Eine Namensliste der Personen und eine Liste aller schwierigen Wörter findet ihr ganz am Schluss des Buches.

1

Der Löwe neben uns hat gerade gegähnt, als in meiner Hosentasche das Handy vibrierte. Auf Safaritour stelle ich mein Handy immer auf Vibrationsalarm, meine Damen und Herren. Egal, ob es die Zwei-Stunden-, die Drei-Stunden-, die Dämmerungs- oder die Nacht-Safari ist. Alles andere wäre ja unsinnig. Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade eine Gruppe Giraffen aufgespürt oder (auf der Dämmerungs-Safari) vielleicht sogar einen Leoparden, und dann klingelt Ihr Handy! Eish! Das würden Sie auch nicht wollen.

Auch den Touristen sagen Onkel Vusi und ich am Anfang der Tour immer, dass sie ihre Handys ausschalten sollen. Oder wenigstens zum Vibrationsalarm wechseln. Aber es gibt alte Damen, die nicht wissen, wie man es macht. (Verzeihen Sie, wenn das klingt wie mangelnder Respekt vor dem Alter! Es ist aber nur der Respekt vor der Wahrheit.) Manchmal rufen darum ihre Enkelkinder aus England gerade dann an, wenn wir endlich (wie jetzt) eine Löwenfamilie aufgespürt haben, und schon sind die Löwen weg.

Ich weiß natürlich, wie ich mein Handy auf Vibrationsalarm stellen kann, keine Sorge. Darum hat der Löwe auch immer noch neben uns gegähnt, während ich auf dem Beifahrersitz den Text auf dem Display gelesen habe.

SOFORT kommen, Thabo! Eilt!

Ich war verblüfft, als ich den Absender gesehen habe. Es war nicht Miss Agatha. Dabei ist Miss Agatha sonst eigentlich fast die Einzige, die mir SMS schickt. Dafür hat sie mir ja das Handy überhaupt geschenkt und bezahlt meine Karte. Damit sie mich immer und überall schnell erreichen kann, wenn es einen Notfall gibt. Aber diesmal war es kein Notfall. Diesmal kam die SMS von Emma.

Von Emma! Einen Augenblick lang habe ich gedacht, sie will, dass ich zu ihr nach England komme. Da geht Emma nämlich seit einiger Zeit aufs Internat. Emmas Mutter ist Ms Wendy Chapman, der Lion Lodge gehört, und warum sie glaubt, dass die Schulen in England besser sind als die Schulen bei uns im Königreich, verstehen Emma und ich beide nicht. Aber Emma kommt jetzt nur noch in den Ferien zu uns nach Hlatikulu. Zuletzt war sie im Sommer in Lion Lodge, zu Weihnachten.

Aber ich fürchte, ich habe Sie verwirrt, ngiyacolisa! Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt!

Mein Name ist Thabo, Thabo Sonnyboy Shongwe, und mein Onkel ist Vusi Shongwe, der Ranger in Lion Park. (Ich lebe schon lange bei ihm, schon seit meine Eltern gestorben sind.) Wie alt ich bin, kann ich Ihnen leider nicht enthüllen, weil ein wahrer Gentleman nicht über das Alter spricht, das weiß ich von Miss Agatha. (Ich bin im besten Alter für einen Jungen, so viel kann ich sagen.) Miss Agatha ist die Tante von Emmas Mutter, Ms Wendy Chapman, jetzt verstehen Sie die Zusammenhänge.

Vielleicht fragen Sie sich, warum es einem Jungen, der in Lion Park die Touristen auf Safari begleitet, wichtig ist, wie sich ein wahrer Gentleman benimmt. Ich sage es Ihnen. Später einmal werde ich ein wahrer Gentleman sein, das ist ein Fakt. Ein wahrer Gentleman und ein Privatdetektiv.

Über beides lerne ich viel von Miss Agatha, wenn wir auf dem Seiden-Chintz-Sofa im Wohnzimmer ihres Cottage gemeinsam Filme angucken, auf DVD. Miss Agatha hat viele DVDs über schreckliche Verbrechen. Die meisten werden in England begangen, es muss ein sehr gefährliches Land sein. Am liebsten sehen wir Filme über die englische Dame Miss Marple, die gemeinsam mit ihrem Freund Mr Stringer auch die schwierigsten Verbrechen aufklärt, meistens gegen den Willen der Polizei. Überall auf der Welt ist die Polizei in Fragen der Verbrechensaufklärung nicht sehr hilfreich, das ist bekannt. Miss Agatha und ich mussten das selbst erleben, als wir im Sommer kurz vor Weihnachten unsere ersten beiden Fälle aufgeklärt haben. Gemeinsam mit Emma. Und mit Sifiso.

Sifiso Lovejoy Madlopha ist mein bester Freund, und was er später einmal werden will, kann ich Ihnen nicht mit letzter Gewissheit sagen. (Nicht Gentleman, glaube ich. Aber eventuell, wie ich, Privatdetektiv.) Wahrscheinlich denkt Sifiso nicht so viel darüber nach. Seit seine Eltern an der schrecklichen Krankheit gestorben sind, hat er den ganzen Tag genug Arbeit mit seinen drei jüngeren Geschwistern. Vielleicht wird er später Automechaniker. Autos findet Sifiso sogar spannender als Verbrechensbekämpfung. Trotzdem hat er bei der Aufklärung unserer letzten Fälle eine wichtige Rolle gespielt. (Emma war das nicht immer ganz recht, glaube ich. Emma ist eifersüchtig. Sie möchte allein meine beste Freundin sein.)

Und nun diese SMS, ausgerechnet während der Safari neben der Löwenfamilie!

»Onkel Vusi!«, habe ich leise in das Motorengeräusch des haltenden Jeeps geflüstert. »Ich muss dringend zurück! Können wir Schluss machen?«

Auf der Aussichtsplattform oben auf dem Jeep haben die Touristen glücklich geseufzt und mit ihren Handys und Tablets Fotos oder Videos vom gähnenden Löwen gemacht. Manche hatten sogar echte Kameras dabei.

