1 • Es war einmal...

Laut einer griechischen Geschichte, die sich ein wenig wie eine Legende anhört, soll die junge Kora im 7. Jahrhundert v. Chr. die Malerei erfunden haben: eine Frau. Als ihr Geliebter für eine unbestimmte Zeit verreisen sollte, habe sie seinen Schatten an einer Wand nachgezeichnet, um wenigstens seinen Umriss festzuhalten. Der Sage nach soll übrigens Koras Vater, Dibutades, selbst künstlerisch tätig gewesen sein, und zwar in der Produktion von Tonreliefs, deren Technik er selbst erfunden habe.


• Elisabeth Vigée-Lebrun: Portrait des Bildhauers Jean-Baptiste Lemoyne d.J., Öl auf Leinwand (1772) CMA •


Dieser Entstehungsmythos legt eine bestimmte Rollenverteilung in der Gesellschaft des alten Griechenlands nahe, das als Wiege der westlichen Kultur gilt. Zunächst einmal: Der Mann zieht weg, womöglich in den Krieg, und die Frau bleibt zu Hause. Der vermutlich alte Vater von Kora bleibt ebenso in der Heimat und geht seiner Arbeit in der Werkstatt weiter nach. Und hier wird es noch ein Stück interessanter: In der Kunst übernimmt ein Mann die Bildhauerei, die er in der altgriechischen Überlieferung noch selbst entscheidend mitgestaltet – wenn nicht gar erfunden – habe, eine Frau die Malerei.


• Angelica Kauffmann: Portrait Lady Emma Hamilton, schwarze und weiße Kreide auf grau präpariertem Papier (1791) MMA •

Die ganze Historie der weiblichen Kunst und deren Wahrnehmung scheinen Jahrtausende lang dieses Muster zu wiederholen: Die Tochter eines Künstlers ist kreativ und widmet sich spontan der Malerei. Kora und Dibutades scheinen zwar allegorisch zwei getrennte Disziplinen zu verkörpern, das Schicksal unzähliger Frauen spiegelt jedenfalls spätestens ab der Antike den Weg dieser Urkünstlerin. Oder umgekehrt: Das Mythos der Kora kristallisiert vielleicht eine Praxis heraus, die nicht nur in Griechenland länger anzutreffen war. Neben der verbreiteten Aktivität von Frauen in (familiären) Künstlerwerkstätten war vermutlich auch die selbstverständliche Rollenverteilung bereits vorhanden, nach der das starke Geschlecht sich mit der kraftfordernden Arbeit an Skulpturen und das vermeintlich schwache Geschlecht, das früher eben nicht an der Front eingesetzt wurde, sich mit der „leichteren“ Malerei beschäftigt.


• Rosa Bonheur: Laufender Stier, Bronze (1846) MMA •


Die Erwartung, dass Frauen, wenn überhaupt, eine „sauberere“ Disziplin praktizieren und sich bevorzugt dem Portrait widmen sollten, hat eine mindestens zweitausendjährige Tradition, die spätestens im Mythos von Kora ihren Ursprung hat. Andererseits sagt uns diese Legende zwar viel über die in der Morgenröte der europäischen Zivilisation entstehenden Vorurteile über Frauen und Kunst, lässt aber gleichzeitig die Idee angeborener weiblicher Kreativität und eines ausgeglichen anmutenden Zugangs der Geschlechter zur Kunst zu, die im Laufe der abenteuerlichen Geschichte der Künstlerinnen so oft in Frage gestellt werden sollte.


Angelica Kauffmann
• Angelica Kauffmann: Amor inspiriert eine junge Frau, Pinsel in Grau-Braun, mit weißem Stift gehöht (1751-1807) RMA •


2 • Anhaltender Ballast

Der lange Weg der Künstlerinnen von der Antike bis zur Moderne ist von faktischen Einschränkungen und anhaltenden Vorurteilen gepflastert. So wird in unseren Tagen noch gerne angenommen, dass die Kunst von Frauen sich von der von Männern unterscheide, wenn nicht in der Qualität, so aber in einem „gewissen Etwas“, das eben die Weiblichkeit der Urheberinnen ausmache. Auf die Beschreibung dieses „feinen Unterschieds“ kommt es genau an, um die Stellung einer Gesellschaft (deren weiblicher Anteil eingeschlossen) in der Gender-Diskussion zu erkennen. Derweil verstehen sich Berufskünstlerinnen nicht erst in Folge der Frauenbewegung weniger als geschlechtlich konnotierte denn schlechthin als professionelle Kunstschaffende und teilen sich die Kunstszene selbstredend sowohl mit Kolleginnen als auch mit Kollegen.


