Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Edition Raumfahrt
© 2010-2015 Bernd Leitenberger
http://www.raumfahrtbuecher.de
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
2. Auflage 2015
ISBN-13: 978-3-7386-7650-1
Dieser Band ist eine Auskopplung des Buches „Europäische Trägerraketen Band 1“, der die Raketenentwicklung von der Diamant bis zur Ariane 4 behandelt. Er bietet dem Leser, der nur an der Europarakete interessiert ist, eine preiswerte Alternative zu diesem Buch.
Die Auflage 2 ist gegenüber der Auflage 1 weitgehend unverändert. Ich habe einige Daten zu den nicht durchführten ELDO-Projekten aktualisiert. Sofern möglich hebe ich für die ELDO-Projekte dieselben Typenblätter mit einem Steckbrief der Daten verfasst, wie bei der Europa I und II. Daneben wurde die Rechtschreibung überprüft. Neu ist auch ein Abkürzungsverzeichnis am Ende des Buches, dafür wurde das einführende Kapitel über die Grundlagen der Antriebe gekürzt.
Wesentlicher Antrieb trotz der wenigen Änderungen trotzdem das Buch erneut zu veröffentlichen waren günstigere Druckkonditionen die eine deutliche Preissenkung zuließen und der inzwischen mögliche EBook Vertrieb, der bei der ersten Auflage 2010 noch nicht möglich war.
Und nun viel Spaß beim Lesen
Bernd Leitenberger
Europa begann mit der Entwicklung der Raketentechnologie recht spät. Das hatte nachvollziehbare Gründe. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dringendere Probleme. Die geografische Nähe zu den Ländern des Warschauer Pakts erforderte keine Raketen, um das Land des Gegners zu erreichen. Atombomben, welche der Antrieb für die Raketenentwicklung in den USA und der UdSSR waren, wurden auch erst später und in kleinerer Zahl als bei den beiden Supermächten entwickelt. Weiterhin hatten Russland und die USA fast alle Experten übernommen, die in Deutschland die A4 und andere Raketen entwickelt hatten. Europas Einstieg in die Trägertechnologie erfolgte daher recht spät und begann praktisch bei „Null“.
Am weitesten waren Anfang der sechziger Jahre die Engländer. Sie hatten die Blue Streak entwickelt – immerhin auf der technologischen Stufe der Thor oder Atlas, aber mit Triebwerken, die in Lizenz gefertigt wurden. Die USA halfen mit der Freigabe von Lizenzen, aber auch bei der Konstruktion. Sie waren daran interessiert auch in Europa Raketen auf die Sowjetunion gerichtet zu haben, um die Bedrohung zu verstärken. England verfügte mit der Black Knight zudem über einen Träger mit selbst entwickelten Triebwerken, wenn auch mit der ungewöhnlichen und nicht sehr leistungsfähigen Kombination Wasserstoffperoxid / Kerosin und einem nur geringen Schub.
Frankreichs Trägerrakete Diamant A hinkte in vielen Dingen hinterher. Die erste Stufe verwendete die veraltete Kombination von Salpetersäure und Terpentinöl. Statt eine Turbine mit Turbopumpe zu verwenden, wurde die gesamte Stufe unter Druckgas gesetzt, wodurch die Leermasse anstieg. Die zweite Stufe verwendete einen Feststoffantrieb mit hoher Leermasse, doch bei der dritten Stufe hatte Frankreich technologisch gleichgezogen. Ein leichtes Glasfasergewebe bildete die Brennkammer, und ihr spezifischer Impuls war hoch. Dasselbe galt auch für die dritte Stufe der britischen Black Arrow. Bei beiden Nationen waren militärische Gründe für die Entwicklung ausschlaggebend. England baute eine Atlas ohne Marschtriebwerk nach, beendete die Entwicklung aber vorzeitig. Frankreich plante schon damals eine eigene Raketentruppe, die natürlich eigene Raketen einsetzen sollten. Gemäß der militärischen Planung mussten diese nicht wie die Blue Streak Moskau erreichen, sondern nur Deutschland, konnten also kleiner ausfallen.
