Inhaltsverzeichnis

Der Mörder schaut dir ins Gesicht | - ein krimineller Urlaub - | 10 kurze und lange Krimis

Klappentext:

Copyright

Mörder ohne Gedächtnis | von Manfred Weinland | 1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

Der Handel mit dem Tod | von Hans-Jürgen Raben | 1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

Ein Mörderisches Geheimnis | von Rainer Keip | 1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

Die Klinik des Todes | von A. F. Morland | 1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

Regionale Morde – aus dem Braunschweiger Land und der Region Nordfriesische Inseln: | Friesenmord auf Helgoland | von Tomos Forrest

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

Tod im Korallenmeer | von Hans-Jürgen Raben

Lockruf aus dem Jenseits | von Manfred Weinland

Leidenschaft kann tödlich enden | von Rainer Keip | Ein Küsten-Krimi | 1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Epilog

Ich töte für mein Leben gern | von A.F. Morland

Mord auf dem Hagenmarkt | - Ein Fall mit Sherlock Holmes in Braunschweig - | von Tomos Forrest

1. Kapitel: Ein folgenschwerer Einbruch

2. Kapitel: Erste Spuren

3. Kapitel: Im Roten Elefant

4. Kapitel: Ein Wiedersehen

5. Kapitel: Der Schwarze

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Der Mörder schaut dir ins Gesicht

- ein krimineller Urlaub -

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10 kurze und lange Krimis

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In diesem Band sind folgende Romane und Erzählungen enthalten:

Mörder ohne Gedächtnis - von Manfred Weinland

Der Handel mit dem Tod - von Hans-Jürgen Raben

Ein Mörderisches Geheimnis - von Rainer Keip

Die Klinik des Todes - von A. F. Morland

Friesenmord auf Helgoland - von Tomos Forrest

Tod im Korallenmeer - von Hans-Jürgen Raben

Lockruf aus dem Jenseits - von Manfred Weinland

Leidenschaft kann tödlich enden - von Rainer Keip

Ich töte für mein Leben gern - von A.F. Morland

Mord auf dem Hagenmarkt - Ein Fall mit Sherlock Holmes in Braunschweig - von Tomos Forrest

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Klappentext:

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Urlaub, Sonnenschein, ein gutes Buch – eigentlich ein perfekter Urlaub, wenn da nicht der Mörder wär’, der dich dabei beobachtet!

Professor Peter Petersen, der friesischen Legenden auf der Spur ist, verschwindet unmittelbar nach einer Lesung zu seinem neusten Buch über alte Artefakte spurlos. Kurz zuvor hat er Kriminalrat Dr. Thomas Faust gegenüber erwähnt, dass er das Gefühl habe, verfolgt zu werden. Bald findet Faust Spuren, die darauf hindeuten, dass Petersen einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist. Was hat Petersen entdeckt, für das er sterben musste?

Eine Spur zur Aufklärung des Falls führt nach Helgoland, wo Faust sowieso seine Ferien verbringen wollte. Eines Morgens wird am Fuße des großen Felsens eine Leiche gefunden, bei der allem Anschein nach eine Opferungszeremonie durchgeführt wurde. Der Tote ist für Faust kein Unbekannter, doch passte die Art seines Todes nicht ins Bild. Haben diese beiden Verbrechen dennoch etwas miteinander zu tun? Für Faust eine heikle Angelegenheit, da der oder die Täter des zweiten Mordes sich noch immer auf der Insel befinden ...

Dieser Friesenmord auf Helgoland von Tomos Forrest sowie neun weitere kurze und lange Krimis namhafter deutscher Krimi-Autoren sind in diesem Band vereint.

***

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author

© Cover: Kerstin Peschel nach Motiven, 2021

Korrektorat: Kerstin Peschel

Herausgeber dieser Ausgabe: Kerstin Peschel

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Mörder ohne Gedächtnis

von Manfred Weinland

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1. Kapitel

New York City, Freitag, 15. Oktober

Zum ersten Mal, seit Faye ihrer inneren Stimme gehorchte, fühlte sie sich verfolgt. Wirklich verfolgt. Es war nicht bloß ein vorübergehendes Hirngespinst.

Begonnen hatte es am Abend, als sie ihre kleine Wohnung im südlichen Manhattan verlassen hatte, um die nächste Bewährungsprobe zu absolvieren. Sie war eine Frau in Männerkleidung.

Es war wie ein Zwang für sie, Kleidung des anderen Geschlechts zu tragen. Die Angst, entlarvt zu werden, war quälend und erregend zugleich.

Als ihr eine fremde Frau plötzlich auf die Schulter tippte, um nach Feuer zu fragen, geriet sie in Panik. Sie hetzte aus der schummrigen Kneipe hinaus in den Nebel, der aus der Bucht herüberzog.

Plötzlich geschah etwas, das ein unerwartet erhabenes Gefühl in ihr auslöste: Die volle Scheibe des Mondes schob sich langsam aus dem Schatten eines Wolkenkratzers und vermischte ihr fahles Licht mit der künstlichen Beleuchtung der Stadt.

Faye hätte stundenlang hoch starren können, aber dann wurde ihr kalt. Sie strich sich über die mit Brillantine gebändigten, streng gescheitelten Haare und setzte sich in Bewegung.

Ihr dunkler Lodenmantel flatterte. Der Nebel waberte kniehoch. Sie nahm verkehrsarme Seitenstraßen, um nach Hause zu gelangen. Auch das gehörte zu ihrer täglichen Lektion, obwohl Manhattan nicht die Bronx war, wo man, zumal als Frau, um diese Zeit allein unterwegs, automatisch um sein Leben fürchten musste. Und außerdem – Faye kicherte mit gekünstelter Belustigung – war sie keine Frau!

Eine Zeitlang hatte sie den Verfolgungswahn verdrängen können. Aber nun, als sie eine Hinterhofszenerie, nur noch einen Straßenzug von daheim entfernt, durchschritt, änderte sich dieses wieder schlagartig. Bestürzt erkannte sie, dass heute alles anders war, als an den Abenden davor, wenn sie mit dem Feuer gespielt hatte. Das vertraut gewordene Kribbeln, das süchtig machte, blieb aus. Dafür kam panische Angst über sie, als ihre Schuhe mit hartem Klang den Asphalt überbrückten.

Bisher hatte sie geglaubt, alles im Griff zu haben. Sie hatte ihre Möglichkeiten ausloten wollen in dieser kalten Männerwelt. Zu diesem Zweck befand sich eine geladene Pistole in ihrer Manteltasche. Ein Stück Sicherheit. Tödlich, wenn es gar nicht anders ging.

Natürlich war das Selbstbetrug. Wie ihr ganzer Versuch, die Wirklichkeit zu überlisten. Sie hatte noch nie eine Waffe auf einen Menschen gerichtet, geschweige denn abgedrückt.

Zitternd blieb sie stehen.

Der Mond blinzelte höhnisch zu ihr herab.

Ängstlich lauschte sie, ob sie Schritte eines Verfolgers hören konnte. Nichts. Wenn es ihn gab, bewegte er sich auf leisen Sohlen.

