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Wilderer
Tom Franklin

Übersetzt aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl
Inhalt


Jagdzeit


Kies


Shubuta


Triathlon


Blaue Pferde


Die Ballade von Duane Juarez


Ein bisschen was


Dinosaurier


Instinkt


Alaska


Wilderer



Für Beth Ann
und für meine Eltern
Gerald und Betty Franklin

Instinkt

Vor fünf Jahren, als Henry vom Klärwerk nach Hause fuhr, sprang ihm etwas ins Auge. Er bog von der County 151 nach links ab und fuhr rechts ran. Mehrere Minuten lang saß er da und starrte seine Handrücken an, die, wie sie da so das Lenkrad umklammerten, jemand anders zu gehören schienen. Dann legte seine rechte Hand den Rückwärtsgang ein.
Es war ein Gartenflohmarkt, an dem er vorbeigekommen war, bunter Plunder, auf Klapptischen unter Pecannussbäumen ausgebreitet. Zwei Zehngang-Fahrräder lehnten neben einem Messerblock aus Holz an einem Tischchen, und an einem Trampolin im Hintergrund hing ein Schild: Preis VHS. Die Frau, die den Flohmarkt veranstaltete, trug einen langen Rock und eine Alabama-Baseballmütze und saß auf einem ausgebleichten Zweiersofa. Als Henry aus seinem Pick-up stieg, klappte sie das Paperback zu, in dem sie gelesen hatte. Er trug die Hose seiner Klärwerkskluft und ein Unterhemd.
Die Badewanne mit den Klauenfüßen stand hinter den Tischen. Wenn er aus der anderen Richtung gekommen wäre, hätte er sie vielleicht gar nicht gesehen.
»Heiß heute«, sagte die Frau, ohne aufzustehen. Sie blinzelte, schaute die Straße entlang und fächelte sich mit dem Buch. Das Haus hinter ihr war zweistöckig, aus roten Ziegeln, Mansardenfenster mit Vorhängen anstelle von Jalousien, was Henry gefiel. Neben der Eingangstreppe lag ein aufgerollter Gartenschlauch.
Während sie von dem Zweiersofa aus zusah, ging er zu der Badewanne, schaute hinein und kniete sich dabei ins feuchte Gras. Die Emaille war schmutzig, ein paar Rostflecken. Aber der Ablassstopfen war noch da, an einer dünnen, grünlichen Kette befestigt. Er strich mit den Fingern über den Wannenrand. Dass die Klauenfüße zwei Zentimeter tief in die Erde eingesunken waren, gefiel ihm nicht.
»Das ist eine Antiquität«, sagte die Frau. Sie war immer noch nicht aufgestanden. Henry fand, dass sie eigentlich neben ihm stehen und in die Wanne starren müsste. Wie in einer Erinnerung sah er ein Frauenbein, das Bein einer jüngeren Frau als dieser, eingeseift über den Wannenrand ragen.
»Hat meiner Großmutter gehört«, fuhr die Verkäuferin fort. »Sie ist vor zwei Jahren gestorben.«
»Wie viel?«, fragte Henry, und sie stand endlich auf.
Er bezahlte, ohne zu feilschen.
Mit seinem Pick-up fuhr er die Wanne zur Jagdhütte seines Onkels L. J. mitten in zweihundert Morgen altem Kiefernwald voller Gestrüpp, wuchtete sie hinunter in den Gemüsekeller und zerrte sie neben den Metzgerblock, wo der Alte das Rotwild und die Wildschweine ausgenommen hatte, die er geschossen hatte. Um die Wanne anzuschließen, konnte er ein T-Stück in die Leitung des Industriespültischs in der Ecke einsetzen, den sein Onkel bei einer Krankenhausauktion ersteigert hatte und der über Pedale verfügte, sodass man das Wasser mit dem Fuß an- und abstellen konnte.
Onkel L. J. war vor mehreren Jahren an einem Emphysem und einem golfballgroßen Gehirntumor gestorben. Henrys Mutter sagte ständig, sie sollten die alte Bruchbude mit den Geweihen, dem ausgestopften Rotluchs und den Truthahnbärten verkaufen und das nutzlose Land gleich mit, aber Henry wusste, dass seine Eltern sich in seinen achtunddreißig Lebensjahren noch nie von etwas getrennt hatten.

