Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2019 Hendrik Preßler
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7504-4715-8
Den wenigsten Studierenden kommt nach der müßigen Zeit des Studiums wohl die Idee, ihre geistigen Ergüsse der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wie viele richtungsweisende Gedankengänge, Anschauungen oder Problemlösungen mögen anderen interessierten Menschen durch dieses sträfliche Vernachlässigen neuen Wissens verborgen bleiben?
Diesem Egoismus wollte ich mich ebenfalls hingeben – sicherlich bestärkt durch die Nachwirkungen der hunderten von Seiten an Haus- und Abschlussarbeiten. Bis mich meine Dozentin Prof. Dr. Badel darauf aufmerksam machte, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Forschungsergebnisse zum Belastungsempfinden von Referendaren an berufsbildenden Schulen existieren. Meine Masterarbeit eine Pionierarbeit, die ein bisher unberührtes Forschungsterrain erschloss? Dies ließ mich hellhörig werden.
Tatsächlich stieß ich während meiner Recherche für meine Masterarbeit auf keine adäquate Literatur in diesem Bereich der Belastungsforschung. Diese Tatsache zeigte mir erstmals deutlich, wie wenig Wertschätzung der Ausbildungssituation von Wirtschaftspädagogen innerhalb der Wissenschaft entgegengebracht wird. Nichtsdestotrotz entschloss ich mich dafür, 30 der renommiertesten deutschen Verlage meine Abschlussarbeit zuzusenden, in der Hoffnung, dass meine neugeschöpften Erkenntnisse in Bälde für potenziell interessierte Leser zugänglich würden. Die Vorfreude hielt nicht lange an, da keiner der Verlage beabsichtigte, neuerworbenes Wissen über wirtschaftlichen Erfolg zu stellen. Trotz dieser ernüchternden Umstände ließ ich mich nicht entmutigen und suchte mein Glück im Selbstverlag, sodass das Belastungsempfinden von angehenden Berufsschullehrern letztendlich doch für jeden Interessierten zugänglich geworden ist.
Obgleich diesem Buch eine Danksagung angefügt ist, so möchte ich Ihnen – werte Leserschaft – meinen tiefen Dank aussprechen. Nicht nur, weil Sie dieses Buch erworben haben, sondern vielmehr, weil Sie zeigen, dass diesem kleinen Bereich der Forschung – der Wirtschaftspädagogik – sehr wohl Aufmerksamkeit gebührt. Bitte versuchen Sie sich, diese Neugierde für vermeintliche Randerscheinungen aufrecht zu erhalten!
Nun wünsche ich Ihnen viel Freude beim Durchdringen meiner Gedanken! Es grüßt Sie herzlich
Hendrik Preßler
(Master of Education)
Der Beruf des Lehrers stellt für den durch die Potsdamer Lehrerstudie1 bekannt gewordenen Psychologen Uwe Schaarschmidt eine der kräftezehrendsten beruflichen Beschäftigungen dar, was sich anhand eines komplexen Gebildes an Anforderungen äußert (vgl. Schaarschmidt 2005: 15). Dies affirmieren die im Jahr 2004 von der Kultusministerkonferenz (KMK) definierten Standards für die Lehrerbildung, welche aus Lehrerinnen und Lehrern2 Experten für das Lehren und Lernen machen, die sich dabei ihres Erziehungsauftrags bewusst sind, während sie neben ihrer Beurteilungs- und Beratungsaufgabe ihre Kompetenzen permanent weiter zu entwickeln haben sowie zu einem positiven Schulklima beitragen sollen (vgl. KMK 2004: 3).
Mit der gleichen Assimilation an ebenjene Standards sehen sich angehende Lehrkräfte konfrontiert, die nach dem Übergang in die berufliche Praxis der Mannigfaltigkeit lehrerspezifischen Tätigkeiten gegenüberstehen (vgl. Tynjäla und Heikkinen 2011: 12 f.). Dass diese erste Konfrontation mit der Lehrerpraxis Stress- und Burnout-Symptome zur Folge haben kann (vgl. Christ et al. 2004), erscheint hinsichtlich dieser Fülle an neuen Eindrücken und Aufgaben nachvollziehbar. Dies bestätigen Längsschnittsstudien, welche die Perzeption von Stress und Burnout zu Beginn des Vorbereitungsdienstes untersuchten und eine sukzessive Steigerung konstatieren (vgl. Klusmann et al. 2012; Dicke et al. 2015).
Um diesem sog. Praxisschock3 und den damit verbundenen offensichtlichen Belastungen des Referendariats bereits während der Studienzeit der Lehramtsanwärter angemessen zu begegnen, wurde in Berlin von dessen Senat und in Kooperation mit den Universitäten des Bundeslandes ein Praxissemester für kommende Lehrkräfte konstituiert, um den Studierenden einen umfassenden Einblick in die vielfältigen Abläufe des Schullebens zu ermöglichen (vgl. Buchholtz et al. 2018: 5).
An einem solchen Praxissemester nahm der Verfasser dieses Buches teil und konnte an einem Berliner Oberstufenzentrum (OSZ) im Schuljahr 2017/18 für fünf Monate die umfänglichen Aufgaben eines Lehrers erstmalig selbst erleben. Gleichzeitig nutzte er den engen Kontakt zu den dort anzutreffenden Referendaren, um diese im Rahmen des sog. Lernforschungsprojekts4 (LFP) nach ihrer Belastungswahrnehmung im Vorbereitungsdienst zu befragen. Dies geschah anhand von Interviews unter vorangestellter Fragestellung – Inwieweit belasten die Gegebenheiten des Vorbereitungsdienstes das Privatleben von Referendaren? –, die sich auf das Privatleben der Referendare beschränkte und aufzeigte, wie schwierig es den Befragten fällt, Berufliches und Privates voneinander abzugrenzen (vgl. Preßler 2018).
