Buchinfo

Sommer, Sonne, Strand und der Traumurlaub an der Côte d’Azur: Eigentlich könnte alles so schön sein für Julia. Sie sieht ihren Freund und Herzensbrecher René wieder, den sie beim Frankreichaustausch kennen- und lieben gelernt hat. Doch Julias Mutter hat Neuigkeiten, die bei ihr so gar nicht auf Gegenliebe stoßen, ihre verflixte Eifersucht kommt ihr mal wieder in die Quere und auch sonst läuft einiges schief …

Autorenvita

Maja von Vogel

Maja von Vogel wurde 1973 geboren und wuchs im Emsland auf. Sie studierte Deutsch und Französisch in Münster und Göttingen, lebte ein Jahr in Paris und arbeitete als Lektorin in einem Kinderbuchverlag, bevor sie sich 2002 als Autorin und Übersetzerin selbstständig machte. Heute lebt Maja von Vogel mit ihrer Familie in Nordwestdeutschland.

Titelbild

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Teil I

Sommer, Sonne, Traumurlaub?!

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Über den Wolken

»Möchtet ihr etwas trinken?«, fragt die Stewardess. Sie lächelt Nina und mich freundlich an.

Bevor ich auch nur einen Ton sagen kann, legt Nina los: »Ich hätte gerne einen Tomatensaft mit viel Pfeffer und eine Cola. Am liebsten Pepsi light, wenn Sie die haben, aber mit Koffein, bitte. Und könnte ich vielleicht auch noch einen Apfelsaft bekommen? Von dieser klimatisierten Luft im Flugzeug kriege ich immer so einen Durst.«

Ich fasse es nicht! Warum bestellt sie nicht gleich die komplette Getränkekarte? Manchmal ist mir meine kleine Schwester echt peinlich. Genau genommen nicht nur manchmal, sondern ungefähr alle fünf Minuten. Dabei sollte sie langsam etwas vernünftiger werden, schließlich ist sie kein Kleinkind mehr und hält sich außerdem selbst für unheimlich erwachsen.

Glücklicherweise ist die Stewardess gut geschult. Statt Nina knallhart ins Gesicht zu sagen, dass sie ein widerlicher Gierschlund ist und sich mal etwas zurückhalten soll, weil andere Passagiere schließlich auch noch was trinken wollen, lächelt sie freundlich und serviert die Getränke.

Dann schaut sie mich an. »Und was darf’s für dich sein?«

»Ein Mineralwasser, bitte«, sage ich.

Kaum hat die Stewardess mir mein Wasser hingestellt und ihren Getränkewagen weitergeschoben, plärrt Nina: »Mann, Julia, warum hast du denn nicht noch was bestellt? Ist doch alles umsonst!«

»Ich kann mich eben zurückhalten«, antworte ich und werfe einen Blick auf ihren voll gestellten Klapptisch. »Ganz im Gegensatz zu dir. Außerdem hab ich keinen Durst.«

Nina kriegt wie üblich gar nicht mit, dass sie kritisiert wird. Sie schlürft ihren Tomatensaft und schaut aus dem Fenster.

»Guck mal, wir fliegen schon über den Alpen!«, ruft sie. »Dann ist es nicht mehr weit bis Nizza. Ich sag’s dir, das werden garantiert die besten Sommerferien unseres Lebens!«

Ich werfe einen Blick an Nina vorbei aus dem Fenster. Das hätte ich lieber nicht tun sollen. So weit das Auge reicht, nichts als verschneite Gipfel, schwarze Felsen und tiefe, tiefe Täler. Du meine Güte, fliegen wir hoch! Mir ist die ganze Zeit schon etwas flau im Magen gewesen, aber jetzt wird mir richtig schlecht. Schnell nehme ich einen Schluck Mineralwasser. Das kommt davon, wenn man den ganzen Tag nichts Vernünftiges isst. Aber vor längeren Reisen bin ich immer so aufgeregt, dass ich keinen Bissen hinunterkriege.

Außerdem ist das heute mein erster Flug. Ich glaube allerdings nicht, dass Fliegen eine meiner Lieblingsbeschäftigungen wird. Dafür schaukelt es mir hier zu sehr. Ob das normal ist? Vorsichtshalber kralle ich mich mit beiden Händen an den Armlehnen fest und schließe die Augen. Wenn wir jetzt abstürzen, haben wir keine Chance. Das Flugzeug wird an den Felsen zerschellen und nie gefunden werden. Erst in zweitausend Jahren entdecken irgendwelche Forscher unsere im ewigen Eis tiefgekühlten Leichen und wir werden die Ötzis der Zukunft. Ich sehe alles ganz genau vor mir: Extra für uns wird ein neues, supermodernes Museum gebaut werden. Meine Brille wird eine der Hauptattraktionen, weil im Zeitalter der Laserstrahlen natürlich kein Mensch mehr Brillen trägt. Vielleicht bekommt sie sogar eine eigene Vitrine. Und Ninas Mageninhalt wird Generationen von Forschern beschäftigen, die sich einfach nicht erklären können, wo die Kleine mitten auf dem Gletscher die Tomaten herhatte.

»Was ist denn mit dir los?«, fragt mich Nina. »Geht’s dir nicht gut? Du siehst aus, als hätte dich gerade jemand ausgekotzt.« Charmant wie immer, meine liebe Schwester. Da muss es einem doch gleich besser gehen! »Apropos kotzen«, fährt Nina munter fort, »in der Tasche vor dir sind Papiertüten, falls du’s nicht mehr bis zum Klo schaffst. Hauptsache, du spuckst in die andere Richtung und versaust mir nicht mein neues T-Shirt.«

»Vielen Dank«, sage ich matt. »Das ist wirklich ausgesprochen hilfsbereit und mitfühlend von dir.« Nina nickt zufrieden. »So bin ich eben. Schließlich ist das dein erster Flug. Du kannst echt froh sein, dass ich dabei bin, sonst wärst du ganz schön aufgeschmissen.«

Ich erspare mir und Nina einen Kommentar. Seit Paps uns heute Mittag zum Flughafen gebracht hat, lässt Nina keine Gelegenheit aus, sich als superroutinierte Fliegerin aufzuspielen. Sie tut so, als würde sie täglich irgendwohin fliegen. Fehlt nur noch, dass sie ins Cockpit marschiert und den Piloten ablöst. Okay, sie war schon ein paarmal in Nizza bei Barbara und Jacques, aber deswegen braucht sich die kleine Kröte noch lange nicht so aufzuspielen. Hoffentlich geht das nicht die ganzen Ferien so weiter.

Bei dem Gedanken an meine Mutter und ihren französischen Lover wird das flaue Gefühl in meinem Magen gleich noch ein bisschen stärker. Hoffentlich erkennt Barbara mich überhaupt wieder. Schließlich haben wir uns nicht mehr gesehen, seit sie Paps, Nina und mich wegen dieses schleimigen Jacques’ verlassen hat. Und das ist inzwischen fast vier Jahre her. Im Gegensatz zu Nina habe ich mich nämlich nicht sofort wieder von Barbara um den Finger wickeln lassen, nur damit ich die Sommerferien in Jacques’ protziger Villa an der Côte d’Azur verbringen kann. Ich werde nie verstehen, wie Nina unserer Mutter so schnell verzeihen konnte. Immerhin hat sie uns eiskalt sitzen lassen.