Onkel Vusi hat auf seine Armbanduhr gesehen. (Er ist sehr stolz, dass er eine Armbanduhr hat. Nicht viele Menschen haben eine Armbanduhr.) »Wir haben noch zweiunddreißig Minuten!«, hat er streng gesagt. »Zwei-Stunden-Safari heißt, dass die Safari zwei Stunden dauert. Ich will von den Gästen keine Beschwerden hören.«

Oben auf den Bänken haben die Touristen sich jetzt gegenseitig mit kleinen Begeisterungsschreien die Bilder auf ihren Displays gezeigt, Onkel Vusi und ich kannten das schon. Das hieß, dass sie die Löwen lange genug gesehen hatten. Wir konnten weiterfahren.

Vor allem möchten die Touristen zu Hause zeigen können, dass sie bei uns in Afrika Löwen gesehen haben. Onkel Vusi und ich wissen das. Giraffen sind gut, Nilpferde sind gut, Nashörner sind gut, Zebras sind gut, Antilopen und Warzenschweine sind eher unwichtig. Aber Löwen und Elefanten müssen sein. Nach einer Safari ohne Löwen und Elefanten geben die Gäste kein Trinkgeld.

»Wir haben die Löwen doch schon geschafft!«, habe ich geflüstert, während Onkel Vusi langsam angefahren ist, um die Löwenfamilie nicht zu erschrecken. (Die Löwenfamilie lässt sich allerdings nicht so leicht erschrecken. Sie kennt Onkel Vusis Jeep.) »Bitte, kehr um, Onkel Vusi! Es geht vielleicht um ein Verbrechen!«

Onkel Vusi hat über das Lenkrad nach vorne geguckt und den Jeep in das Akazienwäldchen mit der Wasserstelle gelenkt, die auch jetzt mitten im Winter und nach drei Monaten ohne Regen noch nicht vollkommen ausgetrocknet war. Sie verstehen, dass sich darum an der Wasserstelle vor allem in der Trockenzeit immer viele Tiere versammeln. Für Onkel Vusi und mich ist das praktisch.

»Nur noch die Elefanten!«, hat er gesagt und fünf Wagenlängen vor der Wasserstelle angehalten. »Dann kannst du zu deinem Verbrechen, Thabo.«

(Ich fand nicht, dass Onkel Vusi so leichtfertig über Verbrechen sprechen durfte. Er hatte schließlich bei meinem ersten Fall am eigenen Leib erlebt, wie wichtig meine Arbeit als privater Ermittler war. Aber Onkel Vusi ist mein Onkel und hat mich bei sich aufgenommen, darum kritisiere ich ihn nicht.)

Oben auf der Plattform haben die Touristen wieder begeisterte Laute ausgestoßen. Drei große Elefanten haben im Schlamm am Rande des Teichs ihre Rüssel ins Wasser gehalten und getrunken. Oder sich mit dem Wasser selbst nass gespritzt. Ich wusste, dass oben jetzt wieder Videos gemacht wurden. Nach dieser Safari durfte ich auf ein gutes Trinkgeld hoffen.

»Bitte beachten Sie auch die Jungen!«, hat Onkel Vusi leise nach oben gesagt. »Sehen Sie sie?«

Drei kleine Elefanten haben im Dickicht hinter der Wasserstelle Blätter von den Zweigen gerupft. Eine ältere Touristin mit Safari-Hut hat glücklich aufgestöhnt.

»Siehst du das, Leonard?«, hat sie geflüstert. »Kriegst du die drauf?«

Ihr Mann trug auch einen Safari-Hut. Viele Touristen tragen kakifarbene Safari-Kleidung, wir verstehen nicht wirklich, warum. Miss Agatha sagt, wenn die Touristen keine Safari-Kleidung tragen, haben sie nicht das Gefühl, dass sie wirklich in Afrika sind. Und dass sie etwas Gefährliches erleben. Gefährlich muss Afrika schon sein.

Das Gefühl konnten wir ihnen zum Abschluss unserer Safari gerne verschaffen.

»Wir können leider nicht auf dem direkten Weg zurück«, hat Onkel Vusi nämlich gesagt. »Sonst müssten wir zwischen der Mutter und ihren Kälbern hindurch. Und das mögen Elefantenmütter gar nicht!«

Oben auf der Plattform haben die Touristen den Atem angehalten. Touristen sind merkwürdig. Wenn sie sich bei ihrer Safari nicht wenigstens ein bisschen fürchten, sind sie unzufrieden. Andererseits möchten sie aber auch gerne lebend nach Hause zurückkommen.

»Greifen die uns sonst an?«, hat die Frau mit dem Safari-Hut begeistert gehaucht. »Oh mein Gott!«

Mein Handy hat wieder vibriert. Wo bleibst du, Thabo, verdammt!, hatte Emma geschrieben. Bin bei Auntie Agatha. Ich habe es ausgeschaltet.

»Manchmal greifen sie an«, habe ich dann nach oben gesagt. »Elefanten. Wenn sie glauben, wir würden ihren Kindern was tun. Was glauben Sie denn, warum Sie hier nicht allein mit Ihren Autos rumfahren dürfen?«

»Oh!«, hat die Frau gesagt. Der Mann neben ihr hat die Augen weit aufgerissen, und ich wusste, dass Onkel Vusi jetzt wenden und zurückfahren konnte. Die Touristen hatten Löwen und Elefanten gesehen und ihren Nervenkitzel gehabt. Danach würde es ihnen nichts ausmachen, wenn die Zwei-Stunden-Safari nicht wirklich zwei Stunden gedauert hatte. Sie hatten genug Bilder für ihre Freunde zu Hause gemacht.

Und ich habe tief in mir drin ein kleines, glückliches Gefühl gefühlt. Emma war wieder da! Natürlich haben Sie schon gemerkt, dass Emma ziemlich ungeduldig und keine wahre Lady ist. Nicht nur, weil ihr das nötige Alter für eine Lady fehlt. Eine wahre Lady würde niemals »verdammt« in einer SMS schreiben. Sagen würde sie »verdammt« auch nicht. Leider ist das Emma ganz egal.

Vielleicht wundern Sie sich, dass ich »leider« schreibe. Sie denken, dass es mir doch ganz gleichgültig sein kann, ob Emma sich wie eine wahre Lady benimmt. Das ist leider (wieder!) nicht die Wahrheit.

Denn wahrscheinlich werde ich Emma heiraten, sobald ich ein Gentleman bin. (Ich habe nur noch nicht entschieden, ob sie meine erste oder meine zweite Frau werden soll.) Und die Frau eines Gentlemans sollte sich natürlich wie eine Lady zu benehmen wissen.