Diese ersten zutage geförderten Erkenntnisse der Befragungen sollen mithilfe des vorliegenden Elaborats erweitert werden, das in fünf extensive Bereiche untergliedert ist: In den folgenden beiden Kapiteln werden neben dem theoretischen Hintergrund, auf dem dieses Buch fußt, ebenso die aktuellen empirischen Befunde zu den Belastungen im Lehrerberuf vorgestellt, um ansatzweise einen Überblick darüber zu erhalten, in welchem Ausmaß negativ perzipierte Beanspruchung unter den Lehrern (in Ausbildung) vorherrscht. In Kapitel 4 werden die methodisch-methodologischen Arbeitsschritte, die in dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung stattfinden, detailliert beschrieben. Mit deren Hilfe können umfangreiche Interviewanalysen realisiert werden, die in Kapitel 5 in einer quantitativen Auswertung münden, während sich das sechste Kapitel einer qualitativen Inhaltsanalyse nach den Vorstellungen des Psychologen Philipp Mayring (2015) widmet. Die abschließenden Bemerkungen resümieren die erarbeiteten Ergebnisse und geben einen Ausblick, inwiefern auf die offenkundigen Schwierigkeiten – bezogen auf die Belastungsausmaße des Lehrerberufs – reagiert werden kann.
Zuvor sei angemerkt, dass sich die Repräsentativität dieser Erhebung durch die überschaubare Stichprobe (N = 5), deren Datensätze einzig dem Kontext einer einzigen Berufsschule des Bundeslandes Berlin zugeordnet werden kann, nicht mit groß angelegten Studien, wie bspw. der erwähnten Potsdamer Lehrerstudie, messen kann. Unter dieser Prämisse werden die Analyseergebnisse dieses Buches in Relation zu anderen Evaluationen gesetzt, um mit deren Hilfe mögliche Überschneidungen bzw. Abweichungen des Belastungserlebens angehender Lehrer festzumachen. Hierfür steht für den weiteren Verlauf folgende Fragestellung im Mittelpunkt:
Welchen typischen Belastungssituationen sind Referendare
während ihrer Zeit im Vorbereitungsdienst ausgesetzt?
Welche Copingstrategien werden von den Lehramtsanwärtern
als Präventions- und Gegenmaßnahmen
angewendet?
1 Die Potsdamer Lehrerstudie untersuchte im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes das Belastungsempfinden von 7.693 Lehrkräften und stellte diese in Relation zu anderen Berufssparten. Insgesamt nahmen fast 17.000 Personen an der Erhebung teil (vgl. Schaarschmidt 2005: 12-14).
2 Aus Gründen der Vereinfachung und besseren Lesbarkeit werden im weiteren Verlauf dieses Buches lediglich die männlichen Wortformen verwendet, wobei diese sämtliche Geschlechtsdefinitionen inkludieren soll.
3 Was genau unter einem Praxisschock verstanden wird, erklären im Einzelnen die Erläuterungen aus Kapitel 3.2.1.
4 Neben dem Hospitieren und Unterrichten in der Schule sind die Studierenden ebenfalls dazu verpflichtet, ein Lernforschungsprojekt durchzuführen, in dem die angehenden Lehrer »das System und den Alltag von Schule […] beobachten und sich in einem überschaubaren Rahmen an Fragen zur Bildungsforschung [versuchen können]« (Buchholtz et al. 2018: 5).
Bevor eine dezidierte Auseinandersetzung mit einigen der konventionellen Theorien zu Belastung und Stress stattfinden kann, bedarf es im Vorhinein die wichtigsten Begrifflichkeiten, die maßgeblich für dieses Buch sind, zu erläutern. Hierbei stellt sich die Auswahl passender Definitionen als schwieriger heraus als gedacht, worauf auch in einer Vielzahl von Gesamtdarstellungen verschiedener Autoren hingewiesen wird: »In der Stress- und Belastungsforschung ist immer wieder ein babylonisches Begriffswirrwarr beklagt worden« (Zapf und Semmer 2004: 1008), welches eine exakte begriffliche Abgrenzung erschwert. Trotz dieser definitorischen Uneinigkeiten soll im folgenden Kapitel ein Verständnis für die Themenkomplexe »Belastung«, »Beanspruchung« und »Stress« gewonnen werden.
Als Vorreiter der Arbeitswissenschaften definierten Walter Rohmert und Joseph Rutenfranz (1975) innerhalb des deutschsprachigen Raums Belastungen als »objektive, von aussen [sic] her auf den Menschen einwirkende Grössen [sic] und Faktoren« (Rohmert und Rutenfranz 1975: 8). Nach heutigen Erkenntnissen ist diese Form der Definition nicht mehr ausreichend, weil lediglich auf bestimmte äußerliche Anforderungen, wie bspw. audiovisuelle oder klimatische Arbeitsbedingungen, eingegangen wird (vgl. Zapf und Semmer 2004: 1008). Einen ebenso großen Einfluss wie die eben genannten äußeren Faktoren üben jedoch auch innere Faktoren sowie erlebte Spannungszustände eines Menschen aus, die sich aus dem Verhältnis von objektiven Bedingungen und persönlichen Ansprüchen ergeben. Diese Differenz nehmen einzelne Individuen als psychische Belastung wahr (vgl. Greif 1991: 7). Aus diesem Grund wird eine erweiterte Definition von Belastung5 für das nachfolgende Vorgehen notwendig. Die bereits aus dem Jahr 1990 stammende Begriffserklärung von den Wissenschaftlern Klaus Scheuch und Harry Schröder greift neben handlungsregulationstheoretischen Herangehensweisen der gegenwärtigen deutschsprachigen arbeitswissenschaftlichen Forschung auch Anschauungsweisen der angloamerikanischen Stressforschung auf und integriert diese:
[…] Belastung [impliziert] Anforderungen bzw. Anforderungskomplexe und moderierende Faktoren der Situation, mit denen sich ein Lebewesen auseinandersetzen muss, um die Homöostase6 der Körperfunktionen und das Gleichgewicht zur Umwelt zu erhalten, ein bestimmtes Ziel zu erreichen und Bedürfnisse bzw. Motive zu befriedigen. (Scheuch und Schröder 1990: 76)
Im Hinblick auf die Belastung von Lehrkräften spricht der Psychologe Bernd Rudow (1994) über eine Kontroverse, die im Bereich des Lehrerberufs vorzufinden sei. So müssen sich die Pädagogen während der Ausübung ihres Unterrichts zeitgleich mit objektiven Anforderungen und mit subjektiven Leistungs- und Handlungsvoraussetzungen arrangieren. Belastungen können dann entstehen, wenn die Anforderungen ein solches Ausmaß annehmen, dass im Organismus des Lehrers die psychophysische Beanspruchung positive oder negative Folgen fabriziert (vgl. Rudow 1994: 13).