Bei mir hat es eine halbe Ewigkeit gedauert, bis ich überhaupt wieder ein Wort mit ihr reden konnte. Ich hab sie richtig gehasst! Aber zum Glück habe ich diese Phase inzwischen überwunden. Schließlich ist Barbara trotz allem immer noch meine Mutter und es ist ganz schön anstrengend, seine eigene Mutter auf Dauer zu hassen. Seit ungefähr einem Jahr telefonieren wir wieder halbwegs regelmäßig miteinander. Manchmal können wir richtig gut miteinander reden und es ist fast wie früher. An anderen Tagen bin ich wieder total empfindlich und Barbara braucht den Namen Jacques nur zu erwähnen, dann raste ich schon aus. Auf den Typen reagiere ich immer noch allergisch. Dabei kenne ich ihn eigentlich gar nicht. Nur von Fotos. Und einmal hatte ich ihn am Telefon, aber da habe ich gleich wieder aufgelegt. Von seiner schleimigen französischen Stimme ist mir sofort schlecht geworden. Nina fährt total auf ihn ab. Jacques hier und Jacques da. Sie lässt sich eben noch von viel Geld, einer Villa mit Swimmingpool und einem blöden Segelboot beeindrucken. Ich nicht. Hoffentlich hängt der Typ in den Ferien nicht ständig mit uns herum. Als erfolgreicher Hotelbesitzer muss er doch bestimmt rund um die Uhr wichtige geschäftliche Entscheidungen treffen, um so viel Kohle wie möglich zu scheffeln.

»Sag mal, Nina«, sage ich, »arbeitet Jacques eigentlich viel in den Ferien?«

Nina schüttelt den Kopf. »Nö. Das ist ja gerade das Tolle! Für seine Hotels hat er jede Menge Angestellte, die die Arbeit machen. Da fährt er nur ab und zu mal hin und sieht nach dem Rechten. In den Ferien, wenn ich da war, hat er sich immer ganz viel Zeit genommen. Damit er mit uns was unternehmen konnte. Zum Beispiel segeln gehen. Oder surfen. Letztes Jahr waren wir tauchen, das war echt klasse …«

Ninas begeisterte Schilderungen von dem Tauchkurs mit Jacques habe ich schon ungefähr tausend Mal gehört. Mit seinem blöden Sportkram braucht er mir gar nicht erst zu kommen. Mein Motto lautet nämlich »Sport ist Mord«. Schlimm genug, dass ich mich in der Schule zweimal pro Woche mit völlig hirnrissigen Beschäftigungen wie Leichtathletik, Geräteturnen oder – das Schlimmste von allem – Fußball herumquälen muss. In den Ferien braucht mein Körper absolute Ruhe.

Aber ich habe vor dieser Reise beschlossen, mir trotz allem Mühe mit Jacques zu geben. Ich werde mich zusammenreißen und ihn nicht blöd anmachen, sondern höflich und nett sein. Denn eigentlich ist mir der Typ ja völlig egal. Ich fliege wegen meiner Mutter nach Nizza und nicht wegen ihm. Und ich will keinen Ärger, sondern entspannte Ferien.

Ein Glück, dass René auch da ist. Er holt mich immer auf den Teppich zurück, wenn ich mich mal wieder über Jacques aufrege. Schade, dass er erst morgen kommt. Aber in Paris fangen die Sommerferien später an als bei uns. Na ja, so kann ich mich heute erst mal der glücklichen Familienzusammenführung widmen, ist vielleicht auch nicht schlecht.

Ich hole die Schneekugel heraus, die René mir letztes Jahr in Paris zum Abschied geschenkt hat, und schüttele sie. Statt Schnee wirbelt feiner Sand auf und lässt die beiden Figuren, die Händchen haltend am Strand sitzen, in einem goldenen Nebel verschwinden. Letztes Jahr haben wir noch davon geträumt und jetzt ist es endlich so weit: Unser Traumurlaub an der Côte d’Azur wird Wirklichkeit. Zehn Tage lang Sonne, Strand, salzige Küsse und ganz viel Zeit für uns. Die haben wir auch dringend nötig, schließlich sehen wir uns viel zu selten. Aber Paris liegt nun mal leider nicht um die Ecke. Eigentlich unglaublich, dass wir trotzdem schon seit zehn Monaten zusammen sind. Wenn ich allerdings die Tage zusammenzähle, die wir tatsächlich gemeinsam verbracht haben, komme ich noch nicht mal auf vier Wochen. Unsere Treffen sind zwar immer total schön, aber ich frage mich trotzdem manchmal, wie es auf Dauer mit uns weitergehen soll. Ich will schließlich nicht bis zur Rente in einer Fernbeziehung leben. Aber eigentlich bin ich ja selbst schuld. Warum musste ich mich auch ausgerechnet in meinen französischen Austauschpartner verlieben?

»He, Julia, du musst deinen Tisch hochklappen«, brüllt mir Nina so laut ins Ohr, dass mir vor Schreck fast die Schneekugel aus der Hand fällt. »Gleich setzen wir zur Landung an. Hast du die Ansage nicht gehört? Mann, ich sag’s ja, du hast echt Glück, dass ich dabei bin …«

Ansage? Welche Ansage? Die ist irgendwie komplett an mir vorübergegangen. Schnell kippe ich das restliche Mineralwasser hinunter und reiche den leeren Plastikbecher der Stewardess, die gerade den Müll einsammelt. Dann klappe ich den Tisch hoch und werfe vorsichtig noch einen Blick aus dem Fenster. Wir haben die Alpen inzwischen hinter uns gelassen und der Pilot dreht gerade eine Runde über dem Meer. Wahnsinn! Das Wasser glitzert im Sonnenschein und ich sehe nur Blau. Hellblauer Himmel – ohne die geringste Spur einer Wolke – und azurblaues Wasser mit winzig kleinen, weißen Schaumkrönchen. Ich bin so begeistert von dieser traumhaften Aussicht, dass ich das flaue Gefühl in meinem Magen glatt vergesse. Direkt unter uns schaukelt ein Segelboot auf den Wellen. Von hier oben sieht es aus wie das Spielzeugboot, mit dem ich früher immer in der Badewanne gespielt habe. Bis Nina es in die Finger bekommen und natürlich sofort völlig demoliert hat.

Jetzt fliegen wir wieder auf die Küste zu. Sie schlängelt sich wie ein grün-weißes Band unter uns entlang. Auf der Küstenstraße fahren Spielzeugautos und am Strand liegen Spielzeugmenschen unter Spielzeugsonnenschirmen. Die ahne ich auf die Entfernung allerdings mehr, als dass ich sie sehe.

