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Gisela Batliner, M.A., ist Hörgeschädigtenpädagogin, Klinische Linguistin und Montessoripädagogin. Sie arbeitet als selbstständige Sprachtherapeutin, Dozentin und Supervisorin im Bereich Frühförderung von Kindern mit Hörschädigung.

Außerdem von G. Batliner im Ernst Reinhardt Verlag erschienen:

Hörgeschädigte Kinder spielerisch fördern
(4. Aufl. 2016, ISBN 978-3-497-02650-0)

Hinweis

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-02816-0 (Print)

ISBN 978-3-497-61029-7 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61066-2 (EPUB)

© 2018 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Cover unter Verwendung eines privaten Fotos

Fotos im Innenteil: Abb. 5 Birgit Baude, München; Abb. 6 © Lottie Dolls, Ireland; Abb. 7 MED-EL; Abb. 12 privat

Autorenportraitfoto: Eleana Hegerich

Satz: Bernd Burkart; www.form-und-produktion.de

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

1Einleitung

2Warum entscheiden sich Eltern von Kindern mit Hörschädigung für die Inklusion in der Kita und welche Alternativen gibt es?

3Gut hören – schlecht hören

3.1Wie hören wir, wenn wir normal hören?

3.2Welche Hörstörungen gibt es und wie kann man sie behandeln?

3.3Welche Auswirkungen haben die einzelnen Hörstörungen?

3.4Wie kann eine Hörstörung festgestellt werden?

4Was muss ich zur Hör-Technik wissen?

4.1Das Hörgerät

4.2Das Cochlea Implantat

4.3Die drahtlose Mikrofonanlage

4.4Kleine Pannenhilfe

4.5Welche Sicherheitsregeln müssen beachtet werden?

4.6Raumakustik und Lärmreduzierung – So hören alle in der Gruppe entspannter

5Wie sieht die hörgerichtete Förderung der Kinder in der Familie aus?

6Die erste Zeit

6.1Tipps zur Eingewöhnung

6.2Sollen Geschwister in die gleiche Gruppe aufgenommen werden?

7Welche speziellen Aspekte in der Elternarbeit müssen beachtet werden?

8Wie verstehen wir uns am besten?

8.1Im Dialog

8.2Im Garten, beim Ausflug und im Freispiel

8.3Im Stuhlkreis

8.4Was tun, wenn es mit der Verständigung schwierig wird?

9Wie kann ich das Kind in der Gruppe darüber hinaus fördern und welches Material wird benötigt?

10Formalitäten und Schreibarbeiten

10.1Beispiele für Integrationsformen

10.2Antragswege

10.3Entwicklungsberichte und Förderpläne

11Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Schluss

Danksagung

Anhang

Fachbegriffe

Literatur

Bücher zum Weiterlesen, DVDs und Internet-Links zum Thema

Adressen

Deutschland

Österreich

Schweiz

1Einleitung

 BEISPIEL 

Die vierjährige Laura wird von ihrer Mutter in die Kita gebracht. An der Garderobe ergibt sich ein kurzes Gespräch mit der Erzieherin und die Mutter sagt: „Laura hört zur Zeit wieder schlecht. Ich glaube, sie hat wieder Wasser hinter dem Trommelfell.“

Kommt Ihnen diese Situation bekannt vor? Sicher gehört der Umgang mit Kindern, die Mittelohrprobleme haben, zu Ihrem Alltag. Doch auch für gehörlose und schwerhörige Kinder mit Innenohrhörstörungen ist die Kita vor Ort zunehmend auch die Krippe oder der Kindergarten der Wahl und der richtige „Förderort“, wie es im Fachjargon heißt. Der Bund Deutscher Hörgeschädigtenpädagogen (BDH) geht davon aus, dass mindestens 80 % der Kinder eine Kita vor Ort besuchen.