Zwei Jahre später wachte er eines Sonntagmorgens auf. Seine Mutter rief nach ihm und sagte, er werde zu spät zur Kirche kommen. Er ging an die Tür und lugte hinaus. Sie stand vor der Flurgarderobe und legte Lippenstift auf.
»Ich bleibe zu Hause«, rief er. »Fühl mich nicht gut.«
Sie klappte ihre Handtasche zu. »Du warst mal wieder lange weg gestern Nacht«, sagte sie. »Hast getrunken, nehme ich an. Kein Wunder, dass es dir schlecht geht. John?«
Sein Vater erschien, mit umgebundener Krawatte, aber ohne Jackett. »Komm runter, Henry der Große.«
»Nein.« Henry machte die Tür zu und schloss ab. Er stellte sich vor, wie der Alte mit den Schlüsseln in seiner Tasche klimperte und sich die kahle Stelle an seinem Kopf kratzte. Seine Mutter, wie sie im Spiegel den Blick seines Vaters auffing.
Aber bald ging die Haustür zu. Er teilte die Vorhänge am Fenster neben seinem Bett und sah zu, wie sie feierlich in den Wagen einstiegen, seine Mutter mit ihrem gelben Sonntagshut. Sie verharrten einen Moment lang, ohne wegzufahren, und ihm wurde klar, dass sie beteten. Für ihn, wie er wusste. Dann leuchteten die Bremslichter des Chryslers auf, und der Wagen schob sich die Einfahrt hinunter.
Auf dem Dachboden rollte er die weiche Gästematratze zu einer Wurst und band sie mit einem Stück Nylonseil zusammen. Er schob sie über den staubigen Boden und durch die Falltür und warf dabei fast einen Beistelltisch mit einer Vase voller Gänseblümchen um. Die Matratze ließ sich ganz leicht die Treppe hinunter und zur Haustür hinausbefördern. Auf der Fahrt zur Hütte seines Onkels, die fast fertig war, begann er in der Hitze zu zittern.

Vor einem Jahr hielt ein Schulbus am Klärwerk. Henry, der gerade mit einer Rohrzange eine Belüftungspumpe einstellte, blickte auf. Er zog seine Handschuhe aus. Die Bustür ging auf, und der Fahrer stieg aus; auf den Sitzen hinter ihm saßen keine Kinder, und er stellte sich vor Henry und deutete über den Hof der Anlage hinweg auf das Vorklärbecken.
»Was sind das eigentlich für Ballons, die da rumschwim­men?«, fragte er. »Wissenschaftliche Geräte?«
Henry schaute mit zusammengekniffenen Augen zum Becken hinüber und sagte zu dem Fahrer, nein, das seien Gummis.
»Gummis?«
»Kondome«, sagte Henry und erklärte, dass der Mann nach dem Sex oft einen Knoten in den Gummi mache und ihn die Toilette runterspüle. Im Abwassersystem werde es dann warm, fuhr er fort. Im Gummi bildeten sich Gase und dehnten sich aus, und wenn die Gummis dann aus der Kanalisation ins Vorklärbecken kämen, schwämmen sie wie Ballons.
»Ich glaube, das da drüben ist ein French Tickler«, sagte Henry und zeigte mit der Rohrzange darauf.
»Mein Gott«, sagte der Busfahrer. »Was sage ich denn jetzt den Kindern? Unsere Strecke ist geändert worden, und jetzt fragen mich die Kinder andauernd, was das für Ballons sind.«
»Sagen Sie ihnen, es sind Titten«, sagte Henry.
»Titten«, sagte der Fahrer und kicherte.
Später, im Mondlicht, fuhr Henry mit seinem Luftgewehr zum Klärwerk, setzte sich mit einem Päckchen Zigaretten auf den Steg und schoss die Gummis kaputt, einen nach dem anderen.

