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Über dieses Buch:

Weihnachten ist mehr als ein Feiertag, Weihnachten ist ein Gefühl – und darum hat auch die Adventszeit viele Facetten: mal warmherzig und voller nostalgischem Charme, mal humorvoll und turbulent. Mit diesem Lesebuch laden wir Sie ein, den Dezember und das Fest der Liebe mit allen Sinnen zu genießen. Sie werden schmunzeln und lächeln und sich an ihre Kindheit erinnern. Sie werden den Geschmack von Lebkuchen auf der Zunge und den zarten Kuss von Schneeflocken auf Ihrem Gesicht spüren. Sie werden erleben, wie der Alltagsstress von Ihnen abfällt und Sie zur Ruhe kommen. Denn Weihnachten ist mehr als ein Feiertag – Weihnachten ist ein Gefühl!

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Originalausgabe November 2017

Copyright © 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/Tomacco

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95520-818-9

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Claudia Weber (Hrsg.)

WEIHNACHTSGLANZ & STERNENZAUBER

Unsere schönsten Weihnachtsgeschichten

dotbooks.

Inhalt

Theodor Storm
WEIHNACHTSLIED

Vom Himmel bis in die tiefsten Klüfte

Ein milder Stern herniederlacht;

Vom Tannenwalde steigen Düfte

Und hauchen durch die Winterlüfte,

Und kerzenhelle wird die Nacht.

Mir ist das Herz so froh erschrocken,

Das ist die liebe Weihnachtszeit!

Ich höre fernher Kirchenglocken,

Mich lieblich heimatlich verlocken

In märchenstiller Herrlichkeit.

Ein frommer Zauber hält mich nieder,

Anbetend, staunend muß ich stehn,

Es sinkt auf meine Augenlider,

Ein goldner Kindertraum hernieder,

Ich fühl’s, ein Wunder ist geschehn.

Kirsten Rick
EINGEWICKELT

Ein beschwingter Kurzroman

Kapitel 1

Noch einmal Jingle Bells, und ich kotze. Hier direkt auf den Tresen, zwischen Envy von Gucci und Chanel No. 5. Das würde sich wohl nicht so gut machen. Allerdings: Wenn ich mich diskret in eines der feinen Schächtelchen übergebe, die sich neben mir türmen, und sofort eine Schleife drumbinde, könnte ich das wahrscheinlich sogar verkaufen. Die Leute nehmen alles, kurz vor Geschäftsschluss am 24. Dezember.

Ich hätte mit meinen Eltern wegfahren sollen. Die sind Weihnachtsflüchtlinge. »Den ganzen Stress und Konsumwahn hier tun wir uns nicht an. Das ist alles so verlogen«, sagt meine Mutter, mit ihrer 68er Vergangenheit kokettierend, alle Jahre wieder. Und dann buchen sie drei Wochen Malediven oder Seychellen oder Mauritius oder wie diese Postkarteninseln heißen, all inclusive natürlich. Ich kenne das schon und weiß daher, was kommt: Spätestens am Heiligen Abend werden sie sentimental, verunstalten eine Palme mit dem heimlich im Koffer mitgeschmuggelten Christbaumschmuck und rufen mich an, um mir über eine grottenschlechte Telefonleitung Ihr Kinderlein, kommet vorzusingen. Auch nicht viel besser als Jingle Bells.

Trotzdem: Ich hätte fliehen können. Aber ich musste mich ja unbedingt für die Ich-bin-selbständig-und-kann-für-mich-alleine-sorgen-Nummer entscheiden und in den Semesterferien den erstbesten Job annehmen, den ich finden konnte: Aushilfe in einer Parfümerie. Nicht bei Douglas, zum Mercedes unter den Dufttempeln habe ich es nicht gebracht. Sondern bloß zum, sagen wir, VW Polo: Ich helfe bei Hauffenberg aus, einem Traditionsgeschäft – nennt sich jedenfalls so, weil Oma Hauffenberg hier schon vor über 100 Jahren Kölnischwasser verkauft haben soll.

