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Heinrich Barth

REISEN UND ENTDECKUNGEN IN NORD- UND ZENTRALAFRIKA

20 000 Kilometer durch Afrika

Herausgegeben von Heinrich Schiffers

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INHALT

EINFÜHRUNG DES HERAUSGEBERS

KAPITEL 1 Heinrich Barths Lebensweg bis zur großen Reise

KAPITEL 2 Vorwort im Reisewerk des Dr. Heinrich Barth

KAPITEL 3 Einleitung Heinrich Barths im Reisewerk

KAPITEL 4 Fertig zum Aufbruch

Reisegebiet bis Mursuk

KAPITEL 5 Aufbruch nach Inner-Afrika

Abschied nehmen

Unterwegs mit dem Boot

Aufstieg aufs Gebirge

Oase Misda

Zeugen der Vergangenheit

KAPITEL 6 Spuren der Römerzeit

KAPITEL 7 Die »Rote Hammada«

Endlich, der Brunnen

KAPITEL 8 Mühsamer Marsch durch das »Sandmeer« des Fessan

Aufbruch 2 Uhr morgens

Djerma-Garama, ein uraltes Kulturzentrum?

KAPITEL 9 Aufenthalt in Mursuk

Vor dem Aufbruch ins Unbekannte

Mohammed Boro zürnt

Schwierige Verhandlungen

KAPITEL 10 Das Geheimnis der Felsbilder

Erste Felsbild-Analyse

KAPITEL 11 Heinrich Barth in Lebensgefahr

10 Uhr morgens: Höchste Ermattung

KAPITEL 12 Über die Grenzstation Rhat hinaus ins Unbekannte

Endlich – Aufbruch!

KAPITEL 13 Ein Überfall in der Wüstenöde bereitet sich vor

Alarm!

Die Taktik der »Wüstenräuber«

KAPITEL 14 Gefährlicher Eintritt in das Alpenland der Wüste

»Liefert die Christen aus!«

Großer Kriegsrat

KAPITEL 15 Grenze des Sudans

Der Sturm bricht los!

Briefe nach Europa

Wert eines Rasiermessers

»Als Christen schuldbefleckt« im Aïr-Bergland

Regenzeit …

KAPITEL 16 »Ausflug« nach Agades

Erster Tag in Agades

Die Stunde der Versuchung

Abschied von Agades

Jahreswende (1850/51)

An einem Brunnen, südlich des Aïr-Berglandes

Zu den Abbildungen

Neue Landschaft

Trennung der Reisenden im Sudan

Die Reisenden durchziehen nun ein mit Dörfern und Feldern besetztes Land

KAPITEL 17 Im »Land der Schwarzen«

Vom »afrikanischen London« zum Tschadsee

Geld zählen

Plackereien in Katsena

KAPITEL 18 Einzug ins »afrikanische London«

In Kano

Banu, ein schlechter Verwalter

Große Pläne

Straßenleben einer sudanesischen Handelsstadt

Eines der glücklichsten Länder der Welt

Aufbruch von Kano nach Kukaua (Kuka)

Briefe aus der Heimat und – zwei ganze Taler

Eine unheilvolle Nachricht

Heuschrecken und Turmfalken

An Richardsons Grab

KAPITEL 19 Ankunft in der Residenz Kuka

Vor der Stadtmauer

Der erstaunte Wesir

»Blutsauger« und »Nichtstuer«

Ein gewagter Entschluss

Schicksal an seidenem Faden

»Schwarze Politik« – Wie die Residenzstadt Kuka entstand

Enttäuschung am Tschadsee

KAPITEL 20 Forschung und Abenteuer im »Herzen Afrikas«

Entdeckungen in Adamaua

In den Wäldern der Marghi

Der »gute weiße Gott«

Unfreundliche Tage in Yola

KAPITEL 21 Erkundungsritt im Altreich Kanem

Rückblick in graue Urzeiten

Seltsame Irrfahrt eines Reitervolkes

Aufbruch zum Raubzug

KAPITEL 22 In den Sumpfwäldern von Tuburi

Aufmarsch zum Kriegszug

Bescheidene Weihnacht in wildem Land

Barbarischer Besuch

Ein Wasserkampf

KAPITEL 23 Gefangen in Bagirmi

In Fesseln

Einzug des Sultans in Massenja

Post aus Europa!

Gefährlicher Verdacht

KAPITEL 24 Tod des Freundes und Vereinsamung

Die letzten Tage Dr. Adolf Overweg’s

Forscher-Tod

KAPITEL 25 Aufbruch nach dem »Fernen Westen«

Vom Tschadsee zum Niger-Strom

Wieder ein Abschied

120 Kilometer ohne Halt!

Geschenke für den Fürsten

Die Fulbe

Einzug in unbekanntes Land

Ins Unbekannte!

KAPITEL 26 Am Ufer des Niger

Reise durch die Landschaft des Nigerbogens

Barth wird Scherif

Barth als Messias

Schurkenstreiche

KAPITEL 27 Timbuktu oder »Die raue Wirklichkeit«

Im Hafen von Timbuktu

Aufregungen in Timbuktu

Protestversammlungen wider den »Christenhund«

Gelehrte Zwiegespräche im Wüstenlager

Nachruf auf einen Lebenden

Der Roman eines Briefpakets

KAPITEL 28 Heinrich Barths Anmerkungen zur Politik in Timbuktu und in Europa

KAPITEL 29 Rückreise vom Niger zum Tschad

Abschied von einem Todgeweihten

KAPITEL 30 Nordwärts auf gefahrvollen Wüstenwegen

Der Aufbruch durch die Sahara zur Küste

Im offenen Wüstenmeer

Wieder im Fessan

Im Aufstandsgebiet

Einzug in Tripolis

KAPITEL 31 Rückblick

KAPITEL 32 Heinrich Barths Lebensweg nach der großen Reise

Wieder in Europa

Lebensabend eines großen Forschers

Schrifttum

ANHANG Afrikanisch-europäisches Gespräch vor 125 Jahren

Vorbemerkung

Die Gespräche

Afrikanisches »Selbstverständnis« und afrikanische »Nationen«

Band III, Reisewerk
10.–12. August 1851, Kukaua

Aus dem Nachlass

Vorbemerkung

Itinerare

EINFÜHRUNG DES HERAUSGEBERS

Man kann über einen Forscher wie Heinrich Barth in der traditionellen Art berichten, angefangen vom Lebenslauf über die Darstellung der Hauptreise bis zur Wertung der Ergebnisse. Dabei umhüllen die Persönlichkeit meist der Schleier und der Reiz ferner Vergangenheit. Leben und Taten werden zum Inhalt einer Geschichte, neben vielen anderen. Sie haben für solche Leser, die an Entdeckungen interessiert sind, oft den Reiz des Kuriosen.

