Impressum
© 2017 Wachholtz Verlag – Murmann Publishers, Kiel/Hamburg
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Autor: Michael Kamp
Mitarbeit: Sonja Wiegand, Andreas Kamp, Christian Modler, Stefanie Knebelspieß
Neumann & Kamp Historische Projekte
Redaktion: Jasmin Jonietz, Sarah-Christin König, Laura Bachmann, Julia Schmidt, Stefanie Weiß
Layout und Satz: Anne Dreesbach
Redaktionsschluss: August 2017
Gesamtherstellung: Wachholtz Verlag
Printed in Germany
ISBN 978-3-529-06369-5
eISBN 978-3-529-09250-3
Besuchen Sie uns im Internet: www.wachholtz-verlag.de
Erfinder, Unternehmer, Bürger
1870 bis 1928
Einleitung
Bernhard Dräger – Mensch, Beruf, Familie, Alltag
Kapitel 1
Kindheit und Jugend 1870 bis 1888
Das Jahr 1870
Die Vorfahren und die Tradition der Feinmechanik
Des Vaters Schulzeit, Beruf und Familiengründung
Bernhard Drägers Kindheitsjahre in Kirchwerder
Umzug nach Bergedorf 1881
Atmosphäre des Tüftelns im Elternhaus
Neuanfang der Familie in Lübeck 1886
Bernhard Drägers Schulzeit auf dem Katharineum
Kapitel 2
Unternehmensgründung und Berliner Studienzeit 1888 bis 1896
Lehre, Firmengründung und Erfindung des Lubeca-Ventils 1888/89
Umzüge und Bernhard Drägers kaufmännische Ausbildung
Die »Argonauten« und verbesserte Ventile
Prokura, Bürgerrecht und Studienbeginn in Berlin 1893
Arbeit für das Unternehmen während der Berliner Zeit
Neue Ventile, Vertrieb in Berlin und Großstadtleben
Auf der Deutsch-Nordischen Handels- und Industrie-Ausstellung 1895 in Lübeck
Miteigentümer eines Bierverlags und Entwicklung des Leuchtgasbrenners
Normierungsansätze und Teilhaberschaft 1896
Kapitel 3
Familiengründung und Sauerstoffwende 1896 bis 1901
Bernhard Drägers Begegnung mit Elfriede Stange
Die Familien Stange und Sonder
Bernhard und Elfriede werden ein Paar
Bernhards und Elfriedes Hochzeit 1897
Bau der Villa Elfriede und Geburt des ersten Kindes
Fabrikneubau 1898 und verbesserte Reduzierventile
Mit Oxygen-Automat und Finimeter zum Sauerstoff
Die Entwicklung des Knallgasbrenners 1900/1901 und das Injektorprinzip
Kapitel 4
Der Ausbau des Sauerstoffbereichs 1901 bis 1909
Bernhard Drägers Entwicklungsarbeiten zum Atemschutz 1901
Sauerstoff für die Medizin – Roth-Dräger-Apparat und Inhalationsgeräte
Familienzuwachs und Familienzusammenhalt
Bernhard Dräger als Arbeitgeber
Geräte für Ballonfahrten und Flugzeuge
Das Bergwerksunglück im nordfranzösischen Courrières 1906
Weiterentwicklungen von Schweiß- und Schneidbrennern
Neue Projektionsapparate
USA-Reise 1907, Bildungsideen und der gesunde Körper
Das Wiederbelebungsgerät Pulmotor 1907
Freizeit, Erholung und das Segeln
Produktvielfalt und erste Erweiterung der Fabrik 1908
Das Ende der Kohlensäure-Ära und Generationenwechsel
Autochrome Fotografien von Bernhard Dräger
Kapitel 5
Der Bau der Villa Finkenberg 1910 bis 1914
Planung der Villa Finkenberg 1910
Die beiden Schwäger Carl Mühlenpfordt und Walter Gräfenhahn
Lufterneuerungsanlagen für U-Boote und Luftmessgeräte
Tauchretter und Taucherapparate
Schwierigkeiten in den USA 1911
Weiterplanung Finkenberg und zweite Fabrikerweiterung
Haase-Lampe und die Literarische Abteilung des Drägerwerks 1912
Der Garten der Villa Finkenberg
Betriebsorganisation und enge Mitarbeiter 1913
Fertigstellung und Einrichtung der Villa Finkenberg
Kapitel 6
Unternehmen und Familie während des Ersten Weltkriegs 1914 bis 1918
Die Familie Dräger und der Kriegsbeginn 1914
Der Dräger-Tübben-Selbstretter für den Gaskrieg
Einzug in die Villa Finkenberg und erneut Schwierigkeiten in den USA
Gasschutzmasken aus dem Drägerwerk 1915
Lieferungen an die Marine und der Kontakt zu Max Valentiner
Materialknappheit, Personalprobleme und Frauenarbeit
Das Heeres-Sauerstoff-Schutz-Gerät Modell 1916
Sohn Heinrich beim Militär und Bernhard Drägers Ehrendoktorwürde
Dritte Vergrößerung des Drägerwerks
Der Tod des Vaters 1917
Gut Nütschau und die Situation an der Heimatfront
Sorge um den Sohn
Die letzten Kriegsmonate 1918
Kapitel 7
Die kräftezehrenden Nachkriegsjahre 1918 bis 1924
Revolution und Waffenstillstand
Rückkehr des Sohnes Heinrich und Umstellung auf Friedenswirtschaft
Auseinandersetzungen mit der Arbeiterschaft
Weitere Entlassungen im Herbst 1919
Aufschwung mit Stammbelegschaft und Auslandsgeschäft
Kriegsabgabe, Reichsnotopfer, Einkommen- und Vermögensteuer
Amerika-Reise 1921
Injektor- und Pulmotor-Streit und neue Dräger-Atemgeräte
Krankheiten und Erholung
Drohende Zwangsenteignung in Nütschau und Heinrichs neuer Weg
Ruhrkrise, Hyperinflation und Stilllegung des Drägerwerks 1923
Wiederaufnahme der Produktion 1924
Wirtschaftsbürger und Wirtschaftselite
Aristokratisierung
Kapitel 8
Unternehmen und Familie, Krankheit und Tod 1925 bis 1928
Unternehmensärger und Familienfreuden 1925
Neuer Selbstretter, neue Narkosegeräte
Wiederaufnahme der Gasschutzmaskenproduktion
Freunde, Familie und das erste Enkelkind
Eintritt des Sohnes Heinrich ins Unternehmen und Aufschwung 1927
Anzeichen der Erschöpfung, Erholungsreisen und Kuraufenthalte
Der 12. Januar 1928
Trauerfeierlichkeiten, Beileidsbekundungen und Nachrufe
Der Sohn tritt die Nachfolge an
Nachwort
Bernhard Dräger – Mensch und Vermächtnis
Literatur- und Quellenverzeichnis
Personenregister
Sachregister
Bernhard Dräger, 1923. Das Gemälde ist ein Werk des Malers Heinrich Lucas. Es befindet sich im Familienbesitz und hängt heute in der Villa Finkenberg in Lübeck.
