Mensch, Geschichte, Abenteuer proudly presents:

Angriff der Ritter

4. Auflage

ISBN 9-783839-159842

Text & Gestaltung:

Thomas Bauer

Titelbild / Einband:

Matthias Dittmann

Konzeptionelle Gegenlesung:

Michael Kind

Lektorat:

Susanne Triems

Geschichtliche Plausibilitätsprüfung:

Chris Bosselmann

Zeichnungen, Fotografien:

Hitomi Takeuchi und Matthias Dittmann, Tino Heinicke

Druckvorlagen / Systemlösungen:

Gunther Junghanns

Verlag, Druck & Herstellung:

Books on Demand GmbH, 22848 Norderstedt

© Thomas Bauer 2010 - 2016

Abdruck, Nachdruck und Vervielvältigung dieses Buches sowie Übersetzung, elektronische Wiedergabe und Speicherung – auch in Teilen –

bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung des Verfassers.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis von „Angriff der Ritter“

Die Welt der alten Ritter

W enn es etwas gab, das aufgrund seines Wesens das Mittelalter besonders prägte und geradezu beispielhaft für diese Epoche in unserer Geschichte auftrat, dann war es die Person des abendländischen Ritters. Jene Mannen waren von Kopf bis Fuß mit Eisen gepanzert und zogen auf schnaubenden Rössern voller Kühnheit in die Schlacht. Wir stellen uns diese Ritter gern als die Retter in der Not vor – als mutige Beschützer, die niemals vor einer Gefahr davongelaufen sind sowie als Kavaliere inmitten einer düsteren Zeit, in der kaum ein Anderer es so gut verstand, wie man eine Frau von Welt behandeln sollte.

Mit den Rittern von dereinst verbinden wir zudem den Alltag eines mittelalterlichen Lebens, das uns in der Welt von heute schon lange nicht mehr eigen ist. Da können wir Bücher wälzen und Filme gucken, so lange und so viel wir möchten. Aber sind wir danach klüger? Die Ritter jedenfalls frönten einer wahren Abenteuerlust und fühlten sich – so möchten wir es heute gern glauben – ihren Idealen und Verpflichtungen oft bis an ihr Lebensende fest verbunden. Überlieferungen, die von den Rittern und ihrem bemerkenswerten Wagemut berichten, sind uns allen wohlbekannt. Es ist uns dabei völlig gleich, ob diese auf historischen Ereignissen basieren oder der Phantasie entsprungen sind. Es sind allein die Geschichten, die zählen. Geschichten, die wir gerne lesen, anderen weitergeben und die uns die Welt der Ritter verständlich darlegen, romantisch verklären oder in düsteren Worten – und das ziemlich glaubhaft und wirklichkeitsnah – schildern.

Das Atemberaubende an unserer Gegenwart ist doch, dass wir die Geschichte nicht nur nachempfinden, sondern sogar aktiv an ihr teilnehmen können. Die neuesten historischen Erkenntnisse werden in der Presse publik gemacht und Sachbücher sowie Lexika leisten ebenso ihren Beitrag zur Verbreitung dieses Wissens. Die breite Öffentlichkeit vermag sich dadurch stets ihre eigene Meinung zu bilden und kann den Prozess der Geschichtsschreibung hautnah miterleben. Volk und Wissenschaft sind sich in einem Punkt einig: Sie teilen das große Interesse an der Geschichte, an der Zeit des Wilden Westens, an der Ära des 20. Jahrhunderts beispielsweise und natürlich auch am Mittelalter und den uns so faszinierenden, adeligen Rittern.

Über die korrekte Auslegung historischer Fakten und Überlieferungen kann man sich in der Tat würdevoll streiten. Allerdings wäre dies wenig vorteilhaft. Die Zeit der Ritter liegt zulange zurück, und ihre Hinterlassenschaften sind zu spärlich gesät, als das manbezogen auf jeden einzelnen Zeitgenossendie ganze Wahrheit herausfinden kann. Nehmen wir darum lieber nicht alles Wort für Wort, was einstmals war und gewesen sein könnte, und berücksichtigen wir dabei, das sich Manches vielleicht auch ganz anders abgespielt hat, als es uns die Quellen sagen.

Doch dabei geschieht es immer wieder, dass Fakten und Wunschvorstellungen auf eine unglückliche Art und Weise ineinander übergehen. Tatsachen werden verkürzt dargestellt und Jahreszahlen verdreht. Natürlich geschieht dies unbeabsichtigt, doch daraus entsteht ein Eindruck von den Rittern, der es mit der historischen Wahrheit nicht immer ganz genau nimmt. Es ist nicht immer klar, was korrekt und sachlich richtig ist. Man kann sich nicht immer sicher sein, dass man die exakten Fakten erzählt.

Und das ist auch der wunde Punkt, in dem sich die Wissenschaft und die breite öffentliche Meinung ganz und gar nicht einig sein können. Wenn es darum geht, das Leben und Wirken der Rittersleute in jener längst vergangenen Epoche einzuschätzen, stehen sich indirekt zwei Lager gegenüber: Wer hat recht? Wer weiß es besser? Sind es die nicht Kulturschaffenden wie auch der Laie, die ihr Wissen nicht allein an trockenen Fakten ausrichten möchten und so das Äußere, das Ansehen der alten Ritter, aufpolieren? Oder sind es allein die Historiker, die durch ihre Forschungen einen Eindruck vom Ritter nachzeichnen können, der mitunter weitaus hässlicher scheint als bisweilen allgemein bekannt – und aus diesem Grunde auch näher an der Wahrheit ist?

