Verfasser: James Cook
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Mein Auftrag. -- Nach Amerika. -- Ein Unglücksfall im Feuerland.
-- Die Feuerländer und ihre Sitten. -- Fahrt nach der Südsee. --
Entdeckungen. -- Ankunft in Otahiti.
Als ich meine Bestallung erhalten hatte, die vom 25. Mai 1768 datiert
war, ging ich an Bord des Endeavour, hißte die Kommandoflagge und
segelte am 30. Mai nach Plymouth. Hier wurden der Mannschaft die
Kriegsartikel und die Parlamentsakte vorgelesen. Zugleich wurde ihr ein
zweimonatiger Sold im voraus bezahlt. Am 26. August stachen wir in See.
Am 12. September erblickten wir Porto Santo und Madeira, und am
folgenden Tage kamen wir auf der Reede von Funchal an, wo wir das
Schiff vor den Stromanker festlegten. Am nächsten Tage riß beim Lichten
das Seil des Ankerpfahls den Oberbootsmann Weir über Bord, und er ging
mit dem Anker unter. Dieser wurde sofort wieder gehoben, allein es war
zu spät. Der Unglückliche, dessen Körper sich in das Seil verwickelt
hatte, war ertrunken. In der Nacht vom 18. auf den 19. gingen wir
wieder unter Segel.
Auf dem Wege von Teneriffa nach Bonavista sahen wir eine große Menge
fliegender Fische. Am 25. Oktober segelten wir in der Länge von 29
Graden 30 Minuten mit den üblichen Feierlichkeiten durch den Äquator.
Am Abend des 29. beobachteten wir jenen lichten Glanz in der See,
den die Seefahrer so oft erwähnen. Über seine Entstehung waren die
Forscher verschiedener Meinung. Wir waren der Ansicht, daß er von
irgendeinem glänzenden Tiere herrührt, und fanden, nachdem wir ein
kleines Netz ausgeworfen hatten, unsere Meinung bestätigt, denn wir
fingen eine Medusenart, die an Bord ein weißes Licht von sich gab.
Gleichzeitig fingen wir auch verschiedene kleine Krebse, die, obschon
sie zehnmal kleiner als Johanniswürmchen sind, doch ebensostark wie
diese leuchteten. Herr Banks konstatierte mit vielem Vergnügen, daß
alle diese Tierchen noch von niemand beschrieben worden waren.
Am 8. November erblickten wir die Küste von Brasilien. Wir lavierten
dann bis zum 12. längs der Küste hin, und am 13. segelten wir dem Hafen
von Rio de Janeiro zu. Wir waren vom 14. November bis zum 7. Dezember
hier1. Dr. Solander war einmal an Land, ich selbst verschiedene Male,
und Herr Banks fand ebenfalls Gelegenheit, sich durch die Wachen zu
schleichen. Dr. Solander sagte mir in Bestätigung der verdammenden
Urteile mehrerer Reisenden über die Sittenlosigkeit der Damen von Rio
de Janeiro, daß sobald es dunkel geworden wäre sich fast alle Damen
in den Fenstern gezeigt und die vorübergehenden Herren, soweit sie
ihnen zusagten, mit Blumen überschüttet hätten. Was in einem Lande eine
unanständige Vertraulichkeit ist, ist in einem anderen Lande Sitte. Ich
für meinen Teil kann nichts weiter sagen, als daß ich von der Wahrheit
der Sache selbst sehr überzeugt bin.
Am 14. Januar 1769 liefen wir in die Le Mairestraße ein. Wir wurden
aber durch die Strömung vertrieben und gingen schließlich in der »Bai
des guten Successes« vor Anker. Am 16. gingen Banks und Dr. Solander
mit ihren Leuten, unserm Schiffsarzt Monkhouse und Herrn Green, dem
Astronomen, an Land, um Pflanzen zu suchen. Dabei überfiel sie ein
Schneegestöber. Eine eisige Kälte setzte ein, so daß Dr. Solander der
ermüdeten Gesellschaft den Rat gab, sich des Schlafes zu erwehren. »Wer
sich niedersetzt,« sagte er, »der wird einschlafen, und wer einschläft,
wird nicht mehr erwachen!« Und er war der erste, der dem Drange zu
schlafen folgte. Umsonst bat ihn Herr Banks, sich zu ermannen; er
legte sich nieder. Und seinem Beispiel folgte der Neger Richmond,
ein Diener von Banks, der auf alle Vorhaltungen nur antwortete, daß
er nichts weiter verlange, als sich niederzulegen und zu sterben.