Bernhard Drägers Schaffensphase umspannt einen Zeitraum von etwa 40 Jahren, beginnend in den späten 1880er Jahren bis zu seinem Tod 1928. In Deutschland hatten zu jener Zeit Erfindergeist, Ingenieurskunst, Wissenschaft und Forschung einen Höhepunkt erreicht, untrennbar mit Namen wie Werner von Siemens, Robert Bosch, Gottlieb Daimler, Carl Benz, Rudolf Diesel, Ferdinand Graf von Zeppelin, Konrad Röntgen, Fritz Haber, Max Planck und Albert Einstein verbunden.1 Bekannt wie diese Persönlichkeiten war Bernhard Dräger freilich nicht, was ihm in seiner zurückhaltenden Art sicher auch sehr recht war, doch wie etwa Ferdinand Graf von Zeppelin auf dem Gebiet des Luftschiffbaus oder Rudolf Diesel im Motorenbau war Bernhard Dräger ohne Frage auf seinem Gebiet, dem Gasschutz und der Beatmung in der Medizin, ein Spezialist, ein Mann, der im Bereich des Rettungswesens mit bahnbrechenden Konstruktionen weltweit Rang und Namen erlangte.
Sein Wirken war entscheidend für die Entwicklung des noch heute international agierenden Drägerwerks. Er stellte die Weichen für die Zukunftsfähigkeit und den Erfolg des Unternehmens. Seine Erfindungen waren maßgeblich für den Fortschritt des Atemschutzes, der Anästhesie, der Schweißtechnik und auch der Tauchtechnik. Weite Bereiche der Industrie konnten mithilfe der von ihm erfundenen und zur Marktreife geformten Techniken vorangebracht werden und somit effektiver und sicherer arbeiten. Darüber hinaus waren er und sein Unternehmen von Bedeutung für die Stadt Lübeck, in der er als etablierter Bürger Akzente in der Politik und der Förderung des Gemeinwohls setzte. Nicht zuletzt war er über Jahrzehnte Mittelpunkt der Familie Dräger und prägte mit seiner Arbeit auch sein direktes persönliches Umfeld, zu dem neben engsten Familienmitgliedern auch Verwandte, Freunde und Bekannte gehörten.
Damit sind auch schon die Ebenen benannt, die in der vorliegenden Biografie behandelt werden. Es geht um Bernhard Dräger, den Unternehmer, den Erfinder und Techniker, aber auch um den Bürger und schließlich um den Sohn, Bruder, Ehemann, Vater, also um den Familienmenschen. Und er ist Zeuge seiner Zeit: Geboren kurz vor der Gründung des Deutschen Kaiserreichs erlebte er den Ersten Weltkrieg, die Revolution 1918/19, die Gründung der Weimarer Republik und die Zwischenkriegsjahre.
Eine Besonderheit, die diese Biografie auszeichnet, ist das ungeheuer dichte Archivmaterial, das verwendet werden konnte. Die umfangreichen Quellen ermöglichen vielfältige, detaillierte Einblicke, so etwa in Betriebsabläufe des Unternehmens, in das Verhältnis von Firmenleitung zur Arbeiterschaft, in Arbeitsbedingungen, Fabrikarchitektur, Arbeitsorganisation und Arbeitsalltag. Auch die Forschungsarbeit, technische Entwick-lungs- und Versuchsarbeiten sowie die wissenschaftliche Kommunikation über die Themen, die Bernhard Dräger bearbeitete, sind umfassend und detailreich dokumentiert. Rechtliche Zusammenhänge wie Patentangelegenheiten, Fragen der Markterschließung, der Werbung, der Kundenkommunikation und die Schwierigkeiten, die mit all dem verbunden waren, können mithilfe der Quellen betrachtet werden. Das Material belegt zudem die Auswirkungen politischer Veränderungen, wie die des Ersten Weltkriegs, der Revolution von 1918/19 oder etwa die der Hyperinflation, auf Bernhard Dräger, seine Familie und das Unternehmen. Die Quellen ermöglichen zudem, politische und religiöse Anschauungen der Protagonisten darzustellen und deren Ideen von Bildung, Kunst und Architektur zu beschreiben.
Das Material ist so ergiebig, dass in allen Bereichen eine Alltagsgeschichte geschrieben werden kann: Der Alltag im Unternehmen wird genauso rekonstruiert wie der Alltag in der Familie. Durch das Archivmaterial gelingt es, den Privatmenschen, den Familienmenschen Bernhard Dräger darzustellen. Das beginnt mit Schule und Schulproblemen, reicht über Reisen, Studentenleben in Berlin, Freundschaften, Freizeitgestaltung wie Sport, Fotografieren und Filmen, über Liebe und Ehe, Sohn-Vater-Konflikte und Sohn-Vater-Innigkeit bis hin zu Kindererziehung, Ausbildung der Kinder, Familienvorstellungen, Essen, Trinken und Geschlechterrollen in der bürgerlichen Familie.2
Von bedeutenden Persönlichkeiten gibt es gemeinhin in erster Linie Berufsbiografien. Auch die Biografie von Bernhard Dräger ist eine solche, aber sie möchte mehr sein, sie ist der Versuch einer umfassenden Darstellung eines Lebens. Sie hat den Anspruch, eine Beschreibung der Zeit zu sein, in der Bernhard Dräger lebte, sie hat den Anspruch, einen Menschen und eine Familie in ihren Lebensumständen und in ihren Alltagssorgen und -freuden darzustellen.
Mag sein, dass einige Passagen episodenhaft erscheinen, aber die lebensnahe Beschreibung hat eine klare Funktion: Sie soll dazu führen, dass die Leserinnen und Leser den Protagonisten begleiten können. Sie sollen das Gefühl bekommen, sie würden in seine Welt eintauchen. Hierfür wird auch in vielen Fällen der O-Ton der handelnden Personen der Paraphrase vorgezogen. Die Personen sollen sprechen und sie sollen gehört werden. Diese Vorgehensweise steht der Analyse, der Beschreibung auf theoretischen Ebenen und der Einbettung in übergeordnete Zusammenhänge nicht entgegen, im Gegenteil: Sich den Menschen geradezu bildlich und lebendig vorzustellen, ihm nahezukommen und dann für Momente der Betrachtung aus der Vergangenheit herauszutreten, um in Zusammenhängen zu denken, erscheint als besondere Form des Verstehens.