An dieser Stelle sei angemerkt, dass Belastungen per se nichts Schlechtes sein müssen, da sie grundsätzlich neutral konnotiert sind. Sie führen lediglich zu unterschiedlichen Reaktionen bei Personen, die von dem jeweiligen Individuum positiv oder negativ empfunden werden können. Demnach wird als Beanspruchung die psychophysische Wirkung von Belastung verstanden (vgl. Ulich und Wülser 2009: 54-56). Auch Scheuch und Schröder beschreiben Beanspruchung unter Einbeziehung der eben genannten Gesichtspunkte:
Beanspruchung7 [Hervorhebung im Original] ist die Wirkung der Belastung auf das Lebewesen und dessen Wechselbeziehung zur Umwelt. Sie umfasst belastungsbedingte Reaktionen und Veränderungen von Organen und Organsystemen, die Handlungsfähigkeit sowie das Beanspruchungserleben. (Scheuch und Schröder 1990: 76 f.)
Des Weiteren lässt sich der Begriff auf verschiedenen Ebenen weiter ausdifferenzieren, exemplarisch auf körperlicher, psychisch-emotionaler oder auf Verhaltensebene (vgl. Ulich und Wülser 2009: 72). Ferner unterscheidet Rudow zwischen kurzfristigen Beanspruchungsreaktionen, zu denen u. a. Ermüdung oder Monotonie zählen, und langfristen Beanspruchungsfolgen, zu denen sich u. a. psychosomatische Störungen oder Burnout subsumieren lassen (vgl. Rudow 1994: 43-46). Die bekannteste andauernde negative Beanspruchungsfolge stellt sicherlich das Burnout-Syndrom dar, welches sich hauptsächlich für den Lehrerberuf als symptomatisch darstellt (vgl. Kap. 2.4.3 und 3.3). Auch positive Beanspruchungsfolgen sind für Individuen erreichbar, welche sich in einer Erweiterung der eigenen Handlungskompetenz oder der Zufriedenheit im Beruf widerspiegeln (vgl. Rudow 1994: 45).
Als eine der weitreichendsten (negativen) Beanspruchungen gilt Stress, dessen Komplexität in den verschiedensten Theorien aufgearbeitet wurde.8 Bis zum Jahr 1936 bezeichnete der englischsprachige Begriff »Stress« ausschließlich die mechanische Spannung, welche auf einem Material lastet. Erst danach wurde ebenjenes Wort von dem Endokrinologen Hans Selye zum medizinischen und psychologischen Vokabular hinzugefügt (vgl. Gerrig und Zimbardo 2008: 471). Im gleichen Zuge stellte Selye (1974) die These auf, dass »nur Tote« keinen Stress haben würden, womit dem Beanspruchungsphänomen ein enigmatischer Charakter zugesprochen wird, da eine vollständige Abwesenheit von Stress unweigerlich mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen sei (vgl. Selye 1974: 61-65). Somit eröffnet sich die Frage, ob es sich bei Stress um eine krankmachende Belastung handelt oder wider Erwarten um eine Art »Lebenselixier«.
Im Allgemeinen betrachten Laien Stress immerzu als eine negative Erscheinung, die sich im Inneren einer Person vollzieht und gewisse Reaktion hervorruft (vgl. Joiko et al. 2010: 13). Selye hält dagegen eine neutrale Stressdefinition für angebrachter, weil Stress einzig eine »unspezifische Reaktion des Körpers auf jede [Art von] Anforderung [aufzeigt], die an ihn gestellt wird« (Selye 1974: 58). Solche Reaktionen geschehen unabhängig davon, ob es sich um zumutbare oder unzumutbare Situationen handelt. Da in diesem Buch der Untersuchungsschwerpunkt auf den negativen Auswirkungen von Stress liegt, erscheint die Begriffseingrenzung des Psychologen Siegfried Greif (1991) sinnvoll, der die starke Subjektivität der Stressempfindung hervorhebt. Für ihn ist Stress …
[…] ein subjektiv intensiv unangenehmer Spannungszustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine stark aversive, subjektiv zeitlich nahe (oder bereits eingetretene) und subjektiv lang andauernde Situation sehr wahrscheinlich nicht vollständig kontrollierbar ist, deren Vermeidung aber subjektiv wichtig ist. (Greif 1991: 13)
Fälschlicherweise wird Stress in vielen Fällen synonym zu psychischer Belastung verwendet, obwohl nicht alle psychischen Belastungen mit Stress einhergehen (vgl. Joiko et al. 2010: 8). Stressauslösende Belastungen werden als sog. Stressoren betitelt, welche sich nach Roman Schmitt (2001) in physikalische (z. B. Lärm), organisatorische (z. B. Zeitdruck), psycho-soziale (z. B. Angst vor Misserfolg) oder physische (z. B. Krankheiten) Stressoren rubrizieren lassen (vgl. Schmitt 2001: 17). Folglich stellt das Beanspruchungsphänomen »Stress« eine Reaktion auf Stressoren dar, wodurch Individuen einer Unausgewogenheit zwischen perzipierten belastenden Anforderungen und abrufbaren Regulationsressourcen ausgesetzt sind. Chronischer Stress etabliert sich bei einem Individuum dann, wenn polytrope Reaktionen zur Ausmerzung von Stressoren unterbleiben.
Anhand der für dieses Buch festgelegten Definitionen ist erkennbar, dass den drei Phänomenen unterschiedliche theoretische Vorstellungen hinsichtlich ihrer Entstehungsbedingungen, Prozesse und Wirkungen zugrunde liegen. Im weiteren Verlauf werden wichtige physiologische und psychische Stressmodelle vorgestellt, die ein besseres Verständnis für die Vielschichtigkeit dieser ubiquitären Erscheinungen ermöglichen sollen.
