VORWORT

Vögel – unsere Lieblinge und Spiegel unserer Umwelt

Vögel! Sie sind nicht einfach irgendwelche Mitlebewesen von uns, vielmehr sind sie uns ganz besonders ans Herz gewachsen. Sie sind uns auf allen Kontinenten die liebsten freilebenden Geschöpfe, mit denen wir die Lebensräume auf unserem Planeten teilen.

Der Beweis dafür ist leicht zu erbringen: Keine andere Gruppe von Lebewesen – weder Orchideen noch Zierfische, Schmetterlinge oder sonst wer – zieht so viele Liebhaber in ihren Bann wie die Vögel. Die Zahl der Vogelfreunde – Ornithologen, Ornithomanen, bisweilen auch Ornithopathen – geht allein in Europa und in den USA in die Millionen. Es gibt weitaus mehr vogelkundliche Vereine als Verbände, die auf andere Gruppen von Tieren oder Pflanzen ausgerichtet sind, und mit den weltweit über 1000 ornithologischen Zeitschriften, die von ihnen herausgegeben werden, liegen sie in der gesamten organismischen Biologie einsam an der Spitze.

Was macht Vögel so überaus attraktiv für uns Menschen? Es sind vor allem fünf Eigenschaften, die ihre Spitzenstellung bewirken. Da ist zunächst ihre oft unglaubliche Farbenpracht und Gefiederzeichnung – etwa das aufblitzende Blau eines Eisvogels (nicht von ungefähr »fliegender Edelstein« genannt) oder das Karminrot eines Gimpels (besonders leuchtend vor einer verschneiten Winterlandschaft), das bestechende Gelb eines Pirols im Blätterdach eines Auwaldes oder das sprichwörtliche Weiß eines Schwans vor dunklem Schilf –, von tropischen Farbpaletten etwa von Papageien und Kolibris ganz zu schweigen. Aber auch das an Baumrinde erinnernde, bis ins Feinste in Grau- und Brauntönen abgestufte Gefieder etwa eines Rebhuhns, eines Wendehalses oder eines Ziegenmelkers macht uns einfach nur staunen.

Und selbst ohne sie zu sehen, können uns Vögel regelrecht verzücken – im Gegensatz etwa zu Orchideen oder Korallenfischen: durch die einzigartige Vielfalt ihrer Stimmen. Der Morgenchorus in unseren Wäldern im Frühjahr, das lärmende Spektakel in einem tropischen Regenwald, das melancholische Abendlied einer Amsel über den Dächern einer Stadt oder ein Sumpfrohrsänger an einem Riedgraben, der weit über 100 verschiedene, im afrikanischen Winterquartier von exotischen Arten erlernte Strophen zu singen vermag – viele Menschen sind davon einfach hingerissen!

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Eisvogel
© birdimagency

Selbst für Farbenblinde und Taubstumme bleibt genug zu bewundern: die Anmut unglaublich vieler faszinierender Bewegungen von Vögeln, vor allem im Flug – eine Traumvorstellung von uns Erdgeborenen. Wie eindrucksvoll wirken etwa federleicht schwebende Möwen im Sturm hinter einem Schiff, im Aufwind sich hochschraubende Geier oder pfeilschnell jagende Falken. Geradezu ehrfürchtig machen uns Wanderbewegungen von Vögeln, die gegenwärtig die Forschung im Verbund mit moderner Technik ermittelt: Seeschwalben, die jährlich zwischen Brutgebiet und Winterquartier 80 000 Kilometer zurücklegen und Lebenswanderstrecken von einigen Millionen Kilometern erreichen, ebenso wie Albatrosse, die es auf Tagesstrecken von etwa 1000 Kilometer bringen, und das im dynamischen Segelflug fast ohne Flügelschlag. Und nahezu unvorstellbar sind für uns Nonstop-Flugleistungen etwa von Pfuhlschnepfen, die in gut acht Tagen fast 12 000 Kilometer weit von Alaska bis Neuseeland fliegen, oder auch von winzigen Kolibris, die immerhin rund 1000 Kilometer nonstop über den Golf von Mexiko schaffen. Auch die dabei erbrachten Orientierungsleistungen, die oft kontinentweit punktgenau sind – wie zum Beispiel bei Schwalben, die von einem Nest im Kuhstall irgendwo in Europa bis zu einem bestimmten Schlafplatz im Winterquartier im südlichen Afrika finden –, übersteigen unser Vorstellungsvermögen.