Das Quellenmaterial erlaubt es, Bernhard Dräger in fast allen Facetten seines Lebens darzustellen. Ein ganzheitlicher Blick wird versucht, der auch weit in das Private und Persönliche hineinreicht. So sind etwa Liebe, Gefühlswelten, persönliche Konflikte, Körper, Gesundheit, Krankheit und Tod durchaus Themen, die angesprochen werden. Dabei gilt, dass eine Grenze gewahrt bleiben muss. Es wird mit Taktgefühl erzählt; zu intim darf die private Seite nicht beleuchtet werden. Krankheit etwa ist zwar Gegenstand der Darstellung, soll aber nicht zu detailliert ausgeführt werden.
Die Verarbeitung der Quellen und die Darstellungen der Personen geschahen durchaus wohlwollend, verständnisvoll, weil sich aus der intensiven Arbeit Sympathien für die Protagonisten entwickelt haben. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Personen unkritisch gesehen werden. Es gilt, auch Probleme und Schwierigkeiten zu erkennen und bestimmte Handlungsweisen zu hinterfragen. Auf Nähe folgt in Wechselwirkung immer wieder betrachtende Distanz.
Die Biografie über Bernhard Dräger versteht sich als Beitrag zur Unternehmer-Geschichtsschreibung, in der wirtschaftliche Prozesse sowie sozial- und allgemeinhistorische Zusammenhänge in Beziehung zueinander gesetzt werden. Unternehmergeschichte ist zugleich auch immer Unternehmensgeschichte, wobei hier stets darauf geachtet wird, dass die Hauptperson Bernhard Dräger im Zentrum der Betrachtung bleibt. Die Biografie soll auch ein Beitrag zur Technikgeschichte auf den Gebieten Atemschutztechnik, Schweißtechnik, Projektionstechnik, Narkosetechnik und Tauchtechnik sein. Werke zur Geschichte dieser Fachbereiche kommen am Drägerwerk nicht vorbei, also auch nicht an dem Erfinder Bernhard Dräger. Bisherige historische Darstellungen dieser Technikgebiete konnten, sofern es die Beiträge des Drägerwerks betrifft, nicht so in die Detailtiefe gehen, wie es hier geschieht.3
In dem Buch findet sich ebenso Material, das für Überlegungen zu Globalisierungstendenzen herangezogen werden kann, etwa auf technisch-wirtschaftlichem Gebiet in einem bestimmten Bereich. Die Organisation des Exports, der Aufbau von Vertretungen im Ausland und die frühe Etablierung eines Unternehmens in den USA sind Themen. Für die Erlangung des Wissens über die speziellen Techniken, für den Aufbau geschäftlicher Kontakte sowie für die Verbreitung von Produkten und wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse nutzte Bernhard Dräger Netzwerke, und er etablierte solche auch für sich. Dies ist ebenfalls Thema der Biografie. Insofern kann die Darstellung etwas zur Netzwerkforschung – auf empirischer Ebene zumindest – beisteuern.
Die vorliegende Biografie versteht sich zugleich als Beitrag zur Sozialgeschichte. Eine Person und eine gesamte Familie werden über fast 60 Jahre in ihrer Entwicklung, in ihrem Wirtschaften, Wohnen und Haushalten beschrieben. Für die weitere Forschung ergeben sich vielfältige Anknüpfungspunkte, um die dargestellte Lebenswelt der Familie Dräger für vergleichende und systematischere Studien heranzuziehen. Bezüge werden in der Biografie punktuell zwar hergestellt und sozialhistorische Dimensionen eröffnet, allerdings kann in einer Biografie diesbezüglich nicht alles systematisch ausgelotet werden. Das soll auch nicht geschehen, denn Bernhard Dräger wird nicht eingeordnet, sein Leben ist nicht Objekt der Geschichtswissenschaft, er bleibt Individuum.
Auch wenn es von Interesse ist, Zeitgeschehen und Zeitströmungen zu benennen, um Bernhard Dräger besser zu verstehen, und dabei Begriffe wie Kleinbürger oder Wirtschaftsbürger, Fortschrittsidee, Technikbegeisterung, Reformbewegung, liberal oder konservativ Verwendung finden, soll diesen begrifflichen Instrumenten nicht allzu viel Macht übertragen werden. Sie dienen nur als Anhaltspunkte zur Orientierung, wie Bernhard Dräger in einem Konglomerat von Haltungen, Werten und Ideen seiner Zeit zu verorten ist. Es geht darum, Verstehensräume zu schaffen, in denen sich die Leserinnen und Leser Bernhard Dräger vorstellen können, wie er sich darin bewegt und darin auch relativ frei ist. Er ist keinesfalls Gegenstand, sondern Mensch. Er ist nicht »Gegenstand« einer Betrachtung, sondern ihm wird ein Raum geboten, sich zu zeigen.
Ein solcher Interpretationsraum ist etwa das Narrativ des wirtschaftlichen und sozialen Aufstiegs: Bernhard Dräger gehört zu den Erfindern und Unternehmern des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, denen es gelang, ihre technische Begabung in Anwendung umzusetzen – und das in einem wirtschaftlich relevanten Maßstab.
Damit war ein außerordentlicher finanzieller und gesellschaftlicher Aufstieg verbunden, der in der Biografie dargestellt wird. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts war Bernhard Dräger wohlhabend, er verfügte über Ressourcen, die mit denen eines Durchschnittsbürgers im Deutschen Reich nicht vergleichbar waren. Sein Wohlstand ermöglichte ihm ein luxuriöses Leben. Mit dem Aufstiegsnarrativ wird aber keinesfalls eine Heroengeschichte geschrieben. Die Schwierigkeiten und Probleme waren vielfältig, es gab Momente des Scheiterns und der Resignation. Bernhard Dräger musste sich den Wohlstand hart erarbeiten.
Es ist notwendig, in der Frage harter Arbeit eine Vergleichsperspektive hinzuzuziehen, denn die Werktätigen in den Betrieben des Kaiserreichs und der Weimarer Zeit arbeiteten ebenfalls hart. Der Lohn, den sie dafür erhielten, war so bemessen, dass sie sich, wenn alles optimal verlief, eine halbwegs erträgliche Existenz aufbauen konnten. Ihre Lebensverhältnisse waren aber nicht vergleichbar mit jenen, in denen Bernhard Dräger lebte.
