von
Sandra Gernt
© dead soft verlag
http://www.deadsoft.de
© the author
Originalausgabe 2010
Cover: M. Hanke
Bild: Giuseppe Parisi – fotolia.com
1. Auflage
ISBN 978-3-934442-57-3
ISNB 978-3-945934-24-1 (epub)
Als der junge Fürst Lyskir in die Hände des berüchtigten Räubers Kirian fällt, rechnet er mit dem Schlimmsten, stattdessen findet er ein hitziges Liebesabenteuer.
Doch Kirian ist ein Geächteter, Lys strebt ehrgeizig zum Königsthron. Sie dürfen nicht zusammen sein – und können doch nicht voneinander lassen. Aber Lys‘ Pläne beruhen auf riskanten Intrigen, die bald nicht nur ihn selbst, sondern jeden, der ihn kennt, in größte Gefahr bringen. Und Kirian wird von seiner eigenen Vergangenheit verfolgt …
Für Karin.
Alles wird gut …
Dunkle Gestalten schlichen durch das Unterholz. Sie verfolgten schon seit den frühen Morgenstunden zwei Männer, so geschickt, dass ihre Beute noch ahnungslos war, auch wenn sie sich beide immer wieder misstrauisch umblickten. Die Räuber waren geduldig und vorsichtig, sie hielten sich auf Abstand, bis sich eine günstige Gelegenheit ergeben würde. Bislang war die Handelsstraße, die dicht am Waldesrand verlief, zu belebt gewesen, um zuzuschlagen, doch nun bogen die beiden Männer in einen schmalen Pfad ein, der als Weg zu einer Wasserstelle ausgeschildert war.
„Nur ein bisschen Glück, dann ist am Bach nichts los!“, frohlockte Onkar, der jüngste Räuber in der Bande – ein wenig zu laut. Albor schlug ihm hastig gegen den Kopf, um ihn zum Schweigen zu bringen.
„Halt’s Maul. Wenn die ihre Schwerter gegen uns ziehen, gibt’s Tote!“, zischte er.
Ihre Beute hatte glücklicherweise nichts bemerkt, die Männer waren abgestiegen und führten ihre Pferde zu Fuß zum Wasser. Es waren vor allem diese beiden prächtigen Fuchshengste, die den Räubern aufgefallen waren, zwei edle Tiere von geradezu vollkommenem Körperbau. Obwohl deren Besitzer in eher schlichte schwarze Umhänge gehüllt waren und keinerlei Gepäck bei sich trugen, das einen Angriff rechtfertigen würde, waren die Räuber ihnen kurz entschlossen auf den Fersen geblieben. Das war leicht, da die vom Regen aufgeweichte Straße eine schnellere Gangart als Schritt nicht zuließ. Die Unterhaltung der beiden konnten sie zwar nicht belauschen, doch die geschliffene Aussprache ließ keinen Zweifel: Adlige. Nur leicht bewaffnet, ohne Eskorte.
So etwas war sehr gefährlich – alle Adligen Onurs bekämpften einander, sei es als offene Fehde oder mit dem, was sie „das Spiel“ nannten: Ein kompliziertes Geflecht von Intrigen, Bündnissen, Verrat, Lügen und Listen, das kaum durchschaubar war. Dabei versuchte der Hochadel, seine Macht zu sichern und auszubauen, der niedere Adel hingegen sein Überleben durch Bündnisse zu sichern. Im Mittelpunkt des Geschehens stand der König, der das Spiel so zu steuern verstand, dass im Augenblick ein fragiles Gleichgewicht im Land herrschte. Er hatte im Laufe seiner jahrzehntelangen Herrschaft Gesetze erlassen, die es den mächtigen Fürsten einerseits erlaubten, straflos jeden zu töten, den sie im Spiel besiegt hatten, sie andererseits mit Tod oder Verbannung bedrohten, wenn sie eine geringfügige Ehrverletzung begingen. Die Verlierer dieses Spiels waren nicht nur jene, die sich im Intrigengeflecht verfangen hatten, sondern vor allem das Volk. Weitestgehend rechtlos wurde es von seinen Herrschern in sinnlose Gefechte geschickt; nur wenig wurde getan, um Sicherheit und Wohlstand zu fördern. Waren die Adligen zu sehr mit sich selbst beschäftigt, verfielen die Straßen, nahmen Überfälle und Gewalt schnell überhand. Aufstände hungernder Bauern wurden zumeist brutal niedergeschlagen. Es gab allerdings auch Herrscher, die die Not der Bevölkerung für sich nutzten, indem sie den Bauern und Leibeigenen ihrer Gegner Lebensmittel und Vieh schenkten.
Zwei Adlige also, die sich ohne Schutz offen auf eine Straße wagten, dabei zwar besonnen, doch nicht verängstigt schienen, waren entweder leichtsinnig, verrückt oder in der Lage, sich allein durch ihren Rang vor dem Landesherrn zu schützen. Das Ganze schien interessant genug, um einen Überfall zu riskieren.
„Noch mal, wir legen nur los, wenn wir sie überraschen können. Schnell und sauber, ich will die beiden lebend zu Kirian bringen, sonst sind sie wertlos für eine Lösegelderpressung. Wenn die ihre Waffen ziehen können, keine Heldentaten, klar?“, schärfte Albor seinen fünf Begleitern noch einmal ein. Sie alle verachteten das „hohe Volk“, respektierten aber durchaus deren Waffengeschick.
Er nickte Sveit zu, der sich am Waldrand versteckte. Sveit würde sie warnen, sollten weitere Reisende in den Weg einbiegen, um ihre Reit- oder Lasttiere zu tränken.
Albor vergewisserte sich, dass sie tatsächlich gegen den Wind herankamen, damit die Pferde der beiden nicht nervös werden konnten, dann gab er das Zeichen zum Vorrücken.
Ihre Beute verhielt sich weiterhin vorsichtig. Der jüngere von beiden, ein schlanker Mann mit dunkelblondem, schulterlangem Haar, beobachtete die Umgebung, während sein Begleiter am Ufer kniete und ein Stück abseits der Pferde seinen Wasserschlauch füllte. Die Tiere waren angebunden, das war gut; so konnten sie in dem gleich folgenden Tumult nicht durchgehen.