An dieser Stelle wäre es doch gar nicht so verkehrt, einmal dem Anliegen und den Argumenten beider Seiten gerecht zu werden. Es soll darum die Aufgabe dieses Buches sein, ein wahrheitsgemäßes und in gleichem Maß höchst ansehnliches Bild der alten Rittersleute zu zeichnen. Die vorliegende Veröffentlichung wird darum auf erzählende Art deren Welt sowie ihr Benehmen verständlich aufbereiten und beiden Parteien ihre Freude an der Geschichte haben lassen: Sowohl die Allgemeinheit als auch die Wissenschaft mögen dabei erkennen, dass in und an der Geschichte – egal ob sie vergangen ist, just in dem Moment geschieht oder uns erst noch in die Quere kommt – die Wirklichkeit nicht so sehr faszinieren würde, wenn während der Auseinandersetzung mit ihr völlig auf persönliche Eindrücke, ja manch Wunschgedanken verzichtet wird.

Die Welt der Ritter war nicht immer so bunt, so abenteuerlich und größtenteils friedfertig, wie wir das heute gerne glauben. Es gilt, nicht nur ein Missverständnis aufzuklären. Lesen Sie darum wie es wirklich warin der Zeit der Reiter, Minnen und selbstlosen Helden, in einer Zeit vor mehr als 1 000 Jahren!

Und vieles von dem, was wir nach eigenem Ermessen heute mit den Rittern verbinden, hat sich früher in ihrem wahren Alltag denn auch tatsächlich abgespielt. Trauriges, Tragisches und Unvorstellbares wechselten sich einander in jenen großen Tagen ab, die von Hochmut und Visionen, Elend und Leid sowie von persönlichen Erfolgen geprägt worden sind. Der blutig erkämpfte Sieg auf dem Feld, die rauschende Hochzeit mit der wahren Liebe, die große Stunde des Ritterschlages und die letzten Augenblicke im Angesicht des Todes – so war das Leben im Mittelalter, und so war das Leben der alten Ritter!

Von den ersten Augenblicken ihres Werdeganges bis hin zu ihrem bitteren Ende begleiten wir nun jene adeligen Streiter durch die Höhen und Tiefen ihrer Zeit. Es wird eine Reise sein, die nicht so schnell vergessen wird. Wir lesen von einigen ihrer größten Abenteuer; davon, wie die Ritter zu ihrem Stand zusammenfanden und welche Mode, Gebräuche und Waffen sie entwickelt haben. Dabei geht es vorwärts und zurück durch mehr als acht Jahrhunderte der Geschichte. Es beginnt mit Bauern, Knechten und Eselskarren, die tief im Germanischen verwurzelt waren, und erzählt hinauf bis zu jenen adeligen Streitern hoch zu Ross. So Vieles gibt es also von den Rittern und ihrer Ära zu berichten, und hier schreiben wir darüber; mal geordnet und ausführlich, mal recht spannend und querbeet.

Deus le volt!

Die Autoren

der Reihe Mensch, Geschichte, Abenteuer.

Von den Anfängen des Rittertums

Angenommen, wir erkundigen uns in einer spontanen Meinungsumfrage – etwa an einem Sonntag inmitten einer ganz normalen Stadt – nach den Merkmalen der alten Rittersleut’, so erhielten wir mit ziemlicher Sicherheit folgende Antworten darauf: Rüstung, groß und ziemlich mutig. Pferd, Prinzessin und böser Drache.

Modifizieren wir nun unsere Frage und wollen wir von den Erfolgen und Abenteuern jener Ritter wissen, würde wir sicherlich zu hören bekommen: Gral, Turnier sowie die Burg. Festessen, Krieg und alles kaputt schlagen.

Und würden wir zum Abschluss nach der Herkunft jener Ritter fragen, hätten wohl viele unserer Mitbürger gemeint: Keine Ahnung. Geht euch nichts an. Na, aus Deutschland, ist doch klar!

Somit steht letztendlich fest, das Sonntagsumfragen in der Fußgängerpassage nicht immer relevant sein müssen.

Es ist erstaunlich, was die Ritter über Jahrhunderte hinweg bewirkten und wie sehr aus dieser Epoche Glanz und Düsternis noch bis in unsere Gegenwart nachhallen. Und wie mit Hilfe unserer fiktiven Umfrage festzustellen war, ist der Ruf und Ruhm der alten Ritter auch heute noch verhältnismäßig geläufig. Der Ritter ist nicht nur ein Name, der Ritter ist eine Figur – eine Figur, die ihn zum Symbol für Ordnung, Treue und Gerechtigkeit erhebt. Und mit dieser Symbolfigur identifizieren wir nicht nur uns allein, wir bringen mit ihr auch eine ganze Zeit in Zusammenhang. Unter der Person des Ritters verstehen wir zugleich das Mittelalter, und unter dem Mittelalter logischerweise dann wieder den Ritter.

Es würde nicht sehr lange dauern, dem Ritter einige prägnante Merkmale zuzuordnen, wohl aber sehr, dessen volle Geschichte zu erklären. Die Öffentlichkeit begnügt sich zumeist allerdings mit Anhaltspunkten. Der Ritter kommt, er kämpft und siegt, und wenn er wieder geht, hat alles seine Ordnung.

Und mehr gibt es über ihn dann auch nicht zu erzählen; dies wird uns zumindest in einschlägigen Filmen und Romanhandlungen, in virtuellen Welten und beim Smalltalk an der Haltestelle oder auf dem Weg ins Wochenende vorgehalten.

Dabei gehören die vielen Nebensächlichkeiten doch dazu! Der Ritter stand nicht einfach fröhlich pfeifend an einem schönen Tag vor der Burg, als hätte man ihn aus dem Wald gelockt. Er hatte einen langen Weg der Entwicklung zurückgelegt, seine Verdienste – sowohl im positiven als auch sehr wohl im negativen Sinne – hatte er sich hart erkämpft. Wie jede andere Symbolfigur in unserer Geschichte erlebten auch die Ritter einen kontinuierlichen Aufstieg und haben ihr Ende kommen sehen. Nichts an ihnen war von vornherein gegeben – nicht die Ideale, nicht die Waffen und schon gar nicht all die Abenteuer, um die sich die Erzählungen des Mittelalters ranken. All das hat erst seinen Anfang nehmen müssen, in einer durchaus faszinierenden Epoche, die mehr als sieben Jahrhunderte dauerte und vor etwa 1 300 Jahren begann ...

