Band 8
Alexander Knörr
Über den Wolken von
Geradpoor
Twilight-Line Medien GbR
Obertor 4
D – 98634 Wasungen
www.twilightline.com
www.chroniken-von-tilmun.de
1. Auflage, Oktober 2017
ISBN 978-3-944315-60-7
eBook-Edition
© 2017 Twilight-Line Medien
Alle Rechte vorbehalten.
Der Himmel schimmerte in einem Farbspektrum, das von unten nach oben in einem zarten Rosa begann, in einen Weißton fiel und dann in allen denkbaren Farbnuancen von Orange endete. Die Farben waren wie feine Schichten an den Himmel gebracht worden und thronten auf einem weißen Wolkenmeer, das wie ein riesiges Kissen aus feinster Watte aussah. Ein gigantischer Anblick voller Wärme und Geborgenheit.
Als der Antillarus Gleiter über diesen Teppich - der aussah wie aus Zuckerwatte – flog, glitt unter ihm auch sein Schatten über das unschuldig wirkende Weiß. Das Schattenspiel folgte dem Gleiter über natürliche Wolkenhügel und umspielte das Weiß mit einem satten Schwarz, nur um es Sekunden später wieder seiner Reinheit preiszugeben.
Der Antillarus zog eine langgestreckte Kurve in diesem endlos wirkenden Farbenspiel, das auch die Insassen des Gleiters faszinierte. Alle klebten sie an den Bildschirmen, die ein Abbild der Wolkenlandschaft in das Innere des Gleiters projizierten.
„Schade das wir keine Fenster haben. Das hier sieht live wahrscheinlich noch viel schöner aus!“ räumte Armin verträumt ein und unterbrach die andächtige Ruhe, die sich in dem kleinen Raumfahrzeug ausbreitete.
Mrmpfdat, der Pilot, wies dem Gleiter mit dem Steuerknüppel, der aussah als entstammte er einem veralteten Atari Spiel, leichthändig den Weg. Auf den Bildschirmen schob sich nun von links etwas in das Sichtfeld der Crew, das überhaupt nicht in diese Idylle passte, doch auch etwas Majestätisches innehatte. Zuerst erkannte man nur eine schemenhafte Form aus runden Bauwerken und Türmen. Doch die Konturen wurden schnell klarer, als der Antillarus sich entsprechend näherte.
Wie auf einer unsichtbaren Plattform thronend befand sich hier eine riesige Stadt, die aussah wie eine Ansammlung von überdimensionierten weißen Luftkissen, aus denen immer wieder hohe Türme und Kuppeln aufragten. Ihre Farbe war auch weiß, jedoch in einen sehr hellen, blauen Schimmer getaucht. Ihr Anblick war ebenso atemberaubend wie der der Umgebung. Die Architekten hatten versucht dem Bauwerk den Anschein zu geben, es würde unmittelbar in die Wolkenlandschaft gehören. Doch war dies unverkennbar nicht so. Die Stadt in den Wolken fügte sich in diese surreale Welt sicher gut ein, doch sie war in jeder Hinsicht ein Störpunkt. Auch wenn es ein wunderschöner war.
„Das ist also Geradinsula“ gab Julian in einem ehrfürchtigen Kommentar zu. Nach einer kleinen, jedoch unbeabsichtigten dramaturgischen Pause wiederholte Julian noch einmal, was er – und auch die anderen Terra 1 Mitglieder – im Briefing in Hamburg vor ein paar Stunden erfahren hatten. „Geradinsula ist die Hauptstadt des Gasplaneten Geradpoor, dem vierten Planeten im Sonnensystem Harkup IV. Der Gasriese hat das hundertsiebenundvierzigfache Volumen der Erde und ein Tag auf Geradpoor dauert 37 Erdentage. Wir werden also lange nicht zum Schlafen kommen…“ grinste er von seinem Platz neben Mrmpfdat in die Runde. Doch die anderen Besatzungsmitglieder ließen keine Reaktion auf seinen kleinen Witz erahnen, blickten nur interessiert auf die Bildschirme.
