Skizzen und Studien
In alten Häusern und Schlössern ist es immer die Rumpelkammer, die mich am meisten anzieht. Was sich in ihr verbirgt, was Generationen nach und nach in ihr beiseite geschoben haben, das ist gewissermaßen eine Kulturgeschichte im kleinen für sich. Was dem einen paßt und begehrenswert schien, scheint dem nächsten unbrauchbar, unwichtig; das ist einmal so der Lauf der Welt. Und doch, welche Schätze birgt oft die Rumpelkammer, die Unwissenheit oder Bequemlichkeit, oder Überfluß und Mode dahin verbannt, und darin herumzukramen und die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen mit ihren Schatten und Lichtern, das ist ein ganz besonderer Genuß.
Auch die Weltgeschichte hat ihre Rumpelkammern, in denen sie alles das aufgestapelt und mit Spinngewebe hat überziehen lassen, woran sie vorübergehen muß, wenn ihre Berichte nicht endlos werden sollen. Zwar sind in die Rumpelkammern der Weltgeschichte die Spezialhistoriker gekommen und haben das Wichtigste und Beste für ihre Spezialgeschichten hervorgeholt, aber alles konnten auch sie nicht mitnehmen, und was da liegen blieb, ist auch noch von den Chronisten durchgesiebt worden und ausgelesen. Aber trotz dieser Ährenleser der Weltgeschichte nach ihrer reichen und imposanten Ernte, blieb in der Rumpelkammer der Geschichte mehr zurück, als alle Schriftsteller der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verarbeiten konnten, und in diesen Resten zu kramen und herumzustöbern, ist ein ebensolches Vergnügen für mich, als es mir die Rumpelkammern alter Häuser gewähren.
Als ich mein historisch-genealogisches Lexikon: »Das Goldene Buch«, bearbeitete, das bei der Fachwissenschaft und in anderen Kreisen so viel Anerkennung fand, da führten mich die schlichten, trockenen Namen und Daten oft weit hinweg in ferne, vergangene Zeiten, und viele, die diese chronologisch geordneten Namen und Ziffern sehen, ahnen nicht, was alles zwischen ihren Zeilen zu lesen ist, was alles ich beim Suchen nach diesen trockenen Ziffern gefunden habe. Vieles, ja das meiste davon lag in der Rumpelkammer der Weltgeschichte unter Staub und Spinngewebe verborgen; die vornehme, nur in großen Zügen schreibende Geschichte kann sich eben nicht aufhalten bei all diesen wunderlichen, verschollenen Gestalten, die einst gelebt, gelitten, geirrt haben und gestorben sind. Die vorliegenden Blätter nun sind ein kleines Ergebnis solch einer Razzia in der Rumpelkammer der Weltgeschichte: ob sie dem Leser Neues bringen, oder vielleicht nur Halbvergessenes auffrischen werden, das hängt natürlich ganz davon ab, ob er dieser größten aller Rumpelkammern auch schon seinen Besuch abgestattet; ist sie ja, im Gegensatz zu den Rumpelkammern der Privathäuser, offen für jedermann, der Lust, Neigung und Beruf hat, darin herumzukramen und zu der Erkenntnis zu kommen, daß die Aufzeichnungen der Weltgeschichte zwar weise machen, daß man aber das Pochen ihres Herzens nur zwischen ihren Zeilen hört, und daß es sicher keine verlorene Zeit und Mühe ist, sich anzusehen, was alles sie liegen lassen muß, will sie Schritt halten mit der Zeit. Da tönt manch ein verklungenes Lied zu uns herüber, die Schatten derer, die einst gelebt und gelitten, sie gewinnen noch einmal Gestalt vor unserem geistigen Auge, wir sehen sie vor uns, wir hören sie, und müssen erkennen, wie das Herz des Menschen sich mit seinen Schwächen und Größen wiederholt und erneut, und doch immer das gleiche bleibt.
Ich habe darauf verzichtet, diesem Buche ein Verzeichnis der von mir benutzten Quellen mitzugeben, – für diese schlichten Studien und Skizzen wollte es mir zu prätensiös aussehen. Ich bin aber jederzeit gern bereit, auf Anfragen die gewünschte Auskunft darüber zu erteilen.
Denen aber, die mir auf meinem Gange durch die Rumpelkammer der Weltgeschichte folgen, meinen Dank im voraus, und wenn sie sich einigermaßen gefesselt fühlen, so soll's mir ein schöner Lohn sein für eine Arbeit, die mir eine liebe und immer interessante war.
