Ich schreibe dieses Buch mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit und Wertschätzung für die Menschen, die für mich die stärkste Inspiration und Unterstützung waren:

Gabriele B. Kohli

13.04.1965–15.01.1994

Mein erster Coach und meine geliebte Frau.

Anke Kohli

Meine geliebte Frau und der Sonnenschein in meinem Leben.

Frau Mohini Kohli

Meine Mutter und der eiserne Rückhalt in meinem Leben.

Neeru und Ritu Kohli

Zwei starke Frauen und wunderbare Schwestern, ohne die ich viele Herausforderungen in

Indien nicht durchgestanden hätte.

&

David Ben Adam und Anna Mohini Kohli

Die Reinkarnationen von meiner Frau und mir mit einem herausragenden „Betriebssystem“

Translation form the English language edition Effective Coaching, and The Fallacy of Sustainable Change by Arun Kohli. Copyright of the English Edition: ©Springer International Publishing Switzerland 2016. All rights reserved

Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind unter www.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-7526-5005-1

© 2020 Arun Kohli

Herstellung und Verlag: Bod – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Satz: Fotosatz H. Buck, Kumhausen

Umschlaggestaltung: Pia Seddigh, Berlin

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Stefan Rau

Coaching und Leadership

Sie wurden nicht als Führungspersönlichkeit geboren. In Ihrer Karriere sind Sie wahrscheinlich sehr schnell in Verantwortungspositionen aufgestiegen. Die Probleme beim Führen von Teams oder Einzelpersonen werden häufig ignoriert oder unterschätzt und potenzielle oder aufsteigende Führungspersönlichkeiten werden oft nicht ausreichend auf ihre Aufgaben vorbereitet – darunter leiden die Führungsperson und das Unternehmen gleichermaßen.

Die Anforderungen und Voraussetzungen für Arbeitskräfte sind heute ganz anders und viel komplexer als früher. Die Folgen dessen sehen Sie in der Kultur Ihres Unternehmens, die ein Spiegel Ihres Führungsstils ist! Die Mitarbeiterzufriedenheit wird in bedeutsamer Weise von Ihrer Kommunikation durch Ihren Führungsstil und Ihr persönliches Verhalten beeinflusst. Mitarbeiter zu führen und zu inspirieren, sodass Sie Ihnen folgen, ist ein Schlüssel für Ihren Erfolg im Unternehmen – das gilt für alle Managementebenen.

Mit dem Personal Coaching werden Sie durch Selbstreflexion in Ihrer persönlichen Entwicklung unterstützt. Sie verstehen den Unterschied zwischen Ihrem Selbstbild und Ihrem Bild in der Öffentlichkeit: Was Sie über sich denken, und was andere über Sie denken. Durch Coaching ist es leichter, die Reaktionen der Mitarbeiter auf bestimmte Herausforderungen im Management zu interpretieren und sich darauf zu beziehen. Dadurch ist es möglich, gegebenenfalls das eigene Verhalten zu ändern und die Leistung zu steigern oder zu verbessern.

Für mich war das professionelle, kritische und ehrliche Feedback über mein Verhalten die größte Bereicherung und Möglichkeit, die ich durch das Personal Coaching erhielt.

Es war auch wichtig für mich, den klaren Unterschied zwischen Management und Führung zu verstehen – mir persönlich half es bei der Überlegung, wie ich meine Mitarbeiter führe, und bei der Reflexion darüber, wie ich meine Mitarbeiter motivieren kann. Ich fand heraus, dass es ihren Respekt für mich als ihre Führungsperson stärkt und nicht schwächt, wenn ich mehr über sie weiß als ihre Namen und eigene Fehler eingestehe. Die Mitarbeiter schätzen eine authentische Führungspersönlichkeit, die nicht einfach den allgemein üblichen idealistischen Managementstil kopiert. Coaching hat mir die Möglichkeit gegeben, selbstbestimmt meinen eigenen Führungsstil zu entdecken. Es war außerordentlich produktiv für mich, durch ehrliche und ungefilterte Selbstreflexion unter Anleitung meines Coaches Einsichten in mein Selbst und die Wirkung, die ich auf andere habe, zu gewinnen. Dar Ergebnis war eine Verbesserung meines Führungsstils, der auf die Menschen in meiner Umgebung eine positive Wirkung hatte.

Stefan Rau, Vize-Präsident der TI Fluid Systems in Michigan, USA. Mit Büros in 28 Ländern an 114 Standorten in der ganzen Welt. Coaching-Klient von Arun Kohli, März 2013

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Einführung

In diesem Buch geht es um Coaching und den Trugschluss, dass durch Coaching eine bedingungslose, nachhaltige Veränderung möglich sei. Sie könnten fragen, warum wir ein Buch über diese zwei Themen brauchen. Aufgrund der vielen Behauptungen und Bücher, die ich hinzugezogen habe, ist es meiner Ansicht nach wichtig, über Unklarheiten und Verzerrungen zu sprechen, um Fehlannahmen über Coaching und die Arbeit eines Coaches richtigzustellen. Astrid Schreyögg schreibt in ihrem Buch Coaching: Eine Einführung für Praxis und Ausbildung (2012, S. 27), dass Coaching eine Form der professionellen Managementberatung sei und behauptet, dass Coaching eine „Therapie gegen berufliches Leid“ (S. →) bietet. Diese Verwirrung in Bezug auf Coaching ist weitverbreitet. Der Verlag bewirbt Schreyöggs Buch so: „Dieses Standardwerk ist der fundierteste Leitfaden für Coaching-Profis und Interessierte.“ Coaching als Therapie oder professionelle Managementberatung zu bezeichnen, verfehlt vollkommen den wahren Sinn des Coachings. Eine weitere Behauptung besteht darin, dass Coaching aus der Psychoanalyse entstanden ist, wie es im TV-Sender 3Sat dargestellt wurde1. Neben meiner eigenen abweichenden Meinung und meiner Überzeugung, dass solche Behauptungen dem wahren Anliegen von Coaches und Klienten entgegengesetzt sind, gibt es auch Forscher, die diese Ansicht vertreten. Besonders beachtenswert ist für mich die Aussage von Manfred F. R. Kets de Vries, Professor an der INSEAD in Frankreich, einer Business School für Führungskräfte- und Organisationsentwicklung. Er schreibt in Coaching: An International Journal of Theory, Research and Practice (2013) in dem Artikel „Coachings ’good hour’: creating tipping points“: „… es gibt weiterhin veraltete Annahmen über das Coaching (wie die Verwechslung des Coaching-Prozesses mit traditionelleren Formen von Psychoanalyse und Psychotherapie), was zu dem großen Zögern beiträgt, jemandem aus einem helfenden Beruf um Unterstützung zu bitten“ (S. →). Andere Behauptungen im Zusammenhang mit Coaching sind beispielsweise, dass Coaching aus der Businesspsychologie oder der Personalentwicklung kommt – siehe Die Professionalisierung von Coaching – Ein Lesebuch für den Coach (2015, S. 105). Zusätzlich zu den Beispielen, die ich weiter oben zitiert habe, wird eine einfache Internetsuche zeigen, dass diese Verwirrung weitverbreitet ist, und Coaching oft mit einer anderen Disziplin wie dem psychologischen Coaching in Verbindung gebracht wird. Coaching ist ein psychologischer Prozess und eine eigenständige Dienstleistung, die keine zusätzlichen Bezeichnungen benötigt. Es ist auch keine beratende Tätigkeit, wie in Coaching-Theorie – Eine Einführung (2015, S. 20) behauptet wird. Obwohl Coaching nichts von dem oben Genannten ist, können Menschen mit verschiedenen beruflichen Hintergründen Coaching-Methoden einfach erlernen und anwenden, um ihre Kompetenz zu verbessern. Das gibt ihnen nicht das Recht, das Konzept des Coachings zu verändern, in dem Versuch, es in etwas Anderes zu verwandeln, als es von den Begründern gedacht war.

