Um das Gewicht der Barthaare, die ich verloren, hat mein Verstand zugenommen.
Giacomo Casanova (1725-1798)
Man sollte schon deshalb kein langes Gesicht machen, weil man dann mehr zu rasieren hat.
Fernandel (1903-1971)
Alles Behaartsein ist tierisch. Die Rasur ist das Abzeichen höherer Zivilisation.
Arthur Schopenhauer (1788-1860)
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© 2019 Tückmantel, Ulli
1. Aufl. April 2019
Text, Rasur-Grafiken, Bildbearbeitung: Ulli Tückmantel Fotos Rasur-Ausstattung und Umschlag: Silke Tückmantel
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7494-5952-0
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Dies ist ein Buch für Jungs. Es ist von einem Mann für Männer geschrieben. Das macht es für Frauen nicht unlesbar, aber sie kommen darin eigentlich nicht vor. Denn um sie geht es hier nicht. Hier geht es um das, was Väter und Großväter ihren Söhnen und Enkeln über den Umgang mit Pinsel & Klinge bei der täglichen Bartrasur nicht beigebracht haben – weil sie es selbst nicht wussten.
Fast alles, was wir im täglichen Leben können müssen, haben wir als Kinder gelernt. Wie man sich die Zähne putzt und die Hände wäscht. Wie man alleine auf die Toilette geht und wie man sich die Schuhe zubindet. Wie man Fahrrad fährt und wie man schwimmt. Wir lernen es im Kindergarten oder zuhause. In der Schule kommen dann die grundlegenden Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen hinzu. Eltern, Großeltern, Kindergärtnerinnen und Lehrer bringen uns diese Dinge bei, und wir als Eltern bringen sie wiederum unseren Kindern bei.
Dagegen werden die wenigsten von uns einen Tag erlebt haben, an dem unsere Väter oder Großväter uns mit ins Bad genommen und erklärt hätten: „Junger Mann, heute zeige ich Dir, wie man sich richtig rasiert.“ Denn obwohl die Selbstrasur seit mehr als 100 Jahren der Standard der Entfernung des männlichen Gesichtshaars ist, bleibt ihr Erlernen bis heute jedem selbst überlassen. Von Anfang an war Selbstrasur-Technik eine Sache der reinen Autodidaktik.
Nur leider ging mit jeder Generation dabei Wissen verloren, so dass die klassische Nassrasur mit dem klassischen „Rasierhobel“ und der klassischen Doppelklinge heute fast so etwas wie eine Geheimwissenschaft ist. Dass eine gründliche Rasur mit dem Doppelklingen-Rasierer mindestens drei Durchgänge erfordert – unbekannt. Dass sie natürlich unter 15 Minuten nicht zu haben ist – unbekannt. Dass vermeintlich selbsterklärende Systemrasierer die Ursache der Probleme sind, die sie angeblich mit jeder neuen Systemrasierer-Generation immer besser lösen - unbekannt.
Diese Anleitung habe ich geschrieben, weil ich davon überzeugt bin, dass die tägliche klassische Nassrasur mit dem klassischen Doppelklingen-Rasierer
Selbst bei manchem mit großem Selbstbewusstsein auf YouTube hochgeladenem Rasur-„Tutorial“ möchte man fast wie bei einem Achtjährigen, der das mit den Schürsenkeln immer noch nicht kann, mitleidig fragen: „Hat Dir das denn keiner richtig beigebracht?“ Die Antwort lautet schlicht: nein, hat keiner.
Wahrscheinlich ist es aber schlimmer. Denn mit dem Siegeszug der Systemrasierer ist die Autodidaktik der Anwender durch sich selbst erklärende Geräte ersetzt worden, nicht unähnlich der Entwicklung in der Computerindustrie. Weil die Anwender immer weniger wissen, müssen die Geräte möglichst „foolproved“ sein, also noch in den Händen des ahnungslosesten aller Anwender ohne Vorkenntnisse funktionieren.
Mit dieser Anleitung können Sie die klassische Nassrasur mit dem klassischen Rasierhobel und der klassischen Doppelklinge von Grund auf erlernen. Die Anleitung bloß zu lesen, wird allerdings nicht reichen. Denn wie immer im Leben, sei es beim Schuhebinden oder Fahrradfahren, gilt auch bei der klassischen Nassrasur: Kennen heißt nicht können. Können heißt nicht anwenden. Anwenden heißt nicht beherrschen. Beherrschen heißt nicht „best practise“.
Diese Anleitung hilft Ihnen dabei,
Diese Anleitung hilft Ihnen nicht dabei, eine brauchbare Idee von lebbarer statt toxischer „Männlichkeit“ für das 21. Jahrhundert zu finden. Sie ist auch keine Rasur-Bibel der einzig wahren Technik. Diese Anleitung kann eine Chance sein. Nutzen müssen Sie diese Chance aber selbst. Diese Anleitung bloß zu lesen, wird nicht reichen. Leben ist lernen. Und möglicherweise werden Sie am Ende des Lernprozesses zu dem Ergebnis kommen, dass die klassische Nassrasur für Sie einfach nicht taugt.
Wäre das schlimm? Ich finde nicht. Denn auch dann hätten Sie ja etwas gelernt. Und was gibt es Besseres, als abends schlauer ins Bett zu gehen, als man morgens aufgestanden ist – außer natürlich, dabei auch noch perfekt rasiert zu sein?
41,1 Prozent der Männer (ab 14 Jahre) in Deutschland haben sich 2018 nass rasiert. Das sind knapp zwei Prozent weniger als 2014, aber immer noch deutlich mehr als die konstant 30,9 Prozent, die sich ausschließlich trocken (sprich: elektrisch) rasieren. 23,6 Prozent rasieren sich sowohl nass als auch trocken, 3,6 Prozent gar nicht und 0,9 Prozent reden nicht darüber. Die meisten Männer, die sich nass rasieren, verwenden Dosenschaum oder Gel (40,3 und 15,7 Prozent), nur eine Minderheit rückt dem Bart mit Rasiercreme oder -Seife (3,4 bzw. 3,9 Prozent) zu Leibe.
Für die Nassrasur greifen 31,3 Prozent zu einem Systemrasierer von Gillette, 18,7 Prozent zu einem von Wilkinson, 15,7 Prozent zu „sonstigen Marken“ - aber 34,5 Prozent verwenden keine Systemrasierer. Wer optimistisch ist, wird daraus vielleicht schließen wollen: Mehr als ein Drittel der deutschen Männer hat den klassischen Rasierhobel oder das Rasiermesser wiederentdeckt! Äh... nein. Wahrscheinlicher ist: Jede Menge Männer verwenden Einwegrasierer. Der Anteil der Weder-Gillette-noch-Wilkinson-Kunden ist seit 2013 minimal gestiegen, vor allem aber die „sonstigen Marken“ der Systemrasur legen zu.
All diese Daten stammen aus einer „Verbrauchs- und Medienanalyse“ (kurz VuMA), die ARD, ZDF und ein Autovermarkter seit Mitte der 90er Jahre regelmäßig und mit größter Genauigkeit erheben, um sehr gezielt TV- und Radio-Werbezeiten verkaufen zu können. So preist man Pils am besten während der „Sportschau“, einen Wellness-Urlaub während der „Rosenheim-Cops“ und eine Unfallversicherung bei „Shopping Queen“ an - und Systemrasierer besser nicht auf arte (wo es ohnehin keine Werbung gibt).
Aus den VuMA-Daten zur männlichen Bartrasur lassen sich zwei Dinge schließen: Trotz des derzeitigen Trends zu „Barber-Shops“ legt die Nassrasur insgesamt nicht wirklich zu. Unter den Männern, die sich nass rasieren, steigt auch nicht wirklich der Anteil der „klassischen“ Rasurfreunde, dafür aber der Anteil jener Kundschaft, die ihre Nass-Systemrasierer lieber im Eigenmarken-Regal bei Drogeriemarkt-Ketten und Discountern kauft - was angesichts der Klingenpreise von Gillette und Wilkinson nicht wirklich überrascht.
Was erstaunlicherweise nie jemand fragt, ist: Mögen Sie die Rasur mit dem Systemrasierer eigentlich? Ist das ein Ritual, dass Sie genießen? Oder tragen Sie bisweilen einen Dreitagebart auch deshalb, weil Ihre Haut diese Sorte Rasur irgendwie nicht verträgt und Sie zum Beispiel immer wieder unter Rasurbrand leiden? Es fragt knapp 20 Millionen Männer, die regelmäßig oder abwechselnd nass rasieren, auch niemand nach ihren Rasur-Biografien.
Die können Sie in jedem Rasur-Forum im Internet nachlesen: Irgendwann einen Systemrasierer in die Hand gedrückt bekommen, nie so richtig mit dem Ding warm geworden, zwischendurch mal einen Trockenrasierer ausprobiert (oder auch zwei), das Ding eine gewisse Zeit benutzt (weil es so teuer war), dann aufgegeben, zum Nassrasierer zurückgekehrt. Bei einigen kommt dann noch dazu: Aus Frust über die „Systemies“ und Elektromäher mal einen klassischen Rasierhobel ausprobiert, aber das hat dann gar nicht geklappt. Sich anschließend in das Schicksal gefügt, jährlich etwa 15 Zentimeter Haarwuchs irgendwie aus dem Gesicht zu bekommen und dabei eine Fläche von rund 20 Quadratmetern mehr zu rupfen als zu rasieren.
Als die Stiftung Warentest 2004 „Rasierschäume & Co.“ prüfte, lautete der Einstiegssatz des Testberichts: „Rund 150 Tage seines Lebens verbringt ein Mann mit der Klinge am Kinn.“ Die Durchschnittsdauer einer Rasur gab die Stiftung mit zehn Minuten an. Das klingt nicht nach viel, aber es ist eigentlich zu viel Lebenszeit, um sie mit einer lästigen, ungeliebten Tätigkeit zu verbringen.
Mein Vorschlag wäre: Machen Sie aus den zehn Minuten, die Ihnen lästig sind, 15 Minuten, die Sie wirklich genießen. Mit einem Rasierer, der den Namen verdient - statt mit einem Rasenmäher fürs Gesicht.
Seit Wilkinson, der ewige Zweite im Markt der Nassrasur, 1970 sein Modell „T70“ vorstellte, bei dem erstmals statt der klassischen Rasierklinge eine kleine Plastikkartusche mit integrierter Klinge verwendet wurde, haben die „Systemrasierer“ in immer dolleren Varianten die klassischen „Rasierhobel“ in der westlichen Welt fast vollständig verdrängt. Und in jeder neuen Runde, ist das Gebrauchswertversprechen immer das gleiche: Jetzt noch schneller, jetzt noch gründlicher.
Was Wilkinson und der Marktführer Gillette nie dazu sagen, ist, was es jedesmal für Millionen von Männern auch bedeutet: jetzt noch teurer. Die Geschäftsidee hat mit dem Thema Rasur überhaupt nichts zu tun, sondern ist die gleiche wie bei Kaffeekapseln und Druckerpatronen. Man verkauft einen Apparat und verdient - wenn's gut läuft, auf Jahre geschützt durch Patente - am daraus resultierenden Dauerbedarf der Verbrauchsmitteln, die der Kunde möglichst nicht bei Wettbewerbern erwerben können soll. Die in der Regel absurd hohen Preise der Systemklingen, Kapseln und Patronen werden dann mit den angeblich so wahnsinnig hohen Entwicklungskosten gerechtfertigt.
Bei den klassischen Nassrasierern mit beidseitig benutzbarer „Doppelklinge“, die letztlich alle auf den Gillette-Typ von 1903 zurückgehen, ist das typische Design: Die Klinge wird zwischen Kopfplatte und Kammplatte eingespannt. In der Regel geht eine Schraube von der Kopfplatte mittig durch Klinge und Kamm, die Einschraubung im Griff sorgt für die Fixierung. Die Klingen-Schneide ragt an zwei Seiten zwischen Kopf- und Kammplatte hervor, beide Seiten (einem Janus-Kopf ähnlich) sind benutzbar.
Zweiteiliger Kopf eines klassischen Rasierhobels (hier das kanadische Modell Rockwell 6c): Die Klinge wird zwischen Kopf- und Kammplatte eingespannt. Die Klinge wird mit einer Schraube im Griff fixiert, die in der Kopfplatte sitzt und durch Klinge und Kammplatte hindurchgeht. Die Klinge ragt rechts und links unter der Kopfplatte hervor, beide Seiten sind nutzbar.
Die Idee des Wilkinson-Modells „T70“ war nun, diese doppelseitige Konstruktion zu halbieren und die halbe Kopfplatte, die halbierte Klinge und die halbierte Kammplatte in eine in Kunststoff gegossene Mini-Kassette zu verwandeln, die auf den Griff aufgeklickt wird. Dieses System veränderte das Grundprinzip der klassischen Nassrasur noch nicht. Es bedurfte unverändert mehrerer Rasur-Durchgänge, um ein sauberes Ergebnis zu erzielen.
Unmittelbar nach dem „T70“, der damit weitgehend chancenlos war, führte Gillette 1971 aber mit dem Modell „G II Tandem“ den ersten Systemrasierer mit zwei Klingen für einen Rasurdurchgang ein - und damit war die Idee, mehrere Rasurdurchgänge zu nur einem zu machen, in der Welt. In der Werbung beschrieb Gillette das Prinzip so:
„Schneide 1 zieht das Barthaar - wie jede gute Klinge - etwas heraus. Etwas mehr, als sie dann abschneidet. Das ist normalgründlich. Danach will sich der Haarrest wieder zurückziehen. Doch Schneide 2 des Gillette G II Tandem ist schneller und schneidet noch mehr ab.”
Alle weiteren Hinzufügungen (ab 1998 drei Klingen, dazu irgendwelche Streifen, später Neigungsflexibilität der Köpfe) dienten immer der Untermauerung der bekannten Behauptung: Jetzt noch schneller, jetzt noch gründlicher. Bevor Wilkinson 2016 sein Modell „Hydro 5“ auf den Markt brachte, zitierte eine Lokalzeitung am deutschen Unternehmenssitz Solingen den regionalen Marketing-Direktor für Nordosteuropa mit den Worten: „Hinter dem Hydro-System stecken sieben Jahre Entwicklungsarbeit sowie Entwicklungskosten von über 90 Millionen Euro.“
Das ist natürlich eine beeindruckende Summe. Zumindest so lange man nicht weiß, dass in der Automobilindustrie bloß die Entwicklung einer neuen Hinterachse gern sang- und klanglos 500 Millionen Euro verschlingt - ohne die Chance, sich damit hinterher auch nur annähernd die Margen der Systemrasierer-Branche in die Tasche stecken zu können. Dabei geht es um Milliarden.
Wilkinson gehört inzwischen zum US-Konzern Edgewell. Für 2018 meldete Edgewell einen Nettoumsatz von 2,23 Milliarden US-Dollar, von denen 60 Prozent aus der Nassrasur stammten. Marktführer Gillette (2005 für rund 57 Milliarden US-Dollar durch Procter & Gamble gekauft) ist um ein Vielfaches größer und dominiert nach eigenen Angaben 65 Prozent des Weltmarkts für Nassrasierer. „Kein anderes Segment bei P&G ist so profitabel. Der US- Konzern macht zehn Prozent seines Umsatzes von insgesamt 65 Milliarden Dollar mit der Rasiersparte, aber 16 Prozent des Gewinns“, schrieb das „Handelsblatt“ im Dezember 2018.
Was Gillette und Wilkinson ihrer Kundschaft nun seit fast einem halben Jahrhundert immer und immer wieder als einen „Fortschritt“ nach dem anderen verkaufen, funktioniert in etwa so, wie der Historiker Yuval Noah Harari (Oxford) in seinem Weltbestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ den Übergang vom Jäger und Sammler zum Ackerbauern und Viehzüchter als „größten Betrug der Geschichte” beschreibt: „Der Traum vom besseren Leben fesselte die Menschen ans Elend.“
Denn der angebliche „Fortschritt“ der Systemrasur nimmt sich im Vergleich zur klassischen Nassrasur häufig aus wie ein Rückfall in Zeiten, als die von Barbieren durchgeführte Rasur noch eine körperliche Qual und ein gesundheitliches Risiko war. Das technische Prinzip der meisten Systemrasierer beruht darauf, durch das Design des Klingenkopfes eine Vielzahl sehr individueller händischer Rasur-Schritte in einen einzigen extrem zeitverkürzten mechanischen Rasurablauf zu bringen, der ohne Rücksicht auf die an vielen Gesichtsstellen unterschiedlichen Gegebenheiten immer mit gleicher maximaler Intensität abläuft. Das Prinzip der Systemrasur ist das des Fließbands in Bezug auf das Mehrfachschneiden und den Ersatz der erlernten Handfertigkeit durch plumpe gleichmacherische Mechanik.
Eines Tages stand Herr Fusi in der Tür seines Ladens und wartete auf Kundschaft. Der Lehrjunge hatte frei, und Herr Fusi war allein. Er sah zu, wie der Regen auf die Straße platschte, es war ein grauer Tag, und auch in Herrn Fusis Seele war trübes Wetter. „Mein Lebens geht so dahin", dachte er, mit Scherengeklapper und Geschwätz und Seifenschaum. Was habe ich eigentlich von meinem Dasein? Und wenn ich einmal tot bin, wird es sein, als hätte es mich nie gegeben.” Es war nun durchaus nicht so, dass Herr Fusi etwas gegen ein Schwätzchen hatte. Er liebte es sogar sehr, den Kunden weitläufig seine Ansichten auseinanderzusetzen und von ihnen zu hören, was sie darüber dachten. Auch gegen Scherengeklapper und Seifenschaum hatte er nichts. Seine Arbeit bereitete ihm ausgesprochenes Vergnügen, und er wusste, dass er sie gut machte. Besondern beim Rasieren unter dem Kinn und gegen den Strich war ihm so leicht keiner über. Aber es gibt eben manchmal Augenblicke, in denen das alles kein Gewicht hat. Das geht jedem so. (Aus: Michael Ende, „Momo“, 1973)
In Michael Endes Romanmärchen von den Zeitdieben und dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte, erwischt der Agent XYQ/ 384/b den Friseur Fusi genau in diesem schwachen Moment, um ihm einzureden, dass alles, was er wirklich braucht, Zeit ist. Gillette und Wilkinson, die Marktführer der Systemrasierer, erwischten die deutschen Männer in den Jahren des TV-Monopols von ARD und ZDF in den Werbeblöcken vor der „Tagesschau“ und den „heute“-Nachrichten.
Den groben Gipfel der Abhetzerei erreichte Gillette 1998 mit der Einführung des Systems „Mach3“. Im Werbespot wurde der Rasierer mit einem Kampf-Jet verglichen. Aus dem O-Ton des deutschen Spots: „Drei Klingen, stufenweise ausgerichtet, um sich ihrem Bart schrittweise zu nähern. Sie machen einen Zug, er macht drei. Sie müssen dieselbe Stelle weniger nachrasieren, das bedeutet weniger Hautirritationen. Drei Klingen, weniger Züge, weniger Hautirritationen.“ Mit dem Abstand von 20 Jahren würde wahrscheinlich kein Werbestratege mehr empfehlen, die Verursachung von Hautirritationen durch Systemrasur in der eigenen Reklame einzuräumen.
2010 ließ Gillette in Deutschland von TNS EMNID (Bielefeld) eine repräsentative Telefonbefragung (1002 Befragte) zur Rasur durchführen. Ein Ergebnis der Erhebung: „Die Rasur im Gesicht ist in 5,7 Minuten vollbracht.“ Parallel dazu gab Gillette wieder einmal zu, dass auch die damals neuste System-Generation „das Ziehen und Reißen bei