In der Kriegs- und Nachkriegszeit war Bernhard Dräger besonders gefordert. Obgleich er Gewinne machte, die dem Familienwohlstand zugute kamen, ist aus seinen überlieferten Beschreibungen, aus seinen vielen Briefen der hohe Druck, unter dem er stand, herauszulesen. Dies war die Realität Bernhard Drägers, die ihn belastete. Auch wenn andere Schicksale in Zeiten von Krieg, Armut und Verelendung von existenzieller Bedrohung und unermesslichem Leid geprägt waren, muss der Biograf den subjektiv empfundenen Kummer seines Protagonisten ernst nehmen.
Das Drägerwerk zog Gewinne aus dem Krieg, allerdings unter höchster Anspannung aller Kräfte. Letztlich zehrten die Jahre in hohem Maße an Bernhard Drägers Gesundheit. Krankheiten wurden häufiger, schließlich starb er vergleichsweise früh. Wenn dies alles dargestellt wird, soll damit keinesfalls ausgeblendet werden, welches Leid Krieg, Revolutionswirren und Inflation vor allem den ärmeren Schichten brachten.
Der Aufstieg und der Wohlstand waren wie gesagt hart erarbeitet, und dies geschah innerhalb sich stark wandelnder politisch-wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Arbeitsbelastung, Niederlagen und Enttäuschungen, aber auch der Erfolg, die Ehrungen und seine zunehmende Nähe zum Staat veränderten Bernhard Dräger. Während er vor dem Ersten Weltkrieg vergleichsweise zurückhaltend in der Präsentation des Erfolgs und Wohlstandes agierte, zeigte er Anfang der 1920er Jahre doch Züge einer zum Aristokratischen neigenden Lebenshaltung. Dies kann zum einen als Reaktion auf eine teilweise Entfremdung von der Arbeiterschaft und zum anderen als Ergebnis eines Zugehörigkeitsgefühls zu höheren Kreisen verstanden werden.
Wie bereits betont ist das Quellenmaterial außerordentlich ergiebig. Die Arbeit basiert in erster Linie auf dem reichen Quellenbestand im Familienarchiv und im Firmenarchiv. Die dort aufbewahrten Unterlagen sind eine Fundgrube für die Wirtschafts-, Technik- und auch Sozialgeschichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die Fülle ist derart, dass es eine Herausforderung war, der Informationsmenge Herr zu werden. Es mussten Schneisen geschlagen werden. Obgleich Familienarchiv und Firmenarchiv gut verzeichnet sind, fanden sich doch immer wieder Unterlagen, sei es im Unternehmen, sei es im Privatbereich, die außerhalb der Archive gelagert und für die Biografie relevant waren. Mit solchen Funden ist auch in Zukunft zu rechnen. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass das Gesamtbild stark verändert werden würde; solche Funde wären vielmehr interessante Ergänzungen.
In anderen Archiven wurde punktuell recherchiert, wenn es um die Beantwortung konkreter Fragen ging oder die Parallelüberlieferung gegengeprüft werden musste. Das waren etwa Recherchen im Archiv der Hansestadt Lübeck, im Archiv des Patentamtes München und im Bundesarchiv/Militärarchiv in Freiburg.
Um hier nur kursorisch einen Eindruck von der Güte des Quellenmaterials zu geben, seien einige Bestände erwähnt. Bernhard Dräger war 1893 als Student in Berlin und verfasste zahlreiche Briefe an seinen Vater, die über sein Studium, sein Arbeiten und auch seine Freizeitgestaltung Auskunft geben. Er hielt Vorträge zu Fragen der Kohlensäure- und Sauerstoffverwendung, die für die Technikgeschichte von Bedeutung sind. 1907 entstand in den USA eine Dependance des Drägerwerks. Der Briefwechsel mit den Verantwortlichen vor Ort ist eine faszinierende Quelle für die Wirtschaftsbeziehungen mit den USA. Vor allem die Sondersituation des Ersten Weltkriegs ist von besonderem Interesse. Die Briefe, die Bernhard Dräger von seinen USA-Reisen nach Hause schickte, sind nicht nur eine Quelle für die Wirtschaftsgeschichte, sondern auch für die Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Die Schriftwechsel mit der Medizinalabteilung des Kriegsministeriums, mit dem Reichsmarineamt, mit der Inspektion für das Torpedowesen geben Einblicke in die Organisation des Gaskrieges und in die Verwendung von Sauerstoffgeräten in U-Booten. Briefe von und an den U-Boot-Kapitän Max Valentiner ergänzen hier das Material. Ab 1915 begann Bernhard Dräger Niederschriften zu bestimmten Themen im Unternehmen zu verfassen. Diese sind gute Quellen für die Geschichte des Managements und auch der Betriebsverhältnisse. Herausragend ist der Briefwechsel von Elfriede und Bernhard Dräger mit ihrem Sohn Otto Heinrich während des Krieges. Die Bestände lassen es zu, sich ein Bild des Alltags an der Front und in der Heimat zu machen. Der Briefwechsel mit Bernhards Schwager Carl Mühlenpfordt vor allem in der Umbruchphase 1918/19 ist für die Beschreibung verschiedener Positionen und Haltungen zu den Ereignissen in Deutschland interessant. Für die Lenkung des Unternehmens in dieser Krisenphase liegen Arbeiterausschussprotokolle und Protokolle von Sitzungen verschiedener Gremien im Betrieb vor.