Das andere Mädchen, das ich (wahrscheinlich) später heiraten werde, ist Hlahla Delighty. Hlahla Delighty ist Sifisos ein bisschen jüngere Schwester. Sie ist lieb und fleißig und zuverlässig und hilft Sifiso sehr dabei, sich um die beiden Kleinen zu kümmern. (Die beiden Kleinen sind Sibusiso Pilot und Lungile Lemonade. Sich um Pilot und Lemonade zu kümmern, ist nicht immer einfach. Vor allem Lemonade hat den Geist eines Schwarms wilder Bienen in sich, sagt Sifiso. Ich weiß nicht, wie er es mit Lungile Lemonade aushält.)

Jeden Tag kocht Hlahla Delighty den Maisbrei im dreibeinigen Topf (nur wenn Maismehl da ist, natürlich) und holt das Wasser und wäscht die Kleider für alle im Fluss, selbst wenn sie in der Trockenzeit weit dafür gehen muss. Eine Frau wie Hlahla Delighty ist eine Freude für jeden Mann, der die Lobola für sie zahlen kann, meine Damen und Herren. (Die Lobola ist der Brautpreis, das wissen Sie.)

Bei Emma bin ich mir manchmal nicht so sicher, was die Freude betrifft. Aber vielleicht ist mir die Lobola für zwei Frauen sowieso zu teuer. Und außerdem habe ich ja noch Zeit.

2

Auf dem Parkplatz von Lion Park sind die Touristen zufrieden aus dem Jeep gestiegen. Der älteren Frau mit dem Safari-Hut musste ich helfen, die Leiter von der Plattform nach unten zu klettern. Sie hat trotzdem gelächelt.

Die Touristen haben alle gelächelt. Auf dieser Safari hatten sie genug Fotos und Videos für ihr Geld gemacht. Darum haben sie auch alle Trinkgeld gegeben, und nicht wenig.

»Neunzig Emalangeni!«, hat Onkel Vusi gesagt, nachdem ich ihm auch meine Münzen hingehalten hatte. »Eish!« Mit Trinkgeldern verdient Onkel Vusi viel mehr als mit seinem Ranger-Job.

Und zum Glück gibt er das Geld auch nicht immer gleich für Buganu oder Tjwala aus wie Sipho Joyful. Sipho Joyful ist leider ein Ranger-Kollege von Onkel Vusi, und ohne ihn wäre das Leben schöner, sagen Onkel Vusi und die anderen drei Ranger Xolani, Bongani und Sipho Happy. Jetzt hat er schon wieder auf einer Bank am Parkplatz gelegen, die eigentlich für die Touristen gedacht war, und hat geschnarcht, mit einer Dose teurem namibischem Windhoek Beer neben sich. Um so viel Geld für Bier zu bekommen, wie Sipho Joyful es jeden Tag trinkt, muss er bestimmt viel mehr Trinkgeld kassieren als Onkel Vusi und ich.

»Ich geh dann mal, Onkel Vusi!«, hab ich gesagt. »Ich bin zurück, bevor es dunkel wird!«

»Grüß deine kleine englische Freundin von mir!«, hat Onkel Vusi gesagt. Aber ich bin schon losgerannt.

Vom Parkplatz von Lion Park zu Miss Agathas Cottage ist es nicht weit. Auf dem Weg habe ich an Emma gedacht und daran, wie ungeduldig sie sein konnte. Früher habe ich das jeden Tag zu spüren bekommen. Aber jetzt ist Emma den größten Teil des Jahres in ihrem englischen Internat. Nur an Weihnachten und in ihren großen Ferien kommt sie nach Hause. Ihre großen Ferien dauern von Kholwane, dem Monat des Spatzen, bis Inyoni, dem Monat der Wanderung. (Dazwischen liegt auch noch Ingci, der Monat der Antilope. Fast drei Monate Ferien! Eish!)

Ich weiß nicht, warum die Engländer ausgerechnet im Winter so lange Ferien haben. Emma sagt, weil es in England dann Sommer ist, Juli, August, September. Da fahren die Menschen an den Strand und baden. Obwohl es am Tag in England dann fast gar nicht wärmer ist als bei uns in diesen Monaten. Was für ein kaltes Leben!

Ich habe gleich gesehen, dass Emma nicht der einzige Gast in Miss Agathas Garten war. Auf dem Tisch, der wie immer auf dem Rasen mit den Bougainvilleen gedeckt war (der Rasen war nach der langen Trockenzeit natürlich gelb), standen (auch wie immer) eine Kanne Tee und eine Platte mit Scones. Scones sind Miss Agathas Lieblingsgebäck, Sie werden sie kennen. Es sind diese englischen Kuchenbrötchen, die ein wenig schmecken wie süßer, getrockneter Lehm. Der Geschmack der Engländer ist merkwürdig, das wissen wir alle hier im Königreich. Aber die Freunde von Miss Agatha haben sich daran gewöhnt.

Heute saßen (neben Emma) zwei Freunde von Miss Agatha am Tisch: Der erste war Reverend Hlophe, der uns bei der Aufklärung unseres letzten Verbrechens vielleicht nicht ganz so geholfen hatte, wie es einem Mann Gottes hätte möglich sein sollen; dafür hatte er uns aber in seinem hellblauen Morris Minor 1000, Baujahr 1967, zum Finalspiel des Wohltätigkeitspokals der Königlichen Brauerei (Manzini Leopards gegen Mbabane Mambas) im Zonkizizwe-Stadion mitgenommen. Wir waren ihm sehr dankbar gewesen. Miss Agatha hatte uns nicht fahren wollen.

Den zweiten Gast hatte ich noch nie gesehen. Er hatte weiße Haare und viele Falten, was hieß, dass er alt war. Dem Alter gebührt unser Respekt, deshalb habe ich ihn auch begrüßt, bevor ich Emma begrüßt habe.

»Sawubona, Nkhosi!«, habe ich gesagt und mich ein wenig verbeugt.