„OK“, nahm er den Monolog wieder auf, „Geradpoor hat einen sehr merkwürdigen Aufbau. Der Kern ist aus flüssigem Purit und hat geschätzte 100 Milliarden Liter Volumen. Darum gibt es eine harte Schicht aus einem Gestein, das die Pelasger Durtheranium nennen. Dieses Durtheranium ist so hart und strapazierfähig, dass fast nichts diese Schutzschicht durchdringen kann. Auch nicht die Lavamassen, die über dem Kern aus Durtheranium und flüssigem Purit in 20 km Dicke umherwabern. Die Lava ist aus flüssigem Gestein, wie auch bei uns auf der Erde. Etwa 2000 Grad heiß und wir können froh sein, dass sie dem Durtheranium so viel anhaben kann wie eine Stubenfliege einem PKW. Ansonsten wäre Geradpoor kein Planet, sondern eine Supernova geworden.“
„Das hätte einen ganz schönen Bums gegeben!“ feixte Armin und machte mit seinen Armen eine Bewegung, die eine Explosion andeuten sollte.
„Ein Bums ist überhaupt kein Ausdruck dafür, was passieren würde, wenn eines Tages die Lava den Kern aus flüssigem Purit erreichen würde“, warf Mrmpfdat ein. „Das ganze Sonnensystem mit seinen 29 Planeten – wovon drei bewohnt sind – wäre unverzüglich ausgelöscht.“
„Da hat Mrmpfdat wohl recht“ folgerte Julian und widmete sich dann wieder der Beschreibung des Planeten und seiner Besonderheiten. „Geradpoor hat darüber hinaus eine unheimlich dicke Schicht aus Gas.“
„Deswegen wohl auch Gasplanet!“ spottete Maurizio, der quirlige Malteser, der sich schon auffällig lange ruhig verhielt.
„Ja, genau deswegen,“ zwinkerte ihm Kapturi zu.
„Diese Gasschicht ist hoch toxisch und für fast jede Lebensform absolut tödlich. Das Gas kann nicht gebunden werden, kann also keinesfalls in irgendeiner Weise unschädlich gemacht werden. Doch es ist stabil und könnte auch transportiert werden. Was Geradpoor einen sehr gefährlichen Status einräumt. Der ganze Planet ist eigentlich eine riesige Giftgasfabrik, dessen Gas – in den falschen Händen – verheerende Auswirkungen auf viele Völker der Galaxis haben könnte. Hier leben nur drei Lebensformen, die gegen die Gase resistent sind. Mikrobakterien, die sich zu unglaublich großen Schwärmen zusammenrotten und damit sogar feste Formen annehmen können – die sogenannten Luvras – und die Luvreckos, eine Art fliegender Wal, die in dem Gasgemisch umher schwimmen und sich von den Luvras ernähren. Genauso wie auch die Wale auf der Erde sich von Plankton ernähren. Die dritte Spezies, die gegen das Gas immun ist, sind die Adjunis. Die Adjunis sind die Erbauer dieser Städte, von der wir die Hauptstadt nun vor uns sehen. Als wäre der Planet hier nicht kurios genug, sind die Adjunis eine Art Adlermensch.“
Mrmpfdat sah Julian für diesen Ausdruck argwöhnisch an, konzentrierte sich dann aber gleich wieder auf den Anflug zur Stadt.
„Das hört sich zwar nach Flash Gordon an, aber es ist wirklich so. Die Adjunis haben riesige Flügel, die sie an ihren Körper klappen können. Sie haben zwar keine Federn, aber sie können trotzdem mit diesen Flügeln durch das Gas gleiten, als wäre es ihr natürliches Zuhause.“
„Wer ist Flash Gordon?“ fragte Kapturi neugierig.
„Das ist eine Figur aus einem alten Film und einer Fernsehserie…“ fing Maurizio an der Nukarib zu erklären.
„Danke, Maurizio, aber mehr dazu später, ok?“ ermahnte Armin den jungen Malteser, der Kapturi dann ein „Pssst“ zuflüsterte und seinen linken Zeigefinger auf seine Lippen legte.