Durlach, im Sommer 1895
Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Die Ehe durch Prokuration, also der bindende Abschluß eines Ehekontraktes durch Bevollmächtigte, ist nur ein Vorrecht fürstlicher Persönlichkeiten, von dem noch bis über die Mitte unseres Jahrhunderts hinaus besonders von regierenden Herren Gebrauch gemacht wurde. Der Grund für dieses staatsrechtlich anerkannte Kuriosum lag nahe genug; er hatte seine Ursache in den erschwerten und mangelhaften Verkehrsmitteln vergangener Tage, die ein persönliches Erscheinen zu dem wichtigen Akte zu einem Opfer an Zeit, Beschwerden, Geld und noch manchem andern machte, wovon wir heutzutage keine Ahnung haben. Zudem erforderte das persönliche Erscheinen eines regierenden Herren solch einen Apparat an Repräsentation, Ceremonieen und dergleichen mehr, daß die Ausgabe kleinere Fürstenhöfe einfach ruinieren mußte, und die weite Reise selbst dem hohen Bräutigam, abgesehen von allem anderen, sich zu einem schwer und bedächtig zu erwägenden Ereignis gestaltete. Die Bekanntschaften der fürstlichen Paare wurden damals durch das Portrait gemacht, nachdem der betreffende Gesandte die Präliminarien und diplomatischen Einleitungen besorgt hatte. Wenn dann der betreffende Maler recht geschmeichelt hatte, man sich gegenseitig gefiel, und der Ehevertrag zur beiderseitigen, oder auch nur einseitigen Zufriedenheit wohl verklausuliert und perfekt geworden war, so sandte der hohe Bräutigam seinen Bevollmächtigten an den betreffenden Hof, und dieser vermählte sich im Namen seines Herrn mit der fürstlichen Braut, um sie dann unter der nötigen Eskorte in ihre neue Heimat zu geleiten, wo die Trauungsceremonie »persönlich« unter großem Pomp wiederholt wurde.
Unsere Zeit mit ihren vorgeschrittenen Verkehrsmitteln hat die Eheschließung durch Prokuration zu einem völlig überflüssigen Schattenbilde gemacht, das eigentlich nur in dringenden Verhinderungsfällen noch Berechtigung hätte. Doch auch in diesen Fällen scheinen die Fürsten unserer Zeit sich von der veralteten Institution emanzipieren zu wollen, wie ja die Vermählung des jetzigen Kaisers von Rußland beweist, welche diesen Schritt durch die besonderen Umstände doch sicher gerechtfertigt hätte. Ist nun aber schon die Ehe durch Prokuration für uns Kinder des neunzehnten Jahrhunderts zu einem Kuriosum geworden, wieviel mehr muß uns nicht eine Brautfahrt durch Stellvertretung eigen anmuten! Da finden wir in Genealogien, Stammbäumen, Ahnentafeln und Geschichtswerken die trockene Notiz, daß König Jakob II. von England sich in zweiter Ehe am 30. September 1673 durch Prokuration mit der Prinzessin Maria Beatrice von Modena vermählte und die persönliche Eheschließung am 21. November desselben Jahres zu Dover erfolgte. Die genealogischen Werke fügen dem noch die Geburts- und Todesdaten hinzu – doch nur vereinzelt erzählt uns die in großen Zügen schreibende Geschichte, daß die schöne Gemahlin des letzten regierenden Stuartkönigs nach vielerlei inneren und äußeren Drangsalen in der Verbannung ihr gottseliges Leben beendet. Aber wie um den zarten Sprößling des Hauses Este, um diese wahrhaft königliche Lilie mit den klassischen Zügen und den tief-schwermütigen Augen geworben wurde, das ist eine Komödie mit Rührscenen, deren Aufzeichnung wir dem alten Kavalier verdanken, der für König Jakob II. auszog, eine Braut zu suchen.