Von den vielen Büchern über Coaching, die ich gelesen habe, möchte ich hier einige anführen: So coache ich (2012); Coaching: erfrischend einfach (2008); Führen, Fördern, Coachen: So entwickeln Sie die Potenziale Ihrer Mitarbeiter (2007); Coaching Jenseits von Tools und Techniken (2015); Die Professionalisierung von Coaching: Ein Lesebuch für den Coach (2015); Emotionen im Coaching: Kommunikative Muster der Beratungsinteraktion (2015) und Coaching Theorie: Eine Einführung (2015) – mit wenigen Ausnahmen wird in diesen Büchern nicht darauf eingegangen, wo Coaching entstanden ist.

Warum ist das wichtig? Wenn wir die Ursprünge des Coachings verstehen, wird klarwerden, dass die neuen Formen des Coachings für sich stehen, und es wird dem Coach und dem Klienten ermöglichen, Coaching mit einem Gefühl der Klarheit und Gewissheit anzugehen. Sicher sind sich alle Autoren einig, dass Coaching in den USA entstand, aber nur wenige Bücher über Coaching erwähnen, dass es seine gegenwärtige Form durch die Beiträge bestimmter Menschen erhielt, die für die Einführung der Methodik verantwortlich sind, die dem modernen Coaching zugrunde liegt. Eine natürliche Folge dieser Verständnislücke ist Verwirrung.

Um diesen Punkt zu verdeutlichen, möchte ich einen E-Mail-Austausch mit Sabine Asgodom wiedergeben. Ich fragte sie, warum sie ihr Buch So coache ich genannt hat. Für mich schien der Titel folgende Annahme zu suggerieren: Ich coache so, was immer die anderen dazu sagen mögen – oder egal, was Coaching für andere sein mag. In einer E-Mail von ihrem Büro vom 3. Dezember 2015 erhielt ich folgende Antwort: „Um Ihre Frage zu beantworten, Frau Asgodom hat das Buch so genannt, weil sie darin die von ihr entwickelte Coaching-Methode vorgestellt hat.“ Es ist nichts falsch daran, einen persönlichen Stil zu entwickeln. Ich denke, dass die meisten Coaches während ihrer Karriere zu einem eigenen Stil finden. Stellen Sie sich eine mögliche Klientin vor, die nach einem Coach sucht, und auf einen Titel stößt, der suggeriert, dass der Coach diese Methode entwickelt hat. Was würde sie denken? Der erste Gedanke wäre wohl: Es gibt wahrscheinlich noch andere Arten des Coachings. Wenn dem so ist, muss die Klientin herausfinden, welche die angemessene für sie ist. Das verstärkt die Unsicherheit und das Zögern, Hilfe von irgendeinem Coach anzunehmen.

Die oben erwähnten Gründe machen es schwer, eine Grenze zu ziehen zwischen dem, was Coaching ist und was es nicht ist und wer ein Coach ist und wer nicht. Insbesondere in den letzten zehn Jahren habe einige der bestehenden Berufe den Begriff „Coach“ übernommen. Jemand, der früher angeboten hat, ihren Lebenslauf zu bearbeiten, damit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Sie einen neuen Job bekommen, bezeichnet sich heute als „Future Coach“. Der mystische Schamane, der durch Trommeln mit der geistigen Welt kommunizierte, nennt sich heute „Schamanischer Coach“. Viele Unternehmensberater verkaufen ihre Dienstleistung heute als „Business Coach“. Können die „Zukunft“, ein „Unternehmen“ oder gar die „Geister“ gecoacht werden?

Das Wort „Coach“, das nun zu vielen Berufsbezeichnungen hinzugefügt wird, ist vollkommen nichtssagend, und so sind auch viele Bedeutungen, die damit in Verbindung gebracht werden. Wie kann ich das mit einer solchen Überzeugung sagen? Zum einen habe ich Coaching – Personal Coaching, wie es zum ersten Mal um 1992 herum in den USA eingeführt wurde – in einer Institution gelernt, die von jemandem gegründet wurde, der heute zum Beispiel in dem Buch The Coach U Personal and Corporate Coach Training Handbook (2005) als der „Vater des Coachings“ bezeichnet wird. Ich bin also durch bewusste Absicht und sorgfältige Ausbildung professioneller Coach geworden und nicht durch Zufall. Zudem bezeichnet das Wort „Coach“ für mich nichts weiter als den Beruf, dem ich nachgehe, und wie er von den Menschen, die Coaching für uns geschaffen haben, definiert wurde. Ich habe Coaching methodisch angewendet und beobachtet, wie meine Klienten davon profitierten. Die Unklarheit im Zusammenhang mit Coaching als neuen Beruf wird nicht nur durch die eigentümlichen Interpretationen der Menschen verursacht, die absichtlich das Wort „Coach“ zu ihren bisherigen Berufen hinzufügen. Coaches und Klienten haben ihre Schwierigkeiten mit den Unklarheiten des Begriffes „Coaching“. Einige der Behauptungen im Zusammenhang mit Coaching finde ich sehr problematisch.

