Für Mama, Ilia, Lulu, Peter, Andri, Rinny, Andrea, Nadine, Ilca und alli woni kenn
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2020 Michèle Binswanger
Lektorat: Tamedia
Korrektorat: Tamedia
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7494-7777-7
Di, 24 Nov 2009
Wenn die Tage kürzer werden, ist dies das Fanal für Erkältungen, die Gehörgänge meines Sohnes zu belagern und schmerzhafte Attacken auf seine empfindlichen Mittelohren zu reiten. Dies führt dazu, dass er in dieser Zeit eine Standardantwort auf alle möglichen Fragen, Anwürfe oder Bitten hat. Sie lautet: «Was?»
Aus Sorge um sein Hörvermögen beschloss ich deshalb jüngst, in den Garten meines eng gefurchten Tagesablaufs einen Arztbesuch zu pflanzen. Ich machte einen Termin aus, um seine Ohren untersuchen zu lassen und präventive Massnahmen zu besprechen.
Nach dem Mittagessen brachte ich die Tochter zur Klavierstunde und hetzte dann mit dem Sohn durch die Stadt, um pünktlich beim Arzt einzutreffen. Mit einem herbstlichen Windstoss segelten wir in die Praxis, wo uns zwei Praxisassistentinnen mit Schutzmasken und einem vermutlich freundlichen Lächeln empfingen. Wir sollten doch Platz nehmen. Aber nein, nicht im Wartezimmer, denn da befänden sich Kinder mit einem ansteckenden Hautausschlag. Aber hier in der Ecke sei noch Platz.
Wir setzten uns also auf einen unbequemen Stuhl und warteten. Weil es in der Warteecke keine der üblichen Zerstreuungsmöglichkeiten gab, spielte ich gefühlte hundert Runden «Schäri, Schtei, Papier» mit dem Sohn und beobachtete dabei das Treiben in der Praxis. Mehr Eltern mit kleinen Patienten strömten hinein und drängelten sich in die Ecken, andere verliessen die Praxis und rieben sich auf dem Weg hinaus die Hände mit Desinfektionslösung ein, was ich einigermassen verdächtig fand. Schliesslich musste ich meinen Sohn um eine «Schäri, Schtei, Papier»-Pause bitten. «Was?», sagte er. Und dann: «Wie lang gohts no?»
Wir warteten. Um Konversation mit dem Praxispersonal zu machen, fragte ich, ob sie die Masken wegen der Schweinegrippe trügen. «Oh nein», teilten mir die Schutzmasken mit, «aber diese Praxis ist sozusagen ein Stelldichein aller möglichen Krankheiten, da schützt man sich besser». Ich begann mir langsam Sorgen zu machen, ob dieser von Keimen kontaminierte Ort unsere Gesundheit nicht erst recht gefährden könnte und beschloss, möglichst nichts mehr zu berühren und mir bei der nächsten Gelegenheit gründlich die Hände zu waschen. Das sagte ich auch meinem Sohn. «Was?», antwortete der. Und dann: «Wie lang gohts no?»
Dann fragte ich die Schutzmasken, ob sie denn gegen die Schweinegrippe impften - immerhin trugen sie das passende Outfit dazu. Aber sie hoben nur missbilligend die Augenbrauen und antworteten, die Frau Doktor impfe nur Risikopatienten, schliesslich sei das eine ganz normale Grippe und über die Impfschäden rede ja auch niemand. Ich malte mir aus, welche Flurschäden die Grippe in meiner Familie zeitigen könnte, wenn sie sie vier Wochen lang mit hohem Fieber und Erbrechen ins Bett werfen würde.
Di, 28 Jul 2009
Wüsste ich es nicht besser, ich würde behaupten, der Mensch ist ein Fluchttier. Anders kann ich mir seine Faszination für die eigene Angst nicht erklären, auch genannt: das Böse. Man muss auf dem Weg zur Bushaltestelle nicht jeden Tag Darth Vader begegnen um zu wissen: Es ist da draussen. Wir sehen es täglich, und die Medien, Filmindustrie und zu gutem Teil auch die Literatur leben von unserem neurotischen Hunger danach. Weniger attraktiv ist das Böse, wenn wir ihm tatsächlich begegnen. Leider auch ziemlich schwierig zu erkennen. Und noch schwieriger zu vermitteln.
Was mache ich also als Mutter mit dem Bösen? Zumal ich gar nicht so genau weiss, worum es sich da handelt?
Natürlich, Kasperli jagt in einem fort Räuber, Hexenknechte und Zauberer, und auch Hexen und herzlose Eltern aus den Märchen lassen sich relativ einfach bewältigen. Schwieriger wird es, wenn man auf die Realität der Welt da draussen zusteuert.
aJüngst schaute ich mit meinen Kindern die Serie «Silas» an. Darin kommt eine böse alte Frau vor, die sogenannte Pferdekrähe, die ein kleines Mädchen in ihrem Handkarren entführt, um es zu verkaufen. «Warum stiehlt sie das Mädchen?», fragen meine Kinder. Und: «Gibt es auch heute noch Menschen, die das tun?»
Definitiv, denke ich. Es gibt Menschen, die Kinder entführen, um mit ihnen die abscheulichsten Dinge anzustellen, Eltern, die ihre eigenen Kinder in den Keller sperren und missbrauchen. Aber wie speise ich die unerfreuliche Wahrheit, dass die Welt kein sicherer Ort ist, in den wohlbehüteten Kosmos meiner Kinder ein?
