DIAKONAT – KIRCHE – DIAKONIE
Hrsg. im Namen des Verbandes Evangelischer Diakonen-, Diakoninnen und Diakonatsgemeinschaften in Deutschland e. V. von Dieter Hödl und Thomas Zippert
Band 2
THOMAS ZIPPERT | Jutta Beldermann | Bernd Heide (Hrsg.)
BRÜCKEN ZWISCHEN
SOZIALER ARBEIT UND
DIAKONISCHER THEOLOGIE
ZUR EIGENART DER SOZIALDIAKONISCHEN DOPPELQUALIFIKATION VON DIAKONINNEN UND DIAKONEN
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Cover: Zacharias Bähring, Leipzig
Satz: Steffi Glauche, Leipzig
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH
ISBN 978-3-374-04660-7
www.eva-leipzig.de
Diakoninnen und Diakone sind wichtig für die aktive Gestaltung der diakonischen Kirche der Zukunft. Wicherns Perspektive – Diakoninnen und Diakone stehen kraft Amtes für Gottes Leidenschaft für die Armen1 – bekommt im Rahmen des gesellschaftlichen Auftrages, Inklusion zu gestalten, eine neue Bedeutung.
Der Sozialraum erweitert sich auch für Kirchengemeinden durch die Dezentralisierung diakonischer Arbeitsfelder. Diakonie wie Kirche stehen vor der Aufgabe, ihr Profil erkennbar zu gestalten. In diesem Prozess haben Diakoninnen, Diakone und Mitarbeitende im Diakonat verschiedene Rollen und Aufgaben als »Identitätsfördererinnen« und »Brückenbauer«.
Mit ihrer Berufung in ihr Amt tragen Diakoninnen und Diakone – als Teil des Diakonats der Kirche – tatkräftig dazu bei, »Christi Liebe in Wort und Tat zu verkündigen« und diakonische Identität in der fachlichen Arbeit ihrer Arbeitsbereiche zu gestalten.2
Das Studium Soziale Arbeit und Diakonik an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld ermöglicht von Anfang an, die doppelte Qualifikation als integrierte Qualifikation zu verstehen. Das gelingt durch den Ansatz, dass in vielen Modulen theologisch-diakonische Kompetenzen mit sozialpädagogischen verbunden werden.
Die Vermittlung der Studieninhalte, verbunden mit Praxiserfahrung und der Reflexion christlich-diakonischen Handelns, ermöglicht es, eine Identität als Diakonin und Diakon zu bilden. Diakonische Professionalität wird mit dem Studienabschluss erworben und führt mit der Einsegnung in das Amt zur Beauftragung für den Dienst in der diakonischen Kirche.
Von Studienbeginn an ist die Begleitung durch Diakonische Gemeinschaften ein wichtiger Ort für Studierende. Sie sind zusammen mit der wissenschaftlichen Ausbildung Orte der Reflexion für diakonisch gelebte Identität und geben Zuversicht für das Gelingen – in allen Veränderungen und Gestaltungsaufgaben. Diakonische Gemeinschaften sind damit ein wichtiges Netzwerk für Studierende, Fachkräfte, diakonische Unternehmen und die Kirchen, das sich kontinuierlich weiterentwickelt.
Herzlich danken wir den Herausgebern und Autoren des Werkstattbuches für das umfassende Herausarbeiten und Beleuchten dieser »Brücken zwischen sozialer Arbeit und diakonischer Theologie«. Wegweisend ist am Ende der einzelnen Kapitel die Herausarbeitung der zentralen Bedeutung von Diakoninnen und Diakonen für diese Prozesse. Ein wichtiges Arbeitsbuch für die Zukunft!
Heidi Albrecht
Geschäftsführerin VEDD
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Jutta Beldermann / Thomas Zippert
Einleitung
TEIL 1:
WARUM BRAUCHEN WIR DIAKONINNEN UND DIAKONE? –
GRUNDLAGEN
Jutta Beldermann
Diakonische Qualität kirchlichen Handelns
Warum braucht die Kirche Diakoninnen und Diakone?
Dierk Starnitzke
Kirchliche Identität und Pluralität
Zu den Folgen von Inklusion für die Diakonie
Werner Arlabosse
Das diakonische Profil aus dem Blickwinkel eines diakonischen Unternehmens
Wolfgang Roos-Pfeiffer
Aus / auf gutem Grund
Diakonische Gemeinschaften
TEIL 2:
WAS ZEICHNET DIAKONINNEN UND DIAKONE AUS? –
THEORETISCHE BEGRÜNDUNG FÜR EINE INTEGRIERTE QUALIFIKATION
Thomas Zippert
Teilhabe
Zu einem Grundbegriff einer Theologie der Diakonie
Dierk Starnitzke
Diakonisches Handeln religiös deuten
Zur Profilierung funktional differenzierter diakonischer Organisationen
Bernd Heide-von Scheven / Frank Dieckbreder
Integrierte statt doppelte Qualifikation
Zum Verhältnis von Sozialer Arbeit und Diakoniewissenschaft
Christian Schwennen
Diakon – warum das denn?
Christ sein – warum eigentlich nicht?
Michael Postzich
Emotion und Diakonie (1)
Gefühle, soziale Arbeit und die theologische Ausbildung von Diakoninnen und Diakonen
Michael Postzich
Emotion und Diakonie (2)
Zum Verhältnis von Mitgefühl und Zweckrationalität in diakonischer Praxis
Alla Koval
Das Oszillieren zwischen Nähe und Distanz
Zur emotionalen Dimension des sozial-diakonischen Handelns
TEIL 3:
WIE SIEHT EIN ENTSPRECHENDES STUDIUM AUS? –
PRAKTISCHE UMSETZUNGEN
Jutta Beldermann / Bernd Heide-von Scheven
Kommunikatives Cross-Over
Methoden der Sozialen Arbeit und Gottesdienst
Alla Koval / Thomas Zippert
Interkulturelle und/oder interreligiöse Kompetenz
Ein Dialog zwischen Theologie und Sozialarbeitswissenschaft
Frank Dieckbreder / Thomas Zippert
Sozialraumsensible Geschichtsschreibung
Zur didaktischen Herausforderung, Theorie und Geschichte von Sozialer Arbeit und Diakonie gemeinsam zu lehren
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Fußnoten
Jutta Beldermann / Thomas Zippert
Die Idee zu diesem Werkstattbuch ist entstanden während der Kooperationssitzungen der Lehrenden des Studiengangs »Diakonie im Gemeinwesen / Soziale Arbeit und Diakonik (B. A.)« mit Vertretern der beiden kooperierenden Diakonischen Stiftungen und Gemeinschaften, für die dieser Studiengang einen Teil des Nachwuchses ausbildet. Es sind die Diakonische Gemeinschaft Nazareth im Verbund der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel und die Brüder- und Schwesternschaft des Wittekindshofes (der Diakonischen Stiftung Wittekindshof) in Bad Oeynhausen. Beide Gemeinschaften sind über die mit ihnen verbundenen Träger auch Träger der »Fachhochschule der Diakonie gemeinnützige GmbH« in Bielefeld. Im Kontext der Überlegungen zur Reakkreditierung des Studiengangs entstanden grundsätzliche Rückfragen an die spezifische Art und Weise, wie an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld die für Diakoninnen und Diakone seit den 1970er Jahren verpflichtende sog. »Doppelte Qualifikation« sozialarbeiterischer1 und theologisch-diakonischer Kompetenz umgesetzt wird und zukünftig im modifizierten Studiengang »Diakonie im Sozialraum Diakonik und Soziale Arbeit B. A.« gestaltet werden soll.