Es gibt auch eine weitverbreitete Annahme über Manager in der Personalabteilung, nach der sie von Natur aus gute Coaches werden können. Dabei geht man davon aus, dass Sie immer schon mit Personalentwicklung zu tun hatten und deshalb am besten coachen können. Trifft das zu? Erlernt man in einer Ausbildung in der Personalentwicklung die nötigen Voraussetzungen für das Coaching? Um diese Gedanken zu untermauern, werden Sie später Matt begegnen (s. Kapitel 9.5). In einer Fallstudie geht es um Matt, der von einem Manager aus der Personalabteilung eines Multimilliarden-Euro-Konzerns gecoacht wurde. Die Verantwortlichen gründeten seine Arbeit als Coach auf der schon erwähnten Fehleinschätzung. Neben dieser Fallstudie mit Matt treffe ich in meiner Arbeit mit Klienten regelmäßig leitende Manager aus der Personalabteilung. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass sie ihre Zukunftspläne mit mir besprechen. Dabei habe ich 17 Aussagen von Personalmanagern festgehalten, die meinten, dass sie nach der Pensionierung Coach werden könnten. Was ist daran falsch? Nichts. Aber es wird problematisch, wenn Sie meinen, sie haben in der Personalabteilung gearbeitet und die natürliche Konsequenz dieser beruflichen Erfahrung daraus wäre, ins Coaching zu gehen. Wenn ich wissen wollte, ob sie nach der Pensionierung das Coaching erlernen würden, erhielt ich verschiedene Antworten, aber der Grundtenor war, dass sie es nicht brauchten. Ein Personalmanager eines weltweit bekannten Pharmakonzerns, der auch im Aufsichtsrat saß, erklärte: „Ich habe es mein ganzes Leben lang getan, ich weiß, was Coaching ist.“ Die Erforschung dieser und vieler anderer Fragen über das Wesen des Coachings stand im Zentrum meiner Recherche und sie bilden die Grundlage für dieses Buch.

Wie ist es mit der nachhaltigen Veränderung durch Coaching, die praktisch jede zweite Broschüre oder Webseite verspricht? Eine Veränderung, ja – ich stimme damit überein, dass Coaching eine Veränderung auslösen kann. Aber ich lehne die Behauptung ab, dass Coaching zu bedingungsloser, nachhaltiger Veränderung führt.

Meine Schlussfolgerung ist, dass der Coaching-Beruf weder die weitverbreitete Unklarheit verdient, die es darüber gibt, noch sollte Coaching von jedem benutzt werden, der nach einer kosmetischen Verschönerung seiner Berufsbezeichnung sucht. Weil die Definition des Coachings so verzerrt wurde, dass sie mit den Ursprüngen nur noch wenig gemein hat, ist diese Tätigkeit zu etwas mutiert, was nichts mehr Coaching zu tun hat – außer dem Gebrauch oder vielleicht sogar Missbrauch dieser Bezeichnung. Meiner Meinung nach entstanden diese Probleme, weil die Menschen, die das Coaching begründet haben, und die ursprüngliche Methode des Coachings nicht ausreichend wertgeschätzt werden. Aufgrund des Mangels an einem allgemeinen Verständnis der Definition der Wörter „Coaching“ und „Coach“ leiden potenzielle Klienten und Coaches unter der schlechteren Qualität der Dienstleistung von selbst ernannten Coaches, die an erfahrene Führungskräfte unter anderem auch aus großen Konzernen weitergegeben wird. Diese Praxis muss man schon fast beschämend nennen. Neben dem Zögern potenzieller Kunden, um Hilfe zu bitten (wie es Kets de Vries weiter oben erwähnt), stoßen Coaches auf große Widerstände, wenn sie potenziellen Kunden ihre Dienstleistung anbieten. Während meiner Recherchen erfuhr ich, dass aufgrund dieser Schwierigkeit mehr als 85 % der neuen Coaches ihren Beruf nur in Halbzeit ausüben, weil sie ihr Angebot nicht verkaufen können. Ein Coach, den ich interviewt habe, sagte: „Die Einnahmen reichen einfach nicht, um davon zu leben. Ich musste einen Job annehmen, bei dem ich regelmäßig Geld verdiene.“ Einige bieten Coaching-Kurse an, um ihre Coaching-Fähigkeiten auf neue Weise zu nutzen, während andere in ihren alten Beruf zurückkehren. Insgesamt ist für acht bis zehn Prozent der Coaches, die ich interviewt habe, Coaching ihr Hauptberuf.

Wenn ein Coach auf einen Klienten zugeht, ist dieser extrem verunsichert, wenn nicht sogar misstrauisch, weil er sich über die Wirksamkeit und das Ergebnis des Coachings unsicher ist. Die Ursprünge des Coachings geraten in Vergessenheit und leider hat die Klientin keine Anhaltspunkte dafür, was Coaching für sie oder ihr Unternehmen tun kann. Einige meiner Interviewpartner sagten, dass sich die bestehende Unklarheit noch verstärkte, als Coaches fantasievolle Versionen des Coachings anboten, wie beispielsweise Familienaufstellungen oder metaphysische Lösungen für Managementprobleme – das verstärkt die schon bestehenden Schwierigkeiten, einen Coach auszuwählen. Ein Zeichen für die Folgen dieser Verwirrung in der Öffentlichkeit ist mein persönliches Beispiel: Immer, wenn ich mich einem neuen Bekannten vorstelle, werde ich gefragt, was mein Beruf ist. In dem Moment, wo ich sage, „Ich bin Coach“, folgt meist unvermeidlich – ich denke, in 97 Prozent der Fälle – die Frage: „Was für ein Coaching bieten Sie an?“

Aber beim Coaching geht es nicht um das „Was“, sondern das „Wer“.

Diese Unklarheit und viele andere Gründe machen eine neue Diskussion über Coaching dringend nötig. Durch praktische Beispiele und Fallstudien werde ich zeigen, welche unzulänglichen Prozesse einige Mitarbeiter in Weltklasseunternehmen unter der Bezeichnung Coaching durchlaufen mussten, die von ihren Arbeitgebern bezahlt wurden. Ich werde auch ein Gegenbild zeichnen und zeigen, wann und warum Coaching funktioniert, welche Veränderung es herbeiführen kann und warum es falsch ist, eine nachhaltige Veränderung zu versprechen.