Ich wundere mich ja immer noch, dass die mich genommen haben, denn ich kenne mich in der exklusiven Welt der Kosmetik überhaupt nicht aus. Natürlich benutze ich hin und wieder Lippenstift, und ich habe auch eine ungefähre Vorstellung davon, wo man Lidschatten plazieren könnte. Das ist es dann auch schon. Ich habe beispielsweise noch nie im Leben Mascara benutzt. (Ich trage Kontaktlinsen und befürchte, dass mir die Wimperntusche ins Auge bröselt und nie wieder rausgeht.) Mein Mitbewohner Kurt und sein Liebster mussten mir darum am Abend vor dem Vorstellungsgespräch noch schnell einen Crash-Kurs geben. Sie wissen alles über lichtreflektierende Reflex-Pigmente, einzigartige Volumen-Impact-Bürsten, ayurvedische Nail-Spas. Und ich habe zum Glück ein gutes Gedächtnis – auch für Informationen, die ich nicht im mindesten verstehe.

Nun stehe ich hier und muss das enervierende Glöckchengebimmel über mich ergehen lassen. Bei Rudolph, the rednosed Reindeer habe ich wenigstens noch leckere Rentierschinken-Assoziationen, aber bei Jingle Bells schrillt mir nur noch der Kopf. Was ist aus Stille Nacht, heilige Nacht geworden? Wahrscheinlich ist das weniger verkaufsfördernd. Nicht zum ersten Mal in den letzten vier Wochen frage ich mich, ob es etwas gibt, das schlimmer ist als Jingle Bells.

O ja.

Da kommt es auch schon.

Oder besser: er.

Mein ganz spezieller Lieblingskunde.

Genau wie Jingle Bells wirkt er zuerst ganz nett – er ist schätzungsweise 28 Jahre alt, 1,85 m groß, hat eine sportliche Figur, einen schlanken Nacken, weiche, dunkle Haare, einen leicht herzförmigen Bogen der Oberlippe … Nein, ich komme jetzt nicht ins Schwärmen, denn ich weiß, dass dieser formschöne erste Eindruck täuscht.

Er kommt auf mich zu, bleibt direkt vor mir stehen, greift in seine schwarze Ledertasche, zieht ein kleines Päckchen hervor und hält es mir unter die Nase. Nein, das ist kein verfrühtes Weihnachtsgeschenk für mich. Das ist eine Frechheit. Ich kenne dieses Päckchen nämlich sehr gut. Schließlich habe ich es eingepackt, mit aufwendiger Pompon-Schleife, achtfach gedoppelt. Dafür hat mich mein Arbeitgeber extra zu einem Seminar geschickt: Geschenke fachgerecht verpacken unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Kundenwünsche und der renditeförderlichen Kosteneffizienz. Neun Stunden lang habe ich die kompliziertesten Schleifen und das korrekte Kräuseln glänzender Geschenkbänder geübt. Jetzt bin ich perfekt: Ich kann die Kärtchenanhänger in einer Schönschrift ausfüllen, die selbst am Königshof gut ankommen würde, und neckische Grußbärchen so zwischen den Schleifenwundern auf Päckchen drapieren, dass sie dort einem Wirbelsturm standhalten würden. Und darum darf ich wohl erwarten, dass all diese mühsam erworbenen und nicht meinem eigentlichen Naturell entsprechenden Fähigkeiten auch entsprechend wertgeschätzt werden.

»Das ist doch nicht das Richtige. Ich hätte gerne einen anderen Duft«, sagt mein ganz spezieller Lieblingskunde. »Einen, der nicht nach Damenumkleide im Schwimmbad riecht.«

»Damenumkleide? Schwimmbad?«, frage ich, nehme das Päckchen entgegen und rupfe Schleife und Papier vom Jil-Sander-Flakon. Ich zerstöre mein Kunstwerk. Das fällt mir schwer. Nicht, weil ich stolz auf mein kunsthandwerkliches Meisterstück bin. Nein, ich habe einfach eine Auspack-Phobie. Als Kind habe ich mich mal ganz böse an Geschenkpapier geschnitten, die ganze Hand aufgeschlitzt, das hat höllisch gebrannt. Seitdem ist das Auswickeln nicht mehr mein Ding. Genauer gesagt: Ich hasse es! Mit dem Einwickeln dagegen habe ich keine Probleme, obwohl ich dabei ja auch Geschenkpapier anfassen muss. Das verstehe, wer will. Jedenfalls überreichen mir Freunde und Familie schon seit Jahren alle Geschenke unverpackt – und bei Hauffenberg habe ich für den Fall der Fälle zwei Scheren, mit denen ich geschickt die Ware vom Papier trenne, ohne es zu berühren. Das kann ich inzwischen so gut wie Edward mit den Scherenhänden.