Ich bin nicht Tomi Ungerer, der seine Kinder mit Absicht traumatisierte und «immer sofort bei jeder zerquetschten Katze anhielt, die auf der Strasse lag.» Ich wählte also die einfache Variante, sagte ja, es gebe tatsächlich Menschen, die solche Dinge tun, ging aber nicht näher darauf ein, warnte sie stattdessen davor, je mit Fremden mitzugehen. «Aber wieso entführen sie Kinder?», hakte die Tochter nach. Hmmm, weil sie böse sind? Oder ziele ich damit auch wieder an der Sache vorbei?
Jüngst war unser sechsjähriger Nachbarsjunge zu Besuch. Seine Mutter erlaubt ihm schon Filme wie «Spiderman» zu schauen und er zerquetscht kleine Insekten ohne mit der Wimper zu zucken. Aber er zittert wie Espenlaub, wenn «Räuber Hotzenplotz» auf dem Bildschirm erscheint, weil der nämlich «wirklich böse» sei.
Die ganze Frage lässt mich ratlos. Wie bringt man einem Kind bei, dass das Böse nicht notwendig einen Bart trägt und Hohoho macht? Dass es der Nachbar, ja der Junge aus der Klasse sein kann? Wie ihnen beibringen, sich davor zu schützen, ohne sie neurotisch zu machen? Muss man Kinder traumatisieren, wenn man sie auf die Welt vorbereiten will?
Oder soll man lieber darauf vertrauen, dass sie noch früh genug merken werden, was da draussen los ist? Was meinen Sie?
Do, 30 Sep 2010
Literatur ist für mich die Kunst aller Künste. Ohne Geschichtenerzähler keine Zivilisation, keine Philosophie, keine Geschichte, keine Entwicklung – das ist meine persönliche Überzeugung. Und so begann ich meinen Kindern, sobald es ihre Aufmerksamkeitsspanne erlaubte, all jene Geschichten vorzulesen, die ich als Kinder geliebt hatte. Es begann mit den Bilderbüchern von Cariget, ging weiter mit den Kinderbüchern Hans Fischers und Tomi Ungerers, dann ging es ans Vorlesen, «Tschipo» und «Momo» und «Die unendliche Geschichte», dann «Mein Name ist Eugen» und «Der kleine Nick» und nicht zu vergessen Astrid Lindgren: «Maditha» und «Ronja Räubertochter», «Wir Kinder von Bullerbü» und «Brüder Löwenherz».
aUnd dann landete ein Junge mit gezackter Narbe und Brille in unserem erzählerischen Universum und eroberte das Territorium im Sturm. Ich hatte selber ein paar «Harry Potter»-Bände gelesen, als ich mit meinem Sohn schwanger war, und sie gar nicht schlecht gefunden. Nicht so philosophisch wie Michael Ende, nicht so tröstlich wie Astrid Lindgren und nicht so lustig, wie «Mein Name ist Eugen». Aber ganz gut.
Deshalb rechnete ich auch nicht damit, wie unerbittlich das Harry-Potter-Fieber meine Kinder erfassen, beherrschen und nicht mehr loslassen würde. Zwar las ich die Bücher nicht wie meine schöne Freundin heimlich zu Ende, nachdem ich die Kinder zu Bett gebracht hatte, einfach weil es so unfassbar spannend war, aber ich leistete auch nicht gerade erbitterten Widerstand, wenn es hiess: noch mehr, noch mehr. Und las ihnen Band zwei bis fünf ziemlich nahtlos vor. Obschon ein langsameres Vorgehen schon deshalb angezeigt wäre, weil jeder «Harry Potter»-Band ein neues Schuljahr im Leben der Protagonisten umfasst. Vernünftigerweise würde man also einen Band pro Jahr vorlesen, zumal die Saga sich vor allem um die Entwicklung Potters vom Jungen zum Mann dreht, die Protagonisten immer älter und reifer werden, die Geschichten düsterer, die Kämpfe brutaler, die Verluste bitterer. Als ich meinen Schwager, selber ein eingefleischter Potter-Fan, fragte, ob ich mit Band sechs nicht vielleicht doch noch etwas warten sollte, meinte er: «Hmm, ja, das ist ja nicht unbedingt für Kinder.» Trotzdem liess ich mich weich klopfen und so stecken wir nun mitten in Band sechs.
Ich ahne, dass ich durch mein Vorgehen die Zeit einigermassen irregulär beschleunige, aber das ist meinen Kindern natürlich egal. Irgendwann erstand meine Tochter sich auf dem Flohmarkt den Band fünf auf Kassette und seither läuft «Harry Potter und der Orden des Phoenix» in der Heavy Rotation im Kinderzimmer – die Kinder müssten es inzwischen auswendig können. Und so ahne ich, dass ich nach Band sieben wieder bei Band eins anfangen werde und den Kindern so lange «Harry Potter» vorlese, bis sie erwachsen sind.
Es gibt einen epischen Expertenstreit, ob «Harry Potter» nun grosse Literatur oder eben nur Kinderkram sei. Obschon ich auf Staatskosten Literaturwissenschaft studiert habe, interessiert mich diese Frage weniger als die, warum meine Kinder Harry Potter so sehr lieben. Also habe ich sie gefragt. Hier die Antworten:
Weil es hart ist
Weil Ron ein Dummerchen ist
Weil Harry immer alles alleine machen muss
Weil man sich als Mädchen auch mit Hermine identifizieren kann
Weil es manchmal langweilig ist, wenn Harry etwa durch einen dunklen Korridor geht, aber dann schwingt plötzlich eine Tür auf, und dann ist es megaspannend.
