Cover

Table of Contents

Title Page

Dr. Kastners Bestimmung

Klappentext:

Roman:

HOLZKIRCHNER G´SCHICHTEN

 

Band 4

 

Dr. Kastners Bestimmung

 

Ein Roman von Franz Mühlbauer

 

 

 

 

IMPRESSUM

 

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author / Cover 2018: Nach Motiven von Pixabay

Redaktion und Korrektorat: Alfred Wallon

© dieser Ausgabe 2018 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

 

 

Klappentext:

Wenn jemand alles Mögliche tut, um seinen Patienten zu helfen, dann ist es Dr. Martin Kastner. Für ihn und sein Team der Krebsstation im Klinikum Rechts der Isar in München stellt jeder Tag eine neue Herausforderung dar. Manchmal gelingt es ihm und seinen Kollegen, ein Patientenleben zu verlängern und den Betroffenen dadurch eine neue Perspektive zu geben. Aber manchmal muss Dr. Kastner auch erkennen, dass alle Bemühungen letztendlich vergeblich sind.

Er selbst flüchtet sich sehr oft in die Arbeit, denn privat ist er schon lange Zeit allein. Auch wenn er sich nach einer Frau sehnt, so hat er bisher kein Glück gehabt. Träume und Wünsche sind eine Sache - die Realität dagegen eine ganz andere. Und so hofft er darauf, eines Tages in seine alte Heimat Holzkirchen zurückkehren und dort eine Praxis eröffnen zu können.

Als ein kleiner Blechschaden auf dem Parkplatz des Klinikums für etwas Aufregung sorgt, ahnt Dr. Kastner noch nicht, dass sich sein Leben bald von Grund auf ändern wird ...

 

 

 

Roman:

„Ich weiß, dass das keine guten Nachrichten sind, Frau Paulsen“, sagte Dr. Martin Kastner zu der 40-jährigen Frau, die mit angespannten Gesichtszügen in seinem Büro saß und gerade ihren Befund erhalten hatte. „Aber es gibt für einen Menschen Ihres Alters noch so viele unterstützende Therapien Gerade im Bereich Brustkrebs ...“

„Das sagen Sie, Herr Doktor“, erwiderte Nora Paulsen und hatte Mühe, ihre Tränen angesichts dieser fatalen Diagnose zurückzuhalten. „Sie sind gesund – und ich bin es nicht mehr.“

„Ich weiß das, und ich kann mich sehr gut in Sie hineinversetzen, Frau Paulsen“, entgegnete der Arzt. „Aber glauben Sie mir eins – ich hatte schon Patienten mit einer weitaus ungünstigeren Prognose als Sie. Wenn wir möglichst bald mit den entsprechenden Therapien beginnen, dann besteht auch eine reelle Chance auf Heilung.“

Irgend etwas klang in seiner Stimme an, was den momentanen Schockzustand bei Frau Paulsen wieder löste und ihr etwas Hoffnung gab.

„Was … was meinen Sie damit genau?“

„Die Chemotherapie kann stationär oder ambulant erfolgen“, klärte er sie auf. „Wri haben mittlerweile auch gute Chancen, dass ...“

„Ich mache keine Chemotherapie!“, unterbach ihn Frau Paulsen. „Das, was ich darüber gelesen habe, gibt mir zu denken. Welche Alternativen gibt es dazu?“

„So einige“, seufzte Dr. Kastner. „Aber nur wenige davon sind auch effektiv genug, um die Krankheit wirksam zu bekämpfen. In diesem Bereich wissen wir noch zu wenig über andere Heilmethoden. Deswegen steht für mich die Schulmedizin an erster Stelle, Frau Paulsen. Das werden Sie sicher verstehen.“

„Verstehen schon“, lautete die Antwort der Krebspatientin. „Aber ob ich das auch akzeptieren werde, ist eine ganz andere Sache. „Ich muss darüber in Ruhe nachdenken und mich informieren. Dann erst kann ich eine Entscheidung treffen.“

„Natürlich“, nickte Dr. Kastner. „Aber Sie sollten sich in Ihrem eigenen Interesse rasch entscheiden. Jeder Tag ist kostbar – und je schneller wir beginnen, umso größer sind die Chancen. Ich würde gerne noch gegen Ende dieser Woche mit Ihnen weitere Einzelheiten besprechen, Frau Paulsen.“

„Einverstanden“, nickte Frau Paulsen und verabschiedete sich dann von Dr. Kastner. Als die Krebspatientin das Zimmer verlassen hatte, erhob sich der Arzt von seinem Schreibtisch und ging zum Fenster. Dutzende von Gedanken gingen ihm in diesen Minuten durch den Kopf.

