Über das Buch

Der israelische Biologe Daniel Chamovitz hat die Wahrnehmungswelt der Pflanzen ausgelotet – und den ultimativen Führer durch das Sinnesreich von Blumen und Bäumen geschrieben. Auf der Basis eigener Forschung schildert Chamovitz, in welchen Bildern Pflanzen die Welt sehen, was für Düfte sie abgeben und welche sie wahrnehmen, welche Berührungen sie mögen und welche nicht, warum ihnen die Musik von Led Zeppelin nicht gefällt, weshalb manche Pflanzen es lieben zu tanzen, auf welche Weise sie mit ihren Wurzeln kommunizieren und wie sie sich an gutes Wetter erinnern. Sein Buch, das 2012 erstmals erschien und zum internationalen Bestseller wurde, liegt nun in einer vollständig überarbeiteten und stark erweiterten Ausgabe vor: mit einem zusätzlichen Kapitel über den Geschmackssinn der Pflanzen und neuen, überraschenden Erkenntnissen, wie Pflanzen zu hören vermögen. »Was Pflanzen wissen« wird Ihren Blick auf den eigenen Garten für immer verändern.

Daniel Chamovitz

Was Pflanzen wissen

Wie sie hören, schmecken und sich erinnern

Aus dem Englischen von Christa Broermann
Erweiterte und vollständig überarbeitete Neuausgabe

Carl Hanser Verlag

Für Shira, Eytan, Noam und Shani

Inhalt

Vorwort

Was eine Pflanze sieht

Was eine Pflanze riecht

Was eine Pflanze schmeckt

Was eine Pflanze fühlt

Was eine Pflanze hört

Woher eine Pflanze weiß, wo sie ist

Woran sich eine Pflanze erinnert

Epilog: Die wahrnehmende Pflanze

Danksagung

Bildnachweise

Anmerkungen

Register

Vorwort

In den fünf Jahren, die seit der Veröffentlichung der ersten Auflage von Was Pflanzen wissen vergangen sind, war ein lebhafter Aufschwung des Interesses an den Sinnen von Pflanzen zu beobachten. Das Tempo der wissenschaftlichen Entdeckungen in der Pflanzenbiologie ist so schnell, dass diese Neuauflage bahnbrechende Informationen enthält, die manchen Schlussfolgerungen in der Erstauflage diametral entgegengesetzt sind. Sowohl die Gemeinschaft der Wissenschaftler als auch die populärwissenschaftliche Presse haben sich weit von der Pseudowissenschaft entfernt, die für einen Großteil des anfänglichen Interesses an den Sinneswahrnehmungen der Pflanzen typisch war und gegen die etablierte Pflanzenkundler zu Felde zogen. In einer Zeit des wachsenden nationalen Isolationismus ist das globale Interesse daran, wie Pflanzen auf ihre Umwelt reagieren, beruhigend. Der große Anklang, den Was Pflanzen wissen in Peking und in München, in San Francisco und in Seoul gefunden hat, legt Zeugnis für den universellen Wunsch ab, unsere grünen Nachbarn zu verstehen.

Und warum sollte dieses Interesse auch nicht universell sein? Schließlich sind wir ganz und gar auf Pflanzen angewiesen. Wir erwachen in Häusern, deren Holz aus den Wäldern von Maine stammt, schenken uns eine Tasse Kaffee aus brasilianischen Kaffeebohnen ein, ziehen ein T-Shirt aus ägyptischer Baumwolle an, drucken einen Bericht auf Papier aus, das aus tasmanischen Eukalyptusbäumen hergestellt wurde, und fahren unsere Kinder in Autos zur Schule, die mit Benzin angetrieben werden, das seinen Ursprung in vor Jahrmillionen abgestorbenen Palmfarnen hat und das auf Gummireifen fährt, die aus in Afrika gewonnenem Kautschuk sind. Chemische Substanzen, die aus Pflanzen extrahiert werden, senken Fieber (denken Sie an Acetylsalicylsäure) und dienen der Behandlung von Krebs (Paclitaxel). Weizen leitete das Ende eines Zeitalters und den Beginn eines neuen ein, und die bescheidene Kartoffel führte zu großen Auswanderungswellen. Und Pflanzen inspirieren und erstaunen uns noch immer: Die mächtigen Mammutbäume sind die größten eigenständigen Organismen auf der Erde, Algen gehören zu den kleinsten, und Rosen zaubern ein Lächeln auf jedes Gesicht.