Eine Vorstellung, die ihr das Herz bis zum Hals schlagen ließ. Sie sah die Schlagzeilen schon vor sich. Die Regenbogenpresse würde sich wie die Geier auf diesen bizarren Stoff stürzen.

Morgen, dachte Faye. Morgen gehe ich zum Psychiater. Es hat so keinen Sinn mehr. Ich kämpfe gegen Windmühlen.

Sie setzte ihren unterbrochenen Weg fort. Aus den Augenwinkeln sondierte sie die Umgebung. Linker Hand brannte ein offenes Metallfass. Penner, die sich daran wärmten, waren nicht zu entdecken.

Sie beobachten dich aus dem Verborgenen, liegen auf der Lauer!

Faye ging schneller. Schließlich rannte sie. Rannte, wie von Furien gehetzt.

Als sie im Aufzug ihres Mietshauses nach oben fuhr, war sie schweißgebadet. Aber sie glaubte, es geschafft zu haben. Morgen war ein neuer Tag. Sie würde sich auf eine bequeme Couch legen und mit fremder Hilfe lernen, die veränderte Situation zu meistern. Sie würde ...

Ein Ruck ging durch den Aufzug. Er schlingerte in seiner Führung und bremste dann mitten in der Fahrt hart ab.

Das Licht der Innenbeleuchtung flackerte, setzte aus, kam wieder – und setzte endgültig aus.

Sekundenlang war Faye wie erstarrt, unfähig zu reagieren.

Dann kramte sie ein Feuerzeug aus der Manteltasche und war verblüfft, als sie stattdessen die Pistole herauszog. Hastig steckte sie sie wieder weg. Dann flammte das Feuerzeug auf. Faye rüttelte an der Tür, obwohl sie von vornherein wusste, dass es sinnlos war.

Stromausfall.

Sie drückte den roten Alarmknopf.

Die Stille blieb so erdrückend wie vorher. Faye wusste nicht, ob auch der Alarm versagte, oder ob das Signal nur hörbar in der Hausmeisterwohnung losschrillte. Sie hoffte letzteres und drückte weiter. Zwischendurch flackerte erneut die Neonröhre auf und erlosch wieder.

Faye klopfte mit der flachen Hand gegen die Kabinenwand und rief um Hilfe.

Nach ein, zwei Minuten stellte sie ihre Bemühungen ein. Niemand schien sie hören zu können.

Als sie erneut ansetzten wollte, lenkte sie ein Geräusch von oben ab. Es hörte sich an, als würde etwas auf die Kabinendecke fallen und darüber hinwegschaben.

Fast gleichzeitig erklang das Flüstern.

»Endlich! Wo hast du so lange gesteckt? Endlich!«

Es klang blechern. Es klang – entsetzlich.

Eine männliche Stimme.

Faye presste sich mit dem Rücken gegen die Wand. Das Feuerzeug wurde heiß. Mit einem Aufschrei ließ sie es fallen. Das Geräusch, als es auf den Boden schlug, klang ähnlich wie das andere, Sekunden vorher.

Faye winkelte die Arme gegen die Brust, holte Atem und brüllte wie am Spieß. Das ganze Haus musste davon aufwachen. Musste ...

»... so lange nach dir gesucht ...«, hörte Faye gerade noch. Sie verstummte. Die Pistole fiel ihr ein. Fahrig zerrte sie die Waffe aus der Tasche und richtete den Lauf zur Decke. Es war wieder stockfinster. Die leiernde Stimme war verstummt. Minutenlang fieberte Faye der nächsten Lautäußerung entgegen. Längst klebte jeder einzelne Stofffetzen an ihrer Haut. Ein Psychopath, dachte sie. Ein verdammter Schweinehund auf Frauenjagd.

Schluchzend erkannte sie, dass sie es jetzt selbst schon durcheinander warf. Mann ... Frau ...

Dann hämmerte plötzlich jemand so nahe bei ihr von draußen gegen die Wand, dass sie fast zu Tode erschrak.

Eine Stimme rief: »Ist da jemand drin?«

Eine normale Stimme.

Oder – eine List? Faye war mit ihren Nerven am Ende. »Ja«, rief sie belegt, räusperte sich und schrie: »Jaaa!« Minuten später setzte sich die Kabine in Bewegung und fuhr zur nächsten Etage.

Draußen hatten sich mehrere Bewohner des Hauses versammelt, die Faye mehr schlecht als recht kannte. Unter ihnen war auch der Hausmeister.

»Haben Sie so geschrien?«, fragte er rhetorisch. »Wer sind Sie? Ich habe Sie noch nie hier gesehen.«

Faye begriff. Er erkannte sie nicht in der Männerkleidung. Sie wankte nach draußen, an ihm vorbei. »Benachrichtigen Sie die Polizei«, flehte sie.

»Die Polizei?«

»Bitte!«

Dann brach sie zusammen.

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2. Kapitel

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Montag, 18. Oktober

Diane Skelton fand keinen Schlaf. Immer wieder richtete sie sich auf ihrer Bettcouch auf und suchte die roten Augen der Digitalanzeige in der Dunkelheit.

23:04!

Dann 00:12!

Fast im Stundentakt sah sie auf die Uhr. Sie bereute längst, sich auf dieses Abkommen eingelassen zu haben. Zuhause hätte sie jetzt in aller Seelenruhe in die REM-Phase ihres Schlafes gleiten können. Rapid Eye Movement nannten die Fachleute den Zustand, wenn die Phase des Augenflimmerns begann – der Moment, ab dem man zu träumen anfängt.

Daran war hier nicht zu denken. Mal döste sie kurz ein, mal schreckte sie durch irgendein Geräusch auf. Morgen früh würde sie wie ihr eigener Schatten hinter dem Bankschalter stehen und im Spiegel »Hallo, Fremde!« zu sich sagen können.

Es war kurz vor halb zwei, als sie endlich Geräusche an der Tür hörte. Sie hatte die Zimmertür zum Flur einen Spalt offengelassen. Ein Schlüssel wurde im Türschloss gedreht. Gleich würde die Tür des Apartments aufschwingen, würden vertraute Schritte über den Dielenboden huschen.

Alles kam anders. Die Zeugin auf der Bettcouch erlebte ihre REM-Phase inklusive Alptraum bei wachem Bewusstsein und ohne im Geringsten darauf vorbereitet zu sein.

Es begann mit einem überraschten, halblauten Schrei, der sich ins Öffnungsgeräusch der Wohnungstür mischte und sofort erstickt wurde. Jemand – etwas – stolperte herein, warf die Tür hinter sich ins Schloss. Ein klatschender Ton, als würde jemand geschlagen. Wimmern. Erneut ein abgehackter, spitzer Schrei. Wieder ein Schlag. Etwas polterte zu Boden. Dann herrschte sekundenlange Stille, ehe ein schleifendes Geräusch zum Bad hin wanderte.

Auch die dortige Tür wurde aufgestoßen.

Kurz darauf erklangen gurgelnde und hustende Laute, die in verzweifeltes Röcheln übergingen.

Die Zeugin kauerte gelähmt auf dem Sofa. Ihr Puls raste. Alles war anders als in hundert Gedankenspielen davor. Sie konnte nicht aufstehen.