Der Doktor erklärte -- obschon er kurz vorher gewarnt hatte: »hier
einschlafen und sterben sei eins« -- er wolle gerne fortgehen, müsse
aber vorher ein wenig schlafen. In kaum zwei Minuten fielen beide in
tiefen Schlaf. Bald darauf kam einer von den ausgeschickten Leuten mit
der angenehmen Meldung, daß an geschützter Stelle im Walde ein Feuer
angezündet worden sei. Herrn Banks gelang es mit vieler Mühe den Doktor
aufzuwecken. Obgleich dieser nicht länger als fünf Minuten geschlafen
hatte, so war er doch nicht mehr imstande seine Glieder zu gebrauchen;
seine Muskeln waren so sehr eingeschrumpft, daß ihm die Schuhe von den
Füßen fielen. Trotzdem erklärte er sich zum Marsche bereit, wenn man
ihn unterstütze. Der arme Richmond war nicht wachzukriegen. Herr Banks
ließ seinen zweiten Neger und einen Matrosen, die am wenigsten von der
Kälte gelitten zu haben schienen, als Wache zurück und versprach sie
bald abzulösen. Hierauf schleppte er den Doktor zum Feuer hin. Später
sandte er zwei Leute, nachdem sie sich durchwärmt hatten, mit dem
Auftrage ab, Richmond mit Hilfe seiner Wache herbeizuschleppen. Nach
einer halben Stunde kamen sie mit der Nachricht wieder, daß sie trotz
eifrigen Suchens und Rufens von den drei Zurückgebliebenen keine Spur
entdeckt hätten. Zum Unglück fing es stark zu schneien an, so daß man
alle Hoffnung auf die Rettung der Verunglückten aufgab. Um Mitternacht
hörte man in einiger Entfernung rufen. Herr Banks machte sich sogleich
mit vier Leuten auf den Weg und fand den Matrosen, der kaum noch die
Kräfte hatte, heranzutaumeln und um Hilfe zu rufen. Man brachte ihn
sogleich zum Feuer, nachdem er die Richtung angegeben hatte, wo er sich
von seinen Gefährten getrennt hatte. Herr Banks fand die Gesuchten
dann auch glücklich auf. Richmond stand auf den Füßen, war aber nicht
imstande, sich zu bewegen. Sein Gefährte lag auf dem Boden und war
unempfindlich wie ein Stein. Banks alarmierte jedermann am Feuer.
Allein die vereinten Kräfte der ganzen Gesellschaft reichten nicht
hin, die Verunglückten nach dem Feuer zu schleppen. Die Finsternis
und der tiefe Schnee erschwerten das Fortkommen derart, daß jeder
einzelne genug mit sich zu tun hatte. Da auch des fallenden Schnees
wegen der Versuch, an Ort und Stelle Feuer anzuzünden, scheiterte, so
sah man sich in die traurige Notwendigkeit versetzt, die Unglücklichen
ihrem Schicksal zu überlassen. Man machte ihnen ein Lager von Zweigen
zurecht und bedeckte sie mit Reisern und Laub. Die Kälte und der Schnee
setzten den Rettern derart zu, daß einige von ihnen fühllos zu werden
begannen; Banks' Diener Briscoe wurde so krank, daß man glaubte, er
würde sterben. Endlich erreichten sie ihre Lagerstätte, doch brachten
sie die Nacht in der fürchterlichsten Gemütsverfassung zu. Von den
zwölf Personen, die in guter Gesundheit aufgebrochen waren, hielt man
zwei für tot, ein dritter war schwer erkrankt, die übrigen litten
unbeschreiblich. Man war eine starke Tagereise vom Schiff entfernt. Der
Weg dahin ging durch unbekannte Wälder. Wie leicht konnte man sich hier
verirren! Außerdem war der Proviant aufgezehrt. Dabei diese furchtbare
Kälte, die man selbst in Lappland für etwas Unerhörtes halten würde.
Dumpf vor sich hinbrütend wartete jedermann auf den Tagesanbruch. Um
sechs Uhr des Morgens faßte man Hoffnung. Das Gewölk fing an sich zu
zerteilen, und man konnte den Ort sehen, wo die Sonne hervorbrechen
wollte. Herr Banks ließ sofort nach den beiden Verunglückten sehen und
erhielt die traurige Gewißheit, daß sie gestorben waren. Um acht Uhr
stellte sich Tauwetter ein, und da sich die Kranken besser fühlten, so
brach die Gesellschaft, nachdem sie einen Geier roh verspeist hatte, um
zehn Uhr auf. Nach einer dreistündigen, beschwerlichen Wanderung sahen
sich die Verirrten am Strande und in der Nähe des Schiffes. Sobald
sie an Bord waren, wünschten sie einander zu ihrer Rettung Glück; ich
selbst hatte wegen ihres Ausbleibens große Angst ausgestanden und nahm
daher freudigen Herzens an dem allgemeinen Jubel teil.
