“Tinka, Dandi, wo seid ihr? Ich muss euch etwas ganz Tolles erzählen!“ Aufgeregt lief ich zu der Scheune in der meine Freunde oft ihren Mittagsschlaf hielten.
„Uuuuuh, was ist denn los,“ sagte Tinka verschlafen und richtete sich mühsam auf.
“Was schreist du hier herum? Ich bin sooo müde, “ sagte Dandi und gähnte herzhaft.
“Jetzt sag‘ schon was los ist,“ gähnte Tinka und begann mit der Fellpflege. Nach einem ausgiebigen Mittagsschlaf musste das Fell wieder in Ordnung gebracht werden.
“Kommt mit! Pascha ist hier,“ berichtete ich aufgeregt.
“Das sind natürlich wichtige Neuigkeiten, “ sagte Dandi und war mit einem Satz auf den Beinen.
Sie gingen nach draußen, wo Pascha auf sie wartete. Er hatte sich inzwischen einen Teller Futter einverleibt, das ihm Joschka gebracht hatte.
Paschas Besuch auf dem Bauernhof war nicht nur für Tinka, Dandi und mich etwas ganz Besonderes. Auch unsere Menschen freuten sich jedes Mal, wenn sie Pascha sahen.
Pascha war kurz nach Carlos Tod zum ersten Mal am Fluss aufgetaucht. Die Ähnlichkeit mit unserem verstorbenen Freund war verblüffend und wir waren davon überzeugt, dass Carlos ihn geschickt hatte, damit wir nicht so traurig sind.
“Na, wie geht es euch, “ sagte Pascha und leckte sich genüsslich eine Pfote.
“Wir freuen uns, dass du da bist,“ sagte ich und stupste Pascha liebevoll mit dem Kopf.
“Ich komme euch gerne besuchen, “ sagte Pascha. „Das Futter hier schmeckt mir sehr gut.
“Warum kommst du nur so selten zum Bauernhof, “ fragte ich. „Hier ist es doch so schön und du kannst jeden Tag gutes Futter haben.“
“Danke für das Angebot,“ sagte Pascha. „Ihr wisst, ich bin ein Streuner und kann nicht so lange an einem Ort bleiben.“
“Es wäre so schön, wenn du hier bei uns bleiben könntest, “ sagte Dandi.
“Dann wäre alles so wie früher.“
“Ja, ich weiß, ihr vermisst euren Carlos sehr, aber ich bin nicht Carlos. Der war, wie ihr mir erzählt habt, schon alt und ist gestorben, “ sagte Pascha.
“Vielleicht hat Carlos dich zu uns geschickt, “ sagte ich. Es konnte doch kein Zufall sein, dass Pascha dem verstorbenen Carlos zum Verwechseln ähnlich sah.
“Ach Mia, es tut mir wirklich sehr leid, dass euer Freund nicht mehr bei euch ist, aber ich kann und werde mein Streunerleben nicht aufgeben. Ich freue mich immer euch zu sehen, aber meine Freiheit ist mir sehr wichtig, “ sagte Pascha bestimmt. “Lasst uns zusammen an den Fluss gehen, damit ihr auf andere Gedanken kommt.“
“Au ja“, sagte ich begeistert. Es war so schön Zeit mit Pascha zu verbringen.
Wir schlenderten in Richtung Fluss und machten an der Scheune, die inzwischen zu einer Ferienwohnung umgebaut worden war, Rast. Tinka, Dandi und ich hatten hier so viel erlebt. Wir erzählten, wenn wir hier waren, immer wieder von der Zeit, die wir in der Scheune verbracht hatten und Pascha hörte geduldig zu. Es gab viele schöne Erlebnisse, aber auch traurige Momente. Wir dachten oft an Pauline, die hier gestorben war und natürlich gingen wir immer zu dem Hügel mit der Trauerweide. Hier hatten so viele Katzen ihre letzte Ruhe gefunden. Die Streuneroma pflanzte jedes Mal, wenn sie eine Katze beerdigen musste eine Hortesie. Inzwischen war hier ein Meer aus wunderschönen Pflanzen, die im Sommer wundervoll dufteten. Wehmütig dachte ich an Carlos, der ebenfalls hier seine letzte Ruhe gefunden hatte, genauso wie meine Mutter und viele andere Katzen, die mit uns in der Scheune gelebt hatten.
