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Über dieses E-Book

Ungarn, 1594: Hoffnungsvoll begibt sich die junge Adlige Susanna von Weißenburg an den Hof der ungarischen Gräfin Elisabeth Báthory-Nádasdy. Fasziniert und geblendet von der Pracht des Hochadels, folgt Susanna Elisabeths falschen Verlockungen. Doch als der Bruder der Gräfin ermordet aufgefunden wird, verurteilt man Susannas treuen Diener als Mörder. Auf sich selbst gestellt, gerät auch sie in ein Netz aus Intrigen und Verrat. Trotz der seltsamen Vorgänge im Schloss, der nächtlichen Todesschreie und Elisabeths zwei Gesichtern, ignoriert Susanna zunächst alle Warnungen – bis sie schließlich der scheinbar grenzenlosen Macht der Gräfin ausgeliefert ist …

Impressum

dp Verlag

Überarbeitete Neuausgabe Juni 2020

Copyright © 2020 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Made in Stuttgart with ♥
Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-965-7
Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-112-8

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur erzähl:perspektive, München.

Copyright © Juni 2015, Acabus Verlag
Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits Juni 2015 bei Acabus Verlag erschienenen Titels Die Magnatin (ISBN: 978-3-86282-364-2).

Covergestaltung: Buchgewand
unter Verwendung von Motiven von
depositphotos.com: © AndrewLozovyi, © DragosCondreaW, © RoyStudio, © 4masik
shutterstock.com: © haveseen
Korrektorat: Katja Wetzel

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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dp Verlag

 

 

 

„Es ist eine maßlose Freiheit, zu töten, um sich selbst zu gebären.“

Jean-Paul Sartre, Die schmutzigen Hände

Handelnde Personen

Susanna von Weißenburg: Eine verarmte sächsische Adlige

 

Gräfin Elisabeth Báthory-Nádasdy: Die Blutgräfin

 

Graf Franz Nádasdy: Elisabeths Mann, der „Schwarze Ritter“

 

Gabor Báthory: Elisabeths Neffe

 

Stefan Báthory: Elisabeths Bruder

 

Anna, Katharina und Paul: Elisabeths und Franz’ Kinder

 

Graf Niklas von Zrinyi: Annas Ehemann

 

Graf Georg Drugeth von Homonna: Katharinas Ehemann

 

Graf Emmerich Megyery: Freund und Vertrauter des Grafen

 

Graf Georg Thurzo: Palatin und oberster Richter von Ungarn

 

István Magyari: Pastor von Sárvár

 

Rudolf II.: Kaiser des Heiligen Römischen Reiches

 

König Matthias II. von Ungarn: Rudolfs Bruder, später Kaiser

 

Anna Darvulia: Amme, erste Hofdame und engste Vertraute der Gräfin

 

Dorothea Szentes (Dorkó): Dienerin der Gräfin

 

Katharina Beneczky: Dienerin der Gräfin

 

Ilona Jó: Kindermädchen

 

Marika: Ilonas Tochter

 

Johannes Ujvári (Ficzkó): Diener der Gräfin

 

Katica: Zofe der Susanna von Weißenburg

 

Obwohl diesem Buch wahre historische Begebenheiten, Schauplätze und Namen zugrunde liegen, soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sämtliche geschilderten Ereignisse frei erfunden sind. In besonderem Maße gilt das für die meisten Handlungen und Äußerungen der auftretenden oder erwähnten Personen, auch wenn einige von ihnen in historischen Quellen belegt werden.

Darüber hinaus sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig.

I. Kapitel

Der Tag, an dem mein Vater beschloss, mich an den Hof der Gräfin Elisabeth Báthory, Ehefrau des hochedlen Grafen Franz Nádasdy, zu schicken, liegt viele Jahre zurück. Der Leser muss mir verzeihen, sollte es mir schwerfallen, mich an jede Einzelheit zu erinnern. Angst und Schrecken beherrschten mein Leben und ich fühlte mich zum Sterben müde.

Eines aber ist mir noch gut im Gedächtnis geblieben – man rühmte im Beisein meines Vaters Gräfin Báthorys Gemüt, ihre Haushaltsführung, ihre untadelige Art und ihre Rechtschaffenheit ebenso wie den großen Anteil, den die Gräfin am Leben der jungen Mädchen ihres Hofstaates nahm. Alles, was man ihm über die ungarische Magnatin berichtete, ließ ihn davon überzeugt sein, dass er keinen Missgriff tat, als er sich dazu entschloss, mich in ihre Dienste zu geben. Mein Vater war zwar ein sächsischer Adliger, dennoch führten wir ein hartes und entbehrungsreiches Leben in den Karpaten Siebenbürgens. Denn auch dort konnte man als Adliger ohne Geld nicht in die höheren Ränge aufsteigen.

Unsere Familie war viele Jahre lang bis über beide Ohren verschuldet gewesen, sodass mein Vater sogar gezwungen gewesen war, nicht nur Ländereien, sondern auch seine gesamte Kriegsausrüstung zu verkaufen. Es musste ihn sehr geschmerzt haben, denn wir verdankten unseren Besitz meinem Großvater, der sich unter Istvan Báthory von Ecsed bei der Schlacht auf dem Brodfeld 1479 als Ritter so löblich hervorgetan hatte, dass ihm der König für seine Treue ein Lehen in Hermannstadt, der Stadt der sieben vornehmen Festungen, geschenkt hatte.

Um es meinem Großvater gleichzutun oder vielleicht auch nur, um etwas von dem einstigen Ruhm und Glanz zurückzuholen, war mein Vater in seine Fußstapfen getreten und hatte einige Zeit unter der Flagge von Elisabeth Báthorys Onkel Stephan IV., des Großfürsten von Polen-Litauen und Siebenbürgen, gekämpft. Er erzählte mir oft von der Belagerung von Pskow, als er mit fünfzigtausend Königsgetreuen fast ein halbes Jahr vor den russischen Stadttoren ausgeharrt hatte. Für den polnisch-litauischen König aus der Báthory-Linie hätte mein Vater sein Leben gegeben. Kein Wunder, denn schließlich hatte sich dieser mit dem türkischen Sultan einen blutigen Kampf um unser Siebenbürgen geliefert und sich anschließend ganz ohne Blutvergießen Livland vom Zaren gesichert.

Aber hier soll es um meine eigene Geschichte gehen.