„Ich übernehme den Jungen, Bille, du bist dabei. Onkar, Ramin, geht von links an den anderen ran. Aufgepasst, der scheint schlagkräftig. Los!“, hauchte Albor. Dann ging alles blitzschnell: Die Räuber brachen aus dem Unterholz hervor und stürzten sich auf ihre ahnungslosen Opfer. Der Jüngere schaffte es zwar, sein Schwert zu ziehen und Bille anzugreifen, der, wie Albor geahnt hatte, gegen die Kampfkunst des Adligen unterlegen war. Doch schon war er selbst heran, hieb dem jungen Mann mit einem Stock in den Rücken, so wuchtig, dass der beinahe in Billes Säbel gestürzt wäre. Albor drückte ihn gewaltsam zu Boden, überließ ihn dann seinem Kameraden. Ein fast unmenschlicher Wutschrei erklang vom Ufer. Ramin und Onkar hatten den zweiten Mann eigentlich schon niedergerungen, versuchten, ihn zu fesseln, doch er kämpfte verbissen darum, ihnen zu entkommen.
„Ihr habt ihn umgebracht! Lys! Ihr habt ihn umgebracht! Ihr Bastarde! Lys!“, schrie er. Der Blick des muskulös gebauten blonden Mannes war von so viel Entsetzen und Wut erfüllt, dass Albor sich unwillkürlich umwandte. Der andere Gefangene lag nun still am Boden, die Augen geschlossen. Blut sickerte über sein Gesicht. Rasch kniete Albor bei ihm nieder, doch es war nur eine oberflächliche Wunde am Haaransatz, kaum mehr als ein Kratzer, wo ihn der Säbel gestreift hatte.
„Der is’ in Ordnung, dein Schlag hat ihm wohl die Luft aus der Lunge gepustet“, meinte Bille nachlässig. Tatsächlich bewegte sich der Junge bereits wieder. Er mochte Anfang zwanzig sein, vielleicht etwas älter. Albor rief kurz über die Schulter: „Alles klar, der lebt!“, dann half er mit, ihm die Hände auf den Rücken zu fesseln und seine Augen zu verbinden. Als Bille ihn umdrehte, um zu prüfen, ob die Binde richtig saß, fiel Albor die Kette auf, die der junge Mann trug. Ein silberner runder Anhänger, auf dem etwas eingeprägt war. Er erkannte sofort, dass das Schmuckstück wertlos war, das Silber zu dünn, um es verkaufen zu können, die Kette selbst nur eine schwarze Lederschnur. So etwas hätte Albor bei einem Bauern erwartet, aber niemals bei einem Adligen! Neugierig griff er nach dem Anhänger, doch diese Berührung brachte Leben in den jungen Mann, der bis dahin alles still hatte geschehen lassen: Er warf sich panisch zurück, riss wie wild an den Fesseln, um Albors Hand zu entkommen. Bille versuchte ihn festzuhalten, doch der Junge kämpfte weiter, bis Albor ihn schließlich ohrfeigte und fauchte: „Schluss jetzt! Ich lass sie dir ja!“
„Rühr ihn nicht an! Du Abschaum! Wag es nicht, noch einmal Hand an ihn zu legen!“, brüllte der ältere Gefangene. Da der Junge mittlerweile still in sich zusammengesunken war, warf Bille ihn rasch bäuchlings über eines der Pferde. Sie hatten sich jetzt lange genug hier aufgehalten, jeden Augenblick konnten weitere Reisende vorbeikommen. Der Ältere tobte solange weiter, bis Albor drohte, sie beide umzubringen. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, er würde nicht zögern, diese Drohung auch auszuführen.
„Ro … ist gut“, murmelte der Junge, und das brachte seinen Begleiter zur Ruhe.
„Jetzt müssen wir die nur noch nach Hause kriegen“, knurrte Ramin. Ein Marsch von über vier Stunden durch wegeloses Unterholz mit zwei nervösen Pferden und einem adligen Gefangenen, der seine Empörung sicherlich nicht die ganze Zeit zurückhalten würde – das konnte gemütlich werden …
„Kirian?“
Der Anführer der Diebesbande blickte auf. Es war riskant ihn anzusprechen, wenn er sich in seine Hütte zurückzog und die Tür fest verschloss – er reagierte äußerst reizbar auf Störungen. Genau aus diesem Grund trat Albor nicht ein, zeigte nicht einmal seine Nasenspitze. Kirian brummte etwas, das friedlich genug klang, um seinen besten Mann zu beruhigen. Was auch immer Albor hergetrieben hatte, es musste wichtig sein. Wichtiger als die Briefe, die Kirian gerade las, Dokumente, die er beim letzten Überfall auf eine Händlergruppe erbeutet hatte.
„Wir haben zwei Gefangene“, murmelte Albor kaum hörbar. „Adlige. Brüder, denke ich.“
„Hatten sie etwas Besonderes bei sich?“ Kirian schob die Dokumente beiseite. Beunruhigende Neuigkeiten waren das. Die Fürsten mehrerer Länder wollten sich verbünden, um dem wachsenden Problem der Überfälle Herr zu werden. Kirians Bande lauerte den Reisenden mehrerer großer Handelsstraßen auf. Bisher war es noch keinem Soldatentrupp gelungen, ihr Hauptlager zu finden, aber das konnte sich rasch ändern, wenn sie nicht vorsichtig waren.
Albor warf die Habe der Gefangenen auf den Tisch: zwei Schwerter, zwei Jagdmesser, zwei leere Geldbeutel.
„Kein Gepäck, keine Ausrüstung?“ Kirian nahm eines der verzierten Schwertgehänge an sich und hielt es ins Licht, das durch die Fensteröffnung fiel.
„Nichts. Der Jüngere trägt noch eine Kette mit Anhänger um den Hals, er wird wild, wenn man die nur ansieht. Dabei is’ die völlig wertlos. Möglich, dass unter ihren Umhängen noch etwas versteckt ist, wir haben sie bis jetzt nur gefesselt und hergeschafft. War anstrengend genug.“
„Das Wappen der Familie Corlin“, sagte Kirian leise und tippte auf den stilisierten Berglöwen, der in die Schwertscheide eingeprägt war. „Roban und Lyskir von Corlin, so heißen unsere Gäste.“
Albor erbleichte ein wenig, soweit das bei seiner dunkelbraunen Haut und dem struppigen Vollbart zu erkennen war. Eine Narbe lief quer über sein Gesicht, was ihm ein gefährliches Aussehen verlieh. „Hochrangige Gäste“, erwiderte er hustend. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet! Die Fürsten von Corlin stellten im Nordwesten die größte Macht dar, die es diesseits der Eisenberge gab. „Das Schloss befindet sich wenigstens hundert Meilen östlich! Wie beim dreigehörnten Schattenfresser kommen die hierhin, Kirian? Ohne Ausrüstung und Eskorte?“
„Lass es uns herausfinden. Sind sie unverletzt?“
„Hm, weitestgehend. Ein bisschen zerzaust, vom Angriff eben.“ Albor schilderte kurz, wie der Überfall abgelaufen war.