Was für ein schönes Wetter da draußen, dachte er. Die Sonne scheint – es ist herrliches Wetter, und ich muss hier jeden Tag Krankheiten bekämpfen, die die betroffenen Menschen im Lauf der Zeit verändern.

Die Hitze war unerträglich. Schon seit Tagen hielt sie an, und vorläufig war kein Ende abzusehen. Gewiss, man freute sich im allgemeinen, denn die großen Ferien hatten begonnen. Wer es sich leisten konnte, hatte schon vor Tagen die Stadt verlassen und lag jetzt am kühlen Strand oder befand sich im Gebirge. Aber diejenigen, die zurückgeblieben waren, mussten mit dieser Hitze fertig werden. Irgendwie! Ganz besonders schwer hatten es die Kranken. Ans Bett gefesselt - was an und für sich schon eine Qual war - lagen sie in den drückend heißen Krankenzimmern und griffen gierig nach jeder Abkühlung.

Aber die war leider nicht sehr groß.

Dr. Martin Kastner hatte auch bei dieser Gluthitze Dienst. Wie in so vielen Jahren durfte er in den schönsten Sommermonaten - während viele seiner Kollegen fort waren - Dienst tun. Viele nannten das eine Ungerechtigkeit. Man hätte nicht jedes mal Kastner dazu verdammen müssen, diese Station im Sommer zu leiten. Er war überhaupt schon so lange hier »vor Ort«, wie man es im Krankenhaus Rechts der Isar nannte, wenn jemand eine Station leitete.

Andere nannten den Arzt zu gutmütig, einige sprachen respektlos von Trottel.

»Er ist es selbst schuld, wenn er so dumm ist und sich alles gefallen lässt. Pah, ich würde da ganz was anderes tun! Und überhaupt, er hätte schon längst die Privatstation haben müssen.«

Darum rissen sich die Ärzte im allgemeinen; denn sie war natürlich am lukrativsten.

Dr. Kastner stand in diesem Augenblick am Fenster und sah in den vermauerten Innenhof herunter. Überall standen die Fenster weit offen. Aber nicht ein Lüftchen regte sich.

Vor Stunden schon hatte er angeordnet, dass man jede Krankentür offenließ, obwohl sie dadurch jetzt dem Lärm der Station ausgesetzt waren. Aber da die Türen den Fenstern genau gegenüberlagen, regte sich jetzt ein kleiner Luftzug in den Zimmern.

Außerdem hatte er in der Hauptküche angerufen und um viele Eisstücke gebeten. Ihm wurde jeder Sonderwunsch erfüllt, auch wenn es sich um ein ausgefallenes Menü handeln sollte. Diese Station besaß so etwas wie Sonderrechte.

Im Haus nannte man sie die »Sterbestation«. Für ihn war es die Krebsstation - wenn auch eine besondere. Denn diese Abteilung des Krankenhauses nahm Krebsfälle auf, die man anderswo für aussichtslos erklärt hatte. Für die meisten von ihnen konnte er tatsächlich nicht mehr viel tun, aber im Grunde genommen gab er keinen seiner Patienten auf. Bis zum Schluss kämpfte er um jedes Leben. Und manchmal, in seltenen Fällen, schaffte er auch diesen Kampf. Und diese wenigen Erfolge brauchte er, um weitermachen zu können.

Er wusste, dass die übrigen Kollegen sich sträubten, diese Station zu übernehmen. Er war jetzt seit vier Jahren hier und dachte nicht daran fortzugehen.

