Die Tagesarbeit war abgeschlossen. Nun saß Frau Sophie an ihrem Teetisch und zögerte noch, sich mit der Post zu beschäftigen. Es tat so wohl, den Nerven eine kurze Schonung zu gönnen. Es war so notwendig, sich diesem Zustand hinzugeben, der Erschöpfung nach großer geistiger Anstrengung zu sein schien. Sophie kannte das aber wohl, wie sich gerade in dieser Ruhe die noch undeutlichen Anregungen aus den letzten Arbeitsstunden zu klaren Erkenntnissen für das Schaffen des nächsten Tages gestalten konnten.
Gerade über ihrem Kopf, im vierten Stockwerk, wußte sie ihr Atelier. Es lag nun verlassen, vom Abend des früh geendeten Novembertages erfüllt, auskältend und kahl. Es war streng eingerichtet, nur für den Arbeitszweck. Und in ihrer Phantasie sah Sophie von der Staffelei her das altersbleiche Gesicht und die klugen, milden Augen der fürstlichen Greisin, deren Bildnis sie eben malte, gleich einem blassen, schwach erkennbaren helleren Fleck im Dunkel des Raumes. Sie malte in ihren Gedanken immer noch daran weiter. Nichts störte sie in dieser rückblickenden Vertiefung. Um sie war eine so behütete Stille, daß sich die Nerven davon geliebkost fühlten. Und wie angenehm war die sanfte Beleuchtung für die Augen, die den ganzen Tag ihren Beruf, zu schauen, mit der größten Anspannung erfüllt hatten.
Sophie seufzte tief auf, in einer ganz einfachen, unbeschreiblichen Zufriedenheit. Aus allen Ecken und Winkeln des Zimmers schien die Ruhe auf sie zuzukommen und sie in ihre Arme zu nehmen. Und sie dachte: das ist nun auch einer von den Genüssen, die die Jungen und die Berufslosen nicht kennen, diese Hingegebenheit an den Augenblick, der einmal nichts von einem fordert!
Freilich, da lag ein Brief von ihrem Aeltesten. Und sie wußte vorweg: er schrieb nicht einfach. Seine Worte hatten Gehalt, oft schwerer Art.
Aber erst kam der Tee. Der duftete ihr fein entgegen. Er war ihr Lebenstrank, ihr Anreger, ihr Erretter aus jeder Abspannung, ihr »Laster«, wie sie scherzend zu sagen pflegte. Und der Eine, dem ihr Dasein kostbar war, der schalt wohl gelegentlich über die vielen Tassen Tee, die sie sich nach arbeitshartem Tag gern gönnte. Wie beglückend war der Gedanke an diese Strafpredigten. Mit einem seligen Lächeln genoß sie diese Erinnerung an seine Fürsorge; und das Lächeln wurde beinahe zum deutlichen Lachen, als sie nach Frauenart den Vermahnungen zuwiderhandelte und sich die dritte Tasse eingoß. Um mich für Allerts Brief zu rüsten, dachte sie entschuldigend. Und fühlte sich nun auch so frisch, um die schwierigsten Debatten gegen den Brief des Sohnes auszufechten. Denn seine Briefe waren wie ein wichtiger Mensch, mit dem man sich sehr genau über alle Fragen auseinandersetzen will und muß, koste es noch so viele Mühe des Herzens und Verstandes.
Er kämpfte ja einen prachtvollen, harten Arbeitskampf, von dem man noch nicht wußte, wie er ausgehen würde. Aber Sophie glaubte: gut! Sie dachte: eiserner Wille, starkes Können! Das gibt Sieg. Freilich mit Kapital war er beengt. Das machte es so schwer.
Könnte ich ihm geben – könnte ich doch! wünschte sie. Aber wo sollte sie es hernehmen? Solche Summen? Kleine taten es ja nicht. Allert schrieb:
»Liebe Mutter!
Es freut mich außerordentlich, daß Du die alte Durchlaucht malen darfst. Das fünfte Porträt dieses Jahr. Und immer feine Köpfe, angesehene, ja erste Persönlichkeiten. Du kannst also, so nahe dem Abschluß des Jahres, wieder einmal auf künstlerisch und finanziell lohnende Resultate zurücksehen. Die ersteren sind freilich wohl wieder stärker als die letzteren. Es erbittert mich immer neu, wenn ich erfahre, daß Deine männlichen Kollegen, mögen sie Dir auch künstlerisch nachstehen, doch höhere Honorare erhalten. Aber Du behauptest Dich in der Front der Schaffenden. Und das ist die Hauptsache. Raspe und ich sind stolz auf Dich. Wenn ich bedenke, wie spät erst Du Dir Deines Talentes recht bewußt wurdest, wie Du in der Sorgenzeit nach Vaters Tod den Mut hattest, Deine Begabung auszubilden und zum Beruf zu wählen, so kann dies meine Bewunderung für Deine Erfolge nur steigern.
Damit hast Du uns viel gegeben, gibst uns jeden Tag. Wir sehen Dich von der eigenen Kraft jeden Tag, unabhängig von Stimmungen und körperlichen Beeinträchtigungen, das Aeußerste fordern! Wie mir das hilft – wenn mir unmutige Augenblicke kommen wollen! Ja, Mutter, dann hilft es mir, an Dich zu denken. Und darum muß es Dich nicht bedrücken, daß Du mir nicht mit Kapital beistehen kannst und sollst. Denn das bißchen, was Du Maßvolle von Deinen Einkünften nicht brauchst und zurücklegst, muß zur Sicherung Deines Alters dienen. In die Industrie darfst Du es nicht hineingeben.
Sorge Dich, bitte, nicht. Ich hege die Hoffnung, einen Kommanditisten zu finden. Die Einblicke, die ich einem Geldgeber – sei es ein Privatmann oder eine Bank – gewähren kann, sind ff. Wer die Dinge zu beurteilen vermag, muß erkennen, daß mein Unternehmen blühen will – blühen wird, falls man es nur mit etwas mehr Kapital beweglicher macht. Es wird sich finden. Sei ruhig.
An Onkel Just will ich nicht herantreten. Er gab mir vor vier Jahren das erste Geld. Das war schön von ihm, wenn er's auch mit borstigem Wesen gab. War ja voll Aergernis und Gegenmeinung, weil ein Hellbingsdorf Fabrikant und Kaufmann geworden war und bleiben wollte. Komisch: daß durch ganz Danzig seine hellblauen Milchwagen fahren mit der Aufschrift: Hellbingsdorfer Meierei, Vollmilch, Magermilch, Fettkäse usw., findet er ganz selbstverständlich. Das vereinbart sich mit dem feudalen Charakter eines landwirtschaftlichen Betriebes. Aber Blechbüchsen mit dem Aufdruck: Farbwerke Allert von Hellbingsdorf, sind ihm ein greulicher Anblick, und die Lackfarben dieses Werkes könnten noch so vorzüglich sein – er möchte nicht, daß in seiner Remise ein Leder damit gelackt würde!
Er gibt nicht zu, daß zwischen den Produkten der Scholle und denen der Industrie nur ein Art-, kein Rangunterschied sei. Jawohl, solche Anschauungen kommen immer noch vor. Und es ist um so putziger, als doch die Maschine auch in der Landwirtschaft triumphiert.