König Jakob hieß damals noch Herzog von York und galt, da die Ehe seines Bruders, König Karl II., mit Katharina von Braganza kinderlos war, für den präsumtiven Thronerben. Späterhin so unpopulär, schließlich verhaßt und endlich vertrieben, war Jakob Stuart damals der Liebling des Volkes und als Lordadmiral der Flotte der Held des Tages. Es war aber niemals eine Gabe der Stuarts, das weise zu erhalten, was ihnen ein gütiges Geschick verlieh, und so beging auch Prinz Jakob Stuart, Herzog von York, im Jahre 1660, 27 Jahre alt, den thörichten Jugendstreich, entgegen den Wünschen seines Volkes und seiner Familie, die Dame seines Herzens, Lady Anna Hyde, zum Altare zu führen und sie zur Herzogin von York zu machen. Sie war die Tochter des Lordkanzlers von England, Thomas Hyde, Graf von Clarendon, der sicherlich damals der unpopulärste und bestgehaßte Mann der vereinigten Königreiche war. Daß der Herzog von York sich durch diese unbesonnene Heirat die Liebe der Engländer entzog und sich bald genug mit der Unbeliebtheit seines Schwiegervaters identifizierte, ist darum kein Wunder, – doch der rasche Schritt war einmal geschehen, und erst der Tod der Herzogin von York im Jahre 1671 gab dem Prinzen eine Freiheit wieder, die er gar nicht einmal begehrte, da die Ehe eine durchaus glückliche war, denn Jakob war damals noch nicht der Schmetterling, welcher der edlen Beatrice von Modena soviel des Herzwehs verursachen sollte. Die Herzogin von York hinterließ ihrem Gemahl zwei Töchter, die beide ihrem Vater als Königinnen folgten, die älteste als Maria II., die jüngere als Anna I., und beide haben sie durch ihr unkindliches Betragen gegen ihren unglücklichen Vater sich ein Andenken gestiftet, das in dem Pamphlet seinen Ausdruck fand:
»There is Mary, ›the Daughter‹, and Willy, the cheater,
and Georgie, the drinker, and Annie, the eater!"
Der erste unbesonnene Schritt in Jakobs II. verantwortlicher Laufbahn als Erbe der Krone war ihm aber durchaus keine Lehre gewesen, und abermals stand er hart an der Schwelle einer neuen Thorheit, indem er sein Herz an eine schöne junge Witwe, Lady Susanna Bellasyse verlor, ihr ein schriftliches Eheversprechen gab, und sie in der That auch zur zweiten Herzogin von York gemacht hätte, wenn der höchst erzürnte König sich nicht ins Mittel gelegt und die Angelegenheit mit seiner ganzen Autorität zum Abschluß gebracht hätte. Lady Bellasyse trat übrigens sofort freiwillig zurück, als sie sah, daß ihr Eintritt in die königliche Familie nicht gewünscht wurde, und behielt zum Andenken an jene Epoche nichts als eine beglaubigte Kopie des Dokumentes ihres feierlichen Verlöbnisses mit dem Herzog von York, für den der König sofort in Negociationen behufs einer standesgemäßen Vermählung trat, um ihn dadurch vor ferneren Herzensthorheiten zu schützen. Die Wahl des Königs für seinen Bruder war auf eine Prinzessin des Hauses Österreich gefallen, auf die Erzherzogin Claudia Felicitas, eine Tochter des Statthalters von Tyrol, Erzherzogs Ferdinand Carl und seiner Gemahlin Anna von Medici. Die Verhandlungen um die Hand der schönen neunzehnjährigen Prinzessin kamen zu einem glücklichen Abschluß, und des Herzogs von York treuer alter Freund Henry Mordaunt, Graf von Peterborough, wurde als Stellvertreter seines Herren zu dem Eheabschluß durch Prokuration nach Innsbruck zum Heimbringen der Braut entsendet, doch infolge mancherlei Intriguen konnte der vortreffliche alte Kavalier erst im März 1673 abreisen, begleitet von einer Chatulle mit Juwelen im Werte von 20 000 Guineen, welche zum Geschenk für die fürstliche Braut bestimmt waren. Der Graf von Peterborough war es nun, der über seine Brautfahrt durch Prokuration einen höchst amüsanten und eingehenden Bericht hinterlassen hat, dessen Original sich heute noch in dem Archive des Hauses Mordaunt befindet und sicherlich ein sehr wertvoller Beitrag ist zu der Geschichte jener Zeit.