An diesem Abend schleicht sich Henry aus dem Haus seiner Eltern. Seine Mutter und sein Vater dösen am Kamin, der Fernseher läuft. Draußen herrschen um die null Grad, bei immer noch fallender Temperatur. Im Radio heißt es, dass Schnee möglich ist. Beim Fahren ertappt er sich dabei, dass er vor sich hin summt. Er geht ins Key West, auf einen Jack und eine Cola. Das Lokal ist wie ausgestorben. Er und der Barkeeper unterhalten sich über Schnee. Der Barkeeper sagt, er kommt aus Maryland, und dort schneit es Unmengen. Henry sagt, und ob. Der Barkeeper sagt, er habe in einem Krankenhaus in D.C. Nachtschicht gearbeitet, und man habe zu Schichtbeginn zur Arbeit erscheinen müssen, ganz gleich wie kräftig es geschneit habe. Man habe nicht fehlen dürfen, man habe vorbereitet sein müssen. Dort ist man auf Schnee gefasst, sagt er. Überall Schneepflüge. Hier unten, sagt er, fällt alle fünf Jahre ein Teelöffel Schnee und sie machen die Scheißstadt dicht.
Draußen eilt Henry zu seinem Pick-up. Er wirft einen Blick auf den Nachthimmel jenseits der Straßenlaternen. Als er den Blick wieder senkt, hockt eine Frau neben seinem Reifen. Er beobachtet sie, denkt, dass sie auf der Straße pinkelt, aber sie hebt etwas auf, ein Stück Elektrokabel.
»Hallo«, sagt er.
Sie fährt zusammen, dann sieht sie sein Gesicht und lacht. »Sie haben mir einen Heidenschreck eingejagt.«
»Alles okay?«, fragt er.
»Sind Sie ein Cop?«
Er schüttelt den Kopf.
»Dann bin ich Brenda«, sagt sie. »Hast du Lust auf ein Date?«
Auf der anderen Straßenseite ist eine Gasse mit einem Müllcontainer weiter hinten. Das hier ist die Innenstadt und nichts regt sich. Inzwischen liegt ein Dunst in der Luft, er sticht seine Wangen. Sie schiebt sich näher an ihn heran, drängend, vor Kälte zitternd. Sie hat blondes Haar, das dringend gewaschen werden müsste, und sie ist sehr dünn.
»Ich will dir was zeigen«, sagt sie. »Sieh’s als ’ne Art Reklame.« Als sie in ihre Handtasche greift, stellt Henry sich vor, sie zückt eine Dienstmarke und nimmt ihn wegen Anstiftung zur Prostitution fest. Er hat schon eine Vorstrafe, weil er vor Jahren versucht hat, die Sporthalle seiner Highschool in Brand zu stecken. Aber sie holt Polaroidfotos aus ihrer Handtasche. Er muss die Augen zusammenkneifen, um etwas zu erkennen, weiß aber, dass es Nacktfotos von ihr sind. Auf einem liegt sie auf einem Bett auf dem Bauch. Man sieht ihren Hintern und einen Teil einer Brust, allerdings keinen Nippel. Das nächste zeigt ihr Schamhaar und beide Brüste. Dann eines, auf dem sie mit gespreizten Beinen auf einem Hometrainer sitzt. Und eines mit ihr in einer Badewanne.
»Kann ich die kaufen?«, fragt er.
»Kommt drauf an«, sagt Brenda. Sie starrt ihn lange an, so lange, dass ihm unwohl wird. »Hör zu«, sagt sie. »Mir geht’s nicht so gut. Wie heißt du?«
»Donald«, sagt Henry.
»Okay, Donny, pass auf. Gib mir zwanzig Dollar und eine Mitfahrgelegenheit, dann blase ich dir einen. Abgemacht?«
Er betrachtet erneut die Bilder. »Die da«, sagt er.
Sie reißt sie ihm aus der Hand. »Mein Gott, Donny. Es ist kalt. Guck dich doch an, wie du zitterst.«
Sie hat lange rote Fingernägel, die eingerissen sind, und er denkt, dass ihre Haare eine Perücke sein könnten.
»Okay, dreißig«, sagt sie. »Für die Bilder und sonst nichts. Erst das Geld.«
Im Pick-up dreht sie die Heizung voll auf. Im Radio wechselt sie von Country zu Rap. Sie stellt es laut. »Hast du eine Zigarette?«
Er reicht ihr seine Zigaretten und das Feuerzeug. Sie zündet sich eine an. »Also, was für Drogen hast du schon genommen?«
Er sagt, nicht viele. Die Wahrheit ist, keine.
»Bieg hier ab«, sagt sie und zeigt mit einem langen Fingernagel die Richtung. Er gehorcht. »Sag mir eins, Donny-Boy« – sie wühlt in ihrer Handtasche. »Warum hasst du Frauen? Das ist kein Werturteil«, sagt sie. »Es gilt für alle meine Mitfahrgelegenheiten. Ich bin bloß neugierig. Ist deine Mutter dran schuld? Eine Ex-Freundin? Wer?«
Er zuckt die Achseln, überlegt, was er sagen soll, aber sie holt etwas aus ihrer Handtasche. Sie hält es vor die Armaturenbeleuchtung.
»Schon mal gesehen?«, fragt sie.
Ein schmutzig-weißer Kristall, so groß wie ein Aspirin.
»Crack«, sagt Henry.
»Richtig geraten, Donny. Hast du ein Messer?«
Er sagt nein, obwohl er eins in der Tasche hat, das ihm seine Eltern vor mehreren Jahren zum Geburtstag ge­schenkt haben. Er muss jetzt an sie denken. Sie werden mit dem Abendessen fertig sein, seine Mutter wird in der Küche das Geschirr wegräumen. Die Arbeitsplatte abwischen. Sein Vater im Fernsehzimmer, wo er sich die Alabama Tide ansieht. Sie werden sich fragen, wo Henry wohl steckt.
»Kein Problem«, sagt Brenda. »Keiner kann so improvisieren wie ein Süchtiger. Bieg da ab, Donny.«
Sie nimmt das Stück Kabel, zündet ein Streichholz an und hält es an das Kabel. Sie sieht nicht, dass Henry an der Abzweigung vorbeifährt. Es wird eine Weile dauern, bis ihr das klar wird. Als die Plastikisolierung des Kabels zu schmelzen beginnt, zieht sie sie ab. Sie nimmt einen Kugelschreiber aus ihrer Handtasche und entfernt die Mine. Sie zwängt den Draht ins Füllergehäuse. Dann hält sie ihn mit ihren langen Fingernägeln fest, bricht ein Stück von dem Crackkristall ab und schiebt es in das gegenüberliegende Ende des Kugelschreibers. Mit einem Fingernagel klemmt sie es vorsichtig fest. Reißt noch ein Streichholz an.
Sie zündet die Pfeife an und inhaliert, wobei sie den Draht als Mundstück benutzt. Draußen hat es zu regnen begonnen und man sieht Kiefern. Drinnen sind ihre Augen mittlerweile rot und verträumt und die Fahrerkabine hat sich mit Rauch gefüllt.
»Willst du sterben?«, fragt Henry.
»Erspar mir die Predigt«, sagt sie und bietet ihm die Pfeife an.
Er nimmt sie, kurbelt das Fenster herunter und wirft sie ohne nachzudenken hinaus.
»Hey«, sagt Brenda.
Morgen, wenn Henry wieder hier vorbeikommt, wird er die Pfeife finden müssen. Er merkt sich einen Kiefernstumpf und ein großes Schlagloch. Brenda schreit jetzt, aber er hört es kaum. Er lebt schon im Morgen, kniet schon im starren kalten Gras, findet die Pfeife, die gefroren sein und in seinen Fingern ganz leicht zerbrechen wird.
Alaska