 BEISPIEL 

Der vierjährige Paul stürmt in die Gruppe und präsentiert stolz seinen neuen Rucksack: „Paul neuer Mausrucksack, Mausrucksack!!!“ Sein Vater kommt hinterher und kommentiert zu der Erzieherin: „Paul ist ganz verrückt mit seinem neuen Rucksack.“ Paul versucht konzentriert, den Verschluss zu öffnen. Der Vater sagt zu ihm, ohne dass Paul seinen Blick vom Rucksack abwendet: „Komm jetzt erst mal Hausschuhe anziehen.“ Paul beschäftigt sich weiter mit der Schnalle und erwidert in etwas genervtem Tonfall: „Später!“

Paul ist von Geburt an gehörlos. Er trägt zwei images Cochlea Implantate und hat damit hören gelernt. Er kann sprechen und Sprache verstehen. Da die Sprachentwicklung für ihn schwieriger ist und er dafür auch mehr Zeit benötigt, spricht er nicht ganz altersgemäß und versteht nicht alles, was man zu ihm sagt. Aber Paul entwickelt, wie auch normal hörende Kinder, über das Hören von Sprache sein Sprachverständnis sowie sein eigenes Sprechen und versteht seinen Vater in dieser Situation, obwohl er ihn nicht ansieht, sondern nur hört.

Wurden früher in erster Linie Kinder mit leicht- und mittelgradiger Hörschädigung in die Kita am Wohnort aufgenommen, so sind es heute zunehmend auch die hochgradig schwerhörigen und gehörlosen Kinder. Dies betrifft auch Kinder im frühen Kita-Alter. So gehen inzwischen Kinder mit Hörgeräten und Cochlea Implantat (CI) häufig ab dem Alter von zwölf Monaten in eine Kita. Woran liegt das? Mit Sorge ist zu beobachten, dass in einigen Bundesländern Kitas für Kinder mit Hörschädigung geschlossen werden und so gar keine Wahl mehr besteht, auch wenn z. B. Kinder mit später Diagnose dringend diese Einrichtungen benötigen. Das Angebot dieser fachspezifischen Betreuung und Förderung in einem geschützten Rahmen von acht Kindern pro Gruppe ist für eine Inklusion dieser Kinder im späteren Leben unverzichtbar und steht nicht im Widerspruch zu der UN-Behindertenrechtskonvention von 2008. Die Regel-Kita wird aber meist gewählt, weil sich die Entwicklungschancen für Kinder mit Hörstörungen massiv verändert haben. Hier drei Hauptaspekte:

1.die verbesserte Früherkennung von Hörstörungen, seit 2009 in Deutschland mit dem Neugeborenen-Hör-Screening

2.die ständige Weiterentwicklung auf dem Gebiet der Hörtechnik

3.die Entwicklung von familienzentrierten und ressourcenorientierten Frühförderkonzepten auf der Basis des Spracherwerbs in der natürlichen Interaktion

Neun von zehn Kindern, die mit einer Hörschädigung geboren werden, haben hörende Eltern (NIDCD 2018). Wählen Eltern den Weg der hörgerichteten Förderung (Kap. 5) für ihr Kind, besteht meist auch der Wunsch, dass das Kind die Regel-Kita am Wohnort besucht. Eltern wünschen v. a. die Fortsetzung der sozialen Integration in ihrem Umfeld und versprechen sich von dem guten Sprachvorbild der normal hörenden Kinder die beste Förderung für ihr Kind. Weitere Gründe, warum Eltern diesen Weg wünschen, erfahren Sie in Kapitel 2. Auf Kinder, die in erster Linie gebärdensprachlich kommunizieren, wird in diesem Buch nur kurz eingegangen, da diese in der Regel die Kitas der Förderzentren für Kinder mit Hörschädigung besuchen. Kinder, die in der wohnortnahen Kita integriert werden, sind in der Regel Kinder, die hörgerichtet Sprache erwerben können und lautsprachlich kommunizieren.

Dieses Buch entstand durch die jahrelange Begleitung zahlreicher Kinder mit Hörschädigung in Krippe und Kindergarten und die vielfältigen Erfahrungen, die ich dabei machen konnte. Für dieses Buch wurden nochmals gezielt Interviews mit Erzieherinnen und Heilpäd­agoginnen geführt, die derzeit Kinder mit Hörschädigung in ihren Gruppen haben. Im Folgenden werden die weibliche und männliche Form abwechselnd verwendet. Selbstverständlich sollen sich jedoch immer beide Geschlechter angesprochen fühlen.