Als der Abgesandte des Herzogs von York endlich zur Heimführung der hohen Braut abreiste, und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, daß sie es war, die bei dieser verspäteten Abreise ihre Hand im Spiele hatte, da lag Kaiser Leopold I. erste Gemahlin, die zarte, blonde Margaretha Tereza von Spanien, im Sterben, und ehe sie noch ihren letzten Atemzug that, beschloß der kaiserliche Witwer auch schon, die schöne, temperamentvolle Braut des Herzogs von York zur deutschen Kaiserin zu machen, und diese selbst willigte nur zu gern und zu schnell ein, den mächtigeren Thron zu besteigen. Der englische Gesandte in Wien, Sir Bernard Gascoigne kam zum Glück hinter die Intrigue der treulosen Braut, ehe der Graf von Peterborough Wien erreichte; er konnte ihn demnach in seiner verfehlten Reise aufhalten und ihm die ärgerliche Demütigung ersparen, wie ein genasführter Komödienonkel wieder abziehen zu müssen.
Um den verlassenen Bräutigam zu trösten, bot man ihm als Entschädigung die Hand von des Kaisers Schwester, Maria Anna, späteren Kurfürstin von der Pfalz an, doch der Herzog von York dankte sehr kühl für die freundliche Absicht, und befahl dem Grafen von Peterborough, sogleich seine Schritte weiter zu lenken, um eine andere Braut für ihn aus einer ihm übersandten Liste von fünf Fürstentöchtern nach eigener, sorgsamster und gewissenhaftester Prüfung ihres Charakters und ihres Äußeren auszuwählen, und der Graf von Peterborough zögerte nicht, sich auf die Brautfahrt zu begeben, und den delikatesten Auftrag auszuführen, der noch jemals einem Menschen erteilt worden war. Aus seinen eigenen Aufzeichnungen zu schließen, muß der alte Hofmann indes eine ganz hervorragend befähigte Vertrauensperson gewesen sein, der nicht allein seinen Herrn, dessen Charakter, Neigungen und Abneigungen aus dem Grunde kannte und studiert haben mußte, sondern auch die Gabe besaß, den inneren Wert eines Menschen sicher und zuverlässig auf Geist und Herz zu prüfen; nebenbei war er ein Kenner der Schönheit, der sich indes nicht blenden und bestechen ließ, sondern unbeirrt auf den inneren Wert prüfte.
Die erste und zumeist namentlich von dem französischen Hofe empfohlene Kandidatin auf der Liste des Herzogs von York war die verwitwete Herzogin von Guise, eine Prinzessin von Frankreich und Tochter des Herzogs Gaston von Orleans, Bruders König Ludwigs XIII. Ihre Schwestern waren die Großherzogin von Toskana, die Herzogin von Savoyen und die berühmte » Grande Mademoiselle de Montpensier«, fürstliche Häuser, in die hineinzuheiraten dem englischen Hofe ganz wünschenswert war. Aber der Graf von Peterborough sah die Herzogin und entschied in negativem Sinne, denn er fand sie »von schlechter Konstitution, wenig hübsch, unansehnlich und ein wenig verwachsen.« Zudem hegte der getreue Gesandte die Befürchtung zu naher Verwandtschaft, denn die Herzogin war ja in der That des Herzogs von York leibliche Base.
Die zweite Dame in seiner Liste nennt der Graf von Peterborough »Fräulein von Rais« und meint damit zweifellos eine Dame aus dem Hause der regierenden Grafen von Reuß. Jedenfalls war darunter eine der drei Töchter des Grafen Heinrich I. von Ober-Greiz zu verstehen, doch er sah von ihr ein so wenig einnehmendes Bild, daß er auf eine persönliche Bekanntschaft verzichtete, und alsbald die dritte der Kandidatinnen, die Prinzessin Maria Anna von Württemberg, ins Auge faßte. Sie war eine Nichte Herzog Eberhards III. und Tochter des 1671 in französischen Diensten gefallenen Prinzen Ulrich. Ihre Mutter, eine Prinzessin von Arenberg, hatte sich nach Flandern zurückgezogen und ihre Tochter unter dem Schutze des französischen Hofes in Paris zurückgelassen. Die Versorgung, welche die mittellose Prinzessin von der französischen Krone erhielt, bestand darin, daß man ihr in einem Pariser Kloster ein Heim anwies, das zwar ganz standesgemäß war, sie aber zu dem Leben einer Nonne verurteilte. Durch die Vermittelung eines englischen Geistlichen von hohem Range gelang es dem Grafen von Peterborough, Zutritt zu der Prinzessin zu erlangen, und was er in wiederholten Begegnungen von ihr sah und hörte, brachte ihn ganz zu der Überzeugung, die rechte Braut für seinen Herrn gefunden zu haben; ja, er glaubte ihr diese Überzeugung auch nicht vorenthalten zu dürfen. Nach seiner Beschreibung muß diese halb vergessene, verwunschene Prinzessin, die damals noch nicht ganz zwanzig Jahre zählte, eine äußerst sympathische, wenn nicht schöne Erscheinung gewesen sein, hochgebildet, bescheiden, liebenswürdig und jeder Zoll doch dabei die große Dame, schlank gewachsen wie die Tannen ihrer Heimat. Seine Berichte über sie autorisierten ihn bald genug, ihr in Aussicht zu stellen, daß man demnächst ihre Hand begehren würde, doch in der elften Stunde noch traf unerwartet Contreordre ein und ein expresser Kurier beorderte den Grafen, Paris sofort inkognito zu verlassen, und sich nach Düsseldorf an den Hof des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neuburg zu begeben, um dort dessen Tochter, die Prinzessin Eleonora, in Augenschein zu nehmen. Der Herzog von York beauftragte seinen Freund, ja recht genau zu prüfen, ob diese Prinzessin ihm geeignet erschiene, ihn, den Herzog, was ihr Äußeres, ihren Charakter und ihre Allüren beträfen, glücklich zu machen, und wenn nicht, sofort nach Paris zurückzukehren, um die Hand der Prinzessin von Württemberg für ihn zu erbitten.