Die ebenfalls in den sechziger Jahren entwickelte Europa-Rakete der europäischen Raumfahrtorganisation ELDO war ein sehr teurer Träger. Zum einen, weil die Verteilung der Aufträge nach Proporz, anstatt nach fachlicher Kompetenz, zu deutlichen Mehrausgaben führte. Zum andern erforderte ein Träger in dieser Größenordnung generell hohe Aufwendungen für Entwicklung, Schaffung von Infrastruktur und Know-How. Von dem Programm zur Entwicklung der Europa-Rakete profitierte vor allem Deutschland, wo es seit dem Exodus der weltbesten Raketenspezialisten am Ende des Zweiten Weltkriegs keine Erfahrungen mit Trägerraketen mehr gab. Deutschland übernahm mit der Entwicklung der dritten Stufe im Entwicklungsprogramm den technologisch aufwendigsten Part. Die Astris genannte Stufe war in ihrer Auslegung mit modernen US-Oberstufen wie der Delta vergleichbar. Neue Technologien wurden dafür entwickelt, wie das Elektronenschweißen oder Explosionsverformen.
Europas Rückstand wurde in den Siebziger Jahren mit dem Ariane-Programm fast aufgeholt. Dieses Programm konnte auf den Vorinvestitionen für die Europa-Rakete aufbauen und wurde daher erheblich preisgünstiger. Die ersten beiden Stufen wurden bewusst einfach gefertigt, mit Triebwerken mittlerer Leistung und einer robusten und nicht besonders leichtgewichtigen Konstruktion. Der Grund dafür war die Minimierung der Entwicklungskosten. Auf der anderen Seite wurde in der dritten Stufe erstmalig außerhalb der USA Wasserstoff als Treibstoff genutzt. Die mit diesem Treibstoff betriebenen Oberstufenversionen der Ariane, H8/H10, entpuppten sich als zuverlässiger als die amerikanische Centaur-Oberstufe, waren aber erheblich preiswerter in der Herstellung.
Die Ariane-5 setzte ab den Neunziger Jahren neue Maßstäbe. Erstmals wurden in Europa sehr große Feststofftriebwerke gebaut. Sie waren leichter als die Booster der Titan-4 und zudem günstiger in der Produktion. Das in der Zentralstufe der Ariane-5 verwendete Vulcain ist das größte und leistungsfähigste Triebwerk, das Wasserstoff im Nebenstromverfahren verbrennt. Die Aestus-Oberstufe erreicht mit einer sehr leichten Konstruktion einen sehr hohen spezifischen Impuls für eine druckgeförderte Stufe. Mit dem Vinci-Triebwerk, das sich für den Einsatz in der Oberstufe ESC-B in der Entwicklung befindet, wird auch in Europa erstmals ein Triebwerk nach dem „Expander Cycle“ eingesetzt werden – mit dem höchsten spezifischen Impuls, den bisher ein chemisch betriebenes Triebwerk erreicht hat.
Die für den Einsatz ab 2012 eingesetzten kleinen Trägerrakete Vega schließlich nutzt leichte Kohlefaserverbundwerkstoffe für das Gehäusem. Auch hier setzt die P85FW Stufe einen Weltrekord. Es scheint, als hätte Europa inzwischen in nahezu allen Technologien die USA überholt. Die einzige Ausnahme ist die Nutzung des „Staged Combustion“ Prinzips, nach dem die Shuttle-Haupttriebwerke und auch zahlreiche russische Antriebe arbeiten. Zwar gibt es bisher kein Triebwerk dieser Technologie in einer europäischen Rakete, doch unbekannt ist das Verfahren bei uns nicht. Schon 1963 begann die deutsche Firma MBB diese Technologie zu erforschen und entwickelte den Versuchsantrieb P111 mit 60 kN Schub. Die Haupttriebwerke des Space Shuttles arbeiten nach den von MBB entwickelten Prinzipien, die vom Hersteller der Shuttle-Haupttriebwerke, der amerikanischen Firma Rocketdyne, lizenziert wurden.
