Titelangaben

Jack London



Der Ungläubige

Auf den Salomoninseln

Ein tapferer Mann




Drei Geschichten aus der Südsee – zweisprachig: deutsch/englisch – neu bearbeitete Ausgabe








 

Jack London


Der Schriftsteller und Journalist Jack London wurde am 12. Januar 1876 in San Francisco als John Griffith Chaney geboren. Den Namen „London“ erhielt er von seinem Stiefvater John London, den seine Mutter Flora Wellman im Jahr seiner Geburt heiratete. Londons leiblicher Vater war, zumindest mit großer Wahrscheinlichkeit, William Henry Chaney, eine zwielichtige Gestalt, die unter anderem als Wanderprediger auftrat und seine Mutter verstieß, als sie sich weigerte einer Abtreibung zuzustimmen.


Jack London arbeitete bereits als Kind, unter anderem als Zeitungsjunge und Hilfsarbeiter, da seine Familie arm und auf des zusätzliche Einkommen angewiesen war. London begann bereits früh, Romane zu lesen. Obwohl er dabei und bei seiner Schulausbildung von der damaligen Bibliothekarin San Franciscos gefördert wurde, verließ London bereits mit 15 Jahren die Schule. Zunächst arbeitete er in einer Konservenfabrik, kaufte dann aber mit von seiner Amme geliehenem Geld ein Boot und begann, illegal Austern zu ernten und zu verkaufen.


Jack London führte ein abenteuerliches Leben. Nach seiner Zeit als Austernpirat arbeitete er unter anderem für die Fischereipolizei der Bay Area und auf einem Robbenfänger. Er war als Landstreicher unterwegs und musste dafür eine Haftstrafe verbüßen, außerdem war er als „Hobo“ unterwegs, eine amerikanische Form des Wanderarbeiters. Im Jahr 1896 bestand London nach nur dreimonatiger Vorbereitung die als äußerst anspruchsvoll geltende Aufnahmeprüfung der Universität von Berkeley, wo er zwei Jahre lang studierte. Er schloss das Studium nicht ab, da er eine Arbeit annehmen musste, um seine Familie zu ernähren.


London nahm sich etwa Mitte der 1890er-Jahre vor, Schriftsteller zu werden und begann, oft inspiriert von eigenen Erlebnissen, zu schreiben. 1897 gehörte er zu den ersten Goldsuchern, die zu den Funden am Klondyke River aufbrachen, um dort ihr Glück zu machen. Eine Skorbut-Erkrankung zwang ihn jedoch, sein Vorhaben wieder aufzugeben. Beeinflusst durch den Erlebnisse im Yukon Territory entstand die Kurzgeschichte „The White Silence“. Den Durchbruch als Schriftsteller erlebte London mit der Erzählung „An Odyssey of the North“, die im Jahr 1900 erschien, und ihm eine Reihe weiterer Aufträge einbrachte.


In den folgenden Jahren schrieb London nicht nur insgesamt 27 Romane, sondern auch zahlreiche Essays, oft politischen Inhalts, Dramen, Reportagen und Kurzgeschichten. In seiner Zeit als Schriftsteller unternahm Jack London zahlreiche längere Reisen, die Erlebnisse, die er auf diesen Unternehmungen machte, wurden häufig in seinen Werken verarbeitet. Zu seinen bekanntesten Erzählungen gehören „Ruf der Wildnis“ (The Call of the Wild, 1903), „Der Seewolf“ (The Sea-Wolf. 1904), „Wolfsblut“, (White Fang, 1906) und „Lockruf des Goldes“ (Burning Daylight, 1910).


Mitte der 1890er-Jahre kam London mit dem Werk Charles Darwins sowie mit den Schriften des englischen Soziologen Herbert Spencer in Kontakt. Er war ein Anhänger von Darwins Gedanken zur natürlichen Selektion. London stand zudem mit dem Deutschen Ernst Haeckel in Schriftkontakt, der als Begründer der Idee des Sozialdarwinismus gilt, der bestimmte Aspekte von Darwins Lehren auf die Entwicklungen in menschlichen Gesellschaften überträgt.


Ab 1915 verbrachte London längere Zeit mit seiner Frau Charmian auf Hawaii. Das Seeklima scheint ihm, trotz aller Widrigkeiten, gut getan zu haben. Hier entstanden nach eher mittelmäßigen Arbeiten nämlich wieder eine Reihe von Kurzgeschichten, die Kenner heute zu den besten Jack Londons zählen. Nach seiner Rückkehr nach Kalifornien trat er aus der Socialist Party aus. In seinem letzten Lebensjahr beschäftigte sich London mit Carl Gustav Jungs Werk („Über die Psychologie des Unbewussten“), das einen tiefen Eindruck bei ihm hinterließ.