Weil Harry immer knapp vor dem Tod ist und es im letzten Augenblick doch noch schafft
Weil man Angst hat, aber dann wendet sich alles wieder und dann ist es doch wieder ok
Ein Literaturwissenschaftler wäre mit diesen Antworten nicht ganz zufrieden. Mir sagt es, dass die Bücher neben dem ganzen Zauberquatsch die richtigen Themen ansprechen, dass sie gut konstruiert sind und den richtigen Rhythmus haben. Was mir beim Vorlesen natürlich nicht entgeht, weshalb ich gar nicht unglücklich bin, dass meine Kinder auf Potter stehen und nicht etwa auf TKKG oder «Twilight».
Mo, 17 Aug 2009
Vor einer Woche hat in Basel die Schule wieder begonnen. Die Schweinegrippe hatte uns jedoch schon die Woche zuvor flachgelegt. Zumindest mental. Es begann beim Abendessen. Meine Tochter, die üblicherweise den Appetit eines Heuschreckenschwarms auf sich vereint, schob ihren Teller von sich, seufzte und blickte mit schweren Augen in die Ferne.
Ich fragte, was los sei. Fühlte sie sich schlecht? Hatte sie Fieber? Schmerzen? Sonst irgendwas? Sie zuckte nur die Schultern. Sie werde sterben, sagte sie. Ja, das würden wir alle, meinte ich, aber sie sagte nein, sie werde an der Schweinegrippe sterben. Oder ich. Oder wir alle. Schweinegrippe, dachte ich, wo hat sie denn das jetzt wieder her? Sie aber schlurfte in ihr Zimmer und verbunkerte sich im Bett, wo sie mehr oder weniger die ganze Woche blieb. Und dabei das Mantra von der Schweinegrippe und den zu erwartenden schweren Verlusten, die sie in unsere Familie schlagen würde, runterbetete.
Ich war natürlich ganz die Kavallerie und nachdem wir ihre Ängste bis zum Schulbeginn niedergerungen hatten, wartete ich gespannt darauf, wie in der Schule mit dem Thema umgegangen werden würde. Beim ersten Mittagstisch mit den Nachbarskindern fragte ich, ob die Schweinegrippe denn nun Thema gewesen sei. Ja, riefen alle im Chor und kicherten. Der Nachbarsbub erzählte, als er seiner Lehrerin die Hand zum Gruss entgegen gestreckt habe, sei diese beinahe bis zur Decke gesprungen, habe die Arme in die Luft geworfen, als hätte er «Hände hoch» gebrüllt und dann habe sie verkündet, mit Händeschütteln sei es einstweilen vorbei an dieser Schule. Der Lehrer des zweiten Nachbarsbuben dagegen nahm sich viel Zeit, die allgemeine Panik wortreich zu geisseln, um dann jedem Kindern demonstrativ und ausgiebig die Hand zu schütteln. Bei der Tochter hatte man die Technik des Fussschüttelns erläutert. Ansonsten lief der Unterricht normal. Ob es denn auch Anweisungen für das Verhalten unter den Kindern gebe? Nein.
Die Woche verlief ohne gravierende Zwischenfälle. Und als ich bei einem Mittagessen am Freitag nochmals fragte, ob noch etwas weiteres wegen der Schweinegrippe gewesen sei, hiess es: «Hä? Hör doch auf mit dem alten Schweinegerippe. Wann gehen wir jetzt in die Badi?»
Das alles erschien mir irgendwie symptomatisch für unseren Umgang mit den Bedrohungen durch neue Seuchen, sei das nun die Vogel- Schweinegrippe oder SARS: Es beginnt mit Angststörungen, mutiert dann zu gesundheitstaktischem Chaos und endet als Kalauer.Man kann nur hoffen, dass der Virus sich nicht eben so schnell verwandelt und wirklich gefährlich wird. Denn nichts untergräbt Autorität schneller, als leere Drohungen. Und nachdem mein Kind, das sich schon auf dem Totenbett wähnte, nun gelernt hat, dass das alles nicht so ernst zu nehmen ist, in der Schule jeder etwas anderes erzählt und man ansonsten einfach weiter macht, wie bisher, wie also soll ein solches Kind noch auf den Fall einer ernsthaften Bedrohung vorbereitet werden? Eine Frage übrigens, die sich sowohl die WHO wie auch der Bund auch bezüglich der Erwachsenen stellen müssen.
Deshalb meine Frage an Sie: Wie geht man mit den von einer leicht hysterischen Informationsgesellschaft periodisch geschürten Ängsten vor neuen Seuchen um? Wie erklärt man seinem Kind, was da eigentlich los ist, ohne unnötig Panik zu verbreiten und dennoch alarmierend genug, um sie zu entsprechendem Verhalten anzuregen?