Unser Ziel: Alaska.
Im Morgengrauen in Mobile losfahren, ohne irgendwem etwas zu sagen, nicht mal unseren Freundinnen oder unserem Boss in der Fabrik. Bruce kannte eine Frau, die hatte die Kaution verfallen lassen und sich einen Job als Deckarbeiterin auf einem Krabbenfänger vor der Küste von Alaska besorgt, wo sie fünfhundert Dollar am Tag verdiente. Bruce war zum dritten Mal geschieden, und ich war nie verheiratet gewesen, also hatten wir vor, unsere Autos und Bruce’ Wohnwagen zu verkaufen, uns einen olivfarbenen Pick-up mit Vierradantrieb und Wohnanhänger zu kaufen und ihn mit diesen scharfkantigen Kiefernzapfen zu beladen, die so hart sind wie Handgranaten. Bruce hatte gehört, in New England könne man die Dinger für fünf Dollar das Stück verkaufen.
Die spinnen da oben, sagte er.
Auf der Fahrt durch Georgia und Tennessee würden wir uns nach Erweckungsveranstaltungen auf freiem Feld umsehen, wo es Gesundbeterei gab. Wenn wir eine gute fänden, würden wir haltmachen und einen Zeltgottesdienst besuchen. Bruce würde eine Herzkrankheit vortäuschen, und ich wäre ein Alkoholiker – damit das überzeugend wäre, sagt er, müsste ich rülpsen und torkeln und mich mit Rum bespritzen, als wäre es Aftershave. Er würde Grimassen schneiden, stöhnen und seinen linken Arm umklammern, bis wir die ganze Ge­meinde so weit hätten, dass sie für uns betete. Wenn die Kollektensammler zwecks Spenden die KFC-Eimer herumgehen ließen, würden wir die Achseln zucken und sagen, wir seien restlos pleite, bloß arme Reisende. Ob­dachlos.
Bruce hatte seiner zweiten Ex-Frau die Polaroidkamera geklaut, die wir griffbereit halten würden, um Bilder zu machen – Habichte auf Zaunpfosten, Grizzlybären, Kirchenvordächer, auf denen DER HERR IST NAH und direkt darunter JEDEN DONNERSTAG 20:00 UHR BINGO stand. Außerdem hätten wir einen Stapel Hörbücher aus der Leihbücherei dabei: John Grisham, Stephen King und sogar Selbsthilfezeug. Wenn wir in den Badlands von South Dakota von der Straße abfahren würden, um mit den Füßen zum Fenster raus hinten im Pick-up zu schlafen, würden wir ein Verbessern-Sie-Ihren-Wortschatz-Tape spielen und Wörter wie eklektisch und Satyr lernen.