Ausgangslage ist, dass in beiden Qualifikationsbereichen jeweils eigene, mehr oder weniger ausgearbeitete Standardisierungen in Geltung sind. Für die Soziale Arbeit hat dies der Fachbereichstag Soziale Arbeit getan, dessen für den Erwerb der Staatlichen Anerkennung als Sozialarbeiter/in nötige Standardisierungen allerdings in jedem Bundesland etwas anders umgesetzt werden: Es ist dies der Qualifikationsrahmen Soziale Arbeit [QR SArb] Version 5.1 vom 4. 12. 2008.2
Für die Ausbildung zum Diakon bzw. zur Diakonin sind dies die landeskirchlichen Gesetze, die allerdings einer dringenden Anpassung bedürfen3, sowie für die Seite der Ausbildung die sog. Kompetenzmatrix »Was sollen Diakoninnen und Diakone können? Kompetenzmatrix für die Ausbildung von Diakoninnen und Diakonen im Rahmen der doppelten Qualifikation«.4
Entstanden ist die Notwendigkeit der sog. Doppelten Qualifikation im Gefolge der Gründung von Fachschulen und Fachhochschulen Anfang der 1970er Jahre, die eine ursprünglich einheitliche, meist fünfjährige Ausbildung von (damals nur) Diakonen sowohl inhaltlich wie meist auch institutionell auseinanderriss zum einen in einen fachlichen Teil (meist Fachschulen bzw. Fachakademien), für die der Staat die Standards (Lehrpläne, Prüfungsordnungen usw.) definierte, die zur Verleihung einer staatlichen Anerkennung als Erzieher, Sozialarbeiter u. a. führen. Auf Seiten von Diakonie und Kirche blieb so zum anderen eine theologisch-diakonische ›Rumpf- bzw. Restausbildung‹, für die sich Landeskirchen und Trägereinrichtungen der Diakonenausbildung die Verantwortung teilten.
Auf unterschiedliche Weise wurden diese theologisch-diakonischen und oft auch gemeindepädagogischen Ausbildungsanteile mit den jetzt boomenden Fachschul- und später Fachhochschulausbildungen additiv kombiniert. Prägend war hier zunächst das Ludwigsburger »Sandwich-Modell«, das auch im Rahmen des Landeskirchenverbundes der »Evangelischen Kirche der Union« (jetzt »Union der evangelischen Kirchen«) übernommen wurde. Es legte die Diakonenausbildung wie einen Rahmen um die Fachausbildungen, hielt aber beide Ausbildungsanteile relativ getrennt voneinander bzw. überließ die Synthese den einzelnen Absolventinnen und Absolventen.
Die Gründung weiterer kirchlicher Fachhochschulen in den 1990er Jahren, die Heraufsetzung der Ausbildungsstandards in einigen Berufsfeldern (v. a. der Jugendhilfe) und schließlich der Bolognaprozess der Europäischen Union erforderten und ermöglichten seit den 2000er Jahren eine Neujustierung.5 Nachdem von Rainer Merz sowohl die Forderung der »Kongruierung« beider Kompetenzbereiche erhoben wie auch deren Paradoxien klar beschrieben wurden,6 konnten im Rahmen modularisierter Studiengänge endlich Wege gesucht werden, die beide Kompetenzbereiche wieder näher zueinanderbrachten und enger als vorher miteinander verschränkten und integrierten. An jedem Ort, der Diakoninnen und Diakone auf Fachhochschulebene ausbildete, wurden und werden dafür eigene Konzepte entwickelt, die notdürftig durch das Dach der Kompetenzmatrix von 2004 zusammengehalten werden. Es besteht begründete Hoffnung, dass eine von der EKD, den diakonischen Anstellungs-, sowie den Ausbildungsverantwortlichen beschickte »Fachkommission 3«7 hier in den nächsten Jahren für einen fundierten Erfahrungsaustausch und hoffentlich für Konvergenz der Integrationsmodelle sorgen wird. Die dieser Fachkommission vorausgegangene »EKD-Ad-hoc-Kommission« hat jedenfalls festgehalten, dass für die untrennbare, aber unterschiedlich zu gewichtende Trias an Kompetenzen »Bilden – Unterstützen – Verkündigen« eine »interdisziplinäre Ausrichtung der Lehre« Grundvoraussetzung und der Grad der Interdisziplinarität ebenso ein Qualitätsmerkmal ist wie unterschiedliche Arten von doppelten Qualifikationen.8
Freilich stehen viele in diesem Feld am Anfang, denn vollzogen ist die Integration beider Kompetenz- bzw. Ausbildungsbereiche an keinem Ort. Weder gibt es eine ausgearbeitete Form evangelischer Sozial- oder Diakonietheologie, noch gibt es eine Soziale Arbeit, die sich ihrer spirituellen Dimensionen ebenso bewusst ist wie ihrer diakonischen (Teil-)Wurzeln und die um die Vielfalt der Mandate und Aufträge, Begründungen und Zielsetzungen der Arbeit mit Menschen weiß, die auf diese oder jene Weise auf Hilfe angewiesen sind, um wieder frei und selbstbestimmt handeln zu können, ohne die tragende Kraft von Liebe und Bindung negieren oder entbehren zu müssen.9
Vollständig wird eine Integration beider Bereiche nicht sein dürfen, da dies sowohl die staatliche wie die kirchliche Anerkennung gefährdet. Im Gegenteil: Gegenwärtig mehren sich sogar die Anzeichen, und einige davon sind auch hier in diesem Band erkennbar, dass für die Arbeit in »multirationalen« bzw. »hybriden Organisationen« – also solchen Organisationen, die zugleich nach unterschiedlichen Logiken und Rationalitäten funktionieren10 – Mitarbeitende besonders wertvoll sind, die unterschiedliche Rationalitäten und Logiken beherrschen und miteinander vermitteln können, sei es, weil sie wissen, nach welchen unterschiedlichen Logiken Kirche und Sozialstaat arbeiten und entscheiden, oder sei es, weil sie sowohl unternehmerisches Handeln verstehen als auch die vollkommen anders »tickenden« Rationalitäten im Sozial- oder Nahraum sozialer Arbeit, geschweige denn im Intimbereich häuslicher Pflege und Unterstützung, oder sei es, weil sie die sehr spezifischen Unterschiede von Sozial- und Schulpädagogik kennen.