Do, 16 Dez 2010
Eltern werden aus der Perspektive von Nichteltern in vielerlei Hinsicht ein bisschen komisch. Ich kann das bestätigen. Was Medizin angeht, war ich allerdings schon komisch, bevor ich Kinder bekam. Und meine Erfahrungen als Mutter führten dazu, dass ich mir in meinen Ansichten ein bisschen weniger komisch vorkam. Es geht um die alternative Medizin, insbesondere die Homöopathie, für die ich eine Lanze brechen möchte, weil sie mich einst von einem wirklich misslichen Leiden befreite. Als aufgeklärte Zeitgenossin und Sprössling einer Ärztefamilie weiss ich, dass nach wissenschaftlichen Beweisen für deren Wirksamkeit noch immer gesucht wird, dass ich einem Placebo-Effekt aufgesessen sein muss und Gefahr laufe, mich der Lächerlichkeit preiszugeben, ja die Aufklärung verrate, wenn ich sage: Ich glaube trotzdem dran. Aber das tue ich. Und das hat auch mit meinen Kindern zu tun.
Nun ist das mit der Homöopathie und den alternativen Heilmethoden so eine Sache. Denn seit der Bundesrat diese aus der Grundversicherung gekippt hat, das Volk sich dann aber dafür aussprach, sie wieder aufzunehmen, gleicht die Diskussion darum einem religiösen Glaubenskrieg. Wer an ihre Wirksamkeit glaubt, muss damit rechnen, in dieselbe Ecke gestellt zu werden wie Urintrinker, Lichtesser und die Idioten, die ihr Geld in eine Beratung bei Mike Shiva investieren. Auf der anderen Seite steht die Erfahrung. Als ich am Gebären war und es mit den Wehen nicht vorwärtsging, gab mir die Hebamme ein paar Globuli – eine Stunde später war die Tochter da. Meine Schwester, eine klassisch geschulte Gynäkologin, erzählte mir, auch sie staune jeweils, wie effizient manchmal von Hebammen verabreichte Globuli wirkten. Die beiden Kinderärzte, zu denen ich mit meinen Kindern gehe, haben meine Kinder mit Homöopathie oder anthroposophischer Medizin geheilt. Beide sind, wie übrigens auch meine Ärztin, ausgebildete Schulmediziner, die nicht zögern, klassische Pharmazie einzusetzen, wenn sie es für nötig halten. Denn natürlich muss mir niemand mit Globuli kommen, wenn ich das Bein gebrochen habe – es geht schliesslich nicht darum, die eine gegen die andere Medizin auszuspielen. Aber die Schulmedizin hat Grenzen, etwa wenn es darum geht, die Ursachen chronischer Beschwerden zu behandeln und nicht bloss die Symptome zu lindern. Hier hat meiner Meinung nach die Alternativmedizin bessere Erfolgschancen.
Placebo-Effekt, sagen die Gegner. Aber wenn es nur Placebo ist, warum helfen dann nicht alle homöopathischen Mittel? Warum zeigen die einen null Wirkung, während sich bei andern spontane Besserung einstellt? Und wieso helfen Globuli auch Tieren oder Kindern? Als meine Tochter drei Monate alt war, erkrankte sie an einer schweren asthmatischen Bronchitis. Der Arzt verschrieb homöopathische und anthroposophische Mittel – die Tochter war im Nu wieder gesund. Placebo? Und wie geht das bei einem Wesen, das kognitiv noch nicht begreifen kann, was überhaupt ein Arzt, was Medizin ist? Meine Tochter litt ebenfalls unter Neurodermitis, welche wir, nach tausenderlei Versuchen mit einer homöopathischen Salbe in den Griff bekamen. Und es handelte sich nicht um eine Spontanheilung, denn sobald wir die Salbe absetzten, war die Neurodermitis wieder da.
Die «Zeit» machte Homöopathie vergangene Woche zum Titelthema, liess Pro und Kontra zu Wort kommen und näherte sich im Haupttext genau diesen Fragen. Dass die Homöopathie helfe, habe mit dem Effekt der Spontanheilung zu tun, also dem Umstand, dass die Beschwerden sich ohnehin gebessert hätten. Ausserdem spielten die Erwartungshaltung des Patienten eine Rolle, ebenso die weichen Faktoren wie Zuwendung vom Arzt, die Tatsache, dass Alternativmediziner ihre Patienten nicht nur als Krankheitsträger, sondern als individuelle Persönlichkeit wahrnähmen. Und dann eben Placebo, ein Effekt, der inzwischen neurologisch immer besser nachgewiesen ist. Allerdings käme dieser Effekt eben auch bei der klassischen Medizin zum Tragen. 20–50 Prozent jeder Medikamentenwirkung sei auf den Placebo-Effekt zurückzuführen.
Überzeugte Gegner der alternativen Heilmethoden werden sich natürlich auch durch solche Argumente nicht umstimmen lassen. Sie bleiben dabei, dass die alternative Medizin auf Dogmen beruht, die einer rationalen Prüfung nicht standhalten. Trotzdem hilft sie – und zwar nicht nur Homöopathie, sondern auch die traditionelle chinesische Medizin oder Phytotherapie. Und zuletzt: Wenn sich etwas nicht mit den geläufigen Erfassungsmethoden nachweisen lässt, muss man dann notwendig daraus schliessen, dass es nicht existiert? Eben.
Nachdem der Bundesrat die alternativen Heilmethoden aus der Grundversicherung gekippt, das Volk sich aber vergangenes Jahr dafür ausgesprochen hat, die Alternativmedizin zu fördern, hat die Eidgenössische Leistungskommission Anfang Dezember nun beschlossen, keine der gestrichenen alternativen Methoden wieder in den Katalog aufzunehmen – und setzt sich damit über den Volkswillen hinweg. Der Ball liegt nun beim Departement Burkhalter, das die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen muss, dass dies geschehen kann. Was meinen Sie? Gehören die alternativen Heilmethoden in die Grundversicherung?