Dabei schöpfe ich aus meiner Recherche, einschließlich Feldforschungen – die vor allem qualitativer Natur ist – und Interviews mit vielen Geschäftsführern, Unternehmern, leitenden Managern, potenziellen Klienten und Coaches. Als „partizipierender Beobachter“2 habe ich an zahlreichen Kursen teilgenommen, um die verschiedenen Trainingsmethoden zu erforschen, die von verschiedenen Institutionen angewendet werden, die Coaching-Kurse und Zertifikate ausstellen. Durch diese weit gefächerte Recherche konnte ich differenzieren, was Coaching ist und was nicht. Ein letzter und sehr bedeutsamer Faktor, der meine Behauptungen stark untermauert, ist meine umfangreiche Coaching-Erfahrung.

Seit dem Beginn meiner Coaching-Arbeit im Jahre 2010 bestand mein Fokus und meine Suche darin, Hinweise auf die sichtbaren und wirksamen Ergebnisse meiner Coaching-Methode zu finden – daneben war es mir wichtig, meinen Klienten ein erstklassiges Coaching zu bieten. Meine Klienten berichteten, dass sie durch das Coaching positive Veränderungen spürten, insbesondere solche Veränderungen, die sie sich in verschiedenen Bereichen zu Beginn des Coachings erhofft hatten – wie Leadership, persönliche Beziehungen und manchmal extrem herausfordernde Situationen in vielen Bereichen ihres Lebens. Angesichts dessen wollte ich verstehen, warum Coaching ihrer Ansicht nach bei ihnen gewirkt hat.

Während ich meine Coaching-Praxis entwickelte, verstand ich, dass mich solch ein explizites Wissen in die Lage versetzen würde, Coaching-Methoden so anzuwenden, dass meine Klienten konkret davon profitieren und ich gleichzeitig meine Fähigkeiten verbessern könnte. Mich bewegte auch die Frage, wie man den Unterschied zwischen einem Coach und einem Psychoanalytiker, einem Unternehmensberater, einem Hypnotherapeuten, einem NLP-Trainer, einem Systemischen Coach, einem Berater oder einem Personalmanager bestimmen kann. Aus diesen Gründen begann ich 2013 einen Fernstudiengang in Psychologie an einer deutschen Universität. Meine Absichten waren sehr klar: Ich wollte nicht Psychologie studieren, um als Psychologe zu arbeiten; ich wollte Psychologie studieren, um einen Aspekt zu erforschen: Ich wusste, dass ich beim Coaching vor allem mit Fragen über die menschliche Persönlichkeit zu tun haben würde, und wie das Verhalten, die Gefühle und Wahrnehmungen des Menschen von der Umgebung und dem genetischen Erbe beeinflusst sind. Bei all den wissenschaftlichen Studien und ihrer langen Geschichte gibt es keine bessere Disziplin als die Psychologie, um in diesem Bereich ein tiefes Wissen zu erwerben. Zusätzlich belegte ich 20 Studienkurse, die von Institutionen wie der Stanford University3 angeboten wurden. Diese Online-Kurse waren ein großer Gewinn, weil sie entscheidend waren, um herauszufinden, welche Themen ich genauer studieren sollte. Ich konnte abschätzen, ob ich mehr Wissen in methodischem oder kritischem Denken, Gamification, Irrationalität, die Disziplin der Logik, Recherchemethoden, Studien in Leadership und emotionaler Intelligenz, Psychologie oder Philosophie benötigte.

Das Buch ist nach den verschiedenen relevanten Fragen geordnet, die aus dieser Recherche entstanden:

Der Kontext und Referenzrahmen dieses Buches sind die deutsche Coaching- und Businesswelt und die breite Öffentlichkeit, obwohl meine beruflichen Aktivitäten über Deutschland hinausgehen. Die Entscheidung, mich auf die Businesswelt in Deutschland zu konzentrieren, kam daher, dass die Unklarheit in Bezug auf Coaching in Deutschland besonders groß ist. Das ist auch der Grund, warum ich den größten Teil meiner Recherchen, Interviews, Ausbildungen, weiterführenden Studien und Beobachtungen hier durchführte. In der deutschen Fernsehsendung vom 6. Oktober 2015, die ich schon erwähnt habe, wurde behauptet, dass es in den USA 16.000 Coaches gibt, und dass dies meist Personal Coaches oder Life Coaches seien. In Deutschland, so wurde berichtet, gäbe es etwa 8000 Coaches. Ich habe keine Möglichkeit, diese Angaben zu prüfen und übernehme sie hier unter Vorbehalt.

Aus Gründen der Inklusion nutze ich im Laufe des Buches beide Geschlechter. Das habe ich getan, um ein angenehmes Lesen zu ermöglichen und ohne die Absicht, ein Geschlecht zu benachteiligen: Wenn ein Geschlecht angegeben wird, sollte es als das Ihrer Vorliebe verstanden werden.


1 In der Sendung Der Coaching-Wahn, ausgestrahlt am 6. Oktober 2015 um 20.15 Uhr.

2 Dieser Ausdruck stammt aus der Anthropologie und wurde von Bronislaw Malinowski geprägt. Ich interpretiere diese Bezeichnung so, dass ich Teil einer Gruppe, Kultur oder Gemeinde bin, aber nicht einer von ihnen werde.

3 Diese Kurse wurden von folgenden Institutionen angeboten: www.coursera.org, www.khanacade-my.org, lagunita.stanford.edu, www.udacity.com und www.edX.org.

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Leadership und
Coaching

Meine früheste Erinnerung an eine inspirierende Führungspersönlichkeit, die sich auch damit beschäftigt hat, wie man neue Führungskräfte entwickeln kann, ist Akio Morita. Er hat zudem durch seine Schriften einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Akio Morita und Masaru Ibuka waren 1946 die Gründer des Elektronikgiganten Sony Cooperation. Moritas vorausschauendes Denken hat ein Konzept für die Entwicklung zukünftiger Manager hinterlassen, das für mich unerreicht ist. Es faszinierte mich, dass Morita jemanden auswählen konnte, der fast vier Jahrzehnte später der Geschäftsführer von Sony wurde. Zu der Zeit, als ich Moritas Buch Made in Japan (1986) las, hatte ich keine konkrete Vorstellung von Leadership. Nach der Lektüre war ich mir aber aus irgendeinem Grund sicher, dass eine Führungsperson – ein Manager – zukünftige Manager heranbilden sollte. Das erschien mir auch als eine Möglichkeit, um durch ein nachhaltiges Geschäftsmodell die Zukunft des Unternehmens zu sichern. In Made in Japan schreibt Morita über seine jungen Angestellten und Mitarbeiter und erwähnt Norio Ohga, den er 1950 kennenlernte. Er schreibt: „Viele Jahre lang habe ich ihn beobachtet, weil er unser erstes Gerät so mutig kritisiert hatte. Er war ein Verfechter der Kassettenrekorder, ging aber hart mit uns ins Gericht, weil er fand, dass unser erstes Gerät nicht gut genug war“ (S. →). 1989, also 39 Jahre später, wurde Ohga der Geschäftsführer dieses internationalen Konzerns und ihm wird die Erfindung der Compact Disc (CD) zugeschrieben.