„Nun gut. Ahm, Albor, man will unser gemütliches Nest mal wieder ausräuchern. Gib das an die Jungs weiter“, befahl Kirian und strich sich das lange schwarze Haar über die Schultern. „Die Corlins dürfen nicht ernsthaft beschädigt werden, eine Lösegeldforderung ist ausgeschlossen. Das allerdings müssen wir unseren Gästen nicht auf die Nase binden.“ Er grinste wölfisch, rückte seinen Säbel zurecht und verließ dann die Hütte, mit jenem selbstbewusst federnden Schritt, der Kirian die Eleganz einer Raubkatze verlieh. Er war ein Herrscher, egal, wo er sich befand, er dominierte jeden Raum, den er betrat. Es gab immer wieder mal Wahnsinnige, die versuchten, ihn herauszufordern, ob im offenen Kampf oder einem hinterhältigen Anschlag. Bislang hatte noch niemand diesen Versuch überlebt.
Die beiden Fürstensöhne knieten gefesselt am Boden, ihre Augen waren noch verbunden. Der Ältere verfluchte gerade seine Bewacher. Kirian steckte lässig die Daumen in den Hosenbund und hörte sich grinsend den Ausbruch an:
„… ehrlosen Angriff bereuen, ich schwöre es! Niemand wirft mich wie einen Sack Mehl über ein Pferd und schleift mich stundenlang durchs Unterholz, wie könnt ihr es wagen?“
„Geht das schon die ganze Zeit so?“, lachte Kirian, was den Gefangenen sofort verstummen ließ.
„Du ahnst es nicht, Sheruk. Ich hatte schon Hafenhuren, die schweigsamer waren“, erwiderte Bille und rollte heftig die Augen. Sheruk war der Ehrentitel für einen Räuberhauptmann. Kirian entging nicht, dass beide Gefangenen bei diesem Wort zusammenzuckten.
„Nun, reden sollen sie, ich habe viele Fragen. Nehmt ihnen die Augenbinden ab.“
Er achtete nicht weiter auf Roban, den älteren der beiden Brüder. Kirian wusste genug über diesen Mann. Der war vielleicht im Moment ein wenig unbeherrscht, würde aber freiwillig kein Wort über seine Absichten verraten. In den dreißig Jahren seines Lebens als Erbe altehrwürdiger, streitbarer Fürsten hatte er sich einen Namen als standhafter Krieger gemacht, von seinen Untergebenen angebetet, von seinen Feinden gefürchtet. Man konnte es fast als Ehre bezeichnen, einen solchen Mann überrumpeln und gefangen nehmen zu können. Interessanter war der jüngere Corlin. Kirian erinnerte sich nicht, wie alt Lyskir sein mochte, auf jeden Fall war der Junge noch nicht auf dem Schlachtfeld gewesen. Womöglich nahm er noch nicht einmal am Intrigenspiel teil, im Gegensatz zu seinem Bruder. Kirian beobachtete jede der steifen Bewegungen des hochgewachsenen Adligen, registrierte die Anspannung, die von ihm ausstrahlte. Er war größer als sein Bruder, besaß jedoch nicht dessen stählernen, muskelbepackten Körper. Das Gesicht war von nahezu perfekter Symmetrie, beherrscht von ausdrucksstarken braunen Augen. Für gewöhnlich verachtete Kirian solche Schönheit bei Männern, da es sich meist entweder um eitle, nur auf Äußerlichkeiten bedachte Dummköpfe handelte, die allenfalls durch die Zahl ihrer Bettabenteuer auffielen, oder um weichliche Jungen, die niemals wirklich erwachsen zu werden schienen. Im besten Fall besaßen sie Köpfchen, worauf man sich allerdings nicht verlassen konnte. Dieser junge Mann hier schien zu der seltenen Sorte zu gehören, die sowohl Geist als auch Mut besaßen. Trotz seiner offensichtlichen Angst blickte er geradewegs zu Kirian auf, studierte ruhig das Gesicht des Mannes, der über sein Leben und Schicksal entscheiden würde. Kein Trotz, keine Wut – was war in diesem Blick verborgen? Kirian blieb bei seiner Entscheidung. Roban wäre nur mit äußerster Gewalt zu brechen, oder indem man ihn bei der Folterung des Jüngeren zusehen ließ. Beides kam nicht infrage. Lyskir hingegen würde sich vermutlich bei der richtigen Art von Bedrohung beugen. Wenn nicht, nun, dann würden Kirians Fragen wohl ärgerlicherweise keine Antwort finden.
„Sperrt ihn ins Loch“, sagte er und wies mit dem Kinn in Robans Richtung. „Der Kleine kommt zu mir.“
„NEIN!“, brüllte Roban und begann unvermittelt, wie ein tollwütiger Wolf gegen seine Bewacher zu kämpfen. „Rührt ihn nicht an! Nehmt mich! NEIN!“ Trotz seiner auf den Rücken gefesselten Hände schaffte er es, sich den Räubern zu entwinden und einem der Männer in den Unterleib zu treten.
Kirian bewegte sich schnell: Plötzlich umklammerte er Roban von hinten mit eisernem Griff und presste ihm seinen Säbel an die Kehle.
„Bindet ihm die Augen“, befahl Kirian knapp, und dann, zu Roban gewandt: „Dein Bruder wird für jeglichen Fehltritt zahlen, den du dir leistet, verstanden?“ Das wütende Feuer in Roban erlosch augenblicklich, er ließ sich ohne Widerstand zu Boden zwingen. „Alles wird gut, Lys“, rief er, als man ihn fortbrachte.
Lys war während des Ausbruchs seines Bruders still geblieben. Jetzt starrte er ihm hinterher, das Gesicht von Angst verzerrt.
„Du wirst ihn lebendig wieder sehen, wenn du mir keine Schwierigkeiten machst“, sagte Kirian. Lys nickte, schaffte es aber erst nach zwei Anläufen, seine Panik hinter einer Maske eisern beherrschter Gleichgültigkeit zu verstecken. Kirian zwinkerte Albor heimlich zu. Das hier versprach ein vergnüglicher Nachmittag zu werden!
