Hugo von Hofmannsthal: Jedermann

 

 

Hugo von Hofmannsthal

Jedermann

Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes

 

 

 

Hugo von Hofmannsthal: Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes

 

Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Jedermann: Attila Hörbiger, Salzburger Festspiele 1947. Archiv der Salzburger Festspiele Foto Doliwa. Unveränderter Abdruck. Lizenz: Creative-Commons-Lizenz »Namensnennung 3.0 nicht portiert«. https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de

 

ISBN 978-3-8430-5523-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-1743-5 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-1744-2 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden April 1903–September 1911. Erstdruck: Berlin (S. Fischer) 1911. Uraufführung am 1.12.1911 in Berlin (Zirkus Schumann).

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Band 2–5: Dramen, Herausgegeben von Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 1979.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Dramatis Personae

Gott der Herr.

 

Erzengel Michael.

 

Tod.

 

Teufel.

 

Jedermann.

 

Jedermanns Mutter.

 

Jedermanns guter Gesell.

 

Der Hausvogt.

 

Der Koch.

 

Ein armer Nachbar.

 

Ein Schuldknecht.

 

Des Schuldknechts Weib.

 

Buhlschaft.

 

Dicker Vetter.

 

Dünner Vetter.

 

Etliche junge Fräulein.

 

Etliche von Jedermanns Tischgesellen.

 

Büttel.

 

Knechte.

 

Spielleute.

 

Buben.

 

Mammon.

 

Werke.

 

Glaube.

 

Mönch.

 

Engel.[10]

 

SPIELANSAGER tritt vor und sagt das Spiel an.

Jetzt habet allsamt Achtung, Leut!

Und hört was wir vorstellen heut!

Ist als ein geistlich Spiel bewandt,

Vorladung Jedermanns ist es zubenannt.

Darin euch wird gewiesen werden,

Wie unsere Tag und Werk auf Erden

Vergänglich sind und hinfällig gar.

Der Hergang ist recht schön und klar,

der Stoff ist kostbar von dem Spiel,

Dahinter aber liegt noch viel,

Das müßt ihr zu Gemüt führen

Und aus dem Inhalt die Lehr ausspüren.

GOTT DER HERR wird sichtbar auf seinem Thron und spricht.

Fürwahr mag länger das nit ertragen,

Daß alle Kreatur gegen mich

Ihr Herz verhärtet böslich,

Daß sie ohn einige Furcht vor mir

Schmählicher hinleben als das Getier.

Des geistlichen Auges sind sie erblindt,

In Sünd ersoffen, das ist was sie sind,

Und kennen mich nit für ihren Gott,

Ihr Trachten geht auf irdisch Gut allein,

Und was darüber, das ist ihr Spott,

Und wie ich sie mir anschau zur Stund,

So han sie rein vergessen den Bund,

Den ich mit ihnen aufgericht hab,

Da ich am Holz mein Blut hingab.

Auf daß sie sollten das Leben erlangen,

Bin ich am Marterholz gehangen.

Hab ihnen die Dörn aus dem Fuß getan

Und auf meinem Haupt sie getragen als Kron.

So viel ich vermocht, hab ich vollbracht,[11]

Und nun wird meiner schlecht geacht.

Darum will ich in rechter Eil

Gerichtstag halten über sie

Und Jedermann richten nach seinem Teil.

Wo bist du Tod, mein starker Bot? Tritt vor mich hin.

TOD.

Allmächtiger Gott, hier sieh mich stehn,

Nach deinem Befehl werd ich botengehn.

GOTT.

Geh du zu Jedermann und zeig in meinem Namen ihm an:

Er muß eine Pilgerschaft antreten

Mit dieser Stund und heutigem Tag,

Der er sich nicht entziehen mag.

Und heiß ihn mitbringen sein Rechenbuch

Und daß er nicht Aufschub, noch Zögerung such.

TOD.

Herr, ich will die ganze Welt abrennen

Und sie heimsuchen Groß und Klein,

Die Gotts Gesetze nit erkennen

Und unter das Vieh gefallen sein.

Der sein Herz hat auf irdisch Gut geworfen,

Den will ich mit einem Streich treffen,

Daß seine Augen brechen

Und er nit findet die Himmelspforten,

Es sei denn, daß Almosen und Mildtätigkeit

Befreundt ihm wären und hilfsbereit.

JEDERMANN tritt aus seinem Haus hervor, ein Knecht hinter ihm.

Spring du um meinen Hausvogt schnell,

Muß ihm aufgeben einen Befehl.

 

Der Knecht geht hinein.

 

Mein Haus hat ein gut Ansehn, das ist wahr,

Steht stattlich da, vornehm und reich,

Kommt in der Stadt kein andres gleich.

Hab drin köstlichen Hausrat die Meng,

Viele Truhen, viele Spind,

Dazu ein großes Hausgesind,

Einen schönen Schatz von gutem Geld

Und vor den Toren manch Stück Feld,[12]

Auch Landsitz, Meierhöf voll Vieh,

Von denen ich Zins und Renten zieh,

Daß ich mir wahrlich machen mag

So heut wie morgen fröhliche Tag.