»Das ist das Mittelmeer«, erklärt mir Nina. »Und gleich landen wir. Pass auf, das wird lustig.«

Tatsächlich, jetzt fängt das Flugzeug an zu sinken. Besonders lustig kann ich das allerdings nicht finden. Es kommt mir so vor, als wenn mein Magen immer höher steigt, je schneller wir sinken, bis er schließlich in meinem Hals sitzt. Kein besonders angenehmes Gefühl. Ich atme tief durch und versuche, meinen Magen dazu zu bewegen, dass er sich wieder auf seinen gewohnten Platz in meinem Bauch verzieht. Jetzt kriege ich auch noch Druck auf den Ohren. Autsch, tut das weh! Außerdem höre ich kaum noch was. Ich fühle mich, als hätte mir jemand Watte in die Ohren gesteckt. Nina sagt irgendwas, aber ich kann sie nicht verstehen. Na ja, wenigstens ein Vorteil.

Wir sinken immer weiter und das Meer kommt bedrohlich näher. Jetzt kann ich schon die Menschen auf den Segelbooten erkennen. Das ist kein gutes Zeichen. Und weit und breit kein Flughafen in Sicht. Der Pilot scheint unbedingt eine Wasserlandung hinlegen zu wollen. Ja, ist der denn total verrückt geworden? Ich kneife die Augen zusammen und warte auf den Aufprall. Immerhin ist es besser, hier über dem Meer abzustürzen, als über den Alpen. Mit etwas Glück wird der Aufprall vom Wasser gedämpft. Und wenn wir nicht von irgendwelchen Trümmerteilen erschlagen werden, können wir vielleicht bis zur Küste schwimmen. Das hängt natürlich vom Seegang ab. Und von der individuellen sportlichen Ausdauer, die bei mir leider gegen null tendiert.

Plötzlich gibt es einen Ruck, dann steigt der Pilot in die Eisen. Er bremst so heftig, dass ich in meinem Sitz nach vorne gedrückt werde. Innerhalb von Sekunden kommt das Flugzeug zum Stehen. Ich öffne die Augen und erwarte halb, dass ein glubschäugiger Mittelmeerfisch vor meinem Gesicht herumschwimmt und mich anstarrt. Im ersten Moment denke ich tatsächlich, dass wir auf dem Meeresgrund gelandet sind. Aber dann erkenne ich, dass es kein Fisch mit Glubschaugen, sondern bloß Nina ist, die mich anstarrt. Vom Aussehen her besteht da allerdings kein großer Unterschied. Ninas Mund geht auch ständig auf und zu, bloß dass sie dabei leider nicht stumm wie ein Fisch ist, sondern die ganze Zeit quasselt. Zum Glück verstehe ich nur die Hälfte, weil ich immer noch Ohrensausen habe. Ich schüttele meinen Kopf hin und her und klopfe mit der flachen Hand gegen meine Ohren, aber das bringt leider überhaupt nichts. Das Rauschen bleibt. Irgendwo habe ich mal gehört, dass Gähnen gegen Ohrensausen hilft. Also reiße ich meinen Mund weit auf – und sehe jetzt wahrscheinlich selber aus wie ein kranker Karpfen. Aber es hilft tatsächlich. Allerdings nur auf der einen Seite. In meinem rechten Ohr macht es plötzlich »plopp« und Ninas Dauergelaber kann wieder ungehindert in meinen Gehörgang eindringen. Schade eigentlich. »… war doch eine super Landung, oder?«, fragt sie gerade mit leuchtenden Augen. »Mann, der Sinkflug war echt der Hammer. Und wie wir dann übers Wasser gesaust sind – der reine Wahnsinn. Ich glaube, ich werde Pilotin.«

Spätestens dann werde ich niemals wieder einen Fuß in ein Flugzeug setzen. Mit Nina im Cockpit einer Boeing ist der Luftraum eindeutig eine Gefahrenzone.

Durch das Fenster sehe ich, dass wir es tatsächlich bis zum Flughafen geschafft haben. Direkt neben der Landebahn glitzert das Meer. Puh, das war bestimmt ganz schön knapp. Ich frage mich, wie man einen Flughafen so nah ans Wasser bauen kann. Da muss doch früher oder später mal ein Flugzeug eine Bauchlandung machen. Aber ich wusste ja schon immer, dass die Franzosen ein bisschen spinnen.

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Das fängt ja gut an ...

Die anderen Passagiere drängeln sich alle auf dem engen Gang zwischen den beiden Sitzreihen und suchen ihr Handgepäck zusammen.

»Mann, Julia, steh doch endlich auf«, quengelt Nina. »Mama und Jacques warten bestimmt schon auf uns.«

»Immer mit der Ruhe«, sage ich. »Ich hab keine Lust, mich in dieses Gewühl zu stürzen.« Nina hüpft ungeduldig auf ihrem Sitz auf und ab, bis es etwas leerer geworden ist und ich aufstehe. Ich schnappe mir meine Jeansjacke und den Rucksack und folge Nina, die es ziemlich eilig hat und in einem Affenzahn aus dem Flugzeug flitzt.

»Schnell, jetzt müssen wir noch unser Gepäck holen«, ruft sie mir über die Schulter zu, während wir durch eine ans Flugzeug angedockte Röhre ins Flughafengebäude gelangen. Ich versuche, durch ruckartige Kopfbewegungen auch mein linkes Ohr wieder freizubekommen, aber es klappt nicht. Wir latschen eine halbe Ewigkeit durch irgendwelche Gänge und ich werde mit jedem Schritt nervöser. In diesem Moment befindet sich irgendwo hier im Gebäude meine Mutter und wartet auf mich. Gleich werden wir uns gegenüberstehen. Ein komisches Gefühl. Es ist toll, aber auch irgendwie beängstigend. Auf jeden Fall ziemlich aufregend.

Ob Barbara genauso aufgeregt ist wie ich? Und ob sie sich genauso sehr auf unser Wiedersehen freut?

Eigentlich könnte ich jetzt endlich mit diesem Barbara-Quatsch aufhören. Schließlich habe ich damit nur angefangen, um Mama zu ärgern. Sie mag es nämlich nicht, wenn ich sie Barbara nenne. Ich werde jetzt einfach wieder Mama zu ihr sagen, so wie früher. Als wir noch eine richtige Familie waren.

»Da drüben ist unsere Gepäckausgabe«, ruft Nina.

Wir stellen uns neben das Laufband, auf dem schon die ersten Koffer an uns vorüberziehen. Ich bin viel zu aufgeregt, um auf meinen Koffer zu achten. Wer interessiert sich schon für Gepäck, wenn gleich ein dramatisches Wiedersehen mit der eigenen Mutter ansteht, die man seit Jahren nicht gesehen hat? »Da hinten ist meine Tasche!«, schreit Nina, rast zum anderen Ende des Laufbands und zerrt ihre – sicherlich von Ninas unzähligen Flügen – ziemlich ramponierte Reisetasche herunter.

Ich warte und warte, aber mein Koffer kommt nicht in Sicht. Habe ich ihn vielleicht übersehen? Wäre ja kein Wunder bei meiner momentanen geistigen Verfassung. Ich stehe in der Tat ein bisschen neben mir. Ich versuche, mich auf das an mir vorbeiziehende Gepäck zu konzentrieren. Da sind Rucksäcke in allen Farben, Formen und Größen, Reisetaschen, große Koffer, kleine Koffer – bloß meinen Koffer kann ich nicht entdecken. Langsam werde ich nervös.