Sie war starr vor Angst. Unbewusst hatte sie einen Deckenzipfel an sich gerissen und knetete nun daran herum, während der Widerstand zwei Türen weiter nach und nach leiser wurde, unwiederbringlich erlosch.

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3. Kapitel

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Samstag, 23. Oktober

Kriminalreporter Prewitt hob die Brauen und fragte: »Was hat das FBI mit der Mordsache Dellaware zu tun? Gibt es etwas, was mir mein Spürnäschen noch nicht verraten hat, ich aber wissen sollte?«

Ich ließ alles offen, indem ich ihn damit abspeiste, dass nichts von dem, worin wir momentan stöberten, spruchreif war. Für die Öffentlichkeit schon gar nicht. Ich sagte es höflich, da ich Prewitt gut genug kannte, um ihn als verantwortungsbewussten Vertreter seiner Zunft einschätzen zu können. Wir kamen in der Regel gut miteinander aus. Nicht selten hatte er uns hilfreiche Tipps zugespielt, woran wir auch in diesem Fall interessiert waren.

Leland Reinard, der Leiter unserer Presseabteilung, hatte uns darauf aufmerksam gemacht, dass die informationsträchtigsten Zeitungsberichte im spektakulären Mordfall Faye Dellaware aus der Feder unseres alten Bekannten stammten.

Was lag näher, als sich an ihn zu wenden, noch ehe wir uns, wie üblich, mit der Mordkommission der City Police um Zuständigkeiten streiten mussten.

Wir hatten uns privat bei ihm zu Hause angemeldet, und es war ein Glücksfall, ihn überhaupt anzutreffen. Manche verglichen ihn mit einem Nomaden. Er wechselte seinen Wohnsitz innerhalb der Stadtgrenzen ungefähr so häufig wie andere ihre Kreditkarten. Die Umtriebigkeit, die ihn im Beruf auszeichnete, ließ ihn offenbar auch privat nicht ruhen.

»Womit kann ich dienen?«

Milo spielte mit der klapprigen alten Schreibmaschine, die Prewitts Schreibtisch wie ein dekoratives Museumsstück zierte. Das eingespannte Blatt Papier, bereits halb vollgeschrieben, bewies jedoch die volle Funktionstüchtigkeit. Im Zeitalter der Schreibcomputer, Laptops und Notebooks schien Prewitt einer der letzten Dinosaurier mit Hang zum Traditionellen zu sein. Ein konservativer Mann mit Prinzipien, Old Neville in unserem Archiv wesensverwandt, nur merklich jünger.

»Du warst in der Wohnung des Opfers«, sagte ich. »Du hast sie persönlich direkt nach der Tat gesehen. Damit bist du uns weit voraus. Wir können uns günstigenfalls noch in der Gerichtsmedizin einen vagen Eindruck verschaffen.«

»Das kann man nicht vergleichen.« Prewitt nickte und nippte an einer Tasse, in der sich nach eigenen Angaben Kaffee befinden sollte. Er hatte uns davon angeboten, aber über das Probieren waren wir nicht hinausgekommen. Das Zeug schmeckte einfach grässlich.

»Eben«, nickte ich. »Erzähle uns einfach, welche Eindrücke du hattest.«

»Und ihr wollt mir nicht mal andeuten, was euch die Sache angeht?« Milo und ich schüttelten einträchtig die Köpfe. Ein anderer hätte danach auf stur geschaltet. Prewitt kannte die Spielregeln und sprudelte los.

»Eine wirklich verrückte Geschichte: Das Opfer, Faye Dellaware, war nach Angaben der Mitbewohner des Hauses eine ruhige, unauffällige, kleine Bankangestellte, die bis vor Kurzem nie aus der Rolle fiel.«

Wir hatten Andeutungen darüber aus seinem Artikel entnommen und nickten auffordernd.

Prewitt warf einen Blick auf den kauzigen Kalender mit Karikaturen stadtbekannter Persönlichkeiten über seinem Schreibtisch. »Vor einer Woche«, fuhr er fort, »in der Nacht von Freitag auf Samstag, muss sie ein höchst schockierendes Erlebnis gehabt haben. Das ganze Haus wurde aus dem Schlaf gerissen. Der Hauslift mit ihr allein als Passagier blieb etwa um Mitternacht zwischen zwei Etagen stecken. Nachdem man ihre Schreie gehört und sie befreit hatte, verlangte sie nach der Polizei und behauptete felsenfest, während ihres Zwangsaufenthaltes im Aufzug von einer unbekannten Stimme bedroht worden zu sein. Zumindest empfand sie die Flüsterungen als Drohungen.«

»Davon stand nichts in den Berichten«, sagte Milo. »Worum ging es dabei?«

Prewitt lächelte. »Das brachte sie nicht mehr so genau auf die Reihe. Jemand behauptete wohl, nach ihr gesucht und sie nun endlich gefunden zu haben. In völliger Dunkelheit – es herrschte Stromausfall – und eingeschlossen in zwei Quadratmetern kann man schon mal der Panik verfallen und halluzinieren – sollte man meinen.«

»Sollte man meinen?« Ich sah ihn fragend an.

Er nickte. »Die herbeizitierten Cops sahen das Ganze offenbar auch so. Sie waren vom zweiundsiebzigsten Revier. Der Umgang mit ihrem Dienststellenleiter O’Conners scheint ihrer Phantasie nicht gerade zuträglich gewesen zu sein. Sie zogen nicht einmal in Betracht, dass es die Stimme tatsächlich gegeben haben könnte. Nun, hinterher ist man immer schlauer. Der tags drauf geschehene Mord wirft wohl ein anderes Licht darauf.«

Da wir Captain O’Conners gut kannten, stellten wir keine Zwischenfragen. Das 72. Revier war fest in irischer Hand und damit ein Völkchen für sich.

»Erklärend muss man sagen, dass Faye Dellaware in dieser Nacht nicht als Frau aus dem Aufzug stiefelte. Aber das müsstet ihr inzwischen wissen. Sie war als Mann verkleidet. Die Zeugenaussagen stimmen in diesem Punkt alle überein. Und auch als man sie ermordet auffand, war sie wieder als ganzer Kerl gestylt.«

»Sie war demnach ein Transvestit?«, fragte ich.

»So genau konnte das bislang nicht in Erfahrung gebracht werden. Zumindest nicht von mir. Es gibt da eine Freundin, die es wissen müsste, aber die hat jede Stellungnahme gegenüber der Presse verweigert.«

»Sah sie wirklich so übel zugerichtet aus, wie das Protokoll es behauptet?«, fragte Milo.

»Übler«, erwiderte Prewitt. Er zündete sich eine Zigarette an und bot uns auch welche an. Milo lehnte ab, ich nahm an.

Während der Rauch das Zimmer füllte, schilderte uns der Reporter, was er unter »übler« verstand. Demnach hatte Faye Dellawares Mörder ihr zunächst mit einem scharfen Gegenstand – vermutlich einem Rasiermesser – die Kehle durchschnitten, dann das Gesicht systematisch verstümmelt. Nur das Gesicht. Der sonstige Körper wies keinerlei Verletzungen auf.

