Im Gedenken
an meinen Kunsterzieher
am Mädchengymnasium Ravensburg,
Helmuth Schneider,
der selbst Hölzel-Schüler war
und nach dessen Lehre unterrichtete
Text: Ingeborg Bauer
Fotos: Ingeborg und Siegfried Bauer
Layout: Ingeborg Bauer
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© 2020 Ingeborg Bauer
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7526-3816-5
Goethes Theorie gegen Newtons Theorie
Für Goethe entstehen alle Farben, einschließlich der Grundfarben Gelb, Rot und Blau, aus dem Grau - aus dem „Trüben“.
Mit seiner 1810 erschienenen Farbenlehre wendet sich Goethe gegen Isaac Newton (1643-1727). Newton hatte bereits ein Jahrhundert vor Goethe (1749-1832) gezeigt, dass das Sonnenlicht alle Farben enthält: Er lenkte einen Lichtstrahl auf eine Seite eines dreikantigen Glasprismas. Das Prisma fächert den Lichtstrahl auf, der auf die andere Seite des Prismas projiziert als Regenbogenband von Rot-Orange-Gelb-Grün-Blau-Blauviolett-Rotviolett erscheint. Daraus schließt Newton, dass das weiße Licht die Summe aller Lichtfarben ist. Er hat damit experimentell einwandfrei die Zerlegung des farblosen Lichts in die Farbenskala bewiesen.
Aber das Experiment, mit dem er dies darstellen will, ist weniger überzeugend. Newton hat dafür einen Farbkreisel konstruiert, eine Scheibe, unterteilt in sieben Farbsegmente; die Größe jedes Segments entspricht dem Anteil jeder Farbe im Spektrum. Wenn man die Scheibe schnell dreht, vermischen sich die Einzelfarben zur Gesamtfarbe, es entsteht - nach Newtons Theorie - Weiß. Aber auf dem Farbenkreisel entsteht Grau.
Der Fehler liegt im technischen Verfahren: Die Farben des immateriellen Lichts addieren sich zu Weiß. Newton kann bei seinem Farbenkreisel nicht mit Lichtfarben arbeiten, sondern muss Malfarben verwenden. Die Malfarben und der Maluntergrund des Farbenkreisels schlucken so viel Licht, dass bestenfalls ein helles Grau entsteht. Die Mischung von Malfarben, aller materiellen Farben, macht die Mischung dunkler. Goethe also dreht Newtons Farbenkreisel und sieht Grau und kommt zu dem Schluss, dass alle Farben zusammen Grau ergeben, nicht weiß.
Ein weiterer Streitpunkt ist Goethes Überzeugung von den Urfarben, heute würde man von Grundfarben sprechen, Gelb, Rot und Blau, denn aus ihnen lassen sich alle anderen Farben mischen, Malfarben wohlgemerkt. Denn in Bezug auf das Licht gelten andere Gesetze. Hier sind Grün, Orange, Violett die Grundfarben! Denn:
Grünes Licht + violettes Licht = blaues Licht
Oranges Licht + grünes Licht = gelbes Licht
Violettes Licht + oranges Licht = rotes Licht
Grünes Licht + oranges Licht + violettes Licht = weißes Licht!
Goethe kann nicht glauben, dass die Farben des Lichts sich nach anderen Gesetzen mischen sollten als die Farben seines Aquarellkastens.
Naturwissenschaftliche Kategorien legt man auch an ästhetische Probleme an. Man will die Farben naturwissenschaftlich ordnen und ihre Wirkung festlegen. Goethe ist da nicht der einzige. Seit Newton sind Farbenlehren ein Modethema, das in den Salons beredet wird. Goethe kennt die Farbenlehren seiner Zeitgenossen. Er diskutiert zum Beispiel mit Runge und sieht in seinen eigenen Ausführungen dazu seltsamerweise seine größte Lebensleistung.