~*~
Lys sank auf den Stuhl, den der Sheruk ihm zuwies. Offensichtlich hausten die Räuber schon sehr lange hier: Die Hütte war behaglich eingerichtet, es gab Spuren von Abnutzung, die erst im Laufe vieler Jahre entstehen konnten. Der Räuber warf sich lässig auf das Bett an der Kopfwand nieder und stützte sich seitlich auf dem linken Arm auf. Sein Hemd stand ein wenig offen, gerade genug, dass man seinen muskulösen Oberkörper erkennen konnte. Ein Mann, der sich seiner Kraft und Macht bewusst war, gefährlich wie ein Raubtier – und ebenso sinnlich. Lys musste den Blick von ihm abwenden, um nicht zu erröten. Was war denn nur los mit ihm? Der Sheruk war gewiss doppelt so alt wie er selbst, er würde ihn vermutlich gleich foltern, vielleicht auch töten. Wie konnte er einen solchen Verbrecher als anziehend empfinden?
„Mein Name ist Kirian“, erklang die tiefe Stimme, die in Lys’ Innerem nachvibrierte. „So hieß ich nicht immer, und man hat mir schon viele andere Namen gegeben. Wie du mich nennst, ist mir egal.“
Lys zuckte zusammen, als der andere Mann mit dem dunklen Bart und der grausigen Narbe um ihn herum schritt und seinen Dolch dabei zog.
„Ich weiß, wer du bist, ich kenne das Wappen der Corlin. Sag mir, was du mit deinem Bruder so weit weg von zuhause getrieben hast.“
Lys leckte sich nervös über die Lippen, schaffte es aber, ruhig sitzen zu bleiben und den Blick auf den Boden gerichtet zu halten. Denk an irgendetwas, egal was, nur nicht an die Gefahr, hörte er Robans Stimme im Hinterkopf. Roban, der bereits einmal in Feindeshand gefallen und nach Hause gekommen war, ohne sein Wissen preiszugeben. Damals war er kaum neunzehn Jahre alt gewesen! Roban, der in irgendeinem Loch festsaß und ihm nicht helfen würde. Lys versuchte, sich auf seine Stiefel zu konzentrieren, auf die Risse im Holz. Doch er konnte die Dolchspitze, die langsam über seinen Rücken strich, nicht ausblenden. Sie drang nicht durch sein weißes Leinenhemd, blieb nur eine Drohung. Dennoch, er zweifelte nicht, dass der Mann hinter ihm geschickt genug war, ihm so in die Haut zu ritzen, dass es wehtat, ohne ihn wirklich zu verletzen. Ein Spiel, dem sein Körper sicherlich länger standhalten würde als sein Geist …
„Ist es wert, für dieses Geheimnis zu leiden?“ Die Stimme des Sheruks klang nun spöttisch, was mehr schmerzte als die Fesseln, die Lys’ Handgelenke wund gerieben hatten, oder die Klinge, die sich für einen Herzschlag in seinen Nacken bohrte. Ganz leicht, gerade tief genug, dass nun warmes Blut über seine Wirbelsäule rann, ein feines Rinnsal nur. Dann wanderte der Dolch wieder unschuldig über seinen Rücken, langsam, auf und ab. Lys sammelte seinen Mut und begegnete dem Blick des Sheruks, des so seltsam faszinierenden Mannes, dem er vollkommen ausgeliefert war. Schön war er nicht zu nennen: die Nase war gekrümmt, der Bart so kurz, dass er das starke Kinn noch betonte, in den schwarzen, erbarmungslosen Augen brannte kaltes Feuer. Und doch, er strahlte lebendige Kraft aus, wie Lys es nicht einmal beim König selbst empfunden hatte, der doch der mächtigste Mann in diesem Reich war.
„Für Euch ist es bedeutungslos, dieses Geheimnis, aber Ihr könntet es in die falschen Ohren flüstern. Es ist wert, dafür zu leiden, dass es geheim bleibt“, sagte er.
„Ist es auch wert, dafür zu sterben?“ Kirians Blick war so zwingend, dass Lys sich nicht mehr abwenden konnte. Angst schnürte seine Kehle zu, er konnte nur nicken, obwohl er lieber laut gesprochen hätte. So mutig wie Roban, ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben.
Der Dolch strich über Lys’ Nacken, plötzlich gab es einen Ruck – das Lederband war durchtrennt. Die Kette mit dem Anhänger fiel zu Boden, und Lys konnte sie nur entsetzt anstarren. Warum nur hatte er es nicht geschafft, sie fortzuwerfen, als der Angriff begann?
Ihr Götter, lasst ihn denken, es sei Abfall!
Der Narbige hob das Kleinod auf und reichte es an Kirian.
„Elyne von Lichterfels, wenn ich mich nicht irre?“, fragte der überrascht. Lys sank in sich zusammen, er hatte nicht damit gerechnet, dass ein Räuber, der wie ein Schweinehirte im Wald hauste, die verschlungenen Initialen erkennen könnte.
„Wie es scheint, wirst du heute nicht leiden müssen, mein Freund“, murmelte Kirian, spielte mit dem Anhänger, der so wertlos zu sein schien und doch soviel Bedeutung besaß. Sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, mit einem Mal baute sich bedrohliche Spannung im Raum auf. „Lass mich raten: Der Fürst von Corlin, seit undenkbaren Zeiten zerstritten mit all seinen Nachbarn, hat es irgendwie geschafft, ein geheimes Abkommen mit dem Fürsten von Lichterfels zu schmieden. Eine Allianz, mit der dem König im Rat von nun an stets eine Stimme fehlen wird. Ein politisch hoch brisantes Bündnis, das die Machtverhältnisse in unserem schönen Land vollkommen neu ordnen würde. Um diese zerbrechliche Verbindung zwischen zwei verfeindeten Familien zu stärken, wurde Elyne von Lichterfels als Pfand auserkoren. Da dein Bruder bereits verheiratet ist, wirst du wohl der Glückliche sein, der diese Braut heimführt, hm?“ Lys senkte den Kopf noch tiefer, um dem schneidenden Spott zu entgehen. „Man hat dir also ihren Anhänger überbracht. Niemand darf davon erfahren, es soll eine Blitzhochzeit werden, denn sonst würden selbstverständlich alle Herrscher dagegen Einspruch erheben. Alle sollen glauben, du hättest unerlaubt mit dem Täubchen gegurrt. Darum reitet ihr zwei also ohne Eskorte, Geld oder Ausrüstung – falls einer der feindlichen Fürsten euch erwischt, könnt ihr einfach behaupten, Räuber hätten euch überfallen und von eurer Jagdgesellschaft getrennt. Sag, wie war es, auf nacktem Waldboden zu schlafen und von Beeren zu leben wie ein Bettler? Und ist es nicht eine wundersame Fügung, dass ihr euch nun tatsächlich in den Händen von Räubern befindet und gar nicht mehr zu lügen braucht?“
Lys hätte sich noch weiter zusammengeduckt, aus Furcht vor dem, was in Kirians Stimme mitschwang, wenn der Narbige ihn nicht an den Haaren gepackt und festgehalten hätte.