»Mann, wo ist denn dein blöder Koffer?«, nörgelt Nina. »Mama wundert sich bestimmt schon, wo wir bleiben.«

Inzwischen sind wir die Letzten. Alle anderen Passagiere sind glücklich mit ihrem Gepäck abgezogen. Vor uns auf dem Laufband dreht nur noch eine einsame Reisetasche ihre Runden – vielleicht sollte ich die einfach statt meines Koffers mitnehmen.

»Das war’s, da kommt nichts mehr«, stellt Nina schließlich fest.

»Was soll das heißen, da kommt nichts mehr? Und was ist mit meinem Koffer?«, frage ich panisch. »Vielleicht ist er ja ganz hinten im Flugzeug gelandet und deswegen dauert es etwas länger, bis sie ihn herausgeholt haben.«

»Quatsch«, sagt Nina. »Ich glaube, die haben deinen Koffer vergessen.«

»Wie – vergessen?«, rufe ich. »Das gibt’s doch gar nicht!«

»Doch«, sagt Nina. »So was kommt vor. Entweder steht dein Koffer noch in Deutschland am Flughafen oder er ist in einer anderen Maschine gelandet. Wer weiß, vielleicht ist er gerade auf dem Weg nach New York oder Hongkong …«

Na toll! Ich will aber nicht, dass mein Koffer mutterseelenallein auf Weltreise geht. Ich will, dass er jetzt sofort auf diesem blöden Laufband auftaucht. Tut er aber nicht.

»Mist!«, schimpfe ich. »Im Koffer sind doch all meine Klamotten! Was soll ich denn jetzt machen?«

Nina zuckt mit den Schultern. »Weiß ich auch nicht. Mann, bin ich froh, dass die meine Tasche nicht vergessen haben!«

Ich schaue Nina böse an. »Vielen Dank für dein Mitgefühl!«

Das ist mal wieder typisch. Den ganzen Tag nervt mich Nina mit ihren oberschlauen Sprüchen, aber wenn’s drauf ankommt, hat sie natürlich keinen blassen Schimmer, was zu tun ist. Jetzt kann ich zehn Tage lang in derselben Jeans und demselben T-Shirt herumlaufen, das hat mir gerade noch gefehlt. So ein absoluter Obermist!

»Komm, wir gehen erst mal zu Mama und Jacques«, schlägt Nina vor. »Die wissen bestimmt, was wir machen sollen.«

Ich nicke resigniert und folge Nina zum Ausgang. Die Ferien fangen ja gut an! Ob das ein schlechtes Omen ist?

Der verschwundene Koffer hat mich kurze Zeit von meiner Nervosität abgelenkt, aber jetzt schlägt sie wieder voll zu. Ich habe eiskalte Hände und bin ganz zittrig. Gleich ist es so weit! Wir müssen nur noch durch die Tür da vorne in die Ankunftshalle gehen, dann werde ich Barbara wiedersehen. Ich meine natürlich, Mama.

Nina geht immer schneller, während meine Schritte immer langsamer werden. Ich fühle mich, als hätte ich plötzlich Bleigewichte an den Füßen. Einerseits will ich so schnell wie möglich zu Mama, andererseits will ich es auch wieder nicht. Schließlich gebe ich mir einen Ruck und betrete die Ankunftshalle. Es ist eine Menge los und mein Blick gleitet im Eiltempo über die Menschen. Wo ist sie?

»Hallo, Mama!«, kreischt Nina in diesem Moment, rennt auf ein elegantes Paar zu und schmeißt sich der Frau in die Arme.

Ich muss zweimal hinschauen, bevor ich meine Mutter erkenne. Vor Staunen bleibt mir der Mund offen stehen. Wahnsinn. Mama hat sich ganz schön verändert. Sie trägt einen eleganten schneeweißen Hosenanzug, der ihre sonnengebräunte Haut gut zur Geltung bringt. Früher ist sie immer in ganz normalen Klamotten herumgelaufen, meistens in Jeans und Turnschuhen. Aber ich muss zugeben, dass ihr der Hosenanzug sehr gut steht. Außerdem sind ihre Haare irgendwie anders. Kürzer und dunkler. Eigentlich hat Mama dieselbe Haarfarbe wie ich (oder umgekehrt): straßenköterblond. Dieser kastanienbraune Farbton kann also gar nicht echt sein, obwohl er absolut natürlich aussieht und prima zu ihrem gebräunten Teint passt. Auf ihrem Kopf thront eine dunkle Sonnenbrille, die auch nicht verrutscht, als Nina in Mamas Arme springt und sie dabei fast umschmeißt.

Ich stehe wie festgewachsen auf einem Fleck und kann sie nur anstarren. Mama sieht so anders aus. Sie kommt mir ganz fremd vor. So elegant, perfekt und unnahbar. Sie drückt Nina an sich und vergräbt dabei die Nase in Ninas Haaren. Dann schaut sie auf und sieht mich. Der Blick dauert nur eine Sekunde, trotzdem kommt er mir so lang vor wie eine Ewigkeit. Erst ist er unsicher, dann ungläubig. Schließlich fängt Mama an zu lächeln und da erkenne ich sie erst wirklich wieder. Ja, das ist eindeutig Mamas Lächeln. Fröhlich, ein bisschen verschmitzt und sehr lieb.

Endlich kann ich meine Beine wieder bewegen. Sie laufen wie von selbst auf Mama und Nina zu. Ich komme mir vor wie ein Eisennagel, der von einem starken Magneten angezogen wird. Dafür lässt mich jetzt meine Stimme im Stich. Ich will etwas sagen, kriege aber keinen Ton heraus.

Zum Glück übernimmt Mama erst mal das Reden. »Julia, mein Schatz, es ist so schön, dass du endlich gekommen bist!« Sie hält mich an den Schultern fest und betrachtet mich mit einem erstaunten Kopfschütteln. »Und wie groß du geworden bist! Meine Kleine ist plötzlich erwachsen geworden …«

Ihr Blick wird auf einmal traurig und in ihren Augen schimmern Tränen. Meine Mutter hatte schon immer einen Hang zum Melodramatischen, in der Beziehung hat sie sich offenbar nicht geändert. Aus alter Gewohnheit bin ich drauf und dran zu antworten, dass ich keineswegs plötzlich erwachsen geworden bin, sondern dass dieser Vorgang vier lange Jahre gedauert hat, die sie leider nicht an meiner Seite, sondern 800 Kilometer entfernt an der Seite eines lebendigen Schleimbolzens verbracht hat.

Aber diese fiesen und völlig unreifen Gedanken verbanne ich schnell wieder aus meinem Kopf. Die Hassphase habe ich schließlich hinter mir. Das ist Schnee von gestern. Ich habe meiner Mutter verziehen.

Jetzt nimmt sie mich in die Arme. Ganz behutsam und vorsichtig, so als wüsste sie nicht genau, ob sie mich umarmen darf. Als hätte sie Angst, dass ich sie wegstoße, wenn sie mir zu nahe kommt. Aber ich stoße sie nicht weg, sondern drücke sie ganz fest an mich und lege mein Gesicht an ihren Hals, so wie ich es als Kind immer getan habe. Dann atme ich tief ein. Sie benutzt jetzt ein anderes Parfum. Eins, das sehr edel und sehr teuer riecht. Wahrscheinlich Chanel Nr. 5 oder so was. Aber irgendwo darunter ist immer noch ihr eigener, vertrauter Geruch. Erinnerungen blitzen in meinem Kopf auf: Gutenachtküsse, Märchenstunden auf dem Sofa und Kuscheln im Bett.