Er begreift immer noch nicht, daß der Adel, teils durch eigene Schuld, teils gedrängt, heute in eine Stellung gekommen ist, wo er sich verteidigen muß, um sich zu behaupten. Das einzige, modernste und erfolgreichste Verteidigungsmittel ist aber doch Arbeit!
Ich bin ein Edelmann und denke es zu bleiben und finde es zeitgemäß, daß auch ein solcher sich am industriellen und kaufmännischen Kampf beteiligt und sich dann durchzufechten versucht. Früher focht man mit Lanze und Schwert. Die Waffen haben gewechselt. Das ist alles.
Also um nicht ganz von Onkel Just abzukommen: Deiner leise vorbeugenden Anspielung hätte es nicht bedurft: ich klopfe nicht bei ihm an. Daß er mir überhaupt zur Etablierung verhalf, habe ich ja nur Dir zu verdanken. Sein ungeheurer Respekt vor Deiner Haltung hat da gesprochen. Er mag damals, nach unseres Vaters Tod, Angst genug gehabt haben, daß nun ihm alle Lasten zufallen würden. Und er sah: Du nahmst es allein auf Dich. Und er hört, wenn er mal nach Berlin kommt, gerade in den Kreisen, die er allein als ›Welt‹ kennt und anerkennt, so rühmlich von Dir sprechen. Da konnte, da wollte er sich nicht lumpen lassen, als wir das erstemal kamen. Und er mag auch gedacht haben: schließlich ist mir die Mutter gut dafür, wenn der Sohn Pech hat.
Soll ich noch auf Deine andere Anspielung eingehen? Haben wir das Thema nicht schon manchmal erörtert?
Ich soll wohlhabend heiraten, hoffst Du. Seltsam, daß bei solcher Frage die zartestempfindenden Frauen ihren Zartsinn vergessen können. Oder habt Ihr Mütter die naiv-fanatische Ueberzeugung, daß Eure Jungens über die Maßen liebens- und begehrenswert seien? Daß die reichen Erbinnen nur so in den Ballsälen an der Wand sitzen und sehnlichst warten, wir sollen sie wählen? Ja und wenn! Ich zum Beispiel, liebe Mutter, will nicht nur ersehnt und geliebt werden, ich will selbst wünschen und lieben und aus eigener innerster Notwendigkeit mir meine Gefährtin wählen. Und ich denke mir, so fühlen alle gesunden Kerls meines Schlags. Aus vollem Herzen will ich mal glücklich werden. Nicht nur aus vollem Verstand.
Aber das ist ein weites Feld. Da spielen auch noch zahllose andere Fragen hinein, außer denen des Gefühls. Kulturströmungen. Gegenwartsnöte. Und Unklarheiten über das Weib von heute. Ihre Umrisse schwanken. Es gibt jetzt zu viele Spielarten. Und sie sind nicht sicher bestimmbar.
Lassen wir diese Frage um so völliger auf sich beruhen, als ich zurzeit ja ungefähr vor lauter Arbeit und Kampf in der Lage jener Männer bin, die annoncieren: Wegen Mangels an Gelegenheit von Damenbekanntschaft usw. usw. Soll ich? Nein, das wäre mir doch zu bunt: sauer ums Vorankommen kämpfen und mich nebstbei schon behängen und behemmen mit einem Eheproblem!
Laß Dich nicht verstimmen. Vielleicht hat Raspe mehr Bereitwilligkeit. Und in seiner Umwelt findet er auch eher – falls er suchen mag.
Nun schließe ich. Immer nehme ich ungern Abschied von Dir. Wenn es auch nur im Brief ist. Ich scheine bei Dir zu sein, wenn ich schreibe. Und dann bist Du nicht so allein. Der Gedanke ist mir immer so schwer, daß Du Dich, mühsam arbeitend, einsam dem Herbst näherst. Darüber darf ich aber nicht nachdenken. Dann komme ich in eine Stimmung, daß ich, um Dich sorglos lächeln zu sehen, eine Gould oder Vanderbilt heiraten könnte, falls sie mich nähme.
Ich küsse Deine lieben Hände.
Dein Allert.«
Ueber den Brief war sie ein wenig böse, ein wenig enttäuscht, sehr davon unterhalten und im ganzen doch sehr glücklich.
Und dann wunderte sie sich, daß Allert von »einsam« sprach. Er wußte doch ... Nein, Kinder wissen nie und verstehen nie ganz. Sie schätzen die Stellung der Mutter zu ihren Mitmenschen nie ganz richtig ein. Besonders nicht, wenn der hauptsächlichste Mitmensch der Mutter ein treuer Freund ist. Die Mutter kann vor den Söhnen nicht ihr Innerstes beleuchten und durchsprechen, als sei das ein wissenschaftlich und genau zu erörterndes Objekt. Und außerdem: Kinder sind auch immer eifersüchtige Egoisten und gönnen der Mutter alles, wenn sie selbst einbeschlossen sind, und nichts, wenn es sie ausschließt.
Sophie dachte an ihr Glück. Ein leises, feines, karges war es – aber Glück genug für ein bescheidenes Herz. Leidgewohnte, deren Haar bereift ist, sind bescheiden.
Junge Menschen wissen gar nicht, daß auch Alternde lieben und glücklich sein können, in Empfindungen von einer keuschen Zartheit, geheimnisvoll verwandt den Träumen der ersten, noch begierdelosen Jugend.
So läßt die Natur auf dem Feld im Spätherbst noch einmal die eine und andere Frühlingsblume wieder zur Blüte kommen ... Welch tiefes Sinnbild ...
Sophie schreckte auf. Die wundervolle Stille sollte ihr gestört werden? Ihre treue alte Tyrannin Therese verstand doch sonst so bestimmt die Tür zu verteidigen. »Nein,« sagte sie schon ganz ärgerlich zu dem Geräusch draußen, »nein, ich habe zu denken, habe Verlangen nach Schweigen, will Briefe schreiben – – daß mich keiner mit seinem Besuch belästigt!«
Da öffnete sich ein wenig die Tür, und Therese lächelte in der Spalte.
»Herr Geheimrat!« sagte sie und machte gleichsam Tür und Tore weit, mit jener froh-feierlichen Geste, die sie immer hatte, wenn sie diesen Mann hereinließ. Denn sie wußte es aus ihres ergebenen Herzens Ahnungsgefühl heraus: sein Kommen war ein Fest für ihre Herrin und heute ganz gewiß ein unerwartetes.
Sophie kam in die Höhe – förmlich ein wenig zitternd und in ihrer Hast durch den Tisch gehemmt, hinter welchem sie auf ihrem kleinen Ecksofa gesessen hatte.
»O!« sagte sie nur, in einem stillen und dankbaren Glücksgefühl. Sie streckte ihm beide Hände hin. Aber mit diesen ihren beiden Händen mußte sie begnügsam seine Rechte umfassen. In der Linken trug er eine große Aktenmappe.
Leise, mit einer scheuen Hingebung lehnte Sophie ihre Stirn einen Augenblick gegen seine Schulter. Dann sah sie zu ihm empor.
Der stattliche, grauhaarige Mann lächelte sie gütig an. Sein kluges Gesicht, von einer gewissen stolzen Regelmäßigkeit der Züge, schien sehr bleich. Eine Falte, wie von Mattigkeit oder Leiden, ging scharf von seinen Mundwinkeln herab. In seinen dunklen Augen war nicht das strahlende Feuer, das sonst dies ganze Angesicht wie ins Licht stellte.