Europa in der Zeit der ersten Ritter

Mit derzeit 2,3 Milliarden Anhängern auf der ganzen Welt ist das Christentum die am weitesteten verbreitete Glaubensrichtung der Gegenwart. Einstmals, vor annähernd 2 000 Jahren, formte sich aus den Botschaften Jesus’ von Nazaret ein neuer Glaube, der in den darauffolgenden Jahrhunderten zur Staats- und Weltreligion aufsteigen sollte. Das Christentum sah sich dabei immer wieder neuen Herausforderungen gegenüber. Zu großen Kirchentagen; den sogenannten Konzilen, versammelten sich bereits in der Antike hohe geistliche Würdenträger, die weitreichende Entscheidungen bezüglich der Auslegung der christlichen Lehre trafen.

Vor annähernd 1 300 Jahren war unsere Welt noch eine andere. Sie mochte aus heutiger Sicht wohl klein und überschaubar gewesen sein, auf jeden Fall aber war sie auf eine andere Weise kompliziert, weniger ineinander verschmolzen, über Kontinente hinweg kaum abhängig voneinander und darum auch einfacher und irgendwie verständlicher aufgebaut. Es gab weder Fernsehen noch ein Telefon und freilich auch kein elektrisches Licht. Die Welt war kalt. Vor allem finster. Nur in begrenztem Maße konnte man sich eine Zeit lang sicher fühlen. Kaum jemand lebte wirklich in Freiheit und genoss eine Freizügigkeit, wie wir es heute tun. Das Faustrecht des Stärkeren galt überall. Hoffnung und Zuversicht wurden den Menschen zwar zuteil, aber noch mehr als in ihre eigenen Fähigkeiten vertrauten sie auf eine höhere Macht, die über sie selbst und zugleich über die Geschicke der ganzen Welt bestimmte. Diese Macht war der religiöse Glauben, und er fesselte so gut wie Jeden an sich, war er doch ein fester Bestandteil des damaligen Lebens in Europa.

Religionen hat es in dieser Zeit der Menschheitsgeschichte ziemlich viele gegeben, doch in der Schule lernen wir nur die Populärsten kennen. Fünf sind es an der Zahl. Der Buddhismus in Asien und der Hinduismus in Indien sind dabei die wohl eher weniger erwähnten. Etwas bekannter sind dann schon der Islam sowie das Judentum, und erst recht sollte uns natürlich das Christentum ein Begriff sein; jener Glaube, der sich auf die historische Person von Jesus Christus und die Bibel stützt und in unserem Kulturkreis seinen Ursprung hat. Das Christentum war in den letzten Jahrzehnten des Römischen Reiches kaum jemandem richtig bekannt. In dieser frühen historischen, kampfreichen Phase verehrten die Stämme und Völker des Kontinentes vornehmlich Götter mit heidnischen Namen. Die Lehre Jesus Christus’ war noch nicht sehr weit verbreitet. Der sich dann viele Jahre hinziehende Zusammenbruch Roms, die Völkerwanderung der Germanen – all diese umwälzenden Ereignisse, die in ihren Auswirkungen noch Jahrzehnte später die Menschen beschäftigten, hatte das Christentum erst noch zu überstehen, bevor es, allmählich von Mund zu Mund weitergetragen, im abendländischen Kulturkreis an Bedeutung gewann. Ab dem vierten und fünften Jahrhundert etablierten sich die großen und einflussreichen Glaubensgemeinschaften unter anderem im gesamten Mittelmeerraum, im Nahen Osten, im heutigen Italien und natürlich im Gebiet des damaligen Fränkischen Reiches. Das Christentum wandelte sich von einer winzigen Glaubensgemeinschaft zu einer landübergreifenden Religion.

Im siebenten Jahrhundert allerdings wurde diese Weltanschauung und damit das westliche Europa erstmals wiederseit demAnsturm asiatischer Plünderer zu Pferde ernsthaft bedroht. Diese wüsten Horden kennen wir als die Hunnen, die um 375 nach Osteuropa einfielen und den Kontinent über ein Jahrhundert lang förmlich terrorisierten. Die hunnische Bedrohung ging zwar vorüber, doch das Christentum war damit nicht für immer außer Gefahr. Einmal mehr bedrohte ein Angriff von Außen die christliche Kultur, und das geschah im besagtem siebenten Jahrhundert, als die Araber sich vereinten und ihre Pferde sattelten.

Noch Jahrzehnte zuvor hatte dieses Volk in der Wüste Saudi-Arabiens, das sich aus unterschiedlichen beduinischen Stämmen zusammensetzte, ziemlich unbehelligt und abseits von allem Geschehen im Orient vom Karawanenhandel und der Landwirtschaft gelebt. Die Stämme waren untereinander isoliert. Jede Gruppe kämpfte ausschließlich für sich und die eigenen Interessen. Dies änderte sich erst ab dem Moment, als Mohammed, ein Schafshirte aus Mekka, die Lehre Allahs verkündete. Durch religiöse Betörung, aber auch durch Anwendung von Gewalt, gelang es ihm und weiteren arabischen Führern, alle Stämme der Halbinsel zu vereinen und sie von nun an für eine gemeinsame Sache zu begeistern. Der dann im siebenten Jahrhundert folgende, jähe Kriegszug der Araber beruhte teils auf religiösen Motiven, die in entsprechenden Schriften des nun zum Propheten erkorenen Mohammed beschworen wurden. Vordergründig waren allerdings weltliche Interessen dafür ausschlaggebend, dass die Araber bewaffnet ihren Glaubenskrieg begannen.