Mein Interesse an den Parallelen zwischen den Sinnesorganen von Pflanzen und Menschen erwachte, als ich in den 1990er-Jahren ein junger Postdoctoral Fellow an der Yale University war. Ich wollte speziell die biologischen Prozesse von Pflanzen näher erforschen, ohne eine Verbindung zur Biologie des Menschen herzustellen (wahrscheinlich als Reaktion auf die sechs weiteren Doktoren in der Familie, die allesamt Ärzte sind). Daher reizte mich die Frage, wie Pflanzen Licht für die Steuerung ihrer Entwicklung nutzen. Bei meinen Untersuchungen entdeckte ich eine einzigartige Gruppe von Genen, die eine Pflanze braucht, um feststellen zu können, ob sie sich gerade im Licht oder im Dunkeln befindet.1 Zu meiner großen Überraschung und entgegen all meinen Plänen entdeckte ich später, dass dieselbe Gruppe von Genen auch Teil der menschlichen DNA ist.2 Das führte zu der naheliegenden Frage, welche Aufgaben diese scheinbar »pflanzenspezifischen« Gene beim Menschen haben. Viele Jahre später und nach umfangreicher Forschungsarbeit wissen wir, dass diese Gene nicht nur bei Pflanzen, Tieren und Menschen vorkommen, sondern dass sie (neben anderen Entwicklungsprozessen) auch bei allen die Reaktion auf Licht regulieren!3

Das brachte mich zu der Erkenntnis, dass der genetische Unterschied zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen nicht so signifikant ist, wie ich bis dahin geglaubt hatte. Ich begann schon nach den Parallelen zwischen der Biologie von Pflanzen und Menschen zu fragen, als meine eigene Forschungsarbeit nicht mehr der Untersuchung der pflanzlichen Reaktion auf Licht, sondern der Leukämie bei Fruchtfliegen galt. Dabei entdeckte ich, dass es zwar keine Pflanze gibt, die sagen kann: »Gieß mich, Seymour!«, dass es jedoch viele Pflanzen gibt, die eine ganze Menge »wissen«.

Im Allgemeinen schenken wir den außerordentlich hoch entwickelten Möglichkeiten der Sinneswahrnehmung von Blumen und Bäumen, die direkt vor unserer Nase im eigenen Garten wachsen, eher wenig Beachtung. Die meisten Tiere können ihre Umgebung wählen und bei einem Sturm Schutz suchen, aktiv nach Nahrung und einem Partner Ausschau halten oder im Rhythmus der Jahreszeiten in wechselnde Regionen ziehen. Pflanzen müssen dagegen fähig sein, ständig veränderlichem Wetter, raumgreifenden Nachbarn und Angriffen von Schädlingen standzuhalten und sich anzupassen, ohne an einen besseren Standort umziehen zu können. Deshalb haben Pflanzen komplexe Systeme der Sinneswahrnehmung und Regulierung entwickelt, die ihnen erlauben, bei ihrem Wachstum die wechselhaften Bedingungen zu berücksichtigen. Eine Ulme muss wissen, ob ihr Nachbar Schatten auf sie wirft und ihr die Sonne wegnimmt, damit sie einen Weg findet, dem erreichbaren Licht entgegenzuwachsen. Ein Kopfsalat muss wissen, ob gefräßige Blattläuse im Begriff sind, ihn zu vertilgen, damit er zu seinem Schutz giftige chemische Stoffe erzeugen kann, die die Schädlinge töten. Eine Douglasie muss wissen, ob peitschende Winde an ihren Zweigen rütteln, damit sie einen entsprechend stärkeren Stamm ausbilden kann. Kirschbäume müssen wissen, wann sie blühen sollen, damit Blütezeit und Fruchtreife in die geeigneten Jahreszeiten fallen.

Auf der genetischen Ebene sind Pflanzen komplexer als viele Tiere, und eine ganze Reihe der wichtigsten Entdeckungen in der gesamten Biologie stammt aus der Erforschung der Pflanzen. Robert Hooke entdeckte 1665 als Erster Zellen, als er mit einem selbstgebauten Mikroskop Kork untersuchte. Im 19. Jahrhundert erarbeitete Gregor Mendel anhand von Erbsenpflanzen die Prinzipien der modernen Genetik, und Mitte des 20. Jahrhunderts zeigte Barbara McClintock an Maispflanzen, dass es sogenannte »springende Gene« gibt. Inzwischen weiß man, dass diese springenden Gene ein Merkmal jeglicher DNA und eng mit dem Auftreten von Krebs beim Menschen verknüpft sind. Und obwohl wir in Darwin vor allem einen der Gründerväter der modernen Evolutionstheorie sehen, fielen doch einige seiner wichtigsten Entdeckungen speziell in den Bereich der Pflanzenbiologie. In diesem Buch werden wir eine ganze Reihe von ihnen kennenlernen.

Meine Verwendung des Wortes »wissen« ist offenkundig unorthodox. Pflanzen haben kein Zentralnervensystem, eine Pflanze hat kein Gehirn, das Informationen für ihren gesamten »Körper« koordiniert. Dennoch sind die verschiedenen Teile aufs Engste miteinander verbunden, und Informationen über Licht, chemische Stoffe in der Luft und die Temperatur werden ständig zwischen Wurzeln und Blättern, Blüten und Stängel ausgetauscht, damit die Pflanze sich optimal auf ihre Umwelt einstellen kann. Wir können menschliches Verhalten nicht mit der Funktionsweise von Pflanzen in ihrer Welt gleichsetzen, aber ich möchte Sie bitten, mir freundlicherweise zu gestatten, dass ich im ganzen Buch eine Begrifflichkeit benutze, die normalerweise dem menschlichen Erleben vorbehalten ist. Wenn ich frage, was eine Pflanze sieht oder riecht, will ich damit nicht behaupten, dass Pflanzen Augen oder Nasen haben (oder ein Gehirn, das alle Sinneseindrücke mit Emotionen färbt). Aber ich glaube, diese Begrifflichkeit fordert uns dazu heraus, auf neue Weise darüber nachzudenken, was Sehen und Riechen ist, was eine Pflanze ist und letztlich auch, was wir sind.