„Sie kamen von Süden, Kirian“, sagte er und zwang Lys dabei unbarmherzig, den Kopf zu heben. Der junge Mann fuhr zusammen, als er das Gesicht des Sheruks unmittelbar vor sich sah. Schwarze Augen brannten sich regelrecht in seine Seele hinein, schlanke, überraschend feingliedrige Finger berührten seine Wangen, strichen über seinen Hals hinab zur Kehle und schlossen sich. Nicht so fest, dass er nicht mehr atmen konnte, doch die Drohung war eindeutig. Nur, warum wurde er plötzlich bedroht?
„Du bist also bereits ein verheirateter Mann, Lys? Meinen herzlichen Glückwunsch! Wie war die Brautnacht?“ Die Stimme war pures Gift, trotz der scheinbar so freundlichen Worte.
Lys versuchte, ihm zu entkommen, wandte den Blick zur Seite, zerrissen von Angst und Wut.
Lass mich los, du Bastard!
„Ich verstehe, du durftest sie noch nicht kosten, die zarte Blume? Lediglich den scheinbar so unbedeutenden Beweis eurer Verbindung solltest du mit nach Hause bringen, alles schön bedächtig, damit nichts im letzten Augenblick schief gehen kann. Bei der nächsten Ratsversammlung am Königshof wird dann die große Enthüllung inszeniert, aber falls die Allianz vorher zerbrechen sollte, hat die Segnung des Priesters einfach nicht stattgefunden. Ist es so?“ Der Druck um die Kehle verstärkte sich, gerade so viel, dass es unangenehm wurde. Lys wusste, er würde jeden Moment die Beherrschung verlieren und sich mit Tränen selbst entehren. Doch da gab Kirian ihn plötzlich frei, lachte laut und nickte dem Narbigen zu. Die tödliche Spannung, die für einen Moment geherrscht hatte, verschwand wie eine Wolke am Himmel, als hätte es sie nie gegeben.
„Schneid ihn los, Albor, und lass uns allein.“
Einmal noch spielte der Narbige mit ihm, ließ ihn die Dolchklinge spüren, ohne ihn zu verletzen; dann durchtrennte er die Fesseln mit einem Ruck und verschwand.
~*~
Kirian beobachtete den jungen Fürstensohn genau, der sich den Schmerz nicht anmerken lassen wollte, seine blutig gescheuerten Handgelenke im Schoß verbarg. Er wusste selbst nicht, warum er den Jungen nicht freiließ. Gewiss, der Kleine könnte ihm noch viele Geheimnisse enthüllen, für die Feinde der Corlins Gold regnen lassen würden. Aber das war nicht der Weg, den Kirian gehen wollte, außer, es gab keine andere Möglichkeit mehr für ihn, sich selbst oder seine Leute zu retten. Vor langer Zeit hatte er das Intrigenspiel hinter sich gelassen, das er besser beherrscht hatte als all seine Feinde; es bräuchte schon einen wichtigen Grund, wieder damit zu beginnen. Warum also diesen Mann weiter quälen, er war doch bereits gedemütigt? Was hatte er an sich, dass Kirian ihn behalten wollte?
Erst, als er Lys aufkeuchen hörte, begriff Kirian, was seine Finger begonnen hatten. Verwundert starrte er auf die Verschnürung des Leinenhemdes, die er gedankenverloren geöffnet hatte, und auf die entblößte Brust seines Gefangenen. Er spürte das leichte Zittern unter seinen Händen, sah das panische Grauen in dem jungen Gesicht. Ihm gefiel, was er sah.
„Ganz ruhig“, murmelte er und rückte ein bisschen zurück, um weniger bedrohlich zu wirken. „Ich will nur sehen, ob du bei dem Angriff verletzt wurdest, und dir mit den Wunden helfen. Ich bin kein Narr, Lys, ich kann mir eine Feindschaft mit deinem Haus nicht leisten. Du und Roban, ihr werdet unversehrt zurückkehren.“
Lys atmete tief durch und entspannte sich etwas unter den Händen, die noch immer auf seinen Oberarmen ruhten. Aus dieser Nähe konnte Kirian die grünen Punkte erkennen, die um die Iris der braunen Augen gesprenkelt waren. Eine Unregelmäßigkeit, die seinem Gesicht Leben verlieh. Dazu entdeckte er feine Sommersprossen auf den hohen Wangenknochen, zumindest links, wohin das Blut nicht geflossen war. Einen Moment lang kämpfte er gegen das irrsinnige Verlangen, sich in diese Wangen zu verbeißen, ihm das Blut abzulecken. Beim Dreigehörnten, der Kleine ging ihm wahrhaftig unter die Haut!
Kirian bevorzugte für gewöhnlich ältere Männer, die er niederringen und beherrschen konnte. Selten, dass er einen geeigneten Partner fand, keiner seiner Leute teilte seine Neigungen. Doch hin und wieder ergaben sich Gelegenheiten, und er begegnete einem Mann, der ihm jene Art von körperlichem und geistigen Widerstand bot, die Kirian reizte.
Dieser Junge war bereits sein Gefangener, dazu bot er keine echte Herausforderung. Und doch, er wollte ihn für sich haben. Ihn besitzen. Kirian streifte ihm das Hemd mit langsamen Bewegungen über die Schultern, beobachtete dabei scharf jede Regung. Trotz seiner beruhigenden Worte war Lys noch immer stärker angespannt als eben, als Albors Dolch und er selbst ihn bedroht hatten. Ob er Kirians plötzliches Begehren spürte?
Er berührte scheinbar unabsichtlich Lys’ Schenkel, fühlte die Panik, die für einen Herzschlag entflammte. Kein Zweifel, der junge Mann wusste, was geschehen könnte.