»Ja, nach Umkleidekabine, das sagt meine Freundin. Ich war zufällig dabei, als sie mit ihrer Mutter darüber sprach«, erklärt mein spezieller Lieblingskunde.

Seine Freundin. Die ist mir inzwischen so sympathisch wie eine Kreuzung aus Margot Honecker und Schneewittchens Stiefmutter. Sie scheint sich den ganzen Tag lang mit ihrer Mutter und ihren Freundinnen ausschließlich über Parfums zu unterhalten. Wahrscheinlich, während sie sich die Nägel manikürt. Oder warum sollte mein Kunde sonst von der Idee besessen sein, ihr einen Duft zu Weihnachten zu schenken. Ach, was heißt einen Duft? Genau den richtigen will er. Den, der ihre Liebe besiegelt, der zeigt, wie sehr er sie schätzt und wie gut er ihren Geschmack kennt. Letztere Bedingung scheint allerdings unerfüllbar. Er ist zum siebten Mal bei mir. Ich habe inzwischen gelernt: Valentino riecht nach abgestandenem Spülwasser, Escada Rockin’ Rio nach kalten Füßen, Eternity nach angebrannter Grützwurst, Armani Mania nach verstopftem Abfluss, D&G Light Blue nach einem S-Bahn-Waggon voller HSV-Fans und Chopard Casmir nach verwestem Känguru. Oder so ähnlich. Ich muss, wenn auch widerwillig, zugeben, dass mir ihre Vergleiche gefallen, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie die Dame darauf kommt. Und wie sie es fertigbringt, ihrem Liebsten diese Informationen immer wieder unauffällig zuzuspielen.

Noch rätselhafter ist es mir, warum dieser ansonsten doch recht lebenstaugliche, brauchbare und sogar gutaussehende Mann der Idee verfallen ist, seiner Freundin ausgerechnet einen Duft schenken zu wollen. Hauen Sie doch endlich ab, und schenken Sie Ihrer verdammten Freundin eine Kaffeemaschine. Oder einen Nerz, das sollen ganz possierliche Tierchen sein, wenn sie erst mal stubenrein sind. Oder ein Diamantcollier zum Selberbasteln. Oder eine Busreise in die Vogesen mit optionaler Teilnahme an einer Heizdeckenverkaufsveranstaltung oder …, möchte ich ihn anbrüllen, um ihn endlich zur Vernunft zu bringen. Mir wären sicher noch mehr Geschenkideen eingefallen. Doch stattdessen sage ich, ganz geschultes Verkaufspersonal: »Was darf es denn diesmal sein? Kann ich Ihnen etwas zeigen?« Dann sprühe ich verschiedene Düfte auf Pappstreifen, wedele damit unter seiner Nase herum und grinse so debil wie die Grußbärchen, die im ganzen Laden verteilt herumstehen und frohe Botschaften auf kleinen Schildchen in ihren kleinen Tatzen halten, während um mich herum aus allen Lautsprechern hysterisch Glöckchen klingeln und ein bedauernswerter Langzeitarbeitsloser als Nikolaus verkleidet »Hohoho!« murmelnd durch den Laden tapst.

Erwähnte ich bereits, dass mich dieser ganze Weihnachtsrummel nervt?

Kapitel 2

Der Kunde gibt sich wie gewohnt schwierig, will noch einen und noch einen und wieder einen anderen und vielleicht doch noch mal den ersten Duft vorgeführt haben. Ich komme mir vor wie ein olfaktorischer Weihnachtsbaum, behängt mit duftenden Pappstreifen statt mit Lametta. Gleichzeitig weise ich einer älteren Dame den Weg zu den Cellulite-Cremes, empfehle einem dank diverser Piercings glitzernden Teenager einen garantiert kussechten Lippenstift, drücke einem hektischen Herrn in teuren Schuhen einen Tiegel der exklusivsten Hautcreme in die Hand (»50 Milliliter für 250 Euro, Qualität hat ihren Preis, nein, wir haben leider kein Pröbchen«) und verweise fünf andere ungeduldige Kunden an meine ebenfalls überlasteten Kolleginnen. Aus den Lautsprechern dröhnt Jingle Bells inzwischen so laut, dass die Flakons klirren. Gleich werden sie zerbersten. Mein Kopf auch. Und wenn der Typ sich nicht sofort entscheidet, bringe ich ihn um.

