Ooooohhhhmmm.«
Trotz des nasskalten Wetters, das draußen herrschte, saß ich im Yogasitz vor dem geöffneten Giebelfenster. Ich hielt die Augen geschlossen, versuchte, das Geschrei, das aus dem Erdgeschoss bis zu mir unters Dach hinauf drang, auszublenden. Leicht war das nicht.
»Ich habe es dir schon tausend Mal gesagt, Volker! So kann es nicht weitergehen. Es sollte eine Übergangslösung sein, aber nun geht das schon fünf Wochen so. Sie ist sechsunddreißig Jahre alt, verdammt noch mal! Ich ertrage ihr übergriffiges Verhalten nicht länger!« Die Stimme meiner Stiefmutter klang schrill.
Die aufdringliche Sechsunddreißigjährige, von der sie sprach, war ich. Ich hatte ein Flurregal korrekt an der Wand befestigt. Der Dübel wäre irgendwann herausgebrochen. Als Goldschmiedin hatte ich den Umgang mit kleinem Gerät gelernt und dabei festgestellt, dass ich auch an gröberen Arbeiten Freude hatte.
»Sie muss außerdem endlich ihre Möbel aus der Garage räumen. Wir brauchen den Platz doch selbst!«
Mein Vater schloss die Tür zum Treppenhaus. Die Möbelstücke, von denen Eva sprach, stammten noch aus der Sylter Wohnung, die ich bei meiner Rückkehr nach Kiel aufgegeben hatte. Auch wenn ich die Einzelheiten ihres Streitgesprächs nicht mehr mitbekam, ahnte ich, was Papa zu ihr sagen würde. Dass er ihrer Meinung sei und mit mir reden würde. Dass ich eben mehr Zeit benötigte, als gedacht, um wieder auf die Beine zu kommen.
Ich selbst hatte am allerwenigsten damit gerechnet, dass ich mich hier so lange bei Papa einnisten würde. Aber um auszuziehen, musste ich wenigstens wissen, wohin. Und das hing davon ab, womit ich künftig Geld verdienen wollte. Am Goldschmieden hatte ich jedes Interesse verloren. Es deprimierte mich geradezu. Immerzu begegneten einem in diesem Beruf Verliebte. Mir hatte daran irgendwann nur noch gefallen, dass ich beim kreativen Gestalten für mich sein konnte.
Noch einmal atmete ich tief durch. Eigentlich sollte man beim Yoga die Gedanken nicht festhalten. Man muss sie ziehen lassen, sich entspannen.
»Ooooohhhhmmm«, versuchte ich es abermals.
Die Flurtür wurde wieder geöffnet. »Ich weiß, Volker! Aber andere trennen sich auch von ihren Partnern und finden eine Wohnung. Sie hat aber noch nicht mal etwas in Aussicht!«
»Das weißt du doch gar nicht«, entgegnete Papa. Dabei wusste er es genau. Ich hatte nach der Trennung von Jesse noch gar nicht nach einer neuen Bleibe gesucht. Hier unterm Dach fühlte ich mich sicher wie in einem Kokon. Mein Bruder besaß ein eigenes Bad, aus dem ich eine Wohlfühloase gezaubert hatte. Sein Zimmer hatte ich nach Marie Kondo picobello aufgeräumt. Das Buch der Japanerin mit dem Titel Magic Cleaning – Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert war so etwas wie meine Bibel. Genauso wie die Lebensratgeber, die ich der Größe nach auf Jonas’ Regal angeordnet hatte. Außerdem dampfte aus einem Diffuser mein Lieblingsduft Vanille. Während er in Australien war, störte ihn das alles ja kein bisschen. Eva hingegen schon. Sie meinte, ich hätte mich hier »breitgemacht«. Meine Ordnungsliebe ging ihr genauso auf die Nerven wie Jesse. Sobald ich in ihre Nähe kam, zog sie die Nase kraus. Dabei hätte sie sich freuen müssen, dass ich ihr die Hausarbeit abnahm. Mit ihrer Belastbarkeit stand es nämlich nicht zum Besten. Sie hatte gerade ihren Fünfzigsten gefeiert und war in den Wechseljahren. Selbst im Winter trug sie ärmellose Tops, und trotzdem stand ihr ständig der Schweiß auf der Stirn.