Vor diesem Hintergrund also war es nicht verwunderlich, dass mein Vater sich nichts sehnlicher wünschte, als dass seine geliebte Tochter eine Ausbildung am Hof der Nichte Stephans anträte, um die Verbindung zu dem hohen Haus Báthory aufrechtzuerhalten.

Meine Familie, derer von Weißenburg, war wie alle in Hermannstadt lebenden Sachsen aufgrund eines Goldenen Freibriefs mit weitreichenden Privilegien unserer Stadt stark verbunden. Immerhin zählte ein Urahn derer von Weißenburg zu den ersten eingewanderten sächsischen Rittern und somit zu den Mitbegründern der Sieben Stühle, deren Hauptstuhl Hermannstadt war. Des Weiteren zählte zu den Stühlen auch die Stadt Schäßburg.

Meine Kindheit verbrachte ich behütet und umsorgt im Schoße einer liebenden Familie, zwischen Weinbergen, Kühen, Ziegen und Schweinen. Ich balgte mich mit unseren Hirtenjungen und lernte frühzeitig, wie ein Mann im Sattel zu sitzen. Mein unverwüstliches Temperament verdankte ich wohl meiner Amme, einem derben Weib mit türkischem, slowenischem und rumänischem Blut in den Adern, mit deren Milch ich zugleich die Leidenschaft für die wildromantische Schönheit des dicht bewaldeten, unwegsamen Karpatenlandes einsog.

Alsbald rückte der Tag der Abreise heran. Unsere Dienerschaft belud geschäftig die Kutschen und Maultiere, meine Mutter packte in der Küche luftgetrockneten Speck, Brot, Striezel und aus Pflaumen gebrannten Schnaps für die Reise ein. Mein Vater wählte die Männer zu meinem Schutze aus. Währenddessen nutzten Johannes und ich die noch verbleibende Zeit zu einem Ritt durch die Wälder.

Johannes war mein engster Freund und Vertrauter. Er war das siebte Kind unseres Verwalters und schon bei uns auf dem Hof nannte ihn jeder wegen seines geringen Körperwuchses Ficzkó – „kleines Bürschlein“. Ein Name, der ihm sein Leben lang wie ein Fluch anlastete und ihn rasend vor Wut werden ließ, wenn man ihn ihm gar zu oft nachrief. Johannes war ein lebhafter junger Mann mit kräftiger Gesichtsfarbe, schwarzem Haar und einer für seine fünfzehn Jahre erstaunlichen Kraft und Gewandtheit, die an eine Raubkatze erinnerte. Er war immer gesprächig, lachte gern und fühlte sich am wohlsten, wenn er auf einem sattellosen Pferderücken saß. Er war ein liebenswerter Junge, der wohl ein wenig in mich verliebt war, denn es kam immer öfter vor, dass er Flöten aus Buchenholz für mich schnitzte oder Adonisröschen von den Berghängen sammelte, um mir damit eine Freude zu bereiten.

Es war einer dieser goldenen Herbsttage, an denen die Natur noch einmal in aller Schönheit erstrahlte, bevor die tristen, düsteren Nebel und kalten Schauer den harten Karpatenwinter ankündigten. Rote und gelbe Blätter tanzten durch die Luft, ein milder Wind trieb sie über die endlosen Wiesen, und die Eichhörnchen vergruben geschäftig ihre Vorräte. Am strahlend blauen Himmel war kein Wölkchen zu sehen. Johannes und ich jagten wie übermütige Kinder im Galopp über die Wiesen und Felder. Angst hatten wir keine, obwohl man uns auch an diesem Tag davor gewarnt hatte, nicht allzu weit in den Wald hineinzureiten. Man war nie vor versprengten osmanischen Reitern sicher, die im Sklavenhandel ihr Geschäft sahen und oftmals mordend und brandschatzend bis weit in die Gebiete der Sieben Stühle vordrangen. Aber in unserer Jugend kannten wir so wenige Gefahren. Die Welt war für uns ein Abenteuer.

Wir ritten an den letzten noch nicht abgeernteten Haferfeldern vorbei. Es war kaum ein Ort unter dem Himmel zu finden, in dem das Getreide dicker und höher wuchs als bei uns in Siebenbürgen. Übermütig, von der Vorfreude beseelt, am Hof der Gräfin bald ein Teil der vornehmen Gesellschaft zu sein, lenkte ich uns durch die Weinberge, immer tiefer in das felsige Gebirge hinein. Keiner von uns bemerkte, dass wir uns viel zu schnell der ungarischen Grenze näherten.

„Wir kommen, heiliges Land!“, rief Johannes und breitete übermütig die Arme aus, als wir auf einem Felsvorsprung unsere Pferde zügelten und die weiten Schluchten und Pässe der Karpaten sich unter uns ausbreiteten. Johannes’ schwarzes Haar glänzte wie das seines Pferdes in der Sonne und unter dem weißen Leinenhemd zeichnete sich deutlich sein muskulöser Körper ab. Ich glaube, auch ich schwärmte heimlich, wie alle Mädchen aus unserem Dorf, für ihn und stellte mir vor, wie es wäre, von ihm geküsst zu werden. Dass ich einen ganzen Kopf größer war als er, störte mich wenig, weil ich ihn fast nur auf dem Pferderücken kannte und daher mit anderen Augen sah. Niemals hätte ich mir damals vorstellen können, welch grausame Bestie in seiner noch knabenhaften Seele schlummerte, die nur darauf wartete, geweckt zu werden.

Unsere Pferde tänzelten und schnaubten ungeduldig, über uns kreiste majestätisch ein riesiger Adler, während der Wind in den Baumkronen spielte und unzählige Vogelstimmen uns ihr Abschiedsständchen zwitscherten. Wir fassten uns an den Händen, um der prachtvollen Landschaft zu huldigen und stimmten mit einem rumänischen Wiegenlied in das Gezwitscher ein, als plötzlich etwas die friedliche Naturidylle störte.

Unterhalb des Felsvorsprungs preschte eine Gruppe Reiter aus dem Wald und jagte über eine Lichtung hinter einem Hirsch her. Plötzlich brach eines der Pferde vor einem Hindernis aus, bäumte sich auf und lief in die entgegengesetzte Richtung davon.

