In der ESTRELLA, einem fiktiven venezianischen Frauenhotel, kreuzen sich die Wege von Dalida, Ainu, Helen, Rachel, Rabia, Crescentia, Resi, Benedicte, Hanni, Lena, Aurora, Anna, Sofia, Chiara, Lore, Gianna.
Bei aller Unterschiedlichkeit des Alters, der Herkunft, der Biografien folgen sie ihrem Verlangen.
Über ihre Körper erleben sie Lust, Erkenntnis und Heilung.
Sie helfen einander, traumatische Kindheitserlebnisse zu prozessieren und in ein gutes Leben zu finden.
Wir erleben Frauen der Tat, sie engagieren sich im weltweiten Kampf gegen sexuelle Gewalt an Frauen und Mädchen.
Das Buch singt eine Hymne auf die Schönheit und potente Heilkraft lesbischer Sexualität und auf den Widerstand gegen Gewalt an Frauen und Mädchen.
Sie folgte ihrer Körperweisheit und schrieb auf, was die Romanheldinnen ihr in die Finger diktierten.
Langjährige Lehr-und Vortragstätigkeit sowie Engagement gegen sexuelle Gewalt an Frauen und Mädchen haben sie mit den Schicksalen vieler Frauen zusammengeführt.
Der Roman ist leicht aus der Feder geflossen; viel erfinden musste sie nicht.
Bisher erschienen
ClanFrauen-ent-Grimm-te Märchen, Frauenverlag Die Bohne, 1994
Die Brache-ein traumhafter Lesbenkrimi, Frauenverlag Die Bohne, 1994
Helle Nacht-lesbische Netzwege, Frauenverlag Die Bohne, 1996
The BiG SiN-Die Lust zum Sündigen-Mary Daly und ihr Werk Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 2011
Zitate aus:
Monique Wittig, „aus deinen zehntausend Augen Sappho“, Amazonen Frauenverlag, Berlin 1977
© Eveline Ratzel 2019
Langsam richtest du dich auf, deine Arme vor dir ausgebreitet, deine Beine ausgestreckt, deine Lenden auf¬gerichtet, dein ganzer Körper in Bewegung, du näherst dich, getragen von der Flugbahn der Gestirne, die sich durch die Lüfte ziehen.
(S. →)
Die Glocke eines venezianischen Kirchturms schlägt neun Mal. Beim ersten tiefen Gong sitzt Ainu kerzengerade im Bett. Ein coup de foudre, lautet ihre Diagnose, nachdem ein Blitzgewitter ihren Körper unter Strom gesetzt hat. Hellwach und doch wie betäubt betrachtet sie ungläubig ihre Hände. Fremd und schwer liegen sie da, wie nicht zu ihr gehörend. Sie fragt sich kopfschüttelnd, sind sie es wirklich, die heute Nacht Helen geliebt haben? Sie fährt über ihre Lippen. Die haben Helen geküsst, überall?
Sie dreht den Kopf nach rechts zu der zerwühlten und leeren Bettseite, riecht Helen, ihren Duft, so neu und schon in allen ihren Zellen.
Begierde rast durch ihren Körper, sie will aus dem Bett springen, sich unter der Dusche abkühlen und bleibt doch ans Bett gefesselt, während die letzte Nacht filmartig in ihr abläuft. Das war nicht ich, flüstert sie, oder doch?
Wo ist Helen jetzt, fragt sie sich und versucht, ihren Atem ruhiger werden zu lassen.
Die Nacht zuvor hat Ainu ihr neues komfortables Auto Richtung Venedig gelenkt. Eine längere Tour soll es werden, eine genussvolle Fahrt im bequemen eierschalenfarbenen Ledersitz. Als Motorgeräusch ist ein leises Schnurren zu hören. Zur Einstimmung der langen Nachtfahrt wählt sie Jazz, der aus vorzüglichen Lautsprechern tönt. Das exzellente Hörerlebnis hat sie sich eine Menge kosten lassen. Sie wechselt zu Country. An guter Countrymusik liebt sie den Geruch nach Staub und Stall, das Einfache und die Einsamkeit und all das, was in Beziehungen verloren geht.
Später, wenn sich nach stundenlanger Fahrt die Müdigkeit heranschleicht, wird sie einen Kaffee trinken und die Strecke mit einer rockigen Frauenband aus St. Petersburg fortsetzen, laut und fetzig und wummernd.
Sie hat die italienische Grenze bereits passiert. Die Grenzbeamtin winkt sie durch, offenbar hat sie des nachts keine Lust, Ausweise zu kontrollieren.
Am nächsten Hinweisschild auf eine Raststätte biegt sie ab, parkt in der Nähe des Eingangs und betritt die hell und kalt ausgeleuchtete Kaffeebar.
Sie bestellt einen doppelten Espresso, den ihr eine gleichgültig dreinblickende junge Frau mit einem Glas Wasser herüberschiebt. Das rote Schiffchen, das sie wie die anderen Kellnerinnen sowie der Mann an der Kasse auf dem Kopf trägt, soll offenbar Frische und Keckheit ausstrahlen, sieht aber lächerlich albern aus und steht in Kontrast zu den automatischen Hand- und Augenbewegungen der müden Leute hinter dem Tresen.
Ainu trägt den Espresso zum Stehtisch. Von hier hat sie einen Überblick auf den riesigen Parkplatz. Der ist für die sommerlichen Touristenströme ausgelegt und sieht jetzt, Ende April, desert aus. Falle nicht in diese Stimmung, sagt sie sich und schaut auf ihre Limousine, die schwarzgrün unter der kalten Beleuchtung steht. Was ist nur in sie gefahren, ein solch großes Auto zu kaufen? Sicher, es war ein tolles Angebot, fast neu. Die Eigentümerin will nach Kanada auswandern und braucht schnelles Geld. Ainu willigt sofort in den Kauf ein, die Formalitäten gehen glatt vonstatten, sie nimmt spontan Urlaub für eine Woche, und nun steht sie da und fragt sich, welche Teufelin sie geritten hat.
Ihre langjährige Beziehung ist längst zu Ende. Sie haderte lange damit, wie kläglich das scheitern war, wortlos, schäbig. Erst durchlief sie die Skala der Emotionen Wut, Zorn, Empörung, Angst, angereichert mit Ungläubigkeit und Selbstmitleid. Dann die vergeblichen Versuche, das alles zu verstehen. Sie mündeten in emotionale Achterbahnfahrten und endlich in schmerzhafte Trauer.
Sie liest Bücher über Trauerprozesse. Eine französische Medizinerin und Trauerforscherin sagt, es koste Mut zu trauern.
Ainu kann das bestätigen; trauern tut weh, tut körperlich weh. Sie weiß, es gibt im Gehirn nur ein Schmerzzentrum, wo gleichermaßen körperliche wie psychische Schmerzen verarbeitet werden.
Eine schweizer Psychoanalytikerin und Trauerforscherin sagt, dass aus der Trauerarbeit Hoffnung entstehe.
Ainu kann immer noch keine Hoffnung spüren. Die Trauer war an der Hoffnung vorüber gezogen, ohne sie zu bemerken. Sie hat das Gefühl, unter einer Glasglocke zu sitzen. Ihre Wünsche, die Träume, sie befinden sich irgendwo da draußen. Sie kann zuweilen einen Blick auf sie erhaschen. Mehr nicht, sie bleiben unerreichbar.