»Was ist Dir?« fragte sie, aufmerkend. Denn sie kannte sein Gesicht in jedem Ausdruck und sah es nur zu oft verfinstert von Aergernissen und hatte so oft die Beglückung, daß es hell wurde in ihrer Nähe.
»Unbehaglich ist mir – und darum komme ich. Gib mir eine Tasse Tee – ja – hier ist es warm und still und milde ...«
Er sah sich um. Dieses Zimmer war ja seine Zuflucht. Die sanfte Helle über dem Ecksofa, das so bequem war – und der gut abgemessene Tisch mit dem zierlichen Teegerät davor – alles andere lag im Halbdämmer: Bilder und ruhige Möbel. Er dachte an grell bestrahlte Räume voll Prunk und an eine Frau, die nur von Vergnügungen und Eitelkeiten wußte.
Es schien, als fröre ihn.
»Ja, was hast Du denn?« fragte sie wieder.
Sie wußte, wieviel er zu tragen hatte in einer Ehe, die zu lösen seine Frau sich, halb aus Gehässigkeit, halb aus Instinkt der Selbsterhaltung, seit Jahren weigerte. Denn sie war eine schlechte Wirtschafterin, und seine Umsicht mußte immer die Angelegenheiten ordnen, die ihre Luxusbegierden verwirrten. Und sie fühlte vielleicht, daß sie, aus seiner lenkenden Hand entlassen, in Ruin kommen könne. Wie oft kam er, ermüdet von Szenen, um in diesem friedlichen kleinen Eckchen seine Nerven zu beruhigen.
Heute hatte Sophie den Freund nicht erwartet. Er kam zumeist am Donnerstag. In seltenen Fällen trafen sie sich auch in der Gesellschaft, der Sophie sich aus Klugheitsgründen nicht entziehen konnte. Ihr alter Name hatte ihr doch geholfen, gleich in Kreise zu kommen, in denen sie Aufträge fand. Sie wußte genau: der erste war ihr vor zwölf Jahren geworden, wie ein verstecktes Almosen. Ihre Cousine Lucie, die Gattin des Ministers von Eggebeck, hatte sich bei ihr malen lassen. Lucie war gutmütig, eitel und mäßig bemittelt. Sie sah die Gelegenheit, sich für eine geringe Ausgabe in ihrer schönsten Hoftoilette malen zu lassen. Das Porträt gelang, wurde ausgestellt und hatte Erfolg. Erfolg hatte auch die Malerin, die man von da an im Salon der Exzellenz zuweilen traf. Mit jedem neuen Auftrag erweiterte sich dann Sophiens geselliger Kreis.
Im Eggebeckschen Hause hatte Sophie auch den Mann kennen gelernt, dessen Freundschaft ihr arbeitsames Leben hob und mit freudigem Mut füllte. Ihre Verbindung war der Welt ein vollkommenes Geheimnis. Was sie einander gaben, war auch nicht von der Art, das Interesse der Welt zu erregen. Frieden wollten sie und das bißchen stille Glück, sich Hand in Hand von dem lauten Leben draußen auszuruhen und sich darüber auszusprechen. Es bedurfte, zumal von Sophiens Seite, gar keiner besonderen Vorsicht oder Vorsätze, ihre Neigung zu verstecken. Kein Mensch in der Weltstadt kümmerte sich darum, daß der Geheimrat Rositz Donnerstag nachmittags Frau von Hellbingsdorf besuchte. Rositz freilich war mit Bedacht behutsam. Seine Frau hätte ihm diese Erquickung mißgönnt und gestört, wäre auf den Gedanken gekommen, daß er sich Sophiens wegen scheiden lassen wollte, während er in der Tat schon lange, bevor er die Freundin kannte, um seine Freiheit rang.
Sophie schenkte ihm Tee ein und bediente ihn pflegsam und beobachtete dabei mit immer wachsender Sorge sein schlechtes Aussehen.
»Wie komme ich heute zu der Freude?« fragte sie.
»Ich hatte Geschäfte in der Nähe. Geldsachen. Und bin auf dem Wege zu meinem Bankier. Sollte ich an Deiner Wohnung vorbeifahren? Als Egoist kam ich herauf. Mir ist irgendwie nicht wohl – kann sein, daß gestern die Austern – na, das ist vorübergehend – sprechen wir nicht davon! Ein Mann, der lamentiert!«
Und er lächelte über sein schlechtes Befinden.
»Ein Brief von Allert?« fragte er dann, und sein Blick deutete auf die vielen Blätter, die noch nicht wieder zusammengefaltet worden waren.
»Ja. Und wie immer: bunt durcheinander, voll Freude und Aerger für mich. Er will nichts davon wissen, daß ich ihm meine Ersparnisse ins Geschäft gebe.«
»Das ist sehr richtig von ihm.«
»Aber«, begann sie sehr eifrig, »wozu mache ich sie denn? Du weißt es doch, Lieber: Ich begann nach meines Mannes Tod so verzweifelt zu studieren und zu arbeiten, um mein Haus nicht sinken zu lassen! Die künstlerische Freude kam ja erst hinterdrein und wuchs von Jahr zu Jahr. Wie ein Lohn war das. Aber anfangen tat ich doch nur um des Geldes willen. Ich hatte zufällig das Talent, mit ein paar Bleistiftstrichen die Menschen sprechend ähnlich abkonterfeien zu können. Und ich dachte: daraus kann ich Broterwerb machen. Wieviel darin steckte in dem Talent, wußt' ich doch damals selbst nicht: das hat sich doch im Lernen und Arbeiten erst entwickelt. Ich für meine eigene Person hätte mich mit dem bißchen Geld, das nachblieb, als wir Muschenfelde verkaufen mußten, schon durchgehungert. Aber ich sah ein: ich wollte und mußte kämpfen, um unsere Familie zu behaupten. Mein Ziel war ja erst, so viel zu erwerben, daß wir unser Gut zurückkaufen könnten. Das wünschten sich damals auch die Jungens so glühend. Na – in zwölf Jahren ändert sich mancherlei – und das Kapitalisieren durch Sparen geht nicht mit Motorgeschwindigkeit, sondern geduldig schrittweise. Allert wurde Kaufmann – erst auch nur mit dem Ziel: rasch verdienen. Und dann sah er doch – das geht nicht so flink. Und er sah, daß es sich da noch um viel wichtigere Dinge handelt als bloß ums Verdienen – um Kulturaufgaben! Nun, das kann ja keiner besser beurteilen als Du in Deiner Stellung. – Ich seh' nun nicht ein: weil doch nicht mehr für Muschenfelde gespart wird – warum Allert mein bißchen nicht in sein Geschäft nehmen will. Er muß es freier und leichter haben. Wenn einem so die Ellbogen festgehalten werden vom Schicksal – das ist doch empörend.«
»Sie werden den meisten Menschen festgehalten. Dem einen so, dem andern so.«
Tröstend streichelte sie ihm die Hand. Sie wußte doch, woran er dachte.
»Wenn man sieht, daß alle Vorbedingungen zum Erfolg da sind – und nur Geld fehlt – das ist doch ein noch plumperes Festgehaltenwerden als so in anderen Lebensverhältnissen, wo auch Seelisches hineinspielt.«
Er hatte nachgedacht.