Mein Buch ist nicht wie Das geheime Leben der Pflanzen; wenn Sie Argumente dafür suchen, dass Pflanzen genauso sind wie wir, werden Sie hier nicht fündig. Denn wie der namhafte Pflanzenphysiologe Arthur Galston schon 1974 erklärte, als das Interesse an diesem populären, aber wissenschaftlich mageren Buch auf dem Höhepunkt war, müssen wir uns vor »bizarren Behauptungen« in Acht nehmen, »die ohne angemessen stichhaltige Beweise aufgestellt werden.«4 Das Schlimme war, dass Das geheime Leben der Pflanzen nicht nur leichtgläubige Leser in die Irre führte, sondern sich auch in der Wissenschaft niederschlug und wichtige Untersuchungen über das Verhalten von Pflanzen im Keim erstickte, da die Forscher sich nun vor allen Studien hüteten, die Parallelen zwischen den Sinnen von Menschen, Tieren und Pflanzen auch nur andeuteten.

In den über 40 Jahren, die seit dem großen medialen Wirbel um Das geheime Leben der Pflanzen vergangen sind, haben Wissenschaftler ein weit tieferes Verständnis für die Biologie der Pflanzen erlangt. In Was Pflanzen wissen werde ich die neuesten Forschungen auf dem Gebiet der Pflanzenbiologie ausloten und behaupten, dass Pflanzen tatsächlich über Sinne verfügen. Dabei bietet dieses Buch keinesfalls einen erschöpfenden und vollständigen Überblick darüber, was die moderne Wissenschaft über die Sinne von Pflanzen zu sagen hat, denn das würde ein Werk erfordern, das allen außer einer Handvoll unerschrockener Leser verschlossen bliebe. Stattdessen beleuchte ich in jedem Kapitel einen unserer menschlichen Sinne und vergleiche, was dieser Sinn für uns bedeutet und was für Pflanzen. Ich beschreibe, wie die Sinneseindrücke wahrgenommen, wie sie verarbeitet werden und welche ökologischen Implikationen dieser Sinn für eine Pflanze hat. Außerdem werde ich in jedem Kapitel sowohl die historische Perspektive des Themas aufzeigen als auch die moderne Betrachtungsweise erläutern.

Vielleicht haben Sie Lust, sich in dem Wissen, was Pflanzen alles für uns leisten, einen Augenblick Zeit zu nehmen, um mehr darüber zu erfahren, was Wissenschaftler über sie herausgefunden haben. Gehen wir also auf die Reise und erkunden die Wissenschaft hinter dem Innenleben von Pflanzen. Als Erstes werden wir verraten, was Pflanzen, die unseren Garten bevölkern, eigentlich sehen.

Was eine Pflanze sieht

… obgleich an der Wurzel befestigt,

Dreht sie nach Sol sich herum und behält,

auch verwandelt, die Liebe.

Ovid, Metamorphosen

Halten Sie sich einmal vor Augen: Pflanzen sehen Sie.

Pflanzen überwachen ständig ihre sichtbare Umgebung. Sie sehen es, wenn Sie in ihre Nähe kommen, und wissen, wann Sie sich über sie beugen. Sie wissen sogar, ob Sie ein blaues oder ein rotes Hemd anhaben. Sie nehmen wahr, ob Sie Ihr Haus frisch gestrichen oder die Blumentöpfe von einer Seite des Wohnzimmers auf die andere gestellt haben.

Natürlich »sehen« Pflanzen nicht in Bildern, so wie Sie oder ich. Pflanzen können nicht zwischen einem Mann mittleren Alters mit einer Brille und sich lichtendem Haar und einem lächelnden kleinen Mädchen mit braunen Locken unterscheiden. Aber sie nehmen auf vielfältige Weise Licht wahr – und auch solche Farben, die wir uns nicht einmal vorstellen können. So »sehen« Pflanzen ultraviolettes Licht, das uns Sonnenbrände beschert, und auch Infrarotlicht, das uns durchwärmt. Pflanzen erfassen, ob es sehr wenig Licht gibt, wie etwa von einer Kerze, ob es gerade Mittag ist und ob die Sonne demnächst hinter dem Horizont verschwindet. Pflanzen wissen, ob das Licht von links, rechts oder oben kommt. Sie wissen, ob eine andere Pflanze über ihnen gewachsen ist und ihnen Licht wegnimmt. Und sie wissen, wie lange das Licht geleuchtet hat.