Am 20. Dezember suchte Herr Banks in Begleitung des Doktors das Dorf
einiger feuerländischer Familien auf, das sich nach dem Bericht unserer
Leute etwa zwei Meilen landeinwärts befinden sollte. Als sie sich dem
Dorfe näherten, kamen ihnen zwei Feuerländer im Sonntagsstaate entgegen
und begrüßten sie mit lautem Freudengeschrei. Dann geleiteten die
Feuerländer ihre vornehmen Gäste in das Dorf, das auf einem waldigen
Hügel aufgebaut war und etwa aus fünfzehn äußerst primitiven Hütten
bestand, die die Gestalt großer Bienenkörbe hatten. Von Hausgeräten war
hier nichts zu sehen. Eine Rasenbank vertrat die Stelle eines Bettes
und der Stühle, die Blase irgendeines Tieres diente als Wasserbehälter,
ein Handkorb und ein Ranzen bildeten den ganzen Reichtum dieser Leute.
Der ganze Stamm, Männer und Weiber, jung und alt, zählte kaum fünfzig
Personen. Ihre Hautfarbe war eisenrostartig. Die Männer sind bis zu
5 Fuß 10 Zoll groß und in Bewegung und Haltung vierschrötig, die
Weiber sind bedeutend kleiner. Die Kleidung besteht aus dem Felle
eines Seehunds oder eines Guanicoes, das ungegerbt über die Schulter
geworfen wird. Die Männer tragen das Fell offen; die Weiber, denen ein
kleiner Lappen als Feigenblatt dient, binden es mit einem Riemen um
den Leib. Obwohl Männer wie Weiber sonst ganz nackt gehen, so bemalen
sie doch ihr Gesicht mit weißen, grellroten und schwarzen Figuren und
Streifen und tragen am Arm und an den Fußgelenken Armbänder aus kleinen
Muscheln und Knochen. Die liebe Eitelkeit ging so weit, daß sie sogar
Glaskorallen den Messern und Beilen vorzogen.
Die Sprache besteht zum größten Teil aus Gurgellauten, wie wir sie
ausstoßen, wenn uns etwas in die falsche Kehle gekommen ist; doch
sagen sie für Zieraten: ~halleca~, und für Wasser: ~ooda~. Sie leben
in der Hauptsache von Muscheltieren. Die Waffe dieser Naturmenschen,
Pfeil und Bogen, war der einzige Gegenstand, in dessen Verfertigung
sie Geschmack und Begabung zeigten. Da sie im Besitz von unechten
Ringen, Knöpfen, Tuch und sonstigem Zeug waren, und da seit vielen
Jahren kein europäisches Schiff so weit nach Süden vorgedrungen ist,
so liegt die Annahme nahe, daß dieser Stamm nomadisierend in der Terra
del Fuego lebte und vom Norden gekommen sein mußte. Auch kannten
sie die Waffe der Weißen, unser Gewehr, denn sie baten Herrn Banks
einen Seehund zu erlegen, der sich in der Nähe zeigte. Unter ihnen
herrschte vollkommene Gleichheit. Keiner war Herrscher im Lande,
trotzdem lebten sie in vollkommener Eintracht miteinander. Auch hatten
sie keine Götzen und wohl auch keine Religion. Das abergläubische
Geschrei, mit dem sie uns durch ihre »Priester« beschworen, kann
doch keine Religionsbetätigung2 sein. Im ganzen genommen schienen
diese menschenähnlichen, armseligen, hilflosen Wesen der Auswurf der
Menschheit zu sein. Hingegen sind sie auch der bittern Sorgen ledig,
die uns unsre verfeinerte Kultur aufbürdet, um die Begierden, die sie
schafft, stillen zu können.