Dann fällt ihr dieses Auto wie eine Verheißung direkt vor die Füße. Verheißung worauf? Auf Ausbruch aus der Glasglocke, aufs einsammeln ihrer Träume, auf die Spur kommen zu ihrer Zukunft, wie auch immer die aussehen mochte, auf Beweglichkeit?
Sie nimmt ihren letzten Schluck, strafft die Schultern, will sich nicht weiter mit solchen Gedanken befassen. Mit einem Seufzer fällt sie in den bequemen Ledersitz. Sie startet, schiebt die CD mit der russischen Frauenband in den Player und fährt los.
Am nächsten Morgen nimmt sie einen Parkplatz in Punta Sabbioni und fährt mit dem Linienschiff nach Venedig. Sie steigt in der Nähe des Markusplatzes aus. Von hier ist es fußläufig nicht weit bis zum Hotel Estrella, das ihr von Hanni, mit der sie seit einiger Zeit zusammenarbeitet, empfohlen worden ist. Letzten Monat hatte die sich für einige Tage dort eingemietet.
Estrella, das Hotel, schwärmt Hanni, ist ein Eldorado, du wirst dich dort sofort wunderbar wohl fühlen. Von der Dachterrasse, umrahmt von blühenden Pflanzen, schaust du hinunter auf vorbeifahrende Gondeln, schlürfst einen Drink und hast angenehme Gespräche mit netten Gästinnen. Die Hotelchefin heißt Dalida Murano, ja, wie der gleichnamige Ort nahe Venedigs mit dem berühmten Glas, und sie wird dir gefallen. Ihre Zimmer vermietet sie vorzugsweise an allein reisende Frauen und Frauenpaare, und männliche Gäste sind lediglich als Begleiter der Frauen gestattet. Die Atmosphäre ist entspannt und anregend, und wer weiß, Ainu, vielleicht kommt die Putte mit den Pfeilen vorbei geflogen und nimmt dein Herz ins Visier. Wäre höchste Zeit, wieder in diese Richtung einen Anlauf zu nehmen.
Gib dir keine Mühe, Hanni, wehrt Ainu augenrollend ab, ich werde meinem Auto die venezianische Gegend zeigen, vielleicht einer Barockoper lauschen, gewiss keine Gondelfahrt unternehmen und mit Sicherheit nicht in die Nähe von Herzenspfeilen geraten.
Wait and see, sagt Hanni lächelnd, wobei ihre Gesichtszüge verschwimmen.
Ainu hätte gern gewusst, welche Erinnerungen Hannis resolute und geschäftsmäßige Züge weich und verträumt werden lassen.
Ainu lässt den Blick durch die kleine Empfangshalle schweifen. Die Wände sind in einem hellen Rosa gehalten, vermischt mit einem kaum wahrnehmbaren Ton wie Lösserde. Die Melange nimmt dem Rosa das quietschend Aufdringliche. Die Ränder der Wände sind rosenrot gerahmt, fügen dem ruhigen Rosa eine stabilisierende Kraft zu. Keine Bilder an den Wänden, kein Nippeskram wie Gondeln oder Muscheln. Breite niedrige hellbraune Sessel sind einladend gruppiert. Überall üppige Blumen, vorwiegend in rot und blau, mediterrane Kakteen und Sukkulenten auf kleinen Tischen, dem Sidebord und auf dem Tresen. Nichts Überladenes. Eine Atmosphäre des Wohlbefindens, würde Hanni sagen. Da ist noch mehr dabei, fühlt Ainu und wird von einem „Hallo, guten Morgen!“ aus ihren Empfindungen gerissen.
„Ich bin Lena“, stellt sich die junge Frau in dem bunt geblümten Kleid vor. „Und du bist Ainu Lichtenfels, Hanni hat dich gestern nochmals telefonisch angekündigt. Sie hat von dir geschwärmt, ach, meine tolle Hanni, ich vermisse sie ja so sehr!“ Ainu ist verwirrt. Erst wird sie von Lena geduzt, dann...hat ihr Hanni etwas verheimlicht, eine Affaire mit Lena? Seit wann hat ihre Kollegin erotische Interessen für Frauen? Hanni mit einer Frau, das ist bei ihrem Männerverschleiß undenkbar.
„Hier ist der Schlüssel. Dein Zimmer befindet sich im dritten Stock, und gleich dort drüben...“ Lena macht eine Kopfbewegung nach rechts „...kannst du den Aufzug nehmen. Kommst du alleine klar mit deinem Gepäck oder soll ich den Pagen rufen?“ „Nein, nein, das mache ich schon selbst, danke. Brauchen Sie, ähm, brauchst du zur Anmeldung meinen Ausweis?“
„Das machen wir alles später, komm erst einmal recht schön an.“
„Kann ich ein Frühstück auf mein Zimmer bekommen, oder gibt es keinen Zimmerservice?“
„Doch, doch, den gibt es schon. Allerdings erwartet dich in etwa einer Stunde unsere Chefin Dalida zu einem Brunch auf der Dachterrasse. Schätze, eine Dusche und frische Klamotten sind jetzt das, was du brauchst, Ainu. Ciao!“
„Ciao!“
Ainu rollt ihren Koffer, hängt sich die Reisetasche um, drückt den Aufzugknopf und steigt im dritten Stock aus. Ihr Schlüssel mit dem grünen Bommel trägt die Nummer 307, also nach links, den grünen Flur entlang. Sie stellt ihr Gepäck vor der Tür ab und schließt auf.
Sie wirft einen durch viele Hotelaufenthalte routinierten Blick ins Zimmer. Ihr erster Eindruck, oh, wie wunderschön! Sie bleibt an dem kleinen Balkon hängen, höchstens zwei Personen finden da Platz. Links daneben ein großes Bett, fliederfarben bezogen. Wieso denn das, sie hatte doch ein Einzelzimmer geordert. Rechts das Bad mit Wanne und separater, frei im Baderaum hängender Dusche. Glücklicherweise kein Bidet, sie kann diese Dinger einfach nicht ausstehen. Die Wände sind mit pastellfarbenen Kacheln versehen, weiß, blasse Gelb- und Blautöne, fließende abstrakte Muster. Der Wohnraum ist in den gleichen Farben gehalten, allerdings sind hier die Farben kräftiger, insbesondere das Blau.
Eine eigenartige Wirkung übt die Farbkombination auf sie aus, fremd und doch wie mit einer Nachricht an sie versehen. Auch hier keine Bilder an den Wänden, doch, etwas versteckt zwischen Bett und Balkon, ein kleines Bild, ungefähr zehn mal zehn Zentimeter, quadratisch, unter Glas, rahmenlos. Sie wird es später genauer in Augenschein nehmen.
Das Gepäck stellt sie an der Schranktür vor dem Bad ab. Der Schrankraum ist in die Wand hinein versenkt, was der Raumästhetik zugute kommt. Das Bad hat alles, was frau sich wünschen kann. Flauschige Handtücher, Bademantel und eine Reihe verschiedener Dusch- und Cremeutensilien.