Goethes Theorie beginnt beim Grau. Nach seinem Prinzip der Polarität bilden jene Farben eine natürliche Einheit, die sich miteinander zu Grau ergänzen - die Komplementärfarben. Es sind die Farbpaare Rot-Grün, Gelb-Violett, Blau-Orange und die Polarität Weiß - Schwarz.
Das Prinzip der „Steigerung“ verweist ebenfalls auf Grau, denn „Steigerung“ ist „Trübung“. In Goethes Farbenkreis steht oben Rot als aktivste Farbe in höchster Steigerung. Rot ist Steigerung von Gelb, weil sich das gelbe Sonnenlicht im Abenddunst rot trübt. Rot ist auch die Steigerung von Blau, weil aus dem trübblauen Nachthimmel das Morgenrot entsteht. Auch wenn man die Grundfarben Rot, Gelb, Blau mischt, entsteht Grau. Deshalb steht in der Mitte von Goethes Farbkreis Grau.
Goethe kennt auch die Möglichkeit, dass eine Farbe ein komplementäres Nachbild erzeugt. Er sieht darin aber eine Gesetzmäßigkeit, die nicht zuverlässig auftritt. Am ehesten ist der Effekt zu erzielen, wenn man längere Zeit eine einfarbige Fläche starr ansieht und dann eine weiße Fläche betrachtet. Auch dann wird nicht immer ein komplementäres Nachbild gesehen. Bis heute ist ungeklärt, wann dieser Effekt zustande kommt und warum er meist erst nach sekundenlanger Verzögerung auftritt. Aus experimentalpsychologischer Sicht ist auffallend, dass die Wirkung die Kenntnis der Komplementärkontraste voraussetzt. So verstärkt sich der Verdacht, dass ein Nachbild nur gesehen wird, wenn es zuvor im Denken vollzogen wurde. Das Problem wird bei den Farbfeldmalern erwähnt, zum Beispiel bei Mark Rothko. Phänomene wie Nachbilder und Komplementärfarben faszinieren im 19. Jahrhundert. Aber Goethes Lehre von der Entstehung der Farben aus dem Urphänomen des Trüben wird nicht akzeptiert.
Kulturelle Wirkung von Goethes Farbenlehre
Goethe erkennt auch eine psychologisch-symbolische Wirkung der Farben an. Er stellt Richtlinien auf für die Malerei und im Zusammenhang damit auch für die Mode. Nach seinem Prinzip der Harmonie durch Polarität, bzw. Komplementarität, passen Farben nicht zusammen, die im Farbenkreis nebeneinander liegen. Nebeneinanderliegende Farben addieren sich nicht zu Grau, deshalb würde der Gesamteindruck der Farbigkeit zu grell wirken. Unharmonische Kombinationen sind für Goethe deshalb: Rot-Orange, Violett-Rot, Blau-Grün. Diese Farbkombinationen gelten noch heute in der konservativen Mode als geschmacklos - in der progressiven Mode allerdings gelten sie als besonders attraktiv.
Zu Goethes Zeiten dürfen niemals die leuchtenden Farben in der Kleidung dominieren. Weiß gilt als die schönste Farbe der Damenmode, der elegante Herr trägt Schwarz. Die Kleidung des idealen Paares ergänzt sich gegenseitig zu Grau.
Goethes Vorstellungen wirken sich auch heute noch in konservativen Kreisen aus. Die Neigung zu gedeckten Kleiderfarben ist nirgendwo so ausgeprägt wie in Deutschland. Gedeckt ist gleichzusetzen mit gediegen und geschmackvoll. Das ändert sich heute.