Kann man das alles nun als »Sehfähigkeit der Pflanze« bezeichnen? Überlegen wir zunächst einmal, was Sehen für uns ist. Stellen Sie sich jemanden vor, der blind geboren ist und seither in völliger Dunkelheit lebt. Nun erhält diese Person die Fähigkeit, zwischen Hell und Dunkel zu unterscheiden. Dann könnte sie zwischen Tag und Nacht, drinnen und draußen differenzieren. Diese neue Wahrnehmungsmöglichkeit würde ganz neue Funktionsebenen eröffnen und wäre sicherlich als rudimentäres Sehen einzustufen. Könnte dieselbe Person jetzt zusätzlich auch noch Farben erkennen, beispielsweise »oben Blau« und »unten Grün«, wäre das eine beträchtliche Verbesserung gegenüber einem Leben in Dunkelheit oder der Fähigkeit, nur Weiß oder Grau erkennen zu können. Eine solche fundamentale Veränderung – von völliger Blindheit zum Farbensehen – wäre für diese Person definitiv »Sehfähigkeit«.

Das amerikanische Wörterbuch Merriam-Webster’s definiert »Sehen« als »den körperlichen Sinn, mit dem vom Auge empfangene Lichtreize vom Gehirn interpretiert sowie zu einer Repräsentation der Position, Form, Helligkeit und normalerweise auch Farbe von Objekten im Raum zusammengesetzt werden.«5 Wir sehen Licht nur in dem Bereich, den wir als »sichtbares Spektrum« oder »Lichtspektrum« bezeichnen. »Licht« ist dabei ein umgangssprachliches Synonym für die elektromagnetischen Wellen im sichtbaren Spektrum. Das heißt, Licht hat Eigenschaften, die es auch mit allen anderen Arten von elektrischen Signalen wie Mikro- oder Radiowellen teilt. Radiowellen für Rundfunksendungen mit Amplitudenmodulation haben sehr große Wellenlängen, beinahe 800 Meter lang. Aus diesem Grund sind Radioantennen viele Stockwerke hoch. Im Gegensatz dazu sind Röntgenstrahlen extrem kurzwellig, eine Billion Mal kürzer als Radiowellen, deshalb durchdringen sie unseren Körper so leicht.

Lichtwellen liegen in einem schmalen Wellenlängenbereich dazwischen, ihre Wellenlängen reichen von 400 bis 700 Nanometer (milliardstel Meter). Blaues Licht ist am kurzwelligsten, rotes am langwelligsten, Grün, Gelb und Orange liegen dazwischen – genau in der Reihenfolge der Farbstreifen von Regenbögen. Diese elektromagnetischen Wellen »sehen« wir, weil unsere Augen mit speziellen lichtempfindlichen Proteinen und Sinneszellen namens Photorezeptoren ausgestattet sind, die diese Wellen empfangen und absorbieren können, gerade so wie Antennen Radiowellen absorbieren.

Die Netzhaut, die lichtempfindliche Schicht an der hinteren Innenseite unseres Auges, ist mit vielen Reihen dieser Rezeptoren bedeckt, so ähnlich wie es in Flachbildschirmen zahlreiche Reihen von LEDs oder in Digitalkameras Sensoren gibt. Jede Stelle der Netzhaut ist mit Photorezeptoren übersät: Die sogenannten »Stäbchen« sind für jegliches Licht empfindlich und daher für das Hell-Dunkel-Sehen zuständig; die unterschiedlichen Typen der »Zapfen« hingegen reagieren auf verschiedene Wellenlängen des Lichts. Die menschliche Netzhaut hat etwa 125 Millionen Stäbchen und 6 Millionen Zapfen, und zwar auf einer Fläche, die nur etwa so groß wie ein Passfoto ist. Diese riesige Anzahl von Rezeptoren auf einer so kleinen Fläche verschafft uns die hohe Auflösung der wahrgenommenen Bilder. Sie entspricht der Auflösung einer Digitalkamera mit 130 Megapixeln. Durchschnittliche Digitalkameras verfügen dagegen über lediglich 8 Megapixel, Outdoor-LED-Bildschirme weisen höchstens 10.000 LEDs pro Quadratmeter auf.

Stäbchen besitzen die höhere Lichtempfindlichkeit und ermöglichen es uns, auch in der Nacht und bei schwachem Licht zu sehen, allerdings nur schwarz-weiß. Für unsere Farberkennung sind – bei genügend hellem Licht – drei unterschiedliche Arten von Zapfen zuständig: die rot-, die grün- und die blauempfindlichen. Der Hauptunterschied zwischen diesen Photorezeptoren besteht in den spezifischen chemischen Stoffen, die sie enthalten. Diese Substanzen, die man bei den Stäbchen Rhodopsin und bei den Zapfen Photopsin nennt, haben eine spezifische Struktur, die sie befähigt, Licht verschiedener Wellenlängen zu absorbieren. Blaues Licht wird von Rhodopsin und dem blau-sensitiven Photopsin absorbiert, rotes Licht von Rhodopsin und dem rot-sensitiven Photopsin. Violettes Licht wird von Rhodopsin, blau-sensitivem Photopsin und rot-sensitivem Photopsin absorbiert, nicht aber von grün-sensitivem Photopsin usw. Haben Stäbchen oder Zapfen das Licht aufgenommen, senden sie ein Signal an das Gehirn, das dann alle Signale von den Millionen Photorezeptoren zu einem einzigen, zusammenhängenden Bild verarbeitet.