Obwohl ihm andere gute Posten angeboten wurden. Irgendwie konnte er sich jetzt noch nicht davon lösen. Da waren zu viele Schicksale, die er kannte. Menschen, die ihn brauchten, ihn liebten, ihre ganze Hoffnung auf ihn, den Arzt, setzten. In den Augen der Kranken war er eben mehr, ein Halbgott in Weiß!

In diesem Augenblick sah er eine junge Schwester über den Flur eilen. Sie verteilte wieder Eis für Getränke. Er lächelte vor sich hin.

Er wusste, dass er sich dadurch wieder einmal Schwester Renates Unmut zugezogen hatte. Sie regierte die Station wie ein Feldwebel. Und sie wollte nun einmal, dass sich alles nach ihrer Nasenspitze richtete.

Die anderen Schwestern hatten es nicht leicht bei ihr, und die kleinen Anfängerinnen erst recht nicht. Sie taten dem Doktor oft leid, aber er konnte nicht viel für sie tun. Er fürchtete Schwester Renate selbst ein wenig; er zeigte es nur nicht. Sonst wäre sie mit ihm umgesprungen, wie es ihr passte.

Oft hörte er die Schwestern seufzen: »Ich würde sogar doppelten Dienst tun, wenn dieser Schrecken endlich verschwinden würde.«

Sie war eigentlich nett, diese Stationsschwester, besonders wenn sie lächelte. Das tat sie leider nicht oft. Sie war voller Energie und stets bereit, etwas für die Patienten zu tun. Dr. Kastner konnte sich keine bessere Kraft wünschen. Doch als Frau bedeutete sie ihm nichts. Er schätzte sie, aber mehr auch nicht. Die Frauen, die ihm gefielen, mussten weicher, anschmiegsamer sein. Schwester Renate war ihm zu herrisch. Vielleicht musste sie sich so geben, damit man den nötigen Respekt vor ihr hatte. Obwohl sie manchmal reizend sein konnte, machte sie es den Kolleginnen und Ärzten nicht leicht, mit ihr auszukommen. Das war der Grund, warum sich alle von ihr zurückzogen.

Besonders gehässige Seelen meinten: »Sie braucht einen Mann, dann würde sie sanfter werden. Sammeln wir doch mal und kaufen ihr einen; dann haben wir Ruhe vor ihr. Was meint ihr?«

Man lachte und kicherte verstohlen, aber dann beugte man sich doch, stellte einen Antrag auf Versetzung und arbeitete dann auf einer anderen Station. Der Arzt blieb, aber die Schwestern wechselten sehr oft. Und das war nicht gut für diese Station.

Dr. Kastner hatte alles Mögliche versucht, konnte sie aber nicht halten. Ja, er war sogar einmal in die Verwaltung gebeten worden, weil man wissen wollte, weshalb seine Schwestern immer fortliefen.

Er hatte brüsk geschwiegen. Nicht einen Augenblick hatte er daran gedacht zu sagen, dass es an Schwester Renate liege. Dazu war er viel zu gradlinig.

Er war bescheiden und still. So ahnte er nicht, dass es nicht nur die Schwester war, die die anderen vertrieb, sondern auch seine Person. Hätte er es erfahren, wäre er bestimmt geschockt gewesen.

Kastner war Arzt aus Leidenschaft. Er vergaß alles darüber. Er grübelte oft nächtelang darüber nach, wie er die Leiden seiner Patienten mildern könnte. So kam es, dass die Jahre verflossen und er noch immer nicht verheiratet war. Zudem war er auch ein wenig schüchtern. In seiner Studentenzeit hatte es ein Mädchen gegeben - ein wundervolles Geschöpf, zart wie eine Elfe und mit einem perlenden Lachen, blauen Augen und blonden Haaren. Er hatte sie leidenschaftlich geliebt, und sie hatten damals geplant, auf dem Land gemeinsam eine Praxis zu eröffnen. Wie verliebt waren sie damals gewesen! Aber dann hatte sein bester Freund sie ihm gestohlen. Er war ein Sohn reicher Eltern und musste sich nicht erst mühselig eine Praxis aufbauen, und schon gar nicht auf das Land flüchten. Er setzte sich, wie gesagt, ins gemachte Nest; denn sein Vater war ein bekannter Professor und besaß sogar eine Privatklinik am Chiemsee.