Wir liefen zurück zu der ehemaligen Scheune und trafen auf eine Frau, die hier ihren Urlaub verbrachte. Wir kannten die Dame, weil sie schon öfter hier war und begrüßten sie freudig in der Hoffnung auf eine Leckerei.
„Na ihr Süßen, soll ich mal schauen, ob ich etwas für euch habe,“ sagte die Dame prompt und wurde mit freudigem Miau belohnt.
Nach ein paar Leckereien und noch mehr Streicheleinheiten liefen wir noch etwas am Fluss entlang bevor wir uns müde ins Gras legten.
“Wo bist du eigentlich, wenn du nicht bei uns bist, “ fragte ich Pascha.
“Mal hier und mal da, gerade dort, wo mich der Wind hintreibt,“ lachte Pascha und mir war klar, dass er mir nicht von seinen Geheimnissen erzählen würde.
Pascha war und blieb geheimnisvoll. Oft stellte ich mir vor, dass er wirklich aus dem Himmel kam und genau wusste, was Carlos, Pauline oder meine Mutter taten. Ich stellte mir vor, dass sie hinter der Regenbogenbrücke in einem wunderschönen Land lebten und Pascha ab und zu uns schickten, damit wir nicht so traurig sind. Tinka hatte mir oft von dem Land hinter der Regenbogenbrücke erzählt in dem auch ihr Sohn weiterlebte. Wir stellten uns vor, dass unsere Lieben dort ein wunderschönes Leben hatten. Alle Schmerzen, Krankheiten oder ihre Gebrechen, weil sie einfach alt geworden waren, hatten dort keine Bedeutung mehr. Sie konnten glücklich und ohne Schmerzen leben. Tinka hatte mir auch von den armen Tieren erzählt, die keine Liebe von den Menschen erfahren durften. Sie waren, so sagte Tinka, die leuchtenden Sterne am Nachthimmel. Tinka glaubte, dass auch ihr Sohn ein leuchtender Stern war, weil er nur ganz kurz auf dieser Welt leben durfte. Oft saß sie in der Nacht draußen und blickte zum Sternenhimmel. Dann fühlte sich Tinka ihrem Sohn ganz nah.
Nach einer Ruhepause gingen wir zurück zu der ehemaligen Scheune, wo die nette Frau inzwischen mit einer Freundin beim Kaffee saß.
“Schau nur, da sind die süßen Katzen wieder, von denen ich dir schon so viel erzählt habe,“ sagte die Frau.
“Ja, Magda, du bist schon richtig vernarrt in die Katzen. Ich glaube, wenn es die Katzen nicht gäbe, würdet ihr nicht zweimal im Jahr diese Ferienwohnung buchen. Dann hätten wir uns nie kennen gelernt,“ sagte Tanja, die im nahen Dorf wohnte. Die beiden Frauen hatten sich beim Einkaufen kennengelernt. Inzwischen hatte sich aus dieser Begegnung eine Freundschaft entwickelt und Tanja freute sich immer, wenn Magda und ihr Mann die Ferien hier verbrachten. Magda und ihr Mann wohnten nicht allzu weit weg, so, dass auch mal ein verlängertes Wochenende drin war.
„Hallo, ihr Lieben,“ ertönte da eine Stimme auf dem Weg, der zum Hügel mit den Katzengräbern führte.
“Luise, das freut mich aber, dich zu sehen,“ sagte Magda, als sie die Streuneroma erblickte. “Komm' setz' dich zu uns und trink eine Tasse Kaffee mit uns.“
“Da sage ich nicht nein. Zu den Gräbern kann ich auch noch später gehen,“ sagte Luise.
“Mein Mann und ich sind so glücklich wieder hier zu sein. Gleich morgen kommen wir zum Bauernhof, um nach den Katzen zu sehen. Wir haben sie alle so vermisst. Tinka, Mia, Dandi und Filou waren schon hier,“ erzählte Magda.