Der Graf von Peterborough hatte, wenn auch in diesem Falle nur ungern, nichts zu thun, als zu gehorchen, und reiste, nur begleitet von seinem ständigen Kavalier und Kurier, Signor Varasani, ab. Daß er in Cöln sogleich von dem englischen Ministerresidenten begegnet und erkannt wurde, scheint den Grafen sehr irritiert zu haben. Dem Wirt des Gasthauses gegenüber, in welchem er in Düsseldorf abstieg, gab er sich als einen Vergnügungsreisenden aus, der die Stadt zu sehen wünsche. Gelegentlich eines Nachmittagsgottesdienstes in der Jesuitenkirche hatte der Graf Gelegenheit, den Hof ganz nahe zu sehen, doch leider trug die Prinzessin dabei eine Kapuze, die ihr ganzes Gesicht verhüllte, so daß nichts übrig blieb, als sich dem Hofe unter dem Vorwande zu nähern, er gehöre zur Suite des englischen Gesandten in Cöln, und hätte den Wunsch, sich auf seiner Durchreise dem Pfalzgrafen vorzustellen, ein Wunsch, der ihm mit so großer Bereitwilligkeit gewährt wurde, daß man wohl annehmen darf, der Pfalzgraf sei auf anderm Wege schon von der Mission des englischen Gentleman unterrichtet gewesen. Diese Annahme fand Bestätigung in der Art, wie der Pfalzgraf während der bewilligten Audienz das Gespräch auf den englischen Hof brachte und dann bemerkte, er habe gehört, daß der Herzog von York sich wieder zu vermählen gedenke. Ärgerlich entgegnete der Graf, ihm sei davon nichts bekannt, und als er kurz darauf um die Erlaubnis bat, auch der Pfalzgräfin, einer hessischen Prinzessin, seine Huldigung zu Füßen legen zu dürfen, wurde er mit einer Bereitwilligung zu der hohen Dame geführt, die ein volles Verständnis der Situation voraussetzen ließ. Die Pfalzgräfin ihrerseits schob sofort ihre Tochter, die Prinzessin Eleonora, in den Vordergrund unter dem Vorwande, daß sie des Französischen nicht mächtig genug sei, und das achtzehnjährige Fürstentöchterlein machte in einer Weise den Dolmetsch, daß sich dem guten Grafen die Absicht der Situation immer klarer aufdrängte. Er beschreibt die Prinzessin Eleonora als eine der lichtesten Blondinen mit dem schneeigsten Teint, die er je gesehen, hübsch, wohlgewachsen, aber er fürchtet, sie würde sicherlich sehr fett werden! Ihren Geist fand er nicht sonderlich hervorragend. Diese Beobachtungen alle, verbunden damit, daß man ihm alsbald einen Kammerherrn des Kurfürsten nachsandte, um ihn unter ein kleines Kreuzverhör zu setzen, bewogen den Grafen, Düsseldorf sogleich wieder zu verlassen, ohne von seiner eigentlichen Mission auch nur das Geringste verraten zu haben. Die Prinzessin Eleonore hat es dem Herzog von York ihr Leben lang nicht vergeben, daß sein Abgesandter kam, sie zu sehen, ohne ihre Hand zu erbitten, und dieser Haß hat Früchte gezeitigt, die damals freilich niemand vorausahnen konnte. Denn das Schicksal wollte es, daß der kleine Pfalzgraf von Neuburg nicht nur Kurfürst von der Pfalz wurde, sondern der mächtige Rival des Herzogs von York, Kaiser Leopold I., machte nach seiner kurzen Ehe mit der schönen Claudia Felicitas von Österreich die blonde Eleonora von der Pfalz zu seiner dritten Gemahlin und zur Kaiserin – erst die begehrte, dann die verschmähte Braut des englischen Thronerben freiend. Sie schenkte ihrem Gemahl nicht weniger als siebzehn Kinder, darunter die späteren Kaiser Joseph I. und Karl IV., und die große Animosität, die man am Hofe des deutschen Kaisers gegen den späteren Jacob II. hegte, ist ganz sicherlich auf den gekränkten Stolz der Kaiserin Eleonora zurückzuführen.