Ziel des Buches ist es in erster Linie, über die Situation von Kindern mit Hörschädigung zu informieren und Ihnen damit eventuelle Berührungsängste zu nehmen, solch ein Kind in Ihre Gruppe aufzunehmen. Es soll eine Entscheidungshilfe vor der Aufnahme eines Kindes mit Hörschädigung sein und eine Ergänzung zur persönlichen Beratung durch die Frühförder-Fachkraft, die ein bereits aufgenommenes Kind und seine Familie begleitet. Auch Kinder, deren Hörschädigung erst diagnostiziert wird, wenn sie bereits eine Kita besuchen, und Kinder mit leichteren Hörschäden oder wiederkehrenden Mittelohrproblemen werden mit einbezogen. Ebenso finden Sie einzelne Aspekte zu Kindern mit zusätzlichen Entwicklungsbeeinträchtigungen. Im Vordergrund stehen praktische Tipps für den Gruppenalltag und wichtige Hintergrundinformationen, die es Ihnen erleichtern, die Situation des Kindes besser zu verstehen, und die Sie in Elterngesprächen zum kompetenten Gesprächspartner machen.

Hören ist für uns etwas sehr Unbewusstes. Wir hören immer, auch nachts. Die Augen können wir schließen, die Ohren nicht. Es ist so selbstverständlich, dass wir uns nur schwer vorstellen können, was es bedeutet, schwerhörig zu sein. In diesem Buch werden Sie viel über diesen so wichtigen Sinneskanal erfahren, und Sie werden dadurch Hören auch selbst ganz anders und bewusster erleben.

Im Anhang finden Sie ein Verzeichnis der Fachbegriffe, die Ihnen in der Arbeit mit Kindern mit Hörschädigung begegnen können. Die Erfahrungen und Tipps, die in diesem Buch beschrieben werden, beziehen sich auf alle Formen der Integration in der Kita. Genaueres dazu finden Sie in Kapitel 10.

„Wir haben sie aufgenommen und versucht, gemeinsam mit den Eltern und mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten den Kindern das Leben in der Gemeinschaft mit nicht Behinderten zu ermöglichen. Die besten Therapeuten waren dabei die anderen Kinder. Sie registrierten sprachliche Fortschritte, positive Entwicklungen in den Bewegungsabläufen, im Zeichnen und Malen. Viele Freundschaften, die zwischen behinderten und nicht behinderten Kindern entstanden sind, haben die Kindergartenzeit lange überdauert“ (Becker-Textor 1990, 42).

Hier beschreibt Becker-Textor ihre Erfahrungen mit der Inklusion in der Kita. Ich werde häufig gefragt, inwiefern denn Kinder, die sich altersgemäß entwickeln, von inklusiven Maßnahmen in der Kita profitieren. Tatsache ist, dass alle Plätze in inklusiven Gruppen immer schnell belegt sind. Was motiviert Eltern dazu? Sie möchten ihrem Kind die Chance geben, im täglichen Miteinander mit unterschiedlichsten Kindern ihre eigenen Erfahrungen zu machen, die sich langfristig auf ihre Wertvorstellungen und ihr soziales Verhalten auswirken.

Der entscheidende Kern der Inklusion bleibt das Voneinander-Lernen und das Gemeinsam-Spielen (Heimlich 2012, 23).

2Warum entscheiden sich Eltern von Kindern mit Hörschädigung für die Inklusion in der Kita und welche Alternativen gibt es?

Es gibt zwei Hauptgründe, warum Eltern für ihr Kind mit Hörschädigung den Weg der Inklusion in einer Kita wählen: Die Wohnortnähe und das gemeinsame Leben und Lernen mit normal hörenden Kindern und, je nach der Situation vor Ort, mit Kindern, die unterschiedliche Entwicklungsbeeinträchtigungen haben.

Die Wohnortnähe bietet viele Vorteile:

imagesEs entfallen die meist langen Busfahrten zum Förderzentrum für Hörgeschädigte.

imagesDas Kind wird von den Eltern gebracht. Das beginnt mit dem gemeinsamen Weg, auf dem das Kind Freunde trifft, und beim vertrauten Bäckerladen, wo es seine Brezel kaufen darf. Ganz nebenbei bekommt es noch Verkehrserziehung im Straßenverkehr. Dies alles entfällt, wenn das Kind vom Bus vor der Haustür abgeholt und im Hof des Förderzentrums wieder abgesetzt wird.

imagesDurch das Bringen und Abholen besteht ein täglicher Kontakt zu den Erzieherinnen, anderen Eltern und ihren Kindern. So bekommen auch die Eltern von Kindern mit Hörschädigung mehr soziale Kontakte am Wohnort.