Bislang haben sich in der arbeitspsychologischen Forschung vornehmlich stresstheoretische Modelle etabliert, die namentlich personale und arbeitsbezogene Merkmale sowie deren Reziprozität in den Fokus rücken. In den frühen Jahren der Stressforschung entwickelte exemplarisch der bereits erwähnte Hans Selye das sog. »Physiologische Modell« (vgl. Selye 1974: 70 f.). In seinem reaktionsorientierten Ansatz beschreibt er die Stressreaktion als das Allgemeine Adaptionssyndrom (AAS), welches drei Verlaufsphasen umfasst:
Während der Alarmphase/-reaktion findet eine Veränderung der körperlichen Erregung statt. Diese durch einen Stressor ausgelöste Alarmbereitschaft des Körpers ist für das jeweilige Individuum lebensnotwendig, um etwa für einen drohenden Kampf oder eine schnelle Flucht vorbereitet zu sein. (vgl. ebd.). In die Widerstandsphase geht der Körper dann über, sobald er über einen längeren Zeitraum einem oder mehreren Stressoren ausgesetzt ist. Im Zustand der moderaten Erregung kann der menschliche Organismus auch fortwährenden Effekten eines Stressors standhalten (vgl. ebd.). Dennoch sollten die Lebensumstände einer solchen Person nicht unnötig lange der Penetration von Stressoren ausgesetzt sein, da diese dem Körper zunehmend seine Ressourcen rauben, woraufhin der Organismus in die sog. Erschöpfungsphase übergeht. Bei zu hoher Intensität eines Stressors kann bisweilen sogar der Exitus eintreten (vgl. ebd.).
Was in dem Modell von Selyes unberücksichtigt bleibt, sind die psychologischen Bewertungsprozesse eines Individuums, denn die eben beschriebenen Reaktionsmuster des Organismus können auch mittels positiver Ereignisse ausgelöst werden. In solchen Fällen wird vom sog. Eustress gesprochen, welcher in schwer zu bewältigenden Situationen die Herausforderung sieht und zusätzliche körperliche Kapazitäten abrufbar macht. Nimmt eine Person gewisse Situationen wiederum als belastend wahr, so wird vom sog. Distress gesprochen (vgl. Gerrig und Zimbardo 2008: 485).
Ein reizorientiertes Verständnis von Stress rückt externe und interne Reize in den Mittelpunkt, welche ein mehr oder weniger hohes Potenzial besitzen, spezielle Stressreaktionen hervorzurufen. Dies wurde bereits im Jahr 1967 von den Wissenschaftlern Thomas Holmes und Richard Rahe dahingehend untersucht, dass die gleichen Stressoren unterschiedlich stark auf Individuen einwirken können (vgl. Holmes und Rahe 1967: 213-218). Besonders weit verbreitet ist diese Form der Stressuntersuchung in den Arbeitswissenschaften, die unter Belastungen objektive Anforderungen verstehen, welche von prävalierenden Arbeitseinflüssen abhängig sind (vgl. Čandová 2005: 6). Ebenso lassen sich die Theorien von kritischen Lebensereignissen (engl. live-events) sowie kleinerer täglicher Belastungen (engl. daily hassles) zu den reizorientierten Ansätzen subsumieren (vgl. Kramis-Aebischer 1995: 30 f.).
Kritische Ereignisse im Lebenslauf eines Menschen werden bei der »Live-Event-Forschung« untersucht. Diese prüft, ob und in welchem Ausmaß bestimmte Begebenheiten bei Individuen physische oder psychische Schäden hinterlassen. Wie bei dem Modell von Selye findet auch innerhalb dieser Forschungsrichtung eine Nichtberücksichtigung der individuellen Bewertungsprozesse von Personen statt, sodass eine Trennung in positive und negative Ereignisse entfällt (vgl. ebd.). Anders als beim Live-Event-Ansatz spielen bei der »Daily-Hassles-Forschung« nicht die vermeintlich großen und daraufhin extensiven Lebensereignisse eine übergeordnete Rolle, sondern stattdessen die jeden Tag aufs Neue zu bewältigenden Routineaufgaben, mit denen sich eine jede Person zu beschäftigen hat, wie bspw. die Vorbereitungen für den Arbeitstag oder die Bewahrung von beruflicher Akzeptanz (vgl. Schwarzer 1993: 14-18).
Mittlerweile werden in der Forschung auch zunehmend subjektive Bewältigungsstrategien und Beurteilungsvorgänge in neu ausgearbeitete Stressmodelle eingearbeitet, sodass das einzelne Individuum nicht mehr als Spielball äußerer Umstände angesehen wird, sondern es als aktiver Bewerter seine Umwelt analysiert und auf diese im Zweifelsfall reagiert (vgl. Kap. 2.2.3).
Wie bereits erwähnt, sind weder die reaktions- noch die reizbezogenen Forschungsansätze dazu in der Lage, darüber aufzuklären, warum dieselben Reize unterschiedliche Verhaltensweisen bei Menschen auslösen. Aus diesem Grund kam es in der Belastungs- und Beanspruchungsforschung vermehrt zur Ausarbeitung von transaktionalen Ansätzen, die Stress als eine Art Akt zwischen Personen und Umwelt verstehen, welcher sich als vielschichtige und wechselseitige Auseinandersetzung darstellt (vgl. Kaluza und Vögele 1999: 334). Eine individuelle Bewertung sowie die bewusste Wahrnehmung von Umwelteinflüssen stehen dabei im Zentrum dieser Konzepte. Besonders das immer wieder erweiterte »Transaktionale kognitive Stresskonzept« des Psychologen Richard Lazarus (1966) konnte sich über die Jahre als fester Bestandteil innerhalb der Forschung durchsetzen (vgl. Greif 1991: 8 f.).
Nach Lazarus’ Stressmodell spielt sich der Bewertungsprozess eines Individuums auf drei Stufen ab (vgl. Lazarus 1966: 22-258): Zunächst erfolgt von einer Person eine sog. Primärbewertung (engl. primary appraisal), die eine gegenwärtige Situation entweder als »positiv«, »neutral« oder »belastend« einstufen kann. Auf diesem Level definiert Lazarus drei Arten von Stress, die er als »Bedrohung«, »Herausforderung« und »Verlust« apostrophiert, wobei er der Bedrohung die meiste Bedeutsamkeit zuschreibt, weil sich diese als die wichtigste Variable für psychologischen Stress darstelle (vgl. ebd.: 30). Diese Form der Erwartungshaltung, drohenden Aufgaben ausgesetzt zu sein, stellt Menschen vor die Frage, ob sie mithilfe ihrer zur Verfügung stehenden Ressourcen wichtige persönliche Ziele zum Positiven beeinflussen können (vgl. ebd.: 148 f.).