»Tja, ich weiß nicht …«, sagt er.

Ich sehe mich nach einem Baseballschläger oder einem anderen Schlaginstrument um. Die Grußbärchen scheinen mich höhnisch anzulachen.

Resignierend wende ich meinen absoluten Killerverkaufstrick an: »Das hier werden Sie bestimmt mögen. Das ist mein absoluter Lieblingsduft.« Ich sprühe mir etwas Samsara von Guerlain aufs Handgelenk und schmiege meinen Arm ganz dicht ans Gesicht des Kunden, während ich mit betont lasziver Stimme wispere: »Ein Hauch frischer Enzian. Macht sinnlich!«

Keine Ahnung, warum, aber das funktioniert immer. Vielleicht, weil es wahr ist: Samsara ist wirklich mein Lieblingsduft. Okay, das mit dem frischen Enzian steht in den Briefingunterlagen, die der Hersteller praktischerweise mitgeliefert hat. Woher soll ich denn wissen, wie frischer Enzian riecht, schließlich sind wir hier in Norddeutschland. Und das gehauchte Macht sinnlich ist meine private Interpretation von Sex sells.

»Ja, das nehme ich«, sagt mein spezieller Lieblingskunde erwartungsgemäß. Ich bin einfach ein Verkaufstalent! Vielleicht sollte ich mein Kunstgeschichtsstudium zugunsten einer Karriere im Einzelhandel aufgeben?

Mein kurzfristiges Hochgefühl kühlt sich allerdings merklich ab, als mein Gegenüber hinzufügt: »Könnten Sie es mir bitte als Geschenk einpacken?«

Natürlich. Als Geschenk.

Schon wieder.

Zum achten Mal!

»Gerne! Selbstverständlich!«, antworte ich mit gefletschten Zähnen, was man als Lächeln deuten kann. Aber nicht muss.

Ich falte und schleife und rüsche, was das Zeug hält. Nach gefühlten zehn Minuten konzentrierter Bastelarbeit hat das Paket doppeltes Volumen und wirkt extrem aufgeschneckt. Passt bestimmt perfekt zur Freundin meines Lieblingskunden. Ich plaziere noch ein Grußbärchen auf dem Glitzerbändchenberg und kassiere.

»Viel Spaß beim Auspacken«, wünsche ich entgegen besserem Wissen, da es erstens völlig absurd ist, weil er ja weiß, was drin ist, und das Päckchen nicht selber auspacken, sondern seiner Freundin schenken wird. Und zweitens, weil ich sofort wieder an meine Auspack-Phobie denken muss. Uhhh … Ich kann mir wirklich nicht mehr vorstellen, dass anderen Leuten das Auswickeln Spaß macht. Aber ich muss das sagen. Zu jedem Kunden. Auf Anweisung der Chefin.

»Schade, dass wir uns jetzt nicht mehr so oft sehen«, sagt mein spezieller Lieblingskunde. Einen eigenwilligen Humor hat der Mann. Ich finde das jedenfalls gar nicht komisch. Deshalb sage ich auch nichts.

»Frohe Weihnachten«, verabschiedet er sich. Ach ja. Da geht er hin, der schöne Mann mit der achten kunstvollen Gratis-Verpackung und dem perfekten Duft für seine perfekte Freundin. Und es läuft schon wieder Jingle Bells.

Ich hasse Weihnachten.

Kapitel 3

Die Stadt sieht aus, als hätte ein armeestarkes Dekoteam zugeschlagen. Überall blenden Lichterketten meine Augen, über der exklusiven Einkaufsstraße drehen sich Discokugeln, groß wie Gymnastikbälle. Flauschige Schneeflocken schweben daran vorbei – sogar die Natur hat sich gegen mich verschworen und macht mit bei dem blöden Rummel. Weiße Weihnachten. Wie kitschig!