Noch vor dem Tode Mohammeds begannen seine Anhänger in der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts mit der Verbreitung ihrer Religion über alle Landesgrenzen, und zwar, wie es immer so schön heißt, „mit Feuer und Schwert“. In alle Himmelsrichtungen führte ihr Weg. Von ihren heiligsten Stätten Mekka und Medina aus stießen die bewaffneten Reiterheere über die Grenzen der arabischen Halbinsel bald in die Reiche ihrer mächtigen Nachbarn vor. Neben dem persischen Großreich, wo sie beträchtliche Eroberungen erzielten, hatten es die Araber vor allem auf die im Norden gelegenen oströmischen Provinzen in Syrien und Palästina abgesehen. Im Jahre 636 bezwangen sie in der Schlacht von Jarmuk erstmals ein zahlenmäßig überlegenes byzantinisches Heer, bevor um 638 Jerusalem eingeschlossen und von den Arabern zur Kapitulation gezwungen wurde. Nach mehreren blutigen wie auch erfolglosen Gefechten blieben zwar Teile Kleinasiens in oströmischer Hand. Das hinderte die Araber aber nicht daran, weiterhin Krieg im Morgenland zu führen, und wenn es sein musste auch über dessen Grenzen hinaus. So zogen sie schon bald nach Osten weiter und rückten in den Folgejahren über Ägypten bis nach Marokko vor. Anfang des achten Jahrhunderts herrschten die Mohammedaner schließlich über ganz Nordafrika.

Aus dem Kernland des heutigen Saudi-Arabiens kommend, ziehen im Jahre 632 die Anhänger Mohammeds nach Eurasien aus. Damit beginnt die Ära der Islamischen Expansion.

Die Westgoten, die samt ihrem König Roderich in der Schlacht von Rio Guadelate quasi aus der Geschichte Europas vertrieben worden sind, gehörten einst dem großen germanischen Volk der Goten an, die wiederum vor Beginn der Völkerwanderung weite Teile Osteuropas beherrschten. Der Ansturm der Hunnen hatte sie dann entzweit: Die Ostgoten flüchteten nach Italien, und die Westgoten auf die iberische Halbinsel, wo sie bis zu ihrer hier geschilderten, gesamtgesellschaftlichen Niederlage um 711 lebten. Mehr denn je wurde die einst ferne Bedrohung für Europa nun zur greifbaren Gefahr. Denn die Araber kannten überhaupt kein Halten. Ihr Glaube konnte zwar keine Berge versetzen, aber ganze Heerscharen an bewaffneten und zu allem entschlossenen Kriegern bewegen. Mit einem Heer, das sich zum großen Teil aus nordafrikanischen Stammeskriegern der Berber rekrutierte, setzte der Berberführer Tariq ibn Ziyad im Jahre 711 bei Gibraltar nach Hispanien über. Die Araber betraten den Boden Europas. Schnell verbreitete sich die Kunde im ganzen Land, das unter der Herrschaft des westgotischen Königs Roderich stand. Als dieser stämmige Germanenfürst vom Ansturm der muslimischen Reiterschar hörte, war er fest entschlossen, sein Reich vor den durch ihren Glaubenskrieg radikalisierten Predigern Allahs um jeden Preis zu verteidigen. Roderich zog gegen jene Fremden in die Schlacht, die mit einem Turban auf dem Kopf und in lange, teils gepanzerte Gewänder gekleidet waren, und mit Säbeln sowie Pfeil und Bogen ihre Gegner attackierten.

Kurz nach ihrer Landung kam es im Juli am Rio Guadalete zur Entscheidungsschlacht zwischen den vorrückenden Muslimen und den einheimischen Westgoten. Und diese Schlacht für das westgotische Reich endete verheerend. König Roderich hatte die Eindringlinge maßlos unterschätzt. Sein Aufgebot an Fußsoldaten war gegen die schnellen Reiterschar völlig überfordert. Im Nu wurden seine Reihen aufgerieben. Das Heer unterlag völlig, Roderich fiel, und mit ihm bald das ganze Königreich, welches die Araber in den darauffolgenden Jahren Stadt um Stadt eroberten. Sie setzten sich allmählich auf der iberischen Halbinsel fest, und sollten dort auch für eine lange Zeit bleiben.

Natürlich gaben sich die Wüstensöhne mit den erreichten Erfolgen noch lange nicht zufrieden. Denn weiter nördlich von ihren ersten Eroberungen in Hispanien gelegen, erstreckte sich die wahre Macht des Abendlandes: das Fränkische Königreich als wahre Kathedrale des christlichen Glaubens und Hüter der alten römischen Geschichte. Es stellte eine unumgehbare Größe an der Ostküste des hiesigen Kontinentes dar, und genau dahin zog es nun die Araber auch weit mehr als 70 Jahre nach dem Tode Mohammeds. „Allahu ackbar – Gott ist groß!“ riefen jene muslimischen Krieger ungestüm aus, und bald sollten diese Worte in die Tat umgesetzt werden. Sie schickten sich an, über die Pyrenäen zu ziehen und der noch einzigen weltlichen Herausforderung in Europa den offenen Krieg im Namen der Religion zu erklären – einen Heiligen Krieg um den rechtmäßigen Glauben, einen Dschihad um die Vorherrschaft in und über Westeuropa.

Schon gewusst? Bis in das neunte Jahrhundert hinein hat man über viele Jahre von der so genannten Dunklen Zeit gesprocheneiner Epoche zwischen dem Ende der Antike und dem Erstarken des Fränkischen Reiches, in der so viele gesellschaftliche Fortschritte im Abendland mit einem Schlag vergessen waren. Gottverlassen und gebeutelt vom Sturm der Völkerwanderung, mussten die Menschen Europas erst einmal wieder zu sich kommen und in einer neuen Ordnung Halt und Zuversicht finden lernen.

