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BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7412-0109-7

Für Denise

Vorwort

Die vorliegende Studie ist in die folgenden vier Bänden aufgeteilt: Band I beinhaltet den Aufbau der werkimmanenten Analysemethodik und die statistischen Ergebnisse zur exemplarischen Szenenanalyse sowie zur Untersuchung des Gesamtfilms. In den Bänden II und III finden sich die Ergebnisse der Einzelanalysen der Szenen 2 – 21 und 22 – 41, die uns als Grundlage für die Gesamtanalyse der Geschichte dienen. Band IV enthält sodann die Systematik der Tabellen mit den analysierten Erzählfiguren (EF-Tabelle), Erzählsequenzen (ES-Tabelle) und Sequenzverbindungen (SV-Tabelle). Band I schliessen wir mit einem Vergleich der Merkmale des Spannungsaufbaus mit Mustern der Selbstähnlichkeit und Skaleninvarianz in der fraktalen Geometrie ab.

Ich danke an erster Stelle Prof. Dr. RALF JUNKERJÜRGEN, Universität Regensburg für seine wertvollen Hinweise und weiterführenden Vorschläge. Mein besonderer Dank gilt zudem Dr. ing. ETH JOHANNES BÖHM-MÄDER für seine Durchsicht und Kontrolle des Kapitels zu den fraktalähnlichen Eigenschaften des Spannungsaufbaus.

Inhaltsverzeichnis

Teil 1 Methodik

I. Einleitung

1. Der Animationsfilm zwischen Thriller, Comedy und Slapstick

Zusammenfassung

Ziel dieser Studie ist die Untersuchung von Spannung1 in der Geschichte des Animationsfilms Ice Age 3. Im Allgemeinen verbinden wir Spannung eher mit Thrillern oder Actionfilmen, als mit Animationsfilmen. In Filmkritiken finden wir anderseits einige Indizien für Spannung zumindest in den Verfolgungsjagden und Zweikämpfen von Ice Age 3. Aufgrund der notorischen Unverwundbarkeit der Akteure wie in Slapstick-Geschichten vermuten wir hier eine reduzierte Spannungsintensität gegenüber dem Thriller. Der Inkongruenz-Effekt durch die sprechenden Tierfiguren scheint zudem als Comic relief zu wirken. Während sich typische Slapstick-Filme durch zufällige Episodenstrukturen auszeichnen, verläuft die Geschichte von Ice Age 3 hingegen ähnlich kausal wie im Thriller. Wir beschränken uns in der Studie auf die Analyse der Erzählstrategie suspense und weitere gattungsunspezifische Erzählfiguren wie mystery und surprise sowie deren Variationsformen.

Wir untersuchen in der vorliegenden Studie das Auftreten von Spannung (suspense)2 und verwandter Erzählstrategien im Handlungsverlauf des Animationsfilms Ice Age 3 – Die Dinosaurier sind los.3 Diese Verbindung von suspense und Animationsfilmen könnte auf den ersten Blick erstaunen, da wir die Vorstellung von spannungsgeladenen Filmgeschichten im Allgemeinen eher mit Genres wie etwa dem Thriller oder Actionfilm verknüpfen. Animationsfilme hingegen scheinen im Allgemeinen eher durch Motive wie den Schritt vom Kinder- ins Erwachsenenalter, Kitsch und Verniedlichungen sowie Annäherungen an GRIMMSCHE Märchen geprägt zu sein.4 Bei unserem Animationsfilm finden wir anderseits bereits in den folgenden Auszügen aus zwei Filmkritiken Indizien für die Existenz wirksamer Spannungsstrategien:

„Humor, Action, Spannung und die tierische Freundschaft im Zentrum der Geschichte zeichnen den Film aus und garantieren ein unterhaltsames Kinoerlebnis für Groß und Klein.“5

„[…] die gefahrvolle Fragilität der Geburt wird in einer absolut tollkühnen (vierfachen!) Parallelmontage zu einem Moment wahnsinniger Spannung: Kommt das Kind zur Welt? Gelingt es Diego und Manni, die blutrünstigen Velociraptoren im Zaum zu halten? Stürzt Sid in den Lavafluss? Gelingt es dem Opossumclan, die Flugdinosaurier abzuschütteln?“6

Die erwähnten Zweikämpfe, drohenden Gefahren und Verfolgungsjagden dürften mit Motiven des klassischen Thrillers übereinstimmen, während andere einschlägige Inhalte dieses Genres, wie etwa der für Antagonisten tödliche Verlauf von Zweikämpfen oder die Verbindung von Sex mit Gewalt etc. nicht erkennbar sind.7 In unserem Animationsfilm scheint zudem Action als Darstellung eines Spektakels8 eine größere Rolle zu spielen, als die instrumentelle Gewalt9 als Ursache und Triebmittel der Handlung des Thrillers. Wie beim Helden im Thriller ist sodann auch bei den Akteuren in Ice Age 3 das Überleben klar gesichert. Die Protagonisten zeichnen sich zudem notorisch durch eine gesteigerte Plastizität bis hin zur völligen Unverwundbarkeit aus,10 was auch die physische Bedrohung der Akteure als kleiner erscheinen lassen dürfte. Wir vermuten deshalb, dass die Zuschauer deshalb auch den suspense im Animationsfilm generell als weniger intensiv erleben.11

Eine weitere Verwandtschaft unseres Animationsfilms finden wir im Genre der Comedy oder der Cartoons. Wir definieren Comedy vereinfachend als harmlose Inkongruenz zwischen zwei unvereinbaren Positionen,12 wie etwa bei der Unvereinbarkeit der sprechenden Tierfiguren in Ice Age 3 mit unserem Normalmodell von Tieren bzw. sprechenden Lebewesen. Die Bedeutsamkeit der comedy-Effekte im Handlungsverlauf liegt in ihrem möglichen Einfluss auf das Erleben der Spannungseffekte. In unserer Filmgeschichte etwa erleben wir Spannungsinhalte generell in Verbindung mit den Aktionen der sprechenden Eiszeit-Fauna, was als Comic relief13 das Spannungsniveau eventuell zusätzlich herabsetzen könnte.14