“Filou war hier,“ fragte Luise überrascht. „Wir haben ihn auf dem Bauernhof schon lange nicht mehr gesehen. Heute ist er plötzlich aufgetaucht.“
“Ja, er war hier. Seine Geschichte finde ich so spannend. Schade, dass er nicht auf dem Bauernhof leben will,“ sagte Tanja.
“Ja, das finden wir alle sehr schade,“ sagte Luise. “Filou sieht unserem verstorbenen Carlos so ähnlich und wir wären alle froh, wenn er auf dem Bauernhof bleiben würde. Aber Katzen haben ihre eigenen Ideen. Manche kommen und gehen wie sie wollen.“
“Leider sind sie auch mal völlig verschwunden, wie meine Mogli,“ sagte Tanja traurig.
“Das tut mir sehr leid, aber Mogli ist nun schon so lange verschwunden. Vielleicht solltest du darüber nachdenken eine andere Katze zu adoptieren,“ sagte Luise sanft. “Eine Bekannte von mir versorgt in einer Schrebergartenkolonie Katzen. Sie wäre sicher glücklich, wenn eine ihrer Katzen in ein Zuhause käme. Maria hat nur eine kleine Rente zur Verfügung und arbeitet, mit ihren siebzig Jahren, noch in einem Kiosk. Ansonsten käme sie nicht über die Runden. Ich bringe ihr einmal im Monat Katzenfutter, um sie zu unterstützten. Inzwischen versorgt sie, ich glaube, so um die zehn Streunerkatzen.“
“Oje, wie ist sie denn zu so vielen Katzen gekommen,“ wunderte sich Magda.
“Wie das kam, kann ich euch gerne erzählen,“ sagte die Streuneroma und lehnte sich in ihrem bequemen Sessel zurück.
Jeden Morgen ging sie diesen Weg. Von Montag bis Samstag verließ sie um zehn nach fünf ihre Wohnung, um zum Bahnhof zu gehen. Sie arbeitete schon viele Jahre in einem Kiosk, und ihre Schicht begann um sechs Uhr.
Eigentlich war sie schon im Ruhestand, doch ihre magere Rente reichte nicht.
Das kleine Häuschen mit dem wunderschönen Garten, welches ihr so ans Herz gewachsen war, hätte sie sich mit ihrer kleinen Rente nicht leisten können. Ihr Chef war sehr froh, als sie ihn bat, weiterhin bei ihm arbeiten zu können. Er wusste, dass seine Maria eine zuverlässige Frau war, die in den fünfzehn Jahren, die sie nun schon für ihn tätig war, immer zuverlässig und sehr selten krank war.
Der Weg zum Bahnhof führte an einer Schrebergartenkolonie vorbei. Sie ging diesen Weg, obwohl sie so etwas länger bis zum Bahnhof lief, denn sie liebte die Ruhe in den frühen Morgenstunden. Jeden Tag ging sie diesen Weg, egal ob es regnete oder schneite - sie ging immer diesen Weg, nicht nur wegen der schönen Umgebung. Sie wusste, dass hier ihre Katzen auf sie warteten.
Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, als sie Lou, den hübschen grauweißen Kater fand. Er war ein halbverhungertes kleines Bündel, das in den Mülltonnen, die man in der Schrebergartenkolonie entlang des Weges aufgestellt hatte, verzweifelt nach Futter suchte. Natürlich hatte sie kein Futter für den kleinen Kerl, dabei. Aber in ihrer Tasche war das Pausenbrot, das sie jeden Tag mitnahm. Sie ging auf die Katze zu und packte das Brot aus dem Papier. Die Katze verschwand völlig panisch im Gebüsch. Maria zerkleinerte ihr Brot und legte es, in der Nähe des Gebüsches, in das die Katze verschwunden war, auf den Boden. Sie entfernte sich ein paar Meter, und zu ihrer Überraschung tauchte nicht nur die hübsche grauweiße Katze, sondern noch eine Tigerkatze, eine dünne rote und eine genauso dünne schwarze Katze auf. Die Tiere stürzten sich hungrig auf das Pausenbrot und ruckzuck war es in ihren hungrigen Mägen verschwunden. Maria bedauerte, dass sie nur das eine Brot für die armen Katzen hatte, denn die bittenden Katzenaugen, die sie verängstigt anblickten, taten ihr in der Seele weh. Im Moment konnte sie für die Streuner nichts tun, doch nach ihrer Arbeit würde sie Futter für die Katzen besorgen.