Das betrifft die Person selbst, den »Helden«, aber auch die Umwelt und wie sie auf das Erscheinen des »Fremden« reagierte. In jedem Fall werden die Worte »Abenteuer« und »Unterhaltung« recht groß geschrieben.

Hier aber beginnt unsere Überlegung, ob so etwas heute noch genügt. Im 19. Jh. war der Erdteil Afrika für Europäer wie für Nordamerikaner, kurz für die »Weißen«, der »Dunkle Kontinent«. Es galt für die Forscher, sein »Herz«, die geheimnisvolle »Mitte« zu entdecken.

Dann wollte man den »armen Heidenkindern« den Segen des Christentums vermitteln und ebenso, wie schon zur Zeit der frühen Portugiesen des 16. Jahrhunderts, die allein gültige Lebensweise der »Weißen«. Man machte zugleich die Abschaffung des »abscheulichen Sklavenhandels« zum obersten humanitären Ziel. Für die »Schwarzen« wurde – aber keineswegs von allen »Weißen« – der Status des Unterentwickelten, des »Primitiven« vorausgesetzt.

Während Wissenschaftler die Erdteilerkenntnisse, die sie aus Abenteuer- und Forscher-Berichten und solchen der frommen Sendboten gewonnen hatten, in ihr System einpassten, wollte es das Schicksal, dass gleichzeitig der Imperialismus-Bazillus in den »herrenlosen Weiten« sich ungestüm ausbreitete. Er trübte alsbald das Bild harmlos-romantischen Fernwehs, missionarischen Sendungsbewusstseins und »wertfreien« Forscherbemühens.

Weit mehr als Amerika und Asien wurde im Europa des 19. Jahrhunderts gerade der »Dunkle Kontinent«, der Nachbarerdteil im Süden des »Landes der Weißen«, ein Interessen- und Sorge-Ziel.

Wenn heutzutage soviel von »Kolonialismus« und »Rassismus« gesprochen wird, bleibt meist unbeachtet, in welchem Ausmaß der Begriff des »Mutter-Kontinents« (Europa) für Europäer eine Realität war, und es unterschwellig noch ist.

Nur, was heute manchem »Weißen« schwerfällt zu begreifen, dieser »Tochter-Kontinent«, ist inzwischen aus dem durch die Europäer mithilfe ihres kolonialpolitischen Zerstückelungswerkes herbeigeführten Zwangsschlaf erwacht. Er entsinnt sich der Identität, so wie es Heinrich Barth in der Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte, und, was weitaus wichtiger ist, durch seine in seltener Vollständigkeit erhaltenen Berichte (Tagebücher, Korrespondenz, Hauptreisewerk) uns vermitteln konnte.

Das Glück wollte es, dass dieser Mann, den man ohne Übertreibung als einen der besten, wenn nicht als den größten Afrikawissenschaftler seiner Zeit bezeichnen darf, sowohl ein scharfer als auch unvoreingenommener Beobachter war.

Für ihn gab es zwar Räuber, die sein Leben bedrohten, aber keine »Wüstenräuber« im Sinne »primitiver Afrikaner«. Ja, man kann ihn, so man seine oft schwierig zu lesenden Ausführungen gründlich studiert, kurzweg als einen modernen Autor bezeichnen. Einen, der uns auffordert, die »weiße«, europazentrische, altmodische Erforschungsgeschichte zu revidieren, am besten ganz neu zu schreiben, ohne einen Stanley länger als »Helden« und ohne das oft auch heute noch reproduzierte Bild »Stanley trifft Livingstone« als Dokument afrikanischer Geschichte aufzubauen.

Das Merkwürdige dabei ist, dass dieser Heinrich Barth in seiner Heimat nie volkstümlich wurde, wie Gustav Nachtigal oder Gerhard Rohlfs. Sein Hauptwerk sei über die Maßen »trocken« und verliere sich in Einzelheiten, sagte man. Obendrein wurde er als »unwirscher, rechthaberischer Einzelgänger« bezeichnet und er stand infolgedessen nach der Großen Reise dem verdienten beruflichen Aufstieg selber im Wege.

Der frühe Tod mit 44 Jahren brachte rasches Vergessen, abgesehen bei Spezialisten, die aus seinen Werken schöpften.

Doch in den Ländern seiner Forschungen, von Tripolis bis zum Tschadsee und in den Nigerländern blieb er unter Afrikanern sagenhaft berühmt als Abd el Kerim (Diener des Allerhöchsten), der Islamkundige und Weitgewanderte. Die armen Leute stellten sich an den Weg, den er kam, und baten um Handauflegung und Segen. (Man vergleiche damit das Auftauchen heutiger Entwicklungsexperten ebendort!) Im Jahr 1965 noch wurde die Erinnerung an seinen 100. Todestag im Sahel-Sudan mit Gedenktafeln und Festakten begangen.

Das große Reisewerk Heinrich Barths ist in letzter Zeit häufiger zu recht hohen Preisen aus Antiquariaten und auch aus Archiven aufgetaucht, zurate gezogen von denen, die das »wahre Afrika« aus jener Zeit kennenlernen möchten, »als die Weißen kamen«. Es besteht aus fünf Bänden. Ihr nur auf Genauigkeit bedachter Gesamttitel mag in unserer Bestseller-Ära nicht gerade aufregend formuliert sein. Er lautet: »Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika in den Jahren 1849 bis 1855 von Dr. Heinrich Barth. Tagebuch seiner im Auftrag der Britischen Regierung unternommenen Reise«. Gotha, Justus Perthes 1857. Die Bände (genau 120 Jahre alt) umfassen insgesamt in der deutschen Ausgabe 3.564 Druckseiten. Barth schrieb zuerst, mit der Hand natürlich, den englischen Text, mit millimeterkleinen, aber gut leserlichen Buchstaben, und unmittelbar danach den deutschen. Das waren zusammen über 7.000 Manuskriptseiten. Er füllte sie, umgeben von seinen Tagebüchern, von denen 20 erhalten sind, geschrieben teils in Deutsch, in Englisch und in Arabisch.

Viele Hunderte von Personen seiner Gegenwart und aus den verschiedensten Jahrhunderten ziehen, sachlich vorgeführt, manchmal auch grimmig kommentiert, auf den über 3000 Seiten mit kalter Computer-Genauigkeit an uns vorüber.