Weitere Parallelen zu unserem Animationsfilm sehen wir in charakteristischen Elementen der Slapstick-Filme. Der Begriff des Slapsticks leitet sich aus einem Theaterrequisit der italienischen Commedia dell’arte des 16. Jahrhunderts ab, das aus einer Art Schlagstock mit zwei aneinander liegenden Latten besteht, mit welchem die Schauspieler in einer Prügelei einen laut knallenden Schlag vortäuschen konnten. Die auftretenden Clowns und Narren weisen eine comicartige Regenerationsfähigkeit auf und kommen trotz heftiger physischer Auseinandersetzungen nie ernsthaft zu Schaden, worin wir Parallelen zu unserer Filmgeschichte sehen.15 In typischen Slapstick-Geschichten bestimmen sodann Zufälle und Interferenzen den Verlauf der Handlung im Sinne einer episodischen Ereigniskette,16 während wir in unserer Filmgeschichte diesbezüglich mehr Ähnlichkeiten mit der kausal getriebenen und final ausgerichteten Handlung des Thrillers sehen.17

Diese Ähnlichkeiten unseres Animationsfilms mit Elementen aus dem Thriller-, Comedy- und Slapstick-Genre soll uns lediglich als allgemeine Verortung im Kaleidoskop der Genres dienen. In unserer Studie werden wir uns auf die Untersuchung spezifischer Erzählstrategien wie insbesondere des suspense beschränken,18 die wir als gattungsunspezifische Erzähltechnik grundsätzlich in allen Genres finden können. RALF JUNKERJÜRGEN hat Spannung etwa in JULES VERNES Reiseromanen19 oder DOREEN FRÄßDORF in Liebesgeschichten wie Adam und Evelyn von INGO SCHULZE20 nachgewiesen. Uns interessiert auch das mögliche Auftreten weiterer Erzähltechniken wie zum Beispiel der Rätselspannung (mystery) oder der Überraschung (surprise) in unserem Animationsfilm, deren Einsatz ebenfalls nicht auf einschlägige Genres wie etwa den Kriminalfilm beschränkt ist.21 Wir werden zudem auch die Existenz möglicher Variationsformen dieser drei Grundformen der Erzähltechnik wie etwa conflict, mystery/suspense, adventure etc. in unserer Filmgeschichte untersuchen.22

2. Dramaturgie auf der discourse-Ebene

Zusammenfassung

Wie in JUNKERJÜRGENS Studie zu JULES VERNES Reiseromanen führen wir eine werkimmanente statistische Analyse der lokalen Erzählfiguren auf drei Skalenstufen durch. Wir vermuten auch hier Korrelationen zwischen der quantitativen Spannungsquote und dem Verkaufserfolg in einem (zukünftigen) Vergleich unterschiedlicher Animationsfilme. Nach der Affekt/Struktur-Theorie unterscheiden wir zwischen der story-Ebene mit dem konkreten Erzählinhalt wie etwa Sids Entführung sowie der discourse-Ebene mit der abstrakten Erzählfigur wie hier dem suspense. Auf der discourse-Ebene lässt sich ein Erzählinhalt wie etwa ein Krimi-Mord bei gleichbleibendem Inhalt als antizipiertes Spannungsgeschehen (suspense), als überraschendes Ereignis (surprise) oder als nachträglich hergeleitetes Geschehen (mystery) vermitteln.

Methodisch werden wir uns an RALF JUNKERJÜRGENS Studie zu Spannungsstrategien in den Reiseromanen von JULES VERNE anschließen und für unseren Animationsfilm ebenfalls eine quantitative Analyse der lokalen Erzählfiguren durchführen.23 Wie in JUNKERJÜRGENS Studie beabsichtigen wir keine empirische Untersuchung der psychologischen Wirkung der Geschichte auf die Rezipienten, wie sie PETER VORDERER in experimentellen Studien durchgeführt hat.24 Unser Ziel ist vielmehr eine rein werkimmanente Analyse des Films, mit welcher wir die Codierung der Erzählstrategien im Filmmaterial analysieren werden. Wir werden die Erzählstrukturen wie in JUNKERJÜRGENS Studie auf drei Skalenstufen untersuchen, zu welchen zunächst 1) die Erzählsequenzen25 auf globaler Ebene gehören, welche die ganze Filmdauer umfassen, sodann 2) die Makrosequenzen, die bloß in einer oder mehreren Szenen auftreten sowie 3) die Mikrosequenzen auf lokaler Ebene.26

JUNKERJÜRGEN stellt in seiner Studie fest, dass sich die einzelnen Reiseromane JULES VERNES durch die Anzahl auftretender suspense-Elemente teilweise markant unterscheiden und die Geschichten mit dem größten Verkaufserfolg27 tatsächlich auch die höchsten suspense-Anteile aufweisen.28 Dieses Studienergebnis lässt uns vermuten, dass wir auch bei Animationsfilmen mithilfe einer quantitativen suspense-Analyse eine qualitative Einschätzung und namentlich Rückschlüsse auf deren Publikumserfolge ableiten könnten. Wir würden diese Hypothese jedoch erst anhand eines allfälligen zukünftigen Vergleichs der Spannungsquote und dem Kassenerfolg unseres Animationsfilms mit der Spannungsdichte und dem Publikumserfolg anderer Animationsfilme überprüfen können.29 Umgekehrt könnte eine quantitative Spannungsanalyse auch während der Produktionsphase eines Animationsfilms bereits prospektiv Hinweise auf einen möglichen Publikumserfolg zulassen.30

Wie in JUNKERJÜRGENS Studie folgen wir auch in unserer Filmanalyse der Struktur/Affekt-Theorie von WILLIAM BREWER und EDWARD LICHTENSTEIN31, die stets zwischen der story- und discourse-Ebene der Erzählung unterscheidet: Auf der story-Ebene nehmen wir jeweils den individuellen Erzählinhalt der Geschichte wahr, zum Beispiel in unserem Film die Bedrohung von Manni und seinen Gefährten durch ein Empfangskomitee feindlicher Dinosaurier in Szene 12. Auf der discourse-Ebene wiederum finden wir immer die abstrakte Erzählfigur, welche mit diesem konkreten Erzählinhalt verknüpft ist. Die Erzählfigur des negativen suspense in diesem Beispiel beschreiben wir nach JUNKERJÜRGENS Definition als Konfrontation eines positiv gezeichneten Protagonisten mit einer Gefahr bei geringer Aussicht auf Erfolg.32 Die antizipierte Gefahr ist im genannten Beispiel das möglicherweise fatale Unterliegen der Gefährten im Kampf mit den Dinosauriern, die sie aufgrund der ungleichen Stärkeverhältnisse kaum selbst abwehren könnten.