»Das ist mein guter alter Freund Buyisiwe Fairplay Dlamini, Thabo!«, hat Miss Agatha fröhlich gerufen, bevor Babe Dlamini meine Begrüßung beantworten konnte. (Für eine Lady war das nicht sehr höflich, ich staune.) Dabei hat sie nicht aufgehört, mit ihren Stricknadeln zu klappern. Miss Agatha kann stricken, ohne hinzusehen. »Er ist für einige Zeit aus Mbabane zu Besuch bei seiner Familie! Wir kennen uns noch aus der Zeit, als unsere englische Königin auch Königin hier im Land war. Wie waren wir jung damals, Buyisiwe! Und wie gut konntest du tanzen!«

Babe Dlamini hat sich leicht verneigt, so gut das im Sitzen möglich war. »Und du warst die Schönste auf jedem Fest, wenn es mir gestattet ist, das zu sagen, Agatha!«, hat er gesagt. »Ich habe weiß Gott lange genug versucht, dich zu überzeugen, meine zweite Frau zu werden!«

Miss Agatha hat gelacht. Ihre Stricknadeln waren einen Augenblick still. »Zweite Frauen sind bei uns nicht üblich, wie du weißt, Buyisiwe!«, hat sie gesagt. »Ich habe mich trotzdem geschmeichelt gefühlt.«

Emma hat mich die ganze Zeit angestarrt. Nicht wirklich freundlich, muss ich sagen. »Wo warst du denn so lange, Thabo, verdammt?«, hat sie geflüstert. Mit vollem Mund. Vielleicht kriegt sie in ihrem englischen Internat nicht genug Scones. »Ich hab dir zwei Nachrichten geschickt!«

War das eine Begrüßung nach mehr als fünf Monaten, meine Damen und Herren? War das eine Begrüßung? Aber ich kenne ja Emma.

»Ich war mit dem Jeep in Lion Park unterwegs!«, habe ich gesagt. (Ich weiß, das war auch nicht sehr freundlich.) »Onkel Vusi hat die Safari extra früher abgebrochen.«

Wenn Sie glauben, dass Emma jetzt »Oh, dann entschuldige bitte!« oder »Oh! Vielen Dank!« gesagt hätte, dann haben Sie Emmas Charakter noch nicht vollständig verstanden. Das wird Ihnen noch gelingen, haben Sie keine Sorge.

»Jedenfalls schön, dass du wieder hier bist!«, habe ich hinzugefügt. »Herzlich willkommen zu Hause, Emma!«

Emma hat geschnaubt. Um ein Verbrechen ging es bei ihren eiligen SMS also offenbar nicht. Sonst hätte sie doch etwas gesagt.

In diesem Augenblick haben vor Miss Agathas Cottage Reifen auf dem Kies geknirscht. Ein Auto hat gebremst, und alle haben wir unsere Köpfe in die Richtung gedreht, wo jetzt Inspector Gwebu lächelnd um die Ecke kam.

3

Inspector Quinton Gwebu, mit dem wir bei der Aufklärung unserer letzten Fälle manchmal zusammengearbeitet haben, ist der Chef des Polizeipostens Debedebe und einer von Miss Agathas guten Freunden.

»Quinton!«, hat Miss Agatha gerufen. »Wie nett! Setzen Sie sich doch zu uns!« Dann hat sie über die Schulter ins Haus gerufen: »Dumisani! Kannst du bitte noch eine Teetasse bringen? Der Inspector ist gekommen!«

Inspector Gwebu hat abgewinkt. »Nicht nötig, Agatha, nicht nötig!«, hat er gesagt und sich ächzend auf den letzten freien Stuhl fallen lassen. Inspector Gwebu ist ein Freund stärkerer Getränke. Bei Miss Agatha bekommt er sie leider nicht. Aber er muss ständig zu so vielen Beerdigungen, dass er keinen Mangel leidet.

»Wirklich nicht, Quinton?«, hat Miss Agatha gefragt. »Aber wenigstens einen Scone? Was führt Sie zu mir?«

Inspector Gwebu hat sich ein Kuchenbrötchen genommen und mit Genuss hineingebissen. »Ich wollte nur mal kurz vorbeischauen«, hat er gesagt. (Mit vollem Mund, ich will es nicht verschweigen. Inspector Gwebu legt keinen Wert darauf, ein Gentleman zu sein.) »Ich war heute den ganzen Tag wegen der Brandstiftung unterwegs, sicher haben Sie schon davon gehört? Oben am Gobolondo Mountain?« Er hat sich noch einen Scone genommen.

»Furchtbar!«, hat Miss Agatha gesagt und ihr Strickzeug einen Augenblick sinken lassen. Ich wollte mir nicht vorstellen, was es werden sollte und für wen. »Furchtbar, furchtbar! Wie viele Hütten waren es?«

Babe Dlamini hat sich vorgebeugt. »Wie viele Hütten waren was?«, hat er interessiert gefragt. Er war ja gerade erst aus Mbabane gekommen, da konnte er natürlich nicht alles wissen, was hier bei uns passiert war.

»Drei!«, hat Reverend Hlophe gesagt. »Die armen Familien! Alles abgebrannt und alles verloren! Ihre Kleidung, das Maismehl und die Bohnen, die Schulhefte der Kinder, sogar ihre Hühner, alles verbrannt. Ich bete für sie.« Er hat sich noch einen Scone genommen.

»Ein kleines Mädchen wäre in den Flammen fast ums Leben gekommen, sie liegt jetzt im Krankenhaus in Mbabane!«, hat Miss Agatha gesagt. »Stell dir vor, Buyisiwe! Was müssen das für Menschen sein, denen es nichts ausmacht, wenn ein Kind verbrennt? Furchtbar! Und die Feuerwehr natürlich wie immer zu spät!«

Vielleicht haben Sie nicht gedacht, dass wir eine Feuerwehr haben bei uns im Königreich. Aber wir haben eine Feuerwehr. Nur kommt sie oft nicht rechtzeitig, vor allem, wenn nur kleine Hütten brennen und nicht eine große Fabrik, das ist ein Fakt. Und wenn die Feuerwehr kommt, gibt es sowieso oft kein Wasser, um den Brand zu löschen, vor allem nicht in der Trockenzeit. Was kann eine Feuerwehr tun, die kein Wasser hat? Eish! Diese Feuerwehr kann gar nichts tun. Das wird in der Trockenzeit in Ihren Ländern nicht anders sein.