Am 26. Januar steuerten wir vom Kap Horn ab. Am 13. Februar befanden
wir uns 12° westwärts von der Magelhaensstraße. Erst am 4. April
sichtete Peter Briscoe, ein Diener Banks', im Süden Land. Ich richtete
sogleich meinen Kurs dahin und fand, daß es sich um eine eiförmige
Insel handelte, in deren Mitte sich eine Lagune befand. Ich taufte sie
deshalb die Laguneninsel. Die kupferfarbigen Bewohner dieser Insel
sammelten sich am Strande und trugen große Spieße, mit denen sie
aufgeregt hin und her liefen. Um ein Uhr steuerten wir nach Nordwesten
und entdeckten eine neue Insel, die ich Thrumbkap nannte. Um drei
Uhr fanden wir eine armbrustartige Insel, die bewohnt war; ich hieß
sie die Bow-Insel, Bogen-Insel. Am 6. entdeckten wir verschiedene
Eilande, die ich die »Gruppen« nannte, am 7. die Vögelinsel, am 8. die
Ketteninsel, am 10. Maitea, die Kapitän Wallis zuerst entdeckt und
die Osnabrückinsel genannt hatte. Am folgenden Morgen früh entdeckten
wir Otahiti. Um 11 Uhr waren wir so nahe, daß verschiedene Kähne mit
Eingeborenen, die Palmzweige mit sich führten, uns anliefen und uns
die Zweige als Friedenszeichen überreichten. Am nächsten Morgen um 7
Uhr gingen wir in der Port Royal Bai, die von den Eingeborenen Matavai
genannt wird, vor Anker. Die Eingeborenen umringten das Schiff sofort
mit ihren Kähnen und brachten uns Kokosnüsse, Äpfel, Brotfrüchte
und Fische, die sie uns für Glaskorallen und andere Kleinigkeiten
überließen. Unter ihnen befand sich Owhah, ein alter Häuptling, den
die früheren Begleiter des Kapitäns Wallis, Herr Gore und andere, die
mich auf meiner Reise begleiteten, sofort erkannten. Ich lud den alten
Herrn an Bord und machte ihm einige Geschenke. Zugleich ordnete ich
durch einen Befehl den Verkehr meiner Leute mit den Eingeborenen, um
Preisdrückereien und anderem vorzubeugen. Hauptsächlich untersagte
ich, daß Waren gegen irgend etwas anderes als Lebensmittel umgetauscht
werden sollten.
Sobald das Schiff gehörig gesichert war, ging ich mit den Herren Banks
und Dr. Solander unter dem Schutze einer Abteilung Seesoldaten mit
unserm Freunde Owhah an Land. Die zahlreich versammelten Eingeborenen
ließen uns grüne Zweige überreichen und erzeigten uns große Ehrfurcht.
Am nächsten Tage kamen zwei Häuptlinge an Bord und wählten Herrn Banks
und mich mit großem Zeremoniell zu ihren Freunden. Mataha lud uns dann
zu sich ein. Weil ich einen bequemeren Hafen zu finden hoffte, ließ
ich zwei Boote aussetzen und ging mit Banks, Dr. Solander und den
andern Herren in Gesellschaft unsrer beiden indianischen Freunde an
Bord, um unter der Führung der letzteren die Reise anzutreten. Als wir
eine Seemeile weit gerudert waren, winkten uns die Häuptlinge an Land
zu steuern. Der Zulauf des Volkes war so groß, daß wir uns bald von
etlichen hundert Personen umringt sahen. Man geleitete uns sofort in
ein stattliches Haus, wo uns Tootahah, der Regent des Landes, begrüßte
und mit dem Geschenk wohlriechender Tücher bedachte. Das Tuch, das er
Herrn Banks überreichen ließ, war 33 Fuß lang und 6 Fuß breit. Herr
Banks erwiderte das Geschenk mit einem seidenen Spitzenhalstuch und
mit einem Taschentuch. Tootahah legte den neuen Staat mit stolzer und
selbstgefälliger Miene an. Doch es ist Zeit, daß ich auch die Damen
erwähne, die uns nach unserer Verabschiedung von dem Oberhäuptling in
ihre Häuser geleiteten. Sie erwiesen uns alle Aufmerksamkeiten und
schienen auch kein Bedenken zu tragen, ihre Gefälligkeiten allenfalls
noch weiter zu treiben. Die Häuser hatten keine Seitenwände, man
blieb also niemals ungesehen. Das hinderte die Schönen nicht, auf die
Matten zu deuten, sich niederzulassen und uns zu sich hinabzuziehen.
Wir beurlaubten uns jedoch von ihnen und gingen der Küste entlang.
Unterwegs begegnete uns der Häuptling Tubourai Tamaide an der Spitze
seiner Leute. Wir schlossen sofort einen Friedensvertrag mit ihm ab und
folgten dann seiner Einladung zu einem Imbiß.
Während der Tafel erzeigte eine von den Gemahlinnen des Häuptlings,
die Tomio hieß, Herrn Banks die Ehre, sich dicht neben ihn zu setzen.
Tomio war nicht mehr in der Blüte ihrer Jugend und Schönheit.