Unter der Voraussetzung, dass eine Situation als belastend empfunden wird, kommt es als Zweites zur sog. Sekundärbewertung (engl. secondary appraisal). Das Individuum prüft an dieser Stelle, welche Handlungsmöglichkeiten ihm zur Verfügung stehen, um eventuell eine Situationsbewältigung9 (engl. coping) zu initiieren. Dabei müsse die Sekundärbewertung nicht zwangsläufig auf die Primärbewertung folgen, weil diese sich überschneiden oder parallel ablaufen können (vgl. ebd.: 159-162).
Auf der dritten Stufe von Lazarus’ kognitivem Stressmodell findet eine sog. Neubewertung10 (engl. reappraisal) der ursprünglichen Situation statt.
Dadurch, dass sich die äußeren und inneren Bedingungen einer Situation nach der Reaktion einer Person grundlegend verändern können, bedarf es in einem nächsten Schritt, die neue Situation mit der alten zu kontrastieren. Hierbei hinterfragt sich das Individuum, wie erfolgreich es gegen die aufgekommenen Stressoren vorgegangen ist und welche Kapazitäten für die Bewältigung der aktuellen Lebenslage notwendig waren (vgl. Lazarus und Folkman 1984: 38). Je nach Höhe der sichtbargewordenen Anforderungen entsteht zeitgleich negativer Distress bzw. positiver Eustress (vgl. Kap. 2.2.1).
Abbildung 1:
Transaktionales Modell von Lazarus (Schwarz 1993: 16)
Letztlich beschränkt sich das Modell von Lazarus nicht nur auf Reaktionen und Reize, wie es exemplarisch Selye in seinem grundlegenden Stresskonzept getan hat (vgl. Selye 1974). Der transaktionale Ansatz berücksichtigt, dass identische Situationen bei unterschiedlichen Menschen verschiedene Bewältigungsstrategien auslösen können. Deswegen diente Lazarus’ Herangehensweise auch in vielen Fällen als Ausgangsmodell der Untersuchung von Stress im Lehrerberuf, was in Kapitel 2.3 (ab Seite →) ausführlich eruiert wird.11
Zunächst erfolgt noch ein kurzer Exkurs über die aktuellen Ansätze innerhalb der Stressforschung. Hierbei rücken zwei durchaus differierende Perspektiven in den Mittelpunkt. Die »Theorie der Ressourcenerhaltung« des Psychologen Stevan Hobfoll (1989) kann als Alternative zu dem Stressmodell von Lazarus gesehen werden. Hobfoll ist der Überzeugung, dass Menschen das Vermeiden von Verlusten dem Erzielen von Gewinnen priorisieren. Daher steht bei Hobfolls Modell auch die Stressbewältigung im Zentrum, da für ihn Stress meist dann auftritt, wenn Ressourcen12 (z. B. Gegenstände oder auch persönliche Merkmale) bedroht sind, verlorengehen oder fehlerhaft investiert wurden. Menschen haben einen Einfluss darauf, über welche Ressourcen sie verfügen und wie sie diese einzusetzen gedenken, um andere Ressourcen zu bewahren (vgl. Hobfoll 1989: 513-524).
Einen neuen Weg in der Stressdiagnostik schlägt der »Neuropattern-Ansatz« des Neuropsychologen Dirk Hellhammer (2005) ein. Hellhammer weist darauf hin, dass aktuelle Laboruntersuchungen am Menschen nachweislich die Annahme falsifizieren, Stresssymptome seien stets die Folge von Erlebten und Verhalten. Zugleich zeigt die klinische Diagnostik, dass überaus spezifische Konstellationen von genetischen, organischen und psychischen Krankheitsdeterminanten bei Patienten existieren, was eine enorme Heterogenität der Stressabläufe impliziert. Neuropattern sollen ein besseres Verständnis dafür ermöglichen, wie die Kommunikation zwischen dem zentralen Nervensystem des Körpers und dessen Organen abläuft. In der Praxis hat sich schon bestätigt, dass sich der Neuropattern-Ansatz als subsidiäres Instrument innerhalb der Diagnostik etablieren kann (vgl. Hellhammer 2005: 312-316).
Speziell im Bereich der Lehrerforschung haben sich zahlreiche Stressmodelle herausgebildet. Das im Jahr 1978 veröffentlichte »Modell zum Lehrerstress« der Psychologen Chris Kyriacou und John Sutcliffe baut auf den Ideen Lazarus’ auf und hat sich seit nunmehr 40 Jahren innerhalb der Belastungs- und Stressforschung bewährt. Ebenso wie Lazarus sprechen die beiden Wissenschaftler von potenziellen Stressoren, die in Abhängigkeit der subjektiven Einschätzung eines Individuums zu Stress und auf längere Sicht gesehen zu chronischen Beschwerden führen können. Zudem berücksichtigt das Lehrerstressmodell weitere Stressoren, die sich außerhalb des Berufes ansiedeln, und persönliche Merkmale eines Lehrers, wie etwa seine Biographie oder seine Persönlichkeit (vgl. Kyriacou und Sutcliffe 1978: 2-5). Negativ anzumerken ist, dass Kyriacou und Sutcliffe die Interaktion von einer Person und dessen Umwelt zwar bedenken, aber die vorherrschenden Umweltmerkmale nur als potenzielle Stressoren ansehen. Die Kontextbedingungen, unter denen diese Stressoren auftreten, seien ebenfalls in Anschlag zu bringen (vgl. van Dick 1999: 33).