Die abstrakte Erzählfigur auf der discourse-Ebene definieren wir grundsätzlich inhaltsindifferent als einen Modus der Informationsvermittlung, dessen Fokus auf ein vergangenes, gegenwärtiges oder zukünftiges Ereignis gerichtet ist: Beim suspense bezieht sich unsere Information generell auf ein zukünftiges Ereignis, zum Beispiel in einem Thriller auf einen geplanten Mord, dessen möglichen Eintritt wir vorhersehen. Wenn wir den Eintritt des inhaltlich gleichen Ereignisses nicht antizipieren und etwa den Mord plötzlich als gegenwärtiges Geschehen wahrnehmen wird dieselbe Information für uns zur Überraschung. Beim mystery wiederum leiten wir die gleiche Information erst durch bewusste Abklärungen als vergangenes Ereignis her, indem wir zum Beispiel anhand von Indizien und Zeugenaussagen den Ablauf des Mordes rekonstruieren. Unabhängig von seiner Vermittlung dieses Ereignisses auf der discourse-Ebene als Spannungs-, Überraschungs- oder Rätselerlebnis bleibt dessen Erzählinhalt auf der story-Ebene somit immer derselbe.

3. Dramaturgie auf der story- Ebene

Zusammenfassung

Auf der story-Ebene finden wir für ein und dieselbe Erzählfigur wie den negativen suspense theoretisch unbegrenzt viele Inhalte, wie etwa einen antizipierten Mord, Raubüberfall, Unfall etc. Die Ausrichtung und Wirkung des Inhaltes ist ebenfalls variabel: Beim negativen suspense möchten wird das absehbare Ereignis, z.B. den Mord verhindern, beim affirmativen suspense hingegen hoffen wir auf dessen Eintreffen, wie etwa die Erfüllung einer Liebesromanze, ebenso beim comedy-suspense, z.B. dem erhofften Stolpern des Butlers in Dinner for One. Dieselbe Variabilität finden wir auch beim surprise: So bedeutet etwa ein plötzlicher Mord eine negative Überraschung, das plötzliche Erwachen aus einem Alptraum eine affirmative Überraschung, oder das unerwartete Stolpern des Butlers einen comedy-surprise. Analoges gilt für den mystery.

Auf der story-Ebene finden wir für eine bestimmte Erzählfigur theoretisch unbegrenzt viele mögliche Erzählinhalte, wie etwa beim negativen suspense einen bevorstehenden Mord oder Raubüberfall, einen drohenden Unfall, eine herannahende Naturkatastrophe etc. Die abstrakte Erzählfigur auf der discourse-Ebene hingegen bleibt immer unverändert, wie hier beim negativen suspense die erwähnte Konfrontation eines Sympathieträgers mit einer Gefahr bei geringer Aussicht auf Erfolg.33 Die dramaturgische Wirkung dieser abstrakten Erzählfiguren erleben wir immer in Abhängigkeit vom jeweiligen Handlungsinhalt dieser Erzählfiguren auf der story-Ebene: Wenn wir zum Beispiel als Gefahr den erwähnten Mord oder Raubüberfall antizipieren erleben wir einen negativ codierten suspense, bei welchem wir das Eintreffen des befürchteten zukünftigen Geschehens verhindern möchten.

Wenn wir hingegen etwa den möglichen Beginn einer Liebesbeziehung zwischen dem Protagonisten und seiner Angebeteten oder das Auffinden eines (anderen) Schatzes als Anreiz antizipieren, erleben wir einen affirmativ codierten suspense, bei welchem wir uns das Eintreffen des potentiellen zukünftigen Ereignisses erhoffen.34 Auf ähnliche Weise wünschen wir uns etwa im Film Dinner for One (NDR/1963), dass der Butler (FREDDIE FRINTON) erneut über den Bärenkopf am Boden stolpern möge, was wir als comedy-Variante des affirmativen suspense interpretieren.35 JUNKERJÜRGEN definiert deshalb den suspense ganzheitlich als Konfrontation eines positiv gezeichneten Protagonisten mit einer Gefahr oder einem Anreiz bei geringer Aussicht auf Erfolg.36

Auch bei anderen Erzählfiguren, wie etwa dem surprise oder mystery, hängt deren dramaturgische Wirkung vom jeweiligen Erzählinhalt ab: Besonders charakteristisch zeigt sich dies beim surprise, den wir zum Beispiel beim plötzlichen Duschmord in HITCHCOCKS Psycho (1959/60) als negative Überraschung erleben, beim plötzlichen Aufwachen aus einem Alptraum wie in Szene 22 unseres Animationsfilms als affirmative Überraschung oder beim erstmaligen Stolpern des Butlers in Dinner for One37 als lustige Überraschung.38 Die Erzählfigur des mystery wiederum erleben wir etwa bei der Aufklärung eines Mordes im Kriminalfilm als Spurensuche nach einer traurigen Tatsache, während wir in der Alltagserfahrung beim Auspacken eines Geburtstagsgeschenks ein erfreuliches Rätsel oder bei der Erzählung eines Witzes ein erheiterndes Rätsel lüften dürfen.39


1 Die Markierung wichtiger Stichworte des Textes in Fettschrift erfolgt zu besseren Orientierung innerhalb der Kapitel.

2 Aufgrund der Terminologie, die im Rahmen der studienrelevanten Untersuchungen insbesondere von Junkerjürgen (2002), Weibel (2008), Fräßdorf (2010) üblich ist verwenden wir im Folgenden anstatt des Begriffs «Spannung» in der Regel die englische Bezeichnung «suspense». Analog gilt dies auch für die Begriffe «Rätselspannung» bzw. «mystery», «Überraschung» bzw. «surprise» und deren Kombinationsformen gemäss der EF-Tabelle in Band IV.

3 Blue Sky Studios/2009; nachfolgend: Ice Age 3.

4 Drees (2011), S. 36.

5 https://outnow.ch/Movies/2009/IceAge3/Review/. Hervorhebung durch den Autor.

6 http://www.film-zeit.de/Film/20814/ICE-AGE-3/Kritik/. Hervorhebung durch den Autor.