Ich schließe die Augen und murmele: »Hallo, Mama.« Plötzlich habe ich das Gefühl, nach Hause zu kommen.

»Mama, Julia hat ihren Koffer verloren!«, ruft Nina in diesem Moment und zerstört wie üblich die Idylle.

Mama lässt mich los und schaut Nina an. »Was? Verloren? Wo denn?«

»Verloren ist nicht ganz der richtige Ausdruck«, sage ich schnell, bevor Nina wieder irgendwelchen Quatsch erzählt. »Der Koffer ist offensichtlich vergessen worden.«

»Wir haben ewig lange bei der Gepäckausgabe gewartet, aber Julias Koffer war nicht dabei«, ergänzt Nina.

»Ach, deswegen hat das so lange gedauert«, sagt Mama. »Wir haben uns schon gewundert.« Dann schaut sie mich an. »Mach dir keine Sorgen, der Koffer taucht schon wieder auf. Er kommt bestimmt mit der nächsten Maschine. Jacques kann das sicher für dich regeln, n’est-ce pas, chérie?«

Sie wendet sich dem Mann zu, der neben ihr steht und den ich in der ganzen Aufregung bisher noch gar nicht richtig wahrgenommen habe. Das ist also Jacques.

Obwohl ich versuche, ihn ganz objektiv zu betrachten, kann ich nicht verhindern, dass ich vor lauter Abneigung eine Gänsehaut kriege. Dabei sieht er eigentlich gar nicht schlecht aus, wie ich ehrlicherweise zugeben muss, zumindest für sein Alter. Ich habe keine Ahnung, warum Mama sich ausgerechnet so einen alten Knacker ausgesucht hat. Vielleicht ein Vaterkomplex oder so was. Der Typ geht bestimmt schon auf die sechzig zu! Hat sich aber ganz gut gehalten. Sportliche Figur, braun gebrannt, graue Haare. Im Gegensatz zu Mama läuft er ziemlich leger herum. Wahrscheinlich hat er es gar nicht mehr nötig, mit teuren Designeranzügen zu protzen, weil hier sowieso jeder weiß wie stinkereich er ist. In seiner hellen Bundfaltenhose, und dem gelben Polohemd sieht er aus, als würde er gerade vom Golfspielen kommen. Was er vermutlich auch tut.

»Bien sûr, mon trésor«, sagt er und drückt Mama einen Kuss auf das Ohr. »Für disch tu isch doch alles!« Mir dreht sich fast der Magen um, als ich seinen fürchterlichen französischen Akzent höre, aber Mama lächelt ihn verliebt an. »Darf ich vorstellen? Das ist meine Tochter Julia, von der ich dir schon so viel erzählt habe.« Dann wendet sie sich mir zu. »Und das ist Jacques.«

»Enchanté, Mademoiselle«, sagt Jacques, schnappt sich meine Hand und haucht mir doch tatsächlich einen Kuss auf die Finger.

So ein widerlicher Schleimer! Bei der Gelegenheit habe ich zudem einen ungetrübten Blick auf seine grauen Brusthaare, die zwischen den geöffneten Knöpfen seines Poloshirts hervorquellen. Dazwischen blitzt ein Goldkettchen. Mir wird fast schlecht. Wenn dieser Goldkettchenträger denkt, dass er mich mit einem blöden Handkuss beeindrucken kann, hat er sich geschnitten. Am liebsten würde ich meine Hand wegziehen und ihm an den Kopf werfen, dass er sich sein schmalziges Getue sparen kann. Ich steh nicht auf diese französische Kavaliersmasche.

Aber dann bemerke ich Mamas erwartungsvollen Blick. Ich weiß, dass sie sich total freuen würde, wenn ich mich gut mit Jacques verstehe. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob es dazu jemals reichen wird, aber ich kann wenigstens versuchen, halbwegs nett zu ihm zu sein und keinen Streit anzufangen.

Also probiere ich ein Lächeln und sage höflich: »Bonjour, Monsieur.«

»Mais non!«, ruft er mit gespielter Entrüstung. »Du musst misch natürlisch Jacques nennen. Herzlisch willkommen an der Côte d’Azur, Julie!«

»Eins möchte ich von Anfang an klarstellen«, sage ich barsch. »Ich heiße Julia!«

Was bildet der Typ sich eigentlich ein? »Julie« darf nur René zu mir sagen, sonst niemand. Aber ich muss ihm gerechterweise zugute halten, dass er das natürlich nicht wissen kann. Also füge ich etwas freundlicher hinzu: »Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Natürlisch nischt«, antwortet Jacques. »Julia – was für ein wunderschöner Name!«

Er lächelt mich charmant an und ich würde ihm am liebsten auf seine sportlichen Slipper kotzen. Sein französischer Akzent ist noch schlimmer als der von René. Ein Glück, dass ich auf dem linken Ohr immer noch nicht wieder richtig hören kann. Ich habe den starken Verdacht, dass er den Akzent absichtlich übertreibt, weil er sich dann für noch unwiderstehlicher hält. Wenn das nicht krank ist! Aber ich muss mich zusammenreißen. Schließlich versucht er nur nett zu sein.

»Können wir jetzt endlich los?«, fragt Nina. »Ich hab Hunger!«

»Ja, mein Schatz, jetzt fahren wir nach Hause«, sagt Mama und legt einen Arm um Nina und den anderen um mich.

»Und was ist mit meinem Koffer?«, will ich wissen. »Da sind doch meine ganzen Klamotten drin! Meine Bücher, mein neuer Badeanzug, meine Kulturtasche …«

»Das regle isch per Telefon, keine Sorge«, sagt Jacques und nimmt Nina die Reisetasche ab. Was für ein Kavalier!

Mama drückt mich an sich. »Und wenn der Koffer nicht wieder auftaucht, kaufen wir dir eben neue Sachen.«

Da bleibt mir erst mal die Spucke weg. Das sind ja ganz neue Töne. Früher hat Mama nicht so mit dem Geld um sich geschmissen.

Nina scheint das jedoch ganz normal zu finden. »Au ja!«, ruft sie. »Wir gehen shoppen in St. Tropez! Gleich morgen, okay?«

»Das geht nicht«, sage ich, um Ninas Begeisterung sofort im Keim zu ersticken. Auf stundenlange Shoppingtouren habe ich nun wirklich keine Lust. »Morgen fahren wir nach St. Raphael und holen René vom Bahnhof ab. Schon vergessen?«

»Quatsch«, sagt Nina entrüstet. »Das vergesse ich doch nicht. Toll, dann sind wir endlich alle zusammen!«

Genau. Eine große, glückliche Familie. So langsam kommt mir der Verdacht, dass diese Ferien vielleicht doch nicht so erholsam werden, wie ich sie mir vorgestellt hatte.

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Julia im Wunderland

Als wir aus dem Flughafengebäude treten, haut mich die Hitze fast um. Die Luft flimmert über dem Asphalt und ich fange augenblicklich an zu schwitzen. Wahnsinn, das müssen mindestens dreißig Grad im Schatten sein – dabei ist schon später Nachmittag. Wie heiß wird es dann erst über Mittag?

Ich beschließe augenblicklich, hier während der Mittagszeit keinen Fuß vor die Tür zu setzen. Am besten mache ich es so wie die Einheimischen und halte eine ausgedehnte Siesta. Ich frage mich, wie Mama das aushält. Sie verträgt extreme Hitze noch schlechter als ich. Zumindest war das früher so. Aber vielleicht hat sie sich ja auch in diesem Punkt ihren neuen Lebensbedingungen angepasst.

Jacques hat sein Auto vor der Ankunftshalle mitten im Parkverbot abgestellt. Keine drei Meter entfernt steht ein Polizist, der dem Wagen jedoch nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkt. Wahrscheinlich hat Jacques ihn bestochen, damit er nicht abgeschleppt wird. Offensichtlich hält er es für unter seiner Würde, wie andere Normalsterbliche den gebührenpflichtigen Parkplatz zu benutzen und die paar Meter bis zum Flughafengebäude zu laufen.

Natürlich fährt Jacques eine von diesen absoluten Nobelkarren. Eine richtige Limousine, in der auch Michael Jackson oder Madonna sitzen könnten. Der schwarze Lack glänzt in der Sonne, als wäre er gerade frisch poliert worden. Ist er wahrscheinlich auch. Jacques beschäftigt bestimmt ein paar Angestellte, die sich nur um seinen Fuhrpark kümmern. Ein Wunder, dass er keinen Chauffeur hat.

Während wir auf den Wagen zugehen, blinken plötzlich die Scheinwerfer auf und die Türen öffnen sich wie von Geisterhand. Ganz toll, wirklich sehr beeindruckend.

»Alles einsteigen, bitte!«, sagt Jacques und packt Ninas Tasche in den Kofferraum.

Nina setzt sich so selbstverständlich in den Wagen, als würde sie jeden Tag in großen, schwarzen Limousinen durch die Gegend fahren. Ich setze mich neben sie auf den Rücksitz und Mama und Jacques steigen vorne ein. Von innen sieht das Auto noch größer aus als von außen. Nina und ich haben hinten so viel Platz, dass wir bequem eine Runde Tennis spielen könnten. Oder Golf. Oder womit sich die Superreichen sonst so die Zeit vertreiben.

Als wir vom Flughafengelände fahren, stellt Jacques die Klimaanlage an und es wird schön kühl im Auto. Fast ein bisschen zu kühl. Ich hoffe nur, dass ich mir in meinen verschwitzten Klamotten keine Lungenentzündung hole. Meine Jeans klebt unangenehm an den Beinen und mein T-Shirt ist auch nicht mehr das frischeste. Wirklich prima, dass ich jetzt keine Sachen zum Wechseln mehr habe. Und ich will mich eigentlich auch nicht auf Jacques’ Kosten von Mama neu einkleiden lassen. Dann würde ich ja in Jacques’ Schuld stehen und müsste ihm auch noch dankbar sein – schreckliche Vorstellung! Vielleicht kann ich die Jeans wenigstens abschneiden. Wenn ich bei diesen Temperaturen die ganze Zeit mit einer langen Hose herumrennen muss, bekomme ich früher oder später garantiert einen Hitzschlag.

Wir fahren durch Nizza und ich schaue neugierig aus dem Fenster. Sieht alles schon ziemlich südländisch aus. Es gibt sogar Palmen! Die Häuser sind zum Teil ganz schön vergammelt. Alle haben Fensterläden, die meisten sind geschlossen. Gar nicht so dumm bei der Hitze. Der Verkehr ist fast genauso chaotisch wie in Paris. Mir fällt auf, dass die meisten Autos total ramponiert aussehen und mindestens eine Beule haben, was mich bei der Fahrweise der Franzosen kein bisschen wundert. Doch wir gleiten mit unserem Schiff durch das Verkehrschaos, als würde uns das alles gar nichts angehen. Hat schon was für sich, so ein großes Auto.

Nina plappert vom Flughafen bis zur Autobahn ohne Pause. Sie erzählt in aller Ausführlichkeit von unserem Flug, ihrem letzten Schultag in Papenberg, der Eins, die sie in Sport gekriegt hat (die Vieren in Deutsch und Mathe unterschlägt sie natürlich), und all den wunderschönen Dingen, die sie in den Ferien machen will: segeln, surfen, tauchen, baden gehen … Dann muss selbst meine Quasselstrippe von Schwester mal Luft holen und Mama nutzt die Gelegenheit, um auch endlich zu Wort zu kommen.

»Was möchtest du denn gerne machen, Julia?«, fragt sie mich. »Hast du irgendwelche Wünsche? Wir könnten zum Beispiel ins Chagall-Museum nach Nizza fahren oder mit dem Boot nach Korsika segeln. Vielleicht an deinem Geburtstag. Ich freue mich ja so, dass du deinen Geburtstag hier feierst, da müssen wir auf jeden Fall etwas ganz Besonderes machen. Was hältst du denn von der Idee mit dem Segeltörn?« Oh Gott, bloß das nicht! Und schon gar nicht an meinem Geburtstag. Ich bin zwar noch nie gesegelt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es mir besonders gefällt. Nach meiner heutigen Flugerfahrung bin ich mir ziemlich sicher, dass ich mich mit beiden Füßen auf festem Boden am wohlsten fühle.

Und ich hasse Kunstmuseen! Letztes Jahr beim Frankreichaustausch in Paris mussten wir Stunden, wenn nicht sogar ganze Tage, in irgendwelchen langweiligen Ausstellungen verbringen. Das hat mich fast umgebracht. Ich kann mit Bildern überhaupt nichts anfangen. Ganz im Gegensatz zu René, der total auf diesen Kunst- und Literaturkram abfährt. Dabei denkt man das erst gar nicht von ihm. Vom Aussehen her ist er eher der oberflächliche Herzensbrecher-Typ, bei dem sämtliche Mädels in Ohnmacht fallen, sobald sie ihn sehen. Und wenn er dann auch noch anfängt, auf seiner Gitarre herumzuklimpern, und einen mit seinen samtbraunen Augen anschaut, ist sowieso alles zu spät …

»Julia will bestimmt wieder nur ständig ihre langweiligen Physikbücher lesen«, unterbricht Nina meine angenehmen Gedanken. »Mit der ist echt nichts los.«

»So ein Quatsch«, erwidere ich. »Ich habe sehr vielfältige Interessen. Bloß, dass die bei mir mehr auf einer geistigen Ebene liegen als auf einer körperlichen. Aber das kannst du Spatzenhirn dir natürlich nicht vorstellen.«

Ich hatte mir in der Tat ein paar Physikbücher zu lesen mitgenommen. Seit ich den ersten Preis bei Jugend forscht für meine Arbeit mit dem klangvollen Titel Die Einflussfaktoren für die Bildung von Flüssigkeitstropfen gewonnen habe, kennt meine Physikbegeisterung keine Grenzen mehr. Deswegen bin ich schon wieder auf der Suche nach einem neuen Projekt und lese mich durch alle möglichen Forschungsberichte und Aufsätze hindurch, um Anregungen zu bekommen. Aber da ich die Bücher geschickterweise alle in meinen Koffer gepackt habe, damit mein Handgepäck nicht so schwer wird, kann ich das jetzt wohl erst mal vergessen.

