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3. überarbeitete und erweiterte Auflage 2016

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2016 Wilhelm Braun

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-8423-1734-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 3. Auflage

Die Haftung für Schäden, die ihre Ursache in einem fehlerhaften Produkt haben, hat eine lange Geschichte. Zunächst bekannt unter dem Begriff „Produzentenhaftung“ kennzeichnete sie einen Haftungstatbestand des Herstellers oder ihm gleichgestellter Personen, der seine Brisanz aus der von der Rechtsprechung immer ausgeprägter praktizierten Umkehr der Beweislast zu Lasten des Herstellers bezieht. Das heißt: Der Hersteller muss beweisen, dass ihn am Fehler kein Verschulden trifft. Dies steht im Gegensatz zu der ansonsten im Schadensrecht üblichen Regel, dass der Geschädigte die Schuld des Schädigers beweisen muss.

Mit der Schaffung des auf EU-Vorgaben basierenden Produkthaftungsgesetzes erfuhr die zu diesem Themenkreis gewachsene Rechtsprechung eine Kodifizierung, Vertiefung und neue Ausrichtung. Hierdurch wurde die Problemlage keineswegs vereinfacht, sondern eher verstärkt, haben wir es in der Praxis doch nun mit einer Zweigleisigkeit der Rechtsanwendung zu tun: hie die von Verschulden abhängige gewachsene Deliktshaftung nach den althergebrachten Regeln des Bürgerlichen Rechts, dort die auf dem reinen Fehlerbegriff basierende Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz.

Die vorliegende Abhandlung will sich nicht als wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gesamtkomplex verstanden wissen sondern als Unterrichtung und Leitfaden für die Praxis. Sie verzichtet daher weitgehend auf Literaturhinweise.

Wer sich über die reine Praxisanwendung hinaus vertieft mit der Materie beschäftigen möchte, sei auf die einschlägige wissenschaftliche Literatur verwiesen, so etwa die ausführlichere Darstellung von Eisenberg/Gildeggen/Reuter/Wilburger, 2. Auflage 2014 (Oldenbourg-Verlag) oder die bereits in 6. Auflage 2010 erschienene Kommentierung von Kullmann (Erich Schmidt Verlag). Besonders umfangreich ist das Produkthaftungshandbuch von Foerste/Graf von Westphalen/Kreifels, 3. Auflage 2012 (Verlag C.H. Beck).

Für den Praktiker, der sich mit den Grundlagen der Produzenten- und Produkthaftung beschäftigen möchte oder muss, mag dieses Büchlein ein erster Einstieg sein.

Es geht einen etwas unkonventionellen Weg der Darstellung, indem zunächst in skizzenhafter Übersicht die Tatbestände der Haftung für die Schadensfolgen eines fehlerhaften Produktes in Schlagworten dargestellt werden, um sodann die Grundlagen näher abzuhandeln.

Es folgen Kapitel über die Verantwortlichkeit der im Produktionsprozess stehenden Personen und die Mittel der Produktionssteuerung und Überwachung, die das Auftreten von Produktfehlern minimieren sollen. Schließlich wird in einem Rechtsprechungsteil auf ausgewählte Entscheidungen näher eingegangen, an Hand derer die Grundprinzipien der Produkthaftung nochmals vertieft werden. Außerdem zeigt die Urteilsauswahl das breite Spektrum auf, innerhalb dessen die Produkthaftung in der Rechtswirklichkeit zum Tragen kommt.

Alle Ausführungen sind hierbei geprägt von einer jahrzehntelangen Erfahrung des Autors als Rechtsanwalt, der in seiner beruflichen Tätigkeit immer wieder neu über Erscheinungsformen der Produkthaftung und Möglichkeiten der Schadensprophylaxe nachzudenken hat.

Für Anregungen der geneigten Leser ist der Autor dankbar, der unter wilhelm.braun@anwaltskanzleibraun.de erreichbar ist.

Bad Rappenau, im August 2016

Wilhelm Braun

Kurzübersicht

Produkthaftung

= Haftung für Schäden durch ein fehlerhaftes Produkt

Produkthaftung

ist:

die Haftung
für Fehler
des Produktes
eines Herstellers

Haftungsbereich

Die Produkthaftung ist durch zwei Haftungsbereiche bestimmt:

Vom Haftungsumfang her wird differenziert:

Das Produkthaftungsgesetz gilt für:

Jenseits dieser Grenzen gelten die Regelungen der §§ 823 ff. BGB mit im Prinzip unbegrenzter Haftung sowie auch Haftung für Schmerzensgeld, freilich abhängig vom Verschulden des Verantwortlichen.