Aber auch die Körpersprache der Vögel im täglichen Leben begeistert, besonders bei der Jagd und der Balz. Stoßtauchende Pelikane oder Tölpel, im Formationstanz balzende Flamingoscharen, Tanzsprünge vollführende Kranichschwärme, liebestoll kämpfende Auer- und Birkhähne – all diese Ausdrucksbewegungen locken Heerscharen von Vogelfreunden an.

Von herausragender Bedeutung ist jedoch vor allem die Allgegenwart von Vögeln. Sie teilen als meist tagaktive Kumpane tagtäglich den Lebensraum mit uns, und das überall – in den üppigen Tropen und in Halbwüsten und Wüsten ebenso wie in polaren Eisfeldern, höchsten Bergregionen und selbst im Inneren unserer Steinhaufen, den Großstädten. So treffen Forscher wie Abenteurer selbst in den unwirtlichsten Regionen der Sahara im Schatten von Felsen oder Autowracks regelmäßig rastende Zugvögel, etwa den Fitis, die Turteltaube oder den Purpurreiher, Kletterer am Mount Everest beobachten umherstreifende Geier ebenso wie vorbeiziehende Kraniche und Streifengänse, und in der Arktis tummeln sich unter anderen Alke, Watvögel und Polarmöwen, wohingegen sich in der Antarktis vor allem Pinguine wohl fühlen. Der Artenreichtum in unseren Großstädten ist in aller Regel verblüffend hoch. In Berlin beispielsweise kann man im Laufe von ein paar Jahren an die 300 Vogelarten beobachten und tatsächlich auch sehen und hören, während selbst den meisten Naturfreunden die dort vorkommenden 50 Säugetier- und 25 Fischarten großenteils verborgen bleiben, sei es, weil sie nachtaktiv sind, sei es, weil sie recht versteckt und still leben.

Die für uns Menschen wichtigste Eigenschaft ist Vögeln erst in der Mitte des letzten Jahrhunderts zuteilgeworden: Sie wurden unsere wichtigsten Bioindikatoren, also Anzeiger für die Qualität der Lebensräume der Erde in Bezug auf unser Wohlergehen. Der Grund dafür: Vögel teilen nicht nur überall auf der Erde den Lebensraum mit uns, sondern stellen auch ganz ähnliche Ansprüche wie wir an Boden, Wasser, Luft, Vegetation sowie pflanzliche und tierische Nahrung. Treten in den genannten Bereichen von uns ausgebrachte Umweltgifte auf, dann zeigt das besonders bei spezialisierten Vogelarten Wirkung. Auf diese Weise können sie uns frühzeitig Gefahren anzeigen.

In einer ganzen Reihe von Fällen hat uns das sehr geholfen. Als die Quecksilberbelastung durch Industrieabfälle und Fungizidanwendung in der Forst- und Landwirtschaft kritische Werte erreicht hatte und in Japan daraufhin ab Mitte der 1950er Jahre die Minamata-Krankheit ausbrach, haben uns Vögel durch Bestandsrückgänge auf die drohenden Gefahren aufmerksam gemacht. In Skandinavien lenkten vor allem Feldvögel wie Goldammer und Turmfalke die Aufmerksamkeit auf die verseuchten Süßwasserseen. Chlorierte Kohlenwasserstoffe, allen voran das Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT), einst hochgelobt und gar mit einem Nobelpreis gewürdigt, wurden zumindest aus der nördlichen Hemisphäre weitgehend verbannt, nachdem durch viele Vogelarten klargeworden war, wie negativ diese Kohlenwasserstoffe auf Wirbeltiere einwirken. (Bei Vögeln führten die Schädigungen von Eiern und Jungvögeln ebenso wie die vermehrte Unfruchtbarkeit fast zum Aussterben einer Reihe von Greifvogelarten, darunter dem Weißkopfseeadler, der als Wappenvogel der USA bekannt ist.) Das führte 1972 bei uns zum DDT-Verbot und hat damit sicher vielen Millionen Menschen das Leben gerettet. Ähnlich erging es anderen Bioziden wie etwa dem Dieldrin, nachdem unter anderem damit verseuchte Singdrosseln während ihres Morgenliedes tot vom Baum vor die Füße andächtig lauschender Vogelfreunde gefallen waren. Jüngste Beispiele sind etwa das Massensterben von Präriebussarden durch Biozide in Argentinien oder von Geiern durch Diclofenac vor allem in Asien und Afrika, aber inzwischen auch in Europa.

