Am Fernstudieninstitut der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin wurde der Studienbrief für den Master Europäisches Verwaltungsmanagement entwickelt. Dort wird er im Rahmen des Studienprogramms eingesetzt.
www.fernstudieninstitut.de
a.a.O. — am angegebenen Ort
ABl. EG (L) — Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (Leges)
ABl. EU (C) — Amtsblatt der Europäischen Union (Verträge)
AdR — Ausschuss der Regionen
Abs. — Absatz
AEUV — Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
AGG — Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
AP — Arbeitsrechtliche Praxis (Entscheidungssammlung des Bundesarbeitsgerichts)
Art./ Artt. — Artikel (Einzahl, Mehrzahl)
BAG — Bundesarbeitsgericht
BAGE — Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (Band, Seite)
BGB — Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl. — I Bundesgesetzblatt Teil I
BGH — Bundesgerichtshof
BVerfG — Bundesverfassungsgericht
BVerfGE — Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band, Seite)
BVerwG — Bundesverwaltungsgericht
DöV — Die öffentliche Verwaltung (Jahrgang, Seite)
DVBl — Deutsches Verwaltungsblatt (Jahrgang, Seite)
EAG — Europäische Atomgemeinschaft
EASA — Europäische Agentur für Flugsicherheit
ebd. — Ebenda
EG — Europäische Gemeinschaft; in Verbindung mit einem Artikel auch: EG-Vertrag in der Fassung des Vertrages von Nizza
EGKS — Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGMR — Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EIB — Europäische Investitionsbank
EMRK — Europäische Menschenrechtskonvention
EPSO — European Personal Selection Office
EU — Europäische Union
EuGH — Gerichtshof der Europäischen Union
EuG — Europäische Gericht
EuGeI — Europäisches Gericht (erster Instanz, als Teil des Organs EuGH, auch EuG)
EuGöD — Europäisches Gericht für den öffentlichen Dienst (als Teil des Organs EuGH)
EuGRZ — Europäische Grundrechtezeitschrift (Jahrgang, Seite)
EuR — Europarecht (Zeitschrift) (Jahrgang, Seite)
EUV — Vertrag über die Europäische Union (Stand: Lissabon)
EZB — Europäische Zentralbank
f./ff. — folgende/fortfolgende
GG — Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
GRCh — Charta der Grundrechte der EU
GV NRW — Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen
GVBl — Gesetz- und Verordnungsblatt (Freistaat Sachsen)
JuS — Juristische Schulung (Zeitschrift) (Jahrgang, Seite)
JZ — Juristenzeitung
KG — Kammergericht (das ist das Berliner Oberlandesgericht)
lit. — littera/litera (Buchstabe)
NJW — Neue Juristische Wochenschrift
NVwZ — Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NZA — Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht
OLG — Oberlandesgericht
RdA — Recht der Arbeit (Zeitschrift) (Jahrgang, Seite)
RdNr./RdNrn. — Randnummer/n
Rs./Rss. — Rechtssache/n (beim EuGH)
SGB IX — Sozialgesetzbuch, 9. Buch
Slg. — Sammlung der Entscheidungen des EuGH
s.o. — siehe oben
s.u. — siehe unten
TzBfG — Teilzeit- und Befristungsgesetz
usw. — und so weiter
VwGO — Verwaltungsgerichtsordnung (des Bundes)
VwVfG — Verwaltungsverfahrensgesetz (des Bundes oder der Länder)
WSA — Wirtschafts- und Sozialausschuss
z.B. — zum Beispiel
ZRP — Zeitschrift für Rechtspolitik (Jahrgang, Seite)
Dieser Studienbrief ist der zweite zu den Grundlagen des europäischen Rechts und schließt an den Studienbrief „Grundzüge der europäischen Rechtsordnung“1 an. Die Kenntnis der dort behandelten Thematik ist für das Verständnis des vorliegenden Studienbriefs notwendig. Der Verfasser erlaubt sich, auf Inhalte dieses Studienbriefs Bezug zu nehmen, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden. Andererseits ist es unvermeidbar, einzelne Fragestellungen unter dem Blickwinkel von Rechtsanwendung und Rechtskontrolle erneut aufzugreifen, denn die Inhalte bauen nicht nur aufeinander auf, sondern greifen bisweilen sogar ineinander.