Im Bereich des Produkthaftungsgesetzes ist demgegenüber die Haftung unter folgenden Gesichtspunkten erweitert:

Fehlerbegriff

Ein Fehler liegt vor, wenn ein Produkt nicht die Sicherheit bietet, die

erwartet werden darf.

Produkt

Jede bewegliche Sache, auch gebraucht (wenn nicht älter als 10 Jahre), der Aggregatzustand ist unwesentlich.

Hersteller

Jeder Produzent eines Produktes oder Teilproduktes oder auch derjenige, der sich nach außen hin als solcher ausgibt, ferner der Importeur und der Lieferant, wenn er nicht binnen eines Monats seit Aufforderung den Hersteller oder Importeur bekannt gibt.

Ein wesentliches Element der Produkthaftung in der Praxis ist auch noch die

Verjährung.

Diese tritt nach 3 Jahren ab Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis von Fehler und Person des Verantwortlichen ein, längstens 10 Jahre nach Inverkehrbringen des Produktes.

Einleitung

Jahrelange Einzelfallrechtsprechung hatte in Deutschland nach amerikanischem Vorbild zu einer beinahe unübersehbaren Fülle von Nuancen bei der Produzentenhaftung geführt. Bereits seit dem 1.1.1990 ist nun das Produkthaftungsgesetz in Kraft. Anfängliche düstere Prognosen dahin, wir hätten hierzulande bald amerikanische Verhältnisse, haben sich angesichts des Augenmaßes der Rechtsprechung, aber auch eines der Juristerei eigenen Beharrungsvermögen an Althergebrachtem nicht bewahrheitet. Dennoch ist der Bereich der Produkthaftung ein gern aus dem Unternehmensalltag verdrängt der Tatbestand, der, wenn er denn greift, katastrophale Folgen für die betroffene Firma haben kann.

Im Folgenden soll versucht werden, die Regelungen dieses Gesetzes zu erläutern, in das bisherige Haftungsgefüge einzuordnen und Tendenzen aufzuzeigen, was sich durch die gesetzliche Regelung im Unternehmensalltag ändern könnte oder sollte.

Der Gesetzgeber hat die Regelungen des Produkthaftungsgesetzes inzwischen ergänzt unter anderem durch das Produktsicherheitsgesetz. Es handelt sich hierbei vornehmlich um öffentlich – rechtliche Vorschriften, die bestimmte Behörden ermächtigen einzuschreiten, wenn Hersteller und/oder Händler ihre Produkthaftungspflichten verletzen. Diese Pflichten sind im Gesetz näher definiert, ebenso die Möglichkeiten des Einschreitens bis hin zu behördlichen Waren – und Rückrufaktionen, wenn die Haftenden selbst nicht reagieren. Im Kern gibt dieses Gesetz also die Ermächtigung, anstelle des Verantwortlichen mit Mitteln zu handeln, die eigentlich ihm obliegen. Insofern wird durch dieses Gesetz die Reaktionsmöglichkeit, nicht aber die Haftung selbst erweitert, sodass die dort erwähnten Instrumentarien der Fehler – und Schadensbewältigung im Rahmen der folgenden Abhandlung ohne besonderen Hinweis auf das Produktsicherheitsgesetz abgehandelt werden.

Oder kurz: was für das Produkthaftungsgesetz gilt, wird durch das Produktsicherheitsgesetz nicht geändert sondern nur durch behördliche Handlungsalternativen erweitert.

Gesetzestext des Produkthaftungsgesetzes

Da der Gesetzestext des Produkthaftungsgesetzes überschaubar ist, sei er im Folgenden wiedergegeben:

Produkthaftungsgesetz vom 15. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2198)

Stand: Zuletzt geändert durch Art. 180 V v. 31.8.201511474

§ 1 Haftung

(1) Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Im Falle der Sachbeschädigung gilt dies nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Geoder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist.

(2) Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn

1. er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat,

2. nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in den Verkehr brachte,

3. er das Produkt weder für den Verkauf oder eine andere Form des Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck hergestellt noch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat,

4. der Fehler darauf beruht, dass das Produkt in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller es in den Verkehr brachte, dazu zwingenden Rechtsvorschriften entsprochen hat, oder

5. der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte.