Jack London starb am 22. November 1916 auf seiner Farm in Glen Ellen, Kalifornien. In seinem Buch „König Alkohol“, das ebenfalls in der Reihe der ofd edition erschienen ist, schildert er depressive Episoden seines Lebens, so dass vorübergehend Spekulationen aufkamen, London habe seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Belege dafür existieren nicht.


„... Berti schauderte ...“



... Bertie schauderte und fragte nach Köpfen. Ja, Sumasai hatte verschiedene an Land versteckt, in guter Verfassung, an der Sonne getrocknet und geräuchert. Einer hatte dem Kapitän eines Schoners gehört. Er hatte einen langen Bart. Für zwei Pfund wollte er ihn verkaufen ...“





Was Sie über diese Geschichten wissen sollten


Nachdem Jack London Anfang des 20.Jahrhunderts durch seine schriftstellerischen und journalistischen Arbeiten innerhalb kurzer Zeit sehr viel Geld verdient hatte, wollte er sich einen Traum erfüllen und zusammen mit seiner Frau Charmian per Segelboot eine mehrjährige Weltreise unternehmen. Dazu gab er den Bau einer 14-Meter-Yacht in Auftrag. Die „Snark“ war 1907 nach vielen Verzögerungen und horrenden Ausgaben zwar noch nicht mängelfrei, aber so weit fertiggestellt, dass London beschloss, die Reise nun antreten zu können.


Anstatt der beabsichtigten sieben währte die Fahrt allerdings lediglich etwas mehr als zwei Jahre. London und die Mitglieder seiner Crew wurden immer wieder von verschiedenen Krankheiten heimgesucht. Schließlich musste London wegen einer rätselhaften Erkrankung fünf Wochen lang in einem Krankenhaus in Sydney behandelt werden. Danach kehrten er und seine Frau nach San Francisco zurück.


London besuchte unter anderem die Hawaii- und Marquesas-Inseln, letztere kannte er aus der Lektüre des Werks von Herman Melville („Moby Dick“). Außerdem steuerte er Tahiti, Bora Bora und schließlich auch Samoa an, wo auf der Insel Apia Robert Louis Stevenson seine letzten Lebensjahre verbracht hatte und auch begraben ist. Weitere Stationen waren die Manua- und die Salomon-Inseln. Jack London war zu dieser Zeit längst eine berühmte Persönlichkeit und genoss auf den meisten Stationen seiner Reise Prominentenstatus.


Die Erlebnisse, die er auf seiner Südseereise machte, hinterließen bei dem Schriftsteller einen tiefen Eindruck. Sie schlugen sich nicht nur in der 1911 erschienenen Reisebeschreibung „The Cruise of the Snark“ nieder, sondern auch in Romanen und Kurzgeschichten, die im Pazifikraum spielen und die in den folgenden Jahren erschienen. Zentrales Thema sind dabei häufig Konflikte zwischen weißen und schwarzen Menschen.


Die Erzählung „Auf den Salomoninseln“ etwa handelt von einem tief verwurzelten Konflikt zwischen Kulturen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Dabei spielt London mit der zu seiner Zeit noch lebendigen Legende von blutrünstigen Menschenfressern und Kopfjägern, bei denen vor allem Trophäen von weißhäutigen Männern hoch im Kurs stehen.


Auch die Geschichte „Ein mutiger Mann“ handelt von wilden Schwarzen und enthält zugleich Hinweise auf Londons Atheismus, nicht ohne beißend sarkastischen Spott und einen gewissen, düsteren Humor. So findet der Held dieser Geschichte ein unrühmliches Ende im Bratofen der Eingeborenen. Seine Intelligenz, der große Mut und seine moralische Überlegenheit nützen ihm letztlich nichts gegen die körperlich stärkere Gegenseite.


In „Der Ungläubige“ geht es um eine ungewöhnlich tiefe Freundschaft, die sich während eines Unglücks anbahnt und mit einem solchen endet. Dabei kehrt London ein gängiges Klischee radikal um: Letztlich erweisen sich Kameradschaft, moralische Werte und Treue eines Ungläubigen als vielfach wertvoller und tiefer als der christliche Moralismus.


Diese drei ausgewählten Südseegeschichten Jack Londons finden sich in diesem Band sowohl in der englischen Originalfassung als auch in einer erheblich verbesserten deutschen Übersetzung. Wie bei allen Werken der ofd edition wurden die Texte sorgfältig editiert und der aktuellen Rechtschreibung angepasst – die bessere Lesbarkeit steigert den Genuss bei der Lektüre erheblich.