»Und, haben Sie schon einen Verdacht, Babe Gwebu?«, hat Mr Dlamini gefragt. »Wer tut so etwas? Wer setzt denn Hütten in Brand, noch dazu in so einer abgelegenen Gegend? Am Gobolondo Mountain, haben Sie doch gesagt?«

Inspector Gwebu hat genickt und geschluckt. Darum konnte man seine Antwort jetzt besser verstehen. »Genau das erschwert die polizeiliche Aufklärungsarbeit, Babe Dlamini!«, hat er geantwortet. »Verstehen Sie? Wenn niemand einen Vorteil davon haben konnte, dass die Hütten brannten. Armselige Hütten, und ganz abgelegen! Bei der Verbrechensaufklärung suchen wir immer zuerst nach dem Motiv. Aber was kann die Polizei tun, wenn kein Motiv erkennbar ist? Hier stoßen wir an die Grenzen unserer Ermittlungsarbeit.«

Die Grenzen der Ermittlungsarbeit! Eish! Was hätte die englische Dame Miss Marple wohl getan, wenn kein Motiv erkennbar war? Miss Marple hätte jedenfalls nicht so schnell aufgegeben, das ist ein Fakt. Aber die Polizei ist eben die Polizei. Darum brauchen wir so dringend private Ermittler.

Emma hatte sich weit vorgebeugt. (Sie verstehen: Emma hörte auch zum ersten Mal von der Brandstiftung und dem kleinen Mädchen. Emma war ja gerade erst aus ihrem kalten englischen Sommer gekommen.)

»Es muss ein Motiv geben!«, hat Emma gesagt. Ich wusste genau, was sie dachte. Und warum sie plötzlich so zufrieden aussah: Vielleicht standen wir kurz vor unserem dritten Fall! Kaum war sie aus ihrem englischen Internat zurück! Wir würden uns in ihren großen Ferien nicht langweilen. »Was ist mit Rache als Motiv, Babe Inspector Gwebu? Haben Sie darüber nachgedacht?«

Inspector Gwebu hat abgewinkt.

»Ich habe alle drei Familien befragt!«, hat er gesagt. ›Könnte es einen Grund geben, dass irgendwer euch schaden wollte?‹, habe ich alle drei Familien gefragt. Sie haben alle drei verneint. Es gibt also keinen solchen Grund.«

Emma hat mich angeguckt und mit den Augen gerollt. (Niemand kann mit den Augen rollen wie Emma.) Dies war wieder ein typischer Fall, bei dem die Polizei nicht klug genug ermittelte. (Vielleicht ist es angebracht zu sagen: schlampig. Ein Fall, bei dem die Polizei schlampig ermittelte.) Was, wenn zum Beispiel – ngiyacolisa, aber ich muss diese Dinge erwähnen, weil es diese Dinge gibt! – ein Mann aus einer der abgebrannten Hütten eine Geliebte hatte – und diese Geliebte war die verheiratete Frau eines anderen Mannes? Hätte dieser Ehemann dann nicht einen guten Grund gehabt, sich zu rächen und die Hütte des Liebhabers abzubrennen und vielleicht sogar – ngiyacolisa, ngiyacolisa! – seine ganze Familie auszulöschen? Viele Verbrechen in unserem Land geschehen, weil Ehemänner sich rächen wollen, das wird bei Ihnen nicht anders sein.

Und hätte dieser Liebhaber Inspector Gwebu dann von seiner Geliebten erzählt? Eish! Nie im Leben hätte er das getan. Natürlich dürfen wir nach den alten Sitten zwei Ehefrauen haben (oder mehr) bei uns im Königreich, wenn unser Geld für zwei Ehefrauen reicht; aber die Ehefrauen anderer Männer dürfen wir nicht lieben. Es ist gegen das Gesetz. Es wird bestraft. Niemals würde ein Mann Inspector Gwebu darum von so einer Liebe berichten! Ich habe mich gewundert, dass Inspector Gwebu nicht selbst auf die Idee gekommen war.

Andererseits: Die Polizei kommt selten von allein auf die richtigen Ideen, wir haben es bei unseren letzten Ermittlungen erfahren müssen. Und wenn die Polizei nicht von allein auf eine Idee gekommen ist, macht es keinen Sinn, sie davon überzeugen zu wollen. Von fremden Ideen lässt die Polizei sich nicht überzeugen, Sie können es aus den Filmen lernen, die Miss Agatha und ich gemeinsam studiert haben. In England versucht Miss Marple es immerzu. Aber der englische Inspector seufzt nur, wenn sie ihm etwas erklären will. Natürlich behält Miss Marple am Ende immer recht.

So war es bisher auch jedes Mal bei uns in Hlatikulu gewesen.

Inspector Gwebu hat jetzt den letzten Scone von der Platte genommen. »Und es ist zusätzlich schwierig, bei den Ermittlungen voranzukommen, wenn die Mitarbeiter verschwunden sind und man ganz auf sich allein gestellt ist!«, hat er gesagt. Ein paar Krümel sind aus seinem Mund auf den Tisch gespritzt. »PC Sipho Godbless – wieder mal nicht aufzutreiben!«

»War er wieder wegen seiner Lobola unterwegs?«, hat Miss Agatha mitfühlend gefragt.

Die Lobola, das hatte ich gesagt, ist der Brautpreis, den der Bräutigam der Familie der Braut vor der Hochzeit zahlen muss. Eine schöne Braut kostet mehr Rinder als eine hässliche. Und eine Braut, an der der Mann später verdient – also eine Braut, die studiert hat und zum Beispiel als Anwältin oder bei einer großen ausländischen Firma jeden Monat viele Emalangeni bekommt, kostet manchmal sogar noch mehr. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Sipho Godbless viel für seine Verlobte zahlen musste. Emma und ich hatten diese Verlobte einmal gesehen. Ich will nicht respektlos sein, meine Damen und Herren, aber die Verlobte Duduzile Mbisi hatte nicht ausgesehen, als könnte sie besonders teuer sein.

»Weiß der Himmel!«, hat Inspector Gwebu gesagt und mit den Augen den Tisch abgesucht. Leider vergeblich. Es war alles aufgegessen. »PC Sipho ist nicht zum Dienst erschienen, so viel kann ich sagen. Ohne Entschuldigung.« Dann hat Inspector Gwebu vielleicht begriffen, dass es unhöflich war, wenn immer nur er geredet hat.