In diesem Kontext verstehen sich auch die meisten Texte dieses Bandes als Beiträge, die Schnittmengen bzw. Schnittstellen zu anderen Wissenschafts- und Kompetenzbereichen bzw. -verständnissen ausloten bzw. skizzieren, sei es allein oder sei es im direkten Dialog mit Fachkolleginnen und -kollegen. Viele dieser Texte und Ansätze wurden gemeinsam entwickelt und oft leidenschaftlich diskutiert. Es waren besondere Momente gelingender Interdisziplinarität und Interprofessionalität, die in Welten sich eher versäulender und voneinander abgrenzender Eigenlogiken selten geworden sind und die Autorinnen und Autoren ermutigt, ja beflügelt haben, ihre mehr oder weniger vorläufigen Positionen und Ideen in einem Werkstattbuch zur Diskussion zu stellen. Die Autorinnen und Autoren sind sich bewusst, dass sie alle weiterentwicklungsbedürftig sind.11 Sie wollen es aber auch selber sein und laden also hiermit zu weiterem Dialog ein!
Teil 1 widmet sich den Grundlagen dieses Studiengangs aus der Perspektive der Kirchengesetzgebung (Jutta Beldermann), aus der Analyse der gegenwärtigen Gesellschaft (Dierk Starnitzke), den Interessen eines diakonischen Unternehmens (Werner Arlabosse) und aus dem Blickwinkel Diakonischer Gemeinschaften (Wolfgang Roos-Pfeiffer).
Teil 2 geht der Frage nach, wie sich eine integrierte doppelte Qualifikation begründen lässt und was infolgedessen Diakoninnen und Diakone auszeichnet. Thomas Zippert und Dierk Starnitzke legen mit unterschiedlichen Ansätzen dar, warum doppelte und mehrfache Qualifikationen für die diakonische Arbeit unvermeidlich und notwendig sind und welche Konsequenzen das für das Qualifikationsprofil von Diakoninnen und Diakonen hat; Starnitzke geht von der Leitunterscheidung Exklusion-Inklusion aus, Zippert von einem umfassenden Verständnis von Teilhabe – sie laden insofern zum direkten Vergleich der Ansätze ein. Bernd Heide-von Scheven und Frank Dieckbreder bringen unterschiedliche Professionalitätsdiskurse miteinander ins Gespräch, um die spezifische Form der hier angestrebten Professionalität zu umreißen. Vielleicht hilft der von der EKD-ad-hoc-Kommission vorgeschlagene Begriff der Interprofessionalität, festzuhalten, dass es sich um zwei Professionalitäten handelt, die gleichwohl miteinander interagieren. Christian Schwennen erdet mit seinen biografischen Reminiszenzen und Visionen, wie sich doppelte Qualifikation in Arbeit und Leben anfühlen und auswirken kann.
Michael Postzich, als Pfarrer und Psychologe selbst ein anderer »Fall« von Doppelqualifikation, führt am Beispiel der vielfältigen Diskurse um Emotion und Emotionalität vor, welche Auswirkungen das für die Theologie, die diese Themen in letzter Zeit eher sparsam bearbeitet, und für die Ausbildung von Diakoninnen und Diakonen haben kann. Alla Koval zeigt, angeregt durch diakonisch inspirierte Studierende, wie die Balance von professioneller Nähe und Distanz neu austariert werden kann.
Teil 3 führt exemplarisch für den »Studiengang Diakonie im Gemeinwesen/Soziale Arbeit und Diakonik« einige Konkretionen integrierten Zugehens aus unterschiedlicher Perspektive vor. Jutta Beldermann und Bernd Heide-von Scheven zeigen, wie sich zeitlich benachbarte Module erst zufällig, dann absichtlich gegenseitig befruchten, während Alla Koval und Thomas Zippert aufweisen, dass interkulturelle und interreligiöse Kompetenz zwar Schnittmengen haben und sich komplementär ergänzen, aber nicht aufeinander zurückführbar sind. Frank Dieckbreder und Thomas Zippert deuten im letzten Beitrag an, wie sich eigentlich sozial- und diakoniegeschichtliche Themen und Fragestellungen überschneiden müssten, dies aber mangels vorarbeitender Forschung noch nicht tun.
Literatur
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Coates, John; Graham, John R.; Barbara Swartzentruber with Brian Ouellette (ed.) (2007): Spirituality and Social Work. Selected Canadian Readings, Toronto: Canadian Scholar Press.
Götzelmann, Arnd (2003): Evangelische Sozialpastoral. Zur diakonischen Qualifizierung christlicher Glaubenspraxis (Praktische Theologie heute 61). Stuttgart: Kohlhammer.
Haas, Hanns-Stephan; Wasel, Wolfgang: Hybride Organisationen – Antworten auf Markt und Inklusion. In: Hagemann, Tim (Hrsg.) (2013): Mitarbeiter führen und Entscheidungen verantworten, FS Martin Sauer, Lengerich, 70–84.
Hauschildt, Eberhard; Pohl-Patalong, Uta (2013): Kirche (Lehrbuch Praktische Theologie 4), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.
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Krockauer, Rainer; Bohlen, Stephanie; Lehner, Markus (Hrsg.) (2006): Theologie und Soziale Arbeit. Handbuch für Studium, Weiterbildung und Beruf, München. Regensburg: Kösel.
Lechner, Martin (2000): Theologie in der Sozialen Arbeit: Begründung und Konzeption einer Theologie an Fachhochschulen für Soziale Arbeit. München: Don Bosco.
Merz, Rainer (2003): Auf der Suche nach einer speziellen Professionalität für Diakoninnen und Diakone in der kirchlich-diakonischen Sozialen Arbeit, in: Volker Herrmann, Rainer Merz, Heinz Schmidt (Hrsg.), Diakonische Konturen. Theologie im Kontext sozialer Arbeit (VDWI 18), Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 305–335.