Der Ungläubige



Das erste Mal traf ich ihn in einem Orkan, und obgleich wir den Orkan auf demselben Schoner erlebten, bemerkte ich ihn erst, als das Schiff unter unseren Füßen zertrümmert war. Zweifellos hatte ich ihn mit der übrigen Kanakenbesatzung an Bord gesehen, aber seine Existenz war mir nicht zum Bewusstsein gekommen, denn die ‚Petite Jeanne‘ war stark überfüllt. Außer ihren acht oder zehn Kanakenmatrosen, dem weißen Kapitän, Steuermann und Frachtleiter und ihren sechs Kajütenpassagieren fuhr sie von Rangiroa mit ungefähr fünfundachtzig Deckpassagieren ab – Paumotern und Tahitianern, Männern, Frauen und Kindern, jeder mit einer Kiste, der Schlafmatten, Bettdecken und Kleiderbündel nicht zu gedenken.


Die Zeit der Perlenfischerei auf Paumotu war vorüber, und alles kehrte nach Tahiti zurück. Wir sechs Kajütpassagiere waren Perlenhändler. Zwei davon waren Amerikaner, einer war Ah Choon (der weißeste Chinese, den ich je gesehen habe), einer war Deutscher, einer polnischer Jude, und ich machte das halbe Dutzend voll. Der Fang war vom Glück begünstigt gewesen. Nicht einer von uns hatte Grund zu klagen, ebenso wenig einer von den fünfundachtzig Deckpassagieren. Alles war gut gegangen, und alle konnten einer ruhigen, angenehmen Zeit in Papeete entgegensehen. Natürlich war die ‚Petite Jeanne‘ überladen. Nur siebzig Tonnen groß, hätte sie auch nicht ein Zehntel der Menge, die sie an Bord führte, aufnehmen dürfen. Unter ihren Luken war sie vollgepfropft bis an den Rand mit Perlmutter und Kopra. Selbst der Gepäckraum war damit vollgepackt. Es war ein Wunder, dass die Matrosen überhaupt arbeiten konnten. Auf Deck konnte man sich kaum bewegen. Sie mussten von vorn nach achtern die Reling entlang kriechen. Nachts traten sie auf die Schläfer, die das Deck wie ein Teppich bedeckten; sie lagen in zwei Schichten übereinander. Und dazu kamen noch Schweine und Hühner und Säcke mit Jams, während jede erdenkliche Stelle mit Girlanden von Kokosnüssen und Bananenbündeln bekränzt war. Auf beiden Seiten, zwischen Fock- und Großwant, hatte man Bardunen ausgespannt, gerade so hoch, dass der Vormastbaum ausschwingen konnte, und an jeder dieser Bardunen hingen mindestens fünfzig Bananenbündel.


Die Überfahrt versprach nicht gerade angenehm zu werden, selbst wenn wir sie in den zwei oder drei Tagen machten, die man bei frischem Südostpassat brauchte. Aber er wehte nicht frisch. Nach den ersten fünf Stunden legte er sich mit einem Dutzend fächelnden Atemzügen. Die Stille währte die ganze Nacht und den folgenden Tag. Es war eine dieser schimmernden glasklaren Stillen, bei denen der Gedanke allein, die Augen zu öffnen und sie zu sehen, schon Kopfschmerzen verursacht. Am zweiten Tag starb ein Mann – ein Ostinsulaner, einer der besten Lagunentaucher des Jahres – an Pocken, obgleich es unerklärlich war, wie Pocken an Bord kommen konnten, da an Land, als wir Rangiroa verließen, kein Fall bekannt war. Aber es stimmte, es waren Pocken, ein Mann tot und drei andere angesteckt. Es war nichts zu machen. Wir konnten die Kranken weder isolieren noch für sie sorgen. Wir waren zusammengestaut wie die Sardinen. Man konnte nichts tun als sterben und verfaulen – das heißt nach der Nacht, die dem ersten Todesfall folgte. In dieser Nacht verschwanden der Steuermann, der polnische Jude und vier eingeborene Taucher mit dem großen Walboot. Man hörte nie wieder etwas von ihnen. Am Morgen ließ der Kapitän sofort die übrigen Boote anbohren, und da saßen wir nun.


An diesem Tag gab es zwei Todesfälle, am nächsten Tag drei; dann sprang es auf acht. Es war ein merkwürdiger Anblick, wie wir uns dazu verhielten. Die Eingeborenen verfielen in einen Zustand dumpfen, schlaffen Entsetzens. Der Kapitän – er hieß Oudouse und war Franzose – wurde sehr nervös und redete viel. Er bekam geradezu nervöse Zuckungen. Er war ein starker, fleischiger Mann, der mindestens zweihundert Pfund wog, und er wurde bald das getreue Bild eines zitternden geleeartigen Fettberges. Der Deutsche, die beiden Amerikaner und ich kauften allen schottischen Whisky an Bord auf und waren andauernd betrunken. Die Theorie war prachtvoll: Wenn wir uns beständig unter Alkohol hielten, so musste jeder Pockenkeim, der mit uns in Berührung kam, sofort zu Schlacke verbrannt werden. Und die Theorie wirkte, obgleich ich gestehen muss, dass weder Kapitän Oudouse noch Ah Choon von der Krankheit ergriffen wurden. Der Franzose trank überhaupt nicht, während sich Ah Choon auf ein Glas täglich beschränkte. Es war eine angenehme Zeit. Die Sonne näherte sich der nördlichen Deklination und stand uns direkt zu Häupten. Es gab keinen Wind, außer häufigen Böen, die mit Ungestüm fünf Minuten bis eine halbe Stunde wehten und uns mit Regen überschütteten. Nach jeder Bö kam die schreckliche Sonne wieder und zog Dampfwolken aus dem durchnässten Deck. Der Dampf war nicht schön. Es war der Dampf des Todes, mit Millionen und aber Millionen von Keimen gesättigt. Wenn wir ihn von den Toten und Sterbenden aufsteigen sahen, tranken wir immer noch einen und meistens noch zwei oder drei besonders steif gemischte dazu. Auch machten wir es uns zur Regel, ein Extraglas zu nehmen, sooft die Toten den uns umschwärmenden Haien überlassen wurden.


So lebten wir eine Woche, und dann ging uns der Whisky aus. Es war gut so, denn sonst wäre ich heute nicht mehr am Leben. Um das, was jetzt folgte, zu überstehen, musste man nüchtern sein, wie man zugeben wird, wenn ich die kleine Tatsache erwähne, dass nur zwei Menschen es tatsächlich überstanden. Der andere war der Heide – so hörte ich wenigstens Kapitän Oudouse ihn nennen, als ich zuerst von seiner Existenz Kenntnis erhielt.


Aber darauf komme ich später zurück. Am Ende der Woche, als der Whisky ausgegangen und die Perlenhändler nüchtern geworden waren, warf ich zufällig einen Blick auf das Barometer, das in der gemeinsamen Kajüte hing. Sein normaler Stand in Paumotu ist 29,90, und es schwankt gewöhnlich zwischen 29,85 und 30,00 oder sogar 30,05; aber was man jetzt sah: Dass es auf 29,62 gefallen war, genügte, um den betrunkensten Perlenhändler, der je Pockenbazillen durch schottischen Whisky eingeäschert hat, zu ernüchtern.


Ich lenkte Kapitän Oudouses Aufmerksamkeit darauf, aber nur, um zu erfahren, dass er das Fallen bereits seit mehreren Stunden beobachtete. Es war wenig dabei zu tun, aber das wenige erledigte er in Anbetracht der Umstände sehr gut. Er zog die leichten Segel ein, reffte die anderen, ließ Rettungsleinen ausspannen und wartete auf den Wind. Einen Fehler beging er erst, als der Wind da war. Er legte Backbord um, was südlich des Äquators richtig gewesen wäre, wenn – und hier lag der Hase im Pfeffer – wenn wir uns nicht direkt in der Bahn des Orkans befunden hätten. Wir waren direkt darin. Ich konnte es am ständigen Wachsen des Windes und am ständigen Fallen des Barometers sehen. Ich wollte, dass der Kapitän wendete, mit dem Winde lief, bis das Barometer nicht mehr fiel, und dann beidrehte. Wir stritten uns darüber, bis er ganz rasend wurde; aber er wollte nicht nachgeben. Das Schlimmste war, dass ich die anderen Perlenhändler nicht auf meine Seite bringen konnte. Wer war ich denn, dass ich mehr von der See und ihren Tücken verstehen wollte als ein erfahrener Kapitän? Das war, wie ich wohl wusste, ihre Meinung.


Natürlich erhob sich mit dem Steigen des Sturmes ein entsetzlicher Seegang, und nie vergesse ich die drei ersten Seen, die die ‚Petite Jeanne‘ übernahm. Sie war abgefallen, wie Schiffe es manchmal tun, wenn sie beigedreht haben, und die erste See fegte eine glatte Bresche übers Deck. Die Rettungsleinen halfen nur den Starken und Gesunden und nützten selbst denen nur wenig, denn Frauen und Kinder, Bananen und Kokosnüsse, Schweine und Reisekisten, Kranke und Sterbende wurden als eine kompakte, schreiende und kreischende Masse fortgespült.