Johannes schirmte seine Augen mit der Hand ab, um in der hellen Sonne besser sehen zu können. „Ungarische Jäger. Ihren Gewändern nach von fürstlichem Geblüt“, bemerkte er ruhig, während mein Blick aufmerksam dem einzelnen Reiter folgte. „Wie es aussieht, steckt einer von ihnen in Schwierigkeiten. Wenn er es nicht schafft, sein Pferd zu zügeln, läuft es in die Silbermine unter uns und er wird sich zwischen den Felsen zu Tode reiten“, stellte ich fest, während Johannes mit einer Hand sein tänzelndes Pferd bändigte und mit der anderen auf den sich durch das Gebirge schlängelnden Bachlauf wies. „Seht, Komtesse, das fischende Lumpenbündel dort unten wird das Pferd wohl erschreckt haben!“

Mein Blick folgte seinem ausgestreckten Arm bis zu einer gebückten Gestalt im Bachwasser, dann beobachtete ich wieder das Pferd, das der Schlucht immer näher kam. Das Verhalten der anderen Reiter verwunderte mich zutiefst. Ein Teil von ihnen war abgesessen und kümmerte sich um das erlegte Wild, doch der untätige Rest machte keine Anstalten, das durchgehende Pferd aufzuhalten.

Da Fremde auf sächsischem Boden Gefahr bedeuteten, hätten wir es normalerweise bei unseren Beobachtungen belassen und wären wieder heimwärts geritten. Doch bei den Männern handelte es sich um Ungarn, keine Fremden für uns Sachsen aus Siebenbürgen. Heute kann ich nicht mehr genau sagen, ob es der Teufel war, der mich in diesem Moment ritt, oder der Umstand, dass es sich bei den Männern um herrschaftliche Jäger handelte. „Der Reiter rast in die Mine, wir müssen ihn warnen!“, rief ich Johannes zu. Ich wartete seine Antwort nicht ab, riss mein Pferd herum und preschte den Abhang hinab. Es dauerte nicht lange, bis ich Johannes’ Pferd hinter mir schnaufen hörte.

„Ich reite einen Bogen, dann können wir ihn besser aufhalten!“, schrie er, doch in der Schlucht war plötzlich kein Reiter mehr zu sehen. Johannes tauchte wieder zwischen den Felsen auf, ohne eine Spur des Mannes gefunden zu haben. Nachdem wir einige Minuten ziellos umhergeirrt waren, gab er auf. „Wir reiten besser zurück. Man wird schon nach uns suchen.“ Er wollte sein Pferd antreiben, doch im gleichen Augenblick ließ uns ein markerschütternder Schrei erstarren. Selbst unsere Pferde spitzten die Ohren und schienen einen Moment wie am Boden festgewachsen.

Der Schrei zerriss die Stille der Berge und unser gesunder Menschenverstand riet uns, schnellstmöglich umzukehren. Doch genau in diesem Moment tauchte wie aus dem Nichts der ungarische Reiter wieder auf. Er kam aus einem Hohlweg auf uns zu geritten.

Einen Augenblick lang schien es so, als ob auch er überrascht wäre, hier in der Wildnis auf Fremde zu treffen, dann sprach er uns auf Ungarisch an und hob drohend seine Reitpeitsche. Noch hätten wir fliehen können, immerhin war uns jeder Stein und Baum in der Gegend bekannt, ein großer Vorteil jedem Eindringling gegenüber. Doch Johannes, ausgerechnet mein wilder Johannes, der bei ähnlichen Gelegenheiten normalerweise schnell aus seiner Haut fuhr, saß vom Pferd ab und beugte zu meinem Erstaunen das Knie vor dem Reiter. In bestem Ungarisch, das wir beide als Zweitsprache beherrschten, da die Nähe zur ungarischen Grenze es verlangte, machte er dem Mann in der Pelzmütze, der eng geschnürten Jacke und dem schwarzen Schaffell über den Schultern seine Aufwartung. Das Schuhwerk des Fremden ließ osmanischen Einfluss erkennen. Auch der Magnatensäbel, den er an seiner Seite trug, war türkisch. Aber nicht nur mir, auch Johannes schien jetzt das Wappen der Báthorys am Säbelgriff aufgefallen zu sein: ein Drache, der drei Drachenzähne umschloss.

„Ich bin der Begleiter der Komtesse von Weißenburg, Eure Hoheit“, stellte Johannes sich vor und log zu unserer Sicherheit.

„Wir befinden uns auf der Suche nach einem unserer Hunde. Er ist uns im Wald entlaufen. Verzeiht unser unbedachtes Handeln, wir hatten nicht vor, das Jagdvergnügen Eurer Hoheit zu stören.“

Das Gesicht des noch jungen Mannes entspannte sich. Ja, es glitt sogar ein Lächeln über die feinen, etwas unruhigen Züge, als er mir, nach einer eingehenden Betrachtung meiner weiblichen Formen, mit einer knappen Kopfbewegung einen wohlwollenden Gruß entgegenbrachte. Ich hielt dem feurigen Blick seiner schwarzen Augen stand. Während ich überlegte, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte, gab er seinem Pferd die Sporen und bedeutete uns, ihm zu folgen. Gehorsam preschten wir hinter dem jungen Herrn her, der nun auf die Reitergruppe im Tal zusteuerte. Allerdings waren es weniger das Hundegebell und die Zurufe der Jäger, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zogen, als vielmehr ein Geräusch wie von klatschenden Schlägen und ein Wimmern, wie das eines geprügelten Hundes. Diener oder Leibeigene zu prügeln gehörte für die ungarischen Herrscher zum Alltag. Uns Sachsen, ob nun in Hermannstadt, Kronstadt oder Deutschkreuz, war es allerdings strengstens verboten. Dennoch setzten sich immer wieder einige Adlige über das Gesetz hinweg und bestraften die Vergehen ihrer Dienerschaft hinter verschlossenen Türen mit Schlägen. So war der Anblick, der sich uns beim Näherkommen bot, zunächst nichts Ungewöhnliches für uns. Dennoch war ich entsetzt, dass es eine junge Frau war, die so unbarmherzig mit der Reitpeitsche auf einen wehrlosen Menschen einschlug. Das Bündel durchnässter Lumpen in dem Bachlauf zeigte kaum noch Gegenwehr gegen die wie ein Gewitter niederprasselnden Schläge. Die Gestalt versuchte lediglich, mit den Armen den Kopf zu schützen. Die Jagdgesellschaft schien kaum Notiz von dem Vorfall zu nehmen, was mich erneut in Erstaunen versetzte. Stattdessen waren die Männer damit beschäftigt, den erlegten Hirsch für den Heimweg sicher zu verschnüren. Dazu hatten sie sich lange Astgabeln besorgt, an die sie das Tier mit den Beinen kopfunter banden. Man wurde erst auf uns aufmerksam, als unser ungarischer Begleiter dem prügelnden Weib zurief: „Lass es genug sein, Tante Elisabeth, wir wollen Lockenhaus noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Sieh lieber, wen ich dir mitgebracht habe. Die Komtesse von Weißenburg. Ist das nicht ein Zufall?“