Zu Beginn des Modells liegt das Hauptaugenmerk auf einem bestimmten Ereignis (engl. potential stressors), welches von einer (Lehr-)Person wahrgenommen werden muss, damit sie eine primäre Bewertung (engl. appraisal) vollziehen kann. Erst dadurch besteht für den Betroffenen die Möglichkeit, entscheiden zu können, ob von einer potenziellen Gefahr (engl. actual stressor) auszugehen ist. Daraufhin werden vorhandene Bewältigungsstrategien (engl. coping mechanisms) herangezogen, die in einer Auseinandersetzung mit dem Stressor münden. Nach einem positiven Verlauf findet eine Neubewertung der Situation statt, während bei einem Scheitern negative Perzeptionen (engl. teacher stress) auftreten können. Sollten diese Affekte über einen längeren Zeitraum fortwähren, besteht die Gefahr auf dauerhafte Erkrankungen (engl. chronic symptoms), die sich hauptsächlich in Form von psychosomatischen Symptomen niederschlagen. Beeinflusst wird dieser gesamte Prozess von den Persönlichkeitsmerkmalen der Lehrkraft (engl. characteristics of the individual teacher) sowie den Einflüssen (engl. potential non occupational stressors), die abseits der Lehrtätigkeit vonstattengehen (vgl. ebd.: 31 f.).
Das Spezielle am Beruf des Lehrers ist, dass er die Pädagogen größtenteils vor psychische Herausforderungen stellt, die kognitiv und emotional belastend sind. Dies erkennt auch Rudow (1994) und präzisiert in seinem »Rahmenmodell der Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf« die Ideen von Kyriacou und Sutcliff, indem er eine Verbindung zwischen Lehrer-13 und Tätigkeitsmerkmalen schafft. Somit wird dem Prozesscharakter von Belastung und Beanspruchung Rechnung getragen, welchen Rudow mit der Lehrertätigkeit korrelieren lässt (vgl. Rudow 1994: 42-44).
In seinem Rahmenmodell unterscheidet der Psychologe zwischen objektiver und subjektiver Belastung. Unter objektiver Belastung sind alle Tätigkeitsfaktoren zu fassen, welche losgelöst von der (Lehr-)Person vorhanden sind und ein gewisses Belastungspotenzial beinhalten. Diese haben weder positiven noch negativen Charakter, womit die objektive Belastung als wertindifferentes Phänomen anzusehen ist. Für eine Lehrkraft tritt die subjektive Belastung erst nach der Reflexion und Bewertung von objektiven Belastungen in Erscheinung, welche sich abermals in emotionale und kognitive Belastung distinguieren lässt. Emotionale Belastung drückt sich anhand der positiven oder negativen Befindlichkeit des Lehrers aus, die abermals zu einer positiven oder negativen Bewertung der Beanspruchungssituation führt. Unter kognitiver Belastung versteht Rudow den Gebrauch von kognitiven Leistungs- und Handlungsvoraussetzungen, welche für die erfolgreiche Auseinandersetzung mit geistigen Aufgaben vonnöten seien. Unter Einsatz solcher Prozesse, in denen die Belastungsfaktoren einer subjektiven Bewertung unterzogen werden, entstehen subjektiv perzipierte Belastungs- bzw. Beanspruchungsmomente (vgl. ebd.).
Indem Rudow zwischen positiven und negativen Beanspruchungssituationen differenziert, gelingt es ihm in seinem Modell, die Komplexität der Belastungs- und Beanspruchungsthematik umfassend abzubilden, wenngleich es eine ausführliche Darstellung von Bewältigungskalkülen entbehrt, was als negativ angesehen werden muss (vgl. ebd.).
Im Jahr 2004 konzipierte der Erziehungswissenschaftler Oliver Böhm-Kasper in einer seiner Forschungsarbeiten das »Allgemeine Rahmenmodell schulischer Belastung«, welches für das vorliegende Buch nicht nur als theoretische Basis für die Verortung der Phänomene »Belastung« und »Beanspruchung« dienen soll, sondern vorrangig, um den reziproken Zusammenhang zwischen Belastungen und Beanspruchungen im Umfeld des Lehrerberufs angemessen darzustellen. Vorab muss darauf hingewiesen werden, dass im Zentrum von Böhm-Kaspers Modell eine Betrachtung beider Handlungsgruppen – Lehrer sowie Schüler14 – steht (vgl. Böhm-Kasper 2004: 71-75). Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand dieser wissenschaftlichen Arbeit bezieht sich die weitere Modellverwendung allerdings vorrangig auf die Gruppe der Lehrer im Belastungs- und Beanspruchungskontext.
Als theoretische Grundlage für das Rahmenmodell schulischer Belastung fungieren die in den vorherigen Kapiteln rezipierten belastungs- und stresstheoretischen Ansätze (vgl. Kap. 2.2 und 2.3). Dies erscheint insofern logisch, da Böhm-Kaspers Modell entscheidend von dem transaktionalen Stressmodell von Lazarus beeinflusst ist (vgl. Kap. 2.2.3), was eine handlungsregulationstheoretische Perspektive auf das Belastungs- und Beanspruchungsgeschehen impliziert. Ebenso können modelltheoretische Parallelen zum Rahmenmodell der Belastung und Beanspruchung Rudows gezogen werden (vgl. Kap. 2.3.2). Darüber hinaus lassen sich auch die Explikationen aus Hobfolls Theorie der Ressourcenerhaltung mit dem Belastungsverständnis von Böhm-Kasper in Relation setzen (vgl. Kap. 2.2.4).
Zu Beginn seines Modells rekurriert Böhm-Kasper auf »die grundlegende Belastungs-Beanspruchungs-Sequenz einer allgemeinen (der Arbeitswissenschaft entlehnten) Konzeption von Belastung und Beanspruchung« (Böhm-Kasper 2004: 74), was mit einer begrifflichen sowie zeitlichen Trennung der Phänomene »Belastung« und »Beanspruchung« einhergeht. Außerdem werden Belastung und Beanspruchung wie bei Rudows Rahmenmodell als wertneutrale Erscheinungen beschrieben, die je nach Person positive, neutrale oder negative Charakterzüge entwickeln können (vgl. ebd.; Rudow 1994: 42; Kap. 2.3.2.).