Die jahrhundertelange Beschäftigung von sehr vielen Menschen mit Vögeln hat seit den Pionierarbeiten von Aristoteles im Laufe der Zeit dazu geführt, dass die Gefiederten weltweit so gut untersucht worden sind wie sonst keine andere Gruppe von Tieren und Pflanzen. Aufgrund der Publikationsfreudigkeit vieler Ornithologen ist dabei mit den erwähnten gut 1000 Zeitschriften und Tausenden von Vogelbüchern eine einzigartige Datenbank entstanden. Sie lässt uns heute durch Vergleiche selbst geringfügige Veränderungen in der Vogelwelt und damit auch von Umweltfaktoren erkennen – weit mehr als bei anderen Tieren und Pflanzen. So nimmt es nicht wunder, dass uns Ornithologen schon vor Jahrzehnten vor allem früher aus dem Winterquartier heimkehrende oder gar nicht mehr wegziehende und dann auch früher brütende Zugvögel auf eine sich anbahnende Klimaerwärmung aufmerksam machten, so dass wir sie bereits 1992, noch bevor sich die Meteorologen so recht zu ihr bekennen wollten, in einer ersten Übersichtsarbeit behandeln konnten.

Also können wir uns freuen, dass uns Vögel nicht nur mit ihrer Farbenpracht, ihrem Gesang und ihrem Verhalten begeistern, sondern nun auch noch Gradmesser unserer Umweltqualität geworden sind. Aber leider ist diese Freude nur kurz ungetrübt geblieben. Denn kaum, dass dieses neuartige »Messgerät« in Gang gekommen ist, wird es auch schon defekt. Seit langem schleichend und seit gut 50 Jahren deutlich und zunehmend, haben nämlich Bestandsrückgänge bei Vögeln in aller Welt und ganz besonders auch bei uns dermaßen um sich gegriffen, dass sie mittlerweile alarmierend sind und nichts Gutes für die nähere Zukunft der Vogelwelt verheißen. Mehr noch: Das Artensterben hat inzwischen alle Gruppen von Tieren und Pflanzen unserer Erde erfasst, also die gesamte Biosphäre – einschließlich des Menschen. Viele von uns leben dabei noch fern jeglicher Realität, als seien sie auf einer paradiesischen Urlaubsinsel – mit dunkler Sonnenbrille, so dass sie nicht erkennen können, wie auch ihre Umwelt langsam zerbröselt.

Es ist also höchste Zeit für Abhilfe. Die soll in diesem Buch behandelt werden. Hier werde ich zeigen: 1) wie groß inzwischen die Bedrohung für die Vogelwelt und für die gesamte lebende Umwelt geworden ist, 2) welche Ursachen dafür verantwortlich sind und was zur Rettung unserer Mitlebewesen bisher versäumt wurde, 3) ob wir für unser Überleben eine reichhaltige Artenvielfalt überhaupt brauchen und 4) ob sich eine solche bei den heute die Erde bevölkernden Menschenmassen überhaupt stabilisieren ließe.

Dies alles wird ohne Jammern und Wehklagen, aber durchaus kritisch in Bezug auf Verursacher und Hauptschuldige geschehen, um dann zu dem wichtigsten Teil unseres Buches zu führen: 5) bereits erprobte Wege aufzuzeigen, wie wir auch inzwischen stark angeschlagene Naturbereiche erhalten und sogar wieder aufbessern können, und zwar praktisch überall, sei es als Einzelkämpfer – von der Wohnung, dem Hausgarten über den Stadtpark –, sei es als Volksbewegung im ganzen Land.

Ganz kurz noch einige wenige Definitionen für das Verständnis des Buches. Artenvielfalt und Biodiversität werden hier synonym gebraucht, auch wenn streng genommen zur Biodiversität häufig über die bloßen Arten hinaus auch Lebensräume, Ökosysteme und lebenswichtige Umweltfaktoren mit einbezogen werden. Ebenso werden Artenrückgang, Artensterben und Bestandsabnahme synonym verwendet, unabhängig davon, wie weit der Verlust an Individuen bei einer Art oder Population bereits fortgeschritten ist. Und: Das Buch ist in erster Linie für Praktiker gedacht; für Macher, die gewillt sind, hinauszugehen in die von uns gebeutelte Natur und böse Wunden, die wir ihr zugefügt haben, wieder zu heilen, so gut es geht. Deshalb wird auf eine Überfrachtung mit Quellenangaben und Zitaten verzichtet. Gewichtige Fakten werden ausreichend belegt, Details sind danach leicht zu recherchieren. Im Übrigen ist in den letzten Jahrzehnten leider viel zu viel über das, was man »sollte« und »müsste« geschrieben und geschwafelt worden – leider auch von mir. Jetzt gilt es vor allem, anzupacken. Möge diese Anleitung dabei hilfreich sein.