunkten, weil dieser Sandsteinfelsen als ein bevorzugter Ort für Schulfahrten galt. Michael entdeckte die angeschraubten Hilfsmittel sofort.

„Das ist ja öde!“, fand er. “Ich denke, wir klettern natur!“

„Tischtennis“, sagte Lennart nur und Michael wusste sofort, worauf er anspielte. Michael war als Zehnkämpfer und Kletterspezialist ein außerordentlich vielseitig durchtrainierter Sportler. Sobald eine Sportart aber etwas mit einem Ball zu tun hatte, fühlte sich Michael restlos überfordert. Das genaue Gegenteil von Lennart, der alles beherrschte, wenn nur ein Ball im Spiel war. Besonders Tischtennis bereitete Michael große Schwierigkeiten. Mehr als einmal hatte er sich im Unterricht über die angeblich zu hohen Anforderungen beschwert. Jetzt, da es sich beim Klettern um eine seiner Lieblingssportarten handelte, vergaß Michael schnell, dass es anderen an der Kletterwand vielleicht ähnlich erging wie ihm beim Tischtennis.

„Okay“, räumte Michael auch gleich ein. Schade fand er es trotzdem. Gern hätte er sich an einer schwierigeren Naturwand, an die keine Hilfen anmontiert waren, ausprobiert.

Immerhin hatte er sich mit Lennart den steilsten Abschnitt der Wand ausgesucht, bei dem man - das konnte man deutlich schon von unten erkennen - einen Überhang bezwingen musste. Bevor Frau Kick verbieten konnte, an dieser Stelle zu klettern, hatte Michael schon die Schuhe gewechselt, den Helm festgezurrt, seinen Sicherungsgurt angelegt und losgelegt.

„Moment!“, wollte Lennart gerade sagen, doch da hing Michael schon in der Wand. Zwar hatte Michael sich ordnungsgemäß angeseilt, aber Lennart war noch nicht so weit. Das Seil, mit dem er Michael sichern musste, baumelte lose um ihn herum. Lennart hatte noch keinen Platz gefunden, wo er einen festen Stand hatte, das lange Seil schlingerte ihm noch um die Beine und seine Kletterschuhe hatte er auch noch nicht angezogen. Dieser Michael mit seiner ungestümen Art brachte ihn manchmal wirklich zur Weißglut!

Michael hatte die ersten drei Meter Höhe bereits mühelos erklommen. Drei Meter waren hoch genug, um sich beim Absturz erheblich verletzen zu können. Und im Moment kletterte er vollkommen ungesichert, weil Lennart das Seil nicht hielt, sondern stattdessen seine Schuhe schnürte. Hastig band Lennart die Schnürsenkel zu, entwirrte das Seil um seine Beine und schielte gleichzeitig hinauf zu Michael.

„Verdammt!“, fluchte er. “Nunwarte doch mal!“ Doch da passierte es schon: Michael hatte nicht an einen der anmontierten Boulder gegriffen, sondern sich an einem kleinen Felsvorsprung festhalten wollen, der dann aber unter seinen Fingern wegbrach. Michael verlor das Gleichgewicht. Ein kurzer Aufschrei, dann fiel er von der Wand wie faules Obst vom Baum. Im letzten Augenblick sah Lennart es. Blitzartig reagierte er, schnappte das Seil, das ihm zunächst durch die Hand glitt. Dann bekam er es endlich richtig zu fassen, zog fest, stemmte sich nach hinten und - fing Michael auf, kurz bevor er auf den Boden geschlagen wäre.

Trotzdem: Ein entsetzlicher Aufschrei von Michael. Davon alarmiert, stürmten Ilka und Linh herbei. Michael hing nur knapp einen Meter über dem Boden im Halteseil, stöhnte, jammerte und fluchte. Langsam ließ Lennart ihn herab. Kaum hatte Michael mit den Füßen Bodenkontakt, ging er wutschnaubend auf Lennart los, wobei Linh gleich bemerkte, dass Michael humpelte.

„Sieh dir das an, du Schnarchnase!“ Michael streckte sein rechtes Bein vor, das aus einer etwa fünf Zentimeter langen Wunde blutete. Lennart hatte Michael so abrupt gestoppt, dass der mit dem Knie gegen die raue Felswand gestoßen war und sich dabei die Schramme zugezogen hatte. “Sieh dir das an!“

Linh verzog ihr Gesicht.

„Was kann ich denn dafür, du Hirni? Ich ruf doch die ganze Zeit hinter dir her, dass du warten sollst. Ich war noch überhaupt nicht so weit.“

„Noch nicht so weit?“, schnaubte Michael.

„Was pennst du denn hier rum, statt mich zu sichern?“

Ilka zog flink ihr Notfalltäschchen, das sie meistens bei sich trug, aus dem Rucksack, und kramte ein Desinfektionsspray hervor.

„Am besten, ihr brüllt noch lauter“, blaffte sie Michael und Lennart währenddessen an.

„Dann macht Frau Kick dem Klettern hier gleich ein Ende, bevor es überhaupt begonnen hat. Nur wegen euch!“

„Aber?...“, wollte Michael sich rechtfertigen.

Doch Ilka sprühte nun das Desinfektionsmittel auf seine Wunde.

Michael schrie auf, weil es so brannte.

„War was?“, fragte sie Michael.

Michael wollte sein Bein wegziehen, doch Ilka hatte es fest im Griff. “Hiergeblieben! Ich bin noch nicht fertig.“

Mit einem Tuch, auf das sie ebenfalls Desinfektionsmittel gesprüht hatte, tupfte sie das Blut rund um die Wunde fort. Und nachdem diese einigermaßen gereinigt war, betrachtete Ilka die Wunde. “Sieht schlimmer aus, als es ist“, stellte sie fest.

„Du musst es ja wissen!“, stöhnte Michael.