Hinzu treten auch noch Erinnerungen von verschiedenen Personen im Umfeld von Bernhard Dräger. Während er selbst keine Erinnerungen oder Autobiografie geschrieben hat, taten dies sein Vater Johann Heinrich und seine Frau Elfriede. Diese Werke sind wichtige Quellen, die selbstverständlich kritisch hinterfragt wurden und der Absicherung durch archivalische Quellen bedurften.4 Das gilt auch für die Schriften von Johann Wilhelm Haase-Lampe, einem wichtigen Zeitzeugen, der über eine besondere Gabe der schriftlichen Darstellung verfügte und als Pressechef tätig war.5 Er hat viel geschrieben und dies mit Leidenschaft. Die Biografie zitiert ihn nicht selten, wobei aufgrund seiner oft unkritischen Nähe immer genau bezeichnet ist, was von ihm stammt.6 Es liegen auch Erinnerungen des Werkmeisters und Mitarbeiters der ersten Stunde Gustav Blume vor.7
Im Werk selbst fanden sich immer wieder Mitarbeiter, die Material zur Geschichte des Unternehmens und auch zur Geschichte der Familie zusammentrugen. So gibt es einiges zur Firmengeschichte und zur Biografie von Bernhard Dräger etwa in Zusammenstellungen von Heinz Cordes und Karl Hintze.8 Einige Mitarbeiter des Drägerwerks schrieben Abhandlungen zu Gerätegruppen.9 Literatur findet sich vor allem zu den Technikgebieten, in denen Bernhard Dräger zu Hause war.10 Einige Dissertationen unterschiedlicher Qualität sind erschienen. Sie entstammen wohl einem Programm, die Dräger-Techniken aufzuarbeiten.11
Über den Sohn Bernhard Drägers, Otto Heinrich, ist von Welf Böttcher und Martin Thoemmes ein Buch erschienen, in dem auch der Vater beschrieben wird.12 Im wissenschaftlich-systematischen Werk von Bernhard Lorentz, der Otto Heinrich Dräger als einen Repräsentanten der deutschen Wirtschaftselite untersucht, wird Bernhard Dräger ebenfalls erwähnt.13
Sich einen Weg durch all das Material zu bahnen und einen Zugang zur Person Bernhard Dräger zu finden, wäre ohne die große Hilfe vor allem von den Mitgliedern der Familie Dräger und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Drägerwerk nicht möglich gewesen. Das waren Dr. Christian Dräger, Theo Dräger, Matthias Dräger, Johanna Ahlmann, geb. Dräger, Hans-Julius Ahlmann und Marianne Dräger sowie der Betreuer des Dräger-Familienarchivs Ingo Welling. Matthias Dräger war sehr hilfreich bei der Sichtung, Auswertung und Einarbeitung von Audio- und Bildquellen. Von Marianne Dräger kamen bereichernde Bildhinweise, von Johanna Ahlmann besondere Quellenhinweise. Die Familienmitglieder gehören alle der zweiten Generation nach Bernhard Dräger, also der Enkelgeneration, an. Wichtig waren die vielen intensiven Gespräche im Familienkreis. Es kannte zwar keiner mehr Bernhard Dräger persönlich – er ist zu früh verstorben –, aber viele lernten noch Bernhards Frau Elfriede kennen, und in der Familie ist vieles auch mündlich überliefert worden. Besonderer Dank gilt Christian und Theo Dräger. Die Biografie ist ein Auftragswerk, aber Christian und Theo Dräger ließen dem Autor völlig freie Hand. Die Texte wurden vorab gelesen. Die Familienmitglieder hatten ergänzende und korrigierende Anmerkungen, die das Werk bereichert haben, aber es wurde nie im Sinne einer Zensur eingegriffen.
Der Idee des Begleitens, dass also die Leserinnen und Leser an der Seite des Protagonisten im Text voranschreiten können, entspricht der streng chronologische Aufbau des Buches. Selbstverständlich muss thematisch auch zusammengefasst werden, sonst würde das Buch zur Chronik herabsinken, aber auch diese thematischen Gruppierungen sind in chronologischer Ordnung vorgenommen. Es gibt Schwerpunktbildungen. So gelingt es, dass der Hauptdarsteller nicht plötzlich jünger ist, wenn man mit ihm im nächsten Unterkapitel wieder zusammentrifft.
Die Intensität des Lebens wird auch in der unterschiedlichen Ereignisdichte der Kapitel deutlich. Die vier Jahre des Ersten Weltkriegs beanspruchen weit mehr Seiten als etwa die Kindheitsjahre. Das liegt nicht vorrangig an der Quellendichte, sondern ist wahrlich der Ereignis- und Problemfülle geschuldet.
Auch mit dem Aufbau soll also der begleitenden Nähe zum Protagonisten entsprochen werden. Insofern bietet sich hier und jetzt als Einstieg in das Buch eine Beschreibung von Bernhard Drägers körperlicher Erscheinung an. So können sich die Leserinnen und Leser ihn sogleich bildlich als Person vorstellen. Das Gemälde auf dem Titel unterstützt dies sicher.
Bernhard Dräger war von schmaler Konstitution und mit circa 1,66 Meter Körpergröße schon für damalige Verhältnisse eher klein. Er war damit auch deutlich kleiner als sein Vater Johann Heinrich, der 1,82 Meter groß war.14 Wie Fotografien zeigen, war Bernhard Dräger zeitlebens sehr schlank, fast mager. Der Vergleich von Fotografien, die Bernhard in verschiedenen Lebensaltern zeigen, belegt, dass er sich gewichtsmäßig eher im unteren Normbereich befunden haben dürfte, das heißt, dass er schätzungsweise circa 60 Kilogramm wog.15 Für seine zierliche Statur hatte Bernhard Dräger verhältnismäßig große, aber wohlgeformte Hände mit langen schlanken Fingern.16
Bernhard Dräger hatte ein schmales, ovales, fein gezeichnetes Gesicht mit hoher, gewölbter, »geistvoller« Stirn, einer weit vorspringenden Adlernase und einem schwach ausgebildeten Kinn. Die Ohren waren groß und etwas abstehend, genau wie bei seinem Vater.17 Bernhard Dräger hatte wache, freundliche und eindringlich blickende, große braune18 Augen, die Haase-Lampe einmal als »merkwürdig tief«19 bezeichnet hatte, und einen schmalen Mund mit auffallend geschwungener Oberlippe.20 Diese Merkmale hatte er ganz offensichtlich von seiner Mutter geerbt.21
In seiner Jugend hatte er volles dunkles, in seinem späteren Leben graumeliertes, glattes, scheitelloses Haar, das sich im Stirnbereich schon mit Beginn des vierten Lebensjahrzehnts zu lichten begann.22 Bernhard Dräger trug schon in jungen Jahren einen Bart, wobei die Bartformen wechselten. Zeitweise hatte er einen spitzen, kurz geschnittenen Vollbart, der sein eher zartes Gesicht breiter und männlicher wirken ließ. Zwischendurch trug er aber auch einen kurzen Kinnbart oder nur einen breiten Oberlippenbart.23
Für das nun folgende erste Kapitel muss man ihn sich aber selbstverständlich als Kind vorstellen. Als Kind wird Bernhard von einem Freund der Familie als ein bisschen »piepsig«, als ein eher zurückhaltender, »kleiner, feingliedriger Junge mit klugen, lieben Augen« beschrieben.