Goethe hat lange erwogen, Maler zu werden. Er will nun die Abneigung der Maler vor der Theorie überwinden, entscheidet sich aber gegen allgemein verbindliche Regeln. Der Maler müsse im jeweils konkreten Fall das jeweils Entsprechende seiner Lehre auswählen. Auch am Bauhaus werden Farbenlehren entwickelt, zum Beispiel von Itten, an den sich Klee anlehnt. Kandinsky befasst sich ausführlich damit, auch im Zusammenhang mit den Grundformen, und muss doch selbst feststellen, dass es keine letzten Wahrheiten gibt. Und auch die Bauhausmeister fühlen sich der eigenen Lehre nicht unbedingt verpflichtet. Es gibt keine zeitlose Ästhetik, kein erfahrungsloses Empfinden. 1
Aus dem Gewirr der Linien
schält sich die Form
aus dem Bild wächst
das Zeichen und
wird zur Metapher –
aus dem Grenzenlosen
Amorphen entsteht
eine Welt, die das Zufällige
in den Mantel möglicher
Erkenntnis hüllt.
Adolf Hölzel gelangt schon einige Jahre vor Kandinsky zur ungegenständlichen Malerei. In der „Komposition in Rot“ von 1905 sind erstmals Gegenstände durch kubische Flächenformen wiedergegeben. Sein Glaube an die „autochthone Kraft der künstlerischen Mittel“ führt ihn zur Abstraktion. Er ist überzeugt davon, dass alles Inhaltliche in der Darstellungsform der „absoluten Malerei“ verschwinde.
Adolf Hölzel, in Mähren geboren, hat den abstrakten Ornamentalismus der Wiener Secession mitbegründet. Die anfangs starke Ambivalenz zwischen Ungegenständlichkeit und Figuration in Hölzels Malerei soll Hölzels Reaktion auf den – von den Secessionisten Klimt, Moser und Hoffmann vertretenen – flächigen Bildaufbau gewesen sein. Sowohl die Secessionisten, als auch Hölzel, bewunderten den byzantinischen Flächenstil der Mosaiken Ravennas. Doch die Verarbeitung sieht bei Hölzel anders aus. Ihm geht es in erster Linie um das Bild, ohne die Unterordnung in architektonische Zusammenhänge, doch lässt Hölzel zum Beispiel die Pfullinger Hallen von seinen Schülern ausmalen. Er bedient sich zum einen der kristallin-kubischen, zum andern einer zellenförmig runden, kurvigen Kompositionsweise, die im Gegensatz steht zu dem stärker dem Ornament verpflichteten Wiener Stil, der von Josef Hoffmann und den Wiener Werkstätten vertreten wird. Bei Hölzel kann man eine konstruktive Durchmischung organischer und anorganischer Strukturen beobachten, die dem Streben nach Harmonie verpflichtet ist. Für ihn ist ein rhythmisches, dem Schreiben verwandtes Zeichnen wesentlich. „Der Rhythmus ist rein menschlich, strömt aus dem Menschen.“ Er beginnt jeden Tag mit freiem Zeichnen, das Linien praktisch aus dem Unbewussten über die Fläche verteilt. „Schreiben und Malen in Trümmern, die jeder in seiner Weise sich fieberglühend ergänzt. Denken an Bruchstücke von Ausgrabungen, die niemals ergänzt, uns wieder voll befriedigen werden. Trümmerhaufen verschwundenen Glücks im letzten Sonnenschein plötzlich dir leuchten und erzählen so vieles, das wir niemals uns wieder voll zusammenreimen können.“ 2 Hölzel hat stets nach einem Ausgleich von organischen und anorganischen Formen gesucht.