»Ging sie heimlich auf den Strich?«, fragte Milo.

»Darüber scheiden sich die Geister. Stichhaltige Beweise liegen nicht vor. Aber ein geistesgestörter Freier wäre natürlich eine elegante Lösung. Glaubte ich bisher jedenfalls. Nun, da ihr euch dafür engagiert, sehe ich das etwas anders.«

»Geheimnisse lieber noch nicht zu viel hinein«, riet ich ihm. »Am Ende wärst du enttäuscht. Wir stehen selbst noch ganz am Anfang.«

»Und ihr wollt mich wirklich am ausgestreckten Arm verhungern lassen?« Prewitt entkräftete mit einem Lächeln selbst seine Mitleidstour. »Nicht mal ein klitzekleiner Tipp?«

Wir ließen uns weder blenden noch erweichen. Nachdem wir die Fakten aus dem Protokoll noch einmal mit ihm durchgegangen waren und wenig neue Erkenntnisse gewonnen hatten, verabschiedeten wir uns und wollten weiter zur Police Plaza 226 fahren, wo die City Police ihre Fäden zog.

Doch als Prewitt uns zur Tür brachte und aufmachte, fiel ein Schuss, der ihn tief in die Wohnung zurückstieß und mit einem dumpfen Laut gegen die Kommode krachen ließ. Mit ausgebreiteten Armen glitt er an der Wand zu Boden und hinterließ eine blutige Spur.

Das Blut ahnte ich mehr, als ich es sah, denn ich war bereits unterwegs. Als eingespieltes Team brauchten Milo und ich keine langen Absprachen. Ein kurzer Blickwechsel genügte. Milo blieb zurück, um sich um Prewitt zu kümmern und die Ambulanz zu verständigen.

Als er sich über den Kriminalreporter beugte, spuckte meine Waffe schon heißes Blei. Dort, wo durch ein Fenster einfallende Sonnenstrahlen auf stumpfem Metall reflektierten, wurde ein Lauf neu ausgerichtet. Diesmal war ich das erklärte Ziel. Aber ich kam dem Schützen zuvor. Meine Kugel klatschte in den Unterputz des Treppenaufgangs und riss einen Batzen heraus.

Der Schatten hatte dort in gebückter Haltung, die Waffe im Combatanschlag, gelauert. Er zuckte nun zurück und hechelte fluchend höher.

Das Echo meines Schusses hallte geisterhaft durch das Treppenhaus des Apartmentblocks. Irgendwo klang Babygeschrei auf. Eine Frauenstimme sprach beruhigend auf das Kind ein, hart an der Grenze eigener Panik.

Ich spurtete hinterher, ohne meine Vorsicht zu vernachlässigen.

Über mir hörte ich fliehende Schritte.

Richtung Dach!

Prewitt wohnte in einem dieser vielstöckigen Apartmenthäuser, wie auch Milo und ich. Spätestens oben auf dem Flachdach musste der Heckenschütze scheitern. Es sei denn, er wäre Spiderman oder konnte fliegen.

In der fünften oder sechsten Etage hörte das Schrittgeräusch plötzlich auf. Der Kerl war stehengeblieben. Ich hielt ebenfalls inne und bewegte mich danach nur noch zeitlupenhaft voran.

Ich war klar im Nachteil.

Wenn mein Gegner auch nur durchschnittlich mit der Waffe umgehen konnte – und er konnte mehr, sein Schuss auf Prewitt hatte es hinlänglich bewiesen –, würde er problemlos ein Tontaubenschießen auf mich veranstalten können. Er brauchte nur auf mich zu warten. Selbst wenn er keine Möglichkeit zum Nachladen hatte, verfügte er noch mindestens über vier Schuss Munition.

Ich setzte dennoch weiter nach. Ich musste schnell sein, denn ich hatte ihn bereits in die Enge getrieben, und das machte ihn gefährlich. Unwahrscheinlich, dass er von Prewitts Besuch gewusst hatte. Das hätte er nicht riskiert; es hätte bessere Möglichkeiten für ihn gegeben. Ein paar Minuten später schon.

Er musste kurz nach uns gekommen sein und seitdem auf der Lauer gelegen haben.

Es geschah, als ich nur noch ein halbes Stockwerk von ihm entfernt war. Eng an die Wand geschmiegt, schob ich mich gerade um die entscheidende Biegung, als es über mir aufblitzte. Die Kugel rasierte mir fast die Halbtagesstoppeln in Kinnhöhe. Ich erwiderte sofort das Feuer und hetzte nach oben.

Das überraschte ihn. Er hatte offenbar erwartet, dass er mich mit dem Schuss erwischen oder zumindest zurückdrängen würde. Den Gefallen tat ich ihm nicht. Das Gesicht, das ich für einen Sekundenbruchteil sah, war gerötet. Blauschwarze Haare klebten vor Schweiß.

Das Geräusch einer aufgehenden Tür – ein dumpfer Schmerzenslaut und dann das harte Zuschlägen derselben Tür ließen mir fast das Blut in den Adern stocken.

Ich sah gerade noch die schemenhafte Bewegung in der Wohnung, die der Treppe am nächsten lag. Dann herrschte Stille. Ein, zwei Sekunden lang. Dann war es vorbei. Dann wurden weitere Türen aufgerissen.

Ich hatte Mühe, die Hausbewohner zu beruhigen und in ihre Apartments zurückzutreiben. Mit dem gezogenen Smith & Wesson stand ich da und zerrte meinen Dienstausweis heraus.

»FBI«, rief ich, äußerlich völlig Herr der Lage. Meine Entschlossenheit erstickte Widersprüche im Keim. Türen schlugen. Wieder kehrte eine fast unwirkliche Stille zurück, ehe ich mich der Wohnung zuwandte, in der der Gejagte verschwunden war.

Paolo Fudre, stand neben dem Klingelknopf.

Obwohl es fast absurd war, drückte ich diesen Knopf, hörte das Klingeln und wartete.

Als drinnen ein Schuss krachte, legte ich jede Zurückhaltung ab. Ein kräftiger Tritt genügte, und die Tür sprang auf.

Dahinter erwartete mich eine faustdicke Überraschung: Nicht der Kerl mit Haaren wie Stahlwolle stand mit rauchender Waffe über einer am Boden liegenden Gestalt – es verhielt sich genau umgekehrt.

Der Reglose war jener, den ich verfolgt hatte; der Typ mit der Waffe offenbar der Wohnungsinhaber!

Und das Schärfste war: Dieser Mensch richtete jetzt seine Waffe auf mich und krümmte sofort den Finger!

Nur mit einem Hechtsprung konnte ich mich aus der Schusslinie retten. Ich warf mich geduckt an ihm vorbei und riss ihm mit dem linken Fuß die Beine weg.

Sein Schuss ging in die Decke.

Der Rest war Formsache. Ich war schneller wieder auf den Beinen als er, kickte ihm die Waffe aus der Faust und verpasste ihm ein Paar Stahlbänder. Dann kümmerte ich mich um den am Boden Liegenden.

Der Mann, der auf Prewitt gefeuert hatte. Er war tot.

Herzschuss.