Die junge Frau, die breitbeinig über ihrem Opfer gestanden hatte, drehte dem Grafen ihr Gesicht zu und sprang dann mit einem kühnen Satz an die Uferbefestigung. Sie griff nach den Zügeln ihres Pferdes und kam, die Peitsche langsam schwingend, neugierig auf uns zu. Je näher sie uns kam, desto mehr überraschte sie mich. Anstatt dass, wie man vermutet hätte, ihre Züge vom Zorn gerötet waren oder zumindest Spuren der Anstrengung aufwiesen, wirkte ihr Gesicht auf mich eher entspannt und fröhlich. Aber was mich am meisten an ihr faszinierte, war dieser kindliche Ausdruck in den übergroßen, schwarzen Augen. Sie war zweifellos eine Schönheit. Ihr Gesicht war mir bereits von dem Gemälde bekannt, das der Kurier meinem Vater zusammen mit dem Vertrag für meine Ausbildung überbracht hatte. Deshalb fiel ich nicht gleich aus allen Wolken, als sie mir als Gräfin Elisabeth Báthory-Nádasdy vorgestellt wurde. Schon allein ihr prunkvoller Kleidungsstil verriet mir, dass tatsächlich die ungarische Magnatin vor mir stand. Sie war, wie ein Mann, in einen bis zum Boden reichenden, weiten, am Saum mit Gold und Perlen bestickten, ungarischen Magnaten-Mantel gekleidet. Darunter trug sie, genau wie ihr Neffe, eine bestickte, eng geschnürte und hoch geschnittene Jacke, weite gerade Hosen, die von einem goldenen Spangengürtel gehalten wurden, und kostbar bestickte osmanische Stiefel. Eine perlengeschmückte Haube zierte das am Kopf zu einem Zopf gebundene Haar der offensichtlich verheirateten ungarischen Frau. Ich war mir nicht sicher, wie ich mich richtig verhalten sollte. Einerseits drängte es mich, einfach wegzureiten, andererseits hielt mich dieser kindliche und zugleich gebietende Blick, von dem eine seltsame Macht ausging, auf der Stelle gefangen. Ich warf einen heimlichen Blick zu Johannes, auf den die junge Frau anscheinend die gleiche Faszination ausübte. Verträumt, fast anbetungsvoll, ruhten seine dunklen Augen auf ihrem Gesicht. Ach, wäre doch die Jugend mit der Weisheit der Älteren ausgestattet! Dann hätte ich rechtzeitig hinter die schöne Stirn geblickt und die trügerischen Worte der Gräfin wären uns nicht zum Verhängnis geworden. Aber wir waren jung und vor uns stand eine ungarische Herrscherin, eine Frau, die es gut mit einem König aufnehmen konnte. Hinzu kam, dass auf ihrem Gesicht noch der Reiz der Jugend lag und ihre prächtigen Kleider uns einen Vorgeschmack auf den zu erwartenden Glanz an ihrem Hof gaben. Nachdem die Verwunderung über das Auftauchen Fremder von ihrem Gesicht gewichen war, wechselte sie mit ihrem jungen Begleiter einen fragenden Blick. Gleich darauf begrüßte sie mich mit ihrer angenehmen Stimme: „Nein, was für ein Zufall, die Komtesse von Weißenburg, Euch hier in den Wäldern anzutreffen. Ich hatte Euch erst in einer Woche an meinem Hof erwartet. Man hat mir gesagt, dass Ihr sehr hübsch seid und bei mir in den weiblichen Tugenden und gesellschaftlichen Künsten geschult werden möchtet. Mein Sekretär hat nicht übertrieben. Ihr seid wirklich von solcher Anmut, dass einem bei Eurem Anblick das Herz aufgeht.“ Sie sprach schnell, so, als befürchte sie, man würde ihr nicht bis zu Ende zuhören, und wich meinem offenen Blick aus. Heute, nachdem ich viele Jahre im Dienst der Gräfin verbracht habe, weiß ich, dass sie schon zu diesem Zeitpunkt krankhaft selbstverliebt gewesen sein musste. Dass sich jedoch hinter ihrer narzisstischen Maske eine tief verunsicherte Frau verbarg, die unter sich selbst litt, ahnte ich damals noch nicht. Ich hatte später immer das Gefühl, dass sie versuchte, ihr schwaches Selbstbild zunehmend durch ihr brutales Verhalten zu ersetzen. Aber schon bei dieser, unserer ersten Begegnung verstand sie es meisterhaft, ihre Unsicherheit hinter einer bezaubernden Liebenswürdigkeit zu verbergen. „Mein Neffe Gabor teilte mir gerade mit, dass Ihr Euer Leben für mich riskiert habt, Komtesse? Sagt, wie kann ich Euch nur dafür danken?“

Mein Blick wanderte etwas verstört von ihr zu ihrem Begleiter, bevor ich ihr antwortete: „Euer Gnaden, wir waren der Meinung, der junge Herr stecke in Schwierigkeiten.“

„Gabor?“ Sie lachte mit einem tiefen Glucksen. „Ach, mein Neffe ist mir nur nachgeritten, weil mein Pferd vor einem alten Weib scheute, das sich mir in den Weg gestellt hat.“ Ich sah an ihren Zügen, dass sie die unliebsame Begegnung abzuschütteln versuchte.

