Stefan George, Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen. Umdichtungen
Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Stefan George, Gemälde von Sabine Lepsius, 1898
ISBN 978-3-8430-5890-2
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-5130-9 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-5131-6 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: Berlin (Georg Bondi), 1901, 2. Auflage 1908, 3. Auflage 1914, 4. Auflage 1918, 5. Auflage 1920, 6. Auflage 1922. Als Band XIII/XIV der »Gesamt-Ausgabe der Werke«: Berlin (Georg Bondi), Oktober 1931.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
George, Stefan: Baudelaire. Die Blumen des Bösen, Umdichtungen, Gesamt-Ausgabe der Werke, Endgültige Fassung, Band 13/14, Berlin: Georg Bondi, 1930.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Diese ausgabe ist vermehrt um drei stücke s. 47 .. s. 50 .. s. 168 die zur zeit des ersten druckes als zu unfertig ausgeschieden wurden .. neues kam seitdem nicht hinzu und somit kann die arbeit als abgeschlossen gelten. Die vor-ausgabe in handschrift-abdruck vom jahre 1891 ist im anhang enthalten. Von den 151 Fleurs du Mal sind 118 übertragen.[5]
Diese verdeutschung der FLEURS DU MAL verdankt ihre entstehung nicht dem wunsche einen fremdländischen verfasser einzuführen sondern der ursprünglichen reinen freude am formen. So konnte sie auch nicht willkürlich fortgesezt und vollendet werden und der umdichter betrachtete seine mehrjährige arbeit als abgeschlossen nachdem er seine möglichkeiten erschöpft sah. Erschwerend war dass von Baudelaire noch keine gute ausgabe besteht · man bald zur ersten bald zur zweiten greifen muss und die dritte sogenannte endgültige an unordnung fehlern und lücken leidet. Es bedarf heute wol kaum noch eines hinweises dass nicht die abschreckenden und widrigen bilder die den Meister eine zeit lang verlockten ihm die grosse verehrung des ganzen jüngeren geschlechtes eingetragen haben sondern der eifer mit dem er der dichtung neue gebiete eroberte und die glühende geistigkeit mit der er auch die sprödesten stoffe durchdrang. So ist dem sinne nach ›SEGEN‹ das einleitungsgedicht der BLUMEN DES BÖSEN und nicht das fälschlich ›VORREDE‹ genannte. Mit diesem verehrungsbeweis möge weniger eine getreue nachbildung als ein deutsches denkmal geschaffen sein.[6]
Wenn nach den allerhöchsten urteilsprüchen
Der dichter auf die trübe erde steigt
So schaudert seine mutter und mit flüchen
Bedroht sie Gott der selber mitleid zeigt:
– Ach! was gebar ich nicht ein nest von schlangen
Eh ich ernährte solch ein zwitterding!
Verwünscht die nacht mit flüchtigem verlangen
In der mein leib die sühne mit empfing![9]
Was hast du mich erwählt aus allen frauen
Dem blöden mann der vor mir abscheu hat ·
Weshalb kann ich den flammen nicht vertrauen
Die missgeburt wie ein verfänglich blatt?
Den hass der mich erdrückt will drum ich lenken
Aufs grause werkzeug deiner schadensucht ·
So gut will diesen schlechten stamm ich renken
Dass nie er zeitigt die verseuchte frucht. –
So würgt sie nieder ihres grolles eiter
Mit keiner ahnung von des himmels rat
Und türmt sich in der hölle selbst die scheiter ·
Den lohn für mütterliche greueltat.
Doch unter eines engels sicherm schutze
Haucht der Enterbte froh im sonnenschein
Und was er isst und trinkt ist ihm zu nutze
Wie götterbrot und roter götterwein.
Er spielt mit winden · spricht mit wolkenflügen ·
Berauscht sich an der kreuzweg-lieder laut.
Der geist · sein führer auf den pilgerzügen ·
Weint da er ihn so frisch und heiter schaut.[10]
Die er zu lieben brennt vor ihm erschrecken ·
Und andre die sein friede kühn gemacht
Versuchen eifrig klagen ihm zu wecken
Erprobend was die roheit ausgedacht.