In der Luft hängt der schwere Geruch von Glühwein. Ich spreche hier ganz bewusst von einem Geruch, nicht von Duft. Hektische Menschen rempeln mich an; sie haben unter Einsatz ihrer Ellbogen und ihres Weihnachtsgeldes Unmengen von größtenteils überflüssigen Geschenken erbeutet, die sie nun rasch nach Hause schleppen und unter den Weihnachtsbaum werfen wollen. Ich kann es kaum erwarten, in meine Wohnung zu kommen, die einzige weihnachtsfreie Zone im Umkreis von, sagen wir, der Reichweite einer Atombombe.

Ich versuche, mich abzulenken, indem ich mir vorstelle, es sei Ostern. Ostern finde ich viel netter. Nicht so mit Erwartungen überfrachtet. Unbeschwerter. Angenehm mit heidnischen Bräuchen und Symbolen durchmischt. Ich liebe Osterfeuer. So ein richtig großes, loderndes Feuer, das kriegt man selbst mit einem staubtrockenen Christbaum und passender Strohsterndeko nicht so schön hin. Und, nur nebenbei bemerkt: Ostern ist kein Fest, bei dem auf Teufel komm raus ausgepackt wird. Hartgekochte Eier pellen, Schokoladenhasen aus ihrer glänzenden Hülle befreien – fertig.

Im Treppenhaus riecht es verdächtig nach Zimt und Vanille. Komisch, sonst stinkt es hier immer nach Kohl. Und die Einzigen im Haus, die exzessiv kochen, sind Dramels aus dem zweiten Stock links, aber die sind über die Festtage verreist. Ich schließe die Wohnungstür auf – und werde fast von einem hervorschnellenden Tannenzweig geköpft.

»Kurt!«, schreie ich. »Kurt, was ist hier los?«

Mein Mitbewohner kommt aus der Küche gerannt, ein Blech mit Keksen in der Hand.

»Oh, entschuldige bitte«, sagt er. »Das ist unser Weihnachtsbaum. Karl holt gerade den Ständer, dann können wir ihn im großen Zimmer aufstellen.«

»O nein!« Ich bin entsetzt. Ich wollte Weihnachten ignorieren, und jetzt sucht es mich nicht nur bei der Arbeit, sondern auch noch zu Hause heim! Gibt es denn kein Entkommen?

»Entspann dich«, rät Kurt. »Jetzt gibt es erst mal etwas zu essen.«

Er kennt mich gut, mein Mitbewohner. Mit der Aussicht auf etwas Essbares bin ich immer sofort zu beruhigen. Vermutlich wäre ich selbst beim Untergang der Titanic entspannt geblieben, wenn man mir rechtzeitig mitgeteilt hätte, dass im Rettungsboot ein kleiner Snack gereicht wird.

Aber gegen den Feiertagskoller ist auch mein gesunder Appetit machtlos.

Paralysiert sehe ich Kurt und Karl dabei zu, wie sie den Baum mit selbstbemalten Kugeln schmücken, während ich mechanisch Kartoffelsalat und Würstchen esse. Ein Friedensangebot von Kurt. »Traditionelles Weihnachtsessen, damit die Hausfrau nicht überfordert wird«, erklärt er. Ich überhöre die Bemerkung und weigere mich, leckeren Kartoffelsalat und unschuldige Würstchen als Teil des Weihnachtsrummels wahrzunehmen.

Als Kurt und Karl sich später gegenseitig mit Schneekugeln und mit bunt schillernden Boxershorts beschenken, auf die kleine Glöckchen gedruckt sind, und mich mit einem kryptischen »Mal sehen, ob unser kleiner Weihnachtsmuffel nicht doch noch viel Spaß beim Auspacken haben wird!« bedrohen, halte ich es nicht mehr aus. Ich fliehe in meine Lieblingsbar.

***

Das nennt man dann wohl Vom Regen in die Traufe kommen. Besser gesagt: vom Weihnachtsbaum zum Tannenzweig. Vom Vanillekipferl zum Spekulatius.