Die zweite See füllte das Deck der ‚Petite Jeanne‘ bis an die Reling, und als ihr Achtersteven sank und ihr Bug sich zum Himmel hob, rutschte der ganze elende Wirrwarr von lebenden und toten Gegenständen nach achtern. Es war ein Malstrom von Menschen. Kopf oder Füße voran, seitwärts, sich überschlagend, windend, drehend, krümmend, zum Knäuel geballt, kamen sie. Hin und wieder fasste einer einen Pfosten oder ein Tau; aber das Gewicht der ihm folgenden Körper riss ihn wieder los. Einen Mann sah ich, der mit dem Kopf gegen die Steuerbordreling geschleudert wurde. Sein Schädel zerschellte wie eine Eierschale. Ich sah, was kommen musste, sprang auf das Kajütendach und von dort weiter in das Großsegel. Ah Choon und einer der Amerikaner versuchten, mir zu folgen, aber ich war ihnen einen Sprung voran. Der Amerikaner wurde wie ein Stückchen Spreu über den Stern gespült. Ah Choon fasste eine Speiche vom Steuerrad und klammerte sich daran fest. Aber eine stämmige Baratonga-Vahine (Frau) – sie wog mindestens zweihundertfünfzig Pfund – tauchte hinter ihm auf und schlug ihren Arm um seinen Nacken. Er packte den Kanaken-Rudergänger mit dem anderen Arm, und gerade in diesem Augenblick krengte der Schoner nach Steuerbord. Der Strom von Körpern und Wasser, der sich durch den Backbordgang zwischen Kajüte und Reling ergoss, machte jäh kehrt und wälzte sich nach Steuerbord. Weg waren sie – Vahine, Ah Choon und der Rudergänger –, und ich schwöre darauf, dass Ah Choon mich mit philosophischer Gelassenheit angrinste, ehe er über die Reling ging und versank.


Die dritte See – die größte von den dreien – richtete nicht so viel Schaden an. Als sie kam, war fast alles in der Takelage. Auf Deck rollten vielleicht ein Dutzend keuchende, halbertrunkene und halbbetäubte Wesen herum. Einige versuchten, sich kriechend in Sicherheit zu bringen. Sie gingen über Bord, ebenso die Trümmer der beiden noch übrigen Boote. Die anderen Perlenhändler und ich selbst brachten etwa fünfzehn Frauen und Kinder in die Kajüte und schlossen die Luken. Letzten Endes half es den Ärmsten nicht viel.


Wind? Nach allem, was ich je erlebt hatte, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass es so wehen könnte, wie es jetzt tat. Es war unbeschreiblich. Wie kann man ein Chaos beschreiben? So war es mit dem Wind. Er zerrte uns die Kleider vom Körper. Wenn ich zerren sage, so meine ich es buchstäblich. Ich verlange nicht, dass man mir glaubt. Ich erzähle nur etwas, was ich gesehen und gefühlt habe. Es gibt Zeiten, da ich es selbst nicht glaube. Ich habe es überstanden, und das genügt. Man konnte dem Wind nicht lebend trotzen. Es war unerhört, und das Unerhörteste war, dass er immer noch wuchs und wuchs. Stellt Euch ungezählte Millionen, Billionen Tonnen Sand vor, denkt Euch, dass dieser Sand mit einer Schnelligkeit von neunzig, hundert, hundertzwanzig oder sonst einer beliebigen Zahl von Meilen die Stunde vorwärts rast. Denkt Euch ferner, dass dieser Sand unsichtbar und unfassbar ist und doch das ganze Gewicht und die Dichte des Sandes besitzt. Stellt Euch das vor und Ihr habt eine schwache Ahnung, wie dieser Wind war. Vielleicht ist Sand nicht der rechte Vergleich. Denkt ihn Euch wie Schlamm, unsichtbar, unfassbar, und doch schwer wie Schlamm. Nein, es war noch schlimmer. Denkt, dass jedes Molekül eine ganze Schlammbank für sich ist. Dann versucht, Euch den gesamten Druck dieser Schlammbänke vorzustellen. Nein, es übersteigt meine Kraft. Die Sprache mag genügen, um den gewöhnlichen Lebensbedingungen gerecht zu werden, aber sie kann unmöglich schildern, was bei einem so ungeheuren Orkan vorgeht. Am besten wäre ich bei meiner ursprünglichen Absicht geblieben, eine Beschreibung gar nicht zu versuchen.