Ainu wirft ihre Klamotten aufs Bett und stellt sich unter die Dusche. Feinste Wasserstrahlen hüllen ihren Körper ein und tauchen den Raum in eine dunstige Atmosphäre. Das Shower-Gel duftet würzig nach Zedernholz, Zimt und anderen undefinierbaren Gewürzen, deren Frische unmittelbar Ainus Körper belebt. Himmel, tut das gut, alle nächtlichen Anstrengungen fallen wie eine abgetragene Haut von ihr ab. Eingehüllt in den Bademantel inspiziert sie Öle und Lotionen, schnuppert daran und wählt ein Körperöl, das den gleichen Duft wie ihr Duschgel verströmt. Eine leichte Leinenhose, eine luftige Bluse, kein verhasster BH, weichlederne Slippers. Ainu fühlt sich wie neugeboren.
Ihr knurrender Magen verlangt nach einem ausgiebigen Frühstück. Sie fährt mit dem Aufzug zur Dachterrasse und ist überrascht, wie groß sie ist. Rundum mit Blumen eingefasst, wie Hanni es ihr beschrieben hat. Sie bleibt stehen und versucht, sich zu orientieren. Eine große dünne, etwas ledrig wirkende Frau, vielleicht um die Siebzig, kommt auf sie zu und lächelt aus einem unglaublich breiten Mund.
„Guten Morgen und herzlich willkommen, Ainu, ich bin Dalida, lass dich umarmen!“
Verwirrt findet sie sich in Dalidas Armen wieder. Welch überraschender Empfang. Gar nicht schlecht.
Dalida gibt sie schnell wieder frei und führt sie an einen großen runden Tisch, an dem drei weitere Frauen sitzen und sie anlächeln.
„Das sind Rachel, Benedicte und Rabia“, stellt Dalida vor. „Die anderen Frauen haben bereits gefrühstückt und sind unterwegs. Wir erwarten heute noch eine weitere Gästin, sie wird am frühen Nachmittag eintreffen. Du wirst hungrig sein, Liebes, such dir am Buffet aus, was dein Herz begehrt. Neben dem Buffet sind Kaffee, Tee, Wasser und Säfte. Und dann setz dich hierher zu uns.“
Das Buffet ist nicht sonderlich umfangreich, wie sie es aus anderen Hotels kennt, wo viel zu viele Sachen lieblos aufgetischt sind, offenbar nach einer immergleichen hotelübergreifenden Regieanweisung. Allein schon die verschiedenen zu süßen Müslisorten...Ainu schüttelt es bei der Vorstellung. Sie legt etwas Schinken, zwei Sorten Käse, Tomate und Obst auf ihren Teller, der schwarze Kaffe zischt mit kräftigem Aroma in die Tasse. Sie setzt sich an den Tisch, grinst etwas unbeholfen in die Runde und stürzt sich auf ihr Essen. Du liebe Güte, jetzt merkt sie erst, wie ausgehungert sie ist. Es braucht einige Augenblicke, bis sie realisiert, wie köstlich, geradezu erlesen der Schinken und die Käsesorten schmecken. Die Tomate muss in Sizilien gereift sein, süß wie Obst. Und der kräftige Kaffee, tiefschwarz wie meine Seele, aaah, so muss er sein.
Sie blickt in die erheiterten Gesichter der Frauen und ist peinlich berührt über die offene Zurschaustellung ihrer Gier.
„Wann hast du denn zum letzten Mal etwas gegessen?“ fragt Rachel, blitzt sie aus bernsteinfarbenen Augen an und stellt ihr den Brotkorb hin.
„Oh, das war, bevor ich losgefahren bin, und ich hatte nur Wasser eingepackt.“
Rachels füllige Figur ist in ein buntes Kleid gehüllt, die kräftigen Farben passen schön zu der leuchtend grünen Seidenstola, die sie sich übergeworfen hat.
„Darf ich dir noch ein bisschen Kaffee bringen?“ fragt Benedicte, die junge kleine, zartgliedrige Frau mit den spöttisch verzogenen dünnen Lippen und den graublauen Augen, aus denen der Schalk wie ein Springteufel hervorschießt. Sie steht auf und stellt Ainu eine weitere Tasse hin. Ihre mausgrauen Leggins und das glitzernde blaue Top hat sie sicher in der Kinderabteilung erstanden, denkt Ainu, und die kleinen Füße würden in Kinderschuhe passen.
Rabia mit dem breiten Kinn einer Berberin lächelt still in die Runde, sie stützt sich mit dem linken Arm auf eine Djembé, die schwarzbraunen Augen spiegeln die Ruhe eines Höhlensees.
Dalida steht auf. „Ciao, ihr Lieben, ich habe noch einiges zu tun. Ach ja, vorher das noch...“ Dalida zieht aus ihrer roten Hose ein Papier. „Das ist für dich, Ainu, deine Freundin Hanni hat Lena gebeten, die Karte für dich zu ordern. Lena hat am Empfang zu tun, sie hat mir die Karte für dich gegeben.“
Sie reicht das Papier über den Tisch. Ainu nimmt es und starrt fassungslos auf die Karte.
„Gluck.. Orfeo ed Euridice. Gran teatro La Fenice di Venezia“.
Datum heute.
„Ich glaub es nicht“, stammelt Ainu und bringt kein Wort mehr heraus.
„Dann sehen wir uns heute Abend“, sagt Rabia ruhig, „Benedicte und Rachel haben ebenfalls Karten, und für die Frau, die heute Nachmittag kommen wird, ist eine weitere Karte hinterlegt.“
Ihre Augen schwarz wie Obsidian. Ainu schaut in sie hinein und sieht sich selbst gespiegelt; ihre Überraschung, Freude, ihre Nacktheit.
Benommen steht sie auf, winkt verlegen in die Runde und bewegt sich mit unsicheren Schritten Richtung Aufzug. Sie weiß nicht, wie sie es in ihr Zimmer geschafft hat. Auf dem Weg zum Bett kickt sie ihre Slippers weg, fällt in die fliederfarbene Weichheit und ist augenblicklich in einen Erschöpfungsschlaf abgetaucht.
Im Traum versucht Ainu, aus den Nebelschwaden, die leicht um sie herumschwirren, herauszukommen. Sie ist irritiert, weil sie gegen die Schwaden nicht ankommt. Sie setzt all ihre Kräfte ein, ohne Erfolg. Da lichten sich die Schwaden, und langsam kommt eine silbrige Sonne zum Vorschein. Ihre Erleichterung verschwindet, als sie spürt, dass die Schwaden sie wieder mit unsichtbaren Fingern am weiterkommen hindern. Sie formen sich in einen schimmernden, grausilbernen Vorhang, der in gigantischen Ausmaßen am Himmel befestigt ist und bis zur Erde reicht. Sie kämpft sich zur Vorhangmitte vor und will ihn auseinander ziehen. Als sie endlich den Vorhang erreicht, ist ihr schwindlig.
Alle Kräfte haben sie verlassen. Sie versucht, ruhiger zu atmen und vorsichtig den Vorhang zu öffnen. Auch nach mehrmaligen Versuchen gelingt es nicht, er ist hart und unbeweglich wie Stahl. Mutlos lässt sie los und sinkt auf die Knie.