7 Heinrichs (2011), S. 13: Sex and Crime. Weitere Beispiele finden sich exemplarisch in Alfred Hitchcocks Filmwerk (Spoto, 1984). Es wäre an anderer Stelle zu untersuchen, ob sich das Genre des Thrillers privilegiert durch suspense von anderen Genres abgrenzt, oder eher durch andere Effekte wie etwa den Grad oder die Ästhetik der violenten Filminhalte. Als Beispiel für einen relativ hohen Grad an Gewaltdarstellung bietet sich die Szene mit dem Duschmord in Hitchcocks Psycho (1959/60) an.

8 Gerbode (2004), S. 15.

9 Gerbode (2004), S. 14f.

10 Persönliche Kommunikation mit Junkerjürgen (2014).

11 Die Fragen zur Rezeptionswirkung können wir generell nur durch empirische Untersuchungen klären, vgl. hierzu exemplarisch die psychologische Spannungsforschung nach Zillmann (1996), S. 199.

12 Gerbode (2004), S. 20, mit zahlreichen Hinweisen auf differenzierte Comedy-Modelle.

13 Platz-Waury (1999), S. 166.

14 Auch hier gilt der Vorbehalt, dass die vermutete Rezeptionswirkung empirisch zu verifizieren ist.

15 Vgl. zum Ganzen: Koebner (2002), S. 557ff.

16 Gerbode (2004), S. 27.

17 Pfister (1988), S. 104.

18 Wir verwenden das Wort „Spannung“ im Weiteren synonym mit dem englischen Wort „suspense“.

19 Junkerjürgen (2002), S. 305, Fußnote 425: "Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Todorov (1971) seine Typologie auf den Kriminalroman beschränkt, während die drei Formen der Leseraktivierung prinzipiell gattungsunspezifisch sind und als Erzähltechniken in allen Erzählgattungen verwendet werden können." Ebenso Fräßdorf (2010), S. 3f.

20 Ingo Schulze, Adam und Evelyn (2008), vgl. hierzu Fräßdorf (2010), S. 3f.

21 Junkerjürgen (2002), S. 305, Fußnote 425.

22 Vgl. zur Bandbreite der Erzählstrategien: Weibel (2008), S. 40ff.

23 Junkerjürgen (2002), S. 182ff.

24 Vgl. zu dieser Vorgehensweise: Vorderer (1994), S. 323.

25 Junkerjürgen verwendet hierfür generell den Begriff „Episode“, der story- und discourse-Ebene als Einheit und jeweils das gleiche Zeitfenster wie eine Erzählsequenz (Kurzfassung: Sequenz) umfasst, die nur Elemente auf der discourse-Ebene beinhaltet.

26 Brewer/ Lichtenstein (1982), S. 2ff.

27 Junkerjürgen (2002), S. 297.

28 Junkerjürgen (2002), S. 302.

29 Wie wir im Kapitel zur fraktalen Geometrie sehen werden könnte für einen solchen Vergleich möglicherweise auch die Analyse und Gegenüberstellung einzelner Szenen ausreichen.

30 Vgl. vorstehende Fussnote.

31 Brewer/ Lichtenstein (1982), S. 473-86.

32 Junkerjürgen (2002), S. 328. Vgl. bei Junkerjügen auch Erläuterungen zu weiteren einschägigen Beschreibungen des Spannungsbegriffs.

33 Junkerjürgen (2002), S. 328.

34 Weibel (2008), S. 31ff.

II. Zur Methodik der Szenenanalyse

Zusammenfassung

Wie in JUNKERJÜRGENS Studie werden wir die Szenen auf Einstellungen mit lokalisierbaren Erzählfiguren hin untersuchen und diese in der Tabelle 1 je mit Standbild, Inhaltsangabe und Definition der Erzählfigur auflisten. Die Zahl der Einstellungen und die Szenendauer werden wir jeweils mit dem gesamtfilmischen Durchschnitt vergleichen. Wir werden den Standort der Erzählfiguren in den Phasen 1, 2 oder 3 in der jeweiligen Erzählsequenz untersuchen und alle Sequenzen in der Tabelle 2 chronologisch und parallel gesetzt auflisten. Für jede Erzählfigur und - sequenz werden wir die Anzahl parallel verlaufender Erzählfiguren ermitteln und mit dem Mittelwert vergleichen. Die Sequenzen werden wir in der Tabelle 3 als Einzelsequenzen sowie als Verknüpfung mit der jeweils nächsten Parallelsequenz auflisten. In der Tabelle 4 werden wir die Rohdaten differenziert nach Parametern wie EF-Arten, EF-Grundtypen, Erzählfiguren, Phasen etc. erfassen.

Um eine quantitative Aussage zur Dramaturgie unseres Animationsfilms machen zu können werden wir die Geschichte wie in JUNKERJÜRGENS Studie40 in jeder Szene auf Einstellungen mit lokalisierbaren suspense-Elementen und weiteren einschlägigen Erzählfiguren hin untersuchen.41 Wir wollen dies kurz an folgendem Beispiel erläutern: In der Szene 142 unseres Films erkennen wir bei Minute 1.31 eine Einstellung (Nr. 10), die auf der story-Ebene den Moment abbildet, in welchem sich Scrat auf den ersten Blick in Scratte verliebt.43 Indem hier der grundsätzlich44 positiv gezeichnete Protagonist mit einem Anreiz bei geringer Aussicht auf Erfolg konfrontiert wird identifizieren wir diesen Handlungsinhalt auf der discourse-Ebene als affirmativen suspense. Wir werden somit in jeder Szene möglichst alle filmischen Einstellungen isolieren, welche die aus unserer Sicht dramaturgisch relevanten Momente der Handlung enthalten.