1Wichtige biografische Werke liegen für einige dieser Personen vor. Siehe etwa Bähr, Johannes: Werner von Siemens. 1816–1892, München 2016; Szöllösi-Janze, Margit: Fritz Haber 1868–1934. Eine Biographie, München 1998; Andere maßgebende Biografien sind etwa: Feldman, Gerald D.: Hugo Stinnes. Biographie eines Industriellen. 1870–1924, München 1998; Becker, Bert: Michael Jebsen. 1835–1899. Reeder und Politiker, Kiel 2012; Plumpe, Werner: Carl Duisberg. 1861–1935. Anatomie eines Industriellen, München 2016.
2Rauh-Kühne, Cornelia: Zwischen »verantwortlichem Wirkungskreis« und »häuslichem Glanz«. Zur Innenansicht wirtschaftsbürgerlicher Familien im 20. Jahrhundert, in: Dieter Ziegler (Hrsg.): Großbürger und Unternehmer. Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 215–248. Rauh-Kühne stellt einen Fragenkatalog zum Thema wirtschaftsbürgerliche Familie auf und sie bedauert die zumeist schwierige Quellenlage, die die Beantwortung der Fragen erschwert. Mithilfe des Materials zu Bernhard Dräger können viele Fragen der Forschung exemplarisch bearbeitet werden.
3Eine Ausnahme ist Goerig, Michael/Schulte am Esch, Jochen: Die Entwicklung des Narkosewesens in Deutschland von 1890–1930, unter Berücksichtigung der Pionierleistungen Hamburger Ärzte, Lübeck 2012. Hier werden die Dräger-Geräte detailliert vorgestellt.
4Elfriede Dräger: Lebenserinnerungen, Lübeck 1990; Dräger, Heinrich: Lebenserinnerungen (Erstausgabe 1913), St. Goar 1995. Die lebendig und amüsant geschriebenen Lebenserinnerungen sind wertvolle Quellen für das Leben der Familie Dräger. Wie alle Lebenserinnerungen sind sie zwar ein subjektives Zeugnis, aber sie dienen der Charakterisierung von Umständen und Tendenzen, wie sie von den Zeitgenossen wahrgenommen und empfunden wurden. Siehe zur Einordnung von Lebenserinnerungen und autobiografischen Schriften von Unternehmern Markus, Sandra: Bilanzieren und Sinn stiften. Erinnerungen von Unternehmern im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2002.
5Haase-Lampe, Johann Wilhelm: Vom Elbdeich zum Finkenberg. Die Geschichte zweier Männer, (nicht veröffentlicht), ca. 1948. Dieses bereits gesetzte Manuskript sollte im Antäus-Verlag Lübeck erscheinen, was aber nicht geschah. Ein weiteres Typoskript, welches auch nicht veröffentlicht wurde, ist: Haase-Lampe, Johann Wilhelm: Arbeit für das Rettungswesen. Aus dem Leben zweier Männer, wie ich sie selbst erlebte, 1948. Ersteres Werk enthält mehr Informationen als das zweite. Auf Basis der Typoskripte wurde 2007 eine kürzere Version veröffentlicht: Haase-Lampe, Johann Wilhelm: Von der Biermaschine zum Rettungswesen. Die Aufbaujahre des Drägerwerks, Lübeck 2007. Sofern sich Informationen hier finden, wird das veröffentlichte Werk zitiert.
6Haase-Lampe neigte stilistisch zu recht blumiger, oft gefühliger Sprache, vor allem wenn es um die Ausmalung persönlicher Bemerkungen oder Andeutungen Bernhards und Johann Heinrichs ging. Deshalb sind gerade bei diesen Passagen Abstriche bezüglich der Zuverlässigkeit seiner Überlieferung zu machen.
7Aus den nur durch Zufall gefundenen Aufzeichnungen und Erinnerungen Gustav Blumes über die Entwicklung des Unternehmens entstand das Buch »Zur Geschichte des Drägerwerks von 1889 bis 1936 – Erinnerungen eines Werkmeisters«. Gustav Blume, geb. 1870, arbeitete zunächst an den beiden Drehbänken, die Johann Heinrich Dräger aus Vierlanden mitgebracht hatte. Er war bis 1943 im Drägerwerk tätig und verstarb 91-jährig im April 1961. Blume, Gustav: Zur Geschichte des Drägerwerks von 1889 bis 1936. Erinnerungen eines Werkmeisters, Lübeck 1994.
8Firmenarchiv Dräger, XI, 4.2, Hintze, Karl: Das Dräger-Unternehmen. Geschichtlicher Werdegang, unveröffentlichtes Manuskript, Lüneburg 1969; Familienarchiv Dräger, BS II, 15.10, Cordes, Heinz: Aufzeichnungen zum Lebenslauf von Bernhard Dräger und zur Firmenentwicklung, ca. 1975.
9Schmitt, Heinrich/Drägerwerk AG (Hrsg.): Die Dräger-Druckgastechnik. Entstehung und Entwicklung 1889–1975, Lübeck 1988; Haupt, Josef: Die Geschichte der Dräger-Narkoseapparate, Bd. 1, Hamburg 1996.
10Etwa Strätling, M./Schmucker, P.: 100 Jahre Sauerstofftherapie (1902–2002) – Eine medizinhistorische Neubewertung. Teil I: Der lange Weg von der Entdeckung des Sauerstoffs bis zu seinem Durchbruch bei der therapeutischen Anwendung in der Anästhesiologie und Rettungsmedizin, in: Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Schmerztherapie, Nr. 37 (2002), S. 712–720; Teil II: Die Bedeutung des Roth-Dräger-Narkoseapparates (1902) und weiterer Entwicklungen aus 100 Jahren Dräger-Medizin- und Anästhesietechnik für die Etablierung der Sauerstoffanwendung im therapeutischen Methodenspektrum, in: Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Schmerztherapie, Nr. 38, (2003), S. 4–13.
11Peters, Anja: Dr. Bernhard Dräger (1870–1928) als Erfinder: Seine Beiträge zur Weiterentwicklung der Druckgastechnik und deren Bedeutung für die Entwicklung einer modernen medizintechnologischen Verbundforschung, Diss. Med. Lübeck Univ., 2007; Wüllenweber, Kathrin: Die Entwicklung der Dräger-Grubenrettungstechnologie und des Atemschutzes (1902–1918) im internationalen Vergleich. Eine Auswertung der Archive der Drägerwerk-AG, Diss. Med. Lübeck Univ., 2007; Schmidt-Rimpler, Rogan: Die Entwicklung der Dräger-Anästhesietechnik (1902–1918) im internationalen Vergleich, Diss. Med. Lübeck Univ., 2008; Seydel, Michael: Die Entwicklungs- und Nutzungsgeschichte der Tauchretter des Drägerwerkes, Diss. Med. Lübeck Univ., 2010; Niggebrügge, Hans Christian: Die Geschichte der Beatmung – Analyse und Neubewertung am Beispiel der Geschichte des »Pulmotor« Notfallbeatmungs- und Wiederbelebungsgeräts der Lübecker Drägerwerke, Diss. Med. Lübeck Univ., 2011.