So hatte ihre Liebe zu den Streunern begonnen. Das war nun schon über zehn Jahre her. Tag für Tag ging sie am Morgen und am Abend zu den
Streunern und brachte ihnen Futter. Die Katzen wohnten in einem alten Wochenendhaus das auf einem verlassenen Grundstück war. Sie hatte warme Decken in das Haus gebracht, damit die Streuner es warm und weich hatten. Es waren fünf Katzen, die sich auf dem Grundstück zusammengefunden hatten, und Maria hatte ihnen Namen gegeben: „Lou“, ihr Lieblingskater, der sich prächtig entwickelt hatte und immer auf sie wartete, wenn sie zur Futterstelle kam, „Pan“ der hübsche rote Kater und die Damen „Bella“, „Lulu“ und „Sala“. Sie hatte den Katzen nicht nur Namen gegeben, sondern hatte auch dafür gesorgt, dass sie kastriert und geimpft wurden. Das Geld für die Versorgung der Katzen musste sich Maria vom Mund absparen. Manchmal bekam sie von Menschen im Ort, die die liebenswerte ältere Dame aus dem Kiosk kannten, ein paar Decken oder Futter für die Katzen geschenkt.
Die Futterstelle im alte Gartenhaus war unter den Streuner der Umgebung schnell bekannt geworden, und so hatte Maria nicht selten bis zu zehn hungrige Mäuler zu stopfen. Sie hatte diese Katzen gefunden, oder die Katzen hatten sie gefunden. Die Tiere waren in ihr Leben gekommen, als sie einsam und verzweifelt war. Irgendwie schien sich in dieser Zeit das Schicksal gegen sie verschworen zu haben. Mit 53 Jahren hatte der Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte, sie mit ihrer besten Freundin betrogen. Wenige Monate, nachdem sie den Betrug bemerkte, war er Vater geworden. Maria hatte nicht nur ihre große Liebe, sondern auch noch ihre beste Freundin verloren und saß auf einem Berg Schulden, denn das Haus, das sie sich, zusammen mit ihrem Lebensgefährden gekauft hatte, war noch lange nicht bezahlt. Zum Glück verzichtete Marias ehemaliger Partner auf seinen Anteil am Haus, so, dass Maria mit ihrem Hauptjob und zwei Putzstellen die Raten begleichen konnte.
In den nächsten Jahren zog sich Maria immer mehr von den Menschen zurück. Nie wieder wollte sie einem Mann ihr Vertrauen schenken. Lieber lebte sie einsam in ihrem Haus. Freundinnen wollten sie immer wieder ermutigen mit ihnen auszugehen, doch das lehnte Maria ab. Schließlich wurden die Kontakte zu den Freundinnen immer seltener. Maria war zufrieden mit ihrer selbstgewählten Einsamkeit, denn so musste sie nicht befürchten, dass sie von Menschen verletzt wurde. Die Jahre vergingen wie im Fluge und ehe Maria es sich versah, war es Zeit geworden in den Ruhestand zu gehen. Plötzlich waren ihre Tage leer. Sie wusste nichts mit ihrer Zeit anzufangen. Freunde hatte sie keine, nur Bekannte, die sie von der Arbeit her kannte, doch die vielen Gespräche, die sie mit der Kundschaft geführt hatte, waren nun, durch den Ruhestand, weitgehend vorbei. Sie arbeitete jetzt nur noch drei Stunden am Morgen und der restliche Tag war endlos lang. Das war so, bis sie auf die Katzen in der Schrebergartensiedlung traf. Die Sorge für die Tiere gab ihrem Leben einen neuen Sinn. Sie lernte sogar eine der Familien kennen, die ein Wochenendhäuschen in der Schrebergartenkolonie hatten. Entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten allen Menschen aus dem Weg zu gehen, nahm sie eines Tages die Einladung der Frau zu einem Kaffee an. Maria fühlte sich sofort wohl in der Familie und freute sich, dass die zwei Kinder sie schnell in ihr Spiel einbezogen. Die einsame Frau spürte wie erdrückend ihr jahrzehntelanges Einsiedlerleben war und genoss dieses neue Leben, das ihr die Streunerkatzen, davon war Maria überzeugt, geschenkt hatten.