Blindheit kann die Folge von Störungen auf vielen Ebenen sein. Eine mögliche Ursache ist eine gestörte Lichtwahrnehmung der Netzhaut aufgrund eines physischen Defekts in ihrer Struktur oder bei der Erfassung des Lichts (beispielsweise wegen Problemen mit dem Rhodopsin und den Photopsinen). Oder es fehlt die Fähigkeit, die Information an das Gehirn weiterzuleiten. Menschen beispielsweise, die in Bezug auf die Farbe Rot farbenblind sind, haben keine rot-sensitiven Zapfen. Bei ihnen wird rotes Licht nicht absorbiert, und das Gehirn erhält keine roten Signale.

Das menschliche Sehen erfordert also Zellen, die das Licht aufnehmen, und ein Gehirn, das diese Informationen anschließend weiterverarbeitet, sodass wir reagieren können. Was aber geschieht bei Pflanzen?

Darwin als Botaniker

Vom Einfluss des Lichts auf das Pflanzenwachstum waren schon Charles Darwin und sein Sohn Francis fasziniert. Es ist wenig bekannt, dass Charles Darwin in den 20 Jahren nach der Veröffentlichung seines bahnbrechenden Werkes Über die Entstehung der Arten eine Reihe von Versuchen durchführte, die die Pflanzenforschung bis heute beeinflussen. In seinem letzten Buch, Das Bewegungsvermögen der Pflanzen, beschrieb Darwin die Beobachtung, dass sich fast alle Pflanzen dem Licht entgegenbiegen.6 Das sehen wir auch regelmäßig an Zimmerpflanzen, die sich den Sonnenstrahlen zuneigen, die durch das Fenster fallen. Dieses Verhalten nennt man Phototropismus. Im Jahr 1864 entdeckte ein Zeitgenosse von Darwin, Julius von Sachs, dass vorrangig blaues Licht die Pflanzen zum Phototropismus anregt, während sie im Allgemeinen blind für andere Farben sind, die sich auch kaum auf ihre Hinwendung zum Licht auswirken. Doch wie oder mit welchem Teil eine Pflanze das Licht sieht, das aus einer bestimmten Richtung kommt, das wusste damals niemand.

Mit einem sehr einfachen Versuch zeigten Darwin und sein Sohn, dass diese Neigung nicht auf die Photosynthese zurückzuführen war, also den Prozess, durch den Pflanzen Licht in Energie verwandeln, sondern vielmehr auf eine der Pflanze innewohnende Bereitschaft, sich auf Licht zuzubewegen. Für ihren Versuch zogen Darwin Vater und Sohn mehrere Tage lang in einem völlig dunklen Raum in einem Topf Kanariengras (Phalaris canariensis). Dann zündeten sie etwa zwölf Fuß von dem Topf entfernt eine sehr kleine Gaslampe an und hielten das Licht so schwach, dass sie »die Sämlinge selbst nicht sehen … noch eine Bleistiftlinie auf

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(1) Kanariengras (Phalaris canariensis).

Papier erkennen … konnten.«7 Aber nach lediglich drei Stunden hatten sich die Pflanzen sichtbar zu dem trüben Licht hingebogen. Die Krümmung fand immer an derselben Stelle des Sämlings statt, nämlich etwa 2,5 Zentimeter unterhalb der Spitze.

Diese Beobachtung führte die beiden Darwins zu der Frage, welcher Teil der Pflanze das Licht wahrnahm. Dazu führten sie ein Experiment durch, das zu einem Klassiker der Botanik wurde. Sie stellten die Hypothese auf, dass die »Augen« der Pflanze an der Spitze des Sämlings zu finden seien und nicht an der Stelle des Sämlings, an der er sich krümmt. Dann überprüften sie den Phototropismus an fünf verschiedenen Pflänzchen so, wie es die folgende Darstellung illustriert:

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(2) Darwins Experimente zum Phototropismus.

a   Auf den ersten Sämling wurde kein äußerer Einfluss ausgeübt.

b   Dem zweiten Sämling wurde die Spitze abgeschnitten.

c   Dem dritten wurde eine lichtundurchlässige Kappe übergestülpt.

d   Dem vierten wurde eine durchsichtige Glaskappe übergestülpt.

e   Beim fünften wurde der mittlere Teil mit einem lichtundurchlässigen Röhrchen bedeckt.

Diese Experimente wurden unter denselben Bedingungen mit den Sämlingen durchgeführt wie der anfängliche Versuch, und selbstverständlich bog sich der unbehandelte Sämling (a) zum Licht hin. Das bestätigte, dass die Bedingungen des Experiments zu Phototropismus führen. Auch der Sämling mit dem lichtundurchlässigen Röhrchen um die Mitte (e) bog sich dem Licht entgegen. Entfernte man jedoch die Spitze eines Sämlings (b) oder bedeckte sie mit einer lichtdichten Kappe (c), so konnte sie sich nicht mehr zum Licht neigen; sie schien »erblindet« zu sein. In der vierten Anordnung (d) bog sich der Sämling weiterhin dem Licht entgegen, obwohl seine Spitze von einer Kappe bedeckt war. Offensichtlich konnte trotz des Glases genügend Licht die Spitze der Pflanze erreichen.