»Wieviel braucht Allert?«
»Brauchen? Am liebsten zwei, drei Hunderttausend. Aber mit hundert bis hundertfünfzig könnte er schon viel machen.«
»Annähernd in der Höhe könnte ich ihm dienen.«
Sophie wurde rot vor Schreck. »Nein. O nein – nie. Wenn Deine Frau das erführe – unmöglich.«
»Sie würde das nicht. Sie ahnt gar nicht, daß ich ein kleines Vermögen für mich allein habe. Ihre großen Einkünfte kommen ja aus fideikommissarischen Besitzen. Sie sind oft genug für ein halbes Jahr und mehr voraus verbraucht, und meine aufreibende Arbeit ist, in nächtlichen Stunden immer ausgleichende Berechnungen aufzustellen, mit Lieferanten Abzahlungen zu vereinbaren, Gelder aufzunehmen, Ordnung zu schaffen. Wenn ich meine Frau friedlich und rücksichtsvoll gestimmt finde, weiß ich im voraus: sie ist in einer Klemme, und ich soll alles einrenken.«
Er machte eine Pause. Sophie schien es, als atme er mühsam. Und wie elend er aussah! Doch fuhr er fort:
»Wenn nun Lyda wüßte, daß ich Kapital habe! Vor zehn Jahren Tante Rositz beerbte! Da sündigte sie noch toller darauf los und dächte und sagte immer: Du hast ja Geld – Du machst es wohl in Ordnung. Jeder Begriff von Zahlen und Grenzen fehlt ihr. Und Du weißt, Sophie – ich ringe um meine Freiheit ... Dafür hüte ich dies Geld ... Ich denke dabei auch an meine Tochter ... Wenn sie sich bei einer Scheidung für den Vater entschiede ... dann soll sie es doch bei ihm etwas reichlicher finden, als sein Beamtengehalt allein gestattete ... Und ich denke auch an eine teure Frau ...«
Er drückte der neben ihm Sitzenden fest die Hand.
Sie schwiegen bewegt. Sie fühlten es beide mit einer schmerzlichen Gewißheit voraus, daß es ihnen niemals beschieden sein werde, ein Bündnis des Abendfriedens zu schließen.
»Wenn ich nur einmal Deine Tochter sehen könnte,« sprach Sophie leise.
»Du würdest Freude haben – auch Sorge. – Sie wird nicht erzogen. – Und ich – ich kann mich wenig um sie kümmern, – wie viel Zeit hab' ich denn für mein Leben – mein Dasein ist des Staates. – Ja, Du sollst sie kennen lernen – den Winter, denke ich, macht es sich. Sie fängt an auszugehen. Die Mutter hat sie übermäßig lange zurückgehalten, wollte immer jung bleiben – erwachsene Söhne, die auswärts sind, scheinen für das Alter einer Frau offenbar kein solcher Gradmesser wie 'ne Tochter. Ja – sobald Du das Bild der Fürstin Siegstein ausstellst – ja, dann muß man Lyda suggerieren, daß es Mode und schick sei, sich von Dir malen zu lassen. Und vielleicht, wenn Tulla Dir sitzt ... Du wirst mit ihr sprechen – sie könnte Dich lieb gewinnen. Du könntest ihr zur Wohltäterin werden, wie Du es dem Vater geworden bist ...«
»Viktor,« sagte sie ergriffen.
Er nahm sich zusammen.
»Nun – also vermittle das mit Allert – Du wirst es ihm schon plausibel machen, woher gerade ich das Vertrauen zu ihm habe ...«
»Nein,« unterbrach sie ihn mit fester Stimme. »Kein Geld von Dir. Ich weiß, ich bin Dir die Nächste auf der Welt. Aber unseres Lebens wirtschaftliche Formen teilen wir ja nicht – seelische Anrechte soll man nicht verquicken mit diesen brutalen Dingen. Allert wird Auswege finden – er schreibt von Banken – gewiß, alles wird gut werden ...«
»Sei keine unpraktische Idealistin,« schalt er.
»Ich bin es nie. Meine Existenz, bescheiden zwar, doch wohlgegründet, zeigt es. Aber in dieser Frage laß mich's sein.«
»Ueberlege! Wenn wir uns wiedersehen, komme ich darauf zurück ... Das heißt, ich meine Donnerstag – übermorgen bei den Daisters kann man dergleichen nicht behandeln.«
»Welche kindliche Freude ich habe, in eine Gesellschaft zu gehen, wenn ich weiß: Du bist da – man spricht und sieht sich doch – ist's auch manchmal nur ein kurzer Augenblick. Weißt Du wohl noch, es war auch bei den Daisters, wo ich die Freude hatte, bei einem Diner Dich als Tischherrn zu bekommen ... Denke Dir, wahrscheinlich hängt da ein Auftrag in der Luft. Eine Verwandte von Frau Daister ist bei ihr zum Besuch – die will sich malen lassen – oder hat eine Tochter, die gemalt werden soll – ich verstand nicht ganz am Telefon die dringliche Mahnung von Thea Daister, jedenfalls zu kommen ...«
Sophie lachte in sich hinein.
»Als ob man mich mahnen müßte! Wo ich Aussicht habe, Dich zu treffen. Wir haben ohnehin so wenig Häuser zusammen. Und ich weiß wohl, Du bringst mir Opfer, wenn Du ausgehst ...«
»Wenn ich nur mehr Zeit hätte! Das Amt frißt einen auf. Ja – übermorgen – ich denke – das kleine Unwohlsein wird dann überwunden sein – –
Liebe, darf Therese mir nicht ein Auto von der Ecke heranrufen – mir ist, als könnte ich nicht mal die paar Schritte gehen.
Sophie erschrak von neuem. Ihr schien, daß der Ausdruck von Elend sich auf seinem Gesicht verschärft habe.
Aber doch – er sprach ja von übermorgen – dachte in Gesellschaft zu gehen.
»Heute solltest Du Dir Ruhe gönnen,« bat sie dringend, »gleich einen Arzt fragen – wenn Du Verdacht hast, daß eine Auster« – –
»Du hast recht,« sagte er, »ich will nach Hause fahren – Geschäfte Geschäfte sein lassen. Hier, bewahr' mir das ... Ein paar Tage – morgen komm' ich keinesfalls – vormittags Konferenz, nachmittags Vortrag bei Majestät – abends habe ich die Herren meines Ressorts zu Tisch – übermorgen die Deputation rheinländischer Textilindustrieller – wegen der neuen Zölle auf Kunstseidenfäden – nachmittags treffen die Vettern meiner Frau ein – Rücksprache über die Finanzverwaltung des Familienbesitzes – abends bei den Daisters ... Ja, so wird's gerade der Donnerstag, bis ich das abhole ...«
Sie legte die Hand auf die Mappe, im schweigenden Versprechen, sorgsam das Anvertraute zu bewahren.
»Und – nicht wahr? – Du läßt sofort Czermack rufen!« beschwor sie ihn.
Da mußte er doch lächeln.