„So etwas würde ich niemandem antun, verstanden?“, zischte Kirian schärfer, als er beabsichtigt hatte. Er griff in das weiche, dunkelblonde Haar und zerrte einmal mehr Lys’ Kopf zu sich heran. „Wir sind Räuber, wir überfallen Händler und Reisende. Wir töten, wenn wir auf zu viel Widerstand stoßen oder uns verteidigen müssen. Aber noch sind unsere Seelen nicht gänzlich dem Schattenfresser verfallen. Weder mir noch einem meiner Männer würde ich jemals eine Vergewaltigung erlauben. Ich sagte, du wirst unversehrt heimkehren, und damit meinte ich jeden denkbaren Teil deines Körpers. VERSTANDEN?“
Lys zuckte bei dem zornigen Ausruf zusammen wie unter einem Schlag. Seufzend zerrte ihn Kirian in die Höhe, stieß ihn auf das Bett und hockte sich blitzschnell rittlings auf seinem Rücken nieder. Lys versuchte schreiend zu entkommen, hatte aber keine Chance gegen die Kraft der Hände auf seinen Unterarmen und dem Gewicht, das ihn niederhielt.
„Ganz ruhig jetzt!“, flüsterte Kirian, als sein wehrloses Opfer aufgab. Das unterdrückte Schluchzen, die hastigen, qualvollen Atemzüge, das Beben des warmen Leibes unter ihm erregte ihn mehr, als er sich selbst eingestehen durfte. Er ließ langsam los, dann ergriff er einen Salbentiegel, der auf dem Regal über dem Bett stand und begann, sanft die Blutergüsse zu behandeln, die Lys bei seiner Gefangennahme erlitten hatte, tastete die Rippen ab, die glücklicherweise nicht gebrochen waren. Der junge Mann blieb still liegen, auch, als Kirian sich erhob und ein Stück Stoff in Wasser tränkte, um die Spuren von Albors Dolchspielen abzuwaschen.
„Dreh dich um“, befahl Kirian, als er fertig war, und Lys gehorchte sofort. An Brust und Bauch hatte er keine nennenswerten Blessuren erlitten. Kirian wusch ihm lächelnd das Blut von den Wangen, amüsierte sich still über die verlegene Röte, die das Gesicht seines Gefangenen überzog. Dann verband er ihm die wunden Gelenke und wusch ihm die Hände. Die Innenflächen, aber besonders die Finger waren hart, die Hände eines Kriegers, nicht eines Gelehrten, wie er beinahe erwartet hatte.
„Du bevorzugst den Bogen?“, stellte er fest, als er das Muster der Schwielen erkannte.
„Es ist die einzige Waffe, mit der ich Roban übertreffe.“ Lys biss sich auf die Lippen, als hätte er zu viel verraten. Kirian lächelte in sich hinein und bedeutete ihm, sich aufzusetzen.
„Zieh dich an“, wollte er sagen, fand sich aber viel zu nah an dem Körper, den er so sinnlos begehrte. Es geschah schneller, als er sich beherrschen konnte: Er packte zu und raubte den Kuss, den er sich hatte vorenthalten wollen. Lys wand sich überrascht in seinen Armen, versuchte sich loszureißen. Dabei öffnete er den Mund, vielleicht, um zu schreien, und bahnte Kirians Begierde damit den Weg. Sein Denken setzte aus bei dem lustvollen Schlag, der ihn durchfuhr; er hielt Lys umklammert und forschte, suchte, spielte mit der Zunge, drang in die Tiefe vor. Wie gut das schmeckte! Eine Ewigkeit in berauschender Lust schien zu vergehen, während der das angstvolle Stöhnen, der panische Widerstand seines Opfers langsam verebbte. Als er Lys freigab, blieb der still in seinen Armen, ließ sich ohne Gegenwehr zurück auf das Kissen betten. Aufgewühlt kämpfte Kirian gegen seine Gier, bis er wieder klar denken konnte. Lys hatte die Augen geschlossen, lag so ruhig da, dass er für einen Moment fürchtete, ihn umgebracht zu haben.
„Es tut mir leid“, stieß Kirian hervor, als er seinen Atem endlich unter Kontrolle brachte. „Ich werde Albor zu dir schicken, er wird sich um dich kümmern. Vergib mir. Das hätte niemals … Ich bin nicht ganz …“ Eine Hand schloss sich um seinen Arm, brachte ihn zum Schweigen. Der Blick, mit dem Lys ihn nun betrachtete, verwirrte Kirian noch mehr. Weder Entsetzen oder Angst noch Zorn lag darin, sondern die gleiche Art von Ruhe wie vorhin, als Lys ihn das erste Mal angesehen und studiert hatte.
„Du solltest mich gehen lassen, Kleiner, sonst kann ich für nichts mehr garantieren.“
„Bitte, ich … ich will, dass du bleibst.“
Kirian beugte sich hinab, gab ihm Zeit zur Gegenwehr, und küsste ihn dann noch einmal, diesmal langsamer, mehr Genuss als Leidenschaft. Lys öffnete sich ihm zögernd, erwiderte das Zungenspiel, was ihn beinahe um den Verstand brachte. Schwer atmend löste er sich, starrte in diese rätselhaften Augen. „Ich bin kein sanfter Mann, bei mir gibt es wenig Streicheln und stundenlanges Vorspiel. Du wirst dem, was ich von meinen Liebhabern erwarte, vielleicht nicht gewachsen sein. Ich biete dir ein letztes Mal an, dass ich jetzt gehe und dich in Frieden lasse.“
Der Ausdruck in Lys’ Augen war Aufforderung und Bitte zugleich. Kirian griff nach den restlichen Bandagen, mit denen er ihm die Handgelenke verbunden hatte, und hielt sie hoch.
„Vertraust du mir?“, fragte er leise, dann, als er auf keinen Widerstand traf, fesselte er Lys behutsam an das Bettgestell. „Wenn du nicht mehr kannst, halte es nicht zurück, verstanden? Auf ‚nein’ oder ‚aufhören’ werde ich reagieren, auf Schreie oder Tränen nicht.“
Einen Moment lang fragte er sich, ob er den Verstand verloren hatte. Dann zuckte er die Schultern. Der Kleine wollte es so. Die Fesseln saßen nicht zu fest, wenn Lys sich entschlossen wehrte, würde er sich auch befreien können.
Er blickte auf den jungen Mann nieder, suchte noch einmal nach Angst oder Ablehnung, fand aber nur erwartungsvolle Neugier. Also setzte er sich zurück und griff nach der Verschnürung, die Lys‘ Hose verschloss.
„Du bist dir sicher?“, wisperte er noch einmal.
„Fang an“, stöhnte Lys und schloss die Augen, als Kirian ihn auszog. Er verstand selbst nicht, warum er sich auf etwas einließ, das im schlimmsten Fall ein Albtraum werden konnte. Der Kuss hatte die ängstliche Faszination für diesen Mann in Lust verwandelt. Nicht das Verlangen, das er für Milo gespürt hatte, dem Sohn seines Fechtlehrers, der ihm vergangenen Sommer die Liebe zwischen Männern gezeigt hatte. Heimlich, natürlich. Liebe zum gleichen Geschlecht wurde toleriert, solange die Sittlichkeit und Diskretion gewahrt blieb, doch bei Standesunterschieden war man rigoros: Adlige blieben unter ihresgleichen. Lys und Milo hatten sich davon nicht abhalten lassen. Die scheuen Küsse, das Streicheln, das unbeholfene Drängeln, bis sie zueinandergefunden hatten und Milo ihn erfüllte – es war schön gewesen. Im Vergleich zu der flammenden Erregung aber, die ihn in Kirians Armen gepackt hatte, war es nur das Flackern einer Kerze, mehr nicht.
Raue Finger wanderten über seine entblößte Haut, besitzergreifend erkundeten sie seinen Leib, während Kirian sich einhändig der Kleidung entledigte. Dann kniete er sich zwischen Lys’ Beinen nieder, ließ die Finger dabei weiterwandern. Erregende Angstschauer prickelten über Lys’ gesamten Körper, ballten sich im Bauch, brachten die Lenden zum Pulsieren. Er stöhnte auf, als Kirians Hand sich um sein Geschlecht legte, mit festem Druck rieb, sodass es fast schon schmerzte. Die andere Hand drückte ihm die Schenkel auseinander, schob sich unter sein Gesäß. Ein Finger strich prüfend über seinen Anus. Dann drang Kirian in ihn ein, bewegte sich im Gleichtakt mit der Hand an seinem bereits qualvoll erregten Pfahl. Lys warf den Kopf wild hin und her, stöhnte rhythmisch, erschüttert von der Gewalt der Lustwellen, die jeden Gedanken und jedes bisschen Beherrschung ertränkten. So schnell, es geschah so schnell! Noch ein, zwei Mal, und er würde …
Da ließ Kirian ihn los und zog sich ein Stück zurück. Lys fuhr hoch, umklammerte verzweifelt die Holzstangen des Bettes, bis die Enttäuschung und die Erregung soweit abgeflaut waren, dass er wieder tief durchatmen konnte. So schnell! Wie nur hatte er in so kurzer Zeit vollends entflammen können? Noch immer pulsierte die Lust machtvoll in seinen Adern, so stark, dass er kaum wusste, was geschah, als Kirians Arme sich unter seinen Rücken schoben. Scharfe Zähne gruben sich in die empfindsamen Brustwarzen. Lys schrie überrascht auf, wurde aber von der Zunge zum Schweigen gebracht, die sich erneut gierig in seinen Mund schob. Er vergaß die Welt, was er war, wer er war; zu sehr genoss er, was in ihm erwachte.
„Du schmeckst so gut“, flüsterte Kirian. „Ich würde dich gerne richtig beißen, aber dann würde dein Bruder mir ewige Feindschaft schwören, nicht wahr? Ich dürfte dich eher foltern als mit dir schlafen.“
Lys begann zu lachen, doch in diesem Moment spürte er, wie Kirian sich an ihn drängte. Atemlos keuchte er auf. Willig hob er die Hüften, ließ zu, dass seine Beine zur Seite gedrückt wurden. Er war mehr als bereit für diesen Mann. Nie gekannte süße Qual durchflutete sein Bewusstsein, als der riesige Schaft in seinen Leib eindrang, kaum erträglicher brennender Schmerz, gepaart mit so viel Begierde, dass er sich schreiend aufbäumte.
Kirian drückte ihn mit einem Arm nieder, mit der Linken umfasste er Lys’ Hüfte. Seine Finger bohrten sich unnachgiebig in die Haut, mit kurzen Stößen drang er immer tiefer vor, bis Lys wie von Sinnen brüllte; bewegte sich dann langsam in ihm. Immer wieder verharrte Kirian in dem Augenblick, wenn Lys unmittelbar vor dem Höhepunkt stand, kontrollierte seinen zuckenden Körper, seine Erregung, jede seiner Bewegungen. Stunden schienen auf diese Weise zu vergehen, obwohl es vielleicht nur wenige Augenblicke waren. Mit flatternden Lidern blickte Lys zu ihm auf, suchte nach Gewissheit, dass Kirian es wenigstens genoss, ihn so zu quälen, dass dies kein grausames Spiel war, an dessen Ende er zerbrochen zurückbleiben würde. Doch die Leidenschaft, die in Kirians Gesicht glühte, zerstreute jeden Zweifel. Sein eigenes sinnliches Stöhnen erschreckte Lys, er konnte es nicht zurückhalten, oder gegen die pulsierende Erregung ankämpfen. Noch nie hatte er so sehr die Beherrschung über sich selbst verloren, einem Menschen so rückhaltlos vertrauen können, dass er ihm willig die Kontrolle über seinen Körper ließ. Warum er diesem Mann vertraute, er wusste es nicht, doch so war es.
Wieder verharrte Kirian in ihm, blieb still, wartete, dass Lys ruhig wurde. Doch Lys war zu stark erregt, all seine Muskeln zitterten unwillkürlich, er stöhnte, presste sich gegen den Schaft, der ihn ausfüllte. Ein harter Stoß erschütterte seinen Leib, Lys schluchzte auf vor Qual. Der Lustschmerz brachte ihn um den Verstand, er verbrannte vor Verlangen, versuchte gleichzeitig zu fliehen und sich noch dichter an Kirian zu drängen.
„Bitte!“, flehte er, riss an seinen Fesseln, stemmte sich gegen das Gewicht, das ihn niederhielt.
Und wieder ließ Kirian ihn leiden: Er löste sich von ihm und stand auf. Lys brach fast zusammen, als er mit seinen völlig überreizten Sinnen allein gelassen wurde, rang schluchzend nach Atem. Es dauerte lange, bis er aufhörte zu zittern und fähig war, den Kopf zu wenden, um nach Kirian zu suchen.