imagesBesuche von anderen Kindern der Gruppe sind wegen der örtlichen Nähe einfach zu organisieren. Auch selbstständige Besuche sind möglich. So kann das Kind ganz selbstverständlich soziale Kontakte über die Familie hinaus entwickeln und pflegen. Besonders zu Beginn fühlt sich das Kind mit Hörschädigung zu Hause in seiner vertrauten Umgebung sicherer als bei Besuchen in der Wohnung anderer Kinder. Die Besuchskinder können sehen, dass das Kind ganz ähnlich lebt wie sie, und sie erleben, wie die Familie mit dem Kind sprachlich umgeht. Auch Kontakte, die bereits vor dem Eintritt in die Kita entstanden sind, können viel leichter erhalten werden.

imagesDas Kind muss nicht so früh aufstehen (nicht selten kommt der Bus schon um sieben Uhr), und es besteht die Möglichkeit, wesentlich früher nach Hause zu kommen, als wenn es vom Förderzentrum gebracht wird; der Bus hat meist eine lange Route, bis alle Kinder zu Hause abgesetzt sind. Diese gewonnene Zeit kommt dem Kind und der Familie zugute. So ist z. B. ein gemeinsames Mittagessen möglich, das häufig eine wichtige Zeit für den sozialen Austausch untereinander ist. Mehr Zeit bedeutet auch, Erledigungen wie Arztbesuche, Therapiestunden, oder einfach mit dem Kind etwas Neues zum Anziehen kaufen, mit mehr Ruhe durchführen zu können. Das Kind kann rechtzeitig zu einer Geburtstagseinladung gebracht und andere Angebote für Kinder z. B. von der Gemeinde können wahrgenommen werden. Natürlich besuchen heutzutage viele Kinder mit Hörschädigung ganztags die Kita vor Ort, dennoch bleibt mehr Zeit nach dem Abholen, weil die langen Fahrtzeiten entfallen.

„Mir, als Mutter, geht es besser dabei. Wir alle haben nachmittags mehr Zeit und Ruhe, uns etwas vorzunehmen. Mal ist das eine Kind dran und wird zum Freund oder Sport gefahren, mal das andere. ...Das schlechte Gewissen, mich immer um Kathi kümmern zu müssen in der kurzen Zeit, in der sie zu Hause ist, gehört der Vergangenheit an“ (Martin/Martin 1998, 21).

imagesDie Eltern oder andere enge Bezugspersonen können schnell vor Ort sein, wenn es mal nötig ist, z. B. wenn das Kind sich in der Kita verletzt oder erkrankt.

Das Kind kann mit normal hörenden Kindern gemeinsam leben und lernen:

imagesDas gute Sprach- und Kommunikationsvorbild der anderen Kinder ist für die Sprachentwicklung des Kindes mit Hörschädigung von entscheidender Bedeutung. Da auch die meisten Kinder mit Hörschädigung über das Hören Sprache erwerben, ist es entscheidend, was sie im täglichen Umgang an sprachlicher Kommunikation erleben. In der Regel-Kita erlebt das Kind die images Lautsprache als selbstverständliches Ausdrucksmittel.

imagesOft begründen Eltern den Entschluss auch damit, dass sie keinen Schonraum für ihr Kind wollen. Die kleine Gruppe in der Kita für Kinder mit Hörschädigung mit akustisch optimal gestalteten Räumlichkeiten und besonders geschultem Personal entspricht nicht dem sozialen Umfeld, in dem das Kind lebt und in dem es sich später zu Recht finden muss.

imagesBesucht das Kind erfolgreich die Regel-Kita und verläuft seine Sprach- und Gesamtentwicklung entsprechend, kann es mit vertrauten Kindern seiner Gruppe den Start in der Regelschule gemeinsam erleben. Nicht zuletzt deswegen wünschen sich Eltern, dass ihr Kind diese Chance der inklusiven Erziehung von Anfang an bekommt.

Daneben können aber auch folgende Gründe eine Rolle spielen: Die Eltern kennen die Kita bereits über ältere Geschwisterkinder und sind mit den Erzieherinnen vertraut. Außerdem ist auch das Kind mit Hörschädigung nicht mehr fremd, da es beim Bringen und Abholen häufig dabei war. Es ist so ganz selbstverständlich als Familienmitglied bekannt und mit seinen besonderen Bedürfnissen akzeptiert. Oder die Kita wurde den Eltern von Freunden empfohlen, die dort gute Erfahrungen mit ihrem Kind gemacht haben.