(3) Die Ersatzpflicht des Herstellers eines Teilprodukts ist ferner ausgeschlossen, wenn der Fehler durch die Konstruktion des Produkts, in welches das Teilprodukt eingearbeitet wurde, oder durch die Anleitungen des Herstellers des Produkts verursacht worden ist. Satz 1 ist auf den Hersteller eines Grundstoffs entsprechend anzuwenden.

(4) Für den Fehler, den Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden trägt der Geschädigte die Beweislast. Ist streitig, ob die Ersatzpflicht gemäß Absatz 2 oder 3 ausgeschlossen ist, so trägt der Hersteller die Beweislast.

§ 2 Produkt

Produkt im Sinne dieses Gesetzes ist jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet, sowie Elektrizität.

§ 3 Fehler

(1) Ein Produkt hat einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere

a) seiner Darbietung,

b) des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,

c) des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann.

(2) Ein Produkt hat nicht allein deshalb einen Fehler, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde.

§ 4 Hersteller

(1) Hersteller im Sinne dieses Gesetzes ist, wer das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt hergestellt hat. Als Hersteller gilt auch jeder, der sich durch das Anbringen seines Namens, seiner Marke oder eines anderen unterscheidungskräftigen Kennzeichens als Hersteller ausgibt.

(2) Als Hersteller gilt ferner, wer ein Produkt zum Zweck des Verkaufs, der Vermietung, des Mietkaufs oder einer anderen Form des Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck im Rahmen seiner geschäftlichen Tätigkeit in den Geltungsbereich des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einführt oder verbringt.

(3) Kann der Hersteller des Produkts nicht festgestellt werden, so gilt jeder Lieferant als dessen Hersteller, es sei denn, dass er dem Geschädigten innerhalb eines Monats, nachdem ihm dessen diesbezügliche Aufforderung zugegangen ist, den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat. Dies gilt auch für ein eingeführtes Produkt, wenn sich bei diesem die in Absatz 2 genannte Person nicht feststellen lässt, selbst wenn der Name des Herstellers bekannt ist.

§ 5 Mehrere Ersatzpflichtige

Sind für denselben Schaden mehrere Hersteller nebeneinander zum Schadensersatz verpflichtet, so haften sie als Gesamtschuldner. Im Verhältnis der Ersatzpflichtigen zueinander hängt, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist; im übrigen gelten die §§ 421 bis 425 sowie § 426 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

§ 6 Haftungsminderung

(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, so gilt § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs; im Falle der Sachbeschädigung steht das Verschulden desjenigen, der die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Geschädigten gleich.

(2) Die Haftung des Herstellers wird nicht gemindert, wenn der Schaden durch einen Fehler des Produkts und zugleich durch die Handlung eines Dritten verursacht worden ist. § 5 Satz 2 gilt entsprechend.

§ 7 Umfang der Ersatzpflicht bei Tötung

(1) Im Falle der Tötung ist Ersatz der Kosten einer versuchten Heilung sowie des Vermögensnachteils zu leisten, den der Getötete dadurch erlitten hat, dass während der Krankheit seine Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert war oder seine Bedürfnisse vermehrt waren. Der Ersatzpflichtige hat außerdem die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, der diese Kosten zu tragen hat.

(2) Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnis, aus dem er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten infolge der Tötung das Recht auf Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen wäre. Die Ersatzpflicht tritt auch ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung gezeugt, aber noch nicht geboren war.

§ 8 Umfang der Ersatzpflicht bei Körperverletzung

Im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit ist Ersatz der Kosten der Heilung sowie des

Vermögensnachteils zu leisten, den der Verletzte dadurch erleidet, dass infolge der Verletzung zeitweise oder dauernd seine Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert ist oder seine Bedürfnisse vermehrt sind. Wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann auch eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.

§ 9 Schadensersatz durch Geldrente

(1) Der Schadensersatz wegen Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit und wegen vermehrter Bedürfnisse des Verletzten sowie der nach § 7 Abs. 2 einem Dritten zu gewährende Schadensersatz ist für die Zukunft durch eine Geldrente zu leisten.

(2) § 843 Abs. 2 bis 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden.

§10 Haftungshöchstbetrag

(1) Sind Personenschäden durch ein Produkt oder gleiche Produkte mit demselben Fehler verursacht worden, so haftet der Ersatzpflichtige nur bis zu einem Höchstbetrag von 85 Millionen Euro.

(2) Übersteigen die den mehreren Geschädigten zu leistenden Entschädigungen den in Absatz 1 vorgesehenen Höchstbetrag, so verringern sich die einzelnen Entschädigungen in dem Verhältnis, in dem ihr Gesamtbetrag zu dem Höchstbetrag steht.