Er ist ein geeigneter Lehrer, der seinen Schülern große Freiheit gewährt. Er formuliert das selbst so: „Jede Schulung nimmt etwas Ursprüngliches. Der beste Unterricht in der Kunst wird daher der sein, der möglichst wenig von der Selbstständigkeit nimmt, der sie steigert, ohne sie einzuengen und zu schädigen.“
Hölzel ist dem Konzept eines Gesamtkunstwerks, wie es später auch im Bauhaus vertreten werden sollte, auf seine Weise gefolgt. Wie in den Wiener Werkstätten und im Palais Stoclet hat Hölzel bislang getrennte Kunstgattungen verbunden, etwa mit seinen Glasfenstern für die Firma Bahlsen (1915/16) und später für das Stuttgarter Rathaus (1928) und für die Firma Pelikan (1933) – Repliken der Fenster gelangen dann Anfang der 1960er Jahre ins Stuttgarter Rathaus. Diese Farbfenster feiern knospende Blüten, sind gebunden im Runden, verströmen Helligkeit ins Dunkel. Individuelle Blüten sind zum Strauß gebunden: Menschen, die in der Gemeinschaft „knospend“ aufblühen. Die Serie lebt aus der variierenden Wiederholung des Gleichen.
Auch Kandinsky war ja vertraut mit bayrischen Glasbildern. Es ist anzunehmen, dass diese Arbeiten den Malstil beider Künstler beeinflusst haben. Im ländlichen Raum Bayerns hat sich die Hinterglasmalerei gehalten, gerade was religiöse Themen anbelangt. Es handelt sich dabei um eine ganz besondere Maltechnik, bei der eine Glasscheibe als Bildträger dient und die Farbe auf der Hinterseite aufgetragen wird, also spiegelverkehrt. Für den Malprozess bedeutet dies, dass mit den äußersten Farbnuancen begonnen werden muss, den Lichtreflexen. Ein Umdenken ist erforderlich. Die Vorzeichnung bleibt bei der Hinterglasmalerei ebenfalls sichtbar. Insofern sind Umrisslinien mit Bleistegen von Glasfenstern funktional verwandt.
Man darf Adolf Hölzel nicht zu eng mit dem in Wien propagierten Jugendstil und dem in den Werkstätten vertretenen, dem Handwerk verpflichteten Kunstbegriff verbinden.
Auf 8 309 handgeschriebenen Blätter, die meist mit Zeichnungen, sogenannten Sockelzeichnungen versehen sind, vermittelt Adolf Hölzel seine Lehre. Es sind Fragmente, die sich aber zu einem zusammenhängenden Konzept fügen.
Wie Kandinsky sieht er im Geistigen, in der Spiritualität das Wesentliche. Dazu gehört auch die Einheit, die enge Verfugung der Teile: „Es gehört in der Kunst alles zusammen, aber zweifellos ist das Geistige wichtiger als das Handliche [hier ist in erster Linie die Hand gemeint, die den Stift, die Kohle führt und die geübt werden muss; das fordert Hölzel von sich und seinen Schülern].“
„Nichts darf im Bilde allein um seiner selbst willen vorhanden sein, die Linie, die den Gegenstand einrahmt, muss sich fortsetzen und gleichzeitig andere Thaten [sic!] vollbringen. Die Farbe, die uns den Gegenstand charakterisiert, muss weiterklingen und Resonanz erzeugen …“. Es geht hier um den Zwischenraum zwischen den künstlerischen Gegenständen, den Flecken, die zu Bildfindungen anregen, um „markante Punkte und Flecken […], die das Auge miteinander verbindet“, um ein „Konstruktions-Netz“ entstehen zu lassen. Der Fleck ist von innen heraus entwickelte Form (Figur).
Von solchen Flecken spricht auch Leonardo da Vinci in seinem „Traktat über die Malerei“:
„Es ist nach meiner Meinung nicht unnütz, wenn du zur Vergegenwärtigung von Bildformen innehältst und die Flecken an der Mauer, in der Herdasche, in den Wolken oder im Rinnstein ansiehst, bei aufmerksamer Betrachtung wirst du ganz wunderbare Erfindungen darin entdecken, aus denen der Geist des Malers Nutzen zieht für die Komposition von Menschen- und Tierschlachten, Landschaften, Monstren, Teufeln und anderen phantastischen Sachen, mit denen du zu Ehren kommen wirst. Diese wirren Dinge wecken den Geist zu neuen Erfindungen, doch muss man die Teile, nämlich die Gliedmaßen der Tiere und die Formen der Landschaft, ihre Pflanzen und Steine, gut zu machen gelernt haben."
