Vorwort
1Mit Werkzeug zum Grips | Das erste Messer
2Sicher im (Hosen-)Sack | Das erste Klappmesser
3Auf die harte Tour | Vom Stein zum Stahl
4»Me fecit Solingen« | Das deutsche Messerzentrum
5Kulturübergreifend | Messerzentren der Welt
6Wenn’s einfach klappt | Aufbau eines Klappmessers
7Sicher im Handling | Halte- und Arretierungsmechanismen
8Fest verankert | Aufbau feststehender Messer
9Gut behütet | Messerscheiden im Einsatz
10Angriffspunkt | Die beliebtesten Griffmaterialien
11Das Schweizer Offiziersmesser | Aus der Schweiz um die Welt
12Das Laguiole | Sinnbild für elegante Schärfe
13Das Opinel | Eine Sach’ unter jedem Dach
14Das Douk-Douk | Magisch genial
15Das Mercator-Messer | Unverwüstlich und minimalistisch
16Benchmade 710 | Von Schmetterlingen und Sperrbolzen
17Das Sebenza | Nicht mehr wegzudenken
18Das Spyderco Endura | Von der tragbaren Hand zum »State of the Art«-Messer
19Das Bowie | Die wahre Wild-West-Legende
20Das Barlow-Messer | Im nationalen Bewusstsein
21Cowboy-Messer | Auf Trails und Ranches
22Buck Knives | Ich war mal eine Feile …
23Stilprägend | Scagel und Randall
24Higonokami | Prägnante Optik
25Klassiker aus Deutschland | Vom Dummenschart zum Hippekniep
26Italienische Klapp-Klassiker | Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann
27Spanische Klingen | Fecht- und Messerkultur
28Französische Klappmesser | Schier unendliche Vielfalt
29Klappmesser aus aller Welt | Urige Exotik
30Skandinavische Messerkultur | Stilvolle Nordlichter
31Scharfe Hauptdarsteller | Messer der Survival-Superstars
32Überlebensmesser | Wenn es hart auf hart kommt
33Taktische Klappmesser | Immer einsatzbereit
34Gentleman-Messer | Scharfes für den Menschen von Welt
35Brotzeitmesser | Stilvoll speisen
36Eine Frage der Physik | Darum schneidet ein Messer
37Profilneurose | Die wichtigsten Klingenquerschnitte
38Nur eine reine Formsache? | Die Bedeutung der Klingenform
39Die perfekte Welle | Wellenschliff – ja oder nein?
40Messerstahl | Ein ganz besonderer Stoff
41Stahl, die Einzelteile | Eine Auswahl
42Schön gezeichnet, gut gepulvert | Damast & pulvermetallurgische Stähle
43Wärmebehandlung | Abhärtung für stählerne Körper
44Ganz harter Tobak | Klingenmaterialien
45Das rentiert sich | Die richtige Pflege eines Messers
46Auf Nummer sicher | Vom richtigen Umgang mit dem Messer
47Formkünstler | Holz zum Schnitzen
48Das richtige Schnitzmesser | Von Haken und glatten Schnittflächen
49Grundlegende Schnitztechniken | Kraftvoll und kontrolliert
50Leben und überleben | Bushcraft-Schnitztechniken
51Mit Locken zum Feuer | Feather Sticks
52Ein Funke genügt | Feuer machen mit dem Messer
53Für alles gewappnet | Die besten Victorinox-Hacks
54Aufschneider und kleine Helfer | Europäische Kochmesser
55Küchen-Samurai | Die wichtigsten Messer der japanischen Küche
56Chinesische Kochmesser | Dominanz eines Messertyps
57Schnippeln wie ein Chefkoch | Die Grundlagen
58Gut gesättigt | Kartoffeln schneiden
59Gut gewürfelt | Eine Zwiebel schneiden
60Scharf, auch im Mund | Meerrettich als Ziehharmonika
61Kindermesser | 101 Messer
62Jagdmesser | Vor und nach dem Schuss
63Rettungsmesser | Sicherer Schnitt
64Handwerkermesser | Auf Montage
65Präzision gefragt | Messer zur Pflanzenveredelung
66Heimische Erntemesser | Grundlage unserer Existenz
67Erntemesser und exotische Waffe | Das Karambit
68Bester Freund auf hoher See | Maritime Messer
69Sattlermesser und andere Spezialisten | Scharfe Klingen
70Macheten | So selbstverständlich wie ein Hammer
71Machete to go | Eine behelfsmäßige Scheide herstellen
72Rasiermesser | Klingen der Barbiere
73Messer mit dem gewissen Extra | Multitools
74Scharfes Bild | Bleistifte spitzen wie ein Profi
75Wurfmesser | Von Clowns und Helden
76Grundlagen des Schärfens | Nichts ist für die Ewigkeit
77Aufs Korn genommen | Schleifsteinkörnungen
78Die bekanntesten Schleifgeräte | Mit Abrieb zum Erfolg
79Messer auf Bankstein schärfen | Die Königsdisziplin
80Rasiermesser schärfen und ledern | Alte Schule
81Smoother Übergang | Ballige Schneiden schärfen
82Niemals stumpf | Improvisiertes Schärfen unterwegs
83Von Schlangen und Diamanten | Lanyard knüpfen
84Griffwicklung, feststehend | Wickelbund für Messergriffe
85Messermythen | Mit gutem Gewissen schenken
86Berittene Silberklingen | Waffen und Werkzeuge der Gauchos
87Indianermesser | Von Skalps und Schnitzern
88Seppuku inklusive | Das japanische Tanto
89Südostasiens exotische Inselklingen | Geheimnisvoll und gefährlich
90Kukris | Die mächtigen Klingen der Gurkha-Krieger
91Unterwasser-Buddy | Tauchermesser
92Ka-Bar | Das Messer der Marines
93Auf Undercover-Mission | Agentenmesser
94Klingen der Bombenentschärfer | Sondieren und entschärfen
95Die bekanntesten Militärmesser der Welt | Waffe und Werkzeug
96Messer in Filmen | Die schärfsten Nebendarsteller
97Das teuerste Messer der Welt | Oder wie teuer ist zu teuer?
98Messerrekorde | Auf die Spitze getrieben
99Messer im Weltraum | Auf unbekannter Mission
100Kompliziertes Messer | Kopfzerbrechen garantiert
101Messer als Lebensretter | Der ultimative Einsatz
Bildnachweis und Impressum
Messer begleiten die Menschheit seit ihren Anfängen. Von den ersten, nur rudimentär behauenen Steinbrocken bis zum High-End- Folder mit pulvermetallurgischer Klinge und Titanschalen sind inzwischen rund drei Millionen Jahre vergangen. Es war ein langer Weg mit vielen Umbrüchen und kleinen Revolutionen.
Diese lange gemeinsame Geschichte dürfte dafür verantwortlich sein, dass ein so archaisches Werkzeug auch heute noch tiefe Faszination auslöst. Geben wir also einfach unseren Genen die Verantwortung dafür, wenn wir uns das nächste Mal ein besonders schönes Kochmesser aussuchen oder auf dem Flohmarkt einfach nicht nein sagen können zu dem verschrammelten Arbeitsmesser mit Carbonstahlklinge und geschmiedetem Pfriem.
Vielseitige Messerwelt: Messer sind auch heute für viele Arbeiten unverzichtbar und kommen in den verschiedensten Formen und Materialen vor. Hier Messer vom Damastschmied Tobias Haselmayr, Olfa und Nilte.
Das Messer teilt nicht nur Molekülverbindungen (mehr dazu in Kapitel 35, in dem wir klären, warum ein Messer überhaupt schneidet und wann es besonders gut schneidet), sondern auch die Menschen. Die einen erkennen im Messer ein wesentliches Werkzeug für das Leben in der Natur, für die Küche oder die Arbeit, die anderen strafen es mit Unverständnis. Sie ahnen sicher, welcher Fraktion ich als Autor dieses Buchs angehöre. Und vielleicht schaffe ich es ja, Ihnen meine Faszination für dieses scharfe Werkzeug nahezubringen. Ja, ich bin sogar sicher, dass ich es schaffe. Denn das Thema Messer bietet so viele unterschiedliche Aspekte – es vereint Menschheitsgeschichte und Menschen-Geschichten, Physik und Chemie, Handwerk und Kultur – dass diese Aufgabe ein Leichtes ist.
Neben vielen praktischen Anwendungstipps zum Umgang mit dem Messer und zur Instandhaltung finden Sie in diesem Buch auch immer wieder Ausflüge in die absurderen Gefilde der Messergeschichte und Funfacts, für die sich bestimmt einmal eine passende Gelegenheit findet – und sei es beim nächsten Lagerfeuer, das Sie alleine mit Ihrem Messer vorbereitet haben und mit dem Feuerstahl zünden (s. Kapitel 51/52).
Viel Freude mit diesem Buch, |
Oliver Lang |
»Ist das Kultur, oder kann das weg?« Diese Frage dürften sich die Archäologen um die Französin Sonia Harmand gestellt haben, als sie in Kenia, westlich des Turkana-Sees, in der Grabungsstätte Lomekwi zahlreiche Steinobjekte freilegten. Wie sich herausstellte, war es Kultur. Die unscheinbaren Steinbrocken wurden als Steinwerkzeuge identifiziert, die nur durch vormenschliche Hand entstanden sein konnten. Die Steine waren so gegeneinander geschlagen worden, dass scharfe Bruchkanten entstanden.
Diese neue Technologie hatte weitreichende Folgen. Mit den Steinwerkzeugen zerlegten die Vormenschen das Fleisch von gefundenen Tierkadavern und schabten die Knochen ab – darauf deuten Schnittspuren an den Knochen der gefundenen Tierkadaver hin. Die Steinwerkzeuge waren nötig, da das Gebiss der Vormenschen vor allem auf Pflanzenkost und weniger zum Zerreißen von Fleisch ausgelegt war. Mit der neu entwickelten Fähigkeit zum Gebrauch scharfer Werkzeuge änderten sich die Essgewohnheiten – und damit praktisch alles im Leben der Vormenschen. Denn die Verfügbarkeit von proteinreichem Fleisch dürfte ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung des Gehirns gewesen sein.
Ursprüngliche Überlebenskunst: der Ex-Marine, Buchautor und Survival-Experte Donny Dust (@donnydust) beim Ausarbeiten von Steinklingen
Das Alter der Steinartefakte bestimmten die Forscher anhand der Lagen aus vulkanischer Asche, in der sie die Steine gefunden hatten, auf 3,3 Millionen Jahre. Dieser Fund von 2015 ist deshalb so bemerkenswert, weil es unter Forschern bis dahin als Gewissheit galt, dass nur Lebewesen der Gattung homo, also Menschen, zu solchen Handlungen fähig sind. Doch anscheinend waren schon die Vormenschen in der Lage, Werkzeuge herzustellen und zu benutzen. Dieser Werkzeuggebrauch gab womöglich den Anstoß, neue Dinge auszuprobieren, was dann mit einer gewissen Zeitverzögerung ebenfalls die Gehirnentwicklung angeregt haben könnte.
Erstaunlich scharf: eine sichelförmig gearbeitete Steinklinge des US-Survival-Experten Donny Dust
Aus den ersten rudimentären Steinwerkzeugen entwickelten sich Chopper, Faustkeile sowie immer präziser gefertigte und schneidende Handwerkzeuge, welche die Möglichkeiten der Nahrungsbeschaffung, die Essgewohnheiten, die Kontrolle der Umwelt und damit auch das Zusammenleben der Menschen und ihre Kommunikation prägten. Mit dem Messer und seinen scharfen »Nachkommen«, dem Beil und deutlich später auch der Säge, erschufen die Menschen weitere Werkzeuge und formten Lebensumwelten, die ihnen Sicherheit gaben und sie in ihrer Entwicklung voranbrachten.
The Flintstone-Way
Mit bloßem »Steine zerdeppern« hat das Herstellen von Steinwerkzeugen übrigens nichts gemein. Beim sogenannten Flintknapping arbeitet man mit Schlagsteinen, Holz-, Knochen- oder Geweihstücken scharfe Bruchkanten aus einer geeigneten, großen Steinknolle heraus, die man dann scharfkantig formt. Dabei können Bruchkanten entstehen, deren Schärfe an chirurgische Skalpelle heranreicht. Besonders geeignet ist das vulkanische, glasartige Gestein Obsidian. Wer diese Methode beherrscht, steht praktisch nie ohne scharfes Werkzeug da. Machen Sie es doch wie Familie Feuerstein und lernen Sie, ein Messer aus Stein herzustellen. Mittlerweile gibt es immer mehr Gelegenheiten, das Flintknapping zu erlernen.
Wann hat der erste Mensch wohl beschlossen, das bekannte feststehende Messer um den Griffbereich, die sogenannte Angel, zu kürzen, die Klingenwurzel mit einer Bohrung für einen Niet zu versehen und daran einen Griff zu montieren, in den die Klinge geklappt werden kann, um das Messer sicher in der Tasche zu tragen?
Das älteste bisher entdeckte Klappmesser entstammt der Hallstatt-Kultur, die vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. reichte. Hallstatt ist ein Dorf im heutigen Oberösterreich. Die gleichnamige Kultur war hauptsächlich landwirtschaftlich geprägt, verfügte jedoch im Vergleich zu anderen europäischen Kulturen über besonders fortschrittliche Metallbearbeitungstechniken. Auch deshalb besaß das Klappmesser keine der damals noch weit verbreiteten Bronzeklingen, sondern bereits eine Eisenklinge. Als Griffmaterial diente Knochen. Einen Haltemechanismus für die Klinge, wie er heute in Form von Federn und Arretierungen weit verbreitet ist, gab es damals nicht. Nur die Reibung der Klinge an den Griffschalen verhinderte ein allzu leichtes Einklappen.
So einfach, so beliebt
Wer glaubt, dass Klappmesser à la Hallstatt der Vergangenheit angehören, irrt. Auch heute sind Klappmesser, die nur aus der Klinge, dem Griffstück und einem Niet bestehen, weit verbreitet. In Österreich sind das zum Beispiel die Trattenbacher Taschenfeitel. In Frankreich wird dieser Messertyp Piemontaise genannt. Und auch in Spanien oder südosteuropäischen Ländern sind solche Messer weit verbreitet und werden von der Landbevölkerung sogar für anspruchsvolle Schneidarbeiten eingesetzt.
Einfach gut: ein Friction-Klappmesser von Citadel aus Kambodscha
Treffend: von der Steinknolle zum multifunktionalen EDC – die Evolution des Messers aus Sicht des Schweizer Taschenmesser-Herstellers Victorinox
Von den ersten Steinwerkzeugen bis zu den heutigen Messern sind weit über drei Millionen Jahre vergangen. Den größten Teil davon waren diese tatsächlich aus Stein. Erst mit der Metallgewinnung vor rund 7000 Jahren änderte sich das – wenn auch langsam. Die Entdeckung und Nutzbarmachung von Kupfer, später Bronze und noch einmal 1500 Jahre später auch von Eisen war entscheidend für die Entwicklung der modernen Welt, in der wir heute leben.
Als im 7. vorchristlichen Jahrtausend in Mitteleuropa die Neolithische Revolution begann und aus Jägern und Sammlern Bauern und Hirten wurden, änderten sich die Lebensumstände drastisch. Die Menschen der Jungsteinzeit wohnten nun in bis zu 50 Meter langen Langhäusern zusammen. Doch auch das dafür notwendige Bauholz fällten und bearbeiteten die Menschen von damals überwiegend mit fein ausgearbeiteten Beilklingen aus mikrokristallinen Feuersteinarten. Diese wurden noch bis weit in die Bronzezeit (in Mitteleuropa etwa 2200–800 v. Chr.) hinein benutzt, auch wenn Bronze als Material zur Herstellung von schneidenden und hackenden Werkzeugen deutlich besser geeignet war. Denn Bronze ist sehr bruchfest, lässt sich einfach überarbeiten und schleifen und kann immer wieder eingeschmolzen werden. Sie wurde zu Waffen, Werkzeugen und Schmuck geformt und über Tausende Kilometer gehandelt. Skandinavien etwa wurde bereits vor 4000 Jahren mit Metall von den Britischen Inseln und aus Mitteleuropa versorgt. Von den östlichen Alpen und dem slowakischen Erzgebirge aus wurde das Metall an die Küste des heutigen Mecklenburg transportiert und von dort über die Ostsee verschifft. