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Märchenhafter Bodensee
Sagen und Märchen vom Schwäbischen Meer
Martina Meier
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR
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Alle Rechte vorbehalten. Originalausgabe erschienen 2014.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Cover gestaltet von Heike Georgi.
Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM: www.literaturredaktion.de
ISBN: 978-3-86196-406-3 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-237-1 - E-Book
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Der Schachener Rotschopf und sein Fischer
Das traurige Blutströpfchen
Von der Bodensee-Schicksalsgöttin
Neptunas Troll-Fuß-Blues
Die verleumdete Gräfin
Das Lied des Sees
Am Bodensee
Die gute Fee vom Bodensee
Auf dem Boden des Sees
Das Gold des Bodensees
Der Spiegel zwischen den Welten
Ringula und der Mönch
Freche Feen
Das Freundschaftsbändchen
Die Suche nach dem großen Glück
Die kleine Fee vom Bodensee
Die Nebelritter
Nebel über dem See
Kuss der wahren Liebe
Der Wichtelwald am Bodensee
Glück am See
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Es war einmal ein fröhliches Mädchen mit schönem, rotem, lockigem Haar. Es wohnte mit seiner Familie in Lindau/Schachen. Wie sein Name war, weiß heute niemand mehr, nur dass jeder es den wilden Schachener Rotschopf nannte.
Schon als das Mädchen noch ein kleines Kind war, lief es jeden Abend die Straße entlang, bog dann ab auf kleine Kieswege, flitze an den verdutzten Spaziergängern vorbei und nahm, mit wehendem Röckchen, die Abkürzung quer durch den Linderhofpark zum Bodenseeufer hin. Die Kleine sprang so schnell, dass ihre Locken nur so hüpften.
Dort außer Atem angekommen, schaute sie dann still auf die Wellen, sah den Schmetterlingen nach, lauschte dem Wasser und den Vögeln und beobachtete, wie die Sonne ihre goldenen Strahlen noch etwas über das Wasser tanzen ließ, bevor sie ganz langsam ihrem Wasserbett entgegen sank. Rosa Wölkchen sahen ihr noch nach und wünschten ihr eine gute Nacht. Erst dann wurde es nach und nach dunkler. Das Wasser erst bläulich, dann golden bis rötlich wurde plötzlich dunkelgrün, braun und dann schwarz. Das schöne Mädchen war immer wieder ganz beeindruckt von diesem wunderbaren Farbenspiel und der friedlichen Abendstimmung. Es hat sich bis heute an diesem besonders schönen Schauspiel nichts geändert.
Eines Tages, als die Kleine wieder so am Ufer vor sich hin träumte, sah sie ein Fischerboot. Sie schaute dem jungen Mann gebannt zu, wie er ein Netz voller Fische in sein Boot zog. Er musste sich arg anstrengen, denn es war eine schwere, harte Arbeit. Und trotzdem, als er das schöne Fräulein sah, hielt er inne und grüßte sie fröhlich, lachend. Woraufhin sie ihm freudig zuwinkte und ihm ein „Petri Heil“ zurief. Von diesem Tag an lief sie jeden Abend, noch etwas schneller als zuvor, zum Wasser hin. Sie konnte es kaum erwarten ihren schönen, starken Fischer wiederzusehen.
Manchmal kam er so nah an das Ufer heran, dass er ihr Blumen zuwerfen konnte. Mal waren es Margeriten, mal eine Rose, mal ein Vergissmeinnicht. Sie freute sich sehr und hatte ihm schon längst ihr Herz geschenkt. Ihre roten Locken waren schon von Weitem zu sehen, wenn sie wieder pünktlich an ihrem Platz ankam. Der Wind spielte gern mit den kupferfarbigen, seidigen Haaren, die sie vergebens versuchte, mit den Händen zu bändigen. Die Leute im Ort hatten sich schon längst daran gewöhnt, dass immer zur selben Zeit, so gegen Abend, ein Rotfuchs an ihnen vorbeisauste.
So verging der Sommer wunderschön und der Herbst zeigte sich in den schönsten Farben. Selbst wenn es einmal regnete, so hüpfte sie trotzdem fröhlich singend barfuß, mit den Schuhen in der Hand, durch das Nass zum Ufer hin und freute sich auf das Wiedersehen.
Doch eines Tages kam er nicht. Sie wartete, bis weder die Sonne und auch die rosa Wölkchen nicht mehr zu sehen waren. Kühl und bedrohlich ging der Mond auf und schaute mitleidig auf das traurige Mädchen. Es starrte auf das Wasser, in der Hoffnung, endlich das Boot doch noch zu sehen. Aber umsonst. Dunkle Wolken verdeckten die Sterne, der Wind frischte auf und trocknete im Nu die Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Als dann schließlich auch der Mond nicht mehr zu sehen war, ging sie langsam, mit gesenktem Kopf nach Hause.
Am nächsten Abend lief sie wieder voller Hoffnung an das Schachener Ufer. Doch kein Fischerboot war zu sehen. Es wurde nun abends immer früh dunkel und der Nebel hing über dem Bodensee, als wolle er verhindern, dass die Schöne ihren Herzallerliebsten sehen konnte. Ihr schien, als wäre es nirgendwo so neblig als gerade bei ihr. Sie strengte ihre Augen an, um durch das dichte milchige Treiben etwas erkennen zu können. Aber nichts. Nur grau in grau. Das Wasser plätscherte gelangweilt an den Strand und selbst die Vögel hatten nichts zu zwitschern. Manchmal kam ein einsamer Ruf einer Möwe über den See, aber sonst nichts. Doch dann! Da! Da war etwas! Etwas Großes, Dunkles, Längliches! Ein Boot! Ein Boot? Sein Boot? Nein, nur ein Baumstamm, den der letzte Sturm irgendwo entwurzelt hatte und der jetzt heimatlos auf dem Wasser dahinschaukelte. Mutlos setzte sie sich ans Ufer und schaute traumverloren auf das Wasser.
Und sie wartete. Jeden Abend. Den ganzen Herbst, sogar im Winter lief sie zum See. Doch auch im Frühling kam er nicht. Auch im nächsten Sommer wartete sie umsonst.
Er kam nicht mehr. Da dachte sie: „Ein Fischer bleibt immer ein Fischer. Er fischt nur nicht mehr bei mir, aber in diesem Gewässer. Somit will ich ins Wasser gehen, dann bin ich ihm immer nah und ewig mit ihm verbunden.“ Sie stieg langsam in den See und bewegte sich immer weiter hinein, bis man nur noch ihre roten Locken sah. Sie ging immer weiter, die Wellen holten sie ab ... immer weiter hinein ins Schwäbische Meer ... und deckten sie schließlich zu, bis sie ganz verschwunden war.
Die Fischer erzählen sich heute, dass man manchmal, wenn man Glück hat, den Schachener Rotschopf im Wasser sehen kann. Das Mädchen schaue dann vom Grund herauf, lache und winke den Fischern zu. Doch ihre Augen würden immer traurig schauen. Auch solle es genau an dieser Stelle am Schachener Ufer, besonders bei Sonnenuntergang, sehr viele Fische geben, sodass man bis zum heutigen Tag dort oft viele Fischerboote sehen kann. Ob sie nur zum Fischen kommen oder doch hoffen, einmal den Rotschopf zu sehen, weiß man nicht genau.
Dagmar Natter arbeitet in der Pflege und schreibt schon seit ihrer Jugend Geschichten, Gedichte und kleine Sketche. Sie ist 52 Jahre alt und liebt trotzdem Märchen.
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Als Gott sich einst bei seiner Schöpfung
eines zierlichen Blumenkindes annahm,
wünschte sich dieses im Blumenherzen,
dass es ein helles Frühlingskleid bekam.
Stattdessen erhielt es vom Schöpfergott
ein rotbraunes Kleid mit Haarflaum daran.
Weil es einem Herbstkleidchen gleichsah,
zog es die kleine Blume nur widerwillig an.
Eines Tages erschuf Gott auch Menschen.
Sie gaben mit der Zeit den Blumen Namen.
Das Blümchen nannten sie Blutströpfchen,
als sie an ihm auf der Wiese vorbei kamen.
Endlich hatte das Blümchen einen Namen,
der ihm ebenso wenig wie die Farbe gefiel.
Sein rotbraunes Blütenköpfchen hing noch
trauriger als bisher an seinem Blumenstiel.
Mutter Natur hatte das zierliche Blümchen
im Frühling in die sattgrüne Wiese gestellt.
Die Wiese lag auf der Blumeninsel Mainau,
als es sich neugierig umsah in seiner Welt.
Dort gab es viele bunte leuchtende Tulpen.
Das kleine Blutströpfchen fiel gar nicht auf.
Achtlos spazierten Besucher an ihm vorbei
und schlenderten dann zum Schloss hinauf.
Das Blutströpfchen verstand die Welt nicht,
so dass es sein Blütenköpfchen tief neigte,
damit die schlimme Traurigkeit ausdrückte
und auch die maßlose Enttäuschung zeigte.
Neidisch war es auch auf Schlüsselblumen
und selbst auf das blaue Vergissmeinnicht.
Es hätte sein Aussehen gern ausgetauscht
mit des Gänseblümchens Strahlen-Gesicht.
Leider war ein solcher Tausch nicht möglich,
weshalb das Blutströpfchen sehr schmollte
und den schönsten Blumen auf der Mainau
fortan keinerlei Aufmerksamkeit mehr zollte.
Eines Morgens sah die Blume zwei Kinder.
Sie brauchten einen kleinen Blumenstrauß
und suchten sich auf der blühenden Wiese
gerade die Blutströpfchenblüten dafür aus.
Weil es Gänseblümchen zur Genüge gab,
legten sie auf diese offenbar keinen Wert.
Plötzlich freute sich das traurige Blümlein
und fühlte sich ob seiner Seltenheit geehrt.
Seiner Einmaligkeit bewusst ist sich nach
längerem Hadern endlich das Blumenkind
und sein rötlich-braunes Blütenglöckchen
läutet auf einer blühenden Wiese im Wind.
Von Ferne bestaunt es täglich die Schiffe,
die auf dem Bodensee hin- und herfahren.
Es freut sich über die besondere Aussicht
und sein Kleidchen mit den zarten Haaren.
Sieglinde Seiler wurde 1950 in Wolframs-Eschenbach, der Stadt des Minnesängers Wolfram von Eschenbach (Bayern), geboren und ist von Beruf Dipl. Verwaltungswirt (FH). Sie lebt mit ihrem Ehemann heute in Crailsheim (Baden-Württemberg). Seit ihrer Jugend schreibt sie Gedichte.
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