Der Vorhang öffnet sich einen Spaltbreit. Sie versucht, hindurch zu sehen und erblickt blaurotgraue Tupfer, die durch die Luft wehen, von einem leichten Wind bewegt. Sie versucht erneut, durch den Vorhang zu gelangen, stößt gegen die stahlharte Barriere und fällt um. Wieder auf die Beine zu kommen ist mühsam. Der Vorhang wird weich und lässt sie in die blaurotgraue Tupferwelt passieren. Da verblassen langsam die Farben und lösen sich im Grau, das sie nun umgibt, auf. Wieder taucht der Vorhang auf.
Hinter ihr höhnisches Gelächter. Sie meint, ihr müssen die Ohren zerspringen. Panische Angst lässt sie starr werden, dann versucht sie zu fliehen. Sie schreit sich die Kehle aus dem Leib, schlägt wild um sich, rennt um ihr Leben.
Aus den Schreien wird beim Aufwachen ein leises Gewimmer, das sie jetzt schmerzhaft im Körper spürt.
Schweißgebadet setzt sie sich ruckartig auf und versucht, den Alpdruck abzuschütteln. Mit einem Satz springt sie aus dem Bett und versucht sich in ruhigen Atemzügen, spritzt sich mehrmals Wasser ins Gesicht und taucht die Arme bis zu den Ellenbogen ins Wasser.
Tief durchatmen.
Sie schaut sich im Badezimmer um und orientiert sich in der Realität der Badewanne, der Dusche, den Pflegeutensilien.
Ok, denkt sie, was war denn das? Fontane fällt ihr ein, Irrungen, Wirrungen. Und woher kommen die Schmerzen, die ihr Körper erlebt hat?
Jetzt keine Energie auf Traumdeutung verschwenden, oh nein. Wird Zeit, den Angstschweiß unter der Dusche loszuwerden und dann das Zimmer zu verlassen.
Alle Sonnen scheinen vom Himmel.
Sie entscheidet sich für die neuen bunten Bermudas und kombiniert sie mit einem honiggelben Hanftop. Die Füße schlüpfen in rote Sandalen, in die dazu passende Umhängetasche stopft sie alles, was sie mit nach draußen nehmen will. Jetzt noch die rote Sonnenbrille. Das Outfit verleiht ihr Sicherheit, der Alpdruck hat sich verflüchtigt. Sie fühlt sich der Außenwelt gewachsen. Nur möchte sie keiner der Frauen aus dem Hotel begegnen.
Sie holt den Aufzug und läuft schnurstracks durch die Lounge zum Ausgang.
Venezia, ich komme, ruft sie in die sonnendurchflutete Stadt, in die engen Gassen.
Ihre Idee war es nicht gewesen, hierher zu fahren, das war Hanni.
Ainu kennt Venedig von einigen Besuchen, die Stadt lag öfter auf ihren Wegen woanders hin. Ihre Abstecher erkundeten die auf Inseln gebaute Stadt, immer beweglich auf den Pfeilern. Die byzantinischen Mosaiken im Markusdom, die Taubenheere auf dem Markusplatz, der Dogenpalast, Burano, die Insel in der Lagune, die unendlich vielen Kanäle mit fragilen Brücken, der reinste Irrgarten. Ins Teatro La Fenice allerdings hat sie es noch nicht geschafft, nun, das wird sie heute Abend erleben.
Was sie an Venedig nicht mag, ist die in Büchern und Filmen inszenierte Morbidität, das von der Touristik gepriesene Markenzeichen der Stadt. Das Morbide beschwört in ihr Melancholie herauf, und die versetzt sie in heftigen Widerwillen. Nicht morbide, sondern erschöpft wirkt die Stadt, ebenso ihre Einwohnerinnen und Einwohner, vor allem im Sommer, wenn sie unter den erdrückenden Touristenmassen leiden. Jetzt, Ende April, ist die Stadt erträglich und begehbar, die geradezu lieblichen kleinen Restaurants sind lebendige schmucke Farbtupfer in der oft übertriebenen Grandezza.
Sie setzt sich in ein kleines Café und bestellt einen Campari Soda. Der freundliche junge Kellner serviert ihn richtig mit dem Zuckerrand auf dem Glas.
Genüsslich nuckelt Ainu am Strohhalm und beobachtet absichtslos die vorbeieilenden Frauen mit ihren Einkaufstaschen. Gepflegtes Aussehen, manche elegant. Italienischer Chic eben, italienische Ästhetik selbst bei Abfalleimern, weiß Ainu, die einen solchen zu Hause hat.
Die Sache mit der Theaterkarte geht ihr durch den Kopf. Teuer ist das La Fenice. Wie kommt Hanni dazu, ihr die Karte zu schenken?
Sie schaut auf die Uhr. Mittagszeit, Hanni sitzt wahrscheinlich in der kleinen Büroküche und futtert ein to go Gericht von der Chinesin nebenan.
Sie kramt ihr Smartphone aus der Tasche und tippt auf Hannis Nummer.
„Hanni Weiler, meine Mittagspause ist mir heilig, also was wollen Sie? Bitte in Kurzfassung!“
„Hi Hanni, stell den unwirschen Tonfall ab, hier spricht deine Lieblingskollegin aus dolce Venezia.“
„Ciao Bella, come sta, Bellissima?“
„Mir geht es gut, Süße, schmatze ruhig weiter und erkläre mir zwischendurch, was das mit der Opernkarte soll!“
„Wie...“, tönt es schmalztriefend aus dem Phone.
„Ich bezahle die Karte, wenn ich zurück bin.“
„Red keinen Quatsch, Engelchen, geschenkt ist geschenkt. Ich will, dass du heute Abend dort hingehst.“
„Und weshalb willst du das?“
„Darüber reden wir danach...“
„Was soll das? Wieso betonst du danach? Ich höre förmlich die drei Pünktchen, also raus mit der Sprache!“
Das typisch helle Hanni-Lachen. Ainu weiß, dass für Hanni damit das Thema erledigt ist.
„Noch etwas, Hanni. Bist du eigentlich noch mit Volker zusammen?“
Kurze Stille.
„Wie bitte? Was soll denn das jetzt?“
„Das soll gar nichts, beantworte ganz einfach meine Frage.“
Längere Pause.
„Nun, was ist?“
„Nein.“
„Hast du die Beziehung beendet oder er?
„Ich.“
„Lass mich raten: Du hast die Beziehung beendet, nachdem du letzten Monat aus Venedig zurück warst.“
„Ja.“
„Aus dem wunderschönen Hotel Estrella zurück warst.“
Ein zögerndes „ja“.
Ainu holt aus. „Nachdem du Lena getroffen hast.“
Klick. Hanni hat aufgelegt.
Wusste ich es doch, lacht Ainu triumphierend in sich hinein, voll ins Schwarze getroffen! Ihr Campari schmeckt auf einmal doppelt so gut, die Stimmung steigt sekündlich.
Das Phone tönt.