Abends würden wir in Spelunken gehen, ich mit meiner Sonnenbrille und Bruce in seinen Aalleder-Cowboystiefeln. Dort im Tabakqualm gäbe es haufenweise Frauen, die sich für solche eklektischen Typen interessierten, und sie würden darauf bestehen, uns Bier mit Whisky zu spendieren. Wenn ich eine Schnecke aufgabelte, würde ich den Pick-up nehmen und es Bruce überlassen, am Tresen mit einem betrunkenen Schweißer Armdrücken zu machen. Falls er Glück hätte und sich mit irgendeiner umwerfenden Süßen verzog, würde ich zur Jukebox schlendern, John Prine drücken und meine Traumfrau von den Line Dance tanzenden Bikern und Cowboys weglocken. Mitten in der Keilerei würde ich blutend zur Hintertür rauskriechen, auf einem Felsen neben einem Kuhschädel schlafen und warten, bis der olivfarbene Pick-up am Morgen über die Hügelkuppe käme.
Wir würden auch Bilder von den Frauen machen. Du würdest dich wundern, wie viele darauf stehen, sich in Motelzimmern fotografieren zu lassen, sagte Bruce. Manchmal würde er bei den etwas betrunkeneren Ladys »durchblicken lassen«, wir wären Vorausfotografen der Swimsuit Issue von Sports Illustrated und hießen Abe Z. und Horatio. Am anderen Ende des Tresens würde ich ihnen erzählen, wir wären Wissenschaftler aus Texas und würden Schleiereulen erforschen. Aber der abenteuerlustigen Frau, die den Billardtisch beherrschte, der Rothaarigen, die enge, abgeschnittene Jeans trug, der Sorte Frau, von der man weiß, dass sie ein grünes Leguan-Tattoo auf der Hüfte hat, der würden wir die Wahrheit sagen: Alaska. Bruce sagte, sie könnte mitkommen, aber er wüsste genau, sie würde schon Tausende von Kilometern vor dem Krabbenfänger Heimweh kriegen. Stellen Sie sich die Szene vor: irgendeine staubige Geisterstadt in Wyoming, und diese Frau schluchzt und hängt uns am Hals, wütend darüber, dass sie so eine Heulsuse ist. Sie würde die Eingangsstufen hochsteigen, und wir würden ihr hübsches, trauriges Gesicht im Fenster betrachten, während der Bus losruckelte, und wenn sie weg wäre, würde Bruce vor Erleichterung seufzen, und nach ein paar Drinks würden wir in den Pick-up steigen und Richtung Norden fahren.
Ich würde sie schrecklich vermissen.