Im Frankenreich wusste man natürlich seit Längerem schon von den Arabern, von jenen muslimischen Wüstenkriegern, die einst aus dem Morgenland gekommen waren und sich inzwischen auf der gesamten iberischen Halbinsel ausgebreitet hatten und das Land islamisierten. Man wusste auch, wie militärisch erfahren die Soldaten Arabiens waren und wie schlagkräftig und erfolgreich ihre Heere kämpften. Ferner war dem Adel des Frankenreichs bewusst, dass sie diese Schlagkraft sehr bald selber spüren würden, und dass sie dieser Kampfkraft im Grunde nichts entgegenzusetzen hatten.

Zu dieser Zeit führte Karl Martell als sogenannter Hausmeier die Staatsgeschäfte des Fränkischen Reiches. Die heikle Situation an seinen Grenzen erkannte er dabei sofort. Die Lage war mehr als ernst, geradezu existentiell. Mit herkömmlichen Mitteln ließen sich die Araber nicht mehr aufhalten, und wenn nicht doch noch ein Wunder geschah – irgendeins; von denen in ständig die Rede war –, dann würde nicht nur das Frankenreich aufhören zu existieren, sondern mit ihm irgendwann auch die gesamte christliche Welt.

Das Fränkische Heer befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem desolaten Zustand. Im Grunde genommen hatte es sich seit den vergangenen gallischen Tagen in Ausrüstung und Taktik nicht weiterentwickelt. Noch immer dienten in ihrer Mitte ausschließlich (zwangs-)rekrutierte Bauern, Handwerker, Knechte und sonstige Söhne des Reiches. Nur die wenigsten dieser Fußsoldaten waren tatsächlich kriegserfahren und hatten schon in mehreren Schlachten bittere Erfahrungen sammeln können. Ihre Anzahl mochte ausreichend sein, um die Ordnung im Inneren des Reiches zu bewahren, doch einem wahrhaftigen Ansturm von Zehntausenden Reitern wären sie auf keinen Fall gewachsen gewesen. Dies wusste der fränkische Heerführer nur zu gut und hatte dabei zugleich das Schicksal Roderichs und der Westgoten vor Augen, die von den Arabern einfach überrannt worden waren.

Nicht bei Tours und Poitiers selbst, sondern eher südlich der heutigen französischen Stadt Châtellerault, kreuzten die Araber und die Franken im Oktober 732 die Klingen.

Karl Martell musste handeln. Den Arabern, die inzwischen am Fuß der Pyrenäen standen, musste eine gleichwertige Streitmacht entgegengestellt werden. Ein fränkisches Heer, das nur aus Infanterie bestand, hätte gegen diesen Feind, der mit Reflexbögen und durchschlagenden Pfeilen zum Angriff überging, nicht den Hauch einer Chance gehabt. Ab dem Jahr 720 erfolgten bereits erste kleinere Attacken auf fränkisches Territorium. Dies war das Zeichen, dass nicht mehr viel Zeit blieb. Darum nutzte Karl alle verfügbaren Mittel und stellte in den darauffolgenden Jahren eine bewaffnete Truppengattung zusammen. Diese war beritten, in widerstandsfähiges Rüstzeug gekleidet und vor allem sehr gut in Militärkunde, Disziplin und Ausdauer geschult – die fränkischen Panzerreiter waren bereit. Wie viele Reiter genau Karl Martell Zeit seines Lebens in Dienst stellte, ist nicht weiter überliefert. Es können mehrere Hundert, vielleicht auch ein paar Zehntausend gewesen sein, so genau ist das nicht klar. Klarheit allerdings gibt es hingegen über den ersten Kampfeinsatz dieser Truppe, der im Oktober 732 stattfand, als Karl Martell das Herr nach Süden befahl.

Unter ihrem maurischen Feldherren Abd ar-Rahman hatten derweil die Araber die Pyrenäen überschritten, und plünderten mit Bordeaux die erste Stadt auf fränkischem Boden. Ihr Heer wollte dann bis nach Tours weiterziehen, wo noch größere Reichtümer auf sie warten sollten, als Abd ar-Rahman eine Nachricht von seinen Kundschaftern erhielt: Aus dem Norden kamen die Franken daher, und sie stellen sich mit einem Heer, das zu allem entschlossen war, den Arabern zum Kampf um Leben oder Tod.

Als Karl Martell und Abd ar-Rahman im Oktober ihre Armeen gegeneinander führten, brach an den Flüssen Clain und Vienne eine Schlacht vom Zaun, wie sie das Frankenreich nur selten zum Wohle ganz Europas schlagen musste. Annähernd 40 000 Männer standen sich gegenüber. Langobarden, Sachsen und friesische Einheiten, die den Franken noch im letzten Moment zu Hilfe geeilt kamen, platzten in die geschlossen anrükkenden Reiterverbände, und lieferten sich mit den Arabern einen grässlichen Kampf. Diese Schlacht währte mehrere Tage. Keiner der Kontrahenten erlangte einen klaren Vorteil. Dann aber griffen die fränkischen Panzerreiter ein – und begannen schließlich das alles entscheidende Gefecht. In schnellem Galopp und mit den Lanzen in der Hand, stürzten sich die Reiter ins Kampfgetümmel. Die Hufe ihrer Pferde trommelten auf die Erde und brachten diese heftig zum Beben. Dann prallten die Reihen aufeinander – und man schlug wahllos aufeinander ein und prügelte sich gegenseitig tot, wie besessen vom Kampfgetümmel. Abd ar-Rahman fiel in der Schlacht. Nach dessen plötzlichen Tod brachen die Araber überraschend den Kampf ab. Auch die Franken verließen zunächst das Schlachtfeld, um sich ein wenig von den Strapazen zu erholen.