Na ja, René hätte es vielleicht sowieso nicht so toll gefunden, wenn ich in unserem ersten gemeinsamen Urlaub meine Nase ständig in irgendwelche Physikbücher vergrabe. Dabei hat er garantiert auch stapelweise wahnsinnig anspruchsvolle französische Literatur dabei – aber das ist dann natürlich wieder etwas völlig anderes …

»Ich bin kein Spatzenhirn!«, zetert Nina.

»Ach nein?«, sage ich. »Du hast doch in deinem ganzen Leben noch kein einziges Buch zu Ende gelesen!«

»Hab ich wohl!«

»Und welches?«

Nina zögert einen Moment und sieht mich böse an. »Weiß ich nicht mehr. Ich hab den Titel vergessen. Außerdem rede ich gar nicht mehr mit dir, du blöde Kuh!«

Das hat Nina mir schon öfter versprochen, aber sie hält sich leider nie besonders lange daran.

Mama versucht, uns zu beschwichtigen. »Kinder, nun streitet euch doch nicht!«

»Wir streiten nicht«, sage ich. »Das ist unser normaler Umgangston.« Vielleicht tut es Mama ja jetzt schon wieder leid, dass sie uns eingeladen hat. Schließlich ist sie Ninas und meine üblichen Kabbeleien nicht mehr gewohnt.

»Na, das kann ja heiter werden«, sagt sie, aber es klingt nicht genervt, sondern eher erwartungsvoll.

Ist wahrscheinlich gar nicht so schlecht, wenn Nina und ich mal ein bisschen Schwung in die Bude bringen. Wer weiß, vielleicht merkt Mama dann ja, wie sehr sie sich eigentlich mit Jacques langweilt, und beschließt daraufhin, doch wieder zu uns zurückzukommen.

»Und was das Vergnügungsprogramm für die nächsten zehn Tage betrifft«, fügt Mama hinzu, »das können wir ja einfach auf uns zukommen lassen.«

»Genau«, sage ich und lehne mich in die weichen Lederpolster zurück. »Bloß keinen Stress.« Wir düsen in einem Affenzahn über die Autobahn. Jacques scheint das Wort »Geschwindigkeitsbegrenzung« noch nie gehört zu haben. Aber ich muss zugeben, dass er ein sehr sicherer Fahrer ist. Er konzentriert sich voll und ganz auf die Straße, was den Vorteil hat, dass er uns nicht mit seinem schleimigen Gelaber nervt. Eigentlich schade, dass er so gut Deutsch kann. Sonst hätte ich eine prima Ausrede gehabt, warum ich keine längeren Gespräche mit ihm führen kann. Aber als Hotelier spricht er natürlich die wichtigsten Fremdsprachen fließend. Deswegen kommt mir die Sache mit seinem starken französischen Akzent auch so verdächtig vor …

»Wann sind wir denn endlich da?«, mault Nina. »Ich hab einen Mordshunger.«

»Es dauert nicht mehr lange«, sagt Mama. »Höchstens eine halbe Stunde. Wenn auf der Küstenstraße kein Stau ist.«

Jacques’ Villa liegt in der Nähe von St. Tropez. Obwohl mich sein Geld und alles, was damit zu tun hat, ja eigentlich nicht die Bohne interessiert, bin ich doch irgendwie gespannt auf das Haus, in dem meine Mutter nun lebt. Wahrscheinlich ist das einer dieser angeberischen Prachtbauten, die schon aus zehn Kilometern Entfernung jedem Besucher signalisieren, dass hier die Superreichen wohnen. Ich hab mal eine Fernsehreportage über St. Tropez gesehen, da wohnten die alle in solchen Häusern. Das ist echt nicht mein Ding.

Wir haben inzwischen die Autobahn verlassen und Jacques rast über eine ziemlich kurvenreiche Straße, die zur Küste hinunterführt. Mir wird fast schon wieder schlecht, als ich sehe, wie steil es rechts neben der Straße hinuntergeht. Aber Jacques scheint die Strecke gut zu kennen und der Wagen kommt dem Abgrund kein einziges Mal so nahe, dass es wirklich gefährlich wird.

Dann haben wir die Berge hinter uns gelassen und vor uns liegt das Meer. Es erstreckt sich wie ein riesiger wogender Teppich bis zum Horizont und glitzert verführerisch in der Abendsonne. Ich bekomme sofort Lust zu baden, obwohl ich sonst eigentlich eher wasserscheu bin. Aber das Wasser sieht so einladend aus, dass ich mich schon richtig darauf freue, demnächst hineinzuspringen. Allerdings muss ich mir dann erst mal einen Badeanzug organisieren.

»Gleich sind wir da, gleich sind wir da«, trällert Nina neben mir. »Mama, darf ich nachher noch in den Swimmingpool?« Mama nickt. »Natürlich, mein Schatz. Du kannst vor dem Essen noch eine Runde schwimmen.«

Wir biegen ab und fahren eine schmale Straße hinauf. Rechts und links wechseln sich hohe Steinmauern mit dichten Hecken ab, durch die man nicht den kleinsten Blick auf die dahinter liegenden Grundstücke werfen kann. Aha, wir scheinen uns unserem Ziel zu nähern. Das sieht mir hier schon stark nach der Welt der Reichen und Schönen aus.

Jacques fährt bis zum Ende der Straße und hält vor einem großen Eisentor. Oben ist eine Kamera angebracht und rechts und links erstreckt sich eine lange Mauer. Mannomann, eine richtige Festung. Sobald wir vor dem Tor stehen, öffnen sich die beiden Flügel lautlos und wir gleiten hindurch. Mitten hinein ins Wunderland! Hinter uns schließt sich das Tor wieder. Hier scheint wirklich alles vollautomatisch zu funktionieren. Hauptsache, es gibt keinen Stromausfall.