Wenn wir die richtige Sorte Hund fänden – wir wollten eine Promenadenmischung, die hässlichste südlich von Alaska –, würden wir anhalten und ihn mit Fastfood bestechen. Im Wagen könnte er zwischen uns sitzen und uns die Hände lecken, und wenn er furzen würde, könnten wir einander ansehen, »Warst du das?« schreien und wie wild das Fenster herunterkurbeln. Und natürlich würden wir Anhalterinnen mitnehmen. Wenn wir eine einsteigen ließen, könnte sie zwischen uns sitzen, den Hund in den Armen halten (wir würden ihn Handsome taufen) und ihm etwas vorsäuseln. Wir würden einen riesigen Umweg fahren, um sie nach Hause zu bringen, aber wir wären nicht so grob, »Sex, Sprit oder Gras« zu sagen. Wir würden nichts fürs Mitnehmen verlangen.
Weil gutes Benehmen eben doch wichtig war, fanden wir. Also würden wir uns beim Essen in Raststätten die Serviette auf den Schoß legen und »Ja, Ma’am« zu den flirtenden Frauen an den Nachbartischen sagen, auch zu den Yankee-Frauen, die solche Gentlemen nicht gewöhnt wären. Wir würden lächeln, ihnen zuzwinkern, die Tüten mit unseren Essensresten an uns nehmen und 50 Prozent Trinkgeld dalassen. Unsere Kellnerinnen würden sich danach sehnen, uns zu folgen, und die hübschen Kassiererinnen an den Tankstellen würden sich über ihre Kassen beugen, um unsere Namen von der Rückseite unserer Gürtel abzulesen – nicht nur, weil wir so ungewöhnlich aussahen und einen so hässlichen Hund hatten, sondern auch wegen unserer kultivierten Südstaaten-Manieren.

Und bis zum Schluss Sportsmänner, würden wir schlitternd von der Straße abfahren, wenn wir einen privaten Golfplatz sähen. Wir würden in unseren grellen Hosen unter den Bäumen hervortreten, über den Zaun flanken und unsere gebrauchten Bälle in die Wolken jagen, und wir bräuchten ein Fernglas, um die dreihundert Meter entfernten Hole-in-ones verfolgen zu können. Die ernsthaften Golfer mit ihren schicken Mützen würden einander schräg ansehen, während wir mit nur einem Driver pro Mann durchspielen würden, und wenn der strenge Clubsekretär käme, würden wir wie Satyrn im Wald verschwinden und wie durch Zauberei an der Clubhausbar wiederauftauchen.
Oder wir würden anhalten, wenn wir einen schönen, abgelegenen Teich fänden, würden unsere Ruten mit Snagless Sallys und Schweineschwarte beködern, ins Schwerzugängliche auswerfen, zwischen Baumknie, ho­he Gräser, und die Leinen schön beweglich halten, während die Forellenbarsche mit gegen die Kiemen schlackernder Schwarte durchs trübe Wasser pflügten. Wir würden die Haken wie Profis präparieren, die Fi­sche nach allen Regeln der Kunst drillen, die glänzenden, feuchten Stücke am Abend überm Lagerfeuer braten und dazu den Schnaps trinken, den wir Schwarzbrennern in Virginia geklaut hätten. Handsome würde um den Teich streifen und seiner ersten Wölfin den Hof machen, die beiden würden leise bellen, und im Feuerschein würde Bruce seine Mandoline aus dem Kasten nehmen, ich würde meine Mundharmonika anwärmen, und wir würden zärtliche Balladen spielen, Liebeslieder, so innig, dass der Wald um uns herum still und traurig würde, und kurz bevor wir anfangen würden, all die Menschen und Orte zu beklagen, die wir zurückgelassen hatten, Dinge, die wir nie wiedersehen würden, würden wir wie auf Stichwort zu spielen aufhören und uns ansehen, mit einem Mal glücklich, weil uns Alaska einfiele, das auf uns wartete.