„Ja…?“
„Sorry, Ainu, das hat mich einfach kalt erwischt.“
„Schon ok, Hanni, erlaube mir nur noch eine kurze freundschaftliche Häme, dann hör ich auf.“
Ohne Hannis Zustimmung abzuwarten, spricht sie ins Phone. „Was warst du für eine hundertprozentige Heterosexuelle, du hast beteuert, mich als Lesbe zu schätzen und gleichzeitig gesagt: tu mir das nie an, mehr als Freundinnenschaft von mir zu verlangen, das würde unser Verhältnis trüben. Und jetzt das!“
„Ach Ainu, ich kann es doch selbst nicht glauben, und wenn mir eine das vor Venedig gesagt hätte, hätte ich mich vor Lachen gebogen. Seit vier Wochen fern von ihr watschel ich wie eine irr gewordene Ente durch die Tage, nehme mich unablässig kritisch unter die Lupe - ist das alles wirklich wahr? - und dabei hängt mein Himmel voller Geigen, während in den Eingeweiden der geilste Wahnsinn aller Zeiten wütet! Meine Träume sind voller Lena, und das bei eklatantem Schlafmangel, ich weiß nicht mehr, wohin mit mir!“
Ainu ist perplex. Weshalb sind ihr die Veränderungen bei Hanni nicht aufgefallen? War sie so sehr mit ihren Deprizuständen beschäftigt, dass Hannis drastische Stimmungslagen unbemerkt an ihr vorübergezogen sind? Sie hat ein rabenschwarzes Gewissen.
„Hanni, du Liebe, ich bin ein egoistischer Trottel gewesen, bitte verzeih mir, dass ich als Freundin so kläglich versagt habe!“
Hanni heult und heult.
„Nein, das stimmt nicht, ich bin jetzt so froh, dass es raus ist, und es gibt keine Bessere als dich für meine dusseligen Schluchzer.“ Sie bringt mühsam ihre Worte in den vielen Tränen unter.
„Ich mache es wieder gut, Hanni, wenn ich zu Hause bin, du heulst dann so lange, bis nur noch Freudentränen kommen. Und du bekommst das coaching einer Altlesbe mit Zielvorstellung Happy end für Hanni und Lena.“
Ainus Worte lösen eine Melange aus Heulen und Lachen aus.
„Ach, mir geht es schon viel besser, danke, und vergiss mich für ein Weilchen, ich komme schon klar. Ich wünsche dir schöne Tage, mach was draus und stell dich gut auf! Ciao.“
„Ciao, du Liebe.“
Ainu legt Geld auf den Tisch und läuft versonnen durch die Gassen.
Habe ich Hanni mit den Freudentränen und dem Happy end vielleicht zu viel versprochen? Wie oft habe ich Lesben erlebt, die sich auf eine heterosexuelle Frau eingelassen haben, und wie schnell sind ihre Träume zerplatzt, wenn die wieder zu ihrem oder irgendeinem Mann zurückgekehrt ist. Manchmal ist eine Lesbe im tiefen See der Enttäuschung fast ertrunken, in der Scham über die eigene Naivität, wo der lesbische Seenot-Rettungsdienst alarmiert zur Wiederbelebung eilt. Vorher hat sich die Hetera mal freundlich bedauernd mit einem Dankeschön verabschiedet, ein andermal ist sie sang- und klanglos verschwunden oder brutal mit Sätzen wie: schön war es mit dir, aber du hast doch nicht im Ernst geglaubt, ich würde für dich meinen Mann verlassen. Alle wollten unverbindlich und for free Sex in der belle étage erleben, Ferien vom Ich, Erzählstoff fürs nächste Kaffeekränzchen oder für ihren Mann interessanter sein. Blase ich nicht ins falsche Horn, wenn ich Hanni mit edelmütiger Geste Unterstützung biete und Lena die eigentlich Gelackmeierte ist? Andererseits kenne ich Lena nicht und habe keine Ahnung, ob sie der heterosexuellen Schwesternschaft angehört oder eine verletzbare Lesbe ist. Ich muss das bald in Erfahrung bringen.
Ainu braucht Bewegung, damit die Gedanken nicht Oberhand gewinnen. Etliche Gassen weiter fasst sie zusammen: Ich freue mich für Hanni, werde mit Lena sprechen und ja, ich werde mich besser aufstellen.
Sie steht vor der Estrella, wirft einen Blick zum Empfang. Lena ist nicht da. Sie nimmt die Treppe zu ihrem Zimmer.
Sie lässt sich in den blauen Sessel fallen, streift die Sandalen ab, legt die Beine hoch. Sie richtet den Blick auf das kleine quadratische Bild, das sie am Vormittag nur kurz gestreift hat.
Die Perspektive von oben fällt auf den unteren Teil eines alten langgestreckten weißblauen Gebäudes, lange schmale Fenster sind andeutungsweise erkennbar. Obgleich in den Fassaden keine Risse zu sehen sind, lässt das Bild ein altes Gebäude erkennen, das etliche Generationen ausatmet. Es erzählt von einer vergangenen Lebendigkeit; für die Gegenwart bleibt der eindrückliche Anblick einer dagewesenen Zeit. Vor dem Haus der Kanal, ein Abzweig führt über einem gelb umrandeten Tor durch das Haus. Das Wasser spiegelt die Häuserfarben, es ist lichtern. Frühes Abendlicht ohne Sonneneinstrahlung. Eine alte schwarze schmucklose Gondel liegt auf dem Wasser, sie ist menschenleer.
Ainus Empfindungen oszillieren zwischen Ruhe und Verlassenheit. Ruhe ist vielleicht nicht das richtige Wort, die Farben im Wasser deuten auf eine leichte Beweglichkeit. Eher Stille, ja, das trifft es besser. Aber Verlassenheit? Doch, die ist in der Stille enthalten, und sie kriecht langsam in ihr Gemüt, verstärkt die Anmutung des Dagewesenen. Ist es nicht das, was mich oft verwirrt, ja geradezu ängstigt, fragt sie sich. Das Verfallende, Ruinen oder Portraits früherer Zeiten strahlen eine intensive Lebendigkeit aus. Vorstellungen nehmen Fahrt auf, und gleichzeitig sagt dir die Ruine zwischen wilden Gräsern und wuchernden Hecken: es war einmal und wird nicht wieder sein. Vergänglichkeit ist schwer zu ertragen, und sie hat eine stille Begleiterin, die Melancholie.
Sie schaut zum Balkon, will sich dem Bild nicht weiter aussetzen. Das glatte Gegenteil der sentimentalen Gondelgemälde mit all dem Flitterwochenkram, denkt sie. Der Gedankenschwenk tut ihr gut.
Sie hat Hunger. Das Frühstück fiel knapp aus, weil sie nach der Sache mit der Opernkarte keinen Appetit mehr hatte.
Sie braucht jetzt etwas Frisches und steuert den Aufzug an.
Auf der Dachterrasse sitzen Rabia und Rachel. Wahrscheinlich sind sie ein Paar, mutmaßt sie, die beiden Frauen wirken sehr vertraut miteinander.
Alle Tische sind besetzt. Rachel winkt ihr zu, sie solle sich zu ihnen setzen. Beide sitzen vor vollen Tellern.
„Wo kann ich bestellen?“
Rachel pfeift laut durch die Finger, und Benedicte kommt mit Block und Stift.
„Du arbeitest hier?“ fragt Ainu überrascht.
„Non non, pas du tout, ich habe Semesterferien. Dalida ist meine Grandmère, ich helfe ihr ein wenig. Alors, was möchtest du haben?“
Benedicte legt ihr flink die Karte hin.
Ainu wählt den Pulposalat, dazu Mineralwasser und ein Achtel Vino bianco di Casa.
Rachel schaufelt volle Gabeln in sich hinein, kommentiert ihre Bissen mit zufriedenen Grunzlauten. Rabia isst bedächtig und still.