Aus diesem Grunde bezeigte ihr auch Herr Banks keine besonderen
Aufmerksamkeiten. Als ihm unter den Umstehenden ein sehr schönes
Mädchen in die Augen fiel, winkte er sie heran. Die Schöne zierte
sich anfänglich, folgte dann aber der Einladung. Nun beschenkte sie
Banks mit Glaskorallen und anderen Kleinigkeiten. Tomio war zwar
etwas beleidigt, aber sie blieb ebenso aufmerksam und höflich gegen
ihren Gast wie zuvor. Diese Szene hätte wohl noch interessanter
und rührender werden können, wäre sie nicht durch einen ernsten
Zwischenfall gestört worden. Dr. Solander und Herr Monkhouse machten
nämlich die unangenehme Entdeckung, daß sie bestohlen worden waren,
und zwar war ersterer um ein kleines Taschenperspektiv und letzterer
um seine Schnupftabaksdose bestohlen. Dieser Diebstahl verdarb allen
die gute Laune. Die Herren beschwerten sich bei dem Häuptling. Und
um der Beschwerde mehr Nachdruck zu geben, sprang Herr Banks auf und
stieß mit drohender Gebärde den Kolben seiner Büchse auf den Boden,
wodurch er der ganzen Gesellschaft einen solchen Schrecken einjagte,
daß sie Hals über Kopf zum Hause hinauslief. Dem Häuptling gelang es
binnen kurzem, die gestohlenen Gegenstände herbeizuschaffen und ihren
rechtmäßigen Eigentümern auszuhändigen, worauf wir versöhnt nach dem
Schiffe zurückkehrten.
Die Bewohner von Tahiti. -- Ihre Stehlsucht. -- Wir bauen ein Fort.
-- Lustbarkeiten. -- Oberea, die Königin, und ihr Günstling. --
Tootahah, der Regent. -- Ringkämpfe. -- Seltsame Besuchssitte. --
Freie Liebe.
Am nächsten Tage ging ich mit den Herren Banks, Dr. Solander und Green
an Land, um dort einen Platz für ein kleines Fort und unsre Sternwarte
aufzusuchen. Wir waren bald über den Platz schlüssig und steckten auf
der nordöstlichen Spitze der Bai die Grenzen ab, wo wir auch ein Herrn
Banks gehöriges Zelt aufschlugen. Wie bei allem, was wir taten, so
versammelte sich auch diesmal eine große Menge Zuschauer um uns, die
ohne Waffen gekommen waren. Unter ihnen befand sich auch Owhah, dem ich
durch Zeichen verständlich zu machen suchte, daß wir den Platz, den wir
abgesteckt hatten, nicht für immer, sondern nur für die Zeit unseres
Aufenthalts beanspruchten. Ich kann nicht sagen, ob er mich verstanden
hat. Die Eingeborenen betrugen sich zu meiner Freude gefällig und
ehrerbietig; sie hockten ganz friedfertig außerhalb des abgesteckten
Kreises nieder und schauten uns zu, solange wir arbeiteten.
Wir beschlossen, obwohl uns Owhah durch Zeichen abriet, uns im Innern
des Waldes umzusehen. Wir ließen unsere Seesoldaten unter dem Befehl
eines Unteroffiziers zur Bewachung des Zeltes zurück und begaben uns
in Begleitung einer großen Anzahl Eingeborener in den Wald. Als wir
über einen kleinen Fluß setzten, flogen einige Enten auf. Banks schoß
und erlegte drei Stück davon. Der Schuß jagte den Eingeborenen einen
solchen Schrecken ein, daß die meisten wie vom Blitz getroffen zu Boden
fielen; doch sie erholten sich bald von ihrer Furcht, und wir setzten
unsere Reise fort. Plötzlich fielen zwei Schüsse in der Richtung des
Zeltes. Wir brachen in großer Besorgnis so schnell als möglich dorthin
auf und fanden den Platz um das Zelt von den Eingeborenen geräumt.
Der wachhabende Unteroffizier meldete, daß einer der Indianer dem
Posten das Gewehr entrissen habe und damit entflohen sei. Man habe
ihn verfolgt und erschossen, sonst sei niemand getötet oder verwundet
worden. Wir rechtfertigten Owhah und den Häuptlingen gegenüber das
Vorgehen unserer Leute und bedeuteten ihnen, daß wir niemand ein Leid
zufügen würden, der uns und unsere Leute in Frieden lasse. Wir brachen
hierauf das Zelt ab und gingen ärgerlich über den Vorfall an Bord.
Am folgenden Morgen war der Strand ziemlich leer. Niemand von
unsern indianischen Freunden, selbst unser treuer Owhah nicht, ließ
sich blicken -- Beweis genug, daß man uns grollte. Unter diesen
Umständen segelte ich näher an die Küste und legte das Schiff so vor
Anker, daß unsere Kanonen den ganzen nordöstlichen Teil der Bai und
insbesondere den Platz bestreichen konnten, den ich zur Erbauung des
Forts abgesteckt hatte. Am 17. starb zu unserem größten Leidwesen
Herr Buchan, ein begabter Maler, den Herr Banks mitgenommen hatte, an
den Folgen des Abenteuers auf der Terra del Fuego. Aus Rücksicht auf
die Eingeborenen begruben wir ihn nicht auf der Insel, sondern wir
übergaben seinen Leichnam unter großen Feierlichkeiten der See. Am
Vormittag desselben Tages statteten uns Tootahah und Tubourai Tamaide
ihren Gegenbesuch ab. Auch brachten sie Geschenke mit, Brotfrucht und
ein gebratenes Schwein. Ich machte jedem ein Beil und einen Nagel
zum Gegengeschenk. Am Abend gingen wir an Land und schlugen ein Zelt
auf, worin Green und ich die Nacht zubrachten, um eine Finsternis des
Jupitertrabanten zu beobachten; weil sich aber der Himmel bewölkte,
wurde nichts daraus.