Den Spuren all dieser Kameltreiber, Fürsten, Ackerbauern und stillen Gelehrten in der Großen Wüste und im Sudan nachzufahren, fällt dem Landrover-Touristen von heute, dank der Barth’schen Tableau-Präzision, nicht schwer. Neben der Genauigkeit des Berichteten, für die Heinrich Barth besonders gerühmt wird, erfahren wir ebenso Szenen, die uns einen mitfühlenden Menschen zeigen, wie er zuvor daheim nicht zur Geltung kam. So ist die Präsentation von Geschichte, Grundriss und Sozialstruktur der Stadt Kano in Nordnigeria, als des »afrikanischen London«, eingehüllt in ergreifende, lebenswarme Alltagsszenen. Sie werden dadurch, im Gegensatz zu manchen modernen Strukturanalysen, auch für den »gemeinen Mann« annehmbar.

Während Barth dieses Standardwerk schuf, hauste er in einer bescheidenen Wohnklause zu London.

Im Nachfolgenden bringen wir Auszüge, die durch überleitende Worte des Herausgebers verbunden sind. Die Original-Texte sind so ausgewählt, dass sie das vorher prätendierte »Moderne« erweisen, eine Tiefe der Erkenntnis, eine Kraft der Darstellung und der Deutung, die über das Zeitgebundene hinausreichen in die Gegenwart. Europäer und Afrikaner mögen daraus Einsichten gewinnen in das Wesen weiter Teile des Riesenkontinents, seiner Menschen und ihrer Verhältnisse.

Es entsteht vor uns unverfälscht die Zeit, als Afrika noch unabhängig war und afrikanische Entwicklungen ablaufen konnten. Störungen durch Einflüsse des »Mutterkontinents« zeichnen sich aber schon ab.

Das erneut unabhängige Afrika unserer Gegenwart steht, dank Heinrich Barth, wie vor einem klaren Spiegel seiner selbst. Dieser Spiegel wirft ein Bild jener Epoche zurück, als Afrika noch viele Jahre jünger war.

Zur näheren Betrachtung sind einige Überlegungen nützlich.

Mit den Augen der Afrikaner von damals gesehen, waren Europäer die bei ihnen auftauchten, seltsame Leute. Am meisten wunderte Oasenbewohner und Nomaden, dass die Fremden unentwegt nach allem fragten, Berge anzustaunen schienen und sich über Wasserlöcher beugten. »Seid ihr so arm, dass ihr in eurem kalten und dunklen Norden keine Berge wie die unsrigen habt?«, hieß es. Einige der Besucher schleppten Unmengen von Kisten mit. Die aus Metall dienten dem Wassertransport. Aber die Wüstenleute waren fest davon überzeugt, dass es sich um Gold handelte. Sie weckten naturgemäß »Erwerbsfreude«. Der reichen Holländerin Alexandrine Tinne brachten sie im Fessan (Südlibyen) den Tod (1869).

Außerdem waren die Fremden keine Moslems. Der Islam hüllte jede Regung und Bewegung und die gesamte Lebensweise ein. Allüberall im Raume der 12 Millionen Quadratkilometer des nördlichen Afrika sahen die »Nasrani«, die Christen, an jeder Wasserstelle, in jeder Stadt, in einsamen Gebirgstälern, die Männer den Tagesablauf zum Gebet unterbrechen. Die Nasrani standen dabei oder hielten sich in der Ferne und mussten empfinden, welche Mauer sie auch von den wohlwollendsten Reisebegleitern trennte.

Einige der europäischen Besucher tarnten sich als Moslems und sprachen sogar arabisch, was aber von den gewieften alten und weit herumgekommenen Händlern rasch erkannt wurde.

Von ihnen ging daher zuerst der Verdacht aus, es handele sich ganz einfach um Spione, zumal sie, wie es manchen der Einheimischen schien, in geradezu krankhafter Weise nach den Fragen immerzu schrieben. Wenn Kamele und Menschen draußen auf der mondüberglänzten Sandtenne schliefen, konnten misstrauische Karawanenleute die Fremden hinter Felsvorsprüngen versteckt und mit merklicher Hast Zauberinstrumente (den Kompass) und Schreibstifte hervorholen sehen. Ohne Zweifel wollten sie alles ausspähen.

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Abbildung 2. James Richardson, der erste Leiter der African Mission. Geboren am 3. November 1809 in Schottland, gestorben am 4. März 1851 im Sudan.

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Abbildung 3. Dr. Adolf Overweg. Geboren am 24. Juli 1822 in Hamburg, gestorben am 27. September 1852 am Tschadsee.

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Abbildung 4. Dr. Eduard Vogel. Geboren am 7. März 1829 in Krefeld, erschlagen 1856 in Wadai.

Zu Barths Zeit musste das für die Franzosen geschehen, die schon seit 1830 in Algier saßen, und auch am Senegal. Das erschien den allein Rechtgläubigen wie eine Zange. Den Nordafrikanern drohten fremde Herrschaft und Ende der gewohnten Lebensweise, was sich in der Störung des uralt eingewurzelten Karawanenhandels bereits bemerkbar machte. Auch an der Institution des Sklavenhandels wollten diese »Christenhunde« rütteln. Einige waren so tollkühn, es offen zu sagen. Heinrich Barth, der Mann, der sich kleidete und sprach wie sie, tat sogar Sklavenarbeit, als er selber während des Marsches sich bückte, eine lange Kette legte, sie aufhob, wiederum legte und das stundenlang. Die Sklaven der Karawane staunten ebenso darüber wie ihre Herren. Es war die Messkette, die der unerschrockene Mann zur Kontrolle von Wegdistanzen benutzte.

Glaubte er obendrein den Angaben des Kabir, des Karawanenführers, nicht, wenn dieser sagte: »Den Berg, den du da siehst, werden wir erst in zwei Tagen erreichen«? Und er hatte recht damit bei der unwahrscheinlichen Transparenz saharischer Luft.

Es gab demnach, außer Sonnenglut und Sandsturm, manche Barriere, die die »novarum rerum cupidi«, die neugierigen Abendländer, zu überwinden hatten.

Andere Schwierigkeiten lagen für die Fremden in ihrer Isolierung, der seelischen, die auch erhalten blieb, wenn es durch dicht besiedelte Sudanzonen ging. Doch hatte es der Reisende, ob in der Wüste, ob in der Residenz eines Sultans, meist mit Einzelnen zu tun, mit den Karawanenchefs oder Ortsgewaltigen. Sie entschieden über eine Lagererlaubnis, ob der Fremde Nahrung erhielt und ebenso oft über dessen Leben.

Psychologisches Einfühlungsvermögen, Einstellung auf die jeweilige Mentalität, war absolut erforderlich. Die Reisenden mussten die gewünschten Reaktionen bei einem Stammesführer hervorrufen, damit er sie, vielleicht nach zermürbendem, wochenlangem Warten endlich ziehen ließ. Dazu gab es Bedingungen, diese oder jene Stadt zu meiden, die womöglich gerade als wichtiger Punkt auf dem Reiseplan des Europäers stand.

