Viktor
»Und das hier ist die Küche.«
An einem runden Holztisch stehen grüne Plastikstühle, wie man sie aus den Biergärten dieser Welt kennt. Direkt darüber hängt eine blaue Deckenlampe, an der man sich den Kopf stoßen könnte. Auf dem Gasherd steht eine silberne Espressokanne, mit der man original italienischen Espresso zaubern kann, einen vollautomatischen Kaffeeautomaten, der achtzehn verschiedene Heißgetränkvariationen zaubern und einem das Horoskop vorlesen kann, sucht man hier vergeblich. In den offenen Schränken darüber stehen das Geschirr, bei dem wohl kein Teil zum anderen passt, und gefühlt zehntausend Tassen. Unten dran hängt ein Wow, einige Pfannen und Kochzubehör wie Nudelsieb und Co. Ein Schwarz-Weiß-Poster von Meryl Streep hängt an der sonst kahlen weißen Backsteinwand. Auf dem Fenstersims stehen einige Pflanzen und ein Basilikumbäumchen, das schon etwas mit seiner Migration ins kalte Deutschland zu kämpfen hat.
»Schick.«
Auch wenn auf den ersten Blick nichts zusammenpassen will, so strahlt diese Küche doch einen heimeligen Charme aus, der mir gefällt. Hier möchte ich Nächte mit rotweingefärbten Lippen durchquatschen, während die Kerze im Flaschenhals vor uns auf den Tisch tropft.
»Dann noch das Bad.«
Ich folge artig über den schmalen Flur, in dem ein Fahrrad an der Wand hängt und zu viele Turnschuhe über den Fußboden verteilt liegen, als hätten Kinder damit Lego gespielt und dann vergessen, sie wieder wegzuräumen, und werfe einen Blick in das kleine Bad, das zu meiner Überraschung über eine Wanne verfügt.
»Klein, aber fein.«
Auf einem Holzregal steht ein auf altmodisch getrimmter Plattenspieler.
»Gehört das zum Badezimmerinventar?«
»Wer hört denn nicht gerne bei einem Schaumbad Musik?«
Ich betrete das Bad und betrachte die verschiedenen Schallplatten, die sich dort stapeln. Das meiste davon gehört in eine andere Zeit. Die Dire Straits, Jimi Hendrix, Joe Cocker, Eric Clapton …
»Guter Musikgeschmack.«
»Danke.«
Wieso bin ich nie auf die Idee gekommen, Schallplatten in der Badewanne zu hören? Es mag daran liegen, dass ich bisher weder einen Plattenspieler noch eine Badewanne hatte. Aber gerade klingt die Vorstellung eines Schaumbads in Begleitung von Janis Joplin ziemlich verlockend.
»Und dann noch das Wohnzimmer.«
»Das Wohnzimmer.«
Gerahmte Fotos an der Wand, Momentaufnahmen eines Lebens, das ich noch nicht kenne, ein Regal voller Bücher, das meiste davon Krimis, auf der Couch liegt eine Kuscheldecke, dazu Dekokissen. Eine mir bekannte Topfpflanze steht in der Ecke neben der Stehlampe, die perfekt auf den Lesesessel ausgerichtet ist. Auf dem Couchtisch stehen zwei Tassen mit Kaffee – aus der Espressokanne in der Küche – und der Fernseher an der Wand lädt zu gemütlichen Filmabenden ein.
»Also, was sagst du?«
»Sehr gemütlich.«
Und das ist es tatsächlich. Es fällt mir leicht, mir hier meine Feierabende vorzustellen.
»Danke. Dabei hast du das Beste noch gar nicht gesehen.«
Sie zieht vielsagend eine Augenbraue hoch und ich spüre, wie meine Nackenhaare sich aufstellen.
»Das Schlafzimmer?«
Sie verdreht die Augen und schüttelt den Kopf.
»Den Balkon.«
Damit greift sie einfach nach meiner Hand und zieht mich hinter sich her auf den Balkon, für den es zu dieser Jahreszeit viel zu kalt ist.
»Habe ich bereits erwähnt, dass ich an Höhenangst leide?«
Sie nickt, aber es hält sie nicht davon ab, mich in die Mitte des kleinen Balkons zu schieben. An der Seite, mit einer dicken Plane verdeckt, steht ein Tisch, die Stühle finden sich gestapelt direkt daneben.