Eben hörte ich das Tappen von Papas Hausschuhen auf der Treppe. Schon pochte es an der Tür. »Antonia?«, brummte er. »Hast du mal eine Minute?«
Ich vollendete ein Namaste und öffnete ihm die Tür. »Auch zwei, Papa.«
Mein Vater plumpste schwerfällig auf Jonas’ Sofa unter der Dachschräge und klopfte neben sich aufs Polster. »Wir müssen reden.«
»Ich weiß«, antwortete ich und setzte mich. »Der Grund dafür war nicht zu überhören.«
Er öffnete die Hände. »Wenn es nach mir ginge, könntest du hierbleiben, bis Jonas zurückkommt. Aber ich kann dich nicht länger bei Eva verteidigen.« Er seufzte. »Kind, ich hab doch schon eine gescheiterte Ehe hinter mir. Ich stehe das nicht noch einmal durch.«
Ich presste die Lippen aufeinander. Eva mit Mama zu vergleichen, war einfach nur unfair. Meine Mutter war die beste Frau gewesen, die ein Mann sich an seiner Seite hätte wünschen können.
»Hast du denn inzwischen mal darüber nachgedacht, was du machen möchtest?« Papa legte seine weiche Hand auf mein Knie. Auf seiner Haut zeichneten sich Altersflecken ab. Mit seinen siebzig war er zwanzig Jahre älter als Eva. »Vielleicht gehst du ja doch zurück nach Sylt?«, fragte er. »Du hast doch dort noch immer das Atelier.«
Das stimmte. Aber ich hatte es an Romy Mensah vermietet, eine Goldschmiedin aus Frankfurt.
»Ich kann nicht zurück, Papa«, widersprach ich. »Die Werkstatt steht nicht zur Verfügung, außerdem wohnt Ole ganz in der Nähe. Würde ich zurückgehen, käme ich nie aus diesem Tief.«
»Du warst aber doch zwischendurch sogar mit Jesse glücklich. Es wird wieder jemand kommen, du wirst sehen.«
»Mit Jesse war ich kein bisschen glücklich. Und jemand Neuen will ich auch nicht. Wenn ich ehrlich bin, muss ich mich wohl erst mal um meinen eigenen Seelenfrieden kümmern. Ich hab noch immer keine berufliche Alternative gefunden, und der Gedanke, eine Wohnung für mich allein zu suchen, fühlt sich an wie ein Offenbarungseid.«
Mein Vater hob die Schultern. »Du kannst aber doch nicht weiter hier oben herumhocken und nichts tun.«
Dass ich nichts tat, stimmte nicht. Im Gegenteil – ich griff ihnen ständig unter die Arme. Vor allem kümmerte ich mich um meine zehnjährige Halbschwester Sarah. Sobald Eva unpässlich war – und das war häufig der Fall – schaute ich nach den Hausaufgaben, fuhr Sarah zu verschieden Sportkursen oder zu ihren Freundinnen. Manchmal hatte ich den Eindruck, sie verbrachte lieber Zeit mit mir als mit ihrer Mama. Aber vielleicht war das ja ein Teil des Problems.
»Wenn du nicht selbst tätig wirst, nimmt Eva das in die Hand«, fuhr Papa fort. »Sie surft schon dauernd auf Immobilienseiten – soll sie eine kleine Vorauswahl treffen?«
»Nein, ich kümmere mich. Bald.« Demnächst war Weihnachten. Das gab mir noch etwas Luft.