• J.C. Buttre: Harriet G. Hosmer, Kupferstich nach einer Zeichnung von Miss Sterbing (o.J.) ÖNB •


Zugegeben, bei mancher feministischen Arbeit, in der die herkömmliche Rolle der Frau in der Gesellschaft kritisiert und ein programmatisches Bild derselben für die Zukunft entworfen wird, ist die weibliche Autorschaft nicht übersehbar. Und in jüngeren Zeiten scheint die wiederkehrende Beschäftigung von Künstlerinnen mit traditionell weiblichen Handarbeiten (Nähen, Sticken, Stricken, Häkeln) manches hartnäckiges Denkmuster zu untermauern... wobei wiederum ein Teil derer Kolleginnen sich nicht davor scheut, schwere Materialien (Metall, Beton usw.) zu verarbeiten, die sonst in althergebrachten Assoziationen eher mit männlicher Arbeit in Verbindung stehen.


 • Berthe Morisot: Junge Frau beim Stricken, Öl auf Leinwand (um 1883) MMA •


Diese neueren, widersprüchlichen Tendenzen gehören allerdings zu einer jüngeren Kunstgeschichte, über die vermutlich aufgrund mangelnden Abstands noch kein letztes Wort gesprochen werden darf und die ohnehin den chronologischen Rahmen der vorliegenden Publikation sprengt, welche die Zeit bis zum frühen 20. Jahrhundert fokussiert, die der Verfasserin als ausreichend historisiert und gleichzeitig unzureichend bekannt erscheint.

Dies gesagt ist also bis auf eine bestimmte, noch vorhandene Erwartung gegenüber der Kunst von Frauen (und Männern), inzwischen eine weitest gehende Freiheit von Vorurteilen in der kollektiven Vorstellungskraft festzustellen, zumindest in Hinblick auf die kreative Befähigung und damit auf das Fehlen eines naturgemäßen Gefälles zwischen dem Talent von Künstlerinnen und dem ihrer Kollegen. Heute dürfte die Annahme der Existenz von – geschlechtsunabhängig – guter und schlechter, fortschrittlicher und rückschrittlicher, origineller und nicht origineller Kunst herrschen. Dem war nicht immer so.


 • Harriet G. Hosmer: Daphne, Marmor (1853-1854) MMA •

3 • Eine historische Behinderung

Die Geschichte der Künstlerinnen ist deswegen so abenteuerlich, weil sie voller sensationeller Sprünge und skandalöser Rückschläge ist. Sie besteht aus keinem geradlinigen Weg, der zielgerichtet von einem Zustand der Unterdrückung zur Emanzipation führt, sondern aus mehreren, parallelen oder sich kreuzenden Pfaden, die zum Teil in den Sand verlaufen: Auf- und Abstiege, Kehrtwenden und Sackgassen sind Teil dieser „Schnitzeljagd“.


• Emilie Bieber: Unbekannte junge Frau, Daguerreotypie, handkoloriert (1855) MKG •


Die vergleichsweise schwierigere Behauptung des weiblichen Anteils der Kreativen spiegelt im Wesentlichen eine allgemeine und leider noch andauernde Situation von – nur bedingt rechtlicher – Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wider. Angesichts der Einschränkungen, die Frauen in unserer Welt oft aufgrund von ungeschriebenen Gesetzen auferlegt wurden, wundert es sogar, dass es Künstlerinnen überhaupt gelungen ist, sich durchzusetzen, und das ausgerechnet in einem Berufsfeld, in dem im Gegensatz zum Tanz, Theater oder anderen Bereichen, die von Männern schlecht ausgefüllt werden konnten, ihr Beitrag nicht vermisst wurde.


• Mary Beale (zugeschrieben): Viscountess Frances Hatton, Öl auf Leinwand (o.J.) TSI •


Die Voraussetzungen für diesen unerwarteten Erfolg waren dabei denkbar schlecht: Abgesehen von dem versöhnlichen Mythos der Kora wurde Frauen in der Realität – unabhängig vom tatsächlichen Einsatz von Künstlerinnen an verschiedenen Orten – jede kreative Fähigkeit sehr lange abgesprochen. Selbst wenn sich das Gegenteil zeigte, hielt das Vorurteil nachweislich bis vor knapp hundert Jahren an, dass Künstlerinnen in ihrem Werk inhaltlich und qualitativ eingeschränkt seien, d.h. dass sie sich nur in kleinen Formaten, bei bestimmten Genres und Techniken ausdrücken und beim besten Willen die Originalität ihrer Kollegen nicht erreichen können.