Wir fahren eine lange, gewundene Auffahrt hinauf, mitten durch eine parkähnliche Gartenanlage. Überall stehen Palmen und dazwischen befinden sich große Beete mit irgendwelchen exotischen Blumen, die in allen Farben schillern. Der Rasen sieht sehr gepflegt aus und ist im wahrsten Sinne des Wortes grasgrün. Ich möchte nicht wissen, wie viele Stunden am Tag sie den bei der Hitze hier bewässern müssen, damit er so aussieht. Für den Garten beschäftigt Jacques bestimmt mindestens zehn Gärtner. Aber ich muss sagen, dass sie ihre Sache wirklich gut machen. Der Garten sieht toll aus. Ich stehe zwar eigentlich mehr auf verwilderte Naturgärten, aber die Geschmäcker sind eben verschieden …

Dann sind wir am Ende der Auffahrt angelangt und vor uns liegt das Haus. Zum zweiten Mal an diesem Tag kriege ich fast den Mund nicht mehr zu. Das Wort »Haus« ist die Untertreibung des Jahrhunderts für dieses Bauwerk. Es sieht aus wie eine schneeweiße Festung. Eine Festung des 21. Jahrhunderts, denn alles an diesem Haus ist total modern. Es hat keinerlei Ähnlichkeit mit den leicht ausgegammelten südfranzösischen Fensterlädenhäusern, an denen wir vorbeigefahren sind. Dieses architektonische Kleinod hat überhaupt keine Fensterläden. Stattdessen große Glasfronten zwischen blendend weißen Steinwänden. Der vordere Teil des Hauses besteht aus zwei großen Klötzen, die verschieden hoch sind und Flachdächer haben. Auf dem unteren Dach scheint sich eine Art Dachterrasse zu befinden. Auf jeden Fall stehen dort Palmen in Kübeln und anderes Grünzeug herum. An die beiden Klötze schließt sich ein rundes Gebilde an, das an einen Turm erinnert. Könnte das Treppenhaus sein. Mehr ist von hier vorne nicht zu sehen, aber das Anwesen geht bestimmt nach hinten raus noch weiter. Wir sind hier ja schließlich nicht bei armen Leuten.

Das Ganze sieht ziemlich futuristisch aus, aber irgendwie auch zeitlos. So was hab ich echt noch nie gesehen.

»Das Haus ist irre, oder?«, sagt Nina, als wir aus dem Wagen steigen. »Warte ab, bis du es von innen gesehen hast – der reine Wahnsinn!«

»Doch, es ist wirklich ganz nett«, antworte ich und versuche, mir meine Begeisterung nicht zu sehr anmerken zu lassen. »Mal was anderes.«

»Jacques hat es zusammen mit einem befreundeten Architekten entworfen«, erzählt Mama, während wir über einen tipptopp geharkten Kiesweg (natürlich schneeweißer Kies, hier herrscht offensichtlich Perfektion bis in die kleinsten Details) zur Tür gehen. »Es ist sein ganzer Stolz.«

Da hat Jacques wirklich Geschmack bewiesen, das hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Das Haus ist der Hammer, keine Frage. Aber ich will nicht zu überschwänglich wirken, sonst denkt Jacques noch, dass ich mich bei ihm einschleimen will (kann ja sein, dass er einfach von sich auf andere schließt), und das habe ich nun wirklich nicht nötig.

Deshalb sage ich nur: »Gute Arbeit, Jacques«, und nicke ihm anerkennend zu.

»Merci, Julia«, entgegnet er und lächelt.

Na also, geht doch. Ich bin noch nicht mal drei Stunden hier und Jacques und ich sind schon richtig dicke Freunde. Na ja, zumindest fast. Ich bin stolz auf mich.

Sobald wir vor der Haustür stehen, öffnet sich diese – ich hätte es mir eigentlich denken können – ebenfalls wie von Geisterhand. Nur dass hinter der Tür kein Geist zum Vorschein kommt, sondern eine Frau. Sie ist ziemlich hübsch und ziemlich jung. Wer, zum Teufel, soll das denn sein? Mama hat nichts davon erzählt, dass sie außer uns noch jemanden eingeladen hat.

»Das ist Clara, unser Hausmädchen«, erklärt Mama. »Clara, voilà mes filles Julia et Nina.«

»Bonjour et bienvenu«, sagt Clara und lächelt Nina und mir zu.

Die sonst bei den Franzosen obligatorischen Küsschen tauschen wir nicht aus. Vielleicht macht man das nicht bei Angestellten. Eigentlich ganz schön krass, dass Mama und Jacques jemanden dafür bezahlen, dass er sie rund um die Uhr bedient, für sie putzt und was weiß ich noch alles macht. Wir leben doch nicht mehr im 19. Jahrhundert – oder wann auch immer das war, als die Adligen und Reichen alle ihre Bediensteten hatten, die hoffnungslos ausgebeutet wurden. Das hatten wir doch letztens noch in Geschichte …

Leider erinnere ich mich nicht mehr so genau daran. Geschichte ist nicht gerade meine Stärke. Aber man muss ja schließlich nicht alles können. Mir reicht es völlig, dass ich ein Physikgenie bin.

»Kommt, ihr beiden, ich zeig euch eure Zimmer«, sagt Mama und Nina und ich folgen ihr in die Eingangshalle.

Auch hier ist alles in weiß gehalten: weiße Fliesen, weiße Wände und eine weiße Treppe, die sich in dem runden Turm nach oben schraubt. Sieht alles unglaublich edel aus.

»Kriege ich wieder mein altes Zimmer?«, fragt Nina, während sie vor uns die Treppe hinaufstürmt.

Mama nickt. »Natürlich.«

Wir folgen Nina nach oben und gelangen in einen langen Flur, von dem mehrere Türen abgehen. Der Flur wird von Sonnenlicht durchflutet, und als ich nach oben schaue, stelle ich zu meinem Erstaunen fest, dass die Decke ganz aus Glas besteht. Man kann direkt in den strahlend blauen Himmel schauen. Sieht echt klasse aus. Bloß das Putzen könnte anstrengend werden. Aber dafür haben Mama und Jacques ja Clara.

»Ich fass es nicht!«, ruft Nina, die schon in einem der Zimmer verschwunden ist. »Das ist ja der Hammer! Ist das etwa für mich?«

Als Mama und ich das Zimmer betreten, steht Nina vor einem riesigen Aquarium und betrachtet begeistert die Fische, die darin herumschwimmen. Sie haben alle unterschiedliche Farben und leuchten orange, gelb oder blau zwischen den grünen Algen hindurch.

»Für wen denn sonst?«, fragt Mama. »Du hast doch letztes Jahr in dem Restaurant in St. Tropez das große Aquarium so bewundert, deshalb habe ich mir gedacht, dass dir ein paar Fische in deinem Zimmer bestimmt gefallen würden.«

»Und wie mir das gefällt!«, sagt Nina und fällt Mama um den Hals. »Vielen, vielen Dank!« Ein Aquarium als Begrüßungsgeschenk – nicht schlecht. Kein Wunder, dass Nina so gerne hierher fährt. Mit solchen kleinen Aufmerksamkeiten kann Paps natürlich nicht dienen. Sein Antiquariat wirft gerade mal so viel ab, dass wir halbwegs über die Runden kommen. Wenn man es genau nimmt, ist Paps eigentlich selbst sein bester Kunde. Ich glaube, in ganz Papenberg gibt es sonst niemanden, der sich so sehr für alte Bücher begeistern kann wie er. Aber das ist schließlich nicht Mamas Schuld. Sie wollte Nina eine Freude machen und das ist ihr gelungen. Daran ist doch nichts Falsches, oder? Trotzdem passt mir das Ganze irgendwie nicht. Keine Ahnung, warum. Vielleicht, weil es Jacques’ Geld ist, von dem Mama das Aquarium gekauft hat. Andererseits … warum muss ich eigentlich immer alles so kompliziert machen? Manchmal verstehe ich mich selbst nicht.

»Tolles Aquarium, Nina!«, sage ich, um meine Zweifel zu übertönen. »Echt klasse.«

Mama winkt mir zu. »Dein Zimmer ist gleich nebenan.«