»Wir müssen ein Datum setzen«, drängte Papa weiter. »Und es muss vor den Feiertagen sein. Es gibt einige Apartments, die ab sofort frei sind. Wir helfen dir auch beim Umzug.«
Entsetzt starrte ich ihn an. »Du setzt mich vor die Tür?«
Mein Vater rieb sich die Nase. »Eva ist in einer schwierigen Phase«, versuchte er sich an einer Erklärung. »Sie ist sehr empfindlich. Dass du dauernd die Küche hinter ihr aufräumst, gibt ihr kein gutes Gefühl. Dann all diese Duftkerzen, die du gekauft hast.« Niedergeschlagen sah er mich an. »Die Wechseljahre machen sie eben dünnhäutig.« Er blinzelte. »Und wegen Heiligabend …«
»Was ist damit?«
»Den würde Eva gern allein mit mir und Sarah verbringen.«
Es war so absurd, dass ich lachen musste. »Bin ich wirklich so schlimm?«
Letztes Jahr hatten wir gemeinsam gefeiert. Jonas war auch dabei. Wir verlebten eine harmonische Zeit, zum ersten Mal seit langem. »Du könntest mich ruhig ein bisschen mehr verteidigen, meinst du nicht?«, klagte ich deprimiert. »Ich brauche mehr Loyalität von dir, Papa, sonst werde ich –« noch verrückt, hatte ich sagen wollen. Nein. Ich wollte nicht mit diesen lästigen Zwängen anfangen. Ich schämte mich dafür.
Die Augen meines Vaters weiteten sich. »Was meinst du mit ›sonst wirst du‹? Du würdest doch nicht etwa mit Eva wegen damals reden? Du hast mir versprochen, dass du es für dich behältst!«
Auf einmal fröstelte ich und schloss das Fenster. »Dass du so etwas von mir denkst«, presste ich hervor und zog mir eine Strickjacke über. Wahrscheinlich hatte Eva recht. Ich sollte verschwinden.
Nun erhob sich auch Papa vom Sofa, er wollte mich an sich ziehen, doch ich wand mich heraus. Dass er dachte, ich könnte seiner Frau sein schlimmstes Geheimnis verraten, und damit seine Ehe in Gefahr bringen, war der Gipfel.
Noch einmal kam er auf Weihnachten zu sprechen. »Es geht nicht um die Feiertage an sich. Nur Heiligabend wären wir gern unter uns.« Er lächelte unglücklich. »Aber am ersten Feiertag gehen wir essen. Du, ich und Sarah. Was meinst du?«
Mit verschränkten Armen wandte ich mich zum Fenster und schwieg.
Papa schlurfte mit hängenden Schultern aus dem Zimmer.
»Hexe«, murmelte ich und meinte meine Stiefmutter. Es war wie bei Schneewittchen. Die Jüngere wurde aus dem Haus gejagt, weil die Ältere deren Anblick nicht mehr ertragen konnte. Immerhin war die Wut auf Eva groß genug, dass dieses Gefühl die Trauer über die Schwäche meines Vaters überdeckte. Vor Weihnachten rausgeworfen zu werden, tat weh. Doch tief in meinem Inneren wusste ich, dass es allerhöchste Zeit für einen Neuanfang war.
Ich hatte das große Bedürfnis, mich mit jemandem auszusprechen, der mir hätte helfen können, eine neue Perspektive zu finden. Aber mit wem? Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe. Meine wenigen Freundinnen hatten inzwischen alle Familie, sie würden meine Probleme nicht nachvollziehen können. Und spätestens nach meinem Weggang nach Sylt war der Kontakt zu den meisten abgebrochen.
Mir fiel Sebastian Liebermann ein, den ich bei einem Wanderurlaub auf Teneriffa kennengelernt hatte. Vor einigen Jahren hatte er seine Frau verloren und war seither alleinerziehender Vater von drei Kindern. Mit Mitte vierzig hatte er vor Kurzem einen Neuanfang in Bayern gewagt, war aus Wiesbaden dorthin umgezogen und hatte eine Stelle als Schulleiter an einem Gymnasium angetreten. Ich hielt über Facebook zu ihm Kontakt, hatte länger nichts mehr von ihm gehört. Wie mochte es ihm inzwischen ergangen sein? Auch er hatte einmal vor einem Scherbenhaufen gestanden. Ob er es bereut hatte, seinem alten Leben den Rücken gekehrt zu haben?
Auf meinem Smartphone switchte ich zu seiner Timeline. Das letzte Posting war wenige Tage alt. Es war ein Schnappschuss seiner Söhne im Schnee. Ihre Augen hatte er mit Sternen abgedeckt. Man erkannte trotzdem, wie stolz sie waren. Ihre Mützen sahen aus wie gezuckert.