Von Moria habe ich gelernt, dass leitende Manager nach Menschen Ausschau halten sollten, die ihre Ideen und ihre Arbeitsweise kritisieren. Dabei geht es nicht nur darum, Kritik zu akzeptieren, sondern sie als eine Möglichkeit zu sehen, um begründete Bedenken zu hören – zu bemerken, was andere bemerken. Nur dann, so dachte ich, kann ein Produkt, eine Idee, ein Unternehmen oder eine menschliche Interaktion wirklich zur wahren Größe finden.

Aber was tun wir meist in unserer täglichen Arbeit? Wir sehen diejenigen, die uns kritisieren, als irritierend, als Ärgernis, als jemanden, der nicht versteht, worum es uns oder unserem Unternehmen geht: Wir setzten sie auf die Liste der Kandidaten für eine Kündigung. Und was tun wir als Einzelne, als Angestellte? Wir folgen dem Imperativ der Institution: wir stimmen mit dem, was unser Chef sagt, unbedingt überein. Er muss recht haben, denn er ist der Chef. Und was tun wir für die Entwicklung zukünftiger Führungskräfte? Nichts, wir haben einfach keine Zeit dafür. Werfen Sie einen Blick auf die Ausführungen des jungen erfolgreichen Managers Stefan Rau im Vorwort, insbesondere, wenn er darüber schreibt, dass keine Zeit bleibt, um neue Führungskräfte oder Manager heranzubilden.

Leadership und Coaching haben etwas gemeinsam: bei beidem steht der Mensch im Mittelpunkt. Leadership schafft eine fruchtbare Umgebung für Wachstum; Coaching schafft Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit für Wachstum. Wenn in den meisten Unternehmen ein leitender Manager gesucht wird, ist es besonders wichtig, dass er oder sie aus der gleichen Branche kommt. In den Unternehmen, in denen ich Erfahrungen gesammelt habe, suchten wir zum Beispiel nach einem Experten für Textilien, um eine leitende Stelle zu besetzen. Kurz gesagt, wir suchten jemanden, der die Textilabteilung leitet, gaben ihm aber die Stelle einer Führungskraft, eines Managing Director oder Geschäftsführers. Morita gab Ohga diese Position – einem Musikliebhaber, der in München und Berlin Musik studiert hatte.

Coaching und Leadership konzentrieren sich nicht auf die Branche oder das jeweilige Gewerbe; sie sind unabhängig davon, ob Sie ein Musiker oder eine Textilexpertin sind. Im Zentrum von Coaching und Leadership stehen Sie, es geht immer um den Menschen: durch Coaching und Leadership können Menschen durch ihr Sein und Tun Lernerfahrungen machen.

Ich habe Coaching gelernt, um meine Ideen und Überzeugungen darüber zu teilen, dass man junge Menschen – zukünftige Manager und Führungskräfte – heranbilden sollte. Damit wollte ich meine weitreichende internationale, interkulturelle Erfahrung und meine Kompetenzen als Führungskraft mit meinen Kollegen – leitenden Managern und Entscheidungsträgern – teilen. Ich wollte ihnen zeigen, dass Arbeit nicht nur aus Stress bestehen muss, sondern eine tiefe Zufriedenheit in unserem Leben schaffen kann, die wir leicht übersehen und nicht in Erwägung ziehen. Uns wird beigebracht, dass wir uns entfalten können, wenn wir etwas tun, das wir lieben. Ich bin überzeugt, dass bei dem, was Sie – beruflich oder privat – tun, die bewusste Anstrengung, eine Umgebung zu schaffen, in der andere arbeiten können, ohne sich ängstlich oder erniedrigt zu fühlen, die gleiche Wirkung haben kann. Ich bin auch davon überzeugt, dass eine bestimmte Form des persönlichen Verhaltens, das durch Coaching entwickelt werden kann, zur gleichen Wirkung führen kann, wie diejenige, die man dadurch erreicht, dass man das tut, was man am meisten liebt.

Was ist dieses bestimmte persönliche Verhalten? Ich möchte es Ihnen in den folgenden Ausführungen anschaulich machen. Durch Coaching wollte ich vermitteln, wie wir entdecken können, dass Arbeit mehr ist als die unaufhörlichen Forderungen dringender Reaktionen, hektischer Meetings, ermüdender Flughafenlounges usw. Einige meiner Freunde, die an renommierten Universitäten in Indien, Großbritannien und den USA studiert haben, waren in leitenden Positionen bei bekannten Unternehmen und machten wunderbare Arbeit auf einem Gebiet, während sie in anderen Bereichen vollkommene Unbewusstheit an den Tag legten. Damit meine ich nicht, dass sie inkompetent waren, denn das trifft nicht zu. Diese leitenden Manager nahmen ihre Arbeit, ihre Vorgesetzten und ihre Mitarbeiter sehr ernst. Weil ich sie so gut kannte, konnte ich leicht mit ihnen über ihre Probleme sprechen. Wenn es jemandem nicht gelungen war, eine positive Atmosphäre in seinem Unternehmen zu schaffen, dann dachte er, es war die Verantwortung einzelner Manager und nicht seine Verantwortung. Wenn ein anderer die Gelegenheit verpasste, regelmäßig mit seinen Managern außerhalb der Vorstandsmeetings zu sprechen, dachte er, dass sie alles von selbst verstehen sollten, da sie gut bezahlte Angestellte sind. Sobald ich begann, leitende Führungskräfte zu coachen, beobachtete ich das gleiche Phänomen: Geschäftsführer oder andere leitende Führungskräfte und Manager mit ähnlichen Verantwortlichkeiten tun ehrliche Arbeit, werden aber jahrelang durch kleine irritierende Probleme behindert. Ich kam zu der Überzeugung, dass die Anstrengungen, die die meisten von ihnen jeden Tag aufbrachten, bessere Ergebnisse erzielen könnten, wenn sie weniger damit beschäftigt wären, kleine Feuer zu löschen, Notfallhelfer zu sein und Fehler auszubügeln. Ich wusste, dass sie mittels Selbstreflexion durch ein Coaching mit jemandem, der langjährige Erfahrung in der internationalen Wirtschaft hat, ihr Verhalten verstehen könnten. In Tricky Coaching äußern Korotov et al. folgende Ansicht: „Es gibt zwei bestimmte Merkmale in der Karriere als Executive Coach für leitende Führungskräfte. Erstens, dieses Tätigkeitsfeld sollte man nur betreten, wenn man selbst umfangreiche Lebenserfahrung und berufliche Kompetenzen gesammelt hat. Deshalb ist es zweitens für viele Menschen in der Mitte ihres Lebens oder ihrer Karriere eine sehr attraktive Karriereoption.“ Obwohl ich aus meinen bisherigen Tätigkeiten schöpfe, vertraue ich vor allem der Lebenserfahrung und persönlichen Interaktion. Denn wenn ich mich nur auf meine Erfahrung in der Textil- und Modebranche verlassen hätte und „Coaching für die Mode- und Textilbranche“ angeboten hätte, dann wäre es kein Coaching. Zudem könnte es die Grenze zur Managementberatung überschreiten.