„Die gleiche Kunstbegabung beider Geschlechter vorausgesetzt zeigt doch die Erfahrung, daß mit wenigen Ausnahmen die künstlerische Betätigung der Frauen sich beschränkt auf das Bildnis, die Landschaft, das Stilleben und das Kunstgewerbe. Freie Komposition und monumentale Aufgaben scheinen der Veranlagung der Frau weniger zu entsprechen. Diese Selbstbeschränkung der überwiegenden Mehrheit aller künstlerisch tätigen Frauen hat ihren Grund sicher nicht im Mangel einer entsprechenden Ausbildungsmöglichkeit, sondern in einem richtigen Gefühl für die Grenzen der eigenen Begabung.“

(aus einem Gutachten der Kunstakademie München, 1918)


• Rosalba Carriera (zugeschrieben): Eine Muse, Pastell auf Papier (o.J., um 1690-1757) RMA •


Dass die künstlerische Begabung von Frauen nicht naturgemäß niedriger als die von Männern sein muss, ist eine Überzeugung, die sich erst seit dem fortgeschrittenen 20. Jahrhundert verbreitete und vorher nur in Ausnahmefällen festgehalten wurde, nämlich in Künstlerkreisen, bei aufgeklärten Intellektuellen und handverlesenen Sammlern. Dafür hielt sich noch in den letzten Jahrzehnten, selbst in feministischem Umfeld, die Erwartung eines spezifisch weiblichen Elements des Werks von Künstlerinnen, das wiederum (wie soll es auch anders sein?) sehr unspezifisch und anachronistisch benannt werden konnte. Sogar vermeintlich informierte Wissenschaftler – nämlich angehende Kunsthistoriker – wagten noch in den 1970er Jahren u.a. die Assoziation von Frauen mit der bevorzugten Verwendung von zarten Farben.


• Rosa Bonheur: Der Pferdemarkt, Öl auf Leinwand (1852-1855) MMA •


Es ist fatal, dass eine verbreitete Praxis, die durch ein gesellschaftliches Korsett bedingt ist, auf einen Mangel an sonstigen Fähigkeiten zurückgeführt wird, da konkrete Beispiele von weiteren Fertigkeiten zwangsläufig fehlen. Künstlerinnen übten sich z.B. sehr lange fast ausschliesslich an kleinen Formaten (Portraits, Blumenbilder), da ihnen für die Ausführung monumentaler Aufgaben die Assistenz von Gehilfen meist verwehrt war.


• Anne Vallayer-Coster: Blumenvase und Meeresschnecke, Öl auf Leinwand (1780) MMA •


Die thematische Auseinandersetzung mit Historienbildern und Landschaften scheiterte bis zum 19. Jahrhundert in den meisten Fällen daran, dass Malerinnen keinen Zugang zu männlichen Modellen, zum Perspektivunterricht oder auch nur zu einer Staffelei im Freien hatten. Da unter allen ihren kreativen Beschäftigungen vor allem die „saubersten“ geduldet wurden, beschränkten und spezialisierten sich Frauen sehr oft auf Portraits und Kopien fremder Arbeiten, auf Miniatur und Kupferstich. Dennoch wurden die resultierenden inhaltlichen und technischen Lücken im Oeuvre der Künstlerinnen gerne einer angeborenen Unterlegenheit zugeschrieben: Damit wurden Ursache und Wirkung verwechselt.


• Rosalba Carriera: Frau mit Hund, Wasserfarbe auf Elfenbein in vergoldeter Fassung (1710-1720) CMA •


Der umgekehrte Exzess in der Interpretation der Geschichte wurde im Rahmen der sonst unbedingt verdienstvollen Wiederentdeckung weiblicher Kunst durch feministisch orientierte Kunsthistoriker/-innen erreicht: Ab den 1970er Jahren sind der kreative Beitrag von Frauen und deren Diskriminierung durch die „männlich dominierte“ Kunstwelt z.T. überbewertet worden. Was in diesem Zusammenhang besonders tragisch erscheint, ist die Stilisierung solcher herausragenden Persönlichkeiten wie Artemisia Gentileschi zu Urfeministinnen aufgrund ihrer privaten Biografie, welche mit ideologisch beladenen Interpretationen in den Vordergrund gestellt wird... so dass ihr kunsthistorisch bedeutendes Werk sowie ihre bereits zu Lebzeiten außergewöhnliche berufliche Wertschätzung nachhaltig im Schatten stehen.


• Jerome David: Portrait von Artemisia Gentileschi, Kupferstich nach einer Vorlage der Künstlerin (1625) ÖNB •


Nach dem teilweise akritischen wie bis heute einflussreichen kunsthistorischen Ansatz durch die Frauenbewegung ist erfreulicherweise die langsame Verbreitung einer sachlicheren Recherche festzustellen, welche viele Ergebnisse der letzten Jahrzehnte aufgreift, relativiert und ausgleicht. Nach der unverzichtbaren Grundlagenforschung und dem großen Impuls dieser Branche durch die Gender Studies, welche die Kunst von Frauen trotz der besten Intentionen schließlich doch noch als ein gesondertes Phänomen behandelt, bleibt zu hoffen, dass die nächste Generation kunsthistorischer Abhandlungen die Aktivität von Frauen nicht mehr in einer Extra-Rubrik isolieren, sondern sie ganz selbstverständlich im geschichtlichen Kontext berücksichtigen wird.


4 • Kurzgeschichte der Kunst von Frauen