Merz, Rainer (2008): Paradoxien professionellen diakonischen Handelns, in: Rainer Merz, Ulrich Schindler, Heinz Schmidt (Hrsg.), Dienst und Profession. Diakoninnen und Diakone zwischen Anspruch und Wirklichkeit (VDWI 34), Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 112–133.
Mutschler, Bernhard; Hess, Gerhard (Hrsg.) (2014): Gemeindepädagogik. Grundlange, Herausforderungen und Handlungsfelder der Gegenwart. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.
Roser, Traugott; Borasio, Gian Domenico (2015): Spiritual Care: Ethische, organisationale und spirituelle Aspekte der Krankenhausseelsorge. Ein praktisch-theologischer Zugang. (Münchner Reihe Palliativmedizin). 2. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer.
Schmidt, Heinz; Hildemann, Klaus D. (Hrsg.) (2012): Nächstenliebe und Organisation. Zur Zukunft einer polyhybriden Diakonie in zivilgesellschaftlicher Perspektive. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.
Zippert, Thomas (2013): Die Geschichte der Ausbildung von Diakoninnen und Diakonen, in: Reinhard Neumann (Hrsg.), In Zeit-Brüchen diakonisch handeln 1945–2013, Bielefeld: Luther Verlag, 447–488.
Warum braucht die Kirche Diakoninnen und Diakone?
Jutta Beldermann
Kirche kommt als Gemeinschaft der Gläubigen (CA VII) im Grunde ohne beruflich Mitarbeitende aus. Kirchliche Berufe, wie z. B. der Pfarrer- und der Diakonenberuf, sichern jedoch die Qualität der von Kirche und diakonischen Einrichtungen verantworteten Arbeit.
Der Artikel legt dar, wie sich der Bedarf an Qualität insbesondere in den Sozialräumen einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft darstellt, wie Kirche und diakonische Organisationen dieser Anforderung in organisationaler Verantwortung begegnen und welche Rolle dabei die doppelte Qualifikation der Diakoninnen und Diakone spielt. Dabei wird deutlich, wie dringend Kirche und Diakonie gerade in den aktuellen Herausforderungen Diakoninnen und Diakone brauchen.
1 DIE KIRCHE BRAUCHT DIAKONINNEN UND DIAKONE ZUNÄCHST EINMAL NICHT!
Die Evangelische Kirche1 »trägt die Verantwortung für die lautere Verkündigung des Wortes Gottes und für die rechte Verwaltung der Sakramente«.2 Ebenso hat die Kirche(-ngemeinde) »den Auftrag zur Seelsorge, zur diakonischen Arbeit, zum missionarischen Dienst sowie zur Pflege der ökumenischen Gemeinschaft der Kirchen«.3
Zur Erfüllung des oben beschriebenen Auftrages, d. h. »zum Zeugnis und Dienst in der Welt«, sind »alle Christinnen und Christen« auf Grund der Taufe berufen.4 Der kirchliche Auftrag gilt allen. Allerdings verpflichtet die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) die Kirchengemeinden, »zur Erfüllung des Auftrages Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, zu befähigen und zu begleiten, die nötigen Ämter und Dienste einzurichten sowie für Angebote der Fortbildung zu sorgen«.5 Aber auch »alle Ämter und Dienste dienen der Erfüllung dieses Auftrages«.6
Dass die »Versammlung aller Gläubigen«7 auch heute zur Erfüllung ihres Auftrages nur wenige beruflich Mitarbeitende braucht, ist mit einem Blick in die weltweite Ökumene schnell belegt. Die chinesische protestantische Kirche z. B. hat im Vergleich zu ihrer Mitgliederzahl nur einen sehr geringen Anteil an Pfarrerinnen und Pfarrern und anderen Berufsgruppen und erfüllt ihren Auftrag in der überwiegenden Mehrheit mit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die hoch engagiert ihr Zeugnis geben und ihren Dienst tun.
Die Kirchenordnung der EKvW geht in Artikel 9 davon aus, dass es unter »allen« Christinnen und Christen, die zum Zeugnis und Dienst in der Welt verpflichtet sind, auch Menschen geben muss, die zur Erfüllung des Auftrages in besonderer Weise befähigt und ggf. auch aus-, fort- und weitergebildet werden. Dabei geht es um Qualität. Wenn die Kirche die Erfüllung ihres Auftrages ernst nimmt, dann braucht es Qualität; ja mehr noch: Dann muss die Qualität gesichert werden. Damit sie selbst die Sicherung der Qualität überprüfen und auch gewährleisten kann, stellt die Kirche8 Menschen ein, erlässt Bestimmungen für ihre Ausbildung, nimmt Prüfungen ab und beauftragt Mitarbeitende, die dazu ausgebildet sind, mit besonderen Diensten.9
Dabei macht die Kirchenordnung der EKvW deutlich, dass viele verschiedene Berufsgruppen im Auftrag der Kirche tätig sind und dass auch mit dem Dienst im diakonischen Arbeitsfeld nicht allein Diakoninnen und Diakone beauftragt werden. Sie nennt auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gemeindepflege- und Diakoniestationen, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, »die an der Erfüllung des diakonischen Auftrages mitwirken«.10
2 DIE KIRCHE BRAUCHT QUALITÄT
Auch in der chinesischen protestantischen Kirche machen Gemeindeglieder, Presbyterien und Leitungsgremien die Erfahrung, dass die Arbeit, unabhängig davon, ob sie ehrenamtlich oder (in wenigen Fällen) beruflich ausgeübt wird, theologische und andersfachliche Qualität braucht. So finanzieren etwa kleine Landgemeinden die theologische Ausbildung ihrer ehrenamtlichen Pfarrerinnen und Pfarrer, damit ihre Predigten, ihre Gottesdienste und ihre seelsorgerliche Arbeit verbessert werden.
Es geht also um Qualität in der Erfüllung des kirchlichen Auftrages und um die berufliche Sicherung von Qualität in den Arbeitsfeldern der Kirche. Von der Kirche an einer anerkannten Ausbildungsstätte ausgebildete und geprüfte Diakoninnen und Diakone sichern die Qualität der Erfüllung des diakonischen Auftrages »in Sozial- und Bildungsarbeit, in pflegerischen und erzieherischen Tätigkeiten sowie in Verkündigung, Seelsorge«.11 Selbstverständlich kann Qualität auch durch ehrenamtliche Tätigkeit gewährleistet werden, insbesondere dann, wenn ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine entsprechende Ausbildung mitbringen und/oder besonders fortgebildet werden. Die hauptberufliche Anstellung erfordert allerdings eine fachlich und planerisch gesicherte Qualität und Qualitätssicherung.