“Maria kann ich nur bewundern und wie ihr auf dem Bauernhof für die Tiere sorgt… einfach bewundernswert,“ sagte Tanja. „Schade, dass Marias Leben so einsam war, aber ich glaube, die Katzen haben sie für vieles entschädigt.“ “Das glaube ich auch,“ sagte Luise.
„Ich glaube, ich werde Maria besuchen, wenn du mir ihre Adresse gibst, liebe Luise. Eine Katze im Haus wäre wieder so schön, obwohl ich immer noch sehr traurig wegen Mogli bin,“ sagte Tanja.
“Du wirst Mogli immer vermissen,“ sagte Luise. „Maria hat ganz bezaubernde Katzen dabei, die sehr froh über ein neues Zuhause wären und, falls du bei Maria keine Katze findest, die dir zusagt, könntest du zu uns auf den Bauernhof kommen.“
Tanja ging gleich am nächsten Tag zu Maria und schenkte einem Geschwisterpaar, das Maria nicht trennen wollte, ein neues Zuhause. Ja, und wie es der Zufall so will, tauchte Mogli nach drei Wochen wohlbehalten in seinem Zuhause auf. Niemand wusste, wo er die letzten drei Monate verbracht hatte. Tanja war überglücklich als Mogli, so als wäre er nie weg gewesen, durch die Katzenklappe kam und nach seinem Futter verlangte. Die beiden neuen Katzen, die es sich in seinem Zuhause bequem gemacht hatten, ignorierte er die ersten Wochen, doch dann fand er die beiden doch interessant. So wurde aus einem Einzelkater ein nettes Dreiergespann, das Tanja und ihrer Familie viel Freude bereitete.
Als Luise am Abend, nach ihrem Besuch bei den Feriengästen und den Katzengräbern, auf den Bauernhof zurückkam, war Sabine in heller Aufregung.
“Ich hatte schon Angst, dass dir etwas passiert ist,“ begrüßte sie ihre Mutter aufgeregt.
“Nein, nein, alles in Ordnung. Ich habe mich nur bei unseren Feriengästen verquatscht. Sie hatten Besuch von Tanja und wir haben zusammen Kaffee getrunken. Die Zeit ist wie im Fluge vergangen,“ sagte Luise.
“Da bin ich aber froh,“ sagte Sabine. „Wir haben mit dem Abendessen auf dich gewartet.“
Nach dem Abendessen saßen sie gemütlich zusammen.
“Heute war ein schöner Tag. Ich habe es sehr genossen mit unseren Feriengästen und Tanja Kaffee zu trinken und mal nichts zu tun,“ erzählte Luise lachend. “Tanja möchte bei Maria nach einer neuen Katze schauen. Ihr wisst ja, dass Mogli seit Monaten spurlos verschwunden ist.“
“Das ist sicher ganz schlimm für Tanja. Wenn ich an die Zeit denke, als Dandi verschwunden war,“ sagte Joschka.
Jeder am Tisch nickte zustimmend. Sie alle konnten sich noch gut an diese schlimme Zeit erinnern, die aber, im Nachhinein betrachtet, auch etwas Gutes bewirkt hatte. Dandi war, als er den Heimweg nicht mehr fand, bei Alfred auf dem Schrottplatz untergekommen. Alfred hatte sich, nachdem Dandi wieder zuhause war, entschlossen den Schrottplatz zu verkaufen und war auf den Bauernhof gezogen. So hatte ihnen Dandis Verschwinden einen neuen Freund gebracht, der fleißig auf dem Bauernhof mithalf. Die Menschen auf dem Bauernhof waren dankbar, dass Dandi wieder bei ihnen war. An diesem Abend sprachen sie noch lange über die schlimme Zeit. Joschka hatte immer daran geglaubt den kleinen Kater wiederzufinden, selbst als alle anderen die Hoffnung aufgegeben hatten, war er unermüdlich auf der Suche nach Dandi.