Eine „Entmaterialisierung des Ausgedrückten“, das bedeutet Abstraktion vom Gegenstand, und die ist gewollt. Harmonische Aufteilung der Fläche in Flächenformen lassen ein Flächenmosaik entstehen, dem ein spannungsvolles Grundlinienraster zugrunde liegt. Es ist eine Malerei, die das Bild in erster Linie als mit Farbe bedeckte Fläche sieht. Hölzel bezieht die Gesamtheit der Bildfläche in seine Komposition ein. Dabei wird die Bildfläche von den Ecken und Rändern her erschlossen. Es kommt zu einer geradezu kristallinen Flächenstruktur. Dieses Konzept ist schon in einem Schlüsselwerk der Moderne verwirklicht, das Hölzel 1905 in Dachau gemalt hat, es ist die schon erwähnte „Komposition in Rot I“ und eines der ersten abstrakten Gemälde der Kunstgeschichte. Ziel dieser Kunst ist es, im Malprozess die „künstlerischen Mittel“, die Farben, Formen, das Format des Bildes, umzusetzen. Diese „künstlerischen Mittel“ sind abstrakt.
„Er [der Maler] hat keine wirkliche Natur, die er ins Bild setzt oder pflanzt. [...] Für ihn ist der Baum kein Baum, der Mensch kein Mensch, das Haus kein Haus, alles setzt sich für ihn aus Linien, helleren, dunkleren und farbigen Formen [...] zusammen. Alles, was wir darstellen [...] kann nur mit diesen Mitteln gegeben werden [...]. Zuerst muss das Werk des Malers [...] ein abstraktes Bild sein und kann erst dann auch eine Darstellung werden.“
Adolf Hölzel
Hölzel arbeitet mit einem linearen Grundgerüst, das die ganze Fläche des Bildes überzieht. In dieses Raster fügt er die reinen Farben des Spektralkreises und setzt sie in komplementäre Spannungen zueinander. Es geht Hölzel um Farbakkorde, die er in verdeckte Konstruktionslinien einsetzt: Diagonalen, Quadrate, Kreise, vorzugsweise strukturiert durch den Goldenen Schnitt. Alles auf einem Bild ist überall in diese geradezu kristalline Flächenstruktur eingebunden. Doch wächst aus dem abstrakten Raster bei Hölzel häufig die Gestalt. So wird eine Geschichte angerissen, oft ist es christlicher Mythos. Ein Bild ist für Hölzel stets ein harmonisches Ganzes, Versöhnung. Für ihn ist das Thematische nicht eigentlich wichtig. Es gilt „das Gegenständliche aus den Mitteln heraus zu entwickeln“. So kommt es zu einem Schweben zwischen Abstraktion, die sich im Malprozess entwickelt, und einer Figuration, die sich unwillkürlich aus sich selber ergibt. Hölzel weiß, dass der Mensch von Kindheit an auf gegenständliches Sehen getrimmt ist, doch der Maler - wie überhaupt der künstlerisch schaffende Mensch - muss mit den der Malerei oder den seiner Kunst zugehörigen Mitteln arbeiten. Es spielt also keine Rolle, „ob er in seinem Resultat zur gegenständlichen Darstellung gelangt oder ohne Gegenstandsdarstellung künstlerische Harmonien schafft, abstrakt arbeitet“. Es sind die „künstlerischen Mittel“, um die es geht.
Für Hölzel setzt sich alles aus Linien zusammen, helleren, dunkleren und farbigen Formen. Erst wenn durch eine gelungene Kombination der „künstlerischen Mittel“ die bildimmanente Harmonie erreicht wird, also die Abstraktion verwirklicht ist, kann das Bild auch zur Darstellung werden. Hölzel geht also von der Abstraktion aus, um dann in ihr Anmutungen des Figurativen zuzulassen.