Nerven kosteten – auch und gerade bei einer Reise im amtlichen Auftrag, wie die von Heinrich Barth, der für das Foreign Office um Anknüpfung von Handelsmöglichkeiten mit London besorgt sein sollte – die Briefkontakte mit der Heimat. Antworten und Geldsendungen gelangten mitunter erst nach einem Jahr und mehr, und meist nur durch puren Zufall, in seine Hände.

Dazwischen galt es, Gewaltritte oder -märsche, meist nachts, von zwanzig und mehr Stunden hinter sich zu bringen, um Zonen von regional-kriegerischem Hin und Her mit heiler Haut zu überwinden. In solchem Gebiet fand sich nur der zurecht, der die dort gesprochene Sprache beherrschte, vor allem, wenn es sich um noch nie von Europäern besuchtes Gebiet handelte.

Häufig mussten die Reisetiere gewechselt werden (Pferde, Kamele, Esel, Ochsen). Gleiches galt für Reisediener und Dolmetscher. Man hatte sich auf immer andere Ernährungsweisen umzustellen, auf andere Kleidung; und ständig waren neue Reiserichtungen zu projektieren, und zwar während der 2.100 Tage, die Barth in der Sahara und im Sudan1 reiste. Nachschub oder Ersatz von »daheim« gab es während dieser 70 Monate nur 8- bis 10-mal, wenn Kisten oder Packen mit Geld, Briefen, Schreibpapier und Büchern anlangten. Ersatz für zerbrochene Messgeräte kam nie an.

In Europa wurden während der fünf Jahre die behördliche Aufmerksamkeit und das allgemeine Interesse von zahlreichen anderen Unternehmen in Anspruch genommen. Überdies galt Barth monatelang als verschollen. Es erschienen Todesanzeigen und Nachrufe. Der Forscher erfuhr davon durch Andeutungen in Briefen. Er notierte jedoch: »Das muss ein gewaltiger Tod sein, der mich zu Boden zwingt.« Sein Selbstbehauptungswille blieb ungebrochen. Der »Ferne Westen«, das Land am Niger, mit der in Europa von einer Gloriole des Märchenhaften, aber auch dem Hauch des Gefährlichen umgebenen Stadt Timbuktu, sein Ziel nach Erreichung des Tschadsees, erforderte erhöhte Vorsicht.

Das macht es verständlich, warum Barth in seinem Werk seitenlang anführt, wie er sich über Tage hinweg auf das Gespräch mit einem Fulbe-Chef vorbereitete. Sachkundig musterte er, und verwarf auch, kostbare Kleidungsstücke (Toben) vom Markt, die als Geschenk dienen sollten.

Das Geld dazu musste er sich häufig von sudanesischen Händlern ausleihen. Diese standen in engem »Überweisungs«-Austausch über die ganze Sahara hinweg mit ihren Kollegen im fernen Norden (Marokko, Tuat, Ghadames). Man wusste, dass Englands politische Agenten bereits in Mursuk, in Südlibyen, saßen. Vom »Inglesi«, wie Barth als Emissär Londons auch genannt wurde, war zu erfahren, dass er wochenlange Umwege nicht scheute, um einen seiner Kreditgeber wegen Rückzahlung irgendwo aufzustöbern, sobald eine Kiste mit Talern aus London Barth selber erreicht hatte. Der Sudan-»Telegraph« war es, der über weite Distanzen Meldungen zur Kreditwürdigkeit besorgte. Er bestand aus dem ständigen, auch zu Kriegszeiten kaum unterbrochenem Strom der Ost-West- und West-Ost-Wanderer im Sudan. Durch ihn erfuhr man in Timbuktu 1852 »alles über« Abd el Kerim am Tschad, seit 1851 Gast des Sultans Omar, bevor der nicht mehr so ganz Fremde, nach 2.610 Wege-Kilometern, 1853 ebendort anlangte.

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Abbildung 5. Das Bilad es Sudan, »Land der Schwarzen«, am Südrand der Sahara. Von diesem Raum mit seinen Ländern, Städten und vor allem den Abgrenzungen existierten vor 1850, d.h. vor den Reiseerkundungen und schriftlichen Darstellungen des Dr. H. Barth, keinerlei Kartenbilder, die einen brauchbaren Überblick geboten hätten. Nach seinen Vorlagen wurde diese Karte von H. Schiffers gezeichnet. Sie findet sich interpretiert in »Heinrich Barth, ein Forscher in Afrika«, Wiesbaden, 1967.

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Ein weiterer Beweis der geradezu stupenden Sorgfalt für sein Fortkommen und auch für die Bewahrung des Gesehenen und Erlebten ist der Raum, den in seinem Reisewerk jene Ausführungen einnehmen, die uns Tag für Tag mitteilen, wie er sich fühlte, und wovon er sich ernährte. H. Weinand, Düsseldorf, hat viele Monate damit verbracht, die einschlägigen Einzelheiten aus den über 3.000 Druckseiten zu exzerpieren, und es ist daraus ein wichtiges wissenschaftliches Arbeitsmittel für historische Medizin und Geschichte der Ernährung geworden.

Gleiches gilt für die Durchforstung der Barth’schen Textmassen durch Eberhard Jany, Sulzbach, der über die tausend von Heinrich Barth erwähnten Tiere und Pflanzen(-Namen) berichtet. (Beiträge in »Heinrich Barth, ein Forscher in Afrika«, Wiesbaden 1967, 564 S.)

Erst wenn wir uns dies alles klar vor Augen halten, bekommt das nachfolgende Biographische die rechte Dimension, und die erbrachte Reiseleistung erhält, zumal im Vergleich mit der Art, wie man heute reist, das gebührende Gewicht.

Noch ist darauf hinzuweisen, dass die Unternehmung, die für uns eng mit dem Namen Heinrich Barth verknüpft ist, ein Gruppenwerk bildete, eine offizielle »African Mission« der englischen Regierung, die auch nicht-englische Teilnehmer aussandte. Sie bestand, abgesehen von wenig hervorgetretenen englischen Helfern (Soldaten) aus vier Mitgliedern.

Es waren Männer verschiedenen Alters, verschiedener Allgemeininteressen, unterschiedlicher wissenschaftlicher Vorbildung und differierender Temperamente.

Als Leiter bestimmte das Foreign Office einen Schotten, den ehemaligen Missionar James Richardson, beim Aufbruch 40 Jahre alt, dem vor allem die Abschaffung des Sklavenhandels am Herzen lag. Er hatte das Unternehmen angeregt, er besaß auch Landeserfahrung, da er vorher bereits mehrere Monate im westlibyschen Raum (Ghadames–Ghat) zubrachte.

Heinrich Barth, der 28-jährige Wissenschaftler, wurde zu dem Zweck der Unternehmung beigegeben, um die Raum- und Wirtschaftserkundung zu pflegen, auch die Sprachen zu studieren.