Mi, 16 Sep 2009
Vergangenen Samstag feierte meine Tochter ihren achten Geburtstag. Eine Party wie ein Erdbeben - meinten zumindest die Nachbarn. Mein Mann bediente die Plattenspieler, die Kindern schleuderten ihre Gliedmassen durch die Gegend und die Luft war getränkt mit den Ausdünstungen kindlicher Begeisterung. Irgendwann rotteten sich drei Freundinnen meiner Tochter in einer Ecke zusammen, wo sie kicherten und tuschelten. Aus den wie eine Schafherde durch den Raum stiebenden Worten konnte ich herausfiltern, dass M. in S. verliebt ist und die beiden sogar schon sexy gemacht hätten. M. begrinste die Kolportage schelmisch, um dann darüber aufzuklären, dass sie zwar bei S. geschlafen, aber nicht mit ihm sexy gemacht habe.
Ich konnte mein Gesicht, eben noch im seligen Gleitflug über die Berggipfel erfüllten Mutterglücks begriffen, gerade noch vor dem Absturz auf den geschundenen Fussboden bewahren. Sexy machen? Mit Acht?
Man weiss es ja. Kinder sind heute frühreif, Sex ist allgegenwärtig, Aufklärung kann nicht früh genug beginnen, am besten schon im Mutterleib, nur altersgerecht soll sie sein. Aber selbst wenn man, wie ich von mir behaupten würde, ein relativ entspanntes Verhältnis zur eigenen Sexualität hat, ist das gar nicht so einfach. Bei uns zu Hause wissen alle, wie der andere nackt aussieht. Meine Kinder können ihre Geschlechtsteile korrekt benennen und wissen, dass Kinder entstehen, wenn Mann und Frau Schnäbeli und Schnäggli zusammenstecken. Sie haben diese Fakten so gleichmütig zur Kenntnis genommen wie die Tatsache, dass die Erde einst von Dinosauriern bevölkert war. Aber eben, das ist bloss Theorie. Der Treibsand beginnt dort, wo die Sexualität auf das Soziale trifft.
Bislang hielt ich mich an die Devise, dass ich meine Kinder über jene Dinge in Kenntnis setze, für die sie sich interessieren. Nun interessiert sich meine Tochter zwar für Jungs – sie spielt mit ihnen Fussball, rennt mit ihnen um die Wette und will ansonsten einfach im Mittelpunkt stehen – aber weibliche Rollenmuster liegen ihr fern. Von Verführung hat sie so wenig Ahnung, wie von sexy und Co. Was an und für sich kein Problem ist. Doch seit vergangenem Samstag frage ich mich, ob das nicht allenfalls zu einem sozialen Defizit führen könnte unter Freundinnen, für die sexy machen die logische Folge kindlichen Schwärmens für einen Vertreter des anderen Geschlechts ist. Und ob ich einen Fehler begehe, wenn ich sie über die emotionale und soziale Dimension von sexy im Dunkeln lasse.
Mit der Aufklärung ist es ähnlich, wie mit der Steuererklärung. Selbst wenn man grundsätzlich einsieht, dass man dieser Pflicht nachzukommen hat, ergreift man nicht gerade jede sich bietende Gelegenheit dazu. Laut einer deutschen Studie ist das aber die Aufgabe der Mutter. Und Kinder haben grosses Interesse daran. 70 Prozent der befragten acht- bis neunjährigen Mädchen gaben an, gern mehr darüber wissen zu wollen, was an diesen Gefühlen so schön sein kann.
Bezüglich meiner Tochter stellt sich das Problem so: Wie umfangreich kläre ich auf und nach welchen Kriterien? Gibt die körperliche oder die seelische Reife den Ausschlag dazu? Das Interesse am Thema oder die Umwelt, die damit ankommt wie die Kreuzritter mit ihrem Schwertern vor den Toren Jerusalems? Reicht das Wissen über die Tatsache, dass auf der Erde einst Dinosaurier lebten, oder müsste ich meine Tochter darauf hinweisen, dass sie mitten im Jurassic Park lebt? Oder soll ich darauf vertrauen, dass sie das selber früh genug merkt? Und wie entscheiden Sie, liebe Leserinnen und Leser, punkto Aufklärung über den richtigen Zeitpunkt und die Dimension dieser Informationen?
Di, 28 Jul 2009
Was sich da draussen im Moment als Sommer ausgibt, hat mit dieser Jahreszeit so viel zu tun wie ein Taucheranzug mit Reizwäsche. Niemand ist begeistert, wenn er den Juli in Gummistiefeln und Winterjacke verbringen muss, statt sich in Sonnenöl und Bikini am See zu wälzen. Und so ist jetzt allenthalben wieder das grosse Lamento über den Sommer in der Schweiz zu hören, werden Brandreden gegen Petrus geführt, geraten Wettermoderatoren unter Verdacht, eine unerklärlich Schuld am feuchten Desaster zu tragen - wobei die Nörgler gefliessentlich vergessen, dass sie sich vor kaum zwei Monaten über die draussen herrschende, viel zu früh eingetroffene Hitze beklagten.