Ein Blick von außen

Ich war überzeugt, dass meine Klienten durch Coaching erfahren konnten, wie es möglich ist, eine befriedigendere Arbeitsweise zu entwickeln. Das würde sich auch auf ihr persönliches Leben auswirken, was sie wiederum in ihrer Arbeit aufmerksamer und interessierter machen würde. Dies ist eine Kette, in der alle Teile miteinander verbunden sind, wie eine kreisförmige Struktur, in der ein Bestandteil die anderen direkt beeinflusst. Durch Coaching konnten sie bemerken, was sie tolerierten, oder dass sie mit Kompromissen lebten, die nicht länger angemessen waren. Dieses Coaching kam aus meinen eigenen Ideen, die ich durch meine Arbeit mit vielen Tausend Menschen in zahlreichen Ländern entwickelt habe. Ich dachte zudem darüber nach, warum sie nicht selbst darauf kommen konnten.

Vor Kurzem bat mich ein erfolgreicher junger Unternehmer aus Gujrat in Indien, der in London eine europäische Filiale gründet, um meine Meinung zu bestimmten Entscheidungen. Ich fragte ihn, warum er meine Sicht der Dinge hören wollte, denn ich komme nicht aus seiner Branche. Was er sagte, unterstreicht meine Ausführungen. Er sagte: „Wenn wir Unternehmer nach neuen potenziellen Partnern suchen, wie ich es hier in London gerade tue, dann werden unsere Entscheidungen sehr stark von unseren Interessen beeinflusst, weil wir wollen, dass etwas innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens konkrete Formen annimmt. Manchmal sind wir vielleicht bereit, in anderen Menschen mittelmäßige Kompetenzen zu akzeptieren, oder wir sehen in den anderen nur das, was wir sehen wollen, weil wir Schritte festlegen und Ziele erreichen wollen. Mit jemandem wie Ihnen zu sprechen, der keinerlei persönliches Interesse an unserem Unternehmen hat, aber zugleich ein erfahrener Geschäftsmann ist, kann Licht auf die blinden Flecken werfen oder neue Perspektiven eröffnen, die uns auf die Fallen in unseren Zielen hinweisen.“ Die meisten von uns betrachten ihre Probleme allein und oft rechtfertigen wir sie und akzeptieren sie so, wie sie sind.

Es gibt auch das Problem der Schnelligkeit, mit der Manager gewohnheitsmäßig auf Arbeitsherausforderungen reagieren müssen und sich deren hektischer Routine unterordnen. Diese Situation könnte man so beschreiben: „Bei unserer Arbeit haben wir keine Zeit zu arbeiten.“ Diesen Satz habe ich oft bei Partnern angewendet, die immer wieder die Lieferung ihrer Produkte verschieben mussten. Ich denke, dass jeder Manager wo immer möglich der Entwicklung zukünftiger Manager, Führungspersönlichkeiten und Mitarbeiter Zeit und Ressourcen widmen sollte. Aber das zirkuläre Problem besteht natürlich in der Frage, wer die Zeit dafür hat. Diese Ausführungen sollten nicht als eine Kritik an leitenden Führungskräften verstanden werden, denn es geht vielen so, für Menschen im Business ist das nichts Neues.

Egal ob in einem kleinen Start-up-Unternehmen oder in einem großen internationalen Konzern, die Führung bestimmt, wie die Menschen zusammenarbeiten.

2.1 Was ist Coaching?

Allgemein kann man sagen, dass es beim Coaching um das Lernen, das Lehren und eine inspirierende Verhaltensweise geht, die nicht-urteilend und unterstützend ist. Etwas spezifischer gesagt ist das Ziel des Coachings ein intrinsisches Lernen und das Erlangen neuer Perspektiven auf gewohnte Situationen, Ereignisse und Wahrnehmungen. Durch Coaching können wir Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen entwickeln. Es ist aber nicht das Lernen eines gewöhnlichen Schülers oder Studenten, eines Seminarteilnehmers oder Lesers eines Selbsthilfebuches – der Wunsch, Zugang zu einem bestimmten Wissen zu erlangen, oder eine Fähigkeit zu lernen, die wir alle gemeinsam lernen. Das Lernen in Coaching unterscheidet sich an Wissen über sich selbst oder noch besser das Selbstvertrauen, sich mehr als bisher zuzutrauen. Diese Fähigkeiten werden durch Coaching entwickelt und haben einen bedeutsamen Einfluss auf das Leben der Klientin und allen in ihrer Umgebung.