Mit diesem einfachen Versuch, den Vater und Sohn 1880 veröffentlichten, bewiesen die Darwins, dass Phototropismus eine Folge davon ist, dass Licht auf die Spitze des Keimlings einer Pflanze fällt. Die Spitze sieht das Licht und leitet diese Information an den mittleren Teil der Pflanze weiter, um ihr mitzuteilen, sie solle sich in die entsprechende Richtung biegen. Damit hatten die Darwins erfolgreich nachgewiesen, dass Pflanzen zu rudimentärem Sehen fähig sind.

Maryland Mammoth: Der Tabak, der einfach weiterwuchs

Mehrere Jahrzehnte später tauchte in den Tälern des südlichen Maryland eine neue Art von Tabak auf und erweckte das Interesse daran, wie Pflanzen die Welt sehen, wieder zum Leben. In diesen Tälern lagen schon seit der Ankunft der Siedler am Ende des 17. Jahrhunderts einige der größten Tabakpflanzungen Amerikas. Die Tabakbauern lernten von Indianerstämmen wie den Susquehannock, die schon jahrhundertelang Tabak angebaut hatten, und säten im Frühling und ernteten im Spätsommer. Einige Pflanzen wurden nicht geerntet; man ließ sie zum Blühen kommen, um Saatgut für das nächste Jahr zu gewinnen. Im Jahr 1906 fiel den Bauern erstmals eine neue Art Tabakpflanze auf, die anscheinend unbegrenzt weiterwuchs. Sie konnte bis zu 4,5 Meter hoch werden, beinahe 100 Blätter hervorbringen und hörte erst auf zu wachsen, wenn Frost einsetzte. Auf den ersten Blick scheint eine derart robuste, immer weiterwachsende Pflanze ein Segen für Tabakbauern zu sein. Doch die Sorte, die man passenderweise »Maryland Mammoth« taufte, wuchs zwar unentwegt weiter, blühte aber fast nie, sodass

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(3) Tabak (Nicotiana tabacum).

die Bauern keine Samen für die Aussaat des Folgejahres gewannen.

Die Pflanze schien nicht zu wissen, wann sie nicht länger Blätter treiben, sondern stattdessen Blüten und Samen hervorbringen sollte. Im Jahr 1918 machten sich Wightman W. Garner und Harry A. Allard, zwei Wissenschaftler vom US-Landwirtschaftsministerium, auf die Suche nach dem Grund dafür.8 Sie setzten »Maryland Mammoth« in Töpfe. Einen Teil der Pflanzen ließen sie ständig draußen auf dem Feld, der andere wurde tagsüber ebenfalls aufs Feld gestellt, aber jeden Nachmittag in einen dunklen Schuppen gebracht. Das simple Begrenzen der Lichtmenge, die der zweite Teil der Pflanzen erhielt, hatte zur Folge, dass der Tabak nicht weiterwuchs, sondern Blüten bekam. Setzte man ihn also den langen Sommertagen aus, brachte er immer weiter Blätter hervor, doch verkürzte man seine Tage künstlich, so kam er zum Blühen.

Dieses Phänomen nennt man Photoperiodismus, und es war das erste starke Indiz dafür, dass Pflanzen messen, wie viel Licht sie aufnehmen.9 Bei weiteren Versuchen hat sich im Lauf der Jahre herausgestellt, dass viele Pflanzen genau wie Maryland-Mammoth-Tabak nur dann blühen, wenn der Tag kurz ist. Man nennt sie deshalb Kurztagpflanzen. Dazu gehören auch Chrysanthemen und Sojabohnen. Andere Pflanzen brauchen einen langen Tag, um zur Blüte zu gelangen, so bezeichnet man etwa Iris und Gerste als Langtagpflanzen. Diese Entdeckung bedeutete, dass die Bauern jetzt die Blüte nach den Erfordernissen ihres Zeitschemas manipulieren konnten, indem sie die Lichtmenge kontrollierten, die eine Pflanze erhielt. Bald kamen Bauern in Florida darauf, dass sie viele Monate lang Maryland-Mammoth-Tabak wachsen lassen konnten (ohne die Beeinträchtigung durch den Frost, den es in Maryland gab) und dass die Pflanzen irgendwann um die Mitte des Winters auf den Feldern blühen würden, wenn die Tage am kürzesten waren.

Welchen Unterschied ein (kurzer) Tag macht

Das Konzept des Photoperiodismus löste bei den Wissenschaftlern eine Flut von Aktivitäten aus. Zahlreiche Fragen drängten sich auf: Messen Pflanzen die Länge des Tages oder die der Nacht? Und welche Lichtfarben sehen Pflanzen?