Deshalb wollen wir mal eine Disziplin bemühen, die wir als berufstätige Eltern in Perfektion beherrschen, nämlich, aus der Not eine Tugend zu machen, und hier Gründe aufführen, warum so ein verregneter Sommer durchaus auch gute Seiten hat - vor allem für Eltern, deren Kinder Ferien haben, während sie selber im Büro krampfen müssen:
Als Mutter kenne ich mich mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndromen und Hyperaktivität bestens aus - die vor allem mich selbst bzw. meinen mütterlichen Drang betreffen, mit den Kindern etwas zu unternehmen. Überzeugt von den positiven Wirkungen von Frischluftaktivitäten, komme ich im Sommer jeweils in Zugzwang. Denn weil diese Jahreszeit in der Schweiz ein meist kurz befristetes Dasein führt und so viele Freizeitmöglichkeiten bietet wie sonst kaum eine, versetzt sie mich jeweils in Dauerstress: Unablässig müssen irgendwelche Badeanlagen aufgesucht, Feuerchen im Wald entfacht, Würste gebraten und verzehrt werden, und hey, es ist nur einmal Sommer, warum nicht auch gleich draussen übernachten? Von diesem Stress hat mich der heurige Sommer nachhaltig entlastet. Statt nach einer anstrengenden Arbeitswoche an den Wochenenden mit Rucksäcken und Zeltstangen hantieren zu müssen, kann ich mich nochmals im Bett umdrehen und muss mir erst gegen Mittag überlegen, wie man das Wochenende mit der Familie verbringen könnte.
Wer wie ich von Perfektion bezüglich Haushalt so weit entfernt ist wie ein Käsesandwich von einem Gault-Millau-Menü, der kann den feuchten Sommermonaten immerhin so viel abgewinnen, dass er aus Mangel an anderen Beschäftigungen Zeit hat, all das Liegengebliebene zu erledigen. Zum Beispiel den Frühjahrsputz, den man vor ein paar Monaten allerhöchstens halbbatzig erledigt hat, noch ein bisschen nachzubessern: Keller ausräumen, Kleider neu sortieren, Schränke herausputzen kann ganz vergnüglich sein, wenn sich als Alternativen nur Hallenbadbesuche anbieten. Und falls sich Sonne und Wärme wider Erwarten doch bald noch einstellen sollten, kann man sie mit umso besserem Gewissen geniessen.
Wer will schon immer nur unter der Hitze stöhnen, Eis essen, und damit zufrieden sein, sich jede halbe Stunde im kalten Wasser abzukühlen? Ok, die meisten von uns, was aber nicht heisst, dass nicht auch ab und zu eine paradoxe Intervention Spass machen kann: Raclette essen im Sommer, ein schönes warmes Bad nehmen, den ganzen Tag im Bett herumhängen und lesen oder an einem verregneten Nachmittag sich die Extravaganz erlauben, zwei Filme hintereinander anzusehen - und dabei eine heisse Schokolade zu schlürfen. Und das alles ganz ohne schlechtes Gewissen und im Bewusstsein, dass so viel Schonung der Kräfte nur in einer absolut gesteigerten Energiezufuhr im Herbst resultieren kann. Denn was will man, gegen das Wetter hat niemand eine Chance, warum also sich grämen?
P.S.: Das schreibe ich alles nur, weil ich ohnehin arbeiten muss. Aber nächste Woche habe ich Ferien, die ich in der Schweiz verbringen werde und wenn dieses Sch****-Wetter sich dann nicht augenblicklich bessert, dann, dann, dann …
Di, 01 Sep 2009
Einer der häufigsten Sätze, den ich in Gesprächen mit Müttern höre, lautet: «Also manchmal frage ich mich schon.» Nun ist Fragen stellen grundsätzlich gut. Und Neumütter bewegen sich durch ein wahres Labyrinth von Fragen. Sie fragen sich etwa, ob es noch zu früh ist, um das schreiende Baby schon wieder an die Brust zu setzen, ob das tränende Auge des Kleinen einen Arztbesuch erfordert und ob sie wohl je wieder etwas anderes als erschöpft sein werden.
Am meisten aber fällt oben genannter Satz nicht, wenn es um das Baby, sondern um den einst Angebeteten, dann Angetrauten und plötzlich allzu vertrauten Mann geht. Und der Satz fällt wie ein Beil. Denn Neuväter scheinen für Neumütter ein steter Quell der Rätsel zu sein, die unter den Tonnen von Stress, die ein Baby mit sich bringt, zu Ärger sedimentieren. Viel, viel Ärger.
Eine neuere amerikanische Studie fasst ihn in Zahlen (eine befreundete Therapeutin vermutete mir gegenüber, dass in der Schweiz ähnliche Verhältnisse herrschten). 46 Prozent der Mütter sind mehr als einmal die Woche wütend auf ihren Partner. Bei Müttern mit Kleinkinder sind es sogar 54 Prozent.
Und zwar sind die Mütter wütend, weil:
sie glauben, den Männern fehle das Sensorium für die im Haushalt oder bezüglich der Kinder anfallende Arbeit. sie finden, ihre Männer wüssten gar nicht richtig, wie mit den Kindern umgehen.
sie feststellen, dass ihre Männer unfähig sind zum Multitasking. Je mehr Kinder die Mütter haben, desto mehr kreiden sie diesen Punkt an.
die Männer scheinbar auch ahnungslos bezüglich kindlicher Basisbedürfnisse wie Essen oder Kleidung sind.
Vor allem aber beklagt sich ein Drittel aller Mütter, ihr Leben haben sich mehr verändert, als das ihrer Gatten. Und 60 Prozent der Mütter finden, ihre Männer hätten mehr Freizeit und sie selber benötigten dringend auch mehr.
Nun soll es in diesem Blog nicht einmal mehr darum gehen, die leidige Frage zu diskutieren, wer von den Geschlechtern mehr schuftet und wer der ärmere Hund ist, der Haus- oder Erwerbsarbeitssklave. Meine Frage ist psychologisch. Nämlich: Warum hört man so oft die Mütter klagen, derweil Jungväter, nach ihrem Befinden befragt, meist eitel Sonnenschein sind? Liegt es daran, dass Männer sich keine Fragen, sondern den Herausforderungen des Lebens stellen, während Frauen jede Situation zu optimieren versuchen?
Frauen ihre Gefühle besser erkennen und benennen können und sie auch kommunizieren, während Männer ihren Ärger gar nicht erkennen?
Männer angesichts eines Babys und seiner Bedürfnisse tatsächlich wie der Ochs am Berg stehen und bloss die Aussicht geniessen, statt bei der Arbeit anzupacken?
Männer ihre Fragen und ihren Ärger eher bei andern Männern deponieren, er mir also bloss nicht zu Ohren kommt?
Oder sind am Ende die Veränderungen für Männer tatsächlich einfach weniger gravierend und es fällt ihnen also leichter, sich in die neuen Lebensumstände einzufügen?
Mi, 22 Sept 2010
In unserem Haushalt liegt zuweilen Geld herum. Wechselgeld von der Bäckerei, Zwanzig-, Fünfzigrappenstücke. Und manchmal schnappt sich mein Junge eine dieser Münzen und sagt: «Haha! Ich bin reich! Jetzt kauf ich mir die Welt.» Er schleppt seinen Schatz in der Wohnung herum, vergräbt ihn auf der imaginären Insel und vergisst ihn, weil er von Piraten angegriffen wird. Das ist natürlich falsch. Kinder sollten den Umgang mit Geld lernen. Deshalb gibt man ihnen Taschengeld. Ein Franken wöchentlich der Kleine, zwei die Grosse. Dafür haben sie ein Ämtli zu erledigen. So die Theorie. Die Praxis sieht etwas anders aus.
Das Problem ist: meine Kinder sprechen auf monetäre Verlockungen nicht besonders gut an. Weshalb sie auch nicht recht einsehen, weshalb sie die damit verknüpfte Leistung erbringen sollen, was zu endlosen Disputen führt. Was wiederum zur Folge hat, dass wir Eltern die Hälfte der Zeit verdrängen, dass die Kinder ihr Ämtli machen sollten und sie wiederum nur sporadisch das ihnen zugedachte Taschengeld einfordern. Ja, ich höre sie schon da draussen: erziehungstechnischer Supergau, Autorität in Gefahr und ohnehin ist es falsch, Lohn mit Leistung zu verknüpfen. Aber das ist doch die eigentliche Lektion, die da draussen wartet. Wie Prince sagt: «Money talks and what does it say? You better get busy if you wanna get paid.»
Und wie meistens, wenn man Kindern etwas beibringen will, lernt man etwas über sich selbst. Ich gebe meinen Kindern Geld, und versuche sie gleichzeitig zu instruieren, wie es einzusetzen ist. Nämlich mit Bedacht und sinnvoll. Aber da ich als Mutter für das meiste aufkomme, was ich für meine Kinder sinnvoll finde, können sie es lediglich für Dinge ausgeben, die ich nicht befürworte. Ihren Saccharinspiegel zu tunen beispielsweise. Das Sinnvollste, was mir bezüglich meiner Kinder und Taschengeld einfällt, ist dass sie es ins Sparschwein legen. Die innerweltliche Askese - der olle Calvin hätte seine helle Freude an mir.
Ich weiss nicht, woher diese schweizerische Sparmoral kommt und ich weiss auch nicht, ob sie sinnvoll ist. Vielleicht wirkt die Geschichte meines Vaters nach. Er wollte als Kind Bauer werden und deshalb legte er seine wöchentlichen 20 Rappen eisern auf die hohe Kante, um sich später eine Kuh zu kaufen. Die Kuh hatte dann zwei Räder und einen 125er-Motor. Aber dann wurde er Arzt und bekam vier Kinder und da hat man keine Zeit, sich noch um eine Kuh zu kümmern. Manchmal sagen meine Kinder, sie würden ihr Geld einem Erfinder geben, der für sie fliegende Besen entwickeln wird. Da müssten sie ihre Einfränkler allerdings sehr lange sparen, bis eine Investition sich lohnt, denke ich.
Ich besprach das Thema mit einer Freundin. Sie ist mit Kühen aufgewachsen, als ältestes von 15 Kindern, auf einer Farm im Mittleren Westen der USA. Die Eltern konnten sich schlicht nicht leisten, ihren Kindern Geld zuzustecken, was sie nicht daran hinderte, ein vernünftige Verhältnis zu Geld zu entwickeln. Sie gibt ihren Jungen kein Taschengeld. Wie meine Kinder sind auch ihre Söhne noch nicht in einem Alter, das die Finanzfrage eine soziale Komponente hat, die Jungs sich also mit Freunden in der Stadt frei bewegen. Wie viel Geld sie dann erhalten sollten, würden sie und ihr Mann sich zum gegebenen Zeitpunkt fragen. Eigentlich hat sie recht, sagte ich mir. Vielleicht ist es tatsächlich sinnvoller, Kindern erst dann Geld zu geben, wenn sie einen Begriff davon haben.