In Anlehnung an JUNKERJÜRGENS Methodik45 werden wir diese Einstellungen in der Tabelle 1 als Standbilder chronologisch auflisten und mit einer Inhaltsangabe auf der story-Ebene sowie einer Definition der jeweils zugehörigen Erzählfiguren auf der discourse-Ebene beschreiben. Wir werden zudem in jeder Szenenanalyse die Gesamtzahl der untersuchten Einstellungen sowie der Szenendauer dokumentieren und diese mit dem Durchschnitt der Einstellungen und Szenendauer aller Szenen des Films vergleichen. Jede Erzählfigur ist in der Regel46 Teil einer Erzählsequenz, deren Aufbau und Standort innerhalb des Szenenverlaufs wir ebenfalls untersuchen werden. Wie JUNKERJÜRGEN in seiner Studie feststellte, lässt sich der Verlauf der Erzählsequenzen normalerweise in die folgenden drei Phasen einteilen: Die Phase 1 beinhaltet die Auslösung der Sequenz zum Beispiel in Form eines angreifenden Antagonisten, gefolgt von einem durativen Mittelteil oder Verlauf in der Phase 2 mit der eigentlichen Auseinandersetzung zwischen den Akteuren und schliesslich der Auflösung der Spannungssequenz mit dem Sieg des Protagonisten in Phase 3.47

Wir identifizieren diese Phasen jeweils anhand der Erzählfiguren, welche den Inhalt der jeweiligen Sequenz konstituieren. Eine Kriminalgeschichte etwa beginnt auf der story-Ebene meist mit einem ungeklärten Mord, den wir auf der discourse-Ebene abstrakt als Auftritt einer rätselhaften Situation beschreiben. Diese Rätselsituation entspricht der Erzählfigur mystery,48 die wir zeitlich in der Phase 1 der beginnenden Rätselsequenz verorten. Die Ermittlungshandlungen bei der Aufklärung des Mordes wiederum entsprechen der Erzählfigur mystery/detection, welche in der Phase 2 der Rätselsequenz auftritt. Die Überführung des Mörders stimmt sodann mit der Erzählfigur mystery/solution in der Phase 3 der Rätselsequenz überein. Wir werden somit in jeder Szene für alle Erzählfiguren untersuchen, welcher Erzählsequenz und welcher Phase sie angehören.49

Wenn wir nun in einer Szene mehrere Erzählsequenzen auffinden, die zwar zeitlich versetzt beginnen, aber während einer gewissen Zeit parallel verlaufen werden wir diese in unserer Tabelle 2 in vertikalen Spalten chronologisch untereinander einreihen und nebeneinander positionieren. Hierdurch können wir besser erkennen, zu welcher Sequenz die einzelnen Erzählfiguren und Phasen gehören und an welchem zeitlichen Standort sich die Erzählsequenzen im Gesamtgerüst der Erzählstruktur befinden.

In dieser Tabelle werden wir zudem für jede Erzählfigur pro Einstellung untersuchen, wie viele Erzählsequenzen während dieser Zeiteinheit gerade in paralleler Montage verlaufen. Diese Analyse entspricht somit einem horizontalen Schnitt durch die Sequenzstruktur der Tabelle. So sehen wir zum Beispiel in der Szene 1 unseres Films, dass die Figur Scrat nicht chronologisch zuerst seine Eichel findet (suspense-Erzählsequenz 1), und sich erst danach in die attraktive Scratte verliebt (suspense-Erzählsequenz 2), sondern noch während seiner Suche nach der Eichel auf Scratte trifft und somit als Subjekt zweier parallel verlaufender Erzählsequenzen handelt. Wir werden im Weiteren für jede Erzählsequenz analysieren, mit wie vielen anderen Erzählsequenzen diese während ihrer Gesamtdauer parallel verläuft. Diese Analyse wiederum entspricht einem vertikalen Schnitt durch die Sequenzstruktur der Tabelle. Wir werden sodann die Gesamtzahl der parallel verlaufenden Erzählsequenzen in jeder einzelnen Szene dokumentieren und mit dem Durchschnitt aller Szenen des Films vergleichen.

Die Tabelle 3 besteht im Weiteren aus einer Serie von Einzeltabellen, in welcher wir alle untersuchten Erzählsequenzen ausserhalb ihrer szenischen Gesamtstruktur in Tabelle 2 chronologisch und mit Angabe ihrer jeweiligen Zeitdauer abbilden. Uns interessiert zudem auch, welche Sequenz mit welcher anderen Sequenz parallel auftritt, da die Annahme naheliegt, dass bestimmte Sequenzverknüpfungen nicht zufällig sind, sondern möglicherweise regelmässig in dieser Kombination auftreten. Wir sehen zum Beispiel in der Szene 1 unseres Films Scrat auf der Suche nach der Eichel (Rätselsequenz), die plötzlich durch einen jähen Abgrund behindert wird (Spannungssequenz). Wir vermuten, dass es sich dabei um ein Muster handelt, das auch bei anderen Inhalten in diesem und anderen Filmgeschichten auf der story-Ebene auftritt und deshalb als Erzählstruktur auf der discourse-Ebene bedeutsam sein könnte. Diese Sequenzverknüpfungen werden wir deshalb in separaten Tabellen darstellen, die uns wiederum als Grundlage für die systematische Aufstellung der Sequenzverknüpfungen in der SV-Tabelle in Band IV dient.

Wir werden diese dramaturgischen Rohdaten sodann gebündelt in der Tabelle 4 erfassen und für die statistische Auswertung vorsortieren. In dieser Tabelle werden wir das Auftreten und die Gesamtzahl der folgenden neun Erzählparameter dokumentieren, die uns als Grundlage für die statistischen Untersuchungen in den weiteren Kapiteln dienen:

  1. Standort in Tabelle 250
  2. Nummer der EF-Art51
  3. Anzahl EF-Arten52
  4. Anzahl EF-Grundtypen53
  5. Anzahl Erzählfiguren
  6. Art und Anzahl Phasen
  7. Anzahl Erzählfiguren pro Phase
  8. Art und Anzahl EF-Variationen 54
  9. Art und Anzahl surprise-Verknüpfungen
1. Erzählfiguren

Zusammenfassung

Wir werden in einem ersten Teil die Erzählfiguren, deren Variationsformen und in der Regel drei Phasen untersuchen sowie deren Gesamtzahl und Kadenz pro Minute und Sekunde mit dem entsprechenden Durchschnitt des Gesamtfilms vergleichen. Uns interessiert auch die prozentuale Verteilung der Erzählfiguren auf die verschiedenen Phasen und EF-Arten sowie deren Anteil an der Gesamtheit der EF-Arten. Anhand der Anteile der EF-Grundtypen an der Gesamtheit der Erzählfiguren werden wir zudem das Gesamtprofil der jeweiligen Szene ermitteln. Wir werden sodann untersuchen, ob wir wie in JUNKERJÜRGENS Studie Anreize im Handlungsverlauf erkennen, wie sich diese auf die verschiedenen Phasen verteilen und wie häufig diese im Vergleich mit den Gefahren auftreten.