 

Hausvogt tritt auf.

 

JEDERMANN.

Vogt, bring einen Säckel Geldes straff,

Den hab ich vergessen in Gürtel zu tun,

Und merk, was ich dir noch anschaff:

Für morgen wird ein Frühmahl gericht,

Das muß bereit't sein aufs allerbest.

Kommen Verwandte und fremde Gäst.

Der Tisch muß prächtig sein bestellt,

Schick her den Koch, du geh ums Geld.

 

Vogt geht hinein.

Koch tritt sogleich auf.

 

JEDERMANN.

Ein köstlich Frühmahl befehl ich an

Für morgen.

KOCH.

Ja, und soll ich dann

Einen jeden Gang bereiten frisch?

JEDERMANN.

Daß dich das Fieber rüttel, frisch!

Kein Überbleibsel auf meinen Tisch.

KOCH.

Es wär von gestern geblieben die Meng

Zumindest für zwei kalte Gäng.

JEDERMANN.

Du Esels-Koch bist so vermessen,

Soll ich eine Bettlermahlzeit essen?

 

Der Koch geht ab.

Der Vogt ist herausgekommen mit einem Beutel.

 

JEDERMANN nimmt den Beutel.

Acht du auf meine Mägd und Knecht,

Gefallen mir allermaßen nit recht.

 

Der arme Nachbar wird in der Ferne sichtbar, nähert sich ängstlich.

[13] Jedermanns Geselle kommt zugleich raschen Schrittes die Straße hergegangen.

 

JEDERMANN zum Hausvogt.

Dafür stehst du an der obersten Stell,

Daß du auf sie – Da kommt mein Gesell.

 

Hausvogt geht ins Haus.

 

JEDERMANN.

Hätt beinah müssen auf dich warten,

Wir wollen jetzt vors Stadttor gehen

Und uns dort das Grundstück ansehen,

Obs tauglich ist für einen Lustgarten.

GESELL.

Hast Fortunati Säckel in der Hand,

Dann ist die Sach schon recht bewandt.

Ja, bei dir gilts: gewünscht ist schon getan,

Du hasts danach, drum steht dirs an.

ARMER NACHBAR.

Das ist des reichen Jedermanns Haus.

Oh, Herr, dich bitt ich überaus,

Wolltest dich hilfreich meiner erbarmen,

Mildtätig beistehn einem Armen.

GESELL zu Jedermann.

Ja, wie gesprochen, wir müssen eilen,

Dürfen uns gar nit länger verweilen.

ARMER NACHBAR hebt bittend die Hände.

Oh, Jedermann, erbarm dich mein.

GESELL.

Kennst du leicht das Gesicht?

JEDERMANN.

Ich? Wer solls sein?

ARMER NACHBAR.

Oh, Jedermann, zu dir heb ich die Hand,

Hab auch einst bessre Tag gekannt.

War einst dein Nachbar, Haus bei Haus,

Dann hab ich müssen weichen draus.

JEDERMANN gibt ihm eine Münze aus dem Gürtel.

Schon gut!

ARMER NACHBAR nimmts nicht.

Das ist eine Gabe gering.[14]

JEDERMANN.

Meinst du? Gottsblut! So reut mich doch das Ding.

ARMER NACHBAR weist auf den Beutel.

Davon mein nachbarlich Bruderteil,

So wär ich wieder gesund und heil.

JEDERMANN.

Davon?

ARMER NACHBAR.

Es ist an dem, ich knie vor dir,

Nur diesen Beutel teil mit mir.

JEDERMANN lacht.

Nur?

GESELL.

Selbig ist besessen alls!

Hältst tausend Bettler auf dem Hals.

Was tausend, hunderttausend gleich!

ARMER NACHBAR.

Bist allermaßen mächtig reich.

Teilst du den Beutel auf gleich und gleich,

Dir bleiben die Truhen voll im Haus,

Dir fließen Zins und Renten zu.

JEDERMANN.

Mann, wer heißt dich, mein Schrank und Truh,

Mein Zins und Rent in Mund nehmen?

GESELL.

Ich tät mich allerwegen schämen.

JEDERMANN.

Laß! – Mann, da bist du in der Irr,

Wenn du meinst, ich könnt ohnweilen

Den Beutel Geld da mit dir teilen.

Das Geld ist gar nit länger mein,

Muß heut noch abgeliefert sein

Als Kaufschilling für einen Lustgarten.

Ich steh dem Verkäufer dafür im Wort,

Er will aufs Geld nit länger warten.

ARMER NACHBAR.

Wenn dieses Geld für den Garten ist,

So brauchts für dich nur einen Wink,

Für einen Beutel hast du zehn,[15]

Heiß einen andern bringen flink,

Den teil mit mir, bist du ein Christ.

JEDERMANN.

Der nächste, brächt man ihn herbei,

Der Beutel, der wär auch nit frei.

Mein Geld muß für mich werken und laufen,

Mit Tod und Teufel hart sich raufen,