Rachel gießt Rotwein aus der Flasche in ihr Glas. „Wir kommen seit Jahren hierher, weil wir hier unseren ersten gemeinsamen Urlaub verbracht haben, ganz kurz, nachdem wir uns kennen gelernt haben. Ich bin amerikanische Jüdin, Rabia kommt aus Tunesien und wurde im muslimischen Glauben erzogen.“
Rabia nickt bestätigend. „Wir sind beide aus den Religionen herausgewachsen.“
„Herausgewachsen?“ fragt Ainu verwundert.
„Nun“, hebt Rabia an, „wir sind aus den Kinderschuhen herausgewachsen. Beide Religionen sind für Frauenfüße immer zu eng, da haben wir sie entsorgt.“
Sie fügt hinzu: “Ihr habt in Deutschland ein schreckliches Märchen. Drei Schwestern, angeblich völlig uneins, voller Neid und Missgunst, zwei von ihnen buhlen um die Gunst des Prinzen. Der führt einen engen Schuh mit sich, der eigentlich nur auf Kinderfüße passt und will eine Frau, die sich da hineinzwängen lässt. Die beiden fügen ihren Füßen schwere Verstümmelungen zu. Ihr Leid muss unermesslich gewesen sein, und den Rest ihres Lebens mussten sie mit schmerzhafter Gehbehinderung zubringen. Bei der dritten Schwester entschied der Prinz, dass sie in den Schuh passt und entführte die Kindsbraut.“
Rabia nimmt einen Schluck.
„Das Aschenputtel!“ flüstert Ainu. „So habe ich das Märchen noch nicht gehört.“
Keine sagt etwas. Ainu braucht noch Zeit, um das Gehörte zu verdauen. Mühsam versucht sie, ihre Gedanken in Worte zu fassen.
„Die Jüngste war noch damit beschäftigt, irgendwelche Hülsenfrüchte zu sortieren. Vielleicht haben ihr die älteren Schwestern die Schüssel hingestellt, weil die Kleine es liebte, in ihrer Konzentration zu versinken, und vielleicht hat sie die zum Kochen ungeeigneten Körner oder Hülsenfrüchte an die Tauben verfüttert, die bereits wussten, dass sie etwas abbekommen würden.“ Sie lächelt bei der Vorstellung.
„Vielleicht haben die älteren Schwestern die Kleine versteckt, um sie vor dem Zugriff des Prinzen zu schützen. Und ich wage kaum, mir vorzustellen, dass sich die älteren Schwestern verletzt haben, um den Prinzen auf sich aufmerksam zu machen, damit er seine Finger von Aschenputtel lässt. Das ist schief gegangen, keines der Mädchen hatte eine Chance. Die Botschaft an sie hieß: schweige, leide, sei ein williges Objekt, und verschweige vor allem die sexuelle Gewalt, die dir angetan wird, alle Mädchen und Frauen haben die Sünde in ihren Körper eingeschrieben und müssen dafür bestraft werden.“
Ainu kann nicht mehr weiterreden, sie ist entsetzt darüber, dass auch heute noch die kleinen Mädchen solche Märchen vorgelesen bekommen und unwissentlich die darin enthaltene Horrorbotschaft schlucken. So wie auch sie als Kind davon infiziert worden ist.
Sie versucht, sich von solch schrecklichen Gedanken zu lösen.
Ihr fällt ein Lied ein, in dem ein Vögelchen der Freiheit willen einen reichen Kerl zum Teufel schickt, und sie fängt an, leise zu singen.
Es saß ein klein wild Vögelein
auf einem grünen Ästchen
es sang die ganze Winternacht
sein Stimm tät laut erklingen.
Oh sing mir doch oh sing mir doch
du kleines wildes Vöglein
ich werd um deine Federchen
dir Gold und Seide winden.
Behalt dein Gold und deine Seid
ich will dir nimmer singen
ich bin ein klein wild Vögelein
und niemand kann mich zwingen.
„Wie schön du das Lied gesungen hast, danke, Ainu, es gab und gibt immer Frauen, die in Schönheit und Wildheit leben und alle Fesseln zurückweisen,“ sagt Rabia.
„Tja“, Rachel schluckt ihren Bissen herunter, „das christliche Abendland hält dieselbe fiese Religion für Frauen parat. Ich habe viel darüber von Rabia gelernt, sie kennt sich in allen Religionen, Märchen und Mythen aus.“
Rachel schenkt Rabia ein warmes Lächeln. „Und ich bin stolz darauf, dass du meine Frau bist.“
„Seid ihr verheiratet?“ fragt Ainu, erleichtert steuert sie auf einen Themenwechsel zu.
„Aber nein!“ Rabia schickt ein Lächeln an Rachel zurück. „Die Ehe, ob Einehe oder Vielehe, war schon immer das Joch, in das Männer die Frauen gezwängt haben, eben der viel zu enge Kinderschuh. Und rechtlos wie Kinder wurden die Frauen gehalten. Ich habe keineswegs den Wunsch, mit einer verzerrten Ehe-Karikatur dieser patriarchalen Institution aufzuwarten.“
Und mit einem Blick zu Rachel: „Die Frau, die ich liebe, pflegt sich zuweilen etwas schnoddrig auszudrücken.“
Rachel zwinkert Rabia zu, lacht laut, ihre Hand fährt krachend auf den Tisch.
„Meine Frau ist eben eine Gelehrte!“
Ainu sieht Rabia fragend an.
„Meinen Lehrstuhl für vergleichende Religionswissenschaften habe ich aus Altersgründen schon vor Jahren verlassen, und seither laden mich Frauen aus aller Welt zu Vorträgen ein. Es gibt noch viel zu tun.“
Rachel: „It‘s a long way from adams rip to womens lib, und beinahe hätte ich gesagt, to womens lips.“
Benedicte stellt Ainu Wasser, Wein, Brot und Oliven hin.
„Der Pulposalat kommt gleich.“
Ainu tröpfelt Olivenöl aufs Brot und beginnt, das Loch im Magen zu stopfen. Der Hauswein ist kalt und trocken und bizzelt ein bisschen. Sie stoßen miteinander an.
„Madame Ainu...“, Benedicte betont das kurze „u“, „et voilà, le pulpo, bon appétit!“
Frischer Pulpo, zart, leicht angebraten, in buntem Salat mit leichter Vinaigrette. Nicht diese tiefgefrorenen Gummireifen, die wir in Deutschland meist vorgesetzt bekommen, freut sich Ainu. Jeder Bissen eine Gaumenfreude.
Als sie fertig ist und die Stoffserviette in die Hand nimmt, fragt sie Rachel: „Und was tust du?“
„Mein Leben mit Rabia in vollen Zügen auskosten. Ich habe die IT-Firma, die meine Eltern in den USA erfolgreich aufgebaut hatten, vor langen Jahren übernommen und ausgebaut. Als Rabia den Lehrstuhl verlassen hat, habe ich die Firma meinen beiden Nichten übergeben. Geldsorgen habe ich keine, und jede Menge davon fließt in gutes Essen. Nur das leichte Übergewicht muss ich im Auge behalten, mache dabei allerdings keine guten Fortschritte“, fügt sie augenrollend hinzu.
„Du bist meine Schönste!“ flüstert ihr Rabia zu. Rachel küsst ihre Hand.