Für den nächsten Tag war die Fortsetzung vorgesehen, doch zu einem erneuten Kampf zwischen dem Okzident und Orient, sollte es an dieser Stelle nicht mehr kommen: Die Schlacht von Tours und Poitiers war nach sieben Tagen zu Ende. Ohne es noch einmal mit den Franken aufzunehmen, zogen sich die Araber auf die iberische Halbinsel zurück. Deren Ansturm jedenfalls wurde aufgehalten, das Frankenreich gerettet – und mit ihm, höchstwahrscheinlich, auch das ganze Abendland. Bei aller berechtigten Empörung der Christen über das Eindringen der Araber in die abendländische Hegemonie, darf die historische Bewertung der Islamischen Expansion jedoch nicht zu pauschalen Vorurteilen führen. Weder der Islam noch seine heiligen Schriften hatten in der Vergangenheit explizit zur Gewalt aufgerufen. Es sind allein des Menschen Interpretationen, die den Ansichten und Meinungen oft extreme Taten folgen lassen. Das Christentum und seine Anhänger stellen da keine Ausnahme dar, und wie wir vor allem an der Geschichte der Kreuzzüge noch erkennen werden, haben auch unsere Vorfahren christliche Gebote bewusst missachtet, um ihre weltlichen Ansprüche sicherzustellen. Zu erwähnen bleibt außerdem, dass die Einwohner jener Ländereien, welche die Araber im siebenten Jahrhundert erobert hatten, keineswegs zum Islam zwangsbekehrt worden waren, sondern ferner ihr Leben so weiterführen konnten, wie es schon vor der Ankunft der Mohammedaner der Fall gewesen ist.

Auch nach ihrer unerhofft schmerzlichen Niederlage bei Tours und Poitiers waren die Araber noch lange nicht besiegt. Karl Martell und sein Sohn Pippin der Jüngere mussten nach 732 noch oftmals über die Pyrenäen ausrücken, um die Heere Allahs im Zaum zu halten. Gelungen ist dies den Franken aber nur indirekt, denn die Araber setzten sich auf der iberischen Halbinsel fest und blieben dort für annähernd achtundert Jahre heimisch.

Über die Tragweite der Schlacht von Tours und Poitiers sowie deren historische Bedeutung für das mittlere Europa gibt es selbst heute noch unterschiedliche Auffassungen. Man kann sich gerne darüber streiten, ob nun jene Schlacht im Jahre 732 oder eher die arabische Belagerung von Konstantinopel um 717 weitaus entscheidender für die Zukunft Europas gewesen war. Worüber man sich allerdings überhaupt nicht streiten kann, ist der durchschlagende Erfolg jener Panzerreiter, die als erst kürzlich aufgestellte Truppengattung im Kampf bei Tours und Poitiers ihre Feuertaufe bestand und von da an zu den schlagkräftigsten und auch namhaftesten Einheiten des Fränkischen Heeres zählten. Über die Panzerreiter und ihre weiteren Auftritte in der Geschichte wird es in den nachfolgenden Jahrzehnten mehr zu erzählen geben. Darum gehen wir nun in das nächste Kapitel über und widmen unsere Aufmerksamkeit zunächst der Herkunft und den besonderen Tugenden dieser berittenen Soldaten.

Der Panzerreiter auf dem Vormarsch

Die fränkischen Panzerreiter wurden in der Dynastie der Karolinger aufgestellt worden, weshalb man sie in historischen Quellen und heutigen Veröffentlichungen zuweilen auch Karolingische Panzerreiternennt. Bei den adeliger Karolinger wiederum handelte es sich um ein wohlhabendes Herrschergeschlecht, das für annähernd 250 Jahre zahlreiche fränkische Würdenträger stellte. Zu ihren Ahnen gehörten unter anderem Karl der Große, Ludwig der Fromme, Lothar I. sowie andere Könige und Herzöge im West-, Ost- und Mittelfrankenreich. Im 11. Jahrhundert schließlich erlosch die Erbfolge dieser altfränkischen Adelsfamilie.

Zunächst war der Panzerreiter ein gewöhnlicher Soldat. Genau wie andere Krieger in dieser Zeit auch wurde er aus der breiten Bauernschaft rekrutiert und anfangs nur grundlegend für den Kampf geschult. Das war nicht ungewöhnlich, das war normal. Auch der Panzerreiter wurde nicht überhastet auf das nächstbeste Pferd gesetzt und völlig ahnungslos in die Schlacht geworfen. Bis es wirklich zu einem Kampfeinsatz kam, musste noch viel Zeit vergehen. Denn die Fähigkeit, ein Pferd inmitten eines Getoses aus Waffenklirren, Schreien und tödlicher Gewalt zu führen, erforderte ein ebenso langes und tiefgründiges Training, wie es auch der Umgang mit der Waffe und das Aufstellen in Formationen von den Kriegern verlangte. Die Fähigkeit, im Feld zu kämpfen und zu siegen, musste also geübt, erprobt und immer wieder unter Beweis gestellt werden. Erfahrungen in Friedens- wie in Kriegszeiten zu sammeln, war für den einzelnen Panzerreiter äußerst wichtig. Nicht wenige von ihnen standen deshalb dem König zuerst eine ganze Zeit als Fußsoldat zu Diensten, bevor es ihnen die Umstände erlaubten, ein schwer bewaffneter Reiter zu werden.