Beruflich und ehrenamtlich Tätige haben eine eigene persönliche Verantwortung für die Qualität ihrer Mitarbeit in Kirche und in diakonischen Einrichtungen. Dies reicht jedoch nicht aus und überfordert die personale Verantwortung der Mitarbeitenden. Daher haben Kirche und diakonische Organisationen darüber hinaus eine organisationale Verantwortung für die Sicherung dieser Qualität. Die Qualitätsebenen unterscheiden sich in der fachlichen Ausbildung und durch die jeweilige Beauftragung durch Kirche/Diakonie. Beides ist für die Sicherung der Qualität von Bedeutung:
Personale Verantwortung |
Organisationale Verantwortung |
|
Grundlegende theologische »Qualität« |
Taufe (Alle Christen sind zum Zeugnis und Dienst in der Welt berufen, KO EKvW, Art18) |
Taufe (KO EKvW, Art. 18) Beruflich tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Pfarrerinnen und Pfarrer, Diakoninnen und Diakone u. a.) begleiten die Kirchenmitglieder |
Fachliche Qualität |
Teilnahme an Aus-, Fort-, und Weiterbildung: Befähigung zur Ausübung von Tätigkeiten auf unterschiedlichen Qualitätsebenen |
Standards für Fachlichkeit Anerkennung von Curricula durch kirchliche und diakonische Träger Verantwortung für kirchliche Prüfungen (z. B. Theologisches Examen, Diakonenexamen durch die EKvW) auf der Grundlage von Prüfungsordnungen, Richtlinien etc. |
Sicherung der Qualität der ehrenamtlichen Tätigkeit |
Ehrenamtliche Tätigkeit generell |
Begleitung durch Fachpersonal (s. o.) |
Beantragung besonderer Beauftragungen |
Verfahren für besondere Beauftragungen auf Antrag (z. B. Prädikantengesetz12) |
|
Sicherung der Qualität der beruflichen Tätigkeit |
Berufliche Tätigkeit generell |
Verständigung auf und Bekanntmachen von Berufsbildern (z. B. Pfarrbild, Berufsbild Diakonin/ Diakon, Gemeindepädagogin/ Gemeindepädagoge) Kirchliche Beauftragung/ Anstellungsfähigkeit/ Ordination/ Einsegnung/ Vokation Berufliche Begleitkonzepte (z. B. Pfarrkonvente, Diakonische Gemeinschaften etc.) |
Beantragung besonderer Beauftragungen |
Verfahren für besondere Beauftragungen (z. B. Prädikantengesetz, Seelsorgegeheimnisgesetz)13 |
3 QUALITÄTSSICHERUNG DURCH DOPPELTE QUALIFIKATION IN ZEUGNIS UND DIENST
Die »diakonische Arbeit«14 gehört zum Auftrag der Kirche(-ngemeinde). Diakonie, so formuliert dies umgekehrt das Diakonengesetz der Evangelischen Kirche der Union,15 »ist in dem Auftrag der Kirche begründet, Zeugnis von Jesus Christus in der Welt zu geben. Dienst der helfenden Liebe und Dienst mit dem Wort gehören untrennbar zusammen«.16 Entsprechend bedeutet Qualität, Sorge dafür zu tragen, dass im diakonischen Arbeitsfeld qualitativ hervorragende »helfende Liebe« erlebt werden kann und dass dies nicht von der qualitativ hervorragenden Verkündigung des Evangeliums getrennt wird.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen unserer Gesellschaft – Umbau des Sozialstaates unter zivilgesellschaftlichen Aspekten, hoher Anspruch an Dienstleistungen, weitgehend beruflich organisierte Diakonien und das alles »in einer »pluralistischen Welt«17 – bedeuten Qualität und Qualitätssicherung, Mitarbeitende in Kirche und Diakonie für beide Aspekte (Zeugnis und Dienst) so gut wie möglich auszubilden und sie außerdem zu befähigen, dafür zu sorgen, die beiden Aspekte auch zusammen denken und leben zu können, und dies nicht nur als Individuen, sondern als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter von Kirche und diakonischen Organisationen, die die organisationale Verantwortung dafür übernehmen, dass die Organisation selbst im oben beschriebenen Sinn dem Auftrag der Kirche entsprechen und Kirche sein und bleiben kann.
Weder eine diakonische Organisation noch eine Kirchengemeinde können heute selbstverständlich davon ausgehen, dass (alle) ihre beruflichen oder ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (unabhängig davon, ob sie Mitglieder der evangelischen oder einer anderen christlichen Kirche sind) christliche Grundlagen gut genug kennen, um sie z. B. in Diskussionen vertreten zu können, bzw. das nötige Wissen haben, um christliche Positionen fachlich begründen zu können, oder hinreichend kompetent sind, um z. B. christliche Spiritualität anleiten zu können.
Ebenso kann bei der Vielfalt der Milieus und Subkulturen, bei der Differenziertheit der Anforderungen im sozialen Bereich eine diakonische Einrichtung oder eine Kirchengemeinde nicht davon ausgehen, dass alle ihre beruflichen oder ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Lage sind, Menschen in ihrem Stadtteil/Sozialraum fachlich und methodisch angemessen anzusprechen und sie zu unterstützen (auch Pfarrerinnen und Pfarrer nicht).
Diakoninnen und Diakone sind also die für die Aufgabenvielfalt im kirchlich-diakonischen Arbeitsfeld mit seinen beiden Fachlichkeitsdimensionen (theologisch-kirchlich und sozialarbeiterisch-sozialpädagogisch-pflegerisch) die mit am besten ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und nicht nur dies: Sie sind durch ihre Einsegnung dazu auch in besonderer Weise durch die Kirche berufen und werden in ihrem Dienst von den diakonischen Gemeinschaften, deren Mitglieder sie sind, begleitet. Diese bieten ihnen geistliche, seelsorgerliche und fachliche Unterstützung und sorgen damit auch für den Erhalt der beruflichen und persönlichen Qualität.18
4 … UND SIE BRAUCHT SIE DOCH!