Der Graf von Peterborough kehrte nach seiner verfehlten Mission nach Paris zurück in der sicheren Voraussetzung, dort eine Ordre vorzufinden, die ihn ermächtigte, feierlich um die Prinzessin von Württemberg für den Herzog von York zu werben, doch er rechnete ohne den Faktor, daß die berüchtigte »Freundin« seines Königs, die Herzogin von Portsmouth, die Fäden der Intrigue inzwischen in ihre Hand genommen und die Heimführung der ihr unbequemen Prinzessin mit Glück zu hintertreiben gesucht hatte. Die Braut, welche diese höchst insolente Allmächtige des englischen Hofes für den Herzog von York inzwischen ausgesucht hatte, war die Prinzessin Marie Françoise von Lothringen-Elboeuf, Tochter Herzog Karls III. von Elboeuf und der Prinzessin Katharine-Elisabeth de la Tour d'Auvergne, der Schwester des großen Marschalls Türenne, den der Herzog als seinen ehemaligen militärischen Vorgesetzten hoch verehrte. Diese Brautwahl wäre insoweit sicher keine schlechte gewesen, aber als der Graf von Peterborough kam, die Prinzessin zu sehen, fand er in ihr ein Kind von kaum dreizehn Jahren vor, zurück hinter ihrem Alter, so daß er diesen Plan sofort und definitiv aufgab, wenn ja auch eine erst zu erziehende Herzogin von York der Herzogin von Portsmouth freilich am besten und bequemsten gepaßt hätte.
Vielleicht war diese junge Braut auch nichts anderes als das Mittel zum Zweck der Herzogin von Portsmouth, denn während der Graf von Peterborough wegen jener in Negociationen trat, intriguierte diese so erfolgreich gegen die württembergische Prinzessin, daß der Graf, als er nun vor der Unmöglichkeit dieses neuen Heiratsprojektes stand, sich gezwungen sah, auch jenes fallen zu lassen. Das ging dem alten Herrn sehr nahe, und so voll war sein Herz von Mitgefühl für die schwere und unsäglich bittere Enttäuschung der armen Prinzessin Maria Anna, daß er in seinem Berichte gesteht, er hätte es nicht mehr gewagt, ihr unter die Augen zu treten.
Nach dieser einen, verfehlten Hoffnung, nach jenem einen zerronnenen Traum, der ihr Freiheit, Glanz und eine Königskrone lockend und nahe genug gezeigt, verschwand die »Pensionärin der Krone Frankreichs« wieder hinter ihren standesgemäßen Klostermauern, in denen sie auch schon im Jahre 1693 zu Grabe getragen wurde, – »Eine Rose, gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert«. –
Und nun, nach all den langen Mühen, den vielen vergebenen und kostspieligen Reisen, hatte der Herzog wiederum keine Braut. Doch es stand noch ein Name auf der Liste des Grafen von Peterborough, – Prinzessin Maria Beatrice d'Este von Modena, die einzige Schwester des regierenden Herzogs. Noch ehe er seine Brautfahrt angetreten, hatte der Graf das Bildnis der jungen Prinzessin gesehen, und er erklärte feierlich, daß dies Porträt es ihm von vornherein angethan hätte mit seinen wunderbaren, dunkeln, unschuldvollen Augen in dem jungen Antlitz, von dem ein wunderbar helles Licht von Schönheit ausging und zugleich auch ein Zug von Wahrheit und Herzensgüte, so daß es den alten Herrn überzeugte, er hätte in diesem jungen Wesen seine Herrin und das Heil Englands gefunden.