»Und Sie, Reverend Hlophe?«, hat er gefragt. »Alles in Ordnung mit Ihren Schäfchen?«

Ich habe versucht, Emma ein Zeichen zu geben, dass wir unauffällig aufstehen sollten. Bei solchen Gesprächen zwischen Erwachsenen dabeizusitzen und mit den Füßen zu wippen vor Ungeduld, kann Zeitverschwendung sein, ngiyacolisa. Vor allem, nachdem Inspector Gwebu gerade von der schrecklichen Brandstiftung berichtet hatte. Emma und ich mussten uns so schnell wie möglich an die Aufklärungsarbeit machen.

Aber vielleicht hat sich Emma noch immer über mich geärgert. Jedenfalls hat sie getan, als hätte sie meinen Blick gar nicht gesehen. Und dabei hatte ich ihr doch eben gar nicht schnell genug kommen können!

»Ja, Reverend Hlophe!«, hat Emma gesagt und sogar noch einen Schluck Tee genommen. »Und auch alles in Ordnung mit Ihrem Auto?« Vielleicht dachte Emma, dass sein Morris Minor Reverend Hlophe mehr interessierte als seine Schäfchen. Sie kannte ihn schließlich gut.

4

»Reverend Hlophe ist wegen des Kirchturms hier!«, hat Miss Agatha gesagt. »Ich dachte, ich sollte ihn mit meinem guten Freund Buyisiwe bekannt machen. Ich bin sicher, Buyisiwe ist ein guter Christ und kann Ihren großen Wunsch daher verstehen, Reverend!«

Ich habe gesehen, wie Babe Dlamini ein wenig zusammengezuckt ist. Aber vielleicht muss ich Ihnen zunächst erklären, was Reverend Hlophes größter Wunsch ist, schon lange. Reverend Hlophes größter Wunsch ist ein Kirchturm mit einer Glocke für seine kleine Kirche bei uns in Hlatikulu. Ich weiß, dass bei Ihnen in England alle Kirchen einen Kirchturm haben, sogar in den kleinen Dörfern. Sie haben einen Kirchturm, und sie haben gleich mehrere Glocken. Ich weiß es aus den Filmen, die ich mit Miss Agatha ansehe. Woher Reverend Hlophe es weiß, kann ich nicht sagen.

Bei uns im Königreich haben nur wenige Kirchen einen Kirchturm. In Hlatikulu zum Beispiel hat die Kirche keinen Turm. Gerade darum wünscht sich Reverend Hlophe so sehnlich einen Turm. Die Glocken könnten die Gläubigen am Sonntag zum Gebet rufen, sagt er.

Es ist aber nicht nötig, die Gläubigen kommen auch ohne Glocken. In England dagegen können die Glocken läuten wie verrückt, sagt Emma, viele Gläubige machen sich am Sonntag trotzdem nicht auf den Weg. Ich weiß also nicht, ob ein Turm mit Glocken wirklich nützlich ist.

»Natürlich verstehe ich Ihren Wunsch, Reverend!«, hat Babe Dlamini gerufen. »Ein Wunsch zu Ehren Gottes, nichts anderes!« Er hat geseufzt. »Und ich will diesen Wunsch gerne von ganzem Herzen und im Gebet mit all meiner Kraft unterstützen! Nur leider, leider – ngiyacolisa, Reverend! – nicht mit meinem Geld.«

Ein Schweigen hat sich über den Tisch gebreitet. (Sie kennen dieses Schweigen vielleicht. Niemand wagt, etwas zu sagen, weil alle sich schämen.)

Dann hat Miss Agatha gelächelt. »Muss ich mir etwa Sorgen um dich machen, Buyisiwe?«, hat sie gefragt. »Läuft es nicht so mit der Firma?«

Sie hat erklärt, dass Babe Dlamini ein großes Logistikunternehmen besitzt. Logistikunternehmen bedeutet, das werden Sie wissen, dass ihm viele Trucks gehören, die Waren aus dem Königreich nach Südafrika transportieren und auf dem Rückweg von Südafrika andere Waren ins Königreich. Es sind moderne Trucks. Ich begreife, dass Miss Agatha geglaubt hatte, Mr Dlamini könnte Reverend Hlophe vielleicht mit seinem vielen Geld zur Seite stehen.

»Sorgen ist ein großes Wort, Agatha!«, hat Mr Dlamini geseufzt. »Aber die Zeiten! Die Zeiten sind schlecht! Oder mit anderen Worten: Die Zeiten sind nicht so gut, wie sie sein könnten. Darum habe ich für Türme und Glocken im Augenblick leider einfach kein Geld übrig. – Ja, wenn die Zeiten wieder besser werden, dann ganz gewiss, ganz gewiss!«

Ich habe Emma angeguckt. Sie sah aus, als ob sie dachte, wer denn wohl sonst Geld für Türme und Glocken übrig haben sollte, wenn nicht jemand, dem viele Lastwagen gehören, Zeiten hin oder her.

»Allerdings!«, hat Mr Dlamini gerufen, und dabei hat er gelächelt, als wäre ihm gerade etwas ganz Wunderbares eingefallen. »Was ist mit den Touristen? Versuchen Sie es doch bei den Touristen, Reverend, wie wäre es damit?«

Reverend Hlophe hat zurückgelächelt. Er ist ein höflicher Mensch.

Ich hab mich zu Emma hinübergebeugt. »Lass uns gehen, Emma!«, habe ich geflüstert. So interessant waren Türme und Glocken nun auch nicht, wenn am Gobolondo Mountain eine Brandstiftung auf Aufklärung wartete.

Emma hat gnädig genickt. Miss Agatha hat ihr einen strengen Blick zugeworfen. Ich habe meinen Stuhl zurückgeschoben.

»Vielen Dank für den Tee und die Scones, Miss Agatha!«, habe ich höflich gesagt. »Aber mich ruft die Pflicht.«

»Wagen waschen?«, hat Miss Agatha gefragt und gelächelt. Sie weiß, dass ich mich nach jeder Safari um Onkel Vusis Jeep kümmern muss.

»Und ich helf ihm!«, hat Emma gesagt und ist auch aufgestanden. »Salani kahle, alle zusammen! Viel Erfolg mit dem Turm, Reverend! Bessere Geschäfte, Babe Dlamini! Viel Erfolg bei den Ermittlungen, Inspector Gwebu!«

Die Männer am Tisch haben freundlich gelächelt.

»Dann los, Thabo!«, hat Emma gesagt. »Es gibt was zu tun.«

Sie hatte ja keine Ahnung, wie viel es zu tun geben würde.