Qualität und Qualitätssicherung in der kirchlich begründeten Doppel-Aufgabe braucht Diakoninnen und Diakone, die in sehr unterschiedlichen Fachausbildungen diese »helfende Liebe«19 gelernt haben (z. B. in einer staatlich anerkannten dreijährigen Ausbildung oder einem Studium der Sozialen Arbeit, der Pflege, der Heilerziehungspflege, der Erziehung etc.) und die in einer zweijährigen theologisch-diakonischen Ausbildung das nötige theologische Fachwissen erworben haben, um dem Auftrag zu Verkündigung und Seelsorge angemessen gerecht werden zu können und um die beiden Aspekte des einen Auftrages zusammenbringen können. Damit sind sie insbesondere befähigt, die Kooperation zwischen Kirchengemeinden, diakonischen Einrichtungen und anderen Akteuren im Stadtteil bzw. den Sozialräumen mit christlich-theologischem Gepräge ausfüllen zu können, unabhängig davon, wer der Anstellungsträger ist.
Drei Beispiele:
Eine Diakonin ist in einer Kirchengemeinde angestellt. Sie hat gelernt, wie sie mit Menschen aus verschiedenen sozialen Milieus kommunizieren und wie sie sie fachlich und methodisch angemessen unterstützen kann. Ihre Arbeit, z. B. mit Familien, ist geprägt vom Verständnis des »Nächsten«. Das bringt sie verbal und non-verbal zum Ausdruck. Ebenso strahlen ihre spirituellen Angebote im Stadtteilcafé aus, dass sie sich in der Kultur und der sozialen Situation der Menschen auskennt und Kirche die richtige Sprache und den richtigen Stil für die Menschen in ihrer Umgebung findet.
Ein Diakon hat eine Stelle im Sozialdienst der Altenhilfe u. a. mit dem Auftrag für Andachten und Seelsorge. Er bringt alles mit, was ein Sozialarbeiter für die fachliche »helfende Liebe« braucht, aber er wird auch unterscheiden können, wann er als Sozialarbeiter und wann er als Seelsorger ein Gespräch führt oder wann in einem Ethikgespräch Fragen aus rechtlicher oder theologischer Sicht zu beantworten sind. Ebenso kann er milieugerecht die Menschen in der örtlichen Kirchengemeinde in die Arbeit in der Altenhilfe einbeziehen und so eine Brücke schlagen zwischen der diakonischen Einrichtung und der Gemeinde – auch was die Gemeinde-Gottesdienste betrifft, die mehrmals im Jahr in seiner Einrichtung stattfinden.
Eine Diakonin ist gemeinsam von einer Kirchengemeinde und von einem diakonischen Träger der Eingliederungshilfe angestellt. In einer der Wohngruppen, für die sie zuständig ist, lebt eine Frau mit körperlichen und geistigen Behinderungen, die sehr gerne singt. In der Kirchengemeinde gibt es einen Chor, der bereit ist, die Frau aufzunehmen. Allerdings ist das nicht einfach. Die Mit-Sängerinnen brauchen fachliche Unterstützung für den angemessenen Umgang, die behinderte Frau noch längere Zeit, bis sie sich auch von Mit-Sängerinnen abholen und nach Hause begleiten lässt. Die Kirchengemeinde hat inzwischen viele Angebote für die Menschen mit Behinderungen in ihrer Umgebung und die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohngruppen für Menschen mit Behinderungen sind im Stadtteil gut integriert – ganz abgesehen davon, dass sich mit der Zeit eine ganze Reihe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der diakonischen Einrichtung in der Gemeinde engagieren.
5 DAS »MEHR« DER DOPPELTEN QUALIFIKATION
Der grundständige Studiengang »Diakonie im Sozialraum« an der Fachhochschule der Diakonie (Bielefeld/Bethel)20 bietet ein »Plus« an Qualität und die Möglichkeit der Qualitätssicherung. Absolventinnen und Absolventen lernen bereits in ihrer Ausbildung, soziale Arbeit in allen nötigen fachlichen Aspekten zu verstehen und gleichzeitig die Verbindung zu Theologie, Ethik, Spiritualität und gottesdienstlichem Handeln, Gemeindepädagogik und Seelsorge herzustellen. Oder umgekehrt: Theologie, Ethik, Spiritualität und gottesdienstliches Handeln, Gemeindepädagogik und Seelsorge zu »können« und dabei auch als Sozialarbeiterin/Pflegekraft/Erzieher zu denken, zu fragen und die Grenzen auszuloten, bringt ein »Mehr«, das Qualität schafft und Qualität sichern hilft in der Kirche wie in diakonischen Einrichtungen und in der Gesellschaft.
Insbesondere dort, wo Kirchengemeinden und diakonische Einrichtungen im Quartier, Stadt- oder Ortsteil zusammenarbeiten, liefert dieses »Mehr« darüber hinaus einen Beitrag für sozialräumlich orientierte Gemeindekonzeptionen.
»Glaube kann wachsen durch die Beteiligung Einzelner am kirchlichen Leben und durch die qualifizierte Begleitung von Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen und Lebensbezügen.«21 Kirche und Diakonie sind daher aufgefordert, sich auf unterschiedliche Sozialräume einzulassen und das Leben dort mitzugestalten, wo Menschen leben und wohnen. Aktive Beteiligung, Selbstbestimmung, Empowerment und Teilhabe (Inklusion) sind konzeptionelle Grundlagen einer sozialräumlichen Orientierung kirchlicher und diakonischer Arbeit. Kirchengemeinden in parochialer Struktur sind nicht nur Teil des Sozialraums, sondern bieten häufig die Struktur, den Sozialraum für viele Menschen gestaltbar zu machen. Durch entsprechende Angebote und Vernetzungsmöglichkeiten eröffnen Kirche und diakonische Einrichtungen nicht nur Gestaltungsmöglichkeiten im Sozialraum, sondern werden als Kirche erkennbar, insbesondere für Menschen, die Kirche in den sozialen Arbeitsfeldern – jedoch häufig nicht in den Kerngemeinden – begegnen.
Auswertungen von Umfragen wie z. B. der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD22 prognostizieren, dass sich die Kirchengemeinden in den nächsten Jahren in ihrer kerngemeindlichen Struktur stabil entwickeln, jedoch an den sog. »Rändern« abbröckeln werden. Das bedeutet, dass eine qualifizierte Präsenz im Sozialraum die Kirche gerade den Menschen näherbringen kann, für die es häufig ausdrücklich die diakonischen Aktivitäten der Kirche sind, die für sie eine Kirchenmitgliedschaft (noch) begründen. »Nur eine gute und breit aufgestellte fachliche Ausbildung gewährleistet die nötigen Voraussetzungen für eine angemessene Professionalität.« 23 Diakoninnen und Diakone können sie mitbringen!
Literatur
Perspektiven für diakonisch-gemeindepädagogische Ausbildungs- und Berufsprofile, EKD-Texte 118, 2014.
Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis. V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, hrsg. vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hannover 2014 (www.ekd.de).
Zu den Folgen von Inklusion für die Diakonie
Dierk Starnitzke
Ausgehend von der globalen, entschränkten Geltung der Menschenrechte und der Leitunterscheidung »Inklusion/Exklusion« wird das Projekt einer radikalen Umstrukturierung der Gesellschaft hin auf umfassende Inklusion in den Blick genommen. Darauf hat sich neben der Kirche auf besondere Weise auch die Diakonie einzustellen, und zwar aus theologischen Gründen (v.a. im Anschluss an Röm 7 und Röm 11: Universalität des Erbarmens Gottes). Sie kommt von exklusiven Ansätzen her und fördert sie faktisch auch (Proprium, Zielgruppen mit spezifischen Hilfebedarfen, Heimstrukturen). Deshalb muss sie unter diesen Vorzeichen ihre diakonische Identität neu definieren und sich öffnen, z. B. in den Sozialraum und für nichtchristliche Mitarbeitende. Für die daraus entstehenden Identitätsfragen diakonischer Unternehmen sind Mitarbeitende mit besonderen Deutungs- und Gestaltungskompetenzen nötig, nämlich z. B. Diakoninnen und Diakone aufgrund ihres spezifischen Berufsprofils und ihres breiten Kompetenzspektrums.
1 DIAKONIE IM KONTEXT EINER PLURALEN GLOBALISIERTEN GESELLSCHAFT
Den grundlegenden Wandel der modernen Gesellschaft, der sich auch in Deutschland zunehmend vollzieht, kann man in einem bestimmten Kontext verstehen, und zwar im Rahmen der zunehmenden Globalisierung der Gesellschaft.
Zwei wesentliche Punkte dieser Entwicklung seien hier besonders in den Blick genommen. Der erste Aspekt besteht in der Formulierung der Menschenrechte, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948 niedergelegt und seitdem durch sich anschließende Antidiskriminierungspapiere weiter konkretisiert worden ist. 1 Dadurch wird klar, dass Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung prinzipiell für alle Menschen gelten, dass dieses deshalb aber auch für bestimmte Teile der Menschheit wie Kinder, Frauen oder Menschen mit Behinderungen nochmals explizit festgestellt werden muss, weil es für sie offenbar noch nicht selbstverständlich akzeptiert ist. 2
Der zweite Punkt hängt damit unmittelbar zusammen. Er wird durch die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion gesetzt. Der Begriff der Inklusion ist ja zurzeit noch in der Entwicklung. 3 Im hier betrachteten Kontext kann man ihn verstehen als selbstverständliche Einbeziehung aller Menschen in die weltweite Gemeinschaft derer, die die Menschenrechte genießen können. Ich möchte deshalb vorschlagen, dass es beim aktuellen gesellschaftlichen Wandel, der sich seit einigen Jahrzehnten anbahnt, im Kern um eine Durchsetzung der Vorstellung einer inklusiven Gesellschaft geht. Die Unterscheidung Inklusion/Exklusion könnte in diesem Sinne als eine Leitunterscheidung zur Charakterisierung der globalen und pluralen Gesellschaft fungieren.
Natürlich wäre dieses noch zu präzisieren, denn Inklusion ist ja ein durch die Tradition schon sehr geprägter Begriff. Er bezeichnete früher z. B. die Selbstabschließung eines Mönches von der Welt, indem er sich etwa sogar für eine gewisse Zeit einmauerte. Er ist dann ein »Inkluse«. 4 Umgekehrt meint der Begriff Inklusion in der heutigen Fachdiskussion z. B. der Behindertenhilfe, dass niemand aufgrund bestimmter Eigenschaften oder (fehlender) Fähigkeiten aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen ausgeschlossen wird. Durch neuere Studien lässt sich dabei mit dem Ansatz der Dis/ability-Forschung zeigen, dass Behinderung auch eine »soziokulturelle Konstruktion« ist. 5 Begriffe wie Klasse, Geschlecht, Ethnizität oder auch Behinderung können in dieser Hinsicht als Konstruktionen sozialer Ungleichheit durch die Gesellschaft selbst verstanden werden.
Der Gedanke der Inklusion geht insofern weit über die Frage der Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen hinaus. Er lässt sich auf alle Menschen beziehen und versucht, sie unabhängig von Geschlecht, Lebensalter, religiöser oder ethnischer Herkunft, sexueller Präferenz oder Behinderungsgrad in einer im Prinzip weltweit zu denkenden Gesamtgesellschaft einzubeziehen.6 Exklusion wäre dann einerseits negativ zu verstehen als Ausgrenzung solcher Gruppierungen aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen, was beinhaltet, dass sie benachteiligt werden und ihre Menschenrechte nicht in vollem Umfange wahrnehmen können. Andererseits kann der Begriff Exklusion aber auch positiv verstanden werden. Er enthält für das einzelne Individuum die Möglichkeit, sich aus eigenem Willen an bestimmten Stellen aus den universalen gesellschaftlichen Zusammenhängen herauszuziehen und für sich zu sein – durchaus in der Tradition der alten »Inklusen«. Ich möchte in diesem Sinne vorschlagen, die Unterscheidung Inklusion/Exklusion als leitende Unterscheidung für den Wandel in der heutigen Gesellschaft auszuprobieren.
2 DIAKONISCHE IDENTITÄT UND INKLUSION
Die Tragweite dieser geradezu selbstverständlich erscheinenden Aussagen ist nicht zu unterschätzen. Es geht hier nicht nur um die schlichte Erklärung, dass alle Menschen gleiche Würde besitzen und die gleichen Rechte genießen sollten. Die Konsequenz daraus ist eine radikale Umstrukturierung der Gesellschaft nach dem Inklusionsgedanken, und zwar nicht nur weltweit, sondern auch in unserem Lande. Allein schon der nicht zuletzt durch die aktuellen Flüchtlingsbewegungen stark zunehmende Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund und anderen religiösen und kulturellen Kontexten gibt der Unterscheidung Inklusion/Exklusion auch in Deutschland ganz neue Dimensionen. Die Globalisierung der Welt zieht insofern auch in die deutsche Gesellschaft in einem bisher nicht gekannten Maße ein und macht sie international, multikulturell und multireligiös. Der herkömmliche christliche Wertekanon kann dadurch immer weniger als Basis einer deutschen oder sogar europäischen Leitkultur dienen.