Coaching ist nicht Methode die Ratschläge oder Wissen weitergibt. Es ist z. B. nicht: „ich habe das Wissen und ich bringe es dir bei.“ Coaching ist nicht das Gleiche wie herkömmliches Lernen, Anleiten, Training oder irgendeine Form von Vermittlung von Wissen oder Fähigkeiten, die für jeden erlernbar sind. Um diesen Unterschied zu verdeutlichen, möchte ich ein Beispiel für ein Top-down-Lehren und -Lernen geben, bei dem der Unterschied zwischen dem, was ich lerne, und dem, was jemand anderes lernt, minimal ist. Stellen Sie sich vor, ich lerne Autofahren. Erstens, der Fahrlehrer wird mich nicht anders behandeln, als seine anderen Schüler. Zweitens, das Auto wird nicht anders auf mich reagieren, als auf jeden anderen. Im Gegensatz dazu wird ein Coach jeden Klienten individuell behandeln und seine Methoden an die Bedürfnisse des Klienten anpassen. Um zum Beispiel der Fahrschule zurückzukehren: Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich durch diese Form des Lehrens und Lernens genauso Auto fahre wie 95 Prozent der Autofahrer. Die verbleibenden 5 Prozent habe ich für die über- oder unterdurchschnittlichen Fahrer reserviert. Autofahren wird sich auf mein Leben auswirken, weil ich meine Zielorte leichter erreichen kann. Aber ob ich extrem gut Auto fahre oder nur ein durchschnittlicher Fahrer bin, wird mein Leben nicht stark beeinflussen – es sei denn, ich bin ein inkompetenter Fahrer und gehöre zu den 2,5 Prozent, die andere Verkehrsteilnehmer in Gefahr bringen. Wenn ich andererseits ein Formel-Eins-Rennfahrer bin und für die Rennen besondere Fähigkeiten erworben hätte, dann wäre ich unter den 2,5 Prozent auf der anderen Seite der Gaußsche Normalverteilung4 der Autofahrer. (Diese Zahlen sind fiktiv und verdeutlichen die Einheitlichkeit des Erlernens allgemeiner Fähigkeiten bei den 95 Prozent.) Im Coaching gibt es diese Einheitlichkeit nicht: Jede Klientin lernt nach ihren eigenen Fähigkeiten. Ein Fahrlehrer könnte für die 95 Prozent der durchschnittlichen Fahrer natürlich Coaching-Methoden anwenden, aber es ist nicht notwendig, um Fahren zu lernen oder als Fahrlehrer gut unterrichten zu können. Dazu brauchen sie auch keine zusätzlichen Methoden der Selbsterkenntnis. Die Fertigkeiten beim Autofahren kommen durch die Fahrpraxis, je mehr man fährt, desto besser wird man darin. Im Coaching ist das anders: Beim Lernen durch Selbstreflexion haben Sie die Möglichkeit, mit größerer Leichtigkeit in Ihrer eigenen Umgebung und in Bezug auf Ihre eigenen Fähigkeiten Ihre Probleme zu entdecken und darauf zu reagieren.

Ich habe weiter oben erwähnt, dass es beim Coaching einerseits um Lehren und Lernen geht und andererseits um ein inspirierendes Verhalten. Ich möchte zuerst auf die Beziehung des Lehrens und Lernens eingehen. Diese Beziehung besteht zwischen einem professionellen Coach und seinem Klienten. Dabei lernt die Klientin durch das Gespräch mit dem Coach, der es ihr idealerweise ermöglicht, ihre eigenen Probleme aus einer neuen Perspektive zu betrachten, indem er ihre bisherige Herangehensweise mittels einer bestimmten Methode hinterfragt. Die Absicht des Coaches besteht darin, der Klientin zu ermöglichen, mehr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen zu entwickeln: eine Denkweise des Wachstums zu verinnerlichen. Die Idee der „Denkweise des Wachstums“, die ich hier erwähne, wird in dem Buch Mindset (2012 von Carol Dweck erklärt, die die Lewis and Virginia Eaton Professur für Psychologie an der Stanford University innehat. Dweck ist bekannt für ihre Forschungen zu den Theorien des Selbst. Das Coaching sollte es der Klientin ermöglichen, ihre eigenen Sichtweisen, Perspektiven und Fähigkeiten besser zu verstehen. Das sollte dazu führen, dass sich der Selbstzweifel oder die Selbstkritik verringern, und in der Folge kann sich ihre Effizienz und Leistung im Arbeitsalltag mit größerer Leichtigkeit verbessern. Das ist für den beruflichen und den persönlichen Bereich des Lebens wertvoll. Wenn wir in dem beschriebenen Szenario vom Lehren sprechen, dann ist das eher symbolisch gemeint, aber wir gehen dennoch von der Annahme aus, dass der Coach ein Wissen hat, das er vermitteln kann. Ansonsten würde die Beziehung die Form jedes normalen Gesprächs zwischen zwei Menschen annehmen. Das Wissen, das ein Coach besitzt, bezieht sich auf eine Methode, nicht auf irgendeine andere besondere Fähigkeit. Es ist nicht das Gleiche, wie zu lehren, wie man ein Auto fährt. Coaching als Beruf ist eine personenzentrierte Gesprächsmethode mit dem einzigen Ziel, dem Klienten zu helfen. Es inspiriert den Klienten zur Selbsterkenntnis und unterstützt ihn darin, Einsichten zu gewinnen, um all die Merkmale zu erreichen, die weiter oben beschrieben wurden und die seine Lebensqualität verbessern können.

Im zweiten Szenario, bei dem ich darüber sprach, dass Coaching aus einem inspirierenden Verhalten besteht, stellt sich die Frage „Was ist Coaching?“ anders. Denn die Rolle des Lehrers hat die Kraft von Sanktionen und die Fallen der Wohlgefälligkeit – beides kann das Potenzial abhängiger Menschen schwächen. In diesem Szenario hängt die Coaching-Methode vom eigenen Verhalten ab. Der Zweck des Coachings oder inspirierenden Verhaltens, in dem sich eine Coaching-Methode zeigt, ist der gleiche: das Erlernen der eigenen Fähigkeiten zu unterstützen, eine Denkweise des Wachstums zu verinnerlichen und Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen zu entwickeln. Der Unterschied besteht darin, dass das eine als Beruf ausgeübt wird, in dem es keine Wohlgefälligkeit oder Sanktionen gibt, das andere ist das Ergebnis des eigenen Verhaltens.

Ich möchte Ihnen einige Beispiele geben, um zu verdeutlichen, was ich meine. Manager haben die Autorität, Mitarbeiter einzustellen oder zu ihnen zu kündigen, angenehme oder unangenehme Aufgaben zu verteilen, aus irgendwelchen Gründen auch immer Vorteile für einen Mitarbeiter zu bewilligen oder zu verweigern. Eltern beispielsweise können gegenüber ihren Kindern wohlgefällig oder strafend auftreten. Sie können ihnen sagen, dass sie in ihrem Zimmer bleiben sollen, oder sich gar nicht um sie kümmern. Sie können freudvolle Aktivitäten verweigern, schädliche Gewohnheiten ignorieren oder die Kinder exzessiv verwöhnen. Partner in einer Partnerschaft können wohlgefällig oder nervend sein, exzessive Zärtlichkeit verlangen oder sie verweigern, um ein unerwünschtes Verhalten zu bestrafen und so weiter.