Nach Anbruch des Tages begannen wir mit dem Bau des Forts. Zu meiner
Beruhigung machten sich die Eingeborenen dadurch nützlich, daß sie
die im Walde gehauenen Pfosten und Faschinen herbeischleppten, die
ich ihnen ehrlich bezahlt hatte. Kein Baum war ohne ihre Erlaubnis
gefällt worden. Diese Rücksichtnahme auf ihre Eigentumsrechte machte
so guten Eindruck, daß der Oberhäuptling Tamaide bei einem Besuch
nicht nur seine Familie, sondern auch das Wetterdach eines Hauses und
allerhand Baugeräte mitbrachte und erklärte, seine Residenz in unserer
Nachbarschaft aufschlagen zu wollen. Am 22. veranstaltete Tootahah ein
Konzert zu unseren Ehren. Das Orchester bestand aus vier Flötisten,
die ihr Instrument mit der Nase bliesen, und vier Sängern, die immer
eine und dieselbe Melodie spielten und sangen. An einem Abend lieh
Dr. Solander einer von den Frauen Tamaides sein Messer, bekam es aber
nicht wieder; am folgenden Morgen vermißte Herr Banks das seinige. Bei
dieser Gelegenheit will ich betonen, daß unterschiedslos die Männer
und die Frauen dieses Volkes die größten Diebe auf Erden sind. Bereits
am Tage unserer Ankunft, als uns die Eingeborenen an Bord unseres
Schiffes besuchten, waren die Häuptlinge ebenso beschäftigt unsere
Kabinen zu bestehlen, wie ihre Leute die andern Teile des Schiffes.
Banks beschuldigte Tamaide, ihm sein Messer gestohlen zu haben. Der
Oberhäuptling leugnete feierlich. Banks erfuhr bald, daß sein eigener
Bedienter das Messer verlegt hatte, und er beeilte sich, den Häuptling
zu versöhnen.
Am 26. stellte ich sechs Drehbassen im Fort auf, wodurch die
Eingeborenen in Furcht gerieten; einige Fischer, die auf der Landspitze
der Bai wohnten, verzogen deshalb nach dem Innern der Insel. Am
nächsten Morgen langten zahlreiche Kähne an, und die Zelte im Fort
wimmelten von Männern und Frauen, die aus allen Teilen der Insel
hergekommen waren. Ich hatte an Bord zu tun; allein unser Steuermann
Mollineux, der schon einmal mit Kapitän Wallis in Otahiti war, ging
für mich an Land. Als er in das Zelt des Herrn Banks trat, fiel ihm
sofort eine Frau auf, die mit mehreren andern dort saß. Kaum erblickte
er sie, so erkannte er in ihr Oberea, die Königin der Insel, die nach
dem Zeugnis des Kapitäns ihm so wertvolle Dienste geleistet hatte. Auch
sie erkannte den Steuermann wieder. Oberea war sehr groß, ihre Haut war
weiß und ihr Gesicht schien ungemein geistreich und empfindsam. Sie war
ungefähr vierzig Jahre alt und mußte in ihrer Jugend sehr schön gewesen
sein.
Als Banks hörte, wer sie war, erbot er sich, sie an Bord des Schiffes
zu geleiten. Die Königin nahm den Vorschlag mit Freuden an und kam mit
zwei Häuptlingen und ihren Frauen an Bord, wo ich sie feierlich empfing
und mit Geschenken überhäufte. Am besten gefiel der erlauchten Dame
eine Kinderpuppe. Alsdann begleitete ich sie an Land, wo wir Tootahah
begegneten, der zwar nicht König als Regent, aber mit der höchsten
Gewalt bekleidet war. Es schien ihm wenig zu gefallen, daß wir die
Königin mit so großer Auszeichnung behandelten. Und als sie ihre Puppe
zeigte, wurde er so eifersüchtig, daß ich ihm, um ihn zu versöhnen,
auch eine Puppe schenken mußte, die er sogar einem schönen Beile
vorzog. Kurz danach fielen die Puppen so im Kurs, daß sie niemand mehr
wollte.