»Was Czermack wohl dazu sagte, wenn man ihn wegen eines verstimmten Magens belästigte! Ich denke, mein guter, alter Kummerfeld reicht mit seinem Wissen für den Fall.«
»Und ich bekomme morgen ein Wort. Eine Depesche ... Eine Zeile ...«
»Ganz bestimmt, wenn sich ein Unwohlsein entwickelt, das mich etwa gar übermorgen von Daisters fernhält – aber sei unbesorgt – ein kleines drastisches Mittel, und alles ist morgen vergessen.«
»Ich hoffe!« sagte sie zuversichtlich.
»Adieu, Liebe!«
Er küßte ihr die Stirn.
Später bildete sie sich immer ein, er habe es in einer seltsam wehmütigen, feierlichen Art getan.
Jetzt stand sie und dachte voll Angst nach. Aber ihre mutige Natur kämpfte gegen die Angst.
Sie dachte: wir Frauen sind gleich so erschrocken, wenn großen, stattlichen Männern etwas fehlt. Es scheint wider des Mannes Wesen zu sein, daß er brüchig aussieht. Man liebt so die Ganzheit der Kraft am Manne. Und er selbst, der Mann, hat den naiven Anspruch, daß ihm nichts fehlen dürfe, daß die kleinen Leiden des Körpers unser weibliches Teil seien; das macht ihn zum unleidlichen Patienten ...
Und aus diesen Gedanken erwuchs ihr dann der Kummer, daß sie ihn nicht hegen und pflegen dürfe – ach, alle Unleidlichkeiten und alle seine Ungeduld würde sie mit Entzücken ertragen haben, um ihm wohltun zu dürfen.
Es ging ihm vielleicht schlecht. Und dann hatte er niemand um sich als diese Dienerschaft, die zahlreich, aber schlecht war, weil sie alle paar Wochen wechselte ...
Ob seine Tochter wohl die Geschicklichkeit besaß, einen Leidenden zu pflegen? Den Wunsch gewiß. Denn er sprach oft davon, daß seine Tochter ihn liebe und nur von der Mutter förmlich mit Gewalt von ihm fortgeleitet werde ...
Aber wahrscheinlich bedurfte er gar keiner Pflege – morgen war das kleine Unwohlsein vergessen.
Austern? Hm – von Austernvergiftungen hörte man ja zuweilen. Aber wo er Austern genoß – in seinem Hause – in der Gesellschaft – da kam doch nur das Kostbarste und Frischeste auf die Tafel.
Sie hatte auch wohl bemerkt – die fast gierig verlangte Tasse Tee setzte er gleich vom Mund ab, mit einer mühsam verborgenen, unwillkürlichen Miene des Widerwillens. Wie jemand, dem übel ist.
Was half das Denken und Grübeln? Es hieß, sich in das Schwerste hineinzwingen, das es für einen temperamentvollen Tätigen gibt: in geduldiges Warten.
Das gelang ihr nur für kleine Zeitspannen, die von Sorge und trüben Vorstellungen unterbrochen wurden. Dies Auf und Ab der zuversichtlichen und beunruhigten Stimmungen machte, daß sie sich selbst schließlich ganz unleidlich vorkam.
Erst als am andern Morgen die Fürstin Siegstein zur Sitzung kam, fand Sophie mehr innere Haltung.
Die ungemeine Menschenkenntnis und das gütige Wesen der greisen Durchlaucht machten die Stunden der Sitzung für Sophie zu reichem Gewinn.
»Ob ich jemals zu der Abgeklärtheit und Harmonie komme, die alle an Eurer Durchlaucht bewundern?« fragte sie klagend.
»Um Gottes willen! Nur ja nicht. Abgeklärtheit ist Alter. Gärung ist Jugend. Und Sie sind Künstlerin und müssen jung bleiben. Sie wissen wohl, ich meine nicht im Gebaren, sondern im Herzen. Denken Sie daran, wie jung unsere drei Giganten blieben! Goethe, Bismarck, Wagner. Bis zum Tod noch, dicht neben senilen Zügen: göttliche Jugend. – Aber – liebste Hellbingsdorf – ein bißchen was davon spukt auch noch in mir herum! Daß Sie nicht etwa einen steifleinenen Bonzen aus mir machen!«
»Ich hoff', Durchlaucht werden zufrieden sein,« sagte Sophie lächelnd.
Als sie nach der Sitzung in ihre Wohnung hinunterlief, fand sie keinen Brief und keine Depesche.
Das war beruhigend. Auch am Nachmittag nichts. Immer leichter wurde ihr ums Herz. Und sie stellte ihn sich vor, wie er, vielleicht ein wenig angegriffen, doch in gewohnter Beherrschung von Menschen und Dingen, sein übermäßig beladenes Arbeitsprogramm abwickelte.
Sie fing an, sich der Vorfreude hinzugeben auf morgen!
Wie leicht ließen sich die Stunden ertragen bis dahin. Und am Mittwoch Nachmittag kamen und gingen, wie immer, eine Menge Menschen bei ihr aus und ein. Zwischen Teeanbieten und Plaudern und all der Unruhe solcher Empfangsstunden hörte sie doch Tröstliches: zwei Damen sprachen von dem großen Ballfest, das Frau Geheimrat Rositz gäbe – die Tochter sollte offiziell eingeführt werden. Es schien aus dem Gespräch hervorzugehen, daß die Einladungen gestern erst versandt worden seien. Jemand sagte: »Na endlich – die Tochter muß mindestens achtzehn Jahre alt sein.« – Und eine Dame fragte: »Rositz wird wohl nächstens Exzellenz?« – »Ja,« hieß es, »sie kann es kaum noch erwarten, sie hat gelitten – Frau Rositz – das war ihr gräßlich – sie, eine geborene Freiin von Buschke.« – »Ach Gott,« sagte da die Gräfin Bretten mit einem impertinenten Lächeln, »so sehr kann die gute Lyda ja noch gar nicht an die sieben Zacken gewöhnt gewesen sein. Sie war ja schon beinahe erwachsen, als die Buschkes aufhörten, selber Kohlen zu schaufeln – ja, so Kohlenbergwerke – und dann mal 'ne großartige Stiftung – das ist heut der Weg ...«
Sonst war es Sophie schrecklich, wenn des teuren Mannes Frau durchgehechelt wurde. Jetzt aber horchte sie mit ganzer Seele. – Wenn man aus dem Hause Rositz gestern Balleinladungen versandt hatte, muhte es ihm gut gehen ...
Und Freude im Herzen schmückte sie sich für den Abend. Sie wählte ein Kleid, von dem er einmal flüchtig bemerkt hatte, es sei sehr schön und so vornehm einfach. Nichts putzte den weichen Stoff als eine alte Spitze.
Sophie ging zu Fuß. Von ihrer stillen Nebenstraße war der Weg nicht weit bis zum Kurfürstendamm, wo die Daisters in einem palastartigen Haus ein Stockwerk bewohnten. Der Novemberabend war trocken und nicht kalt.
Immer neu drang das Phänomen der Weltstadtstraße auf Sophie ein. Nur im Bewußtsein hatte man es: Abend und Winter. Eigentlich verschlang das stark flutende Leben auf diesen Bürgersteigen, Fahrdämmen und Mittelwegen alle Erscheinungen des Wechsels. Aus breiten Ladenfenstern brach Tageshelle; sie zitterte bläulichweiß herab aus großen Bogenlampen, sie huschte blitzend vorüber, wie jagende große Sterne, an den Autos und Wagen. Sie tötete die Nacht, die hoch droben, nicht gefühlt und nicht beachtet, als schwarzer Himmel über der durchflimmerten Unruhe stand. Und Wärmeströme hauchten aus den Türen der Restaurants und der Läden.