Als die von Milo alarmierten Cops auftauchten, hatte ich bereits vergeblich versucht, etwas aus Paolo herauszubringen. Er hatte auf mich gespuckt, mich aber verfehlt. Daran musste er noch feilen. Mit Herzschüssen hatte er ganz offensichtlich weniger Probleme.

Ich fand Milo unten in Prewitts Wohnung. Er hatte gerade telefoniert. Der Reporter war nirgendwo zu sehen.

»Schon unterwegs zum Riverside Hospital«, sagte Milo. »Hat ihn böse erwischt. Eine Arterie im Schulterbereich wurde zerfetzt. Ein kleiner Verkehrsstau, und er wäre verblutet gewesen, ehe die Ambulanz eintraf. So konnte er notversorgt werden. Er wird gleich operiert. Ich habe mir die Nummer des Arztes geben lassen, mit dem ich sprach. Er hält mich auf dem Laufenden. – Und bei dir?«

Ich schilderte ihm, was passiert war.

Kopfschüttelnd fragte er: »Was war das jetzt eigentlich? Klapsmühle live?«

»So ähnlich«, erwiderte ich schulterzuckend. »Prewitt müsste wissen, warum auf ihn geschossen wird. Da wir ihn vorläufig nicht fragen können, müssen wir unsere berechtigte Neugierde zurückstellen. Das gleiche gilt für Paolo Fudre. Vielleicht haben andere mehr Glück und Muße beim Verhör.«

»Und jetzt?«

»Jetzt machen wir das, was wir ohnehin vorhatten – und was mit diesem Blutvergießen mit Sicherheit nichts zu tun hat«, sagte ich.

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4. Kapitel

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Der Leiter der Mordkommission Manhattan Süd, Detective Lieutenant Harry Easton, empfing uns in der obligatorischen Gegenwart seines Stellvertreters Detective Sergeant Ed Schulz.

»Mr. McKee hat uns bereits in Kenntnis gesetzt«, erklärte Easton zum Auftakt. Sein Bürstenhaarschnitt wirkte runderneuert. »Ich weiß aber noch nicht, ob ich mich darüber freuen oder grämen soll.«

»Ein Mann wie Sie«, lächelte Milo ihn an, »wird an einer solchen Frage nicht scheitern. Da sind wir uns sicher, nicht wahr, Jesse?«

Da »Cleary«, wie er intern auch genannt wurde, ihn kannte, nahm er die Bemerkung nicht übel. Nur sein »Teck« Schulz schnaubte leise. Aber der Zwei-Meter-Riese, von Milo treffsicher als »Clearys Schatten« tituliert, beherrschte sich und seinen Unmut.

Ich ließ mich in das Geplänkel nicht einbeziehen. »Dann wissen Sie ja, dass wir nicht aus eigenem Antrieb kommen, sondern Marionetten unserer feschen Lola sind.«

»Der Schwarzen Lola.« Easton kannte den Kosenamen unseres FBI-Computers und nickte etwas bärbeißig. »Bald sind wir alle nur noch Marionetten – und wenn die Maschinen erst mal laufen gelernt haben, nicht einmal mehr das.«

Das klang trübsinnig, aber im Grunde seines Herzens war Easton ein optimistischer Mensch. Man musste nur die richtigen Register bei ihm ziehen. Seine Abteilung hatte die höchste Aufklärungsquote in New York. Einem Polizisten mit solchen Erfolgen blieb wohl auch gar nichts anderes übrig, als Optimismus zu verströmen.

Sein Stellvertreter schien davon noch nichts gehört zu haben. Mürrisch fragte er: »Und was hat euer Computer ausgespuckt, dass ihr plötzlich ein so großes Interesse an einem simplen Mordfall hegt?«

Wir saßen zu viert um einen kleinen Konferenztisch in Eastons Büro. Milo überflog gerade unverfroren ein paar offene herumliegende Aktenblätter, während er ablenkend äußerte: »Simpel? Der Lady fehlt das komplette Gesicht!«

»Simpel«, beharrte Schulz. »Kein Delikt, das die Bundespolizei kümmern müsste.« Easton unterstützte die Aussage seines Untergebenen, indem er verlangte: »Jetzt legt die Karten mal auf den Tisch. Schon euer Chef gefiel sich in vagen Andeutungen. Wenn wir zusammenarbeiten sollen, bedarf es ein klein bisschen mehr.« Milo und ich verständigten uns mit Blicken: Genug des Vorspiels, hieß das.

»San Antonio, Texas, vor einem Monat«, sagte ich. »Malvin Cook, zweiunddreißig, Angestellter in einem Schnellimbiss, wird in seiner Wohnung ermordet aufgefunden. Der Täter hatte ihm die Kehle durchschnitten und das Gesicht in einer Weise verstümmelt, dass die Mutter bei der Identifizierung einen Herzanfall erlitt, halb den Verstand verlor, seitdem in einer Nervenheilanstalt sitzt und der festen Überzeugung ist, ihr geliebter Sohn lebe noch – weil der Tote nicht einmal mehr annähernde Ähnlichkeit mit ihm hatte.«

Schulz schluckte.

»San Antonio, Texas, vor zwei Monaten«, sagte Milo. »Jayy Tiernan, siebenundzwanzig, Student an der Universität in Boston, gerade auf Heimaturlaub bei den Eltern, wird nachts auf dem Heimweg von einer Party auf offener Straße überfallen und in ein nahes Waldstück verschleppt, wo ihn Spaziergänger am nächsten Tag verblutet finden. Die Identifizierung dauerte eine ganze Woche, weil das Gesicht verstümmelt wurde.«

Harry Easton setzte zu einer Bemerkung an. Meine Stimme stoppte ihn.

»San Antonio, Texas, vor drei Monaten: Tyler Sandford, dreißig, Entertainer in einem seriösen Nachtklub, wird von einer Freundin im Garten seines Hauses im Ortsteil Castle Hills verstümmelt aufgefunden.«

»Das reicht!«, rief Easton.

»Wir sind auch fast fertig«, gab ich unbeeindruckt zurück.

»Ein Serientäter«, murmelte Ed Schulz. »Aber was hat unser Fall damit zu tun? Die scheinbare Übereinstimmung ist wahrscheinlich purer Zufall. New York ist nicht San Antonio!«

»Nein«, nickte Milo. »Die Wahrscheinlichkeit, dass die Morde miteinander zu tun haben, ist nicht sehr hoch. Eins gibt unserer Lola aber zu denken.«

»Und das wäre?« Easton hob die Brauen.

»Der Mordrhythmus.«

»Die Morde in Texas wurden alle im exakten Monatsabstand begangen – immer zur Vollmondzeit.«

Schulz schnipste mit den Fingern. »Ich hab’s«, spottete er, »es handelt sich um einen Vampir!«

Easton erteilte ihm einen Tadel. »Die Sache ist ernst.«

»Der Clou ist«, fuhr ich fort, »dass San Antonio für diesen Monat noch keinen Fall gemeldet hat, der ins bisherige Schema passt. Dafür wurde hier bei uns eine Tat begangen, die sich sowohl zeitlich, als auch in der Machart hundertprozentig zuordnen ließe.«

Schulz blieb am Ball. »Ihr meint, der Killer ist einfach umgezogen.«

Easton schüttelte den Kopf. »Ihr überseht dabei etwas.«

»Und das wäre?«

»Die drei Morde des Serientäters in San Antonio trafen allesamt Männer. Bei uns wurde jedoch eine Frau umgebracht ...«

»... in Männerklamotten«, entkräftete Milo den Einwand. »Als Mann gestylt.« Easton verzog das Gesicht. Aber er wäre nicht Easton gewesen, wenn er keine Flexibilität besessen hätte.