„Dann war es Euer Pferd, Euer Gnaden, welches auf die Schlucht zu jagte?“ Überrascht über diese Neuigkeit machte ich einen Knicks vor ihr. Doch sie hielt mich lächelnd auf und sagte, mit einem Augenzwinkern in die Richtung ihres Neffen: „Gabor hat immer noch nicht begriffen, dass ich besser reiten kann als er, dass es kein Pferd, überhaupt kein Wesen in Ungarn gibt, das sich meiner Hand, geschweige denn meiner Macht entziehen kann.“

Nach diesen Worten genoss sie sichtlich den Applaus ihrer Männer, die daran nicht sparten. Ihr Neffe Gabor errötete verlegen. Johannes, mit dem Vorrecht der Jugend, äußerte seine Meinung dazu auf seine Weise. „Dann seid Ihr zurückgeritten, um die Alte zu züchtigen und habt es in Kauf genommen, dass Euer Neffe sich in der Schlucht das Genick bricht? Und das findet Ihr noch lustig?“

Unter anderen Umständen hätte ihn das sicher das Leben gekostet. Doch Elisabeth quittierte seine Äußerung nur mit einem süßlichen Lächeln.

„Ich habe ihn nicht darum gebeten!“, entgegnete sie schnippisch. „Ihr beide habt ja ebenso euer Leben riskiert, oder nicht?“ Sie zwinkerte mir aus ihren kindlichen Augen zu.

„Dennoch, liebe Komtesse, weiß ich es zu schätzen, wenn sich jemand für mein Wohl einsetzt. Deshalb würde es mich glücklich machen, Euch nicht nur als meine Hofdame, sondern auch als meine Freundin an meinem Hof zu begrüßen.“ Mit einem Blick auf Johannes sagte sie: „Ihr habt einen sehr hübschen, aber sehr vorlauten Begleiter.“ Sie hob sein Kinn mit der Reitpeitsche so weit an, dass er ihr in die Augen sehen musste.

„Euer Diener gefällt mir, Susanna. Ich könnte ihn mir gut als meinen Pagen vorstellen.“ Der Gedanke schien sie zu amüsieren und so fragte sie Johannes: „Wie ist dein Name, mein kleiner Ficzkó …?“

Dass auch sie ihn „kleines Bürschlein“ nannte, war für Johannes mehr als nur eine Demütigung. Ob es nun beabsichtigt oder nur ein Zufall war, es hatte zur Folge, dass sich seine Muskeln unter dem Hemd spannten und seine Kieferknochen vor Anspannung ein Knacken ertönen ließen. Von der Verehrung für die schöne Frau war ihm nichts mehr anzusehen. Stattdessen fing er meinen Blick auf und ich sah ein verstecktes Lodern in seinen Augen. Jeden Moment konnte er die Beherrschung verlieren und sich zu etwas Unbedachtem hinreißen lassen. Ich weiß nicht, wie die Begegnung mit Elisabeth dann ausgegangen wäre, deshalb beschwor ich ihn mit flehenden Blicken, sich ruhig zu verhalten. Doch dann schickte der Zufall uns unerwartete Hilfe. Es war das geprügelte alte Weib, das niemand mehr beachtet hatte. Die Alte rappelte sich hastig auf und humpelte, auf ihren Stock gestützt, an uns vorbei zur Waldschneise. Doch der von den Schlägen geschwächte Körper war zu langsam und so verstellten ihr die Jäger den Weg, um sie mit ihren ungehobelten Scherzen zu traktieren. Schadenfrohes Gelächter begleitet von spöttischer Erniedrigung weckte das Interesse der Gräfin. Sie ließ von Johannes ab und begab sich in den Kreis ihrer Getreuen. Ich sah, wie sie die Hände in die Hüften stemmte und sich über die Bemerkungen der Männer vor Lachen ausschüttete. Meine Hochachtung der Gräfin gegenüber verbot mir, sie zurechtzuweisen, dennoch ärgerte mich ihr mangelnder Respekt vor der Schwächeren. Ein altes Weib zum Spielball ihrer Launen zu machen schien mir ihrer unwürdig. Als ich dann all meinen Mut zusammennahm und zu ihr trat, um Gnade für das Weib zu erbitten, richtete die Alte gerade drohend ihren Stock auf die Gräfin. Diese schien von dieser Reaktion so überrascht, dass sie verwundert innehielt und ihren Männern mit einem strengen Blick gebot, mit den Possen aufzuhören. Ich sah in ein von Falten gezeichnetes Gesicht mit dunklen Augenhöhlen. Das Weib war steinalt, doch schien ihr Mut, sich der mächtigsten Frau Ungarns entgegenzustellen, nicht nur bei mir Eindruck zu hinterlassen. Die Alte wagte es, Elisabeth mit ihrer Fistelstimme zu verfluchen. Die Worte des Weibes hörten sich wie eine unheimliche Prophezeiung an. „Ihr seid noch jung an Jahren, hohe Frau, und sehr schön. Aber Ihr seid ein Weib ohne Seele, ohne Erbarmen, eitel und selbstverliebt, eine Furie mit menschlichem Angesicht, die es nicht verdient, geliebt zu werden. Menschen wie Ihr bringen nur Unglück über das Volk. Seht Euch meine Wunden gut an, hohe Frau. Es sind die Spuren Eurer Peitsche. Doch eines Tages werdet Ihr ebenso alt und runzlig sein wie ich. Auch wenn Ihr mich jetzt totprügelt – mich wird meine Familie beweinen. Um Euch wird niemand trauern. Ihr werdet gehasst und einsam sterben.“

Im ersten Augenblick glaubte ich, das Weib wäre verrückt und ich fragte mich, wie verzweifelt ein Mensch sein musste, um sein Verderben zu besiegeln. Auf diese Beleidigung konnte nur eine weitere Prügelattacke folgen. Doch weit gefehlt – Die Gräfin rührte sich nicht. Und als sie ihr Gesicht ein wenig in meine Richtung drehte, sah ich, dass es aschfahl geworden war. Jegliche Farbe war daraus gewichen und in ihren Augen spiegelte sich Entsetzen. Wie ein verwirrtes Kind kam mir die Gräfin plötzlich vor, wie eines, das sich verlaufen hatte und den Heimweg nicht fand. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Fluch eines alten Weibes solch eine Wirkung auf diese mächtige Frau haben konnte. Ich erinnerte mich, davon gehört zu haben, dass die Gräfin an einer geheimnisvollen Krankheit litt. Ich fragte mich, ob es vielleicht etwas mit ihrem Erschrecken zu tun hatte. Doch zunächst war ich irritiert über ihr sprunghaftes Wesen und wollte einfach nur die Situation retten. Ich versuchte es mit tröstenden Worten, bis die Gräfin plötzlich meine Hände ergriff und warm umschloss. Eine Reaktion, mit der ich nicht gerechnet hatte. „Ihr seid wahrlich eine Freundin“, sagte sie lächelnd. „Wie gut, dass wir uns getroffen haben. In Eurer Nähe werde ich mich bestimmt wohlfühlen. Kommt rasch an meinen Hof. Ich erwarte Euch mit brennender Ungeduld!“

Ganz entgegen ihrem vorherigen Verhalten ließ sie die Alte nun ihres Weges ziehen und gab den Jägern das Zeichen zum Aufbruch. Diese Begegnung sollte der Beginn unserer jahrelangen Beziehung, geprägt von Liebe, Hass, Intrigen und Grausamkeiten, sein.