In wein und brot eh er zum mund es führte
Vermischten eklen speichel sie und russ.
Sie werfen heuchelnd weg was er berührte
Und fluchen · ging durch seine bahn ihr fuss.
Sein weib schreit auf dem öffentlichen platze ·
– Da er mich liebenswert erklärt und hold
Treib ich das handwerk einer götterfratze:
Stets lass ich schmücken mich mit frischem gold.
Betrinken will ich mich an weihrauch mirren ·
An kniefall tief im staub · an fleisch und wein.
Im sinn den meine reizungen verwirren
Nehm ich mit lachen Gottes stelle ein.
Und macht mir diese lästerposse mühe
So fasst mein starker schwacher arm ihn an
Und meine nägel · nägel der harpye ·
Verfolgen bis zu seinem herz die bahn.[11]
Dem jungen vogel gleich der zuckt und schüttert
Dies herz ganz rot reiss ich aus seiner brust.
Auf dass mein lieblings-tier sich daran füttert
Werf ich zu boden es mit kalter lust. –
Am himmel strahlen reiche königsitze ·
Der dichter heiter hebt den frommen arm
Und seines lichten geistes weite blitze
Verhüllen ihm der völker wilden schwarm.
– Preis dir o Gott der uns zur drangsal leitet ·
Uns die wir unrein sind zum heilungs-fluss ·
Zum klaren filter der uns vorbereitet ·
Die starken auf den heiligen genuss!
Ich weiss: der dichter hat der sitze besten
Mit seliger legionen schar gemein ·
Ich weiss du lädst ihn zu den ewigen festen
Der Kräfte Mächte und der Thronen ein.
Ich weiss: vom adel ist der Schmerz der echte
Den erde nie und hölle niederwarf
Und dass wenn ich mein göttlich stirnband flechte
Ich aller weltenkreise zins bedarf.[12]
Doch schätze lang verschütteter Palmyren
Verborgen gold und perlen in dem meer
Von dir emporgeholt dürft ich nicht küren
Zu dieser krone sonnenhell und hehr.
Denn sie wird nur geprägt aus reinem lichte
Das ich vom heilgen Strahlenherd erlas
Dem aller glanz der menschlichen gesichte
Nichts ist als armes trübes spiegelglas. –[13]
Oft kommt es dass das schiffsvolk zum vergnügen
Die albatros · die grossen vögel · fängt
Die sorglos folgen wenn auf seinen zügen
Das schiff sich durch die schlimmen klippen zwängt.
Kaum sind sie unten auf des deckes gängen
Als sie · die herrn im azur · ungeschickt
Die grossen weissen flügel traurig hängen
Und an der seite schleifen wie geknickt.
Er sonst so flink ist nun der matte steife.
Der lüfte könig duldet spott und schmach:
Der eine neckt ihn mit der tabakspfeife ·
Ein andrer ahmt den flug des armen nach.
Der dichter ist wie jener fürst der wolke ·
Er haust im sturm · er lacht dem bogenstrang.
Doch hindern drunten zwischen frechem volke
Die riesenhaften flügel ihn am gang.
Hoch oberhalb der weiher und der ähren
Der wälder und der berge und der see ·
Jenseits von wolken und von ewigem schnee ·
Jenseits der grenzen der gestirnten sfären ·
Dort regst du dich in freiheit · meine brust!
Und wie sich schwimmer in den wellen breiten
So ziehst du durch die unermesslichkeiten
Mit männlicher unsagbar grosser lust.[15]
Flieh weit aus dieser kranken dünste giften ·
In einem höhern luftraum werde rein
Und trink wie einen himmlisch echten wein
Das klare feuer in den lichten triften!
Los von dem kummer von der grossen qual
– Des nebeldüstern daseins lästge zügel –
Wie ist der glücklich der mit starkem flügel
Entschweben kann ins stille heitre tal!
Der dess gedanken auf der lerche schwinge
Emporgetragen werden in der früh ...
Er fasst die welt und deutet ohne müh
Der blumen sprache und der stummen dinge.[16]
Aus der natur belebten tempelbaun
Oft unverständlich wirre worte weichen ·
Dort geht der mensch durch einen wald von zeichen
Die mit vertrauten blicken ihn beschaun.