Der Zufall oder besser gesagt ein Ersatzteil welches an seinem alten Auto kaputt war, hatte ihn zu Alfreds Schrottplatz geführt. Dandi hatte ihn sofort erkannt und war in seine Arme gestürmt.
Am nächsten Tag erlebten sie wieder einmal, wie gedankenlos Menschen sein konnten. Ellen hatte an diesem Morgen ihren Sohn zur Schule gefahren und die kleine Lena in den Kindergarten gebracht. Normalerweise fuhren Paul und Lena mit dem Bus. Lenas Kindergarten war ganz in der Nähe der Schule, die Paul besuchte. So war es Pauls Aufgabe seine kleine Schwester in den Kindergarten zu begleiten. Der Junge nahm diese Aufgabe sehr ernst, wusste er doch, dass es auf dem Bauernhof immer sehr viel Arbeit gab und jede Hand gebraucht wurde. Für die Kinder war es schon selbstverständlich, dass sie bei der Versorgung der Tiere mithalfen und Paul ging in jeder freien Minute seinem Vater zur Hand. Wenn Paul gefragt wurde, welchen Beruf er sich wünschte, sagte er nur, dass er mit seiner Schwester den Bauernhof übernehmen wollte.
Immer, wenn Ellen den Wocheneinkauf erledigen musste, brachte sie die Kinder in die Stadt. Die Fahrt war für alle drei kurzweilig. Sie erzählten über ihre Erlebnisse, spielten “Ich sehe was, das du nicht siehst“ oder sangen Lieder die Paul in der Schule oder Lena im Kindergarten gelernt hatten. Ellen und Joschka waren stolz auf ihre Kinder, die ein sehr soziales Verhalten an den Tag legten.
Als Ellen, nach dem Einkauf, die Lebensmittel im Auto verstaut hatte, hörte sie aufgeregte Kinderstimmen. Ellen blickte sich um und sah zwei Jungen, die aufgeregt auf die Fahrbahn deuteten und offensichtlich nicht wussten, was sie tun sollten. Von weitem sah Ellen ein Bündel auf der Straße liegen.
Ohne lange nachzudenken lief sie zu den beiden Jungen, die völlig aufgelöst waren. Auf der Straße lag eine getigerte Katze und hatte offensichtlich große Schmerzen. Unter Tränen berichteten die Kinder, dass die Katze angefahren worden war. Der Fahrer hatte sich nicht um das verletzte Tier gekümmert und war einfach weitergefahren. Ellen überlegte nicht lange. Sie zog ihre Jacke aus, lege sie auf den Boden und bettete das verletzte Kätzchen darauf.
Vorsichtig trug sie das Tier zu ihrem Auto und legte es auf den Beifahrersitz. Sie Katze versuchte nicht zu entkommen und sah Ellen voller Vertrauen an. Trotz ihrer Schmerzen blinzelte sie Ellen an und diese wusste, dass die Katze ihr durch das Blinzeln ein Lächeln schenkte. Tief berührt fuhr Ellen zu der Tierklinik, wo sie ihre Katzen hinbrachten, wenn ihnen etwas fehlte. Sie trug die Katze in die Klinik und hörte ein Schnurren, als sie das verletzte Tier in ihren Armen hielt. Eine Tierärztin eilte sofort herbei und kümmerte sich um das verletzte Tier. Nach ein paar Untersuchungen stand fest, dass die Verletzungen nur oberflächlich waren und die Schmerzen mit einem Schmerzmittel gestillt werden konnten. Leider hatte die Ärztin, als sie einen Ultraschall machte, eine viel schlimmere Diagnose, als die Verletzungen durch den Unfall, gestellt. Die Katze hatte einen Tumor im Bauchraum und die Ärztin konnte nicht sagen, ob es sich um einen gutartigen oder bösartigen Tumor handelte. Der Tumor drückte allerdings auf die Leber und eine Operation war unumgänglich. Leider konnte die Tierärztin Ellen wenig Hoffnung machen, denn es handelte sich um eine ältere Katze und die Chance, dass sie die Operation überleben konnte, war gering. Sie kamen überein, dass Ellen versuchen sollte die Katze auf dem Bauernhof aufzupäppeln. Wenn ihre Wunden verheilt waren und sie etwas an Gewicht zugelegt hatte, würde die Tierärztin die Operation wagen.