Im ersten Teil unserer Szenenanalysen werden wir die Erzählfiguren als kleinste Elemente des Erzählverlaufs näher untersuchen (vgl. jeweils Ziff. 1 in der jeweiligen Szenenanalyse55). Neben den Erzählfiguren suspense, surprise und mystery werden wir hierbei auch diverse Variationsformen (EF-Variationen) erfassen, die aus diesen EF-Basiselementen abgeleitet sind.56 Uns interessiert zunächst die Gesamtzahl der auftretenden Erzählfiguren, die wir mit dem Mittelwert der Anzahl Erzählfiguren im Gesamtfilm vergleichen werden (1.1). Wir werden sodann auch untersuchen, wie viele Erzählfiguren in der jeweiligen Szene im Durchschnitt pro Minute und pro Sekunde sowie im Vergleich zur durchschnittlichen Kadenz im ganzen Film auftreten (1.2).

Ebenfalls von Interesse ist für uns die Frage, in welcher der drei Phasen die Erzählfiguren in jeder Szene auftreten und welchen prozentualen Anteil jede der drei Phasen-Typen an der Gesamtzahl der Phasen der betreffenden Szene hat (1.3). Häufig treffen wir in einer Szene mehrere identische Erzählfiguren an, die alle der gleichen Erzählfiguren-Art (EF-Art) angehören. So finden wir etwa in der Szene 1 trotz variablen Inhalts auf der story-Ebene insgesamt siebenmal die Erzählfigur suspense/interaction, die wir alle der gleichnamigen EF-Art zuordnen können. Wir werden im Weiteren auch untersuchen, welchen prozentualen Anteil die EF-Arten mit einer bzw. mehreren Erzählfiguren an der Gesamtzahl der EF-Arten haben und welchen prozentualen Anteil die in der jeweiligen EF-Art auftretenden Erzählfiguren an der Gesamtzahl der Erzählfiguren innerhalb der Szene aufweisen (1.4).

Um in der Vielfalt der auftretenden EF-Arten und Variationsformen den Blick fürs Wesentliche behalten zu können werden wir die einzelnen Erzählfiguren in jeder Szene immer auch dem jeweils zugehörigen Grundtyp der Erzählfiguren (EF-Grundtyp57) zuordnen. Der EF-Grundtyp bleibt trotz variabler Phasen und Variationen der betreffenden EF-Art immer als Kern erhalten, wie etwa beim suspense in der Phase 2 als suspense/interaction oder in der Phase 3 als suspense/solution, oder analog bei den Variationsformen surprise/suspense oder suspense/surprise. Bei der Zuordnung der Erzählfiguren zu den EF-Grundtypen werden wir sodann untersuchen, welcher der EF-Grundtypen die meisten Erzählfiguren aufweist und somit das dramaturgische Gesamtprofil der jeweiligen Szene prägt (1.5). In diesem Zusammenhang werden wir auch untersuchen, wie sich die Erzählfiguren der verschiedenen EF-Grundtypen prozentual auf die drei Phasen der Erzählsequenzen verteilen (1.6).

JUNKERJÜRGEN stellte in seiner Spannungsanalyse einen überraschend hohen Anteil an Anreizen fest, was im Kontrast zur bisherigen empirischen Forschung steht, welche die affirmativen suspense-Sequenzen bisher als eine sekundäre Erzählstrategie eingestuft hatte.58 JUNKERJÜRGEN unterscheidet hierbei zwischen zwei Arten von Anreizen: Er beschreibt zunächst den notwendigen Anreiz bei einer Figur, deren Ziel die Überwindung einer untragbaren Situation ist, wie zum Beispiel die Befreiung eines Protagonisten aus der Gefangenschaft, die Wiedervereinigung des Akteurs mit einer ihr nahestehenden Person oder das Erreichen des Liebesglücks.

Im Weiteren definiert JUNKERJÜRGEN auch den Begriff des zusätzlichen Anreizes bei einer Figur, die einen an sich schon akzeptablen Zustand zusätzlich verbessern möchte, wie etwa durch eine erfolgreiche Schatzsuche.59 Wir werden für unsere Geschichte ebenfalls überprüfen, ob und in welcher Phase Anreize als Auslöser von affirmativen Spannungssequenzen auftreten und wie gegebenenfalls das Verhältnis von Anreizen und Gefahren ausfällt. Wir vermuten, dass aus beiden Arten von Anreizen eine qualitativ ähnliche, affirmative Spannung mit nur quantitativ abweichender Intensität entstehen dürfte,60 weshalb wir in unserer Studie nicht zwischen notwendigen und zusätzlichen Anreizen differenzieren werden. (1.7).

2. Erzählsequenzen

Zusammenfassung

Wir werden im Teil 2 der Szenenanalyse das Auftreten von globalen, Makro- und Mikrosequenzen untersuchen und wie in JUNKERJÜRGENS Studie eine allfällige Häufung von Makrosequenzen und suspense-Ketten am Ende der Geschichte. Die Gesamtzahl und Kadenz der Sequenzen sowie die Anzahl Erzählfiguren pro Sequenz werden wir mit dem gesamtfilmischen Mittelwert vergleichen. Wir werden zudem einen möglichen Einfluss der Anzahl Erzählfiguren pro Sequenz auf die Häufigkeit des jeweiligen Sequenztyps untersuchen. Uns interessiert auch die Dauer der Sequenzen und wie in JUNKERJÜRGENS Studie das Auftreten von Mikrosequenzen mit großer Dichte sowie der Vergleich der durchschnittlichen Sequenzdauer mit dem Mittelwert im Gesamtfilm. Wir sehen die Erzählfiguren am ehesten als Quelle der Spannungsintensität an, weshalb wir hier auch lange Makrosequenzen mit einbeziehen, deren Leerstellen durch andere Erzählfiguren gefüllt sind.