Wenn diese beiden Gedanken der Realisierung der Menschenrechte und der in diesem Sinne inklusiven Gesellschaft tatsächlich konsequent umgesetzt werden sollen, dann geht es sicherlich schon in unserem Land um eine Generationenaufgabe, weltweit sogar noch um einen weitaus größeren Zeitraum.7 Es ist aber offensichtlich, dass sich diese Entwicklung gerade in unserem Land und an vielen anderen Stellen der Welt mit Macht vollzieht, und dass wir uns gerade in Kirche und Diakonie unbedingt darauf einstellen sollten – ja dies sogar sehr aktiv mitgestalten sollten. Von diesen Überlegungen ausgehend, komme ich zur Frage der diakonischen Identität.
Vor dem Hintergrund des eben Ausgeführten besteht das Grundproblem der Diakonie darin, dass sie einerseits gute Gründe dafür hat, auf Inklusion zu setzen und andererseits fest in einer exklusiven Tradition und Denkart verhaftet ist. Das beginnt schon beim Selbstverständnis der Diakonie. Sie begreift sich als eine sehr spezifische Form des Hilfehandelns an bestimmten Personen, die sich auf den Auftrag Jesu Christi beruft, wie er in den biblischen Texten formuliert ist, und die daraus auch eigene Strukturen generiert. Das lässt sich in den meisten Präambeln diakonischer Grundlagendokumente, wie z. B. Satzungen, wiederfinden. Insofern bildet sie eine eigene Identität aus, die sich in Abgrenzung zu anderen vergleichbaren Formen des Hilfehandelns formiert und eher exklusiv gebaut ist. Sie hat sich dafür jedenfalls in den meisten Teilen Deutschlands mit dem so genannten Dritten Weg eine eigene Form gegeben, wie dieses Handeln auch entsprechend intern organisiert ist. Insofern verstehen sich die meisten diakonischen Einrichtungen immer noch als kirchliche Institutionen und partizipieren damit am exklusiven kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und damit auch an deren exklusivem Selbstverständnis.
Dass sich dabei das Verhältnis von verfasster Kirche und Diakonie traditionell und auch aktuell sehr spannungsgeladen darstellt, ist offensichtlich. Das wird sich eher noch verstärken. Denn einerseits befindet sich die Kirche in Bezug auf ihre Mitglieder und ihre gesellschaftliche Relevanz in einem markanten Schrumpfungsprozess. Andererseits werden zumindest die klassischen Arbeitsfelder der Diakonie wie Pflege und Gesundheitsdienste aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerung weiter deutlich ausgeweitet werden. Man kann deshalb davon ausgehen, dass auch die Diakonie erheblich weiter wachsen wird. Sie wird damit in wirtschaftlichem Umsatz, in der Mitarbeiterschaft und in gesellschaftlicher Bedeutung die verfasste Kirche noch weitaus mehr übertreffen, als sie dies bereits jetzt tut. Bei der Wahrnehmung der dadurch entstehenden eigenen Handlungsanforderungen aus der gesellschaftlichen Umwelt wird sie sich dabei immer mehr gegenüber der verfassten Kirche verselbständigen.
Nun ist aber auf der EKD-Synode im November 2011 mit dem Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz (ARGG-EKD) und durch seine Aktualisierung im November 2013 die Verbindung von Diakonie und verfasster Kirche von kirchlicher Seite aufs Engste definiert worden und damit die exklusive Stellung der Diakonie zunächst manifestiert worden. Diese Konstruktion enthält jedoch perspektivisch deutliche Spannungen. Man hört deshalb in der Diakonie zunehmend Klagen über eine zu enge Handhabung dieses Gesetzes durch die verfassten Kirchen. Eine zu eng gefasste Selbstabgrenzung als exklusiv christliche Institution wird sich wahrscheinlich z. B. in Bezug auf die kirchliche Bindung der diakonischen Mitarbeiterschaft nicht durchhalten lassen. So ist die konsequente Einhaltung der ACK-Klausel, nach der möglichst alle Mitarbeitenden Mitglied einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen sein sollen, schon jetzt außerhalb einiger weniger besonders christlich geprägter Landstriche kaum noch möglich. Die Fixierung der Mitarbeiterschaft auf ihre Christlichkeit kann außerdem bewirken, dass die interkulturellen und interreligiösen Aspekte nicht angemessen berücksichtigt werden, die gerade in der diakonischen Arbeit zunehmend wichtig werden.
Auch in Bezug auf die von ihr unterstützten Menschen setzt die kirchlich-diakonische Arbeit zunächst exklusiv an. Sie wendet sich gezielt an diejenigen, die von Ausgrenzungsprozessen aus der Gesellschaft mindestens bedroht sind oder diese Exklusion schon konkret erfahren müssen: Arme, Arbeitslose, Kranke, Alte und Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderungen usw. Das kann durchaus in der Absicht geschehen, sie wieder in diese gesellschaftlichen Zusammenhänge einzubeziehen. Der Ansatz ist aber zunächst exklusiv. Er nimmt eben gerade nicht den Menschen als per se voll in die Gesellschaft integriertes Individuum in den Blick, sondern betrachtet ihn vor allem im Hinblick auf seine Exklusionsproblematik und seinen Inklusionsbedarf. Damit aber wird der Exklusionsaspekt paradoxerweise sogar eher verstärkt. So wird die Behinderung eines Menschen zunächst detailliert festgestellt und beschrieben, um ihn danach durch diakonische Unterstützung in die Gesellschaft einbeziehen zu können. Insofern hat der bereits erwähnte Ansatz der Dis/ability-Forschung Recht, wenn er Behinderung als »soziokulturelle Konstruktion« in den Blick nimmt.8 Hinzu kommt, dass bei den von der Diakonie Unterstützten auch die interkulturellen und interreligiösen Aspekte bislang eher weniger beachtet werden. Wie aber kann man z. B. christliche Rituale in einer Einrichtung durchführen, ohne diejenigen dort Unterstützten auszugrenzen, die einer anderen Religion angehören? Wie kann man sie vor dem eigenen christlichen Hintergrund sogar in der Ausübung ihrer Religion und Weltanschauung aktiv unterstützen, wie es etwa in Nordrhein-Westfalen gesetzlich vorgeschrieben ist?9
Man wird vor diesem Hintergrund vor allem in der Diakoniegeschichte, aber durchaus auch noch aktuell nicht ignorieren dürfen, dass die diakonische Arbeit an vielen Stellen Exklusion bislang eher gefördert als überwunden hat. Die persönliche Lebensgeschichte der Bewohner diakonischer Heime ist über weite Strecken eine Exklusionsgeschichte mit zu großen Teilen sehr traurigen Konsequenzen für die Betroffenen.10 11