Jedes Raketentriebwerk verbrennt Treibstoff unter hohem Druck. Dabei muss der Druck beim Einspritzen in die Brennkammer größer sein, als der durch die Verbrennung erzeugte Druck in der Brennkammer. Anhand des Verfahrens, wie der Treibstoff gegen den Verbrennungsdruck in die Brennkammer eingespritzt wird, unterscheidet man verschiedene Typen von Raketenmotoren.
Bei der Druckgasförderung stehen die Tanks selbst unter Druck. Dies limitiert den Brennkammerdruck auf niedrige Werte. Weiterhin werden die Tanks schwer, vor allem, wenn sie nicht kugelförmig sind. Zylindrische Tanks müssen versteift werden, um nicht durch den Druck auszubeulen. Diese Art der Treibstoffförderung ist zwar technisch sehr einfach und zuverlässig, kann aber nur bei kleineren Stufen wie beispielsweise der Astris oder EPS eingesetzt werden. Sie ist bei Satellitenantrieben die einzige Form der Treibstoffförderung, auch weil bei hypergolen Triebwerken es reicht, die Ventile zu den Treibstoffleitungen zu öffnen, um das Triebwerk zu zünden. Es entfällt eine komplexe Anlasssequenz, die bei den anderen Verfahren nötig ist.
Beim klassischen Nebenstromverfahren wird ein Teil des Treibstoffes in einem Gasgenerator verbrannt. Das dabei entstehende Druckgas treibt eine Turbine an, welche die Leistung für die Treibstoff-Turbopumpe aufbringt. Die Bezeichnung Nebenstromverfahren resultiert aus den beiden Treibstoffströmen zur Brennkammer und zum Gasgenerator. Der Förderdruck kann nun viel höher als der Tankdruck sein. Damit nicht zu hohe Temperaturen entstehen, wird üblicherweise der Verbrennungsträger im Überschuss verbrannt. Das Nebenstromverfahren ist zuverlässig und erprobt, hat aber technologische Grenzen. Bei hohen Brennkammerdrücken sinken die Wirkungsgrade der Turbopumpen stark ab und der Aufwand für die Treibstoffförderung steigt. Das Vulcain Triebwerk setzt hier mit 120 bar einen Rekord, die meisten anderen Triebwerke mit Gasgenerator Betrieb bleiben unter 100 bar Brennkammerdruck. Weiterhin kann beim Nebenstromverfahren das Gas für den Gasgenerator nicht für die Verbrennung genutzt werden. Die Menge des Treibstoffs, die vom Gasgenerator benötigt wird, steigt mit steigendem Förderdruck an. Sehr deutlich zeigt sich dies beim Übergang vom Vulcain zum Vulcain 2: Bei der Steigerung des Brennkammerdrucks von 110 auf 118 bar – also um 7% stieg der Anteil des Stroms zum Gasgenerator um 30%. Das Abgas des Gasgenerators wird zum Teil genutzt, z. B. um die Triebwerke zu schwenken oder mit Düsen die Rollachse zu stabilisieren. Der größte Teil wird aber über einen "Auspuff" neben dem Triebwerk entlassen, der z. B. bei der Abbildung des HM-7B auf S. Fehler: Referenz nicht gefunden rechts zu erkennen.
Beim Hauptstromverfahren wird der gesamte Treibstoff verbrannt und es wird kein Gasgenerator benötigt. Etabliert haben sich zwei Verfahren. Beim “Staged Combustion“ Verfahren wird der Treibstoff teilweise in einem Vorbrenner verbrannt (zum Beispiel der ganze Verbrennungsträger mit einem Teil des Oxidators). Das erzeugte heiße Gas treibt dann die Turbopumpe an. Dabei werden sehr hohe Förderdrücke durch die große Gasmenge erreicht und dieses Gas mit dem Rest des Oxidators dann in die Brennkammer zur vollständigen Verbrennung eingespritzt. Durch den hohen Brennkammerdruck von über 200 bar wird der Treibstoff besonders gut ausgenützt und es gibt kein unverbranntes Gas wie beim Nebenstromverfahren. Dieses Verfahren setzen die meisten modernen russischen Triebwerke wie das RD-180 ein. Auch das SSME (Space Shuttle Main Engine) arbeitet nach diesem Verfahren. In Europa gibt es noch kein Triebwerk, welches das „Staged Combustion“ Verfahren in der Praxis einsetzt.