»Okay«, sagte er. »Wenn ihr recht habt, handelt es sich um eine staatenübergreifende Mordserie – dann seid ihr zuständig. Bis dafür aber eindeutige Beweise vorliegen, ermitteln wir ebenfalls in dem Fall weiter.«

»Ich sehe, wir haben uns verstanden.« Milo deutete auf eine der Akten, die er erspäht hatte. »Dürfen wir nun Einblick in die Protokolle nehmen?«

Easton schob ihm die Akte zu, auf der in Großbuchstaben Faye Dellawares Name stand. »Lest sie euch durch – aber lasst sie hier.«

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5. Kapitel

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Diane Skelton hatte sich ein paar Tage Urlaub genommen und war zu ihren Eltern aufs Land gereist. Sie arbeitete in der gleichen Bank, wie Faye Dellaware es getan hatte. Dort hatten sie einander auch kennengelernt.

Wir besuchten sie in Richmond, besser bekannt unter der neueren Bezeichnung »Staten Island«. Ihre Mutter erschrak, als sie unsere Ausweise sah. »FBI?«

Wir versuchten, sie zu beruhigen. Es gelang leidlich, woraufhin sie uns durch das hübsche kleine Haus zu ihrer Tochter führte, die aussah, als hätte sie uns erwartet.

Uns oder andere Störenfriede.

Milo eröffnete das Gespräch. »Ein paar Fragen zur Mordsache Dellaware. Sie haben die Tote ja gefunden. – Sie war Ihre Freundin?«

Diane Skelton sah aus wie ein unschuldiger, blonder Engel – bildhübsch, aber ungemein schüchtern. Schon nach den ersten Worten spürten wir, dass sie uns nichts vorgaukelte, sondern tatsächlich so naiv war.

»Wir haben sogar eine Zeitlang zusammengewohnt. Aus Kostengründen. Deshalb hatte ich auch noch einen Schlüssel. Als sie nicht aufmachte ...«

»Warum ging Ihre Wohngemeinschaft in die Brüche?«

»Ich sagte es schon: Aus Kostengründen.«

»Können Sie das bitte näher erläutern?«

»Faye gab ihr Geld lieber für andere Sachen aus, als Miete oder Essen zu zahlen. Das Meiste blieb immer an mir hängen. Auf Dauer kein Zustand. Ich habe mir dann ein eigenes, erschwingliches Apartment in Greenwich Village in der Nähe der Docks besorgt. Es war eine Gelegenheit.«

»Und Ihre Freundin?«

»Sie fing sich – notgedrungen – und blieb in der alten Wohnung. Allein.«

»Hat Ihre Freundschaft unter dieser Sache gelitten?«

Diane Skelton nagte an der Unterlippe und sah mich betroffen an. »Das klingt, als suchten Sie nach einem Motiv, warum ich sie umgebracht haben könnte.«

»Es klingt nur so«, beruhigte ich sie. »Wir brauchen Informationen. Sie können uns ein gutes Stück weiterhelfen.«

»Aber ich habe doch der Polizei schon alles ...«

»Wir kennen die Protokolle. Dass Sie beide einmal zusammenlebten, steht nicht darin«, unterbrach Milo sie.

»Ich hielt es für unwichtig.«

»Sehen Sie«, lächelte Milo. »Vielleicht gibt es noch mehr, was Sie für unwichtig hielten. Sie wollen doch auch, dass der Täter gefasst wird.«

»Natürlich!«

»Dann unterstützen Sie uns.«

Sie senkte den Blick. »Okay.«

»Also?«

»Nein, wir blieben weiterhin eng befreundet. Ich schätze, ich war nicht nur ihre beste ...«, Diane Skelton lächelte scheu, »... sondern auch einzige Freundin.«

»War sie so – schwierig?«

»Kommt darauf an, was Sie darunter verstehen.«

»Wir meinen«, mischte ich mich ein, »ihr Faible für Männer – genauer gesagt: Für männliche Attribute. Sie wussten davon?«

Diane Skelton bejahte.

»Sie hatten Schwierigkeiten mit dieser Vorliebe Ihrer Freundin?«

Erneutes, zögerliches Nicken.

»Ich würde gern mehr darüber erfahren.«

Sie schluckte krampfhaft. »Ich verstehe nicht genug davon.«

»Sie haben sich doch sicher darüber unterhalten.«

Gerade als sie sich einen Ruck geben wollte, klopfte es, und ihre Mutter kam herein, mit einem Tablett in den Händen.

»Etwas Tee und Gebäck«, sagte sie maskenhaft lächelnd. Sie stellte das Tablett auf einen Tisch in Dianes Zimmer und verschwand wieder mit einem langen Blick auf ihre Tochter.

»Ihre Eltern wissen von Fayes Tod?«, fragte Milo.

Diane nickte.

»Sie wollten uns gerade über die Hintergründe von Fayes Problemen erzählen«, erinnerte ich.

»Wer sagt, dass sie Probleme hatte?«

»Ich vermute es.«

»Sie haben recht.« Diane schenkte uns Tee ein. Er roch nach Jasmin und schmeckte entsprechend. »Es war ein Riesenproblem für sie. Anfangs hielt sie es auch vor mir geheim. Eines Tages überraschte ich sie, als sie wie ein Mann verkleidet durch die Wohnung lief. Nur in Männerklamotten – auch so frisiert und geschminkt.«

»In Ihrer gemeinsamen Wohnung?« Diane nickte.

»Könnte es sein, dass nicht nur das Geld, sondern auch solche Konfrontationen eine Rolle spielten, als Sie sich zum Auszug entschlossen?«

Sie nickte bedrückt. »Ja!«

»War sie in ärztlicher oder psychiatrischer Behandlung?« Diane schüttelte den Kopf. »Ich drängte mehrmals darauf, sich einem kompetenten Psychiater anzuvertrauen. Aber sie lehnte strikt ab. Sie wollte allein damit fertig werden, dass sie sich zwar als Mann fühlte, aber im Körper einer Frau gefangen war. Sie behauptete, sich eine Strategie der kleinen Schritte zurechtgelegt zu haben, um mit sich ins Reine zu kommen.«

»Was heißt das?«

»In den letzten Tagen trafen wir uns selten. Sie ging abends meistens allein aus. In ihrer männlichen Rolle. Sie wagte allmählich, sich auch ihrer Umwelt so zu präsentieren, wie sie sich innerlich selbst längst sah. Früher war das eines ihrer größten Probleme gewesen.«

»Hatte sie einen – sagt man nun Freund oder Freundin? Na, Sie wissen schon, was ich meine.«

Dianes Wangen röteten sich. An ihrem schlanken Hals entstand ein hektischer Fleck. »Darüber weiß ich nichts! Wirklich!«

»Haben Sie über Fayes Schockerlebnis im Aufzug miteinander gesprochen?«

»Ja.«

»Was sagte sie?«

»Sie fühlte sich schon den ganzen Abend verfolgt.«

»Konnte sie ihren Verfolger beschreiben?«

»Nein. Sie sah ihn gar nicht. Es war nur ein ... Gefühl.«

Das deckte sich mit dem Protokoll der Cops.