Der Sheruk ließ das Tuch fallen, mit dem er sich nach einer kurzen, gründlichen Waschung abgetrocknet hatte, lauschte dabei intensiv auf Lys’ Regungen. Er wusste, Lys war innerlich dem Abgrund nah, er durfte ihn nicht mehr weit treiben, wollte er verhindern, dass bei ihm Lust in Angst umschlug. Aber ein bisschen wollte er dieses Spiel noch genießen, die Widerstandskraft wie auch Hingabe des jungen Mannes war erstaunlich. Er setzte sich neben ihn, streichelte sanft über das erhitzte Gesicht, die schweißnasse Haut. Kein Vorwurf stand in diesen schönen Augen, nur sinnliches Flehen. Kirian strich ihm über die Lippen und lachte, als Lys nach ihm schnappte und beherzt in seinen Daumen biss.
„Noch nicht gezähmt?“, fragte er, schritt dabei um das Bett herum.
Lys zuckte leicht zusammen, als das kühle Geschlecht in seine Hand glitt. Kirian stützte sich auf dem Bettgestänge auf und nickte ihm herrisch zu. Mehr brauchte es nicht, gehorsam umfasste Lys den noch schlaffen Pfahl, massierte ihn mit leichtem Druck. Seine Hände waren taub von den Fesseln und der unnatürlichen Haltung, er fürchtete die Kontrolle zu verlieren und Kirian vielleicht zu verletzen. Dabei zweifelte er nicht, dass dem Räuber diese Gefahr bewusst war, und ihm dennoch vertraute. Es dauerte nicht lange, und Kirian löste sich von ihm. Nur ein Augenblick verging, dann kniete er sich über Lys’ Brust nieder.
„Nimm ihn!“, befahl er. Lys zögerte einen Moment, als die Spitze des halb erregten Glieds seinen Mund berührte. Milo hatte ihn einmal darum gebeten, aber der Geruch und Geschmack nach Moschus hatte Lys angewidert. Wieder streifte die Spitze über seine Lippen, unwillkürlich stöhnte er auf und öffnete sich. Kirians Liebesduft war gänzlich anders, angenehm, so erregend, dass Lys kraftvoll zu saugen begann und den zuckenden Schaft so tief wie möglich in sich aufnahm.
Kirian keuchte unterdrückt, wühlte mit beiden Händen durch Lys’ schweißgetränktes Haar, hielt ihn dann lachend auf.
„Nicht so ungeduldig, sonst bringst du dich selbst um das Vergnügen!“ Lys verringerte den Druck und genoss die Lust, die er entfachte.
„So was wie dich habe ich noch nicht erlebt“, flüsterte Kirian, umarmte und küsste ihn behutsam, darauf bedacht, ihn nicht zu sehr zu überreizen. Mit langsamen Bewegungen drehte er sich, glitt über den athletischen Leib hinab, zwischen die Beine, die Lys unwillkürlich angezogen hatte. Mit allen Fingern zugleich krallte er sich in die Schenkel und fiel hungrig mit Zunge und Zähnen über das hart geschwollene Geschlecht her. Dabei drängte er seinen eigenen Pfahl zurück in den Mund, der sich ihm begehrlich öffnete.
Lys konnte nur noch reagieren, jede Faser seines Körpers war entflammt. Wimmernd hielt er die Lippen um Kirians Erregung geschlossen, es kostete ihn alles, was er noch an Bewusstsein besaß, nicht unabsichtlich zuzubeißen. Schmerzvolle Lust explodierte in seiner Leibesmitte, hilflos verlor er sich in diesem Augenblick, in dem er nur noch pures Empfinden war, ungehemmt zuckendes, getriebenes Fleisch. Er spürte, wie sich Kirian in ihm entlud, schluckte den Liebessaft, der heiß in seine Kehle floss. Er gab den Schaft frei, bog den Rücken durch, als die Erregung ihn ohne Vorwarnung ein zweites Mal überrollte, und kam mit einem wilden, hemmungslosen Schrei.
Kirian beeilte sich, als er spürte, wie Lys innerlich zusammenbrach, schnitt ihm die Hände frei und umarmte ihn.
„Ruhig, ganz ruhig …“, flüsterte er, hielt ihn fest und sicher. Lys bebte, regelrecht schockiert von der Gewalt der Sinneslust, die ihm widerfahren war. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich unter der Zärtlichkeit von Kirians Händen entspannen konnte.
„Ich bin sofort wieder da“, flüsterte der Sheruk schließlich. Lys nickte nur, er dämmerte in erschöpftem Halbschlaf dahin. Kirian streifte sich nachlässig Hemd und Hose über, betrachtete dann kopfschüttelnd seinen Gefangenen. „Du bist ein Phänomen, Lyskir von Corlin.“ Er ließ sich auch von unwilligem Knurren nicht abhalten, Lys in seine Kleidung zu zwingen und hob ihn ohne weitere Umstände in seine Arme.
„Was?“, murmelte Lys und riss erschrocken die Augen auf.
„Keine Angst, ich entführe dich nur ein paar Schritte weit von hier.“
„Lass mich runter, ich kann laufen“, zischte er, doch Kirian presste ihn mit Nachdruck an sich.
„Nichts da! Du bist still und lässt die Augen zu, sonst muss ich dich wieder fesseln und die Binde nehmen!“ Sein Tonfall war leicht, doch Lys spürte, es war ihm ernst und gehorchte, ohne weiter nachzufragen.
„Du hast da was falsch verstanden! Die Braut wird über die Schwelle ins Haus getragen, nicht in den Wald“, spottete Albor, sobald sie die Hütte verließen, und alle umstehenden Räuber begannen zu lachen. Lys verbarg sein schamglühendes Gesicht in Kirians Hemd. Die Antwort des Sheruks und die darauf folgenden Sticheleien verstand er nicht, doch er spürte Kirians warmes Lachen, das ihn beruhigte.
Es dauerte nicht lange, da hörte er Wasser gluckern und roch schweflige Dämpfe.
„Augen auf!“ Kirian ließ ihn herunter und staunend erkannte Lys, dass er vor einer heißen Quelle stand: ein natürlich geformtes Wasserbecken, von dem Dampf aufstieg.
„Es muss hier früher viele solcher Quellen gegeben haben, wir haben sogar einen Vulkankegel gefunden. Nicht erschrecken, im ersten Moment ist es recht heiß.“ Kirian zog sich bereits aus und stieg dann mit wohligem Seufzen ins Wasser hinein. Lys wollte ihm folgen, doch dann sah er den bloßen Rücken des Sheruks und die silbrigen Narben, die ihn überzogen.