Während im Studienbrief „Grundzüge der europäischen Rechtsordnung“ auch auf die Rechtsquellen der Europäischen Union (EU) eingegangen und das Rechtsetzungsverfahren dargestellt wurden, ergänzt dieser Studienbrief das Gesamtbild der europäischen Rechtsordnung um eine eingehende Behandlung von Rechtsanwendung und Rechtskontrolle. Zur Annäherung an diese Systematik helfen Ihnen das Modell des Zusammenspiels der Gewalten im Staat und die Erkenntnisse des Mehrebenensystems. Wegen der herausragenden Bedeutung der Europäischen Union2 ist die Konzentration auf deren supranationales Recht angebracht.3 Dies folgt im Übrigen auch dem Begriffsverständnis von „europäischer Rechtsordnung“.4 In diesem Sinn ist der Titel Rechtsanwendung und Rechtskontrolle in der EU nicht auf die supranationale Ebene Europäische Union beschränkt, sondern umfassend zu verstehen, nämlich als die ganzheitliche Betrachtung, wie das Recht, das aus der der EU zustehenden Kompetenz stammt, sowohl in der Rechtsordnung der EU als auch in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Wirkungen entfaltet. Das geht über den Rechtsakt des bloßen Vollzugs im engeren Sinn (Ausführung von Rechtsnormen) weit hinaus und nimmt den gesamten, auch mittelbaren Einfluss des Unionsrechts auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in den Blick. Der Abschnitt zur Rechtskontrolle ergänzt notwendigerweise diejenigen zu Rechtsetzung und Rechtsanwendung. Dabei wird Kontrolle sowohl intern (durch die Verwaltung) als auch extern (durch die Gerichte als Gewährung von Rechtsschutz für zur Anstrengung eines Verfahrens berechtigte Personen oder Institutionen) verstanden. Deshalb wird der Systematik der Verfahren vor dem EuGH besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
Dieser Studienbrief soll in Verbindung mit demjenigen über die Grundzüge der europäischen Rechtsordnung5, dem praxisorientierten Ansatz des Masterstudiengangs Rechnung tragen, indem er querschnittartig, aber an Hand typischer Beispiele möglichst umfassend die Anwendung des Rechts der EU in der Verwaltungspraxis der Mitgliedstaaten, hier am Beispiel Deutschlands darstellt.
Damit Rechtsanwendung und Rechtskontrolle an europarechtlichen Rechtssätzen behandelt werden können, ließ es sich nicht vermeiden, bisweilen auf Ihnen (noch) nicht eingehend bekannte Einzelgebiete des EU-Rechts6 zurückzugreifen. Sofern und soweit es für das Verständnis erforderlich erscheint, werden die wesentlichen Sach- und Rechtsfragen erläutert. Rechtsmaterien, die in einem eigenen Studienbrief behandelt sind (so etwa die Grundfreiheiten des Binnenmarktes), werden nur knapp beleuchtet. Doch müssen Doppelungen dort in Kauf genommen werden, wo der Zusammenhang ansonsten unverständlich bliebe.
Jetzt bleibt mir nur noch, Ihnen viel Erfolg für Ihr Studium und möglichst problemlose Handhabung dieses Studienbriefs zu wünschen.
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1 Vgl. Prümm/von Stoephasius, Grundzüge der europäischen Rechtsordnung, 2. Auflage Berlin 2011
2 Europäische Union ist durch den Reformvertrag von Lissabon (in Kraft seit dem 1. Dezember 2009) die supranationale Rechtsnachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft (EG), die aus dem Vertrag über die Gründung der EWG hervorgegangen war und bis zum Vertrag von Nizza mit der EGKS (die 2002 in der EG aufging) und der EAG, die als letzte der europäischen Gemeinschaften als supranationales Gebilde weiterbesteht die erste Säule der EU (im damaligen Sprachsinn) bildete. Beide zusammen bildeten die Europäischen Gemeinschaften. Dieses Modell, auf dem die Vorauflage des Studienbriefs beruhte, ist nunmehr überholt. Die neben der EU als supranationale Gemeinschaft fortexistierende EAG bleibt im Studienbrief unberücksichtigt.
3 Jedoch dürfen, vor allem zur Abgrenzung bei der Anwendung von Grundrechten, die intergouvernementalen Rechtssätze und die Rechtsprechung des EGMR zur EMRK nicht fehlen, die seit einigen Jahren zu Konfliktfällen mit dem innerstaatlichen Rechtsschutz führen.
4 Zum Begriff: Rodriguez Iglesias, NJW 1999, S. 1ff. und Schmidt, Grundzüge der Europäischen. Rechtsordnung in Furtak/Groß Europa studieren, Frankfurt 2012.
5 S. o. Fußnote 1
6 Vgl. z.B. von Stoephasius, Die Rechtsgrundlagen des Binnenmarktes der Europäischen Union1.,. Auflage, Brandenburg 2011; Prümm, Einführung in die Methodik der Rechtsanwendung (juristische Methodik) anhand des EU- und des nationalen deutschen Rechts, 2. Auflage, Brandenburg 2011
Lernziele
In diesem als allgemeiner Teil dienenden und deshalb etwas abstrakt-generell abgefassten Kapitel lernen Sie,
Rechtsanwendung und Rechtskontrolle mag als Titel für einen für die Zwecke eines Studiengangs – gleichsam segmentartig – erstellten Studienbrief auf den ersten Blick unvollständig klingen; fehlt doch das dritte Element der von Montesquieu entwickelten und bis heute grundlegenden Theorie von der Gewaltentrennung: die Rechtsetzung. In der Tat ist die Rechtsetzung des europäischen Rechts (insbesondere des EU-Rechts) an anderer Stelle eingehend behandelt worden.7 Hierauf wird vollinhaltlich Bezug genommen.
Das Modell der Gewaltentrennung mag für Sie eine Hilfe beim ersten einordnenden Verständnis sein.8 Bei der Übertragung auf die europäische Rechtsordnung ist jedoch größte Umsicht geboten. Sie müssen erkennen, dass dieser Ansatz für das Recht der EU in doppelter Hinsicht ungenau und unvollständig ist.
Ungenau ist das Modell der Gewaltenteilung, weil es für die gegenseitige Kontrolle und Ausbalancierung der die einheitliche Staatsgewalt ausübenden Funktionsträger gedacht ist, die EU aber kein Staat ist.9 Das ändert auch Art. 47 EUV nicht, der der Union Rechtspersönlichkeit zuerkennt.
Unvollständig ist das Modell, weil es die Besonderheiten des Unionsrechts, wie sie sich aus dem Zusammenwirken von EU und Mitgliedstaaten ergeben, nicht angemessen abbilden kann. Insoweit ist eine Ergänzung durch das Mehrebenenmodell hilfreich.10
Rechtsanwendung und Rechtskontrolle lassen sich sinnvoll nur an einem geschlossenen Modell darstellen, das Züge einer kohärenten Rechtsordnung aufweist und den Staatsordnungen eines souveränen Staates vergleichbar ist. Diesen Erfordernissen wird auf europäischer Ebene die EU gerecht. Dabei wird nicht verkannt, dass neben der EU noch eine supranationale Gemeinschaft fortbesteht: die EAG (Euratom)11. Sie war und ist bislang schon neben der EG vergleichsweise unbedeutend, was sich durch die weitere Entwicklung noch verstärken wird, weswegen sie in diesem Studienbrief nicht näher betrachtet wird.
Definition
Unionsrecht ist das primäre und sekundäre Recht der Europäischen Union, wie es vor allem in deren Verträgen – EUV, AEUV, Charta der Grundrechte der EU niedergelegt ist (Primärrecht) oder aus ihnen im Wege der Rechtsetzung hervorgegangen ist (Sekundärrecht); einschließlich des ungeschriebenen Rechts (wie es sich aus den allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gemeinsamen Grundsätzen ergibt) und des durch die dafür berufenen Organe (insbesondere den EuGH) im Wege der Auslegung oder Fortbildung entwikkelten Rechts. Dabei werden auch die in Art. 290 und 291 AEUV erwähnten Rechtsakte miterfasst, die bisweilen als Tertiärrecht qualifiziert werden.
Die Anwendung des Unionsrechts ist wesentlich geprägt durch drei grundlegende Erkenntnisse der europäischen Rechtsordnung, die Sie bereits an anderer Stelle kennengelernt haben. Diese haben als Grundsätze und Leitlinien wesentliche Bedeutung für die Anwendung des Unionsrechts; ihr Verständnis ist für die Praxis der Rechtsanwendung im Einzelfall unerlässlich. Daher müssen sie hier unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für das Phänomen der Rechtsanwendung ins Gedächtnis gerufen und vertieft werden.
Das Unionsrecht ist eine eigene Rechtsordnung, die unabhängig von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten besteht, vorrangig gilt und von den Gerichten der Mitgliedstaaten angewendet werden muss. Dies hat der EuGH 1964 in der epochalen Entscheidung Costa/ENEL zum damaligen Gemeinschaftsrecht der EWG ausgesprochen.12 Diese Erkenntnisse sind nunmehr auf die EU als Rechtsnachfolgerin der EWG und der EG uneingeschränkt zu übertragen.
Für die Anwendung des Unionsrechts führt diese Erkenntnis zu drei Feststellungen:
Da ein Nebeneinander von Rechtsordnungen ohne die Festlegung ihrer Hierarchie nicht hinnehmbar ist, hat
Da rechtliche Konflikte nur ausnahmsweise mit allgemeinen Prinzipien, regelmäßig aber durch konkrete Normen entschieden werden, kann die Frage nach dem Vorrang nur bei der Anwendung jeder einzelnen Bestimmung beantwortet werden. Daher hat
Die Anwendung der Rechtsvorschriften der EU (z.B. eines Artikels des EUV; einer EU-Verordnung) ist an rechtliche Bedingungen geknüpft, die man als Anwendbarkeit bezeichnet; zumeist synonym auch als Wirkung. Die Anwendbarkeit jeglicher Vorschrift kann nur unter Beachtung ihres jeweiligen Tatbestands (das sind die Tatbestandsmerkmale, welche die Voraussetzungen für die Rechtsfolge bilden) bestimmt werden. Allerdings gelingt das oft nicht, ohne den Wortlaut der (unbestimmten Rechtsbegriffe) der Vorschrift auszulegen, was wiederum nach den Prinzipien des Unionsrechts geschieht.
Dies kann man am Beispiel der Grundfreiheiten veranschaulichen.
Beispiel
Wenn Art. 34 AEUV von „Einfuhrbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten“ spricht, so drückt der Vertrag damit aus, dass er die Warenverkehrsfreiheit für den Wirtschaftsraum gewährleisten will, der durch die Außengrenzen der Mitgliedstaaten gezogen wird.
Wenn Art. 56 AEUV ein Verbot für „Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitglieds als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind“ aufstellt, so befreit das den niederländischen Estrichverleger von einzelnen Erfordernissen, die das deutsche Handwerksrecht aufstellt. Insoweit findet die deutsche Handwerksordnung auf ihn keine Anwendung und das Unionsrecht geht vor.14 Jedoch bleibt die Handwerksordnung als deutsches Gesetz gültig: Sie wird dann angewendet, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 56 AEUV nicht vorliegen. Das ist z.B. dann der Fall, wenn ein deutscher Handwerker seinen Beruf in Deutschland ausübt. In diesem Sinne verallgemeinernd, versteht das Unionsrecht die Grundfreiheiten als Vorschriften zur Befreiung der wirtschaftlichen Betätigung über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg, aber innerhalb der Außengrenzen derselben von Beschränkungen und folgert daraus das Tatbestandsmerkmal der grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Betätigung.15
Daher kann verallgemeinernd festgestellt werden:
Das Unionsrecht als europäische Rechtsordnung genießt Vorrang vor den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Dies betrifft sowohl die Geltung der gesamten Rechtsordnung als auch deren einzelne Rechtssätze; diese ist von der Frage der Anwendung im konkreten Einzelfall nicht zu trennen. Sofern man dem Unionsrecht Geltungsvorrang zuspricht, ist damit nicht gleichzeitig die Ungültigkeit der verdrängten Norm gemeint.16 Das würde sowohl der kasuistischen Souveränitätsübertragung (Art. 23 Abs. 1 GG) als auch dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung widersprechen; es stünde schließlich auch dem Grundsatz der Subsidiarität (Art. 5 Abs. 2 EG) entgegen.
Der 17