Das „Expander Cycle“ Verfahren ist das zweite Hauptstromverfahren. Der gesamte Verbrennungsträger durchströmt zuerst die Brennkammerwand zur Kühlung, erwärmt sich und verdampft. Das Gas treibt dann die Turbopumpe an. Praktisch anwendbar ist das Verfahren nur bei Wasserstoff und Methan, da andere Treibstoffe nicht bei der Kühlung so weit erwärmt werden, dass sie verdampfen. Da die erzeugte Gasmenge und Temperatur von der aufgenommenen Wärmemenge abhängt, eignet sich dieses Verfahren nur für kleine bis mittelgroße Triebwerke bis etwa 300 kN Schub; da die Oberfläche der Brennkammer quadratisch zum Durchmesser ansteigt, der Schub aber in der dritten Potenz. Vinci ist das bisher erste Triebwerk in Europa, welches dieses Verfahren einsetzt. Erstmals wurde es im RL-10, welches die Centaur Oberstufe antreibt, erprobt.
Im Zusammenhang mit Erdumlaufbahnen werden immer wieder gewisse Begriffe verwendet, die hier kurz erläutert werden sollen. Unter dem Perigäum wird der erdnächste Punkt einer elliptischen Umlaufbahn verstanden; der erdfernste Punkt wird als Apogäum bezeichnet. Jede Bahn hat eine Neigung zum Äquator, die Inklination. Sie legt fest, welche Gebiete der Satellit bei seinen Umläufen überfliegen kann. Eine Bahnneigung (Inklination) von 50 Grad bedeutet also, dass ein Satellit die Erde zwischen 50 Grad nördlicher und 50 Grad südlicher Breite überfliegt und nie höhere Breiten als 50 Grad erreicht.
Es gibt Erdumlaufbahnen mit einer besonderen Bedeutung. Sie werden mit folgenden Abkürzungen bezeichnet:
Die erste europäische (nicht nationale) Trägerrakete wurde zunächst unter der Bezeichnung ELDO-A entwickelt. Erst 1964 erhielt sie den Namen „Europa“. Bei der Europa wurde jede Stufe von einem Land gebaut. Großbritannien steuerte mit der „Blue Streak“ die erste Stufe bei, Frankreich lieferte die „Coralie“ genannte, zweite Stufe, und die dritte, „Astris“ getaufte Stufe stammte aus Deutschland.
Da die britische Blue Streak schon bei Entwicklungsbeginn vorhanden war und als erste Stufe feststand, mussten folgende Spezifikationen eingehalten werden:
Das waren enge Grenzen für die Größe und das Gewicht der Oberstufen, welche die Leistung der Rakete von vornherein begrenzten. Mit größeren Oberstufen hätte die Europa eine höhere Nutzlast transportieren können. Doch dies hätte umfangreiche Änderungen der Blue Streak erfordert. Die ELDO kannte die Problematik und arbeitete an Alternativen, um den Startschub zu steigern oder die Oberstufen durch leistungsfähigere Modelle auszutauschen.
Zwei Missionstypen wurden festgelegt, um die Nutzlast zu optimieren: ein 550 km hoher, polarer Orbit mit einer Nutzlast von 1 t und eine Bahn in 10.700 km Höhe mit einer Nutzlast von 180 kg. Daraus ergab sich, dass die zweite Stufe etwa 11.300 kg wiegen und 274 kN Schub aufweisen musste. Die dritte Stufe sollte dann etwa 3.300 kg wiegen, wobei die Brenndauer nicht genau festgelegt war. Es musste aber die Zündung der dritten Stufe vom Festland aus beobachtbar sein.