»Ich präsentiere dir …«
Sie breitet die Arme aus.
»Unseren Balkon.«
Meine Beine zittern und das liegt weder an der Kälte noch an der Höhenangst.
»Unseren?«
Paula nickt und sieht mich aus ihren nicht-mehr-traurigen Augen an. Ihre Haare sind am Ansatz dunkel, werden dann im Verlauf immer heller, die Spitzen sind wieder erblondet. Auf ihren vollen Lippen liegt ein hoffnungsvolles Lächeln.
»Unseren. Wenn du noch immer bereit für eine WG bist.«
Sie geht rückwärts und lehnt sich gegen die eisige Brüstung, was nicht gerade dabei hilft, meine Höhenangst in Schach zu halten. Sie streckt die Hand nach mir aus und das bedeutet, ich muss noch weiter auf den Balkon, der bestimmt eine tolle Aussicht, aber eben auch einen Absturz in die Tiefe, bietet. Todesmutig greife ich nach ihr, bekomme ein paar Finger zu fassen und verhake meine mit ihren. So, wie ich es hier schon mal getan habe. Langsam zieht sie mich an sich heran und ich lasse es geschehen. Statt nach der rettenden Brüstung zu greifen, schlinge ich meine Arme um sie und halte mich an ihr fest. Sie stützt ihr Kinn auf meiner Brust ab und sieht zu mir.
»Also, was denkst du?«
»Wie hoch wäre mein Anteil der Miete?«
»550 Euro. Nebenkosten teilen wir.«
»Muss ich meine Joghurts im Kühlschrank beschriften?«
Sie schüttelt lächelnd den Kopf.
»Aber den Klodeckel hochklappen, wenn du unbedingt im Stehen pinkeln musst.«
»Klingt nach einem fairen Deal.«
Sie legt die Arme um meinen Hals.
»Höre ich ein Aber …?«
»Allerdings.«
»Das da wäre?«
»Es gibt nur ein Schlafzimmer.«
Sie nickt, ich nicke und wir wissen beide, dass das kein Problem sein wird. Zu lange haben wir aneinander vorbeigelebt und selbst in den drei Wochen Venezuela – ich habe den Urlaub ein bisschen abgekürzt – haben wir Kontakt gehalten. Skype, Facetime, WhatsApp und selbst Instagram, kein Social-Media-Kanal war sich zu schade für unsere verliebten Nachrichten.
»Wenn das hier funktioniert …«
Eine andere Version will ich nicht mal in meinem Kopf durchspielen.
»… wäre das eine Win-Win-Situation für uns beide.«
»Wäre es das?«
Ich nicke, beuge mich langsam zu ihr runter und streife ihre Lippen mit meinen.
»Du musst keine Bank ausrauben …«
Sie küsst mich sanft und weiß genau, was ich sagen will.
»Und du keine reiche Erbin heiraten.«
»Ich kann sogar alle meine Organe behalten.«
»Und wenn es nicht funktioniert?«
Einen Moment lang sehen wir uns an und wissen beide, dass das hier auch gewaltig schiefgehen kann. Wir kennen uns kaum, mögen uns aber viel zu sehr, als dass wir es nicht zumindest versuchen wollen. Garantie gibt es auf Toaster, auf Handys und vielleicht auf künstliche Herzklappen aus Carbon, aber doch nie für die Liebe. Wieso also nicht mal was Verrücktes probieren und hoffen, dass man zu den Glücklichen gehört, die mutig genug waren, etwas zu riskieren.
Jetzt küsse ich sie, lasse sie wissen, dass es von meiner Seite keine Zweifel gibt.
»Wenn es nicht funktionieren sollte … so eine Niere bringt gut Geld.«
Sie schlägt mir spielerisch gegen die Schulter und lehnt ihre Wange dann an meine Brust, die Augen geschlossen.
»Wie wäre es mit einem anderen Deal?«
»Der da wäre?«
»Du behältst deine Nieren.«
»Okay.«
»Und ich mein Herz.«
Sie hält die Augen geschlossen, spricht aber weiter.
»Mach es bitte nicht kaputt.«
Erst jetzt sieht sie wieder zu mir.
»Deal?«
Statt zu antworten, nehme ich ihr Gesicht vorsichtig in meine Hände und küsse sie, hoffe, sie weiß, dass ich mich anstrengen werde, um so lange wie möglich mit ihr in dieser Wohnung glücklich zu sein.