Des Weiteren greift Böhm-Kasper in seinem Modell auf zentrale Annahmen kognitiver Stresstheorien zurück, womit er die individuellen Bewältigungs- und Bewertungsverfahren eines Individuums inkludiert (vgl. Böhm-Kasper 2004: 71-75). Aus diesem Grund seien von Lehrern im Schulalltag Handlungsschritte erforderlich, um eine Bewältigung von schulischen Belastungen zu ermöglichen (vgl. Scheuch und Schröder 1990: 36-39, 74-76). Innerhalb der transaktionalen Auslegung von Stress sind Adaptionsvorgänge der Person mandatorisch, da mit jedem stressauslösenden Ereignis – unabhängig davon, wie weitreichend dieses sein mag – Ressourcenaktivierungen in Erscheinung treten (vgl. Lazarus und Launier 1981: 226). In Anbetracht dieser Prämissen definieren Böhm-Kasper und sein Kollege Horst Weishaupt Belastung und Beanspruchung folgendermaßen:
Unter der Belastung wird die Gesamtheit der erfassbaren äußeren, auf den Menschen einwirkenden Einflüsse verstanden, von denen man annehmen kann, dass sie als Aufgabe, Bürde oder Hemmnis Anstrengungen zu ihrer Bewältigung nötig machen. Die psychische Beanspruchung bezeichnet hingegen die Auswirkung der Belastung auf den Menschen in Abhängigkeit von seinen individuellen Leistungsvoraussetzungen, Lebensumständen und seinem jeweiligen Befinden. (Böhm-Kasper und Weishaupt 2002: 475)
Zusätzlich dazu integriert Böhm-Kasper in seinem Modell die Denkweisen der kognitiven Stresstheorien, indem er Bewertungs- und Bewältigungsvorgänge in puncto Stress als subjektive Deutungsprozesse einbindet:
Der Umstand, dass Menschen äußere Belastungen je nach individuellen Voraussetzungen unterschiedlich bewerten, wird mit dem Begriff des subjektiven Deutungsprozesses bezeichnet. Subjektive Deutungsprozesse sind demnach eine Art Filter, durch den Menschen Belastungen wahrnehmen und bewerten. (Böhm-Kasper 2004: 237.)
Bevor eine ausführliche Betrachtung der drei Bereiche des Modells von Böhm-Kasper vorgenommen werden kann, muss auf den im LFP gelegten Schwerpunkt – die Vereinbarkeit der beruflichen Situation von Referendaren mit ihrem Privatleben – hingewiesen werden. Mit Blick auf die Ergebnisse des LFP erscheint eine Erweiterung des Rahmenmodells schulischer Belastung für alle weiteren Überlegungen als zwingend notwendig, denn nicht nur das Umfeld »Schule« übt Einfluss auf eine Lehrkraft aus, so wie es durch das zur Sprache gebrachte Modell vorgetragen wird. Ebenso sehr spielt das Umfeld abseits der Schule eine tragende Rolle, wenn eine objektive Bewertung des Belastungserlebens von Lehrern bzw. Referendaren realisiert werden soll. Böhm-Kasper verteilt die zuvor thematisierten Einflüsse und die daraus resultierenden Überlegungen in seinem Modell auf die miteinander in Beziehung stehenden Bereiche »Belastungsfaktoren«, »Subjektiver Deutungsprozess« und »Beanspruchung«, beschränkt sich dabei aber bewusst auf ein schulisches Umfeld (vgl. Böhm-Kasper 2004: 70). Daher ist sein Modell für die weiteren Vorgehensweisen durch den Autor um die Dimension »Soziale Umgebung« erweitert worden, wodurch nicht nur das Geschehen im Klassenzimmer (wie es Böhm-Kaspers Modell vorsieht) Einzug in die Belastungsbetrachtung erhält, sondern sämtliche (non-)verbale Kommunikation und Interaktion der Lehrkraft mit seinem Umfeld.
In einem ersten Bereich fasst Böhm-Kasper alle für den Kontext Schule lokal vorzufindenden Belastungsfaktoren nebst ihren jeweiligen Voraussetzungen zusammen. Anhand der Erweiterung seines Modells finden sich in diesem Bereich nun auch alle außerschulischen, also globalen Belastungsfaktoren einschließlich ihrer Bedingungen wieder. Die Bedingungen spaltet Böhm-Kasper in das »Situative und Situationsübergreifende Bedingungsfeld«, wenngleich sie sich durch eine gegenseitige Abhängigkeit auszeichnen. Das Situationsübergreifende Bedingungsfeld segmentiert er in »Objektive Anforderungen« und »Individuelle Voraussetzungen«, während das Situative Bedingungsfeld in »Qualitäten der Sachbeziehungen« und »Qualitäten der Sozialbeziehungen« aufgeteilt wird (vgl. ebd.: 72 f.).
Zu den Objektiven Anforderungen lassen sich neben aktuellen gesellschaftlichen Auffassungen auch kulturelle und soziale Faktoren subsumieren, wie bspw. die von der Öffentlichkeit gestellten Forderungen an das Schulsystem oder die Anzahl an Unterrichtsstunden für Lehrer (vgl. ebd.: 72). Global betrachtet können auch die alltäglichen Arbeiten im Haushalt sowie die Konzeption von Unterricht und dessen Materialerstellung zu den objektiven Anforderungen ergänzt werden. Dagegen beinhalten Individuelle Voraussetzungen u. a. die gleichbleibenden Merkmale eines Menschen (z. B. sein Alter oder sein Geschlecht), dessen herauskristallisierte Persönlichkeit (z. B. ob er gewissenhaft oder emotional gefestigt ist), seine momentane Gestimmtheit (z. B. ob er zuversichtlich oder eher pessimistisch ist) sowie etwaige durchgehende Erkrankungen der Person (vgl. ebd.: 73). Diese spezifischen Charakteristika einer Person können für diese bereits im Einzelnen als Belastung ihre Wirkung entfalten oder binnen ihrer Mutualität mit der Umwelt.