Sie steht auf. „Wir ziehen uns zurück“, und mit einem zwinkernden Seitenblick zu Rabia, „wir haben noch etwas Schönes vor. Komm, meine Liebe...“
Ainu meint, Rabia erröten zu sehen.
Sie schaut den beiden nach, wie sie die Terrasse verlassen. Rachel groß und raumgreifend, Rabia kleiner und mit ihrer Djembé bepackt. Sie spürt das Glück, das die beiden Frauen umhüllt. Die anderen Tische sind immer noch gut besetzt. Sie schenkt sich Mineralwasser nach, dreht gedankenverloren am Glas, der Blick entschwindet in weite Fernen.
„Ciao, Ainu!“
Es ist Dalida.
„Darf ich dir unsere neue Gästin vorstellen? Helen.“
Überrascht schaut Ainu zu Dalida auf und dann in grüne Augen.
„Kann ich mich zu dir setzen oder störe ich?“ fragen die grünen Augen.
„Aber nein, du störst überhaupt nicht, ich war in Gedanken und bin gerade ein bisschen...“
Ein bisschen verwirrt, verstört, verdattert? Ainu weiß es nicht. Die grünen Augen lächeln amüsiert, Helen setzt sich ihr gegenüber.
„Ich schicke dir Benedicte vorbei“, sagt Dalida zu Helen, „ciao“.
„Danke, Dalida, ciao.“
Helen bestellt einen kleinen Salat , eine Sogliola mit Kartoffeln und Gemüse und dazu den Vino bianco di Casa, einen halben Liter in der Karaffe.
„Du trinkst doch einen Schluck mit mir, oder?“
Das war keine Frage.
„Ja ja, ich...klar, natürlich, sehr gern...“, stottert Ainu.
Helen schenkt ein, hebt ihr Glas.
„Salute, Ainu, auf einen schönen Nachmittag.“
„Ja, salute...“ Ainu fällt in Helens Augen. Sie reißt ihren Blick los, nimmt einen zu schnellen Schluck und hustet. Du blamierst dich bis auf die Knochen, hör sofort damit auf, befiehlt sie sich. Sie rückt ihren Stuhl zurück.
„Entschuldige mich einen Moment. Bin gleich wieder da“, fügt sie unnötigerweise hinzu. Sie strebt der Tür zu und stolpert über eine Unebenheit im Boden. In den würde sie am liebsten versinken. Gewiss hat Helen gesehen, wie ungeschickt sie gestolpert ist. Sie flüchtet in die Toilette, schließt sich ein und setzt sich in voller Montur auf die Klobrille.
Durchatmen!
Was ist denn in dich gefahren, fragt sie sich. Ein Paar grüner Augen, na und, was ist daran so spektakulär, reiß dich zusammen, Helen hält dich für einen ausgemachten Tölpel, wenn du dich weiterhin so aufführst. Bewege deinen Hintern wieder an den Tisch, sonst denkt Helen noch...Ja was denkt Helen, zum Teufel mit dem Blödsinn, du verlässt jetzt die Toilette, straffst die Schultern, steuerst mit ruhigen Schritten auf den Tisch zu, schaust auf den Tisch, nicht auf Helen und machst einen souveränen Eindruck.
Ihr äußerst schwieriges Vorhaben wird ihr erleichtert, weil Benedicte gerade den Salatteller wegnimmt und die Seezunge auftischt, währenddessen Helen ihr offenbar zu dem Fisch Fragen stellt.
„Oui oui, Helen, la sole wurde heute Nacht gefangen, elle est delicieuse, bon appétit!“ und eilt zu einem anderen Tisch.
Zwischenzeitlich hat Ainus Hintern ohne weitere Komplikationen den Stuhl unter sich gebracht. Sie wünscht ebenfalls einen guten Appetit und versucht, einen gleichmütigen Eindruck zu verbreiten. Was ihr gelingt. Anfänglich. Bis sie den Fehler begeht, Helens Mund beim essen zu beobachten. Deren Lippen saugen förmlich den Bissen Seezunge hinein, langsam, fast als würde sie eine Auster schlürfen. Das ist doch unanständig, wie die Frau isst, das ist obszön, das gehört verboten.
„Lass uns noch einmal anstoßen, diesmal ohne dich zu verschlucken. Salute!“
Helen schlägt einen heiteren Plauderton an, den sie Lügen straft, als sie eine grüne Bohne aufspießt, sie einsaugt und in Ainus graue Augen blickt.
Ainu merkt, wie sie Helen anstiert. Allerletzte Warnung, Ainu, sagt sie sich, bevor du dich endgültig lächerlich machst. Reiß dich am Riemen, lege einen Harnisch an und nimm ihren Plauderton auf.
„Möchtest du in Ruhe essen oder können wir uns unterhalten?“
„Nein nein, sprich nur.“
„Woher kommst du? Du siehst so gar nicht nach einer langen Fahrt aus.“
„Richtig, den größten Teil der Zugstrecke von München, wo ich lebe, habe ich gestern hinter mich gebracht. Ich bin in Verona ausgestiegen, habe dort eine Sache zu einem längst überfälligen Abschluss gebracht und mich anschließend eingemietet. Heute Vormittag Spaziergang in Verona, und dann habe ich den Zug hierher genommen. Nun sitze ich dir gegenüber, bin also in angenehmer Gesellschaft.“
„Aha.“
Schnell, lass dir was einfallen, irgendeine Frage, die dich nicht so dumm mit deinem „aha“ dastehen lässt.
„Was führt dich nach Venedig? Ist die Estrella eine Zufallsbuchung oder warst du schon mal hier?“
„Ich war noch nie in Venedig und werde ein paar Tage hier bleiben.“
„Weshalb Venedig und die Estrella?“
Ainu meint, in Helens Gesicht ein Zögern zu sehen. Sie schiebt den leeren Teller zur Seite und hebt ihr Glas. „Der Hauswein ist sehr gut.“
Aha, denkt Ainu, Helen lenkt ab.
„Vielleicht bin ich zu neugierig, du musst mir natürlich nicht antworten.“
„Sei mir nicht böse, ich werde es vielleicht später erklären. Nicht jetzt, das ist eine längere Geschichte. Möchtest du auch einen Espresso?“
Ainu nickt. Sie trinken aus.
„Kennst du Venedig, Ainu? Ja? Hättest du Lust auf einen Spaziergang? Ich würde gerne mit dir durch die Gassen wandeln.“ Ainu fühlt eine geradezu kindliche Freude in sich aufsteigen.
„Ja sicher, furchtbar gerne!“
Draußen empfängt sie eine angenehm warme Nachmittagssonne. Zunächst ein bisschen durch das Gassengewirr, und dann steuere ich den Markusplatz an, überlegt Ainu. Beim gehen legt sie einen leichten Abstand zu Helen ein. Langsam kehrt ihre alte Sicherheit zurück.
Scheinbar unbeteiligt registriert sie Helens leichten Hüftschwung im luftigen blauen Kleid und wie er sich in den Brüsten fortsetzt. Erregende Rhythmik.
Als habe sie den Blick gespürt, schaut Helen sie lächelnd an.
Ainu fürchtet, Helen würde etwas sagen, aber sie lächelt immer noch.