Auch die Daniela Bar ist festlich aufgerüscht. Ich setze mich schaudernd an die Bar und bestelle einen Sex on the beach das unweihnachtlichste Getränk, das mir einfällt. Während ich auf meinen hochprozentigen Rettungsanker warte, kokele ich ein paar Tannennadeln über einer Kerze ab und überlege, ob ich selbiges auch mit dem Rauschgoldengel versuchen soll, der mit einem ausgesprochen provokanten Lächeln von einem Kühlschrank auf mich heruntergrient. Es wäre niemand da, der mich zurückhalten könnte. Bis auf den Barkeeper und mich ist die Bar verwaist. Wahrscheinlich sind alle bei ihren Eltern.

Was machen meine eigentlich? Ob ich sie anrufen sollte?

Oha, die Anzeichen sind deutlich: Ich bin kurz davor, einen sentimentalen Anfall zu bekommen! Es muss in den Genen liegen. Hat dort all die Jahre geschlummert. Und meldet sich im denkbar ungünstigsten Moment. Na super. Und dazu jubiliert irgendein Easy-Listening-Heini aus dem Lautsprecher Let it snow, let it snow, let it snow.

In diesem Moment geht die Tür auf. Tatsächlich stöbert nun Schnee herein, gefolgt von einem Typen in Weihnachtsmann-Montur. Komplett mit Mantel und Mütze, Bart und Bauch, Rute und Sack. Und wohin setzt er sich?

Natürlich direkt neben mich! Kann man eigentlich, so wie einen Eiweißschock, auch einen Weihnachtsschock bekommen? Und wie sind die Symptome? Sofort eintretende Ohnmacht, die bis zum Dreikönigstag anhält? Das wäre mir mehr als recht.

Der Weihnachtsmann seufzt und bestellt einen doppelten Whisky. Den kippt er schnell runter und bestellt noch einen. Scheint ein harter Job zu sein. Ich merke, wie sich ein unvorsichtiges Mitgefühl in mir regt.

Das darf nicht sein!

Kein Mitleid mit dem Feind, rufe ich mich zur Ordnung.

»Scheiß Abend«, murmelt er in seinen Bart.

»Was ist denn passiert?«, frage ich, bevor ich den Impuls unterdrücken kann. Nein, das soll natürlich keine Anteilnahme sein … ich bin nur neugierig. Und ein paar kleine Horrorgeschichten über das Fest der Liebe kann ich gut vertragen. Aber da klingelt mein Mobiltelefon. Mutti steht auf dem Display.

»Entschuldigen Sie bitte, bin gleich wieder da«, sage ich zum Weihnachtsmann und renne nach draußen.

Kapitel 4

»Jingle Bells, Jingle Bells«, singen meine Eltern wie besessen durch das Telefon, »jingle all the way!« Und dafür rufen die mich von den Seychellen/Malediven/Mauritius an! Ich komme mir plötzlich schrecklich allein vor, so einsam im Schnee vor der Bar, meine Eltern ganz weit weg, und alle haben warme Weihnachtsgefühle, nur ich friere.

Ich reiße mich zusammen, wünsche meinen Eltern frohe Weihnachten und gehe wieder hinein, zurück zum Weihnachtsmann, der gerade von Whisky auf Spekulatius umgestiegen ist.

»Was ist denn nun so schrecklich?«, frage ich ihn. Ich weiß, dass an diesem Fest einfach alles schrecklich ist – jedenfalls finde ich alles schrecklich –, aber ich hätte doch gerne mal ein paar Details aus einer anderen Perspektive.

»Okay, das war so«, beginnt der Weihnachtsmann und schnipst ein paar Kekskrümel zur Seite. »Meine Freundin hat bestimmt, dass wir Weihnachten bei ihren Eltern feiern. Und dass ich den Weihnachtsmann für ihre Neffen spiele. Ich kann die Gören nicht besonders leiden, die sind so verwöhnt. Die ziehen T-Shirts nur an, wenn mindestens ein Krokodil drauf genäht ist. Aber was soll’s, dachte ich, wenn die Kleinen noch an den Weihnachtsmann glauben, ist das bestimmt eine nette Überraschung. Ich bin also hin zu den Eltern meiner Freundin. Die wohnen in einer fetten Villa in Wellingsbüttel.«

Ich bin kurzfristig beeindruckt. Neben mir sitzt nicht irgendein hergelaufenes Nikolausi, sondern ein Nobelweihnachtsmann. Wellingsbüttel ist eine Gegend, wo die Häuser nicht beleuchtet, sondern illuminiert sind.