Wenn wir uns einen Moment lang auf das Wort Manager und seine Bedeutung konzentrieren, dann können wir sagen, dass Manager etwas kontrollieren, managen. Wir wollen etwas managen, was nicht mehr handhabbar werden oder außer Kontrolle geraten könnte: Finanzmanagement, Krisenmanagement oder was auch immer. Beim Coaching geht es aber nicht um Kontrolle, es geht vielmehr darum, dass die Klientin die Möglichkeit bekommt, sich zu entwickeln, zu wachsen, ihr Potenzial zu verwirklichen und zu lernen – das ist inspirierendes Verhalten. Coaching sollte idealerweise mit Leadership und Inspiration verbunden werden und nicht mit Management. Das ist nur eine kleine Anmerkung von mir, weil wir über Management reden, ohne jemals daran zu denken, dass wir über das Ausüben von Kontrolle sprechen.

Um zu meinen Ausführungen weiter oben zurückzukehren, es gibt verschiedene Beispiele, um zu zeigen, was uns dazu veranlasst, zufrieden oder unzufrieden zu sein, unsere Anstrengungen auf das Mindeste zu reduzieren oder unsere Grenzen zu erweitern und über uns hinauszuwachsen. Die Balance zwischen den Extremen ist die Funktion der Coaching-Methode, deren Ziel darin besteht, gesundes Lernen zu ermöglichen und eine Umgebung des Vertrauens und des Selbstbewusstseins zu unterstützen. Ein Manager, der seine Mitarbeiter weder mit Bestrafung noch mit Wohlgefälligkeit führt, und der mehr daran interessiert ist, dass sie neue Fähigkeiten erlernen und ihr eigenes Potenzial entdecken, fördert eine Atmosphäre des Vertrauens, Selbstwertgefühls und Wachstums. Die Folge davon ist, dass die Mitarbeiter in ihrer Arbeit mit weniger Anstrengung bessere Ergebnisse erreichen. Eltern, die ihre Kinder nicht hart bestrafen oder aus Wohlgefälligkeit handeln, erziehen selbstbewusste Menschen. Die Folge davon ist eine zufriedene und selbstbewusste Familie. Partner, die Verständnis für die Unzulänglichkeiten des anderen zeigen oder die Talente des anderen wertschätzen, unterstützen einander und entwickeln tiefe und erfüllte Beziehungen. Die Folgen sind ein besseres Leben und stabile Beziehungen.

2.1.1 Warum brauchen wir dann Coaching?

Nichts davon ist neu, warum brauchen wir dann Coaching? Coaching ist nötig wegen dieser einfachen Frage: Wie viele Menschen setzen dieses Wissen in ihrem Leben um? Unter der Bezeichnung „Coaching“ wird die Aufmerksamkeit für eine Methode verbreitet, die aufzeigen kann, welche Art von Verhalten zu besseren Beziehungen, besserer Wirksamkeit, besserer Leistung und mehr Erfüllung im eigenen Leben führt. Menschen, die nicht wissen, warum etwas in ihrem beruflichen oder persönlichen Leben schiefläuft, die nicht wissen, wie die Dinge so sein könnten, wie sie sie sich wünschen, gehen zu einem Coach als einer Möglichkeit der professionellen Hilfe. Diejenigen von Ihnen, die Manager, Eltern oder Partner kennen, die diese Methode praktizieren, wissen, was ich meine, wenn ich sage, dass man sich glücklich schätzen kann, wenn Coaching funktioniert. Durch Coaching ist es möglich, denjenigen, die das Leben anderer beeinflussen, zu vermitteln, wie sie ihre Fähigkeiten verbessern und auf eine Weise interagieren können, dass sie bessere und anhaltende Ergebnisse zu erzielen.

In diesem Buch wird mein Fokus vor allem das erste Szenario sein, in dem Coaching ein Beruf ist, aber ich werde auch Beispiele für das andere Szenario ausführen. Ich möchte Ihnen zunächst ein Beispiel für einen Instinkt geben, den der Mensch besitzt: etwas zu lernen ohne äußere Beeinflussung, Anleitung oder Hilfe. Es ist auch ein Beispiel dafür, wie ein Mensch, der daran interessiert ist, dass ein anderer etwas lernt, sich aus dem Prozess des Lernens heraushalten kann. In seinem Buch Coaching for Performance (2009, S. 10) fragt Sir John Whitmore, einer der Pioniere des Coachings: „Wie haben Sie laufen gelernt? Hat Ihre Mutter Ihnen Anleitungen gegeben? Wir haben alle eine angeborene, natürliche Lernfähigkeit, die durch Anleitungen gestört wird.“ Während des Coachings vertraut der Coach auf diese natürliche Fähigkeit des Menschen, aus eigenem Interesse zu lernen – selbst, wenn wir hier über Erwachsene sprechen und nicht über Kinder. Ein Coach vermeidet diese Störung durch Anleitungen und lässt seine Klienten in ihrer eigenen Geschwindigkeit lernen und vertraut dabei auf ihre eigenen Fähigkeiten.

Obwohl der natürliche Instinkt, etwas zu lernen, in allen Menschen anwesend ist – wenn er nicht durch eine Krankheit beeinträchtigt ist –, werden alle Kinder nicht genau in, sagen wir, 397 Tagen laufen lernen. Jeder Mensch hat seine eigene Geschwindigkeit. Ein Coach beginnt mit dem Coaching, wenn beide Seiten – der Coach und die Klientin – herausfinden konnten, was die Klientin in einem Bereich ihres Lebens verbessern will. Basierend darauf nutzt ein Coach eine Coaching-Methode, um die Klientin darin zu bestärken, ihre eigenen Fragen und ihr eigenes Denken kritisch zu hinterfragen und in einer geschützten Umgebung vertraulich über ihre Probleme zu sprechen. Die Einsichten, die die Klientin durch diesen Prozess hat, sind ihr neu – und das macht Coaching für die Klientin zu einem Lernprozess oder noch besser einen Prozess des Entdeckens: sie erhält neue Einsichten und entwickelt neue Perspektiven.

Woher weiß ich das? In jedem Coachingtreffen hat mein Klient in den ersten 20 Minuten ein Aha-Erlebnis. Nach meiner Erfahrung sagt der Klient in etwa: „So habe ich noch nie darüber nachgedacht.“ Wenn dem nicht so ist, hat der Coach den Klienten noch nicht verstanden oder die Vertraulichkeit, die für das Coaching essenziell ist, wurde noch nicht etabliert. Coaching bringt uns dazu, über neue Möglichkeiten nachzudenken und fördert Lernen durch Reflexion. Das Aha-Erlebnis ist der bestimmende Stimulus, der Sie dazu führen wird, neue Optionen in Betracht zu ziehen, und diese Erfahrung ist für den Klienten in der Regel faszinierend.

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