Hölzels „Farbige Komposition mit figürlichen Elementen“ entsteht 1930, als er zurückgezogen in seiner Villa auf Stuttgarts Höhen wohnt und arbeitet. Schon der Titel beweist, dass es ihm in erster Linie darum geht, intensive Farbformen in Beziehung treten zu lassen, die er, vergleichbar mit Glasfensterstegen, schwarz umrandet. Doch ist die lineare Komposition Ausgangspunkt, in sie werden die Farben eingefügt. Häufig bekommen Bilder dieser Art nachträglich einen Titel, der auf biblische Texte verweist, die aber kein religiöses Bekenntnis sein wollen, denn „mit der Religion kann man nicht malen.“ Doch sind diese figurativen Elemente erst zuletzt herausgearbeitet, ergeben sich nachträglich aus linearen Geweben, der Abstraktion. So in „Farbige Komposition (Anbetung)“ von 1924. Dieses Motiv verwendet er mehrfach. Es erlaubt ihm eine pyramidale Anordnung, die zumindest eine Figuration erahnen lässt.
Für Hölzel geht es um den Malprozess, in dem sich die „künstlerischen Mittel“ darstellen, Farben, Formen, die Linie. Diese „künstlerischen Mittel“ lösen den realen Gegenstand ab. Diese „Mittel“ in einen Zustand der Harmonie zu bringen, darum geht es ihm. Für ihn scheint das Sein in der Welt erst im Harmonischen vollständig zu sein. „Das Bild ist eine Welt für sich, das eigens und gründlich erforscht werden will.“ Er definiert es als „harmonisches Ganzes“, das die Empfindungen des Betrachters befriedigen soll und ihnen gerecht werden muss.“ Doch geht es ihm nicht um Emotionen und Gedankenassoziationen. Es geht nicht um expressionistisches Malen, den Ausdruck von Emotionen wie bei den Expressionisten. Für ihn ist es der Wahrnehmungsprozess, das Auge des Schaffenden und das des Betrachters.
Ausgangspunkt für Hölzel ist das Sehen, das Auge. Und die Kreisform entspricht dem menschlichen Sehen. Der gefügte Kreis – in ihm sieht er die wiedergefundene Harmonie, auch die künstlerische Entsprechung von Religion. Dazu schon 1841 Ralph Waldo Emerson „Das Auge ist der erste Kreis; der Horizont, welchen es bildet, ist der zweite; und durch die ganze Natur hindurch wird diese Grundfigur ohne Ende wiederholt. Sie ist das höchste Sinnbild in der Geheimschrift der Welt.“ In Hoelzels späterem Werk tauchen häufig Kreisformationen auf. Der Kreis ist ein Symbol für den Kosmos in seiner verwirrenden Unüberschaubarkeit, die er im Kaleidoskop repräsentiert sieht. Der Kreis ist zugleich Allumfassung, Ordnung und Harmonie. Hoelzel begründet die Kreisform jedoch gleichfalls pragmatisch mit Erfordernissen, die das Sehen selbst an das Bild stellt: „Außer allen durch Linien bedingten Sehverbindungen im Bilde, muss darauf hingewiesen werden, dass unser Auge den Sehkreis bedingt.“ Die Kreisform im Bild stellt also eine Entsprechung des menschlichen Sehens dar. Das Bild wird von Adolf Hoelzel als Funktion menschlicher Wahrnehmung selbst aufgefasst. „Kunst ist Anschauung und muss aus der Anschauung heraus entstehen.“ Für ihn stellt der Kreis die ultimative Figur dar.