Als Luise die arme Katze erblickte und sich die Geschichte angehört hatte, sagte sie:
“Die kleine Maus sieht Pauline sehr ähnlich.“
Pauline war eine blinde Katze, die einst in der alten Scheune gelebt hatte und die Luise sehr ans Herz gewachsen war. Ihr Tod hatte eine große Lücke in Luises Herz hinterlassen. Für Ellen war klar, dass sie die Katze Pauline taufen wollte. Vielleicht brachte ihr dieser Name Glück.
In den nächsten Wochen umsorgte Ellen und die anderen Menschen auf dem Bauernhof die kleine Pauline. Von Tag zu Tag ging es ihr besser und sie folgte Ellen auf Schritt und Tritt. Wo Ellen war, war auch Pauline. Pauline stand am Morgen mit Ellen auf und ging am Abend mit ihr schlafen.
Tinka, Dandi und ich mochten Pauline sehr. Sie war eine freundliche, sanfte Katze, die allen anderen Katzen mit großem Respekt begegnete. Eines Tages wollte ich Pauline überreden mit uns zur Scheune zu gehen, doch das wollte Pauline nicht.
“Ich freue mich, dass ihr mich mitnehmen wollt, aber ich muss bei Ellen bleiben,“ sagte sie
“Wir kommen doch wieder zurück,“ sagte ich.
“Das geht nicht,“ beharrte Pauline auf ihrer Meinung.
“Aber warum musst du immer bei Ellen bleiben. Es ist doch so ein schöner Tag,“ versuchte ich sie zu überreden.
“Wenn ich nicht bei Ellen bin, muss ich sterben,“ sagte Pauline und ich wusste instinktiv, dass das die Wahrheit war. Nachdenklich gingen wir zu der Scheune. Keiner von uns sprach ein Wort. Als wir am Fluss waren, fragte ich Tinka:
“Tinka glaubst du, dass Pauline sterben muss?“
“Ich weiß nicht, kleine Mia, aber ich denke, dass Ellen ihr die Kraft gibt, wieder gesund zu werden.“
Am Tag der Operation fuhr Ellen mit Pauline zur Tierklinik. Sie blieb bei ihr bis die Narkose wirkte und wartete geduldig bis diese vorbei war. Ellen wollte bei Pauline sein, wenn sie wach wurde und die Tierärztin hatte keine Bedenken. Zum Glück verlief alles gut. Pauline überstand die Operation ohne Probleme und als sie aus der Narkose erwachte, kam die Tierärztin in das Zimmer und überbrachte Ellen die gute Nachricht, dass Paulines Tumor wahrscheinlich gutartig war.
Bereits ein paar Tage später konnte Ellen Pauline abholen. Die kleine Kämpferin erholte sich sehr schnell von der Operation und inzwischen stand fest, dass der Tumor gutartig war. Die Freude der Menschen auf dem Bauernhof war groß. Pauline blühte regelrecht auf. Offensichtlich hatte ihr der Tumor Schmerzen bereitet. Ellen und Pauline waren weiterhin unzertrennlich. Musste Ellen weg so wartete Pauline geduldig auf ihre Rückkehr. Sie saß am Fenster und blickte auf die Einfahrt und sobald Ellens Auto auftauchte lief sie nach draußen, um sie freudig zu begrüßen. Jedes Wiedersehen mit Ellen war für Pauline ein großer Glücksmoment in ihrer kleinen Welt. Ellen nahm sie auf den Arm und die kleine Katze schmiegte sich voller Vertrauen an sie.