Aber vielleicht ist die Frage auch gar nicht so wichtig. Die Kinder werden zur richtigen Zeit begreifen, denkt man und muss dann realisieren, dass dies längst schon geschehen ist. So ging es mir neulich in der Bäckerei. Ich erklärte dem sechsjährigen Sohn, dass fast immer Geld im Spiel ist, nicht nur wenn man Münzen für Brot wechselt, sondern auch fürs wohnen, telefonieren, Musikhören. «Hui», sagte er. «Ich glaub, ich flieg gleich weg. Hast du etwa die Schwerkraftrechnung nicht bezahlt?»
Di, 15 Dez 2010
Zu den Pflichten einer Schwangeren gehört der Geburtsvorbereitungskurs, bei dem in der Schwangeren-Runde die Geheimnisse der Wehen-Beatmung gelüftet werden. So stelle ich es mir jedenfalls vor, denn ich habe nie einen besucht. Er fehlte mir auch nie. Was mir als Vorbereitung auf die Mutterschaft aber schmerzlich fehlte, war ein Kinder-Erste-Hilfe-Kurs. Denn in meiner mittlerweile achtjährigen Mutter-Karriere durfte ich zahlreichen Unfällen beiwohnen, bei denen Haut und Zähne auf der Strecke blieben. Und deshalb lasse ich Sie nun an meinem doch schon reichen Erfahrungsschatz teilhaben mit ein paar Tipps, worauf man im Falle eines Falles achten muss.
Das Simple ist zugleich das Schwierigste: Nicht in Panik geraten. Natürlich ist der Schock gross, wenn einem das Blut das eigenen Kindes um die Ohren spritzt, aber sie helfen ihm wenig, wenn sie in Ohnmacht fallen und nach Riechsalz verlangen. Mutterschaft (Vaterschaft natürlich auch) ist in diesen Fällen ein Dirty Job und Sie sind die Idealbesetzung. Also bleiben Sie ruhig. Erinnern Sie sich an die Geburtsvorbereitung, atmen Sie tief durch und versuchen Sie, von ihren Gefühlen zu abstrahieren. Dann zwingen Sie sich, genau hinzusehen, welcher Art die Verletzung ist, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Bei grösseren Platzwunden, Stürzen auf den Kopf und Zahnverletzungen gilt: Sofort zum Arzt. Rufen Sie an und nehmen Sie ein Taxi. Erstens könnte ihre Fahrtüchtigkeit durch den Schock beeinträchtigt sein und zweitens können Sie ihr Kind beruhigen, wenn Sie nicht selber am Steuer sitzen.
Wenn kleine Kinder sich verschlucken, macht das Mutterherz seinerseits gern einen Luftsprung. In den meisten Fällen ist der Schreck schlimmer als der Schaden und es genügen ein paar Schläge mit der flachen Hand gegen die Schulterblätter. Besteht jedoch akute Erstickungsgefahr, ist das Heimlich-Manöver angesagt. Dabei umfasst man von hinten den Oberbauch des Kindes und platziert eine Faust unterhalb der Rippen im Bauchraum. Mit der anderen Hand erfasst man diese und führt sie mit einem kräftigen Stoss nach hinten und oben. Durch den so erzeugten Druck kann der Fremdkörper durch die Luftröhre hinaus befördert werden. Nicht angezeigt ist das Heimlich-Manöver bei Kindern unter einem Jahr, wenn eine Fischgräte verschluckt wurde oder Wasser in der Lunge ist.
Ausgeschlagene Zähne können wieder eingesetzt werden, wenn man richtig und schnell reagiert. Entscheidend ist es, den Zahn feucht zu halten, damit die Zellen nicht absterben und der Zahn wieder am Kiefer anwachsen kann. Suchen Sie also zuerst den Zahn und geben Sie acht, die Wurzeloberfläche nicht zu berühren. Dann legen Sie den Zahn in eine Zahnrettungsbox, die Sie natürlich nicht zur Hand haben. Alternativ können Sie den Zahn in eine sterile Kochsalzlösung (aus der Apotheke) oder in Milch einlegen (H-Milch, aber keine Vollmilch) oder in eine Kunststoff-Folie einwickeln. Ungeeignet sind Wasser und Speichel. Dann rufen Sie den Zahnarzt an und fahren so schnell wie möglich hin.
Gerade bei Zahnärzten ist der Punkt mit dem Ruhig-Bleiben besonders wichtig, denn Zahnärzte haben mit Kindern meist kaum Erfahrung und sind deshalb selber sehr nervös. Beruhigen Sie also zuerst sich, dann ihr Kind, dann den Zahnarzt, sonst fahren Sie nämlich weiter ins Kinderspital und verlieren wertvolle Zeit.Auch Platzwunden am Kopf oder im Gesicht kommen bei Kindern häufig vor. Sie bluten meist stark, weil die Kopfhaut gut durchblutet ist. Auch hier gilt es, genau hinzusehen. Ist der Schädel nicht verletzt, machen Sie mit einem Verbands- oder Mullpäckchen einen Druckverband, um die Blutung zu stillen. Dann fahren Sie möglichst schnell zum Arzt.
Di, 7 Apr 2009