Die gleichzeitige Wahrnehmung mehrerer Erzählfiguren bei den parallelen Sequenzen dürfte die Spannungsintensität ebenfalls beeinflussen, weshalb wir pro Sequenz und Erzählfigur die Anzahl sowie den Durchschnitt der parallel verlaufenden Sequenzen ermitteln werden. Wir werden auch das Auftreten der besonders dichten Verkettungen von Erzählfiguren und von geschlossenen Sequenzen sowie die Häufigkeit negativer und affirmativer Sequenzauflösungen überprüfen. Sodann werden wir auch die Zahl der weiterführenden Sequenzen sowie die mögliche Eignung von JUNKERJÜRGENS Formel [Sp1 + [Sp2] + [Spn] + Sp1] insbesondere für parallel gesetzte Sequenzen untersuchen.

Im zweiten Teil unserer statistischen Analyse befassen wir uns mit den Erzählsequenzen als Träger der einzelnen Erzählfiguren (2.). JUNKERJÜRGEN verwendet für diese größeren Erzähleinheiten die Terminologie der Mikroepisode, Makroepisode und Episode auf globaler Ebene61 als Begriff für den jeweils gesamten Erzählinhalt eines bestimmten Zeitfensters auf der discourse- und story-Ebene. Wir werden uns in unserer Studie auf die Analyse des discourse-Anteils jener Episoden beschränken, deren Untertypen wir analog als Mikrosequenz, Makrosequenz und Erzählsequenz auf globaler Ebene bezeichnen werden.62 Die Makrosequenzen und Erzählsequenzen auf globaler Ebene schaffen größere Einheiten, welche die Geschichte strukturieren und uns weiträumigere Antizipationen und damit Orientierung ermöglichen.63

Wir finden Makrosequenzen64 in JUNKERJÜRGENS Studie besonders häufig am Ende einer Geschichte, während sie in der Exposition eher die Ausnahme sind.65 In einer langsamen Steigerung führen die Makrosequenzen dort zu einem suspense-Höhepunkt der Geschichte, dessen Dichte häufig durch vermehrtes Auftreten von suspense-Ketten (zum Beispiel surprise/suspense/surprise66) hervorgerufen wird.67 Wir werden in unserer Studie deshalb ebenfalls die Häufigkeit der Makrosequenzen und suspense-Ketten am Ende sowie der Makrosequenzen am Anfang der Geschichte untersuchen.

JUNKERJÜRGEN stellte in seiner Studie sodann fest, dass die Quantität der Mikrosequenzen68 jeweils ein entscheidender Faktor für die Gesamtwirkung einer bestimmten Geschichte ist. Bei insgesamt 388 lokalen suspense-Erzählsequenzen69 in den 54 Romanen von JULES VERNE liegt der Mittelwert bei sieben Sequenzen70 pro Text.71 Wir werden deshalb auch in unserer Studie die Gesamtzahl der Erzählsequenzen in der ganzen Filmgeschichte ermitteln und die Zahl der Erzählsequenzen in jeder Szene sodann mit dem Mittelwert der Erzählsequenzen aller Szenen vergleichen (2.1). Uns interessiert auch, wie viele Erzählsequenzen in jeder Szene durchschnittlich pro Minute und pro Sekunde auftreten. Diese Kadenz der Erzählsequenzen werden wir im Weiteren mit der durchschnittlichen Geschwindigkeit der Sequenzen im Gesamtfilm vergleichen (2.2). Wir werden zudem untersuchen, wie viele Erzählfiguren sich insgesamt auf wie viele Erzählsequenzen verteilen. Die jeweilige Anzahl Erzählfiguren pro Erzählsequenz werden wir ebenfalls mit dem gesamtfilmischen Mittelwert vergleichen (2.3).

Wir werden weiter abklären, wie viele Erzählfiguren die einzelnen Erzählsequenzen enthalten und ob der Umfang einer Erzählsequenz einen Einfluss auf die Häufigkeit ihres Auftretens hat. Hierfür werden wir den prozentualen Anteil der entsprechenden Sequenzen gemessen an der Gesamtzahl der Erzählsequenzen ermitteln. Wir werden zudem untersuchen, welchen prozentualen Anteil diese Sequenzarten gemessen an der jeweiligen Gesamtzahl der Erzählfiguren aufweisen (2.4).

JUNKERJÜRGEN stellte in seiner Studie sodann fest, dass die einzelnen Erzählsequenzen sich teilweise in ihrer Dauer72 stark unterscheiden und die stärkste dramaturgische Wirkung stets von Mikrosequenzen auf lokaler Ebene ausgeht. Die bloße Gesamtzahl der Erzählsequenzen sagt somit nur wenig über die dramaturgische Dichte einer Geschichte aus,73 weshalb JUNKERJÜRGEN diese für die Beurteilung der Spannungsintensität nicht berücksichtigte.74 Wir werden in unserer Studie deshalb ebenfalls die Dauer der einzelnen Erzählsequenzen erfassen und diese jeweils mit der Gesamtdauer der Szene selbst vergleichen. Zudem werden wir die durchschnittliche Dauer der Erzählsequenzen der Szene ermitteln, was uns eine Einordnung jeder einzelnen Erzählsequenz anhand dieses Mittelwertes erlaubt.

Wir sehen aber nicht die Erzählsequenzen selbst als Quelle der dramaturgischen Wirkung an, sondern primär die einzelnen lokalen Erzählfiguren, aus welchen sich diese Erzählsequenzen zusammensetzen.75 In unserer Filmgeschichte erleben wir zum Beispiel Sids Entführung am Anfang (Phase 1) der längsten globalen Sequenz und seine spätere Rettung am Ende (Phase 3) als Erzählfiguren mit jeweils spürbarer dramaturgischer Wirkung, nicht hingegen die Sequenz als solche mit der langen Zeitdauer zwischen diesen zwei Phasen. Ohne Einschaltung weiterer Erzählfiguren aus anderen Erzählsequenzen zwischen den beiden Phasen würden wir diese Lücke vermutlich bei größeren Sequenzen als einen Verlust an Dichte empfinden.76