Zwischen dem Gewühl der aneinander vorbeidrängenden Menschen konnte sich keine Kälte, still um sich wirkend, ausbreiten. Der stetig gleiche Lärm der Straße, dieser Zusammenklang von hundert kleinen, harten, hellen und hundert starken, dunklen Tönen, wurde wie ein Strom – alles floß in ihm zu einem Geräusch durcheinander, das die Luft aufnahm, sich ganz damit anfüllend. Man fühlte sich einem Etwas dahingegeben, das stärker war als man selbst. Man verlor gleichsam sein Eigendasein und wurde zum Atom – ein Pünktchen wurde man, in einem Riesenbilde.
Das tat den Nerven manchmal wohl. Das trug einen. Alles sprach: die Welt steht ja noch – geht weiter – schiebt auch dein Teilchen Leben auf dem Wege voran.
Manchmal aber tat es weh, verschlang zu sehr, wollte nicht gestatten, daß man sich behaupte. Schrie einem so mitleidslos zu, daß man allein stehe unter den Millionen.
Sophie ging sehr langsam. Sie wünschte nach ihm anzukommen, genoß vorweg das Glück, ihn gleich beim Eintreten unter den andern Gästen zu bemerken. Seine Frau würde natürlich nicht da sein; es war ihre Gewohnheit, immer in letzter Stunde abzusagen, wo ihr Mann zugesagt hatte. Seit vielen Jahren hatte das Ehepaar sich nicht zusammen in Gesellschaft gezeigt: den Geheimrat traf man überhaupt nur selten.
Aber als sie die Räume betrat, sah sie ihn nicht. In den beiden sehr großen Zimmern, die strahlend von Licht und prangend von Blumen waren, befanden sich nur etwa dreißig Menschen. Sophie kannte fast alle. Und alle Welt, die Hausfrau zumeist, begrüßte sie mit einer besonderen Art von Freudigkeit. Sie empfand wohl, daß man ihr herzliche Gesinnungen schenkte, aber über den Grad ihrer Beliebtheit hatte sie noch nie nachgedacht. Sie war sich der graziösen Würde ihres Auftretens nicht bewußt und noch viel weniger des naiven Zaubers, den ihr die lebhaft gezeigte Anteilnahme an Leid und Freud' der Mitmenschen gab. Sie war wirklich etwas in der Mode, und man fand sie »entzückend«.
Man sprach auf sie ein, und sie sprach zu andern. Und hatte dabei doch immer die Tür im Auge. Sie spürte wohl: es wurde gewartet. Man ging noch nicht zu Tisch. Vielleicht wartete man auf ihn. Sie wagte nicht zu fragen. Während sie mit dem Neffen der Fürstin Siegstein von der mütterlichen Güte seiner Verwandten sprach, hörte sie deutlich, daß neben ihr eine Dame zur andern sagte:
»... dann noch Einladungen zu verschicken!«
»Sieht ihr ähnlich. Czermack soll es sehr ernst ansehen ... man sagt ...«
Das versetzte Sophie den Atem. Von wem sprachen diese beiden? Großer Gott, von wem?
Sie ließ den jungen Siegstein stehen. Da war die Hausfrau – ihrer Gewohnheit nach immer ein wenig eilig und unruhig unter ihren Gästen und jetzt von dem ärgerlichen Zweifel hingenommen: sollte man warten oder nicht? Der Geheimrat Rositz fehlte, und es fehlte noch ihre Tante, die Senatorin Amster mit Pflegetochter – eben die junge Dame, die Sophie malen sollte. Sie schalt vor Sophiens Ohren auf die unpünktliche Senatorin; Sophie aber hatte nur dies eine gehört: man erwartete »ihn« also doch! Jene Worte der beiden Damen konnten sich nicht auf ihn beziehen!
Jetzt öffnete sich die Tür. Eine stattliche Frau kam herein, in stolzer, sicherer Haltung, blond, elegant, mit klugen, etwas scharfen Zügen. Gewissermaßen in ihrem Gefolge erschien auch eine junge Dame in Weiß, die man aber wegen des bedeutenden Auftretens der älteren Dame kaum beachtete.
»Na endlich!« sagte Thea Daister. Ja, die Senatorin hatte keine Schuld. Man wußte doch, wie sie Unpünktlichkeit haßte, wo jede Minute des Tags kostbar und eingeteilt war. Aber eine Panne – es war ärgerlich gewesen und aufregend dazu. Und zugleich, während sie dies erklärte, ging ihr lebhafter Blick über die Gesellschaft hin, eigentlich mehr gleichgültig als neugierig. Ganz sachlich sich auch des ihr hier einzig Wichtigen erinnernd, sagte sie dann:
»Ich sollte Sophie von Hellbingsdorf kennen lernen.«
Thea Daister machte die Damen miteinander bekannt.
»Theas Bild hat meinen Schwager und meine Schwägerin entzückt,« teilte die Senatorin mit, »es ist sprechend. Die ganze muntere, etwas unruhige und zärtliche Art Theas ist darin. Aehnlichkeit zu geben und zugleich das Individuelle, ist ja schwer – wie vielen Malern entschlüpft beim Bestreben, das letztere zu offenbaren, die genauere Linie der ersteren.«
Sophie merkte gleich: die Senatorin mochte gern sprechen und war sich bewußt, auch etwas zu sagen.
»Ich möchte Sie nun bitten, meine Tochter zu malen – hier ist Marieluis – wissen Sie, gerade im gegenwärtigen Stadium ihrer Entwicklung möchte ich sie festgehalten sehen – wie interessant kann das später werden – wenn sie geistig weiter geht – wenn das Bild und das Modell sich voneinander entfernen. Sie müssen wissen, ich hatte keine Kinder. Als leidenschaftliche Erzieherin mußte ich mir eins annehmen.«
Sophie sagte einiges darüber, daß Wahl oft fester binde und tiefere Liebe erwachsen lasse als natürliche Bande. Und dabei sah sie immer nach der Tür und fühlte die Minuten bleiern werden.
Das junge Mädchen stand dabei und hörte zu. Sie war offenbar gewohnt, daß unbefangen vor ihr das Praktische und Seelische ihres Verhältnisses zur Pflegemutter erörtert wurde. Jetzt hatte Sophie keinen Blick für ihr demnächstiges Modell. Marieluis war ein wohlgewachsenes Mädchen, beinahe groß von Gestalt, mit gekraustem Blondhaar, das Stirn und Schläfe wellig umgab. In dem schönen Gesicht fiel der intelligente Ausdruck auf und eine gewisse entschlossene Klarheit des Blicks. Nein, das sah Sophie nicht. Sie sah nur die Tür, die sich nicht mehr öffnete ...