Lilian, so hieß das Mädchen, hatte gemeint, er müsse das doch verstehen. Das sei ihr Glück!

Dass sein Herz darüber gebrochen war, hatte er ihr nicht gesagt. Es hätte wohl auch nicht viel genützt. Er hatte nur stammelnd gefragt: »Aber du liebst mich doch; du hast es mir doch so oft gesagt!«

»Lieben, man sagt so vieles. Martin, wirklich, es war eine schöne Zeit, aber ich muss auch an mich denken!«

»Ich verstehe«, hatte er leise gesagt.

Sie war froh gewesen, dass sie so leicht von ihm loskam; hatte ihm noch ewige Freundschaft vorgeschlagen. Aber sie hatten sich nie mehr wiedergesehen. Auch die Freundschaft war für alle Zeiten zerbrochen.

Er hatte oft den Arbeitsplatz gewechselt und war dann endlich hier in München gelandet. Aber heimisch fühlte er sich hier dennoch nicht. Er hatte ein kleines Zimmer in unmittelbarer Nähe der Klinik gemietet, damit er schnell kommen konnte, wenn man ihn brauchte. Aber seine Heimat war Holzkirchen im Allgäu. Hier waren seine Wurzeln, und hier lebte seine Mutter, die er trotz der Entfernung zwischen München und Holzkirchen fast jedes Wochenende und auch ab und zu während der Woche besuchte.

Die alte Dame hätte es gern gesehen, wenn ihr Sohn geheiratet hätte.

Oft sagte sie: »Sie müssen mich ja alle für einen Schrecken halten und denken womöglich noch, ich hielte dich davon ab. Martin, überdenke das doch einmal. Ich lebe nicht immer. Und wenn ich nicht mehr bin, dann bist du ganz einsam. Und die Landpraxis? Davon hast du doch schon als Junge geträumt. Und jetzt klebst du in diesem kleinen Zimmer in Müchen fest. Das ist doch kein Leben für dich.«

»Aber sie brauchen mich auf der Station, Mutter. Ich kann sie jetzt noch nicht verlassen.«

Wie oft hatte er das schon gesagt!

Ja, er merkte nicht, dass er in dieser Klinik so etwas wie Freiwild war. Gar nichts merkte er; und er erfuhr es auch vorläufig nicht, weil seine grauen Augen immer so prüfend und durchdringend blickten, dass selbst die größten Spötter nicht den Mut hatten, es ihm zu sagen. Nicht einmal seine Kollegen machten sich lustig über ihn und hielten ihm vor, dass sämtliche Mädchen in der Klinik hinter ihm her waren.

Ein lediger Arzt! Wo gab es das schon! Alle glaubten, sie könnten ihn fangen. Alle strengten sich ungeheuer an. Ja, es standen immer eine Menge Schwesternnamen auf der Warteliste, die auf Station fünf Dienst tun wollten.

Deshalb war es ja für die Verwaltung so verwunderlich, dass diese Schwestern sich dann nach kurzer Zeit wieder versetzen ließen. Musste das nicht an Dr. Kastner liegen?

Sie merkten sehr schnell, dass er sie gar nicht wirklich sah. Sie konnten sich noch so hübsch machen, sich noch so oft buchstäblich anbieten, er merkte es nicht einmal. Da wurden sie natürlich wütend. Besonders, weil sie von den Kolleginnen aufgezogen wurden. Und dann kam noch Schwester Renate hinzu. So flüchteten sie immer sehr schnell.

Blieb Dr. Kastner bei einer Schwester einmal etwas länger als gewöhnlich stehen, . dann glaubten schon die anderen, jetzt wäre es soweit. Dass es immer nur um Patienten ging, klärte die jeweilige Schwester selbstverständlich nicht auf.

Vielleicht war Schwester Renate auch deswegen so bärbeißig geworden, weil sie sich Dr. Kastner auch in den Kopf gesetzt hatte. Sie sagte sich mit Recht: Ich bin achtundzwanzig Jahre alt und er ist achtunddreißig; was will er denn mit jungem Gemüse? Ich passe doch viel besser zu ihm.

Ich werde nicht aufgeben. Eines Tages werden sie alle sehen, dass ich es geschafft habe. Dann zeige ich ihnen mein hochmütigstes Gesicht, dann werde ich Frau Doktor sein!

Das Dumme an der Sache war nur, dass er sie gar nicht als Frau sah. Und das ärgerte sie natürlich maßlos. Sie hatte seinetwegen eine Freundschaft beendet. Damals hatte sie einen jungen Mann aus der Nachbarschaft gekannt. Sie hatten sich gemocht, und Renate hatte mit dem Gedanken gespielt, ihn zu heiraten. Sie wäre jetzt schon lange glückliche Ehefrau. Aber dieser junge Mann war nur ein kleiner Angestellter bei der Behörde gewesen. Gewiss, er hatte nicht schlecht verdient, und sie hätte ja auch weiterarbeiten können. Aber dann hatte Dr. Kastner hier zu arbeiten begonnen, und sofort hatte sie den anderen Mann fallen lassen - in dem Glauben, es würde nicht lange dauern, bis sie Dr. Kastner eingefangen hätte.

Ja, so konnte man sich täuschen!

 

*

 

Dr. Kastner ging vom Fenster weg. Er hatte noch drei Stunden Dienst. Da waren noch die Krankengeschichten, die aufgearbeitet werden mussten. Das würde er jetzt tun. Heute Abend könnte er vielleicht für kurze Zeit ins Bad fahren und ein paar Runden schwimmen.

Als er über den Flur ging, kam er an Frau Schmidts Tür vorbei. Sie lag im Bett und sah ihn an - eine Frau an die siebzig Jahre alt. Um sie stand es schlecht. Sie würde wohl die nächste sein ... Er konnte einfach nicht weitergehen.

So betrat er ihr Zimmer und lächelte sie an.

»Na, Oma Schmidt, hat das Eis gut getan?«

Sie lächelte zurück.

»Ja, es war gut.«

»Das freut mich. Vielleicht ändert sich bald das Wetter, dann ist alles viel leichter zu ertragen.«

»Meinen Sie?«

Dr. Kastner wusste nicht, ob sie den Ernst ihrer Lage erkannte. Wenn Patienten es verlangten, sagte er ihnen natürlich die Wahrheit. Aber wenn er nicht gefragt wurde, zog er es vor, darüber zu schweigen.

Bis jetzt hatte ihm Oma Schmidt nie viel Arbeit gemacht. Sie war ein stilles und bescheidenes Persönchen. Sie hatten schon viele lange Gespräche miteinander geführt. Vor Wochen war dieser böse Rückfall gekommen. Er hatte damals schon gedacht, sie würde jene Nacht nicht überstehen.

Obwohl er keinen Nachtdienst hatte, war er bei ihr geblieben. In den Jahren seiner Erfahrung hatte er festgestellt, dass das Sterben selbst nicht so schrecklich war - aber einsam zu sterben, das war schlimm! Oma Schmidt hatte keine Verwandten hier. Er hatte ihr also erzählt, er hätte Dienst, und es sei ihm im Arbeitszimmer zu langweilig geworden. Ob er ein wenig bei ihr sitzen dürfe?

Zuerst hatte sie schwach gelächelt und ihn dann sehr aufmerksam angesehen. Dann hatte sie eine ganze Weile reglos dagelegen, und irgendwann war eine Träne über ihr Gesicht gerollt. Sein Herz hatte sich zusammen gekrampft. In solchen Augenblicken fühlte er sich immer entsetzlich hilflos. Da hatte man nun studiert, wusste eine Menge, aber dann waren einem doch die Hände gebunden. Dieses Sterben musste jeder mit sich selbst durchmachen. Man konnte nur dasitzen und zeigen: Ich bin da, du bist nicht allein. Wenn du mich brauchst - ich bin da!