12Böttcher, Welf/Thoemmes, Martin: Heinrich Dräger. Eine Biographie, Neumünster 2011.
13Lorentz, Bernhard: Industrieelite und Wirtschaftspolitik 1928–1950. Heinrich Dräger und das Drägerwerk, Paderborn/München 2001.
14Nach einem von Bernhards Hand markierten Meterstab, den Haase-Lampe in der sogenannten »Traditionsnische« von Haus Finkenberg fand. Hier waren die Größen aller Familienmitglieder angezeichnet. Haase-Lampe: Vom Elbdeich zum Finkenberg, S. 300.
15Eine Gewichtsangabe ist in keiner der vorliegenden Quellen, wie Pässe und Ausweise oder ärztliche Unterlagen, vorhanden und kann deshalb nur geschätzt werden.
16Elfriede Dräger: Lebenserinnerungen, S. 35.
17Familienarchiv Dräger, BS II, 15.16, Heyen, Heye: Die beiden Dräger. Lübecker erzählen aus jüngster Vergangenheit, 4. Oskar Schweichler, in: Der Volksbote, Nr. 5, 8.2.1936. Siehe auch Foto von 1916 bei Elfriede Dräger: Lebenserinnerungen, S. 35, 124.
18Zu Augenfarbe und Ausdruck siehe Ausweis mit Lichtbild: Familienarchiv Dräger, BS II, 6.15, Inhaber-Ausweis für ein Schiff des Seemannsamts Lübeck 17.5.1923. Siehe auch Haase-Lampes Eindruck, der von großen, leuchtend braunen Augen spricht: Haase-Lampe: Vom Elbdeich zum Finkenberg, S. 287.
19Haase-Lampe, Johann Wilhelm: Bei Drägers, in: Die Heimat, 27. Jg., Nr. 1 (Januar 1917), S. 26–32, hier S. 26.
20Foto von Bernhard Dräger von 1916 in Elfriede Dräger: Lebenserinnerungen, S. 35.
21Siehe Bild seiner Mutter ebenda, S. 51.
22Foto von 1911, das Bernhard Dräger mit 41 Jahren zeigt. Familienarchiv Dräger, BS II, Dr. Ing. h. c. Alexander Bernhard Dräger, Fotografien, Bd. I, 1870–1917.
23Elfriede Dräger: Lebenserinnerungen, S. 124; Siehe Foto von Bernhard Dräger von 1888: Familienarchiv Dräger, BS II, Dr. Ing. h. c. Alexander Bernhard Dräger, Fotografien, Bd. I, 1870–1917; Foto von Bernhard Dräger von 1894 bei Elfriede Dräger: Lebenserinnerungen, S. 54.
Bernhard im Alter von neun Jahren. Seine Kindheit verbrachte er in Kirchwerder bei Hamburg.
Bernhard Dräger wurde im Jahr 1870 in Kirchwerder in den Vierlanden bei Hamburg geboren. Es war das Jahr, in dem Preußen und andere deutsche Staaten gegen Frankreich Krieg führten. Am Ende des Krieges stand die von vielen Deutschen lang ersehnte nationalstaatliche Einheit: Im Spiegelsaal des Schlosses Versailles, am 18. Januar 1871, proklamierten die deutschen Fürsten und Vertreter der Freien Städte den preußischen König Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser. Sie riefen zugleich das Deutsche Kaiserreich aus.1
In eine Zeit großer Umbrüche wurde Bernhard Dräger hineingeboren. Politisch, wirtschaftlich und kulturell kam es in Deutschland schon durch die Reichsgründung zu vielen Veränderungen. So nahm das Deutsche Reich ökonomisch einen ungeheuren Aufschwung. In den sogenannten Gründerjahren herrschte Hochkonjunktur. Zwar gab es zwischenzeitlich immer wieder auch Wirtschaftskrisen, aber insgesamt gesehen erlebte Deutschland im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine Blütephase.2
Die nationalstaatliche Einigung führte zu einer enormen Mobilisierung wirtschaftlicher Kräfte. Schon mit der Gründung des Norddeutschen Bundes, zu dem auch Hamburg und die Vierlande gehörten, war ein größerer einheitlicher Wirtschaftsraum geschaffen worden, und nun wuchs das deutsche Wirtschaftsgebiet als gemeinsamer Markt für Produzenten und Händler nochmals beachtlich. Auch im Zuge dessen entstanden immer mehr Unternehmen. Innovationen in allen Bereichen förderten die wirtschaftliche Entwicklung; eine Zeit ungeheurer Dynamik auf den Gebieten der Wissenschaften und der Technik brach an; eine Atmosphäre der Euphorie und des grenzenlosen Optimismus herrschte im Deutschen Reich. Viele Menschen betrachteten diese Phase als besondere Chance für ihr eigenes persönliches Fortkommen und auch für das der gesamten Nation.3
Die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen hatten zunächst zwar keinen unmittelbaren Einfluss auf die Familie Dräger in Kirchwerder, da sie in einer kleinen Gemeinde auf dem Lande lebte. Aber dass Unternehmer und Unternehmen sich in einer Aufbruchstimmung befanden und die sich neu bietenden Chancen wahrnahmen, beeinflusste über kurz oder lang jeden nachgeordnet Wirtschaftenden, wirkte er auch noch so fern von den politisch-wirtschaftlichen Zentren des Reiches.