Die Männer, die uns besuchten, pflegten ohne das geringste Bedenken an
unserm Tische zu speisen. Die Frauen und Mädchen hingegen waren nie
dazu zu bewegen gewesen. Auch heute lehnten sie unsere Einladung ab,
verfügten sich aber in das Speisezimmer der Bedienten, wo sie es sich
gut schmecken ließen. Der Grund dieses Betragens blieb uns ein Rätsel.
Am nächsten Morgen erwiderte Herr Banks den Besuch der Königin. Es war
nicht mehr sehr früh, als er erschien. Trotzdem sagte man ihm, daß sie
noch unter der Wetterdecke ihres Kahnes schlafe. Er begab sich dorthin
in der Absicht sie zu wecken, weil er glaubte, daß er sie durch diese
etwas familiäre Art schwerlich beleidigen würde. Als er aber in ihre
Kajüte blickte, fand er sie mit Obadec, einem stattlichen jungen Manne
von fünfundzwanzig Jahren, zusammen. Banks wich beschämt zurück. Man
gab ihm aber zu verstehen, daß dergleichen Intimitäten landesüblich
seien; außerdem wäre es kundig, daß Obadec der Günstling der Königin
wäre. Zu höflich, Herrn Banks lange antichambrieren zu lassen, kleidete
sich Oberea schnell an und ging dann in seiner Begleitung nach den
Zelten.
Kapitän Wallis hatte eines der Steinbeile der Insulaner nach England
gebracht, nach dessen Muster die Admiralität ein eisernes Beil
verfertigen ließ, das ich mitnehmen mußte, um den braunen Herrschaften
mit unserer Industrie zu imponieren. Als ich Tootahah dieses Beil zum
Geschenke machte, um ihn wegen des Forts, das ich mit zwei Vierpfündern
und sechs Drehbassen bewehrt harte, zu beruhigen, war er von dem
Geschenke derart entzückt, daß er in der Furcht, das Geschenk würde
mich reuen, sofort davonlief, um es in Sicherheit zu bringen. Leider
wurde uns nebst mehreren andern Gegenständen ein Quadrant gestohlen,
den wir unter jeder Bedingung haben mußten. Meine Leute setzten daher
den guten Tootahah als Geisel gefangen. Zum Glück kam ich rechtzeitig
zurück, um ihn zu befreien. Wir erhielten die gestohlenen Sachen
ausgeliefert. Die Insulaner grollten mehrere Tage, allein es gelang
uns, sie wieder vollständig zu versöhnen. Wir statteten Tootahah einen
feierlichen Besuch ab.
Das Volk erwartete uns in so großer Menge am Strand, daß wir kaum
hindurch gekommen wären, wenn nicht ein großer, mit einem Turban
bekleideter Mann dagewesen wäre, eine Art von Zeremonienmeister, der
mit einem weißen Stock um sich hieb und Platz schuf. Dieser seltsame
Herr geleitete uns zum Oberhaupt, indes das Volk uns zujauchzte:
»Tai Tootahah!«, Tootahah ist euer Freund! Wir fanden ihn gleich
einem biblischen Erzvater, umgeben von den Ältesten seines Staates,
unter einem Baume thronend. Ich überreichte ihm zu den bedungenen
Versöhnungsgeschenken noch ein Oberkleid von englischem Tuche, das er
mit großer Freude empfing und sofort anlegte, und ein Hemd, das er
seinem Zeremonienmeister übergab. Dann lud er uns zu einem Wettkampf,
einem Ringkampf ein, den er uns zu Ehren veranstaltet hatte. Wir wurden
nach einem großen Platze geführt, der von einem etwa drei Fuß hohen
Rohrgitter umgeben und an die Residenz des Oberhäuptlings angebaut
war. Tootahah saß in der Mitte der Preisrichter; wir zogen es vor, uns
frei umherzubewegen. Als alles bereit war, traten die Kämpfer in den
Kreis. Sie waren bis auf ein Hüfttuch nackt. Die Anfangszeremonien
des Ringkampfes bestanden darin, daß die Ringer in gebückter Haltung
langsam rund im Kreise herumgingen und dabei die linke Hand auf ihre
rechte Brust legten, während sie mit der rechten Hand den Takt auf
ihrem linken Arm schlugen, eine Herausforderung an alle, die mit ihnen
ringen wollten. Die direkte Herausforderung bestand noch darin, daß
der einzelne Ringkämpfer seinen Gegner zum Kampfe einlud, indem er
die Hände auf die Brust legte und mit den Ellenbogen wippte. Hatte
der Gegner dasselbe getan, so fuhren beide aufeinander los, wobei