»Meine Tochter«, erzählte die Senatorin, »soll kein leeres Luxusleben führen, wie Thea das tat. Marieluis soll und will lernen. Sie arbeitet! Thea durfte so blind drauf los ihren Wandsbeker Husaren heiraten – unfertig wie sie war – ungeprüft – denn wie wenig kannte man sich eigentlich! Man war bloß verliebt. So was ist nicht in unserm Programm – nicht, Kind? Nun, es ist ja gut abgelaufen mit Thea und Kurt. Es steckte mehr in ihm, als man ahnen konnte. Sein Uebertritt in die Diplomatie hat mich auch recht gefreut. Ich bezweifle auch nicht, daß er sein diplomatisches Examen gut besteht. Nur wundert es mich, daß Daisters dabei so gesellig leben können – wenn man im Auswärtigen Amt arbeitet und sich vorbereitet – auf ein Examen!«
Welche Mühe mußte Sophie sich geben zuzuhören. Um sie herum war frohes Stimmendurcheinander; beglänzte Seidenfalten schimmerten warm und prunkvoll, edle Steine strahlten wie Tautropfen im Sonnenlicht. Aber das Zimmer war für Sophie leer und dunkel, weil der eine noch nicht da war, auf den sie wartete.
Nun kam aber aus dem Munde der Senatorin die Bitte, die Sophie aufhorchen machte.
»Ich möchte keinen längeren Aufenthalt in Berlin nehmen. Sie haben wohl manchmal davon gehört – Art der Städte – Art der Menschen zu verschieden – ich fühl' mich hier nicht behaglich. Zu wenig Tradition. – Also kurz: ich muß Sie schon einladen, nach Hamburg zu kommen. Versprechen kann ich's natürlich nicht, aber ich zweifle nicht daran: Marieluis wird nicht das einzige Porträt bleiben.«
Nach Hamburg – wo zwischen ragenden Schornsteinen, häßlichen, bestaubten und verräucherten Mauern und Dächern, an Wasserläufen, die Lastkähne trugen, irgendwo in einer Vorstadt ihr Allert sein junges Unternehmen zum Erfolg zu führen sich mühte ... Oh ja, wie gern nach Hamburg ...
Fort von hier, wo der Freund lebte, dem sie, der ihr nötig war. Alternde Menschen sollen einander nicht berauben – um keine Stunde darf das Schicksal sie betrügen, die hell und tröstlich und voll sanfter Freude sein könnte – denn zu nahe ist jene eine Stunde, wo alles in Dunkelheit mündet ... Oh nein – nicht nach Hamburg ...
Sie konnte nicht antworten. Nicht einmal zögernde, hinausschiebende Worte suchen. Denn Thea Daister kam wieder heran, eilig und noch unruhiger.
»Das begreife, wer kann! Rositz hat nicht abgesagt und kommt nicht und telephoniert nicht. – Ich denke, man geht zu Tisch – es ist nur – er sollte Dich führen ...«
Die Senatorin machte ein ärgerliches Gesicht. Sie unterhielt sich gern mit bedeutenden Männern. Der Vortragende Rat im Handelsministerium Rositz, von dem es hieß, er werde selbst mal Minister – der wäre ihr gerade als Tischherr recht gewesen. Sein Amt hatte ihn hie und da in Berührung mit Hamburger Handelsherren und Schiffsreedern gebracht. Es fehlte also nicht an Beziehungen.
Jetzt trat der kleine elegante Herr von Daister zu seiner ihn überragenden Gattin, mit einem ernsten Ausdruck, der wie eine durchsichtige Maske über seinem flotten, siegessicheren Husarengesicht lag.
»Wir können zu Tisch gehen. Rositz kommt nicht. Gräfin Bretten sagt mir eben, er sei sehr krank. Blinddarm. Nun, die Art Sachen kuriert Czermack ja glänzend. – Also ich meine doch ...«
Sophie begriff sich nicht – sie vermochte es, sich zu halten, unauffällig zu bleiben, zu sprechen, am Tisch zu sitzen, zwischen Menschen, die ihr wie Phantome erschienen, während ihr selbst war, als träume sie.
Ihr einzig klarer Gedanke war: die Gräfin Bretten zu fragen, was die wußte. Weit weg von ihr an dem dritten der großen runden Tische im Speisesaal saß die Gräfin. Sophie behielt immer den braunen Haarschopf im Auge, den ein Pfeil mit Brillanten durchstach – auf ganz altmodische, doch höchst kleidsame Art.
Aber nach Tisch, als Sophie sich umsah, war die Gräfin verschwunden. Irgend jemand wußte: sie hatte noch auf den Ball der schwedischen Gesandtschaft gewollt ...
Gleich darauf schlich Sophie sich davon.
Der Diener begleitete sie hinab – da standen Autos – sie sagte ihre Straße und Hausnummer. – Und kaum, daß das Gefährt davonbrauste, so drückte sie an dem Gummiballon, der dem Führer »Halt!« zupfiff.
Sie nannte ihm die Wohnung des Freundes ...
Sie dachte gar nicht: was will ich da? Sie fühlte nur: es war schon etwas, das Licht hinter seinen Fenstern sehen – Licht ist wie der Strahl des Lebens – wie Sinnbild des Seins – das Unerloschene würde zu ihr sprechen, als sei es Trost.
Sie wußte: die beiden Fenster links von der Ecke des ersten Stockwerks – das waren seine Fenster. Zuweilen, wenn sie, von einer Gesellschaft in später Nachtstunde heimkehrend, noch die Tiergartenstraße entlang fuhr, so sah sie in warmem, mildgelblichem Licht diese Fenster hell, und das war ein Zeichen: er arbeitete noch.
Nun hielt das Auto – nicht vor der Gitterpforte, sondern, wie Sophie dem Führer befohlen hatte, an der gegenüberliegenden Seite, neben dem Reitweg, am Rande des Tiergartens. »Warten Sie!«
Sophie sah das Licht, nach dem sie sich gesehnt hatte ... und noch viel mehr Licht – aus allen Fenstern brach es – schien die Mauerpfeiler wegzudrängen, die ganze Front in Helle aufzulösen – so blendend schrie dies viele Licht in die Nacht, wie ein prunkendes Fest oder – wie die Angst vor der düsteren Nähe des Todes.
Sophie stand am hohen Gitter, zwei von den eisernen Stäben umklammernd, die in Reih und Glied aus der gemauerten Basis emporstiegen.
Sie starrte zu seinen Fenstern empor. Alles war still. Keine Schatten glitten über die Vorhänge.
Sie hörte gleich einer melancholischen Musik den Wind in den Wipfeln des Tiergartens. Kein Brausen und Rascheln und Wühlen in Blätterfülle. Nur jenes feine Sausen und Schwingen, als seien all die kahlen Reiser Peitschen geworden und schlügen die Nachtluft. Sternenlos, von schweren Schneewolken verhangen, stand der Himmel.
Wie eine Bettlerin lauerte sie am Gitter, sie, die dem Mann, der droben lag und litt, die Nächste war – und an seinem Lager wachte vielleicht jene, deren Anblick und Wesen ihm noch seine Sterbestunde vergällen würde ...
Ein Geräusch ... Fauchen ... Rollen ... Der mißtönige, rasch hintereinander viermal wiederholte Schrei einer Hupe – wie ein Signal. – Das Auto kam heran, bog durch die weitgeöffnete Gitterpforte – stieß seinen Benzinatem aus – fuhr den Weg hinan und hielt unter dem Glasbaldachin seitwärts am Hauseingang. Strahlendes Licht beglänzte die Stelle. Und Sophie sah ...