Dazu kam Adolf Overweg, 22 Jahre alt und Hamburger wie Barth, ein Naturwissenschaftler, der die geologischen Kenntnisse seines Landsmannes erweitern half.

Richardsons Gesundheit war nicht die beste. Überdies vertrugen sich die drei nicht immer so recht, und, im Sahel angelangt, trennte man sich. Am Tschad wollten sie sich vereinigen. Aber nahe diesem See erlag der Expeditionsleiter den Strapazen (1851). Wenn er auch nicht die umfassende wissenschaftliche Vorbildung der »preussischen Herren« besaß (so wurden Barth und Overweg in einem FO-Dokument genannt), wenn manche Richardson als bigott bezeichnet haben, überzeugt uns doch ein Blick in sein »Narrative of a Mission to Central-Africa« (1853, 2 Bde.), dass er, im Schatten Barths, bisher nicht die genügende Würdigung gefunden hat.

Mit Overweg verband Barth im Laufe der Reise eine Art väterliche Zuneigung. Der durch eigenen Leichtsinn hervorgerufene Tod des Jüngeren am Tschadsee (1852) erschütterte ihn zutiefst. Auch bedauerte er, dass Overweg seine Notizen unregelmäßig und fast nur auf ungeordneten Zetteln machte. Während Barth mit eisern durchgeführter Regelmäßigkeit umfangreiche Ausführungen Tag um Tag niederschrieb, sie sogar vor Absendung nach Europa (mit einer Handelskarawane) kopierte und sie auch nicht unterbrach, als er einmal in Bagirmi, einer Landschaft südlich des Tschad, in Ketten gelegt wurde.

Wie die Ernennung Barths zum Nachfolger Richardsons in der Expeditionsleitung durch das FO über Wüsten und Savannen hinweg erfolgte, wird noch zu schildern sein.

Ein weiterer Teilnehmer, den man von London aus 1853 nachsandte, als die Trauerbotschaft vom Tod Richardsons und Overwegs bis dorthin gelangte, war Eduard Vogel aus Krefeld (24 Jahre alt), ein hoch befähigter Naturwissenschaftler, aber ebenfalls ein Opfer seiner eigenen Unvorsichtigkeit. (Er wurde erschlagen im damals fremdenfeindlichen Wadai, weil er sich zu wenig um die Mentalität der Bewohner und Vorgänge am »Hofe« kümmerte.) Leider haben wir von ihm gleichfalls nur Berichts-Bruchstücke, vor allem von der Reise bis weit nach Nigeria hinein.

Einiges lässt sich glücklicherweise bei Overweg wie bei Vogel aus der erhaltenen Korrespondenz ergänzen.

Man muss daher als Bedeutsamsten der »African Mission« Heinrich Barth bezeichnen. Die Kunst des Überlebens hat er, trotz harter Prüfungen, am vollkommensten entwickelt. Sein wissenschaftliches Werk umfasst mehrere Disziplinen, in jeder mit überragenden Leistungen. Um dies zu erweisen, schließen wir in unsere Betrachtung auch das die Mittelmeerländer betreffende Reisewerk (1849) mit ein, ebenso das umfangreiche Sprachenwerk von 1862.

Dank der weitgehenden Erhaltung seiner Niederschriften vermögen wir das vielschichtige Gesamtwerk gut zu analysieren und es im Rahmen des damaligen allgemeinen Wissensstandes zu beurteilen.

Im »Économiste français« vom 25.1.1866 bemerkt Dr. A. Warnier aus Algier: »In Timbuktu schrieb er (H. Barth) arabisch an den Scheich El Bakay, englisch an Lord Palmerston (London), deutsch an Dr. Petermann (Gotha) und sprach mit den Barbaren (hier: Einheimischen), unter welchen er in Afrika lebte, in zehn verschiedenen Sprachen.« Heinrich Barth bewegte sich als wandernde »Ein-Mann-Universität« durch die Räume von elf der heutigen selbstständigen Staaten: Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Tschad, Kamerun, Niger, Nigeria, Obervolta und Mali.

Er schuf von diesen Räumen eine Gesamtkarte, die die Teilgebiete abgrenzte und die wichtige Orte und die Verbreitung von Völkerschaften zeigte: ein zuverlässigeres und weitaus besser gefülltes Kartenwerk als alles, was vorher existierte. Es ist ein bislang kaum beachtetes Lehrstück und Anlass zum Nachdenken beim Vergleich mit den Karten gegenwärtiger Verhältnisse.

Es sei hier auch auf einen Staatsvertrag hingewiesen, seit seiner Unterzeichnung bis zum Jahr 1965 nirgendwo in den Quellen seiner Bedeutung entsprechend (außer von Albert Adu Boahen) gewürdigt. Im letztgenannten Jahr zogen wir ihn aus dem Nachlass im Hamburger Staatsarchiv in einer Originalkopie von damals hervor. Er behandelt »Entwicklungshilfe«, die von zwei Staatsoberhäuptern abgehandelt wurde, einem europäischen und einem afrikanischen, nämlich der Königin von England und dem Bornu-Souverän Omar in der Residenz Kuka. Heinrich Barths Hand schrieb den englischen Part, und seine Hartnäckigkeit bewirkte es, nach vielen Mühen, dass er ratifiziert wurde (3.9.1852).

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Abbildung 6: Staatsvertrag, den H. Barth im Auftrag Englands mit dem Herrscher von Bornu in dessen Residenz, Kukaua, nahe dem Tschadsee, am 3.9.1852, schloss. Der englische Text ist von Barths Hand, der arabische wahrscheinlich im britischen Konsulat zu Tripolis geschrieben. – Ein Konsulat wurde in Kukaua nicht eingerichtet. (Nachlass H. Barth im Staatsarchiv Hamburg)

1 Damals umgriff der »Sudan« für Araber wie Europäer alles Land südlich der Sahara (etwa bis zur Regenwaldzone – summarisch: Guinea-Länder). Heute reserviert die Republik Sudan diesen Namen für sich allein.

KAPITEL 1

HEINRICH BARTHS LEBENSWEG BIS ZUR GROSSEN REISE

Der jahrelange Weggenosse von Moslems, der mit Fürsten wie ein moderner Botschafter verhandelte, wuchs unter dem an Wolken und Nebel reichen Himmel der alten Hafenstadt Hamburg auf. Giebelhäuser der Seehandelsleute säumten die Straßen. Fischhändler, Schiffsbauer und Stellmacher waren die Nachbarn. Tiefe protestantische Gottesfurcht und strenge Pflichterfüllung in geregeltem Lernablauf für die Jüngeren erfüllten die geistige Welt in dem sich industrialisierenden Abendland. Die ersten Photographier-Ungetüme kamen auf den Markt. Vater Barth gab das Geld, damit der Sohn Heinrich auf einer Bildungsreise ums Mittelmeer diese letzte Neuigkeit zur Verfügung hatte.