Der Einsatz von schwer bewaffneter Kavallerie war keineswegs unbekannt, aber bei den alten germanischstämmigen Völkern in Europa lange Zeit in Vergessenheit geraten. Aus der Antike sind uns bereits solche Reiterheere bekannt, die durch einen geschickten und zeitlich günstigen Vorstoß in der Lage waren, ganze Schlachtordnungen aufzusprengen. Sie kamen in vielen historischen Schlachten zum Einsatz, unter dem Kommando des Karthagers Hannibal zum Beispiel, der in der bis heute berühmten Schlacht von Cannae am 2. August 216 v. Chr. an die 16 römische Legionen – umgerechnet etwa 80 000 Mann – niedermetzelte; bei den Hunnen unter Attila, als diese wiederum 375 n. Chr. das Heer der Ostgoten unter Ermanarich hinwegfegten und – natürlich – während des jüngsten Glaubenskrieges der Araber, als diese im siebenten Jahrhundert dazu übergingen, den Islam in Europa verbreiten zu wollen. In allen hier aufgezählten Schlachten kamen also berittene Krieger zum Einsatz; schnelle, der Infanterie vielseitig überlegenere Truppen, die in den meisten Fällen erfolgreich agierten. Karl Martell hatte im Grunde nichts anderes getan, als die Zeichen der Zeit richtig zu deuten und seinen barfüßigen Soldaten eine schlagkräftige Reitertruppe voranzustellen.

Der fränkische Panzerreiter hatte also vieles mit den Reitertruppen der anderen Völker gemeinsam. Was aber ihre Ausrüstung oder die Einzelheiten seiner Indienststellung beim König – Lohn, Privilegien und Verpflichtungen – betraf, da hat sich der Panzerreiter schließlich abgegrenzt. In diesem Punkt hatte er nur wenige Ähnlichkeiten mit den Reitern der Araber, Oströmer oder Perser, und war im ganzen frühen Mittelalter darum mehr als einzigartig in Hinblick auf Stärke, Bewaffnung und Moral.

Waffen und Rüstung

Vor allem die Bewaffnung der Panzerreiter hatte am Triumph der Franken bei Tours und Portiers entscheidenden Einfluss. Auffallend an den Panzerreitern war an erster Stelle der Panzer, der zur Namensgebung der reitenden Truppe beigetragen hat. Dieser Panzer war nämlich neu in dieser Zeit. Er wurde von begabten Waffenschmieden im ganzen Reich aus Eisenplättchen, den sogenannten Schuppen, hergestellt. Diese Schuppen wurden sehr dicht in- und miteinander verbunden und formten als Einheit so den Panzer, der wiederum den Oberkörper bedeckte und teilweise Arme sowie Beine schützte. Er war recht widerstandsfähig, gegenüber flachen Schlägen und Hieben, und vermochte durchaus auch einzelne Pfeile aufzuhalten.

Beinschienen aus Metall schützten die Schienbeine der Reiter. Ein großes, rundes Holzschild schirmte sie zusätzlich vor Angriffen ab, während ein Spangenhelm den Kopf bedeckte. Mit der linken Schildhand hielt der Krieger die Zügel gerade, und mit der anderen führte er beim ersten Angriff eine schwere Stoßlanze mit sich. Diese bestand aus massivem Eichenholz, hatte eine Länge von etwa drei bis vier Metern und war mit einer scharfen Spitze aus Metall versehen. Je nach Befarf schmückte noch eine Flagge oder Fahne die Lanze. Der Reiter hob sie dann entweder hoch über dem Kopf, um sie mit aller Kraft in die Horden des Gegners zu schleudern, oder er hielt sie aufrecht mit durchgestrecktem Arm neben sich. Jene Taktik, die Lanze unter die Achseln einzulegen und so frontal in die feindlichen Linien hineinzubrechen, wurde erst von den späteren Rittern im elften Jahrhundert perfektioniert.

Nachdem die Lanze im Gefecht eingesetzt worden war, stand dem Panzerreiter seine hauptsächliche Hieb- und Stichwaffe zur Verfügung. Es handelte sich hierbei um das fränkische Langschwert, die man Spatha nannte. Dieser Waffentyp war in Europa weit verbreitet und gehörte bis zum zwölften Jahrhundert zum Arsenal der Armeen vieler Feudalstaaten. Die Spatha hatte für gewöhnlich eine gerade Klinge. Sie wurde mit einer Hand geführt – wobei es auch Spezialanfertigungen für beide Hände gegeben hat – und ist entweder im Halfter an der Hüfte der Krieger oder an der Seite des Pferdes in Form eines Reserveexemplars getragen worden. Diese Waffe hatte einen hohen Wert, weil ihre Herstellung ziemlich zeit- und arbeitsaufwendig war und einem Mann immer wieder das Leben retten konnte. Darum auch musste sie sorgfältig gereinigt werden.

Derart gerüstet, saß der Panzerkrieger nun in einem hohen Sattel auf seinem Pferd und stützte sich – auch das war neu – beim schnellen Angriff in Steigbügeln ab, die ihrerseits erst im sechsten Jahrhundert aus Asien nach Europa gelangen. Wenn der Panzerreiter dann in geschlossener Formation anrückte, dabei die Erde in Wallung brachte und Laub und Staub gar mächtig aufwirbelte – wem ist da nicht angst und bange geworden? Die Männer waren damals hart im Nehmen. Sie ertrugen Schmerzen fern unserer Vorstellungskraft. Sie mussten mit Elend, Dreck und Gewalt fertig werden, und dann noch einen klaren Kopf behalten, ohne dabei den Verstand zu verlieren. Und dennoch: Der Angriff eines fränkischer Panzerreiters löste auch zu dieser Zeit blankes, unverfälschtes Entsetzen aus. Jener Sturm aus Hörnerhall und Eisen, der über den zitternden Boden fegte, das Dröhnen der Hufe im nahenden Chaos sowie die bittere Gewissheit, diesem Hammerschlag nicht länger zu entkommen – das spannte die Nerven bis zum Zerreißen an und ließ gestandene Männer die Zähne klappern. Da hat sich herausgestellt, wer es wirklich drauf hat. Furcht und Entsetzen, wohin man nur sah!