»Und sonst? Sie muss doch nach diesem Erlebnis in noch größerer Angst gelebt haben.«

»Ich weiß nicht.«

Diane Skelton zuckte mit den Schultern.

»Überlegen Sie gut. Jede Kleinigkeit kann wichtig für uns sein.«

Sie fing an zu weinen und entzog sich damit jedem Versuch, das Thema zu vertiefen. Ich gab Milo ein Zeichen.

»Wenn Ihnen doch noch etwas einfällt, können Sie uns jederzeit anrufen.« Wir hinterließen eine Karte.

Als wir vor dem Haus in meinen Sportwagen stiegen, bewegten sich die Fenstergardinen in beiden Stockwerken gleichzeitig. Unser Abschied hatte viele Zuschauer.

»Was hältst du von ihr?«, fragte Milo auf der Rückfahrt. »Sie wirkt so rein und unschuldig, dass es fast nicht wahr sein kann. Und dennoch hatte ich das Gefühl, dass sie etwas verheimlicht. Wäre es nicht denkbar, dass sie Faye Dellaware selbst auf dem Gewissen hat? Aus Eifersucht oder anderen dunklen Motiven. Es sah nicht aus, als sei sie mit der besonderen Veranlagung ihrer Freundin fertig geworden.«

»Wir werden sie im Auge behalten«, nickte ich. Über Funk verständigten wir Warren Clymer, unseren Spezialisten für Spurensicherung, und verabredeten uns in der Wohnung der Toten. Ebenfalls über Funk ließen wir uns mit dem Krankenhaus verbinden. Wir erfuhren, dass Prewitt mit einem blauen Auge davongekommen war. Die Notoperation war glimpflich verlaufen. Etwas Ruhe, und wir würden ihn besuchen können. Vielleicht konnte er das Attentat auf sich enträtseln.

Als wir eine gute Stunde später bei der Adresse in Lower Manhattan ankamen, erwartete uns Clymer bereits vor der Tür des Mietshauses.

»Ich habe meine Marke vergessen«, erklärte er zerknirscht. »Der Hausmeister wollte mich nicht nach oben lassen. Vielleicht klappt’s mit eurer tätigen Mithilfe.«

Er war solo erschienen, gewappnet nur mit einem kleinen, aber offensichtlich schweren Spezialkoffer. Wie es aussah, wollte er sich erst einen Eindruck verschaffen, ehe er gegebenenfalls seine Mannschaft nachrücken ließ.

Der Erkennungsdienst der City Police hatte Faye Dellawares Wohnung natürlich schon auf den Kopf gestellt. Die Erkenntnisse waren einem umfangreichen, aber nicht sehr ergiebigen Bericht zu entnehmen. Ich händigte Clymer eine Kopie aus, und ihm stellten sich die Haare zu Berge.

»Das kannst du besser«, versuchte ich ihn zu motivieren. »Viel, viel besser.«

»Was kein Kunststück sein wird«, winkte er ab und verlangte auch eine Kopie des Berichts der Streife, die Tage vor dem Mord gerufen worden war, nachdem man Faye Dellaware aus dem hausinternen Aufzug befreit hatte.

Der Hausmeister zeigte sich uns gegenüber gnädiger. Fayes Apartment war polizeilich versiegelt, aber wir hatten einen richterlichen Beschluss in der Tasche, der diese Verordnung aufhob.

Die Wohnung war so klein, dass ich mir fast selbst zugetraut hätte, sie nach Spuren zu durchforschen.

Sie bestand aus einem kurzen Flur mit Garderobe, zwei Zimmern, einer Küchennische und dem Bad. Und das auf kaum mehr als vierzig Quadratmetern.

Alles war noch so, wie die Polizei es vorgefunden hatte. Die Kreidezeichnung im Bad offenbarte, wie man Faye Dellaware gefunden hatte.

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6. Kapitel

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Sonntag, 24. Oktober

Auf Mandys Schreibtisch stand ein Strauß roter Rosen in einem Wasserglas, und ihr Gesicht zeigte bei der Begrüßung einen ungewohnt verklärten Ausdruck.

»Geht gleich durch.« Sie wies zur Tür von Mr. McKees Büro. Die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, hatte sie das Kinn auf die Hände gelegt und den Blick durch die Rosenkelche hinweg in Fernen gerichtet, die nie zuvor ein Mensch gesehen hatte.

»Komm.« Milo zog mich am Ärmel an ihr vorbei. Die normalerweise obligatorische Frage, ob wir einen Kaffee wünschten, konnten wir uns abschminken. »Ob der Chef auf seine alten Tage noch...?«, frotzelte Milo, ehe wir das Allerheiligste nach kurzem Anklopfen betraten.

Die Antwort gab Mr. McKee auf seine Weise.

»Dave Brazos«, stellte er den Mann vor, der ihm gegenüber saß und irgendwann einmal unter eine Dampfwalze gekommen sein musste. Er taxierte uns mindestens so neugierig wie wir ihn. »G-Man aus San Antonio, Texas.«

Brazos’ eckiges Gesicht sah aus wie ein Scherbenhaufen, den jemand zwar engagiert, aber mit wenig Sinn fürs Feine mosaikartig neu zusammengesetzt hatte. Unwillkürlich wanderte mein Blick zu seinem Hals, in Erwartung, dort zwei stöpselartige Auswüchse a la Frankenstein zu entdecken. Narbig verheilte Nähte waren genügend zu sehen. Alles in allem wirkte er wie das lebende Beweisstück in einem Prozess gegen einen stümperhaften Schönheitschirurgen.

Wie wir erfuhren, hatte Dave Brazos direkte Weisung aus Washington von FBI-Direktor William S. Sessions erhalten, nach New York zu kommen, nachdem Mr. McKee eine entsprechende Anfrage gestartet hatte.

»Dave ist der Mann, der sich am ausführlichsten mit den San-Antonio-Morden beschäftigt hat und sich entsprechend gut auskennt. Ich habe ihn angefordert, damit er uns bei unseren Ermittlungen unterstützt. – Sie beide werden eng mit ihm zusammenarbeiten. Auf diese Weise können wir vielleicht verhindern, dass der Mörder hier eine ähnliche Serie hinlegt wie in Texas.«

»Sie gehen davon aus, dass weitere Morde hier in New York City geplant sein könnten?«, fragte ich.

Dave Brazos lächelte.

Ein hässlicherer Mensch war mir nie begegnet, was nicht ausschloss, dass er ein netter Kerl war. Eine gewisse Ausstrahlung konnte man ihm auch nicht absprechen. Sein Alter war schwer abzuschätzen. Er hatte eine gute, durchtrainierte Figur, trug einen dunklen Maßanzug und eine knallige Krawatte mit Disney-Motiven.