Die Aufbruchstimmung – diese besondere Atmosphäre der 1870er Jahre – sollte auch in der zukünftigen Entwicklung der Familie Dräger eine Rolle spielen. Vor allem Johann Heinrich Dräger, der Vater Bernhard Drägers, setzte große Hoffnungen auf die neue, bessere Zeit. Ihn erfasste geradezu »ein Taumel der Begeisterung«, wie er selbst in seinen Lebenserinnerungen schrieb. Die Reichseinigung war für ihn mit der Vorstellung einer neuen Größe des Vaterlandes und einer glorreichen Zukunft verbunden. Johann Heinrich und Emma Dräger, die Eltern von Bernhard Dräger, zeigten zu jener Zeit einen Optimismus, der sicherlich auch besondere Kräfte bei der eigenen Lebensgestaltung freisetzte.4
Johann Heinrich Dräger hatte das Privileg gehabt, in Kirchwerder die Zollenspieker-Schule besuchen zu können, an der es einen ausgebildeten Lehrer gab, während es an anderen Schulen durchaus möglich war, dass etwa nur ein einfacher Wachtmeister im Ruhestand unterrichtete. Der Besuch einer guten Schule, das war dem Vater auch für seinen Sohn Bernhard sehr wichtig, bei allen Schwierigkeiten, die Johann Heinrich in der Schule hatte. Mit einer guten Schulbildung sollte sich in den Zeiten des Aufbruchs so einiges bewegen lassen, so die feste Meinung des Vaters.5
Kirchwerder gehört zu den Vierlanden, die von der Bille und Elbe durchflossen werden und von zahlreichen Entwässerungskanälen durchschnitten sind. Diese Landschaften waren und sind sehr fruchtbar. Viehwirtschaft wurde hier betrieben, Geflügel aller Art, große Getreide-, besonders Weizenfelder, Gemüse- und Blumenzucht sowie Obst von bester Qualität gab es in der Region. Das Marschland versorgte Hamburg und gab von seinem Überfluss auch noch vieles in den Handel über die Nordsee ab. Die Bewohner des Landes, die Vierländer, hatten sich bis weit in das 19. Jahrhundert hinein infolge der eingeschränkten Zugänglichkeit des Gebietes und der dadurch bedingten jahrhundertelangen, strengen kulturellen Abgeschiedenheit viele eigene Sitten und Gebräuche erhalten, sodass sie inmitten ihrer Umgebung wie ein eigener Volksstamm erschienen. Dazu kamen die vielen sogenannten Inheiraten, durch die fast alle Vierländer miteinander verwandt waren.6
Den Vierländern sagte man gemeinhin nach, sie hätten ein gutes Gespür für Geschäft und Gewinn, könnten hart arbeiten, scheuten keine Strapazen und wüssten eine Sache mit Erfolg anzupacken. Dies zeigten die Vierländer zum Beispiel beim schwunghaften und einträglichen Handel mit Blutegeln. Hamburger Apotheker waren die besten Abnehmer, und als die Blutegel-Bestände in Vierlanden und Mecklenburg abnahmen, reisten die Vierländer letztlich weit bis nach Südrussland, um die Tiere zu beschaffen.7
Unter den väterlichen Vorfahren Bernhard Drägers befanden sich viele Handwerker. Schon der Familienname »Dräger« verweist darauf, dass die Vorväter im Handwerk verwurzelt waren, denn »Dräger« geht auf niederdeutsch »drehen« oder »Drechsler« zurück.8 Offenbar hatte technisch-handwerkliches Geschick einem sehr frühen Vorfahren diesen Namen eingebracht.9
Vom Ururgroßvater Bernhards, Jürgen Friedrich Dräger, heißt es, er sei in der Bearbeitung von Metall erfahren gewesen und habe Teile für Webstühle hergestellt. Allerdings waren das nur Nebentätigkeiten, denn er lebte in erster Linie vom Gemüseanbau. Seine Heimat war Bardowick bei Lüneburg, und er verheiratete sich dort 1793 mit Elisabeth Böttcher.10
1794 wurde in Bardowick Johann Heinrich Dräger geboren – Bernhard Drägers Urgroßvater. Dieser Johann Heinrich Dräger war der erste Uhrmacher in der Dräger-Linie. Zugleich arbeitete er auch als Webstuhlmechaniker. Seine Frau war Caroline Freudenthal, und 1818 wurde den beiden in Bardowick Sohn Ernst Friedrich – Bernhards Großvater – geboren. Ernst Friedrich wurde ebenfalls Uhrmacher.11
Der Großvater verließ 1843 seinen Heimatort, um nach Kirchwerder überzusiedeln. Vermutlich erhoffte er sich eine Verbesserung seiner beruflichen und wirtschaftlichen Situation. Zwar wird Bardowick in einer zeitgenössischen Veröffentlichung als ein Zentrum des Gemüseanbaus und bedeutender »Flecken« bezeichnet, aber die Kauf- und Pachtpreise für die Böden waren wegen der starken Konkurrenz unter den Gemüsebauern derart hoch, dass die Einnahmen nur dürftig ausfielen.12 Kirchwerder war zur Gemüsekammer Hamburgs avanciert.13 Dort florierte die Wirtschaft, während sie in Bardowick stagnierte und es hier für einen Uhrmacher nur noch wenig zu tun gab. Ernst Friedrich Dräger hatte in Bardowick vermutlich von der Landarbeit gelebt und die Uhrmacherei nur nebenbei betrieben, so wie dann auch in Kirchwerder, wo er tagsüber als Knecht des Bauern Puttfarcken den Acker bestellte, um abends seinen handwerklichen Neigungen nachzugehen und Uhren zu reparieren.14
Bernhards Großvater, Ernst Friedrich Dräger, pachtete in Kirchwerder am Elbdeich 47, auf der Howe, eine Kate mit einem großen Gemüsegarten. 1845 heiratete er Anna Lührs. Die erstgeborene Tochter starb kurz nach der Geburt. Zwei Jahre später, am 29. Juli 1847, bekamen sie einen Sohn, den sie Johann Heinrich nannten. Das war Bernhard Drägers Vater.15
Mit der Zeit erarbeitete sich Ernst Friedrich Dräger einen guten Ruf als Uhrmacher, sodass er seine landwirtschaftliche Arbeit aufgeben und sich ganz dem Handwerk widmen konnte. Er beschritt dabei auch ganz neue Wege, er reparierte nicht nur, sondern stellte Uhren auch her.16
Die Kate auf der Howe, die die Familie in Kirchwerder bewohnte, war ein strohgedecktes Fachwerkhaus. Der vordere Teil des Hauses war dem Elbdeich zugekehrt. Vor der Rückfront des Wohnhauses befand sich ein Stall und hinter diesem ein Treibhaus. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag der »Sulzbrack«, ein klares, mit Schilf umrandetes Gewässer.17
Hauptraum des Hauses war die Diele, daneben gab es wohl drei zusätzliche Räume. Die mit »hühnereigroßen Feldsteinen« gepflasterte Diele muss verhältnismäßig groß gewesen sein. Die Fenster waren in Blei gefasst. Einzelne Scheiben zierten Malereien, etwa ein Schiff oder ein Menschenpaar, darunter standen Namen. Johann Heinrichs Mutter erklärte, dass es die Namen von Nachbarn, Verwandten und Freunden seien, die die Fenster gestiftet hatten, um damit dem ursprünglichen Erbauer des Hauses zu helfen. An den Wänden der Diele standen große, prächtig gearbeitete Schränke aus Mahagoniholz, die aus Hamburg stammten.18