Heinrichs Geburtsjahr war das Todesjahr Napoleons. Goethe war damals schon 72 Jahre alt, Alexander von Humboldt 52, Caspar David Friedrich 47. David Livingstone war ein Junge von 8 Jahren, der, wie viele seines Alters damals, in einer englischen Baumwollspinnerei Geld verdienen musste. Kurz bevor Heinrich Barth nach Tripolis kam, um zu seiner großen Reise aufzubrechen, erschien das Kommunistische Manifest von Friedrich Engels und Karl Marx. Revolutionen erschütterten Europa, und während der Krimkrieg tobte, hatte Heinrich Barth Mühe, sich in Timbuktu zu behaupten.

Trotz der spärlichen Kontakte mit Europa ist es interessant, in den Briefen zu verfolgen, was sich von den so fernen Ereignissen dennoch darin spiegelt.

Das meiste, was wir von Heinrich Barths Lebensweg wissen, überlieferte sein Schwager Gustav von Schubert (Kgl. Sächs. General-Lieutenant z. D.) in »Heinrich Barth, der Bahnbrecher der deutschen Afrikaforschung. Ein Lebens- und Charakterbild, auf Grund von ungedruckten Quellen entworfen«, Berlin 1897.

Die Eltern entstammten beide dem Handwerker-Milieu. Der Vater, im Thüringer Wald zu Hause, wurde, früh verwaist, von einem in Hamburg ansässigen Onkel mit 14 Jahren aufgenommen. Seit 1801 wohnte er am Hopfenmarkt. Er war als Knochenhauer (Schlachtermeister) tätig, danach Kaufmann in überseeischen Geschäften. Er galt als »streng solider, sparsamer, rechtschaffener, dabei wagemutiger und tätiger Mann.« Die Mutter war eine Schuhmacherstochter aus Hannover, »eine schlichte und häusliche Frau«. Sie überlebte ihren Mann um sechs Jahre.

Von vier Kindern der Familie war Heinrich, am 16.9.1821 geboren, das dritte. Eine der beiden Töchter heiratete Gustav von Schubert, des späteren Forschers ersten Biographen und Erben von dessen Nachlass.

Als Heinrich Barth ihn kennenlernte, meinte er in seiner impulsiven Art: »Wenn Sie meine Schwester nicht glücklich machen, schieße ich Sie tot!«

Der Vater wünschte im Sohn »strenge Moralität, Gewissenhaftigkeit, peinliche Ordnungsliebe, Sinn für Häuslichkeit und Familienleben zu wecken.« Da er zu Wohlstand gelangte, konnte er Heinrich eine gute Erziehung angedeihen lassen, seine ersten Bildungsreisen finanzieren und auch zu den Kosten der Hauptexpedition beitragen.

Mit elf Jahren kam Heinrich 1832 auf die angesehene Hamburger Gelehrtenschule des Johanneums. Mit den Klassenkameraden hatte er kaum Kontakt. Seine Liebe galt einer eigenen Bücherei. Er arbeitete die wichtigsten Schriftsteller des griechischen und römischen Altertums durch, sprach mit 14 fließend englisch und begann danach mit dem Studium des Arabischen.

Der verschlossene junge Mann entwickelte früh ein ausgeprägtes Selbstgefühl. Es fehlte die »nach außen hin sichtbare Lebensfreude.« Nach Erlangung des Reifezeugnisses (1839) begann er im gleichen Jahr das Universitätsstudium zu Berlin (bis 1844). Er studierte Altertumswissenschaft, Germanistik, Jura, Handelsgeschichte und Geographie (bei Carl Ritter). Eine erste Reise (1840/1841) führte durch Italien und verstärkte seine Neigung zur Archäologie. »Es bildete sich in mir der Plan aus, dieses Bassin (das Mittelmeer) womöglich in seinem ganzen Umfang zu durchwandern und seine Gestade rund umher aus eigener Anschauung kennenzulernen«, schrieb er 1849. Als Student pflegte er wenig Kontakt mit den Kommilitonen. Er war kein »flotter Bursch« wie Gustav Nachtigal.

Ohne sich irgendwie ablenken zu lassen, arbeitete er auf das früh erkannte Lebensziel hin: »Zu sehen, wie man von Stunde zu Stunde … tiefer … in die Wissenschaft eindringt, … ist ein unendliches Vergnügen. Freilich kann es in … Egoismus … ausarten … Ich habe ein ungeheures Streben in mir …, den Menschen etwas zu nutzen, sie anzuregen …, das ist mein einziges Streben … In diesem Bewusstsein sehe ich, … dass mich die meisten verkennen, dass mich andere schändlich verleumden … Ich bin zu stolz, mich vor anderen, vor oft erbärmlichen Menschen zu rechtfertigen … Mir kommt es allein … auf meine innere Tüchtigkeit an, um so den Menschen so viel wie möglich nützen zu können, wofür ich dann freilich Anerkennung und womöglich etwas Ruhm ernten möchte.«

Noch zehn Jahre später musste sein Schwager, bei Heinrichs wenig erfolgreichem Bemühen um eine angemessene Lebensstellung, seinem Tagebuch anvertrauen: »Er ist bei allem Gemüt zu schroff … und ohne Weltklugheit …, ist ein kühner und ausdauernder, aber kein gewandter Schwimmer auf dem Strome des Lebens.«

Seine Doktorarbeit mit dem Prädikat »Doctrina conspicua« (durch Gelehrsamkeit ausgezeichnet) war den Handelsbeziehungen des alten Korinth gewidmet (1844).

Danach folgte eine weitere Studienreise ums Mittelmeer (von Spanien über Marokko, nach Ägypten und weiter nach Konstantinopel und Griechenland, wie damals allein üblich, vorwiegend zu Pferd), aus der ein heute nur noch in wenigen Exemplaren erhaltenes, aufschlussreiches Werk hervorging: »Wanderungen durch die Küstenländer des Mittelmeeres, ausgeführt in den Jahren 1845, 1846 und 1847« (Berlin 1849, 556 S.). Er führte eine umfangreiche Reisebibliothek mit. Eine Ausgabe des Koran und des Herodot waren seine »Baedeker« auf dieser und der Großen Reise.

Die Unternehmung verlief nicht ohne Zwischenfälle. Im Juni 1846 wurde er im unruhigen libysch-ägyptischen Grenzgebiet von beutelustigen Arabern überrumpelt. »Obgleich ich an Mut vielleicht nur eine zu starke Portion besitze, fehlte mir doch die Erfahrung und Übung, um mit Erfolg … in solcher Einsamkeit auf die Dauer meine Sache durchzuführen«, notierte er. Am 7. Juni wurde er angeschossen. Der kostbare Photoapparat samt Platten ging zu Bruch. »Ich stürzte mich in wilder Verzweiflung mit meinem Säbel auf die Angreifer … Ich war entschlossen, bis zum letzten Augenblick mich zu wehren und mich dann selbst zu töten.«

Halb verhungert, nach nächtlichen Gewaltritten und Verlust fast aller seiner Aufzeichnungen, gelangte er am 17. Juni 1846 nach Alexandria. Eine Kugel fand sich 1865, bei der Sektion des Verstorbenen, im linken Oberschenkel eingekapselt.

Vom Vater wieder mit Geld versehen, setzte Heinrich die Reise fort. Im Dezember 1847 war er wieder daheim. 14.000 Taler waren verausgabt worden. Die Reise hatte seiner Persönlichkeit den »Stempel des Gebieterischen, Abgeschlossenen und Asketischen aufgedrückt.« (W. Koner).

Die Universität Berlin nahm 1848 den Bericht über diese erste große Reise zur Habilitation an. Da Heinrich Barth als Privatdozent 1849 mit Vorlesungen über die »Bodengestaltung Afrikas« wenig Erfolg hatte, auch sein Mittelmeerwerk in der aufgeregten Revolutionszeit schlechten Absatz fand, ergriff er impulsiv die unvermutet auftauchende Möglichkeit einer neuen und noch ausgedehnteren Reise.

James Richardson bedrückte der Mangel an wissenschaftlicher Durchbildung, als das Londoner Foreign Office ihn mit der Durchführung der Sahara-Sudan-Expedition beauftragte. Der vielseitig interessierte preußische Gesandte zu London, von Bunsen, stellte über die Berliner Universität (C. Ritter) die Verbindung mit dem Privatdozenten Heinrich Barth her, der sogleich am 5. Oktober 1849 zusagte. Aber der besorgte Vater weigerte sich, die von jedem Teilnehmer aufzubringenden 200 Pfund zur Bestreitung der Privatbedürfnisse zuzuschießen, »… wenn ihm nicht für die Zeit nach seiner Rückkehr eine Professur mit 800 preuß. Talern garantiert würde.« (Prothero, 1958).

Der gehorsame Sohn sagte ab. August Petermann, der Begründer der heute noch erscheinenden, weit bekannten »Petermanns Geographische Mitteilungen« zu Gotha, damals Astronom an der Londoner Sternwarte, vermittelte nun Adolf Overweg. Die englische Regierung verpflichtete ihn und auch Barth, dem es gelang, den Vater umzustimmen. Der preußische Kultusminister erteilte den erbetenen »wenigstens zweijährigen Urlaub.«

Der Expeditions-Vertrag wurde zu London am 30.11.1849 abgeschlossen. Die beiden Deutschen reisten aber nicht als Angestellte der britischen Regierung.

Das Foreign Office formulierte folgendes Programm:

1. Weg, Art der Reise und Zeit sollten vom Leiter bestimmt werden.

2. Richardson sollte vom Tschad nach England zurückkehren.

3. Den beiden Begleitern sollte es freistehen, ebenso zurückzukehren, oder den Nil, wenn möglich gar stattdessen Mombasa (die Ostküste), als Endziel ins Auge zu fassen.

4. Man sollte Art und Menge der Waren feststellen, die im Inneren Afrikas verlangt würden, und was man dafür erhalten könne.

5. Es sollten mit dem Sultan von Bornu und anderen Herrschern Handelsverträge abgeschlossen werden.

Richardson erhielt ein besonderes Schreiben von Lord Palmerston, dem Leiter des englischen Außenamts, nach dem er nur in Übereinstimmung mit den übrigen Mitgliedern handeln sollte.

Die Admiralität stellte ein Boot aus Mahagoni bereit, das zerlegt auf Kamelrücken glücklich den Tschadsee erreichte und Overweg bei dessen Befahrung diente.

Im November 1849 reisten Barth und Overweg von London nach Paris, um Instrumente anzukaufen. Von da ging es über Marseille, Philippeville und Bône nach Tunis.

Die Neujahrsnacht auf den 1.1.1850 sah beide auf einem Eilritt nach Tripolis, wo sie am 18.1. anlangten. Fast ein halbes Jahr seit dem Aufbruch von London war verstrichen, als auch Richardson eintraf und die Zentralafrika-Expedition zur südlibyschen Landschaft Fessan, und damit in das »Innere des Dunklen Kontinents«, aufbrechen konnte. Es war der 25. März 1850.

KAPITEL 2

VORWORT IM REISEWERK DES DR. HEINRICH BARTH

Es war am 5. Oktober 1849, als mein verehrter Lehrer und Freund, Herr Professor Carl Ritter, dem ich gerade einen Besuch machte, mir mitteilte, dass die englische Regierung im Begriff stehe, Herrn James Richardson auf eine Mission nach Zentralafrika zu schicken, und dass sie durch den preußischen Gesandten in London, Herrn Ritter Bunsen, das Anerbieten gestellt hätte, einem deutschen Reisenden erlauben zu wollen, sich dem Unternehmen anzuschließen, falls er zweihundert Pfund Sterling zur Bestreitung seiner persönlichen Reiseunkosten mitbringe.

Gerade in jenen Tagen hatte ich die Herausgabe der Beschreibung meiner Wanderungen in den Nordgestade-Ländern Afrikas abgeschlossen.

Auf dieser Wanderung hatte ich als ein einzelner Reisender fast meine ganze Zeit mit den Arabern zugebracht und mich vollständig eingebürgert in jenes Leben, wo das Kamel und die Dattelpalme die charakteristischen Züge bilden. Ich hatte lange Reisen durch wüste Landschaften gemacht, hatte den weiten Saum der großen Syrte umkreist und nach einer durch das kleine malerische Gebiet von Cyrenaika gebotenen erfreulichen Abwechselung die Libysche Wüste nach Ägypten zu durchzogen. Auch in Ägypten war ich in den Gebirgstälern zwischen Assuan, Berenike und Kosser mehr als einen Monat lang zu Kamel umhergereist und hatte später meine Reise ein Jahr lang durch Syrien und Kleinasien zu Lande fortgesetzt.

Ich hatte also einen hinreichenden Versuch der Annehmlichkeiten sowie der Unannehmlichkeiten einer solchen Wanderung gemacht, und diese Vorübung und Gewöhnung an Reisebeschwerden war unschätzbar. Während Gefahren und Entbehrungen in den wüsteren Grenzbezirken der von mir durchwanderten Länder keineswegs gering waren, boten doch die Nähe der Küste und der Schutz europäischer Mächte den Vorteil dar, etwa Eingebüßtes leicht ersetzen zu können.

Mein Hauptaugenmerk auf jener Reise war allerdings auf die Reste des Altertums und auf Völkerverhältnisse gerichtet, die noch gegenwärtig die alten Zustände beleuchten; dennoch aber war mir die lebendige Gegenwart keineswegs gleichgültig geblieben, und ich hatte stets einen Seitenblick nach jenen halb oder ganz unbekannten Landschaften im Inneren Afrikas geworfen, welche in fortwährender Verbindung mit der Küste stehen. Allerdings wurde ich auch in jene Gegenden mehr durch den im Dunkeln verborgenen Handel des alten Karthago als an dem Faden neuerer Entdeckungen geleitet, wenngleich in früher Jugend schon Mungo Parks und der Gebrüder Lander Reise insbesondere meine geistige Teilnahme im höchsten Grade auf sich gezogen hatten. Wie dem immer sein mag, das Verlangen, mehr von jenen Gegenden zu wissen, bewegte mich nicht wenig. Die Worte eines Haussa-Sklaven in der tunesischen Stadt Kef, mit dem ich in einer Unterhaltung über sein Heimatland geriet, tönten fortwährend in meine Ohren, und wiewohl sie während der Reise von den lebhaften Eindrücken anziehender und malerischer Gegenden in den Hintergrund gedrängt wurden, fingen sie doch an, mich dringlicher zu mahnen, sobald ich zur Ruhe des europäischen Lebens zurückgekehrt war.

In einfacher, aber eindringlicher Weise sagte mir der Eingeborene des Negerlandes, als er das Interesse gewahrte, das ich an seinem Lande nahm: »So es Gott gefällt, sollst du noch dich aufmachen und Kano besuchen.«

Auf meiner dreijährigen Reise in den Gestade-Ländern des Mittelmeeres hatte ich hinreichend Gelegenheit gehabt, die Macht englischen Schutzes zu prüfen. Ich hatte die Beweise freundlicher Gesinnung aller englischen Konsuln von Tanger bis Brusa erfahren und wiederholt ihre Gastfreundschaft genossen. Es war ihr Schutz, der mir es möglich gemacht hatte, mit einem gewissen Grad von Sicherheit jene wüsteren Gegenden zu durchziehen, durch welche mich meine Wanderung geführt hatte.

Der alte biedere Colonel Warrington, englischer Generalkonsul in Tripolis, der in mir einen Erforscher Inner-Afrikas geahnt zu haben schien, hatte selbst versucht, mich von meiner beabsichtigten Bahn an den Küstenländern abzuziehen, indem er mir seinen vollen Beistand zusicherte, im Falle ich versuchen würde, ins Innere einzudringen.

Von allen Gesichtspunkten aus betrachtet, musste das Anerbieten der englischen Regierung sich mir auf das Lebhafteste empfehlen, und mit Begeisterung bot ich mich Herrn Richardson zum Begleiter an, unter der Bedingung, dass der Erforschung des Inneren eine größere Bedeutung und Ausdehnung gegeben würde, während ursprünglich die Abschließung von Handelsbündnissen mit den Häuptlingen der Wüsten den fast alleinigen Gesichtspunkt bildete.

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Abbildung 7: Original-Titelseite des Reisewerks

Inzwischen, weil Briefe zwischen Berlin, London und Paris – Herr Richardson hielt sich nämlich zurzeit in Paris auf – in oft höchst störender Weise sich kreuzten, drang mein seliger Vater, den ich von meinem Vorhaben in Kenntnis gesetzt hatte, in einer Weise in mich, von meinem gefahrvollen Unternehmen abzustehen, der meine kindliche Ergebenheit mich Folge zu leisten hieß. Ich trat daher von meiner Verpflichtung zurück und machte Herrn Dr. Overweg Platz, der in jugendlicher Begeisterung sogleich hervortrat, um, von der Berliner Geographischen Gesellschaft unterstützt, die von Anfang bis zu Ende mit dem regsten und tatkräftigsten Interesse das Unternehmen verfolgt und gehegt hat, seine Dienste anzubieten. Aber es war zu spät; mein Anerbieten war von der englischen Regierung schon angenommen.

Ich überwand daher Familienrücksichten und schloss mich der Unternehmung an. Väterliche Besorgnis zu beseitigen wurde mir erleichtert durch das Versprechen des Preußischen Ministeriums, dass meine Abwesenheit von der Universität in so verdienstvollem Berufe meiner akademischen Laufbahn keinen Eintrag tun sollte. – Meinem geliebten Vater wurde das Glück zuteil, mich, mit Ruhm gekrönt, von meiner Reise heimkehren zu sehen, aber es sollte ihm nicht vergönnt sein, diesen Bericht meiner mühevollen Wanderungen noch vor sich zu sehen. Während das Buch durch die Presse ging, schied er dahin.

Es war eine sehr freisinnige Handlungsweise der englischen Regierung, zwei Mitgliedern einer fremden Nation, anstatt eines einzigen, wie es beabsichtigt war, zu gestatten, an einer solchen Expedition teilzunehmen, die zugleich spezielle britische Handelszwecke beabsichtigte. Da aber einmal der Unternehmung eine ausgedehntere Richtung gegeben wurde, wurde auch ein Seemann den Reisenden beigestellt; und indem man dem Zweck der Erforschung volle Bedeutung gab, wurde nicht allein Herrn Overweg und mir nach der Trennung von Herrn Richardson freigestellt, in der von uns als günstig erkannten Richtung weiter vorzudringen, sondern auch beschlossen, ein Boot auszusenden.

Die Wahl des Seemannes war nicht ganz glücklich, und Herr Richardson hielt es für besser, ihn von Mursuk aus zurückzusenden. Das Boot dagegen, das auf dem ungeheuer schwierigen Landwege über Mursuk, Ghat, Aïr und Sinder fortgeschafft wurde und die Verwunderung und das Staunen aller Stämme des Inneren erregte, kam endlich sicher am Orte seiner Bestimmung an, den der Leiter des Unternehmens selbst nicht so glücklich war zu erreichen.

Die Regierung tat noch mehr. Sie erlaubte uns, Waffen zu führen, während man ursprünglich gemeint hatte, die Expedition solle ohne Waffen gehen, weil Herr Richardson seine erste Reise nach Ghat in solcher Weise gemacht hatte. Aber Herr Richardson war damals in äußerst dürftigem Aufzug aufgetreten, ohne Instrumente, ohne Geschenke, ohne irgendetwas, das die Habsucht der Eingeborenen hätte reizen können. Wir aber sollten jetzt den Charakter einer wissenschaftlichen Expedition mit dem einer Gesandtschaft vereinen und neben der Erforschung der unbekannten Gegenden uns auch bemühen, Freundschaft mit den Häuptlingen und Fürsten der verschiedenen Länder zu schließen.