Inzwischen hatte Pauline mit den Kaninchen, die Ellen jeden Tag versorgte, Freundschaft geschlossen. Sie legte sich ins Stroh, während Ellen ihrer Arbeit nachging und schnell war sie von Kaninchen umringt, die sich an sie kuschelten. Pauline wurde nicht müde die Kaninchen zu schlecken, was diesen sehr gefiel. Pauline und die Kaninchen wurden zu einer kleinen Sensation, wenn Besucher auf den Bauernhof kamen und Ellen, sie, mit Pauline, über den Hof führte. Beim Besuch in der Kaninchenstadt war das Gelächter immer groß. Sobald sie die Kaninchenstadt betraten kamen ein paar Kaninchen angehoppelt, die mit Pauline schmusen wollten.
Die Freundschaft zwischen Pauline und Ellen dauerte zwei Jahre. Dann im Herbst wurde Pauline immer gebrechlicher und starb noch ehe es Winter wurde. Für Ellen brach eine Welt zusammen. Überall, wo sie ging und stand glaubte sie, Pauline müsste in ihrer Nähe sein. Kam sie auf den Bauernhof zurück, so ging ihr Blick zu der Veranda auf der Pauline immer gewartet hatte. Der Schmerz war so groß, dass sie ständig weinen musste. Die anderen Menschen auf dem Bauernhof versuchten Ellen zu trösten, doch sie wussten, dass keine Worte diesen Schmerz lindern konnte. Auch sie waren gefangen in ihrem Schmerz und als sie Pauline auf dem Hügel beerdigten wunderte sich niemand, dass Tinka, Mia und Dandi dort auftauchten. Die drei Katzen, die so eng mit ihnen verbunden waren, spürten ihren seelischen Schmerz.
“Ich werde im Frühjahr eine besonders schöne Hortensie für Pauline pflanzen,“ sagte Luise zu Ellen traurig. “Wir konnten ihr nur noch kurz ein schönes Leben schenken, aber sie ist als eine geliebte Katze gestorben. Das darfst du in deinem Schmerz nicht vergessen.“
Ellen nickte und die Tränen rannen unaufhörlich über ihre Wangen. Als sie zurück auf dem Bauernhof waren, zog sich Ellen in ihr Zimmer zurück. Sie hatte sich diesen Raum eingerichtet, um ungestört ihre Bilder malen zu können, die sie an tierliebe Menschen verkaufte. Sie malte wunderschöne Bilder von den Tieren, die auf dem Bauernhof lebten oder Tiere von Fotos, die Menschen ihr schickten. Jetzt hatte Ellen keine Freude am Malen. Sie saß vor einem Bild von Pauline das sie vor kurzem gemalt hatte und das, so dachte sie jetzt, schon den Tod in ihren Augen spiegelte. Schließlich setzte sich Ellen an den Computer, um den Menschen, die Paulines Geschichte im Internet verfolgt hatten mitzuteilen, dass sie gestorben war. Als sie vor der Tastatur saß, sprudelten Zeilen aus ihr, die sie den Menschen da draußen mitteilen wollte.
Ohne dich…
Eine Nacht voller Erinnerungen....ohne dich!
Der Morgen voller Erinnerungen...ohne dich!
Deine Lieblingsplätze....ohne dich!
Deine Stimme in meinen Gedanken...ohne dich!
Die Stunden vergehen...ohne dich!
Alles ist wie immer...nur ohne dich!
Die Welt dreht sich weiter... ohne dich!
Jede Stunde, die vergeht bringt mich näher zu dir, doch jetzt bin ich ohne dich!
Gut gemeinte Ratschläge, die sagen, das Leben wäre leichter ohne Tiere... doch du rufst mir zu:
Wir brauchen dich! Wir sind verloren... ohne dich!
So gehe ich weiter auf meinem Weg...ohne dich!
Alle Erinnerungen und seelischen Schmerzen...die vielen ohne dich... bleiben tief in meinem Herzen verborgen.... Ich denke an die vielen armen Seelen und höre sie rufen: Wir sind bei dir... immer, wenn du einem Tier ohne Hoffnung ein wenig Hoffnung gibst... immer, wenn du einem Tier ohne Namen einen Namen gibst...
Niemals gibt es ein ohne dich!
Die Resonanz auf diese Zeilen waren gewaltig. So viele Menschen teilten mit ihr diesen Schmerz, der ihr Herz zu zerreißen drohte. Eine Frau schrieb folgende Zeilen, die Ellen tief berührten:
Wo sind die Jahre?