Ainu fühlt sich ertappt, ist froh, sich hinter ihrer dunklen Sonnenbrille verstecken zu können. Sie lächelt etwas hilflos zurück, die herbei gewünschte Souveränität bröckelt. Sie hofft, in den kleinen und windungsreichen Gassen die Richtung zum Markusplatz nicht zu verlieren, was sich bei den irritierenden Gefühlen als schwierige Herausforderung darstellt.
Als ob das alles nicht schon genug wäre, jagen ihr die letzten beiden Jahre wie auf einer sich verschnellenden Filmspule durch den Kopf. Sie meint, sie habe ihr Leben als Single ganz gut gemanagt. Frauenpolitisches Engagement, neue Freundinnen, viel Körperarbeit und lustige Kontakte im Turnverein, und ihr Job mit Hanni hat gut getragen. Sie verliebt sich selten, und während der letzten Jahre hat sie das mit einem, wie sie meint, hilfreichen Trick geschafft, der folgendermaßen funktioniert: Ich habe keine Eile, und sollte ich mich wieder verlieben, dann nur in meine Traumfrau. Ihre Definition einer Traumfrau: Sie muss sich erotisch bewegen, Sinn für Musik, Tanz, Literatur, Malerei aufbringen, einen neugierigen elastischen Geist besitzen, aktiv für die Sache der Frauen sein, ausgestattet mit Wissen über die Geschichte der Frauen - eine Reisende im wörtlichen und im übertragenen Sinne. Sie muss sich gleichzeitig unsterblich in Ainu verlieben, wie der synchrone Sprung zweier Schwimmerinnen vom Zehnmeter Turm. Mit diesen Erwartungen, so meint Ainu, könne es Jahrhunderte dauern, bis sie ihrer Traumfrau begegnen würde.
Zwischendurch ist ihr eine freundliche Frau über den Weg gelaufen. Nettes Beisammensein mit einer Bettgeschichte, allerdings ohne Verliebtsein. Als die Frau bald anfängt zu klammern und ihr Vorwürfe zu machen, hat sie das ganz schnell beendet. Andere Frauen bekundeten ihr Interesse an einer Beziehung, Ainu wimmelt sie schon im Vorfeld freundlich ab.
Danach schien manchmal die dunkle Sonne depressiver Stimmungen, begleitet von lähmender Unruhe.
Hanni ist ihr in solchen Schräglagen immer eine gute Hilfe, indem sie sie, oft genug gegen ihren Willen, zum Lachen bringt. Sie bewirbt die Vorzüge heterosexueller Beziehungen.
„Das mit einem Mann geht dir einfach nicht zu nahe, sie sitzen überall herum, in Kneipen, in Vereinen, es ist leicht, dir einen zu angeln und auch nicht schwer, ihn wieder loszuwerden, wenn er nervt. Eine enge Beziehung mit einer Frau stelle ich mir echt schwierig vor, und ich würde es gar nicht erst versuchen. Du solltest aufhören zu brüten und wieder auf die Strümpfe kommen.“
Gesagt, getan, Hanni hat etwas für Ainu auf den Weg gebracht. Also Venedig, also Estrella.
Kuraufenthalt für desperate Geschöpfe?
Ainu schüttelt den Kopf, will die Gedanken vertreiben.
„Was ist mit dir?“
Helen schaut sie fragend an.
„Ach nichts.“
Helens Blick hält die Frage fest.
Ainu, zögernd: „Du siehst toll aus, äh, ich meine, das blaue Kleid und deine grünen Augen, äh, wie das weite Meer.“
Erschrocken hält Ainu inne. Was hab ich soeben gesagt, bin ich noch zu retten, Helen wird mich auslachen!
„He, wie schön, dass dir mein Kleid gefällt!“
Das mit den Augen und dem Meer übergeht sie geflissentlich und flirtet sie offen an.
„Ob dir auch gefallen würde, was in dem Kleid steckt?“
Ainu bleibt verdattert stehen und lässt zu allem Überfluss ihre Tasche fallen. Helen bückt sich gleichzeitig mit ihr nach der Tasche, ihre Augen begegnen sich auf engstem Abstand.
„Wäre ich das weite Meer und du der Seestern?“ flüstert Helen. Sie wertet Ainus trockenes Krächzen als Zustimmung, und immer noch flüsternd: „Lass uns weitergehen.“
Sie erreichen den Markusplatz, ohne den Sehenswürdigkeiten große Beachtung zu schenken. In einem Café einigen sie sich auf Zitronensorbet. Jede ist in ihren Gedanken versunken, ohne sich der starken Präsenz der Anderen entziehen zu können.
Ainu müht sich, aus ihrer heillosen Verwirrung herauszufinden. Wie soll ihr das bloß gelingen?
Die Zeit komprimiert und dehnt sich gleichzeitig, der Platz ist ihr vertraut und erscheint doch anders, wie neu geschaffen für diesen Moment. Der mächtige Dom schrumpft, der Tisch, an dem sie sitzen, bekommt eine glasklare Präsenz.
Geht es mir wie Alice im Wunderland, und welchen Wundern begegne ich hier mit Helen?
Helens Gedanken vermessen die kurze Zeit zwischen Verona und Venedig.
Nach Verona ist sie gekommen, um die letzten vertraglichen Unebenheiten zu glätten und einvernehmlich die bislang gemeinsame Firma für italienische Bio-Lebensmittel an ihre Geschäftspartnerin Vera zu übertragen. Der Schritt war überfällig. Die Liebesbeziehung, die sie mit Vera hatte, war mit der Zeit im Sand verlaufen, ohne dass eine von ihnen versucht hätte, dem entgegenzusteuern. Vera hatte sich zunehmend in der Sparte qualifiziert, während Helen mehr und mehr das Interesse daran verloren hat. So haben sie ohne weitere Hindernisse beschlossen, die Firma Vera zu überlassen. Die Abfindung sollte in firmenverträglichen Abständen sukzessive an Helen gehen. Der erste fette Batzen Geld machte es sich bereits auf ihrem Konto bequem.
Helen wollte im Anschluss daran nicht gleich wieder nach München zurück, und so fand sie im Internet unter Venedig-Hotels das Estrella, das sich als Hotel für Frauen empfahl. Sie las die begeisterten Kommentare ehemaliger Gästinnen, rief spontan in der Estrella an und buchte für drei Nächte. Auf ihre Frage, was für den ersten Abend Venedig kulturell zu bieten habe, riet ihr die Dame vom Empfang, eine Lena, zu einer Gluckoper und bot ihr an, eine Karte für sie zu reservieren. Sie würde gemeinsam mit einigen Gästinnen der Estrella die Oper besuchen. Die Idee gefiel Helen, und die Buchung war perfekt.
Während der Zugfahrt von Verona nach Venedig fühlte sich Helen frei und leicht wie ein Vogel, und es gab nichts, was ihre Erwartungen auf ein paar schöne Tage mit netten Frauen hätte trüben können. Offene Begegnungen, sorgenlose Unternehmungen, darauf freute sie sich als Abschluss der gelungenen Veronageschichte.
Als sie und Vera sich kennen lernten, waren äußere Rahmen von vornherein abgesteckt. Beide waren damit einverstanden, dass Helen weiterhin in München und Vera in Verona leben würde. Sie trafen sich wegen geschäftlicher Erfordernisse in harmonischer Atmosphäre, und daraus entwickelte sich wie von