„Die Adjunis“, fuhr Julian fort, „können sich zwar als Erwachsene in dem Gas bewegen, aber sie stammen nicht von hier, sondern sind sozusagen hierher umgesiedelt worden. Wenn sie jung sind, ist das Gas für sie ebenso giftig wie für die meisten anderen Lebewesen. Doch nach und nach werden sie an das Gas mit hartem Training gewöhnt und nach 23 Jahren ihrer Zeitrechnung haben sich ihre Lungen darauf eingestellt, dass sie sowohl das Gas als auch ein CO2-Sauerstoffgemisch, das dem der Erde sehr ähnlich ist, atmen können. Doch bevor sie ihr 23. Lebensjahr erreicht haben, können sie nicht unter die Wolkendecke tauchen. Dann sterben sie fast augenblicklich.“
„23 Jahre hier, wenn ein Tag schon 37 Erdenjahre lang ist, sind das ja…“ Maurizio grübelte, was man ihm sichtlich anmerkte.
„972 Erdenjahre“ ergänzte Mrmpfdat mit einem schelmischen Grinsen, weil er Maurizio wahrscheinlich um Minuten zuvorgekommen war.
„Wow! Das ist ja der Wahnsinn“ schoss es aus Maurizio heraus und auch die anderen Crewmitglieder waren sichtlich beeindruckt. „Wie alt werden die Adjunis dann überhaupt?“ fragte er nach.
„Gerade mal 30 Geradpoor-Jahre werden sie alt“ antwortete Mrmpfdat auf die Frage. „Nachdem sie erwachsen sind, leben sie vergleichbar kurze Zeit.“
„Na ja, insgesamt sind über 1000 Erdenjahre schon recht viel“, kommentierte Julian.
„Irgendwie sind wir in allem zu kurz gekommen, fällt euch das auf?“ fragte Armin in die Runde. Die Pelasger und Nukarib werden steinalt, die Adjunis und viele andere Völker, die wir kennen gelernt haben, ebenso. 1000 Jahre sind da gar nix. Und wir? Nach 80 Jahren ist Schluss mit Lustig“, beschwerte sich der etwas schwergewichtige Armin.
„Bei dir noch etwas früher, wenn du nicht endlich abnimmst“ flachste Julian und zwinkerte seinem Freund zu.
„Ha, Ha, Ha…“ erwiderte der. „Wir sind nicht die Kinder der Götter, wir sind die Stiefkinder“ nörgelte der weiter und setzte eine beleidigte Miene auf.
„Die Erde und auch ihre Bewohner sind in ihrer Evolution noch nicht so weit, lieber Armin“ versuchte Mrmpfdat ihn zu beschwichtigen. „Aber ich muss auch sagen, wenn die Nukarib euch nicht genetisch verändert hätten, dann hättet ihr auch jetzt schon eine weitaus längere Lebenserwartung als heute.“
„Echt?“ Armin war nun sichtlich geschockt. „Wie alt könnten wir denn werden, wenn die nicht mit uns gespielt hätten?“
Mrmpfdat überlegte kurz, dann sagte er wie beiläufig: „500 Jahre wären sicherlich drin.“
„Wie viel? Ich könnte …“ Armin unterdrückte seinen aufkeimenden Wutanfall. Und Kapturi versuchte möglichst teilnahmslos zu schauen und blickte krampfhaft auf einen der Bildschirme. War sie ja eine der Nukarib, die schuld an all dem waren. Auch wenn sie selbst dazu nie etwas beigetragen hatte. Als einfache Soldatin und Pilotin war sie nie in irgendwelche strategischen Belange eingeweiht worden.
„Guck nicht so unschuldig!“ Armin hatte ihren Blick bemerkt und fauchte die Nukarib-Frau an.
„Armin, Armin, bitte beruhige dich. Niemand von den Anwesenden kann etwas dafür, ok?“ beschwichtigte Julian.
Mrmpfdat schaute auf verdächtige Art weg von Julian.
„Ist doch so, oder?“ richtete der seine Frage nun an den Pelasger.
„Na ja…“ stotterte der
„Was?“ fragte nun Julian eindringlich nach
„Na ja, ich war damals in einem Komitee, in dem es um die Neustrukturierung der menschlichen DNA ging und … na ja, sagen wir mal so, es stand letztendlich 19 zu 21 Stimmen, dass wir nicht in das menschliche Erbgut eingreifen und damit auch nicht die Beschränkungen des Alters der Menschen durch die Nukarib aufheben.“ Mrmpfdat versuchte zu lächeln und schaute verlegen.
„Hey, aber da kannte ich euch Jungs noch gar nicht!“ ergänzte er dann eilig.