Wie lange echo fern zusammenrauschen
In tiefer finsterer geselligkeit ·
Weit wie die nacht und wie die helligkeit
Parfüme farben töne rede tauschen.
Parfüme gibt es frisch wie kinderwangen
Süss wie hoboen grün wie eine alm –
Und andre die verderbt und siegreich prangen
Mit einem hauch von unbegrenzten dingen ·
Wie ambra moschus und geweihter qualm
Die die verzückung unsrer seelen singen.
Ich will die entschwundenen nackten zeiten loben
Wo Phöbus die säulen mit goldenem schimmer umwoben ·
Als mann und weib geniessend in leichtem zug
Noch lebten ohne bedrängnis und ohne betrug ·
Als die von des liebreichen himmels kosen berührten
Die volle kraft ihrer edlen leiber verspürten.
Und Cybele · fruchtbar und freigebig ohne rast ·
Empfand ihre söhne noch nicht als beschwerliche last
Und gab · eine wölfin schwellend mit zärtlichen lüsten ·
Der ganzen erde den trank von den braunen brüsten.
Der mensch in schlanker und stolzer kraft war bestellt
Sich könig zu heissen über die schönheit der welt ·
Die früchte rein von flecken und ohne risse
Mit glattem und festem fleische luden zum bisse.
Und ist in unseren tagen der dichter die pracht
Ursprünglicher grösse an orten zu finden bedacht
Wo mann und weib in ihrer nacktheit sich zeigen[18]
So fühlt er finsteren frost in die seele steigen.
O düsteres bild das alle schrecknis vereint!
O formlosigkeit die nach ihren kleidern weint!
Gestalten würdig der masken · armselige stümpfe!
Verdrehte aufgeschwemmte und magere rümpfe!
Der Gott des nutzens in seinem grausamen scherz
Hat sie schon als kinder gewickelt in windeln aus erz.
Ihr frauen an zernagenden wollüsten reiche
Und ach! ihr jungfrauen wie die wachskerzen bleiche!
Ihr seid durch der eltern vererbte laster erschlafft
Und mahnt an die hässlichkeiten der mutterschaft.
Wol haben wir völker die in verfall gerieten
Den Alten verschlossene schönheiten auch zu bieten:
Gesichter zermartert durch innerer kämpfe schlag
Und die man als sieche schönheiten preisen mag.
Doch dies geschenk das die späten musen uns spenden
Wird niemals uns · die kränklichen rassen · verblenden
Wir bringen der jugend die tiefste huldigung dar ·
Der heiligen jugend · dem wesen einfach und klar ·
Dem auge heiter und sanft gleich der fliessenden quelle
Die überall um sich verbreiten sorglos und helle
Wie vögel wie blumen wie azurne himmelsluft
Ihr lied ihre sanfte wärme und ihren duft.[19]
Rubens · der müssigkeit garten · fluss von vergessen
Und pfühl frischen fleisches · für unsre liebe wol leer ·
Doch von einem leben so strömend und drängend besessen
Wie luft in dem himmel und wie das meer in dem meer.
Leonardo da Vinci · ein spiegel tief und dunkel
Wo reizende engel mit ihrem süss-lächelnden mund
Und voll von geheimnis erscheinen im abendgefunkel
Der gletscher und fichten · des heimatlands hintergrund.[20]
Rembrandt · trauriges siechhaus voll murmelnder stimmen
Und mit einem grossen kruzifix nur geschmückt ·
Wo beten und weinen über dem unrat schwimmen –
Und jählings von einem winterstrahle durchzückt.
Michelangel · nebelwelt wo die giganten hämmern
Und märtyrer dulden · wo sich in die höhe streckt
Aus seinem grab ein mächtig gespenst das im dämmern
Sein schweisstuch zerreisst indem es die finger reckt.
Der wettkämpfer wüten · das schamlose treiben der faunen:
Du der die schönheit bei pöbel und schurken fand ·
Du stolzen sinnes doch schwach und mit giftigen launen ·