Wir werden somit in unserer Filmgeschichte untersuchen, ob nennenswerte Zeitfenster ohne Erzählfiguren erkennbar sind, oder ob zwischen der Phase 1 und 3 allenfalls weitere Mikrosequenzen77 oder Erzählfiguren einen kollektiven Spannungsbogen bilden, deren Zugehörigkeit zu bestimmten Sequenzen wir nicht bewusst wahrnehmen. Somit bleiben auch diese langen Makro- und globalen Sequenzen Bestandteile unserer Analyse, allerdings nur mit Hinblick auf das Spannungspotential ihrer Erzählfigure (2.5). JUNKERJÜRGEN beschreibt in seiner Studie sodann den Wechsel des Erzählfadens bei mehrsträngigem Erzählen als weitere Form der Einschaltung von Erzählelementen in eine Makrosequenz.78 Die zu Beginn der Einleitung erwähnte Filmkritik lässt uns vermuten, dass solche Einschaltungen in unserer Filmgeschichte insbesondere in der offenbar mehrsträngigen Erzählweise am Schluss des Films auftreten dürften.79

Wir vermuten, dass auch die Zahl der parallel verlaufenden Erzählsequenzen bzw. -figuren einen Einfluss auf unser Spannungserleben haben dürfte.80 In der Szene 2 unserer Geschichte sehen wir etwa folgendes spannungsgeladenes Beispiel mit vier parallel verlaufenden Erzählsequenzen: Während einer notfallartigen Hilfsaktion (suspense-Sequenz 1) schlittert Manni ungewollt einen verschneiten Abhang hinunter (suspense-Sequenz 2) und versucht dabei gleichzeitig das Überschwappen des Wassers in der mitgeführten Schüssel zu verhindern (suspense-Sequenz 3), wobei ihm die beiden Opossums behilflich sind (suspense-Sequenz 4). In einer solchen Konstellation nehmen wir pro Einstellung unter Umständen mehrere Erzählsequenzen bzw. -figuren gleichzeitig wahr, was eine entsprechend erhöhte dramaturgische Wirkung mit sich bringen könnte.

Wir werden deshalb für jede Erzählsequenz anhand der Daten in der Tabelle 281 einzeln untersuchen, wie viele Erzählsequenzen mit dieser während ihrer Laufzeit insgesamt parallel verlaufen (vertikal). Im obigen Beispiel von Mannis Hilfsaktion würden also während der Laufdauer der suspense-Sequenz 1 insgesamt drei weitere suspense-Sequenzen parallel verlaufen, das heisst total vier parallele Sequenzen. Wir werden auch für jede entsprechende Erzählfigur der suspense-Sequenz 1 angeben, wie viele Sequenzen genau in diesem Moment parallel verlaufen (horizontal).

In unserem Beispiel sind also im Zeitpunkt der ersten Erzählfigur der zweiten suspense-Sequenz bloss zwei parallele suspense-Sequenzen (1 und 2) erkennbar, während zum Zeitpunkt der ersten Erzählfigur der dritten Erzählsequenz bereits drei Sequenzen parallelgeschaltet sind. Wir werden zudem auch in jeder Szene untersuchen, wie viele Erzählsequenzen im Durchschnitt pro Sequenz bzw. Erzählfigur vertikal und horizontal parallel verlaufen und mit den entsprechenden Mittelwerten des Gesamtfilms vergleichen, was uns eine Hypothese zum Grad der Spannungsintensität der jeweiligen Szene im Gesamtkontext des Filmes ermöglicht82 (2.6).

Die Mikrosequenzen der Geschichte erleben wir jeweils als kleine Affekthöhepunkte, die aufgrund ihrer Kürze eine besondere Dichte und vermutlich hohe dramaturgische Wirkung aufweisen.83 Wir nehmen zum Beispiel plötzlich eine Gefahr für den Protagonisten wahr (surprise/suspense), die sogleich durch eine Überraschung wieder aufgelöst wird (suspense/surprise). Zwischen Auslöseereignis und Auflösung gibt es bei dieser Kettenfolge von Erzählfiguren (surprise/suspense/surprise) und bei anderen kurzen Erzählsequenzen keinen Raum für Sequenz-fremde Elemente.84 Die Zugehörigkeit dieser Kettenfolgen zu bestimmten EF-Arten und EF-Grundtypen werden wir in der separaten Tabelle 4 erfassen.

Wir werden zudem auch untersuchen, welche der Erzählsequenzen85 in der gleichen Szene beginnen und auch wieder enden und wie groß der prozentuale Anteil dieser geschlossenen Sequenzen an der Gesamtzahl der Erzählsequenzen pro Szene ist (2.7). Wie JUNKERJÜRGEN86 werden wir zudem überprüfen, wie häufig sich die einzelnen Erzählsequenzen affirmativ bzw. negativ auflösen, also wie häufig zum Beispiel der Protagonist die auftretenden Gefahren abwehren kann bzw. eben nicht87 (2.8).

JUNKERJÜRGEN stellte in seiner Studie sodann fest, dass Makrosequenzen und insbesondere Erzählsequenzen auf globaler Ebene vielfach die Grenzen eines Kapitels überschreiten.88 Wir werden deshalb auch für unsere Geschichte analysieren, ob gewisse Sequenzen länger dauern, als die Szene ihres Beginns. Uns interessiert hierbei, wie viele dieser weiterführenden Sequenzen pro Szene auftreten und in welchem prozentualen Verhältnis sie zur Gesamtzahl der Sequenzen stehen (2.9). Für die Darstellung der weiterführenden Sequenzen89 schlägt JUNKERJÜRGEN in seiner Studie die folgende Formel vor: [Sp1 + [Sp2] + [Spn] + Sp1].90 Wir werden diese Formel deshalb hinsichtlich ihrer Eignung für unsere Geschichte und insbesondere mit Hinblick auf die Darstellung parallel verlaufender Erzählsequenzen untersuchen.

3. Arten von Erzählfiguren

Zusammenfassung

Wir werden mehrfach auftretende Erzählfiguren ihrer jeweils zugehörigen EF-Art zuordnen und die Gesamtzahl der EF-Arten pro Szene jeweils mit dem gesamtfilmischen Mittelwert vergleichen. JUNKERJÜRGEN bestimmt in seiner Studie das dramaturgische Gesamtprofil der Geschichten anhand der statistisch häufigsten EF-Art der Handlung. Wir werden hierfür in jeder Szene und im Gesamtfilm den EF-Grundtyp ermitteln, welcher die meisten EF-Arten aufweist. Uns interessiert auch die Verteilung der EF-Arten auf die drei Phasen und ob diesbezüglich zwischen den jeweils zugehörigen EF-Grundtypen Unterschiede erkennbar sind.

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