Sehnsüchtig betrachtete ich die weiße Pracht. Ich hatte nie einen richtigen Winter erlebt, schon gar kein Schneegestöber, verschneite Tannenbäume oder eine Schlittenfahrt durch Bergpanorama.
Moin, tippte ich in den Messenger, wie ist die Lage bei dir? Lange nichts voneinander gehört! Habt ihr drei euch gut eingelebt? :*
Sebastian war nur mit den beiden Söhnen umgezogen, Tochter Ella war wegen des bevorstehenden Abiturs in Wiesbaden geblieben.
Hoffentlich ließ seine Antwort nicht lange auf sich warten. Es machte mich verrückt, wenn Menschen sich Stunden mit einer Beantwortung Zeit ließen. Ich selbst fuhr manchmal sogar während einer Autofahrt rechts ran, um das rasch zu erledigen.
Doch Sebastian enttäuschte mich nicht. Grüß Gott! Sitze mit den Jungs am sonntäglichen Frühstückstisch. Wir werden gleich ein Stück rausfahren, die Schlitten warten im Kofferraum ;-) Und du? Was macht die Liebe? Bist du noch in Kiel?
Leider! Die Sache mit Jesse ist vorbei. Wohne gerade bei der neuen Familie meines Vaters. Aber sie wollen mich loswerden. Nicht, dass ich mich daneben benehmen würde … ich halte mich total im Hintergrund. Aber bei meinem bloßen Anblick bekommt die Frau meines Vaters Ausschlag …
Sebastian schickte ein Lach-Smiley. Du Arme.
Was machst du Weihnachten? Kommt Ella zu euch?
Wir verbringen die Ferien in Wiesbaden, schrieb er zurück. Die Jungs möchten dort feiern und ihre Freunde wiedersehen; und ich werde auch noch ein paar Sachen klären müssen, zu denen ich vor meinem Umzug nicht mehr gekommen bin.
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür ließ mich aufhorchen. »Ja?«, fragte ich. Hatte Papa mit Eva gesprochen und kam mit einem Friedensangebot?
Doch stattdessen trat Sarah ein. Mit ihren glatten dunklen Haaren, die ihr bis auf den Po reichten, sah meine Schwester aus wie eine Miniaturausgabe von Eva. Die Kleine turnte in einem Verein, und jede ihrer Bewegungen hatte etwas Graziles an sich. Eigentlich hatten Papa und Eva nach Jonas kein Kind mehr gewollt, meine Süße war ein Unfall gewesen. Auch wenn wir früher nicht oft Kontakt gehabt hatten, lag sie mir am Herzen, und in den letzten Wochen waren wir uns besonders nahe gekommen. Ihre unbekümmerte Art und ihre Fröhlichkeit taten mir gut – umgekehrt konnte ich ihr die Aufmerksamkeit schenken, die sie bei den anderen Erwachsenen manchmal vermisste.
Sie rutschte auf ihren Strümpfen zu mir herüber und zupfte an meinem Yoga-Oberteil. »Wollen wir heute was machen? In die Therme vielleicht?« Flehend sah sie mich an. »Mama hat Migräne.«
In der Ostsee-Therme waren wir Stammbesucher, obwohl die Fahrt eine Stunde dauerte. Aber wenn man den ganzen Tag blieb, lohnte es sich.
»Ich glaube, heute ist kein guter Tag dafür, Schatz.« Ich streichelte ihr übers Haar. »Ich muss mich leider um andere Dinge kümmern.«
»Um was denn? Es ist doch Sonntag.« Sarah legte die Hände aufeinander. »Mir ist so langweilig! Sonst zwingt Mama Papa dazu, mit mir Mathe zu lernen, dabei kannst du viel besser erklären.«
Ich gab meiner Schwester einen Kuss auf die Wange. Noch nie hatte ich mich bei ihr über Eva beklagt und würde an diesem Tag nicht damit anfangen. »Heute geht es wirklich nicht, Süße.« Ich deutete auf mein Handy. »Ich muss nach einer Wohnung suchen. Ich bin ja schon viel zu lange bei euch.«
Sarah schob das Kinn vor. »Von mir aus kannst du für immer hier bleiben.«
Ich zog sie an mich. »Lieb, dass du das sagst. Aber es muss sein.«
Murrend machte sie sich los und verließ das Zimmer. Wehmütig sah ich ihr hinterher. Sie würde mir fehlen.