Einen zeitgemäßen und historisch glaubwürdigen Eindruck vom damaligen fränkischen Panzerreiter ermöglich uns die unten stehende Abbildung. Es handelt sich dabei um eine im Jahre 900 hergestellte Buchmalerei aus dem „Psalterium Aureum“, einem liturgischen Buch, das heute in der Stiftsbibliothek von St. Gallen aufbewahrt wird. Zu sehen sind neben den mit Schild und Lanze bewaffneten Panzerreitern auch mehrere leichtbewaffnete Krieger, die nicht mit einen Schuppenpanzer ausgerüstet waren. Angeführt wird die Truppe von einem Standartenträger, der sich mit einer Flagge an der Lanze zu erkennen gab.

Und wer gehörte zu den Gegnern der Franken, die dem grauenhaften Einschlag ihrer Panzerreiterzuerst entgegensahen? Es waren die hier bereits vorgestellen arabischen Heere. Deren Überlebende hatten die Niederlage niemals verwunden, und vom glücklosen Verlauf der Schlacht um Tour und Poitiers klagen sie lang in ihren alten Quellen. Unter anderem ist die Rede vom „Abend der Erschütterung“ sowie dem „Weg des Märtyrers“, was Beides die gewaltigen Verluste mit blumigen Worten beschwichtigend umschreibt.

Karl Martell sah sich bestätigt. Seine Panzerreiter erfüllten ihren Zweck und übertrafen damit sämliche Erwartungen. Der König der Franken hatte die richtige Entscheidung getroffen. Von nun an sollte seine mächtigste Waffe auch in anderen fränkischen Kriegen an vorderster Front stehen und für das Fränkische Reich glanzvolle Siege erringen.

Der Steigbügel, eine Erfindung aus dem frühen Asien, wird in Hinblick auf seine Verbreitung oft mit den Panzerkriegern Karls des Großen in Verbindung gebracht. Richtig ist ferner, das die berittenen Kämpfer zu den ersten Völkern im Abendlandes gehört haben, die von dieser neuartigen Vorrichtung im Kampf Gebrauch gemacht haben. Der Steigbügel selbst war schon wesentlich früher im Oströmischen Reich bekannt, als die Truppen Konstantinopels gegen die Awaren zu Felde zogen. Auf jeden Fall stellte diese Fußstütze eine erhebliche militärtechnische Erweiterung dieser Zeit dar, die dem Panzerreiter schnelle Angriffe im Galopp ermöglicht haben.

Die Panzerreiter im Dienste der Könige

Karl Martell starb 741. Die Panzerreiter, die bislang unmittelbar in seinen Diensten standen, schworen seinen Nachfolgern auf dem Thron den Treueid und zogen anschließend unter deren Führung in weitere Schlachten. Die nachkommenden Könige der Franken hatten sich viel vorgenommen. Es sollte weit hinausgehen für das Wohl ihres Reiches und ihr eigenes Heil. In den nachfolgenden Jahrzehnten, so ist es überliefert, gab es hierfür reichlich Gelegenheit.

Vom Ende des achten bis zur Mitte des zehnten Jahrhunderts befand sich das Abendland in einem Zustand des historischen Umbruchs. Allerorten, ob im Osten oder im Norden, zerfielen auf einmal langjährig eingesessene Stammesreiche. Besonders offensichtlich geschah dies in weiten Teilen des heutigen Deutschlands. Die germanischen wie slawischen Stämme hierzulande wurden allmählich in ihrer Vorherrschaft zurückgedrängt. Nicht nur ihr politischer, sondern vor allem ihr religiöser Einfluss schwand zusehends aus der frühmittelalterlichen, deutschen Geschichte. Das Christentum breitete sich nach Osten hin aus. Es waren die Franken selbst, die diese Neuordnung anzettelten und diese nach allen Kräften und gegen alle Widerstände durchzusetzen beabsichtigten. Was sie da getan haben, mag sich in unseren Büchern nüchtern lesen. Hätten wir es jedoch selber erlebt; es am eigenen Leib gespürt, erobert zu werden – wir hätten den Panzerreiter mit Sicherheit ebenso sehr für all das verwünscht, wie es die Völker Europas in dieser Zeit taten. Immerhin wurde Deutschland mit Feuer und Schwert christianisiert, zwangsbekehrt und damit zu einer anderen Religion gezwungen, wie es so erschreckend intensiv nicht einmal die Araber während ihrer Expansion vollzogen haben.

Für die Festigung der fränkischen Expansion in Europa hatten natürlich die Panzerreiter einen entscheidenden Beitrag geleistet. Denn der Griff der Franken nach der Vormachtstellung ist von deren Nachbarn keineswegs so einfach hingenommen worden. Überall regte sich Widerstand. Überall kam es zu erbitterten Kämpfen. Der Wille des Aufbegehrens musste durch die Franken erst mit rücksichtsloser Gewalt gebrochen werden, und so waren es die berüchtigten Panzerreiter, die – mittendrin unter unzähligen Fußsoldaten – eine blutige Schneise durch das Land geschlagen haben.

In den Sachsenkriegen Karls des Großen, der in der Geschichte als der Vater Europas gerühmt wird, sorgten jene Reiter für den Niedergang einiger namhafter westgermanischer Stämme. Diese hatten gegen die im hohen Sattel sitzenden Franken keine Chancen auf Erfolg. Sachsen wurde unterworfen. Das einst germanisch geprägte Stammesreich wurde aufgelöst und letzten Endes dem Frankenreich angegliedert. Die Feldzüge dauerten hintereinander zwanzig Jahre, nur gelegentlich von einer trügerischen Waffenruhe unterbrochen.

Ähnliches widerfuhr den alten Bajuwaren. Auch in deren Stammesgebiet fielen die fränkischen Könige ein und bezwangen sie mithilfe der Panzerreiter mühelos. Das Christentum erwies sich als die stärkere Religion. Die bei den Germanen üblichen Glaubensrichtungen verschwanden mit der Zeit. Von nun gab es einen neuen Gott, und zwar einen christlichen, hier in diesem Lande.

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