5

»Und warum sollte ich denn jetzt so eilig kommen?«, hab ich Emma gefragt, als wir durch das geöffnete Tor aus Miss Agathas Garten auf die rote Sandpiste getreten sind. »Ich dachte schon, dir ist etwas Schreckliches passiert!«

»Ach, vergiss es!«, hat Emma gesagt. Auf einmal hat sie wieder böse ausgesehen. Ich hätte sie nicht an ihre SMS erinnern sollen. »Du hast mir sowieso die ganze Freude kaputt gemacht!«

»Welche Freude?«, hab ich gefragt. Aber Emma hat nur die Lippen zusammengekniffen.

»Wir sollten jedenfalls Sifiso Bescheid geben, dass wir wieder an einem Fall arbeiten!«, habe ich gesagt, weil wir uns entscheiden mussten, ob wir geradeaus gehen oder links abbiegen wollten. »Vielleicht kennt er jemanden aus den abgebrannten Hütten!«

Das habe ich aber nicht wirklich geglaubt. Ich wollte nur, dass Sifiso bei unserer Ermittlungsarbeit dabei war. Aber ich wusste auch, dass Emma das ganz und gar nicht wollte. Weil sie eifersüchtig ist, ich hatte es schon gesagt. Und jetzt hatte sie sowieso schlechte Laune, warum auch immer.

»Das glaub ich im Leben nicht!«, hat Emma maulig gesagt. »Warum sollte Sifiso da jemanden kennen? Der Gobolondo ist Meilen entfernt!«

»Ich glaub das schon!«, hab ich gesagt und bin abgebogen.

Einen richtigen Weg zu Sifisos Hütte gibt es natürlich nicht (das wäre ja auch überraschend, extra für Sifiso und seine Geschwister!), aber es gibt einen Pfad, den wir mit den Jahren ins Gras getreten haben, und dort ist an vielen Stellen die rote Erde zu sehen.

Als ich gesehen habe, dass Emma mir gefolgt ist, hab ich es noch mal versucht. »Und warum sollte ich also so eilig kommen?«, hab ich im Laufen gefragt. »Sag schon!«

Emma hat in der Tasche ihrer weiten Shorts gekramt. Vielleicht hatte sie keine Lust mehr, noch länger maulig zu sein. »Ich hab was mitgebracht für dich!«, hat sie gesagt. »Ich dachte, das findest du gut!«

Emma hatte mir bisher noch nie etwas mitgebracht, wenn sie aus England zurückgekommen war. (Ich muss sagen, ich war überrascht.) Wahrscheinlich hatte sie es kaum abwarten können, zu sehen, wie ich gucken würde. Und weil sie sich so lange gedulden musste, hatte sie schlechte Laune bekommen. Ich hab einen Augenblick gebraucht, bis ich begriffen habe, was Emmas Geschenk war. Es war nicht mal so groß wie meine Hand und sehr flach und viereckig und schwarz. Das Bild darauf zeigte einen Rennwagen.

Eine Handyschale! Emma hatte mir aus England eine Handyschale für mein Handy mitgebracht!

»Ngiyabonga, Emma, vielen Dank!«, habe ich gerufen. Viele Menschen haben Handys bei uns in Hlatikulu, aber ich habe noch nirgendwo eine Handyschale gesehen. Ich kenne sie aber aus dem Internet bei Miss Agatha. »Jetzt kann ich mein Handy nie mehr verwechseln!«

(Obwohl ich keine Ahnung hatte, wo ich mein Handy wohl hätte verwechseln sollen. Onkel Vusi hat kein Handy, und Sifiso hat kein Handy. Emma hat natürlich ein Handy.)

»Ja, schon okay«, hat Emma gesagt. »Für Auntie Agatha hab ich auch eine mitgebracht. Die gleiche wie für mich.« Ich glaube, sie ist ein bisschen rot geworden, was sollte das bedeuten? Ich glaube auch, dass sie jetzt wieder zufrieden war.

»Der Rennwagen ist sehr schön!«, habe ich darum noch mal gesagt. Ich glaube doch, dass ich Emma heiraten werde. Das mit der Lobola für zwei Frauen wird sich regeln lassen, wenn ich erst mal ein Gentleman und privater Ermittler bin.

Das letzte Stück zu Sifisos Hütte geht es abwärts, man kommt leicht ins Rutschen. Neben der Hütte hat Delighty gestanden und mit einem langen Ast sehr energisch im dreibeinigen Topf gerührt. Der dreibeinige Topf stand über dem Feuer auf dem Boden. Daneben saß Lungile Lemonade und ließ einen abgenagten Maiskolben im roten Staub auf und ab hüpfen. Sifiso lehnte an der Hüttenwand, und Pilot kickte ein Stück entfernt einen Fußball, den ich ihm aus einer Plastiktüte geknotet hatte. (Ich knote Pilot all seine Fußbälle. Ich kann es besser als Sifiso.) Irgendwie war die Stimmung merkwürdig.

»Sanibonani zusammen!«, habe ich gerufen. »Emma ist wieder da!«

»Yebo!«, haben Sifiso und Delighty geantwortet. Sie haben kaum hochgeguckt.

Nur Lemonade ist aufgesprungen und zu Emma hingerannt. »Sie heißt Jabu!«, hat sie gerufen und Emma den Maiskolben hingehalten. »Aber sie war böse. Ich hab sie verhauen!« Dabei hat sie den Maiskolben hin und her geschwenkt.

Emma hat geseufzt. Emma weiß, dass sich die kleinen Mädchen ihre Puppen aus abgenagten Maiskolben basteln. »Man darf Kinder nicht hauen, Lemonade!«, hat sie gesagt. Das hat Emma natürlich von Miss Agatha gehört. Miss Agatha liest Zeitschriften, in denen solche Dinge stehen, ich kann nur staunen. »Verhauen macht die Kinder nur noch böser!«

Lemonade hat den Kopf schief gelegt und Emma skeptisch angeguckt. »Englische Kinder!«, hat sie dann gesagt. »Nicht hier bei uns. Jabu ist jetzt wieder ganz lieb!« Und sie hat dem Maiskolben einen dicken Kuss auf die abgenagten Hüllen gegeben.