„Ja klar kanntest du uns noch nicht, weil wir noch nicht am Leben waren!“ blaffte ihn Armin an. „Wir waren ja nur euer Spielzeug.“
Nun war Armin richtig beleidigt.
„Hey, Hey, Jungs. Kriegt euch wieder ein. Julian hat recht, keiner hier hat Schuld daran, was die Nukarib verbrochen haben. Und dass die Pelasger nach ihren Möglichkeiten nicht in die Geschicke nicht nur der Menschheit, sondern auch aller anderen Wesen eingreifen wollen, wissen wir nur zu genüge. Mrmpfdat hat nur so gestimmt, wie er das damals für richtig hielt.“ Kapturi versuchte mit diesen Worten die Stimmung wieder aufzuhellen.
„Euer vergleichsweise kurzer Lebenszyklus half euch aber auch euch schneller zu entwickeln“ schob Mrmpfdat ein. „Je öfter ein Generationenwechsel stattfindet, desto schneller erfolgt die biologische und spirituelle Entwicklung.“
„Wir erreichen jetzt die Stadt und befinden uns im Landeanflug“ beendete Mrmpfdat sichtlich erleichtert über den Zeitpunkt die Diskussion. Ihm waren viele seiner früheren Taten zu Zeiten, als er die Menschen noch nicht persönlich kannte, sondern nur mit ihnen als Forscher zu tun hatte, mittlerweile peinlich. Hatte er doch wirklich immer nur die Menschen als Tiere angesehen. Nie gemerkt, dass sie nicht nur vernunftbegabt, sondern auch liebenswerte Geschöpfe waren.
Mittlerweile waren sie wirklich der Stadt sehr nahe gekommen. Die Bildschirme zeigten nur noch Teile der Stadt – von der beeindruckenden Umgebung war nichts mehr zu sehen.
Mrmpfdat stellte Funkkontakt mit den Adjunis der Raumhafenkontrolle her und bat um Anweisung, wo sie denn landen konnten. Dabei sprachen sie die Sprache der Götter, was ja bekanntlich dem alten Deutsch sehr nahe kam. Kurzum, alle Anwesenden konnten den Ausführungen der Adjunis und des Pelasgers ohne Probleme folgen.
Kurze Zeit später flog Mrmpfdat wieder eine enge Kurve und steuerte eine Plattform an, auf der noch zwei weitere Raumfahrzeuge standen.
„Bevor wir da rausgehen – ihr habt gesagt, da gibt es giftiges Gas…“ fragte Maurizio verängstigt nach.
„Ja, aber doch nur unter der Wolkendecke. Oberhalb der Wolken ist die Luft ähnlich wie die auf der Erde. Nur ein wenig dünner. Es wird dir also schwerer fallen körperliche Aktivitäten auszuüben“ klärte Kapturi ihr Teammitglied auf.
„Na super, als wenn mir körperliche Aktivitäten nicht schon schwer genug fallen würden“, polterte Armin los.
„So viele körperliche Aktivitäten machst du ja nicht“ flachste Maurizio den dicken Deutschen an.
„Haltet die Klappe und macht euch für den Ausstieg bereit! Waffen bleiben natürlich hier – wir kommen in friedlicher Mission“ befahl Julian als Chef des Terra 1 Teams.
„Wir kommen in Frieden! Dieser Satz ist schon so manchem Volk zum Verhängnis geworden“, spottete Maurizio.
Augenblicklich zuckten die vielen verschiedenen Geschöpfe zusammen, als die Patrouille der Nukarib um die Ecke bog. Mit schweren Schritten und in ihrer unverkennbaren Rautenformation pflügten die Nukarib-Wachen durch die Menge, und wie Moses angeblich das Meer teilte, teilten sie die Menge, die sich vor ihnen auseinanderbog. Der Marktplatz war voll besetzt, überall standen Stände aus Holzstangen und Leinen, die im Wind wehten. Vergeblich suchte man moderne Zelte oder ähnliches. Hier sah es aus, wie man sich einen Markt auf der Erde in ärmlicheren Ländern vorstellte. Nur das Volk, das sich hier tummelte, war – meistens wenigstens – nicht menschlich. Eine Vielzahl an Rassen traf hier zusammen, um Handel zu treiben. War Eureka als bewohnbarer Planet noch recht jung und die Menge der möglichen Kundschaft theoretisch überschaubar, so hatten die Händler aus allen Teilen der Galaxis schnell den von den Nukarib in Terraforming erschaffenen Planeten als neuen Ort für Glücksritter auserkoren. Zwar waren hier nur die Nukarib-Truppen und die leitenden Angestellten der vielen Fabriken als Kunden vorhanden, doch eben auch die Siedler aus fremden Galaxien und von fernen Sternen kamen hier her, ließen sich nieder und führten Handel. In den wenigen Jahren, in denen Eureka nun bewohnt war, wuchs die Zahl derjenigen, die freiwillig hier lebten, enorm.