Gerade als das Auto hielt, kam auch schon ein Diener aus dem Portal ... Er riß die Tür auf, und zwei junge Herren stiegen aus. Auf der Stelle wußte Sophie: seine Söhne! Der eine stand als Regierungsreferendar bei der Regierung in Breslau. Der andere war Leutnant in einem Dragonerregiment. Beide bedeuteten dem Vater Sorge ... Sophie konnte auf das deutlichste die Gesichter erkennen. – Die kleinen Bartstreifen auf dem hochmütig-gleichgültigen Gesicht des Referendars – die Aehnlichkeit des Dragoners mit dem Vater ...
Sie schienen etwas zu fragen – der Diener, ob er sich zwar schon mit dem Handgepäck der Angekommenen beschäftigte, wußte seiner Haltung doch einen ernsten Ausdruck zu geben – seine Auskunft mußte sehr bedeutungsvoll sein.
Sekundenlang blieben die beiden jungen Herren regungslos. Dann fragte der im Militärmantel noch etwas.
Und da hörte Sophie deutlich – deutlich durch die Stille der Nacht ...
»... vor einer Stunde!«
Und sie wußte: Er war tot.
Die mit Kränzen gehen und in schwarzen Floren, sind nicht immer die wirklichen Leidtragenden.
Sophie hatte kein Recht, an der mit pomphaften Trauerzeichen ausgestatteten Totenfeier teilzunehmen.
Während man den teuren Freund begrub, stand sie im Arbeitskittel und malte. Die letzte Sitzung für das Bildnis der alten Fürstin – gottlob! Es eilte Sophie damit; etwas peitschte sie – sie mußte mit diesem Bilde fertig werden, es war, als gehöre es noch in das Stück Leben, das nun zu Ende war.
Und dann fort – fort aus diesem Heim, das der eine niemals mehr betreten würde. –
»Liebste Hellbingsdorf – Sie sehen elend aus – das hat Sie angegriffen.«
Die Fürstin meinte die »kleine Reise in dringlichen Geschäften«, mit der Sophie sich für drei Tage entschuldigt hatte – drei Tage, in stumpfer Verborgenheit und schwerem Ringen verbracht. Sophie war das Lügen nicht gewohnt – den erfundenen Vorwand hatte sie vergessen.
»Es geht wieder gut,« sagte sie, »es war nur ein leichter Influenzaanfall.«
Die alten klugen Augen sahen sie durchdringend an. Und als Sophie dem forschenden Blick begegnete, kamen ihr unversehens Tränen – sie selbst überraschend, so daß sie sich nicht gegen ihre Weichheit hatte wappnen können. Nun biß sie die Lippen zusammen ...
»Weinen Sie nur – weinen Sie,« sprach die Greisin, »die Tränen, die nach innen fließen, versalzen uns das Wesen ...« Dann fragte sie:
»Wie alt sind Sie?«
»Neunundvierzig.«
»Jung – jung,« meinte die fast Achtzigjährige, »zu jung, um so allein zu stehen. Sie haben Söhne?«
»Zwei, Durchlaucht.«
»Kinder. Na ja. – Aber wenn wir in unserm tiefsten Weibtum irgendwie leiden – da können Kinder blitzwenig trösten – die wohnen sozusagen in 'ner andern Herzensabteilung – wissen Sie, als mein Mann starb – einst hatt' ich ihn bloß aus Gehorsam, fast mit Abneigung genommen – der liebe Gott hat's aber gut mit uns gemeint –ich gewann meinen Mann über die Maßen lieb – er mich – ja, als der Tod das zerriß – trostlos war ich – das konnten mir die Kinder nicht ersetzen. Na – man findet sich mit der Zeit – weil alles zeitlich ist.«
Sophie küßte der Greisin die Hand. Sie fühlte sich wunderbar verstanden. Dies alte Herz erriet: sie litt. Und ohne zu wissen und zu fragen, fand es rechte Worte.
Einen Augenblick dachte sie daran, sich der Fürstin zu offenbaren – denn neben dem Gram stand ja noch eine große Sorge ...
Der nun Dahingegangene hatte ihr etwas anvertraut – diese Mappe, die er nach zwei Tagen holen wollte. – Er, der niemals mehr kam!
Aber sie bezwang sich. Sie wußte: es ist immer klüger, die Güte Hochstehender nicht sogleich mit Geständnissen zu beantworten. Aber sie konnte nun weiterarbeiten. Und von ihrem erhöhten Sitz her, wo sie in einem goldenen Barockstuhl, voll Alterswürde, in den schweren Falten ihres dunklen Samtkleides saß, spann die Fürstin die Unterhaltung fort.
»Offiziere, die Söhne?«
»Der zweite, Durchlaucht. Mein Aeltester ist Kaufmann.«
Der weiße Kopf machte eine lebhafte Bewegung.
»Dernburg!« sagte sie bestimmt. »Das hat förmlich fixe Ideen erzeugt. Wenn ein Kaufmann plötzlich Minister werden kann – und ein bürgerlicher Kaufmann – welche Sessel müssen da adeligen Kaufleuten erklimmbar sein!«
»Ach nein, Durchlaucht! Nicht Dernburg. Er ist schon vor zwölf Jahren Kaufmann geworden. Mein Allert dachte als Knabe, das Familiengut komme mal an ihn – als er sein Abiturium hatte, war's gerad' so weit, daß alles anders lag – mein Mann starb – Muschenfelde ließ sich nicht halten – es hieß, an Erwerben denken ...«
»Da brauchte er doch nicht gleich Zucker und Kaffee zu verkaufen,« meinte die Fürstin mißfällig. »Ein Hellbingsdorf!«
Sophie spürte: sie hatte keine Ahnung – sah in ihrer Phantasie vielleicht einen deklassierten Aristokraten, der hinterm Ladentisch Tüten füllte.
»Durchlaucht – soll ich all die Standesherren aufzählen, die Brennereien, Brauereien, Sägereien haben? Die Holz, Milch, Vieh, Korn, Wild verkaufen?«
»Ih – ja – das könnte klingen. Ist aber doch anders! Betrieb auf eigener Scholle – mein Neffe Rudi hat an seinem Waldbach 'ne Sägerei und 'ne Kornmühle. – Liebste – eigene Scholle! Und er klopft und sägt und mahlt nicht selbst,« sagte sie amüsiert.
»Mein Sohn steht wohl auch nicht selbst an den Retorten und Oefen der Fabrik.«
»Ach Gott ja – die neue Zeit,« sagte die Greisin so ins Unbestimmte hinein, »alles bekommt andere Taxen.«
Und dann lenkte sie von diesem Gebiet, auf dem sie sich gänzlich unsicher fühlte, plötzlich auf das ihr bequeme ab.
»Wen will denn Ihr Sohn so mal heiraten – wenn er sich in so 'ne andere Welt 'rein begab? Passen Sie auf, was er Ihnen da mal bringt – vielleicht irgend 'ne Börsenprinzeß – hm – vielleicht nicht übel – jedenfalls nicht ungewöhnlich. Wir haben ja manche Familien, die nicht mehr fortgekonnt hätten ohne solche Neuvergoldung ...«
»Ja, Durchlaucht, die Frage beschäftigt mich beständig. Aber es ist eben eine ernste Frage. Kopf und Herz sollen bei der Beantwortung übereinstimmen. Das findet sich schwer.«