»Na, du musst es wissen!«, hat Emma gesagt. »Hallo, ist irgendwas los? Die Stimmung ist so mies, als ob euch einer euren Kochtopf geklaut hätte. Was ja nicht der Fall ist, wie ich sehe! Gibt’s Streit?«

»Delighty macht sich lustig über mich!«, hat Sifiso gesagt. »Delighty behauptet …«

»Aber es ist die Wahrheit!«, hat Delighty gerufen und für einen Augenblick mit dem Rühren ausgesetzt. Man darf es nicht zu lange tun, sonst brennt der Maisbrei an. Das ist dann schade, weil man sowieso nicht immer genug Maisbrei hat, da muss man sorgfältig mit ihm umgehen. »Ich hab es wirklich gesehen!«

Ich habe zwischen Sifiso und Delighty hin- und hergeguckt. Sie müssten Delighty kennen, meine Damen und Herren, um meine Verwunderung zu verstehen. Delighty ist fleißig und zuverlässig und für Sifiso eine wunderbare Schwester, ich hatte es schon gesagt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Delighty irgendetwas tat, um Sifiso zu ärgern.

»Sie macht sich lustig darüber, dass wir private Ermittler sind! Sie macht sich lustig darüber, dass wir Verbrechen aufklären!«, hat Sifiso gerufen. »Sie behauptet …«

»Ich wollte mich nicht lustig machen!«, hat Delighty gerufen. Weil sie wieder aufgehört hat, zu rühren, hat Emma ihr einfach den Ast aus den Händen genommen und selbst weitergemacht.

»Erzähl mal!«, hat Emma gesagt.

Delighty hat kurz zu Sifiso hingesehen. »Ich habe Holz gesammelt!«, hat sie gesagt und auf das Feuer gezeigt. »Ich hatte schließlich genug Mehl, um zu kochen, aber ihr wisst, wie schwierig es mit dem Holz ist!«

Ich wusste, wie schwierig es mit dem Holz war. Es gibt keinen Wald in unserer Nähe. Man muss immer ganz bis zur Eukalyptusplantage an der großen Straße laufen, wenn man kochen will. Jeder klagt darüber, wie schwierig es ist, genügend Holz zusammenzukriegen.

»Pilot ist mitgekommen, um mir tragen zu helfen …«

»Das ist Frauenarbeit!«, hat Pilot empört gerufen. »Sifiso hat gesagt, ich krieg nichts ab vom Brei, wenn ich Delighty nicht helfe. Aber das ist Frauenarbeit!«

Ich habe abgewinkt.

»… und natürlich ist Pilot abgehauen, als wir am Fußballplatz vorbeigekommen sind«, hat Delighty gesagt.

Nun muss ich Ihnen vielleicht kurz etwas erklären. Bei uns im Königreich lieben wir das Fußballspiel, ich weiß, das tun Sie in Ihren Ländern auch. Unsere Fußballplätze sehen oft anders aus als Ihre Fußballplätze, das weiß ich aus dem Fernsehen bei Miss Agatha. Unsere Fußballplätze sind oft nur ein Stück Grasland, in das wir Zweige als Tore gesteckt haben. Aber wir spielen darum nicht schlechter, glauben Sie mir! Und Pilot liebt den Fußball.

»Ich bin hinterhergerannt«, hat Delighty gesagt. »Ich hab ihn doch gebraucht! Allein hätte ich zweimal gehen müssen, um genug Holz zusammenzukriegen! Und da hab ich es gesehen.«

»Was hast du gesehen?«, hat Emma gefragt. Sie hat nicht mit dem Rühren aufgehört. Emma würde vielleicht doch eine gute Ehefrau werden.

»Den Jungen!«, hat Delighty gerufen. »Der vor dem Tor Muti vergraben hat!«

»Muti?«, hab ich verblüfft gefragt.

»Ich sag doch, sie macht sich lustig!«, hat Sifiso gesagt.

Muti, meine Damen und Herren, ist unsere traditionelle Medizin. Es gibt Muti aus Früchten, und es gibt Muti aus Blättern, und es gibt Muti aus Wurzeln. Es gibt auch Muti aus Steinen. Und es gibt sogar Muti aus den Knochen der Tiere, und manches Muti hat Zauberkraft, das ist ein Fakt.

Darum gibt es immer wieder Menschen, die versuchen, den Ausgang eines Fußballspiels zu beeinflussen, indem sie die Schuhe der Spieler mit Muti einreiben (wenn die Spieler Schuhe tragen, natürlich nur) oder Muti auf dem Fußballfeld vergraben. Es ist nicht erlaubt. Es ist verboten, weil es einer Mannschaft einen unfairen Vorteil verschafft, das werden Sie verstehen. Trotzdem geschieht es. Alle Vereine haben Muti Men.

Aber wer sollte sich wohl die Mühe machen, auf unserem Fußballplatz, der nicht einmal richtige Tore besitzt, Muti zu vergraben? Auf unserem Fußballplatz, auf dem keine wichtigen Spiele stattfinden, nur vielleicht einmal eine Schulmannschaft gegen eine andere? Eish!

»Delighty hat gesagt, wir sollen der Sache nachgehen, wir sind doch schließlich private Ermittler!«, hat Sifiso gesagt. »Sie hat gesagt, als der Junge sie gesehen hat, ist er ganz erschrocken weggelaufen. Sie macht sich lustig über uns!«

Emma hat geseufzt.

»Also der Junge hat wirklich was vergraben, Delighty?«, hat sie gefragt.

Delighty hat genickt. »Er hatte ein gestreiftes Shirt an«, hat sie gesagt. »Rot und blau gestreift! Hinten war eine Zehn drauf, und vorne stand ›Qatar‹. Ich hab es mir extra gemerkt!«

Ich hab zu Sifiso hingeguckt. »FC Barcelona!«, hab ich gesagt. »Ein Fußballfan, ohne Frage! Dann kann es doch sein, dass es um Muti geht, Sifiso!«

Jeder Junge bei uns hätte gerne ein Trikot vom FC Barcelona, das werden Sie verstehen. Oder von Bayern München oder Manchester United. Auf dem Markt in Manzini, wo die Kleidung verkauft wird, die die Menschen in Ihren Ländern nicht mehr brauchen und darum in Container werfen, gibt es manchmal solche Shirts. Aber es gibt sie niemals lange. Ich habe ja gesagt, jeder Junge hätte gerne so ein Trikot.