Natürlich wussten die Händler von den Menschen, die ebenso hier lebten und ein Dasein als Sklaven fristeten. Und auch ein paar wenige traf man ab und zu in den Gassen der Städte und auf dem Markt von Bravilmor. Doch diejenigen waren allesamt Verräter der eigenen Rasse, verkauften sich und ihre Informationen über etwaige Aufständler an die Nukarib und erreichten damit als Bezahlung mehr Freiheit, Geld und andere Vorzüge. Selten traute sich auch einmal ein Mitglied des Widerstandes in die Stadt. In dem Gewusel an außerirdischen Rassen fiel ein Mensch sehr schnell auf, was seine Anwesenheit äußerst gefährlich machte. Aber die Menschen, die als Vertraute der Nukarib frei rumliefen, als auch die wenigen Leute aus dem Widerstand, waren bei den Händlern gern gesehene Kunden. Sie waren leicht zu beeindrucken, kauften oft minderwertige Ware für viel Geld und hatten – zumindest die Widerständler – nicht die Zeit für lange Verhandlungen. All das wirkte sich positiv auf die Geschäfte der Händler aus.
Die Nukarib-Wachen pflügten sich also durch die Menge, die ihnen eilig auswich, bis sie auf einen Mann aufliefen, der sich nicht vom Fleck rührte. Abrupt blieb die Formation stehen und lief auch – nicht gewohnt, dass der Trupp aufgehalten wird – etwas aufeinander auf. Der Kommandeur der Truppe schaute verärgert und abfällig an dem „Ding“ von unten nach oben entlang und war sichtlich wütend über den unvorhergesehenen Stopp.
Die Füße des Unbekannten steckten in zerrissenen Sandalen, die große Hautstellen, die eine reptilienartige Struktur zeigten, freigaben. Der Körper war nicht sichtbar, da er in eine große, schwarze Kutte gewickelt war, die aussah, als hätte man ein riesiges Tuch um den Körper geschlungen. Gehalten wurde das Ganze durch einen dicken Strick, der sich dort befand, wo man die Taille vermuten würde. Ein Zipfel des Tuches umschloss den Kopf des Wesens wie eine Kapuze und man sah im Schatten dieser nur die schemenhaften Umrisse eines Gesichtes, das die gleiche Haut hatte wie auch die Füße, mit großen Warzen versehen, aus denen teilweise borstenartige Haare wuchsen, und in dem ein rotes Augenpaar aufblitzte.
„Was fällt dir ein?“ schrie der Kommandeur des Wachtrupps das Wesen an. „Mach sofort den Weg frei!“
Das Wesen hob leicht den Kopf, so dass der Kommandeur nun besser die rotleuchtenden Augen sehen konnte. Diese hatten eine tiefrote Farbe, und die Pupille war in einem unfassbar hellen Gelb gehalten, gesprenkelt mit kleinen schwarzen Punkten. Unter der Kapuze bewegte sich etwas und auf einmal lugten links und rechts vom Kopf des Wesens zwei Tentakel aus der Kapuze hervor, fassten diese und zogen sie zurück, so dass der Kopf zu sehen war.
Etwas erstaunt wich der Kommandeur etwas zurück, fasste sich aber schnell wieder und richtete seine Laserwaffe auf den Brustbereich des Wesens.