II. Kapitel

Die Reise nach Sárvár blieb mir in ziemlich unerfreulicher Erinnerung. Man hatte zu diesem Zweck unsere einzige Kutsche mehr schlecht als recht für die große Reise gerüstet. Am darauffolgenden Morgen, noch vor Sonnenaufgang, nahm ich mit meiner jungen Zofe in dem Wagen Platz. Ich wollte nicht ohne weibliche Begleitung reisen und Katica war als Gesellschafterin hervorragend geeignet. Das ungarische Mädchen mit deutschen Wurzeln war für mich mehr als nur eine treue Dienerin. Mit ihr verband mich eine fast geschwisterliche Freundschaft. Mein Vater hatte sie einst als Waise einem türkischen Sklavenhändler abgekauft und sie in meine Obhut gegeben. Dadurch erfuhr sie die gleiche Ausbildung wie ich und wuchs gemeinsam mit mir auf.

Furcht vor osmanischen Überfällen brauchte ich auf der Reise nicht zu haben. Allein Johannes’ Anwesenheit wirkte beruhigend auf mich. Ich verließ mich ganz auf seine Kraft und seine Gewandtheit. Er ritt einen temperamentvollen Friesen mit spanischem Blut und führte ein ebensolches Tier, mein Reitpferd, an der Hand mit sich. Mein Vater hatte uns die beiden Tiere zum Abschied geschenkt. Ach, hätte er nur geahnt, in welche Löwengrube er seine einzige Tochter schickte, als er mich das letzte Mal an seine breite Brust gedrückt und mich mit den besten Segenswünschen in eine scheinbar glänzende Zukunft entlassen hatte. Begleitet wurden wir von vier bis an die Zähne bewaffneten, im Grenzschutz erfahrenen Heiducken. Drei ebenso in Waffen stehende Knechte meines Vaters folgten der Kutsche. Ein als Heiduck getarnter Knecht lenkte das Pferdegespann. Zwei mit Kisten und prall gefüllten Säcken beladene Lasttiere vervollständigten die kleine Karawane. In der Vorfreude auf das Leben am Hof der Gräfin Nádasdy hatte ich mir meine schönsten Kleider angezogen. Die hohe Frau sollte mir den armen sächsischen Adel nicht gleich auf den ersten Blick ansehen. Ich trug ein reich besticktes Kleid aus feinstem Gewebe, mit echter Goldstickerei, Spitzeneinsätzen an den Ärmeln und Samtstreifen am Rocksaum. Ein Pelzstreifen aus Silberfuchs umschloss den oberen Ausschnitt meines Leibchens gegen die morgendliche Kühle. So herausgeputzt wie ich war, schien ich sogar den Himmel zu ermuntern, denn alsbald lächelte die Morgensonne auf uns herab und verleitete die Männer rasch zur Ausgelassenheit. Sie plauderten unentwegt über Frauen, ein schier unerschöpfliches Thema für Johannes, der sich gerade auf der Schwelle vom Jüngling zum Mann befand und für den das weibliche Geschlecht mit seinen Qualitäten einen anregenden Gesprächsstoff bot. Jeder verehrte, seiner Herkunft entsprechend, eine andere und manchmal stritten sie um die Vorzüge ihrer gerade Auserwählten. Am Ende aber waren es immer die Lobpreisungen über die Gräfin, ihren unermesslichen Reichtum und ihre viel gepriesene Schönheit, die sie wieder vereinten. Ich muss gestehen, dass auch ich mich immer mehr von den zwanglosen Plaudereien über die Gräfin angesteckt fühlte, sodass ich, je näher wir unserem Ziel kamen, unsere Ankunft am ungarischen Hof kaum erwarten konnte und der tränenreiche Abschied von meinen Eltern bald in Vergessenheit geriet.

Zunächst aber gestaltete sich der Weg nach Westtransdanubien, der uns mitten durch die Gebirgszüge einer bezaubernden Mittelgebirgslandschaft führte, recht schwierig. Während wir in den höheren Berghängen dichte Laubwälder passierten, zwangen uns Felsbrocken in den niederen Schluchten immer öfter dazu, auszuweichen und nach neuen Pässen zu suchen. Als wir endlich das Tal erreichten, verdunkelte sich der Himmel über uns. Düster und drohend jagten, von einer Minute auf die andere, die Wolken über uns hinweg, als wollten sie uns mit aller Macht von unserer Reise abhalten. Nach kurzer Zeit lieferten sie sich eine regelrechte Hetzjagd am tiefgrau gefärbten Firmament. Zusätzlich zog ein gewaltiger Sturm auf, peitschte das Kutschendach und riss an den Packtaschen. Einige Male geriet die Kutsche so gefährlich ins Schlingern, dass ich mit Katica das schützende Gefährt verlassen musste. Über eine seichte Furt des Flusses Raab kämpften wir uns ans andere Ufer. Die schweren Kutschenräder versanken bis zum Einstieg in dem wässrigen, kaum befahrbaren Boden und die Pferde lagen keuchend im Geschirr. Die armen Tiere waren am Ende ihrer Kräfte. Ein Lasttier, mit Säcken und Kisten beladen, rutschte auf dem glitschigen Boden aus und brach sich ein Bein. Es schrie furchtbar. Wir mussten es absatteln und Johannes gab ihm den Gnadenstoß. Im Mündungsgebiet des Baches Gyöngyös, dort wo sich die Flüsse Güns und Raab vereinten, lagen wir uns nass in den Armen, als endlich unser Ziel, die Burg der Gräfin, vor uns auftauchte. Der prachtvolle Anblick des Burgschlosses mit dem ihn umgebenden, wunderschönen Garten ließ uns alle Anstrengungen vergessen. Selbst der düstere karolingische Friedhof und seine drohend aus kahler Erde ragenden Kreuze, die uns auf schaurige Weise hinterherzublicken schienen, als wollten sie uns vor etwas warnen, vermochten uns nicht mehr zu beeindrucken. Ich wusste nicht viel über die gewaltige Festungsanlage, die schon seit dem Jahr 1532 jedem Türkenangriff getrotzt hatte. Aber ich war heilfroh, als sich endlich, unter lautem Knarren und Rasseln, das Tor für uns öffnete. Das Portal war Teil des mächtigen Bergfrieds, der selbst einer Erstürmung durch einen übermächtigen Feind geraume Zeit standhielt. Das letzte Stück unserer Reise, die lange, teilweise überdachte, hölzerne Brücke, spannte sich in einem gewölbten Bogen über den Wassergraben und führte über einen herrlichen Park mit ausladenden Gemüsegärten.