Zerknirscht sah ich zurück auf mein Smartphone, las noch einmal Sebastians Nachricht. Wenn er in den Ferien nach Wiesbaden fuhr, würde sein Haus in dieser Zeit vermutlich leer stehen. Ich knabberte an einem Fingernagel. Würde ich in einer fremden Umgebung eventuell klarer sehen und herausfinden, wie und wo ich meine Zukunft verbringen wollte?
Zwar waren es noch knapp zwei Wochen bis zu seinem geplanten Weihnachtsurlaub. Aber vielleicht ließ Eva über diesen Aufschub mit sich reden. Wenn ich ihr versprach, dass ich nach meiner Rückkehr endgültig auszog und ich die Zeit im Allgäu nutzen würde, eine Entscheidung zu treffen …
Ich könnte während eurer Abwesenheit das Haus hüten, tippte ich eilig ein. Ich würde deine Zimmerpflanzen gießen oder Fische füttern, falls du welche hast. Ich hätte große Lust auf Schnee – so wäre uns beiden geholfen.
Seine Antwort erfolgte prompt. Das passt leider nicht, da ein Bekannter in der Zeit das Haus renoviert. Eigentlich hätten wir das vor unserem Einzug erledigen müssen, nur da ging ja alles holterdiepolter.
Schade, aber schon okay, antwortete ich. Zum Glück konnte er mein enttäuschtes Gesicht nicht sehen.
Ich wollte das Handy wegstecken, da trudelte eine weitere Nachricht von ihm ein. Falls du bis zu unserer Abfahrt spontan – gerne auch sofort – für ein paar Tage kommen möchtest, bist du jederzeit willkommen. Wir haben ein Gästezimmer. Ich habe in Erinnerung, dass du gerne und gut kochst. Hätte nichts dagegen, dir meine Küche zur Verfügung zu stellen. ;-)
Ich lächelte. Wahrscheinlich spielte er darauf an, dass ich auf Teneriffa gern den Köchinnen assistiert hatte, weil ich nicht immer nur wandern wollte. Außerdem hatte ich mit einem spanischen Landarbeiter ein Techtelmechtel angefangen, war ihm bei Reparaturarbeiten an der alten Hacienda zur Hand gegangen. Es war kurz nach der Trennung von Ole, und die Ablenkung hatte mir gutgetan.
Noch einmal las ich Sebastians Zeilen. Ich überlegte fieberhaft. Der Gedanke an ein hübsch hergerichtetes Gästezimmer mit Blick auf die verschneite Landschaft war verlockend. Eben hatte ich mich ja nach Schnee gesehnt. Aber gleich sofort?
Das ist supernett, ich denk drüber nach!, schrieb ich. Melde mich wieder!
Zögernd legte ich das Handy beiseite und klappte den Laptop auf, surfte durch die Anzeigen eines Wohnungsvermittlers. Nichts hier in Kiel sprach mich an. Ich wechselte zu den Angeboten in Hamburg und Berlin – aber was sollte ich dort? Nachdenklich trommelte ich auf den Schreibtisch. Vielleicht kam mir ja im Allgäu wirklich die zündende Idee. Womöglich würde ich beim Rodeln plötzlich wissen, was ich mit meiner Zukunft anfangen wollte.
Wehmütig switchte ich zu den Fotoalben, die ich auf dem Laptop nach Datum und Inhalt angeordnet hatte. Eines hieß Sylt/Ole. Ich sah mir diese Schnappschüsse von ihm und mir viel zu oft an. Wären es richtige Fotografien gewesen, wären sie schon vollkommen abgegriffen. So wie die von Mama, die ich in einem Pappkarton aufbewahrte. Auf dem Friedhof war ich länger nicht gewesen. Ich hatte einen Friedhofsgärtner mit der Grabpflege beauftragt – bei einem Urnengrab war nicht viel zu tun – und schaute nur ab und zu vorbei. Plötzlich verspürte ich eine irre Sehnsucht nach ihr. Ich schloss die Datei und klappte den Laptop zu.