Er deutete unsere Blicke richtig. »Berufsrisiko«, kokettierte er mit seiner Verunstaltung. Nähere Details gab er nicht.

Es klopfte. Mandy strafte unsere Befürchtungen Lügen und stellte vor jedem von uns eine Tasse ihres begehrten Kaffees ab.

Nachdem Mandy den Raum verlassen hatte, erörterten wir die Details unserer Zusammenarbeit. Brazos hatte keine besonderen Vollmachten; strenggenommen war er uns sogar unterstellt. Und wie er gleich zu Beginn erklärte, kam er aus ureigenem Interesse.

»Ich jage den Burschen seit einer kleinen Ewigkeit – seit Monaten denke ich an nichts anderes, als diesen Psychopathen dingfest zu machen. Bislang verliefen alle Spuren im Sand. Aber offenbar wurde ihm der Boden in San Antonio zu heiß. Deshalb hat er sein Revier gewechselt. Das lässt darauf schließen, dass wir ihm doch dichter auf den Fersen waren als vermutet.«

»Wer sagt, dass es überhaupt ein Mann sein muss?«, fragte ich. »Immerhin sind alle bisherigen Opfer Männer – wenn man den Irrtum bei seinem hiesigen Opfer toleriert. Nimmt man die klassischen Motive, könnte durchaus auch Eifersucht im Spiel sein. Es muss nicht immer gleich ein Wahnsinniger sein.«

»Es gibt in der ganzen Kriminalgeschichte keinen weiblichen Serientäter«, konterte Brazos kühl. »Mörderinnen jeder Couleur ja – aber keine Frauen, auf die das Psychogramm eines Serienmörders zuträfe.«

»In vielen Fällen wurde nie ein Täter gestellt«, gab ich zu bedenken.

Er stimmte zu, änderte aber nicht seine Meinung.

Nachdem wir unsere Anweisungen von Mr. McKee erhalten hatten, fuhr ich Brazos zu einem kleinen Hotel, einen Katzensprung von meinem eigenen Apartment entfernt. Er sollte Gelegenheit erhalten, sich etwas zu erfrischen. Wir verabredeten uns für den Abend.

Dann wollten er, Milo und ich einen Besuch machen, der an sich nicht drängte, weil die Zielperson keine sonstigen Verpflichtungen mehr wahrnehmen musste.

Sie wartete mit sprichwörtlicher Grabesgeduld.

In der FBI-Pathologie!

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7. Kapitel

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»Du hast getötet!«

»Es war wie bei den anderen. Sie hatte Ähnlichkeit mit Bill. Ich dachte, ich hätte ihn endlich gefunden.«

»Sie war eine Frau!«

»Sie hat mich an der Nase herumgeführt. Meine Gefühle mit Füßen getreten. Sie hatte es verdient zu sterben, Alec, sie hatte es verdient!«

»Und nun? Wie soll es weitergehen?«

»Ich werde mit der Suche fortfahren. Ich war ihm ganz nahe. Ich spüre es, so nah ... Ich werde weitersuchen, Alec.«

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8. Kapitel

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Dave Brazos erwachte mit fürchterlichen Kopfschmerzen, die er auf die Anstrengungen des Fluges und das sonstige Drumherum zurückführte.

Der Alarmton des kleinen Reiseweckers schien in seinem Kopf zu hallen. Er hatte den Wecker eingestellt, bevor er auf dem Hotelbett eingenickt war. Zwei Stunden waren vergangen, seit er sich von Trevellian und Tucker getrennt hatte.

Verkatert stand er auf und ging ins Bad. Minutenlang ließ er eiskaltes Wasser über seinen Nacken laufen. Danach ging es ihm besser. Er kehrte zu seinen Sachen zurück, die er fein säuberlich über einen Stuhl gehängt hatte. Als er sich vollständig angezogen hatte, stellte er seinen Aktenkoffer auf die Ablage der Schreibecke, wo er bereits die kleine Reiseschreibmaschine deponiert hatte, und klappte den Deckel auf. Bedächtig ging er die mitgeführten Unterlagen durch.

Die Spur war heiß.

Selten in den letzten Monaten hatte er diese Zuversicht empfunden, was die Entlarvung des Killer-Phantoms anging. Der Mord in New York passte perfekt ins Schema und erklärte, warum der Killer diesen Monat nicht, wie üblich, in San Antonio aktiv geworden war.

Er hatte einfach die Jagdgründe verlegt.

Dave Brazos dachte fast ausschließlich in Mustern wie »Jäger« und »Gejagter«. Mittlerweile hatte sich herauskristallisiert, dass auch der Serienmörder solche Gedanken hegte. Es schien fast, als wollte er ihn, Brazos, persönlich mit seinen Taten beeindrucken. Warum, blieb bislang unklar.

Brazos hatte niemandem von seiner Theorie erzählt. Er fürchtete, aus dem Fall ausgeklinkt zu werden. Wegen Befangenheit oder mit anderen fadenscheinigen Begründungen. Er sah den Fall als willkommenes Sprungbrett für seine Karriere an. Das Team der mit ihm an der Aufklärung beteiligten G-Men war in seinen Augen nicht gleichberechtigt. Er allein hatte die großen Punkte gesammelt. Ihm war jeder, wenn auch bescheidene, Fortschritt zu verdanken, und er wollte nicht, dass sich andere irgendwann mit seinen Lorbeeren schmückten.

Auch nicht dieser Trevellian oder dieser Tucker. Das würde er verhindern.

Auf Fairness konnte er dabei keine Rücksicht nehmen.

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9. Kapitel

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YSPOTUA stand, von innen betrachtet, auf der Milchglasscheibe der Tür, durch die wir gerade gekommen waren. Die Schrift war verkehrt herum. Sekundenlang hingen meine Gedanken an der nur scheinbar wirren Buchstabenanordnung fest. Dann riss mich Doc Howards Stimme in die Wirklichkeit zurück.

»Ihr hattet Glück – ich wollte sie gerade freigeben, als der Anruf kam, noch zu warten. Sie sollte ins Krematorium gebracht werden.«

»Krematorium?«

»Ihre Mutter, die in Florida lebt, hat es so verfügt. Wie ich von den Kollegen der City Police hörte, reiste sie vor drei Tagen zur Identifizierung an und verschwand noch am gleichen Tag wieder. Dabei ließ sie die Weisung zurück, den Leichnam ihrer Tochter nach Abschluss der Obduktion einzuäschern und die Urne nach Orlando überführen zu lassen.«

Jetzt, da er es erwähnte, erinnerte ich mich, davon im Polizeibericht gelesen zu haben. Ich überlegte kurz, ob es einen Sinn machte, mit der Mutter zu sprechen, entschied mich jedoch dagegen.

Doc Howard führte uns zu der weißen, vielteiligen Wand. Als Howard eine Klappe öffnete, kondensierte sofort ein Schwall Kaltluft. Unbeeindruckt zog er die Rollbahre vollständig heraus und lüftete das Tuch am Kopfende.