Um die Zeit des Zweiten Weltkriegs entdeckten Forscher, dass sie Einfluss darauf nehmen konnten, wann Pflanzen blühen, indem sie einfach mitten in der Nacht das Licht ein- und ausschalteten. Sie konnten eine Kurztagpflanze wie die Sojabohne daran hindern, an den kurzen Tagen Blüten anzusetzen, wenn sie nachts nur einige Minuten lang das Licht anschalteten. Andererseits konnten sie eine Langtagpflanze wie die Iris dazu bringen, sogar an den kurzen Tagen mitten im Winter Blüten zu bilden, wenn sie sie mitten in der Nacht für wenige Augenblicke mit Licht versorgten. Diese Versuche bewiesen, dass die Pflanzen nicht etwa die Länge des Tages registrierten, sondern die Länge einer durchgängigen Periode von Dunkelheit.

Mithilfe dieser Technik können Blumenzüchter Chrysanthemen punktgenau zum Muttertag zum Blühen bringen: dem optimalen Tag, um sie schlagartig auf den Frühblühermarkt zu werfen. Muttertag ist im Frühling, Chrysanthemen blühen aber normalerweise im Herbst, wenn die Tage kürzer werden. Also ziehen die Chrysanthemenzüchter die Pflanzen im Gewächshaus und halten sie vom Blühen ab, indem sie den ganzen Herbst und Winter hindurch nachts einige Minuten lang das Licht einschalten. Ab zwei Wochen vor dem Muttertag dann bleibt das Licht nachts einfach aus, und alle Pflanzen setzen gleichzeitig Blüten an, sodass sie für die Ernte und den Versand bereit sind.

Die Wissenschaftler waren auch neugierig, welche Farbe das Licht hat, das die Pflanzen sehen. Bei ihren Tests entdeckten sie Überraschendes: Sämtliche Pflanzen, ganz gleich welche, reagierten in der Nacht ausschließlich auf einen roten Lichtblitz.10 Blaue oder grüne Lichtblitze während der Nacht hatten keinen Einfluss darauf, wann die Pflanzen blühten, doch wenige Sekunden roten Lichts wirkten sich aus. Die Pflanzen unterschieden also zwischen verschiedenen Farben: Sie nutzten blaues Licht, um festzustellen, in welche Richtung sie sich biegen mussten, und rotes Licht, um die Länge der Nacht zu registrieren.

Anfang der 1950er-Jahre machten Harry Borthwick und seine Kollegen von jenem Labor des US-Landwirtschaftsministeriums, in dem auch der Maryland-Mammoth-Tabak erstmals untersucht worden war, die erstaunliche Entdeckung, dass Dunkelrotlicht die Wirkung des roten Lichts auf die Pflanzen zunichtemachen kann.11 Dunkelrotlicht hat eine etwas größere Wellenlänge als Hellrotlicht und ist am häufigsten so gerade eben in der Abenddämmerung zu sehen. Setzt man Iris, die normalerweise in langen Nächten nicht blüht, mitten in der Nacht ein paar Sekunden lang rotem Licht aus, dann blüht sie so strahlend schön wie jede Iris in einem Naturschutzgebiet. Beleuchtet man sie jedoch direkt nach dem leuchtend roten Licht mit Dunkelrotlicht, dann ist es, als hätte sie überhaupt kein rotes Licht abbekommen. Sie blüht nicht. Bestrahlt man sie hingegen nach dem Dunkelrotlicht mit leuchtend rotem Licht, so erblüht sie. Taucht man sie dann wieder in Dunkelrotlicht, blüht sie nicht. Das Licht wirkt, als würde es einen Schalter umlegen: Hellrotes Licht schaltet die Blüte an, dunkelrotes knipst sie aus. Wenn man den Schalter schnell genug betätigt, geschieht überhaupt nichts. Die Pflanze erinnert sich gleichsam an die letzte Farbe, die sie gesehen hat.

Als John F. Kennedy zum Präsidenten gewählt wurde, hatten Warren L. Butler und seine Kollegen bereits bewiesen, dass für die Wirkung des hellroten und auch des dunkelroten Lichts ein einziger Photorezeptor in den Pflanzen verantwortlich war.12 Sie nannten diesen Rezeptor »Phytochrom«, das heißt »Pflanzenfarbe«. In einem ganz einfachen Modell ausgedrückt ist Phytochrom ein durch Licht aktivierbarer Schalter. Hellrotes Licht aktiviert Phytochrom und verwandelt es in eine Form, die für den Empfang von Dunkelrotlicht vorbereitet ist. Dunkelrotlicht deaktiviert das Phytochrom und bereitet es für den Empfang von hellrotem Licht vor. Das ist ökologisch außerordentlich sinnvoll, denn in der Natur ist das letzte Licht, das eine Pflanze am Ende des Tages sieht, dunkelrot, und das bedeutet für die Pflanze, sie soll jetzt »abschalten«. Am Morgen sieht sie hellrotes Licht und erwacht. Auf diese Weise »weiß« die Pflanze, wann sie zuletzt hellrotes Licht gesehen hat und reguliert ihr Wachstum entsprechend. Doch welcher Teil der Pflanze ist es genau, der das hell- und dunkelrote Licht zur Steuerung der Blüte sieht?