Von dem war nun der Kopf zu sehen. Der war ähnlich wie der Kopf eines Hammerhais auf der Erde, nur dass die Augen – ähnlich wie bei uns Menschen – in der Mitte saßen und die Stellen, die bei einem Hammerhai den Hammer bildeten, die Tentakel beherbergten. Diese Tentakel zogen sich jetzt wieder in die beiden Hornartigen Stellen links und rechts am Kopf zurück. Es sah aus, als wären diese Hörner ein direkter Teil des Kopfes, der ein wenig langgezogen war. Die Hautfarbe war ein helles grün mit einigen roten Punkten, die sich über das Gesicht zogen. Aus dem Mund des Wesens bleckten zwei lange Reißzähne, die sich an den Lippen entlang zum Kinn auf die Haut legten. Das Wesen hob jetzt ein wenig die Oberlippe und weitere dreieckige Zähne, die messerscharf aussahen, blitzten auf wie Diamanten. Ein lautes Knurren war zu hören.
„Scheiße, was bist du denn für einer?“ fluchte der Kommandant, der jetzt doch noch einen kleinen Schritt zurückmachte und auf seine Leute auflief, die sich nach wie vor hinter ihm rautenförmig aufbauten. Die hatten jetzt auch ihre Lasergewehre angehoben und zielten auf das Wesen, das ihnen den Weg versperrte.
„Halt, Halt!“ schrie nun jemand, der keuchend herbeilief. „Hören Sie auf, ihn zu bedrohen, das kann schrecklich enden!“ keuchte der Mann, der angerannt kam und sich zwischen das Wesen und die Nukarib stellte und mit seinen Händen beschwichtigend beide Seiten auseinanderhielt. Nicht dass dies etwas nützen würde, wenn beide Seiten wütend werden würden, doch war dies auch eine symbolische Geste der Besänftigung.
„Gehört das da zu Ihnen?“ fuhr der Kommandant nun den Mann an, der herbeigeeilt war und keuchend zwischen ihnen stand. Der war eindeutig humanoid, nur seine Haut war gelblich und seinen Kopf zierte eine von der Stirn bis in das Genick verlaufende Reihe an Hautwülsten, die eine rote Farbe hatten. Das Gesicht war ähnlich dem eines Menschen, doch hatte der Mann links und rechts der Nase deutliche Vertiefungen in den Hautlappen, ähnlich wie Kiemen eines Fisches. Er lächelte und dabei blitzten eine Reihe kleiner, runder Zähne auf.
„Eindeutig ein Pflanzenfresser“ schoss es dem Kommandanten durch den Kopf, der die Situation und sein Gegenüber in Gedanken analysierte.
„Nein, der gehört nicht zu mir“, schüttelte der Mann den Kopf, „aber ich kenne seine Rasse ganz gut. Die Tamnäer sind leicht reizbar und wenn sie wütend werden unberechenbar. Wir wollen hier ja kein Blutbad anzetteln, das uns allen schaden würde“, klärte der beschwichtigend auf.
„Aha“, erwiderte der Kommandant, „und ihr Galledonier kennt diese Dinger?“
„Na ja, sie leben auch auf Galledon, aber sind nicht ganz so zivilisiert wie wir und kommen daher auch nur selten runter vom Planeten“ lächelte der Galledonier.
„Ihr solltet dafür sorgen, dass sie in ihren Höhlen bleiben und sich dort nicht mehr heraus trauen…“ schlug der Kommandant vor und nickte abfällig in Richtung des Tamnäers, dessen Augen augenblicklich weiter wurden.
„Tabat hier ist einer der Häuptlinge der Tamnäer und hier auf Eureka, um sich mit Enkidu zu treffen. Ich denke ein Zwischenfall würde niemand begrüßen“, räumte der Galledonier ein.
„Wie ist dein Name, Galledonier?“ fragte nun der Nukarib-Soldat.
„Manteo, Herr. Ich bin ein Händler für kostbares Rudium-Salz und schon seit einem Jahr auf Eureka. Dass Tabat hier ist, weiß ich von unserem Nachrichtensender. Es ist reiner Zufall, dass ihr ihm begegnet seid. Er ist hier um Enkidu seine Dienste anzubieten.“
„Gut, dann nehmt das Ding und verschwindet hier. Wenn er unsere Sprache nicht versteht, erkläre ihm, dass er den Nukarib immer den Weg freimachen muss. Wir sind schließlich seine Götter!“
„Natürlich, Herr“ beugte sich der Galledonier und sprach dann zu Tabat in dessen Muttersprache. Der ließ einen grunzenden Laut los, der sich ein wenig mürrisch anhörte, doch dann lief er über die Straße und in eine Seitengasse. Manteo folgte ihm rückwärts laufend und immer noch in gebeugter Haltung.
Das Gelände rund um das Hauptgebäude der Anlage ist so groß wie eine kleine Siedlung. Zwischen malerischen Baumgruppen stehen weiße Mehrfamilienhäuser mit den für den Piemont typischen, roten Dachziegeln. Gepflasterte Wege führen zwischen den einzelnen Häusern und weiteren Anlagen, die aussehen wie Bürogebäude und Schulen, umher. Dazwischen immer wieder großzügig angelegte Grünflächen, Baumgruppen, Spielplätze und Bänke. Das Gelände ist von einer hohen Mauer umgeben und sieht aus wie ein riesiger Park. Das Hauptgebäude aber ist einem mittelalterlichen spanischen Palazzo nachempfunden. Das dreistöckige Gebäude überragt alle anderen, die maximal zwei Stockwerke haben. Die bodenlangen halbrunden Fenster sind gesäumt von fantasievoll gestalteten Säulen, die in die starken Wände eingelassen wurden. Die Steine sind naturbelassen und ohne Anstrich und oben auf dem dreistöckigen Gebäude, das im Herzen ein Atrium beherbergt, thront ein viereckiger, rund 15 Meter hoher Turm mit einem spitzen Dach. Oben auf diesem Turmdach ist eine uralte Figur angebracht. Diese wirkt wie ein Fremdkörper in dieser spanischen Idylle und zeigt einen asiatisch ausschauenden Drachen, dessen Hals lang gereckt und Schweif weit ausgestreckt sind und der mit seinen vier Pfoten auf einer großen Kugel thront, die unsere Erde symbolisiert. Könnte man näher heran und diese Kugel anschauen, würde man sogar die einzelnen Kontinente, eingeritzt in die Oberfläche, erkennen. Das ganze Gebilde ist aus einem silbern glänzenden Material, das leicht blau, grau und purpur schimmert.
Das gesamte Areal wird gut überwacht. Überall hängen Kameras und Bewegungsmelder. Darüber hinaus fahren Wachleute mit kleinen Quads unentwegt Streife und alle zweihundert Meter stehen zwei Wachposten an der etwa fünf Meter hohen Mauer, die von einem Stacheldraht gekrönt ist. Von außen sieht das Ganze aus wie eine Hochsicherheitsanlage. An dem zwanzig Meter breiten, schmiedeeisernen Eingangstor, in dem man auch zwei der Drachen, ähnlich wie dem oben auf dem Turm, wiederfindet, hängt an der linken Seite ein großes Messingschild mit der Aufschrift „Finca Damanhur“.
Vor dieses Tor fuhr ein großer, schwarzer Wagen mit Chauffeur. Er hielt an, und als die beiden Wachleute zu dem Fahrzeug kamen, versank die Scheibe der Fahrerseite leise in der Tür. Ein paar Worte wurden gewechselt, der Wachmann sprach mit seinem Sicherheitschef im Innern des Anwesens per Funk und kurze Zeit später schwang das Tor vor ihnen auf. Ein sechsrädriges Fahrzeug, das aussah wie ein schwarzer, überdimensionierter Golfcart fuhr vor und der Wachmann wies dem Fahrer der Limousine, diesem zu folgen. Den Abschluss der kleinen Kolonne bildeten ein weiteres dieser sechsrädrigen Gefährte und zwei Wachen auf Quads. Wie ein Staatspräsident wurden die Gäste zum Palazzo begleitet und fuhren in den großzügigen Innenhof des Gebäudes. Dort angekommen wurden sie schon von einem guten Dutzend Wachen mit Maschinengewehren und einem kleinen, grauhaarigen Mann, etwa 1,68 m groß und bekleidet mit einem weißen, chinesisch wirkenden Anzug, erwartet. Auf der Fahrt zum Palazzo hatten die Gäste Dutzende von Menschen in denselben Anzügen gesehen – alle schneeweiß und mit ebenso schneeweißen Sommerschuhen bekleidet.
Die Türen der Limousine sprangen auf und die Gäste stiegen aus dem Fahrzeug und gingen auf den älteren Mann zu.