Ausgangspunkt hinsichtlich der „künstlerischen Mittel“ ist die Linie. Am Morgen gilt es mit Handübungen zu beginnen. Das Seelische übertrage sich auf die Hand. Tausend Striche am Morgen fordert Hölzel von seinen Schülern, aber auch von sich selbst. Linien laufen kreisend über ein Blatt, umkreisen und kreieren Formen, Linien umkreisen und überschneiden sich, können zu Figurationen werden. Oder aber zu kristallinen, zu annähernd geometrischen Formen. Solche Urformen sind für Hölzel „das Dreieck und der Kreis. Alles andere setzt sich aus ihnen zusammen oder lässt sich auf sie zurückführen.“ (Die Raute z.B. ist ein gespiegeltes Dreieck.) Farbakkorde und verdeckte Konstruktionslinien spielen im Unterricht eine Rolle; Diagonalen, Quadrate, Kreise und der Goldene Schnitt sind wichtig, um die angestrebte Harmonie der Darstellung zu erringen.
Es geht ihm letztlich um Harmonie, um die gelungene Proportion. Adolf Hölzel ist der Sohn eines Musikalien-Verlegers und spielt Geige – wie auch Paul Klee und Lyonel Feininger. Hölzels Frau spielt Klavier. Beide haben eine musikalische Prägung. Auch für Kandinsky spielt Musik eine bedeutende Rolle. Musikalische Dreiklänge verbinden sich für Hölzel mit dem Spiel der Farben. Synästhesie ist allen vertraut. Der Dur-Dreiklang ist mit reinen Farben prägnanter, der Sekundärdreiklang mit Mischfarben weicher, den Molltonarten verwandt. Diejenige Farbe in einem Dreiklang, die durch Helligkeit, Intensität oder Quantität auffalle, überflute die beiden anderen derart, dass sich neue wechselnde Schattierungen ergeben. Nichtfarben (Weiß und Schwarz) im Bilde sind dagegen wie Pausen in der Musik. So Adolf Hölzel. Kandinsky zählt Weiß und Schwarz zu den Farben, stimmt aber im Übrigen mit Hölzel überein.
Das Handwerkszeug als Voraussetzung, Hölzels „künstlerische Materialien“ als Grundlage der Lehre, dieser Gedanke wird am Bauhaus durch seine Schüler Johannes Itten und Oskar Schlemmer im dortigen „Vorkurs“ Programm vertreten. Für Hölzel sind die künstlerischen Grundlagen erlernbar wie Mathematik oder Fremdsprachen, ein Ansatz, der in Wien schon praktiziert wird, dort wird an den Schulen der Zeichenunterricht schon sehr viel intensiver gefördert. Damit einher geht die Absage an den Geniegedanken. Zeichnen wird eine absolute Grundlage für kreatives Schaffen. Aus einfachsten Formen entstehen dabei komplexe Zusammenhänge. Hölzel strebt eine generelle Reformierung künstlerischer Ausbildung an, die schon in den Schulen beginnen soll. In der Einbeziehung schulischer Pädagogik unterscheidet sich Hölzel vom Bauhaus, deckt sich aber mit den Intentionen von Walter Gropius. Insofern, als Hölzel-Schüler wie Itten, Schlemmer und Albers dort tätig werden, ist Adolf Hölzel vor allem in der frühen Phase des Bauhauses durchaus präsent. Seine Farbenlehre, sein Farbkreis, wird durch einen anderen seiner Schüler, Ludwig Hirschfeld-Mack, im Vorkurs gelehrt. Auch in Kandinskys Farbseminar werden Hölzels Theorien besprochen. Das Bauhaus dürfte, nach einem anderen Hölzel-Schüler, Vincent Weber, „der größte Multiplikator Hölzelschen Denkens gewesen sein.“
Literatur zu Adolf Hölzel:
Adolf Hölzel: Einiges über die Farbe in ihrer bildharmonischen Bedeutung und Ausnützung. Mit einer Einführung von Wolfgang Kermer (staatliche Akademie der Bildenden Künste), Stuttgart 1997
Kunst ist eine Wissenschaft – Hölzel, Baumeister und die Stuttgarter Akademie, Hrsg. Ulrike Gross und Daniel Spanke (Kunstmuseum Stuttgart), darin vor allem: Daniel Spanke: „Dem Selbständigen die Wege zu ebnen“ Adolf Hölzel und Willi Baumeister – Lehrer, Schüler, Künstler, S.22-26
Kunstmuseum Stuttgart: KALEIDOSKOP. HOELZEL in der Avantgarde
Peter Gorsen, „Als die Malerei innerlich wurde. Die majestätische Ruhe des Anorganischen.“ in: FAZ 14.8.07
Alexander Klee: „Adolf Hölzel – Spritus Rector“ in: Die ganze Welt ein Bauhaus Ausstellungskatalog des ZKM Karlsruhe (München 2019)
Zu Adolf Hölzel: Ingeborg Bauer, Wege in die Abstraktion – Lyrische Betrachtungen (Norderstedt 2013), S.18-26
1 Eva Heller, Wie Farben wirken Farbpsychologie, Farbsymbolik, Kreative Farbgestaltung (Rowohlt, 1997)
2 Cf. Friedrich Hölderlin: „der Künstler ergänzt den Torso sich leicht“
Ein Hölzel-Schüler ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten der ersten Phase des Bauhauses: der Maler und Kunstpädagoge Johannes Itten. Er wird in einem hochgelegenen Dorf im Schweizer Kanton Bern als Sohn einer Bergbauernfamilie geboren. Wie sein früh verstorbener Vater will er Lehrer werden. Nach einer mit Auszeichnung abgeschlossenen Ausbildung unterrichtet er an einer Dorfschule mit viel Engagement. Musik, Kunst und Sport sind dabei prominent vertreten. Er gibt aber den Lehrerberuf bald auf. Mit dem ererbten Geld eines Onkels kann er sich mehrere Reisen leisten und beschließt daraufhin, Kunst zu studieren, Maler zu werden. Nach dem Besuch der Kunsthochschule in Genf geht er zu Adolf Hölzel nach Stuttgart. Von 1913 bis 1916 gehört er zusammen mit Willi Baumeister und Oskar Schlemmer zum „Hölzel-Kreis“. 1916 geht Itten nach Wien, wo er eine private Kunstschule betreibt. Dort begegnet er im Kreise Alma Mahlers Walter Gropius, der ihn sofort ans Bauhaus verpflichtet. Sein Unterricht umfasst subjektive und objektive Elemente. Er will zunächst das subjektive Erleben der Studierenden stärken, um ihnen, darauf aufbauend, objektive Erkenntnisse zu vermitteln. Rhythmisches und harmonisches Gestalten stehen dabei im Mittelpunkt. Durch Itten gelangen Hölzels Kunstdidaktik und Kompositionslehre ans Bauhaus. Itten gelingt so in der Nachfolge seines Lehrers Hölzel eine grundlegende Reform der Kunstausbildung. Ihm obliegt die Entwicklung und Leitung des für alle Studierenden obligatorischen Vorkurses.
Bei der Gestaltung des Vorkurses hat Itten freie Hand. Die halbjährige Teilnahme ist zugleich Probezeit und Vorbereitung für die verschiedenen Werkstätten, die nach den verwendeten Materialien unterschieden werden: Holz, Metall, Gewebe, Farbe, Glas, Ton und Stein. Bald entwickelt sich ein duales Ausbildungsmodell: Der parallel laufende Unterricht bei einem Künstler und einem Handwerker soll den Studierenden sowohl in handwerklicher als in gestalterischer Hinsicht ein Maximum an Kenntnissen vermitteln. Anfangs stehen fast alle Werkstätten unter dem Einfluss Ittens. Gemeinsam mit Georg Muche leitet er als Form-Meister