Jene Belastungsfaktoren, die sich im Arbeitsumfeld einer Lehrkraft befinden, also innerhalb der Schule oder bei ihr zu Hause, schreibt Böhm-Kasper dem Situativen Bedingungsfeld zu. Hierzu zählen die Qualitäten der Sozialbeziehungen, welche bspw. die Kooperation des Lehrerkollegiums oder die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern einbeziehen (vgl. ebd.). Mittels der Erweiterung des Rahmenmodells schulischer Belastung können an dieser Stelle des Modells noch Faktoren wie Partner- oder Elternschaft bzw. das Verhältnis zu Familie oder Freunden ergänzt werden. Des Weiteren lassen sich dem Situativen Bedingungsfeld noch Qualitäten der Sachbeziehungen unterordnen, zu denen exemplarisch die pädagogischen Überzeugungen des Lehrers oder die Handhabe der Schulleitung zählen (vgl. ebd.). Dazu kommt die Einstellung des Pädagogen hinsichtlich der Vorbildfunktion, die dem Lehrerberuf inhärent ist, primär dann, wenn dies fernab der festgelegten Unterrichtszeiten verlangt wird. Denn »Lehrer haben neben ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag die Pflicht, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes vorbildlich und glaubwürdig zu verhalten« (Thömmes 2015).
Der zweite Bereich von Böhm-Kaspers Modell umfasst die subjektiven Deutungsprozesse einer Lehrkraft, dessen Beanspruchungskonsistenz dadurch einer prädominanten Interferenz ausgeliefert ist. Böhm-Kasper erkennt selbst, dass »[d]as Konzept der ›subjektiven Deutung‹ […] im vorgelegten Rahmenmodell das sowohl theoretisch wie auch empirisch am schwersten zu bestimmende Element [repräsentiert]« (Böhm-Kasper 2004: 73). Der Psychologe verweist in diesem Zusammenhang auf einige Handlungsregulationstheorien sowie kognitive Stressmodelle15, welche als Ausgangspunkte herangezogen werden können, um die Aspekte des subjektiven Deutungsfeldes zu exemplifizieren (vgl. ebd.).
Einer dieser Aspekte stellt das subjektive Belastungserleben von Lehrern dar, welches mehrheitlich mit negativen Assoziationen in Verbindung gebracht wird. Im Sinne einer stresstheoretischen Auslegung, die auf dem Verständnis von Lazarus fußt, ist unter dem subjektiv perzipierten Belastungsempfinden eine Art Beurteilungsvorgang zu verstehen. Während dieses Prozederes bewerten Lehrer ihre persönliche Stresswahrnehmung, um einen Kenntnisstand darüber zu erlangen, welche lokalen und globalen Belastungen auf ihren Beruf einwirken. Dabei trägt einzig die subjektive Perzeption der Lehrperson dazu bei, dass ein anfänglich wertindifferenter Belastungsaspekt positive bzw. negative Charaktereigenschaften annimmt (vgl. Kap. 2.2.3).
Böhm-Kasper orientiert sich im dritten Bereich seines Rahmenmodells, welchen er als Beanspruchung tituliert, an Rudows Anschauungen (vgl. Kap. 2.3.2). Er unterteilt dort die eng miteinander verwobenen Phänomene in die Themenkomplexe »Beanspruchungsempfinden« und »Beanspruchungsfolgen« (vgl. Böhm-Kasper 2004: 73). Dabei können die Folgen von Beanspruchungen eine beachtliche Zahl an verschiedenen Reaktionen hervorrufen, die am Körper oder an der Psyche des jeweiligen Betroffenen ihre Spuren hinterlassen. Speziell für den Beruf des Lehrers kann konstatiert werden, dass durch die primär psychosoziale Berufsbelastung hauptsächlich »psychische und psychosomatische Beschwerden« zum Vorschein kommen (vgl. Čandová 2005: 15). Letztere sollen exemplarisch für eine Beanspruchungsfolge vorgestellt werden, was nach der Beanspruchungsreaktion »Erschöpfung« geschieht.
In einem ersten Schritt gilt es die (emotionale) Erschöpfung als psychische Beanspruchungsreaktion von körperlichen Beanspruchungsreaktionen, wie bspw. erhöhtem Blutdruck oder sozialem Rückzug, abzugrenzen (vgl. Ulich und Wülser 2009: 72). Dabei ist die emotionale Erschöpfung nicht nur als kurzfristige Beanspruchungsreaktion zu verstehen, da sie stattdessen für die Entstehung und Ausdehnung von Burnout insbesondere innerhalb des Lehrerberufs verantwortlich gemacht wird (vgl. Kramis-Aebischer 1995: 118 f.).
Unter dem Begriff »Burnout« wird neben der englischen Übersetzung ins Deutsche – dem Wort »Ausbrennen« – eine über einen längeren Zeitraum andauernde Phase der Erschöpfung verstanden. Obgleich der mannigfaltigen Definitionen, die mittlerweile für das Burnout-Syndrom existieren (vgl. Korczak et al. 2010: 1), werden für dessen Erforschung meist drei Dimensionen als Messinstrumente herangezogen. So zählen außer der emotionalen Erschöpfung auch die Depersonalisierung des Individuums sowie dessen verminderte Leistungsfähigkeit zu typischen Burnout-Symptomen (vgl. Maslach et al. 2001: 402 f.). Empirische Studien, aufgeführt in Kapitel 3.3, belegen, in welchem Umfang das Phänomen »Burnout« die psychisch-emotionale Beanspruchung des Lehrerberufs tangiert (vgl. S. → f.).16
Im Gegensatz zu den eben genannten Beanspruchungsreaktionen spiegeln sich Beanspruchungsfolgen als längst eingetretene Missstimmungen oder exhaustive Erkrankungen wider. Unterdies können neben psychischen bzw. physiologischen Beanspruchungsfolgen auch verhaltensbezogene Beschwerden, wie bspw. vermehrte Fehlzeiten, erhoben werden (vgl. Ulich und Wülser 2009: 72). Dabei rücken empirische Untersuchungen des Lehrerberufs nicht nur das angesprochene Burnout-Syndrom in den Fokus, sondern konzentrieren sich auch auf die Frequenz an psychosomatischen Beschwerden (vgl. Čandová 2005: 41). Mit diesem Verständnis für Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf wird im weiteren Verlauf eine Einschätzung zum Belastungsempfinden von Referendaren im Vorbereitungsdienst vollzogen, was die nachfolgende Grafik zusammenfassend illustriert:
Abbildung 2:
Erweiterung des Rahmenmodells schulischer Belastung um den globalen Faktor »Soziale Umgebung« (in Anlehnung an Böhm-Kasper 2004: 75)
5