Nachdem wir den Turm zum Innenhof passiert hatten, hielten wir zunächst nach einem Pferdeknecht Ausschau. Johannes erspähte in dem Gewühl des Burggeschehens alsbald einen Burschen und überließ ihm für einen ungarischen Forint unsere Pferde, die dringend Wasser und einen trockenen Stall benötigten. Seine weiten leinenen Hosen, das kurze Hemd, das ihm kaum bis unter die Brust ging und der große Hut, unter welchem zwei breite Zöpfe herunterhingen, verrieten uns den ungarischen Pferdehirten. Er winkte sogleich nach zwei weiteren Burschen, die ihren Auftrag mit einer fast hündischen Unterwürfigkeit erledigten. Nachdem wir uns davon überzeugt hatten, dass die Pferde in den Ställen mit Hafer und Wasser gut versorgt waren, beratschlagten wir, in welche Richtung wir unsere Füße setzen sollten. Das Innere des Burghofes zwischen dem Schloss und der Wehranlage hallte wider vom Lärm knarrender Wagenräder, Pferdegewieher und lebhaftem Stimmengewirr. Einen Augenblick lang ließ ich mich von dem bunten Treiben mitreißen. Ich war so fasziniert, dass ich sogar Katica, meine Zofe, vergaß, die sich ängstlich hinter meinem Rücken hielt. Es roch nach würzigem Gulyás, Braten, Fladenbrot und gebackenem Kuchen. Die Gerüche reizten meinen Magen, der nach der langen Reise sein Recht einforderte. Also begann ich, zwischen den Bratbuden und den mit bunten Tüchern behängten Karren nach etwas Essbarem zu suchen. Johannes dagegen zog es zu den massiven und mehrere Meter dicken Befestigungsmauern, die eine kegelförmig nach oben zulaufende, steinerne Brustwehr zierte.

„Ich habe den Grafen Báthory bei den schweren Kanonen entdeckt. Wir sollten zu ihm gehen!“, riet er mir und wies mit ausgestrecktem Arm zu den vorgelagerten Schanzen. „Seht dort, der hochgewachsene junge Mann zwischen den Kroaten in Leopardenfellen und den ungarischen und polnischen Husaren. Das müsste der Neffe der Gräfin sein. Sie alle tragen türkische Helme und schwere Säbel. Man möchte meinen, wir befänden uns unter den Osmanen. Was für ein buntes Volk.“

Jetzt bemerkte auch ich den jungen Mann in dem goldenen Brustpanzer und den kniehohen Lederstiefeln. Obwohl mein Magen noch immer knurrte, folgte ich Johannes durch das Gewühl von Händlern, Bauern und Wahrsagern zum Befestigungswall. Dazu durchquerten wir einen beidseitig offenen Wehrgang, der so breit war, dass zwei Männer nebeneinander gehen konnten. Im Moment war er überfüllt von bis an die Zähne bewaffneten Heiducken. Es kostete uns einige Mühe, zwischen ihnen hindurch zu gelangen. Mir war bekannt, dass die Männer in ihren schwarzen Heiduckenmützen bei den ungarischen Magnaten bessere Verdienstmöglichkeiten und Unterstützung im Kampf gegen die Osmanen hatten. Sie schenkten uns jedoch keinerlei Beachtung. Dafür stolperten wir über die Füße der Barbiere, die in den Mauervorsprüngen saßen und ihrer alltäglichen Arbeit nachgingen, dem Aderlass und Zahnreißen. Kanoniere mit den üblichen rasierten Schädeln und ihren in der Mitte belassenen schwarzen Zöpfen brachten die Geschütze vor den Wurflochreihen in Position. Aus ihren Zurufen entnahm ich, dass der benachbarte türkische Herrscher, der Beg, mit seinen Janitscharen einige Werst von der Burg entfernt zum Angriff aufgerückt war. Tage zuvor hatte der Beg den Stadtteil unterhalb der Burg in Brand stecken lassen. Mehr als 70 Häuser waren abgebrannt.

Plötzlich kam um uns herum Unruhe auf. Johannes hatte den jungen Grafen für einen Moment aus den Augen verloren und orientierte sich gerade neu, als mir das Herz stehen bleiben wollte. „Oh mein Gott, sieh nur, Johannes!“, schrie ich und wies auf das vorgelagerte Bollwerk, auf dessen Spitze man einen riesigen Pfahl errichtet hatte, an dem ein Mann gerade in den letzten Zügen seines Lebens hing. Mir fielen sofort wieder die Schauergeschichten meiner Amme über Graf Dragulea ein, mit denen sie früher gern meine kindlichen Streiche im Zaum gehalten hatte.

„Sie haben einen Mann gepfählt!“

Johannes’ Gesicht blieb unbewegt. Trotzdem sah ich, wie er zitterte und sein Kiefer sich verkrampfte, während er mich von der Mauer weg zurück in den Wehrgang zerrte. Mir drehte sich der Magen um und ich hätte mich gern kurz hingesetzt, dennoch ließ ich mich widerstandslos von ihm weiterführen.