Aus Darwins Versuchen zum Phototropismus wissen wir, dass das »Auge« einer Pflanze an ihrer Spitze sitzt, die Reaktion auf das Licht jedoch im Stängel stattfindet. Daraus könnten wir schließen, dass das »Auge« für den Photoperiodismus ebenso an der Spitze der Pflanze sitzt. Doch überraschenderweise stimmt das nicht. Richtet man mitten in der Nacht einen Lichtstrahl auf verschiedene Teile der Pflanzen, dann entdeckt man, dass es genügt, nur ein einziges, beliebiges Blatt zu beleuchten, um die Blüte der gesamten Pflanze auszulösen. Wenn andererseits sämtliche Blätter entfernt und nur der Stängel und die Spitze übrig gelassen werden, ist die Pflanze für jegliche Form von Lichtblitzen »blind«, selbst wenn sie von oben bis unten angestrahlt wird. Wenn das Phytochrom in einem einzigen Blatt in der Nacht hellrotes Licht sieht, ist es, als würde die ganze Pflanze bestrahlt. Phytochrom in den Blättern empfängt die Lichtreize und initiiert ein mobiles Signal, das sich über die ganze Pflanze ausbreitet und das Erblühen auslöst.

Blinde Pflanzen im Zeitalter der Genetik

Wir Menschen haben vier Arten von Photorezeptoren in unseren Augen: Rhodopsin für das Hell-Dunkel-Sehen und drei Photopsine für das Sehen von Rot, Blau und Grün. Außerdem verfügen wir noch über einen fünften Lichtrezeptor, das Cryptochrom. Er reguliert unsere innere Uhr. Nun haben wir gesehen, dass auch Pflanzen vielfältige Photorezeptoren besitzen: So sehen sie richtunggebendes blaues Licht, was bedeutet, dass sie mindestens einen blauempfindlichen Photorezeptor haben müssen. Ihn hat man inzwischen als Phototropin erkannt. Und Pflanzen sehen hell- und dunkelrotes Licht, das über das Erblühen bestimmt. Das deutet darauf hin, dass sie zumindest über einen phytochromen Photorezeptor verfügen. Um festzustellen, wie viele Photorezeptoren Pflanzen genau besitzen, mussten die Wissenschaftler auf die Ära der Molekulargenetik warten, die erst einige Jahrzehnte nach der Entdeckung der Phytochrome begann.

Ein Vorstoß in diese Richtung wurde erstmals Anfang der 1980er-Jahre von Maarten Koornneef an der Universität Wageningen in den Niederlanden unternommen und später in zahlreichen Laboren wiederholt und weiterentwickelt. Er stützte sich zum Verständnis des Sehens bei Pflanzen auf die Genetik.13 Koornneef stellte eine einfache Frage: Wie würde eine »blinde« Pflanze aussehen? Pflanzen, die im Dunkeln oder bei schwachem Licht heranwachsen, werden höher als solche, die im Hellen wachsen. Falls Sie sich je im Biologieunterricht bei einem naturwissenschaftlichen Versuch um Bohnensprossen gekümmert haben, dann wissen Sie, dass die Pflanzen im Wandschrank hoch, dünn und gelb, die auf dem Spielplatz draußen jedoch klein, kräftig und grün werden. Es ist ja auch sinnvoll, dass Pflanzen, die versuchen, aus der Erde ans Licht zu gelangen, oder die im Schatten stehen und den Weg zu unbehindertem Licht suchen müssen, sich normalerweise im Dunkeln strecken. Sollte Koornneef also eine Pflanze finden, die aufgrund einer Mutation blind ist, dann wüchse sie vielleicht auch bei hellem Licht hoch. Gelänge es ihm dann, blinde Pflanzenmutanten zu identifizieren und zu züchten, könnte er mithilfe der Genetik untersuchen, was bei ihnen nicht in Ordnung ist.

Koornneef führte seine Versuche an der Arabidopsis thaliana durch, einer im Labor gezüchteten Kleinen Ackerschmalwand, die zu den Kreuzblütlern zählt. Er behandelte eine Partie von Arabidopsis-Samen mit einer chemischen Substanz, von der bekannt ist, dass sie Mutationen in der DNA auslöst (und bei Laborratten auch Krebs verursacht), zog dann Sämlinge unter verschiedenfarbigem Licht und hielt Ausschau nach mutierten Pflanzen, die höher wurden als die anderen. Er fand viele. Manche der Mutanten wurden unter blauem Licht höher, erreichten aber unter rotem Licht nur ihre normale Größe. Andere wurden unter rotem Licht größer, blieben aber unter blauem normal. Einige wurden unter UV-Licht höher, entwickelten sich aber unter allen anderen Lichtfarben normal, und wieder andere wurden unter rotem und blauem Licht höher. Einige wenige wurden nur unter schwachem Licht höher, andere nur bei normaler Helligkeit.

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