jeder seinen Gegner regellos zu packen suchte, an den Beinen, an
den Armen, um den Leib und selbst an den Haaren, wobei nur die rohe
Kraft entschied. Doch mußte der Sieger den Besiegten auf den Rücken
legen. Während des Ringens tanzten Tänzer einen der charakteristischen
monotonen Tänze. Mit Erbitterung wurde nirgends gerungen. Wir
konstatierten sogar, daß die Besiegten über ihr Pech lachten und
scherzten. Das Wettringen dauerte etwa zwei Stunden. Tootahah lud
sich alsdann bei uns im Fort zu Gaste, wozu er ein gebratenes Schwein
lieferte. Unsere Aussöhnung mit diesem mächtigen Manne wirkte wie ein
Zauber auf das Volk, das sofort mit vielem Eifer den unterbrochenen
Tauschhandel mit uns wieder aufnahm. Doch hielt es nach wie vor
schwer, Schweinefleisch zu erhalten. Die Herren Green und Mollineux
hörten bei einem Ausflug, daß die meisten Schweine unserem Tootahah
gehörten. Nunmehr fingen wir an, unsern Freund für einen mächtigen
Fürsten zu halten, denn anders wären ein solcher Reichtum und eine so
unumschränkte Gewalt nicht möglich. Bis jetzt hatten wir Kokosnüsse und
Brotfrüchte immer noch mit Glaskorallen eingehandelt. Nun aber begann
der Wert dieses Tauschartikels so bedeutend zu fallen, daß wir Nägel
auf den Markt brachten. Für einen vierzölligen Nagel erhielten wir
zwanzig Kokosnüsse und Brotfrucht in demselben Quantum.
Am 9. Mai besuchte uns, zum ersten Male seit dem Streit mit Tootahah,
die Königin wieder. Oberea kam in Begleitung des Häuptlings Tupia und
ihres Günstlings Obadec, die uns ein Schwein und Brotfrüchte brachten,
ein Geschenk, das wir mit einem Beil auslösten. Wir hatten inzwischen
eine Schmiede im Fort aufgestellt. Der Schmied hatte beständig Arbeit,
denn die Eingeborenen brachten altes Eisen, woraus ich ihnen neue
Werkzeuge schmieden ließ. Die Königin hatte eine zerbrochene Axt
mitgebracht, die ich ihr zu ihrer Zufriedenheit reparieren ließ.
Alsdann verabschiedete sie sich mit dem Versprechen, nach drei Tagen
wiederkommen zu wollen. Unsere Namen richtig aussprechen zu lernen
war den Insulanern ein Ding der Unmöglichkeit. Mich nannten sie Tuti,
Herrn Hicks Hiti, Mollineux nach seinem Vornamen Bob Boba, Herrn Gore
Toora, Dr. Solander Torano, Herrn Banks Tapane, Herrn Green Eteri, den
Maler Parkinson Patini und den Unteroffizier Monkhouse, der den Dieb
der Muskete erschossen hatte, Matte, was soviel wie Tod bedeutet. Der
letztere Umstand ließ uns darauf schließen, daß die Namen, die sie uns
gegeben hatten, Worte ihrer eigenen Sprache bedeuteten.
Am 12. Mai, an einem Freitag, statteten uns einige fremde Frauen von
Rang einen Besuch ab. Herr Banks saß am Tore des Forts in seinem Boote
neben Tootahah und andern vornehmen Eingeborenen, um die Marktgeschäfte
zu erledigen. Zwischen 9 und 10 Uhr landete ein großer Kahn, unter
dessen Wetterdach ein Mann und zwei Frauen saßen. Tootahah bedeutete
Herrn Banks, den vornehmen Fremden entgegen zu gehen. Bis er jedoch
aus dem Boote kam, waren ihm jene schon bis auf dreißig Fuß nahe
gekommen. In dieser Entfernung hielten sie still und winkten ihm ein
Gleiches zu tun. Hierauf legten sie ein halbes Dutzend Bäumchen und
andere Pflanzen auf die Erde nieder. Das Volk hatte inzwischen von
den Fremden bis zu Banks eine Gasse gebildet. Alsdann brachte der
Mann, der ein Diener der vornehmen Frauen zu sein schien, die Bäumchen
nacheinander Herrn Banks und sprach dazu einige Worte. Der Häuptling
Tupia versah das Amt eines Zeremonienmeisters des Herrn Banks; er nahm
die Zweige ebenso feierlich an und legte sie ins Boot. Nach dieser
Feierlichkeit schleppte der Mann einen großen Ballen Tücher herbei,
öffnete ihn und breitete den Inhalt stückweise zwischen Banks und
seinen Gästen aus, wobei er jedesmal drei Tücher aufeinander legte.
Hierauf stieg eine der beiden Frauen, die Ooratooa hieß und die