An der breitesten Stelle der Geschützplattform entdeckten wir den jungen Báthory. Der Neffe der Gräfin stand mit dem Rücken zu uns und hatte sich über eine Gestalt gebeugt, die man nackt bäuchlings über ein Wagenrad geworfen hatte. Zwei Soldaten pressten gerade die Arme des Unglücklichen seitlich auf das Rad, ein Dritter drückte ihm die Faust ins Genick und zwei Männer mit nacktem Oberkörper und glänzenden Muskeln rissen seine Beine auseinander. Noch ehe sich meiner zugeschnürten Kehle ein Schrei entringen konnte, zog ein Husar einen angespitzten Pfahl aus dem Feuer und stieß dem Mann die glühende Spitze in den Anus. Der Gepeinigte schrie vor Schmerz, wie ich noch nie einen Menschen hatte schreien hören. Ein zweiter ohrenbetäubender Schrei endete für den Gequälten in einer Ohnmacht, es roch nach verbranntem Fleisch und ich verbarg erschüttert mein Gesicht in den Händen. Begleitet von dem lauten Jubelgeschrei der umstehenden Soldaten wurde der Pfahl nun aufgerichtet. „Tod dem Beg von Szigetvar!“, erklang es vielstimmig. „Gott, lass den Bruder des Begs lange leiden! Tod dem Verräter, der von unserem erlauchten und ehrwürdigen Herrn Franz Nádasdy auf unserer Burg in Gnade aufgenommen wurde!“

Ich verstand das Geschrei nicht und Johannes, den mein Zustand zutiefst betrübte, schirmte mich nun mit seinen kräftigen Armen gegen die Soldaten ab, während er mich sanft von dem Geschehen wegzudrängen versuchte. „Ich bringe Euch lieber fort von hier, Komtesse, das ist nichts für ein sanftes Frauengemüt“, sagte er leise, während wir uns den Weg zurückbahnten.

„Aber warum …?“, keuchte ich. „Wer hat eine solch grausame Strafe verdient? Kein Vergehen rechtfertigt eine derartige Brutalität. Kannst du nicht in Erfahrung bringen, weshalb der Mann sterben musste?“ Trotz meines Entsetzens blieb ich stehen, denn ich bekam die Bilder nicht mehr aus meinem Kopf und die Schreie verfolgten mich.

Johannes sah mich unschlüssig an. Er sträubte sich gegen meine Bitte und wollte mich nicht allein lassen. Unsicher sah er sich nach Katica um. „Die Zofe ist nicht mehr da!“, stellte er fest, doch ich beruhigte ihn damit, dass das Mädchen sicher Hunger hatte und wir sie bestimmt zwischen den Zelten wiederfinden würden. Widerwillig, ohne mich aus den Augen zu lassen, begab er sich zu einem der Kanoniere und kam mit der gewünschten Information zurück: „Die Soldaten sagen, dass der Beg den Besitz von Graf Nádasdy in Stuhlweißenburg besetzt gehalten hatte und der Graf eine List anwandte, um ihn herauszulocken. Der osmanische Herrscher ging ihm auf den Leim und Nádasdy schlug ihm kräftig eins auf die Nase. Viele Türken fielen oder wurden gefangen genommen, so auch der Sohn des Beg. Für dessen Freilassung hat der Graf vom Beg 12.000 Goldmünzen gefordert. Um das Geld auftreiben zu können, leistete der jüngere Bruder des Begs Bürgschaft. Der Beg war gewillt, die geforderten Schulden zu entrichten, sogar noch etwas mehr.“ Johannes beugte sich dichter an mein Ohr heran.

„Trotzdem haben sie beide gepfählt und, um den Beg abzuschrecken, auf die Zinnen gesetzt. In diesem Krieg steht sich keine Seite in Grausamkeiten nach.“

Johannes’ Erklärung verwirrte mich nur noch mehr und so stellte ich erschüttert fest: „Es war doch keine gute Idee, hierher zu fahren. Wenn mein Vater das sehen könnte, würde er mich sofort zurückholen. Ein so grausamer Empfang ist kein gutes Omen. Komm, lass uns schnell weitergehen!“, drängte ich und sah, als ich mich umblickte, mit Entsetzen, dass der Mann am Pfahl noch lebte und sich heftig bewegte. „Soll er nur strampeln, der Barbar, umso mehr wird sich der Spieß vorarbeiten, bis er ihm oben zum Maul wieder herausfährt“, kommentierte ein Heiduck gefühllos das Geschehen und Johannes stieß ihm dafür im Vorbeigehen den Ellenbogen in die Rippen, weil er sich vor einer Adligen nicht zu benehmen wusste. Ich bewunderte ihn dafür. Schließlich war er noch ein Junge und handelte doch bereits wie ein Mann. Von Kriegsgetümmel und Grausamkeiten hatte ich genug. Jetzt galt es, Katica zu finden, und ich sah mich suchend nach ihr um, während Johannes, mich noch immer schützend hinter sich gezogen, energisch voranschritt.

Der junge Graf hatte sich inzwischen aufgerichtet und schien mit seinen Husaren zu scherzen. Dem Henkersknecht, der den Spieß in den Mann geschoben hatte, klopfte er anerkennend auf die Schulter. Sie waren Soldaten und an die Grausamkeiten dieses Krieges gewöhnt. Bei mir hatte das Erlebnis nachhaltige Spuren hinterlassen und meine Vorfreude auf das Leben am Hof der Gräfin war getrübt. „Wo kann Katica nur sein?“, fragte ich nervös, während sich zu dem Schock über das eben Erlebte nun die Angst um das Mädchen gesellte. „Wenn ich nur wüsste, wo wir sie verloren haben! Wir müssen jeden Meter nach ihr absuchen!“ Ich blieb erneut stehen und sah mich hilflos um. In diesem Moment spürte ich eine fremde Hand auf der Schulter. Zu meinem Schutz hatte ich mir angewöhnt, immer einen Dolch mitzuführen. Meine Finger schnellten blitzschnell zwischen die Falten meines Gewandes, wo ich ihn, sicher vor fremden Blicken verborgen, trug. Ich blickte nun erstaunt und zugleich erschrocken in das Gesicht des jungen Grafen Báthory, der ebenso verwundert die Spitze meines Dolches fixierte, die ich auf seinen Brustpanzer gerichtet hielt. „Nicht so hastig mit den jungen Pferden, Schönheit!“, bemerkte er nach der ersten Überraschung und ergriff blitzschnell mein Handgelenk.