Doch was ist, wenn die Bedingungen in der Regel-Kita ungünstig sind, wie beispielsweise bei großen Gruppen, einem offenen Konzept mit viel Umgebungslärm auf den Fluren und in den Gruppenräumen, oder der Grund nur der ist, dass die Eltern nicht wollen, dass der Bus des Förderzentrums vor ihrem Haus hält? Oder wenn das Kind erst spät mit Hörtechnik versorgt wurde und zum Kitaeintritt noch kaum Sprachverständnis und gesprochene Sprache erwerben konnte? Was ist, wenn das Kind zusätzliche Entwicklungsbeeinträchtigungen hat und deshalb nur sehr langsam zur Sprache kommt? Dies sind nur einige Beispiele, bei denen die Entscheidung für die Regel-Kita gut überdacht werden muss. Grundsätzlich ist es wichtig, dass Sie als Erzieherin auch über die Fördereinrichtungen für Hörgeschädigte in Ihrer Region informiert sind. Das geschieht am einfachsten durch die Fachkraft, welche die Hör-Frühförderung des Kindes bis zum Eintritt in die Kita durchgeführt hat (beachten Sie dazu bitte auch das Adressenverzeichnis im Anhang).

Vorteile einer Kita für Kinder mit Hörschädigung: Das sind vor allem die kleinen Gruppen (acht bis zehn Kinder), Kita-Pädagogen, die spezielle Fortbildungen und Erfahrungen mit Kindern mit Hörschädigung haben, und akustisch optimal gestaltete Räume mit Höranlagen. Dazu kommt meist die Betreuung der Kinder durch einen Hörgeräteakustiker, der die Hörtechnik während der Gruppenzeit überprüft, die Möglichkeit von Hörprüfungen zur Kontrolle des Hörvermögens in der Einrichtung und psychologische Beratungen und Untersuchungen zur Gesamtentwicklung der Kinder. Manche Kinder fühlen sich auch wohler unter Kindern, die ebenfalls Hörgeräte oder Cochlea Implantate tragen. In einigen Förderzentren werden in die Gruppen, im Sinne einer „umgekehrten Inklusion“, normal hörende Kinder mit aufgenommen. So haben die Kinder mit Hörschädigung ein besseres Sprachvorbild und Kontakte zu normal hörenden Kindern. Durch die spezifische Förderung haben auch Kitas an Förderzentren eine inklusive Wirkung: Die Kinder können in ihrer Entwicklung optimal unterstützt werden und durch die kontinuierlichen Fortschritte gelingt auch die Inklusion im familiären und weiteren sozialen Umfeld besser. Alle beschriebenen Aspekte zur Wohnortnähe sind jedoch nicht gegeben, es sei denn, das Kind wohnt zufällig in der Nähe der Einrichtung. Doch auch dann sind die Kontakte in der Freizeit zu den anderen Kindern mit Hörschädi­gung aus der Gruppe meist sehr schwierig, weil diese aus einem großen Einzugsgebiet zusammen kommen.

Für Kinder mit zusätzlichen Entwicklungsbeeinträchtigungen gibt es spezielle Förderzentren. Hier muss im Einzelfall entschieden werden, was bei der Förderung im Vordergrund steht und welche Einrichtung auch vom Weg her gut erreichbar ist. Eine Internatsunterbringung, wie das früher üblich war, da angenommen wurde, dass die Fachleute besser für die Erziehung der gehörlosen und schwerhörigen Kinder geeignet sind als die Eltern, ist selbstverständlich nicht mehr üblich und im Kita-Alter nur bei echter Kindeswohlgefährdung zu diskutieren. Wenn solch ein spezielles Förderzentrum weit entfernt liegt, kann eine heilpädagogische Kita vor Ort der richtige Platz sein. Die Mitarbeiter der Hör-Frühförderung unterstützen dann bei allen Fragen zur Hörschädigung. Auch in heilpädagogischen Einrichtungen werden inklusive Gruppen angeboten.

Wird bei Ihnen ein Kind angemeldet, das images Gebärden für seine Kommunikation benötigt, ist es unbedingt erforderlich, dass Sie die Gebärden des Kindes verstehen und sich auch selbst unterstützt durch Gebärden ausdrücken können. Das Team sollte daher bereit sein, Gebärdenkurse zu besuchen. Je nach örtlichen Gegebenheiten finden Gebärdenkurse statt, die auf die Kommunikation mit Kleinkindern ausgerichtet sind. Das ist bei den normalen Kursen an den Volkshochschulen nicht der Fall. Dazu kann Ihnen die Frühförderin des Kindes Informationen geben. Vielleicht ist auch ein interner Gebärdenkurs in der Kita möglich. Auch, wenn diese Kinder vorwiegend eine Kita im Förderzentrum „Hören“ besuchen, kommt es vor, dass Eltern entweder grundsätzlich die Inklusion wünschen, evtl. mit einem Gebärdendolmetscher, oder dass die Fördereinrichtung einfach zu weit entfernt ist.

Was ist zu tun, wenn ein Kind erst während der Kita-Zeit als schwerhörig erkannt wird? Dann ist nicht automatisch ein Wechsel in eine Kita für Kinder mit Hörschädigung sinnvoll. Es muss sorgfältig im Einzelfall überlegt werden, ob die weitere inklusive Erziehung für das Kind nicht der bessere Weg mit der besseren Förderung ist und ob das Kind sich bereits gut eingelebt hat und damit ein Wechsel ein harter Bruch seiner sozialen Beziehungen wäre. Möglicherweise war das Kind vor der Diagnose eher Außenseiter und hat mit der Hörgeräteversorgung und speziellen Förderung zu Hause den Weg in die Gruppe gut geschafft.

Sie sehen, dass bei allen Vorteilen der inklusiven Erziehung von Kinder mit Hörschädigung es immer eine Einzelfallentscheidung sein muss, welche Kita die geeignete ist.

Selbstverständlich entscheiden letztendlich die Eltern, ob sie eine Kita vor Ort, eine Wald- oder Montessori-Kita oder die Kita im Förderzentrum wählen, je nachdem, welche Angebote bestehen. Daher sollten Überlegungen zur Kita-Wahl oder auch zu einem eventuellen Wechsel immer ausführlich gemeinsam besprochen werden.

Abschließend möchte ich betonen, dass die Inklusion selbst gehörloser und hochgradig schwerhöriger Kinder sehr gut gelingen kann, wenn die Entscheidung für die passende Kita verantwortungsvoll gefällt wird und die interdisziplinäre Zusammenarbeit kontinuierlich gewährleitet ist.

3Gut hören – schlecht hören

3.1Wie hören wir, wenn wir normal hören?

Wir hören immer, auch nachts. Unsere Ohren sind immer offen und geben uns selbst im Schlaf durch vertraute Geräusche die Gewissheit, dass alles in Ordnung ist, oder lassen uns aufwachen, wenn bestimmte Geräusche wie das Telefonläuten uns erreichen. Hören ist für uns so selbstverständlich und dadurch sehr unbewusst. Doch wir hören nicht nur mit dem Ohr, sondern auch mit dem Gehirn. Im Ohr geschehen die Schallaufnahme und die Umwandlung in Nerven­impulse.

Die Verarbeitung dieser Nerventätigkeiten geschieht jedoch nicht im Ohr, sondern erst nach dem Innenohr, in der Weiterleitung und im Gehirn. Als Beispiele sind das Sprachverständnis, das Hören in lauter Umgebung und das Hörgedächtnis zu nennen. Wenden wir uns aber erst dem Ohr zu, das auch als „peripheres Hörorgan“ bezeichnet wird.

Das Ohr (Abb.1) besteht aus drei Teilen:

1.äußeres Ohr

2.Mittelohr

3.Innenohr

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Abb. 1: Schematische Darstellung des menschlichen Ohres
(nach Zwicker 1982, 22)

1. Das äußere Ohr: Das äußere Ohr besteht aus der Ohrmuschel und dem äußeren Gehörgang, der durch das Trommelfell abgeschlossen wird. Der Schall wird aufgenommen, trifft am Ende des äußeren Gehörgangs auf das Trommelfell und versetzt dieses in Schwingungen.

2. Das Mittelohr: Das Mittelohr ist ein lufthaltiger Raum, mit einer Verbindung zum Nasen-Rachenraum, der images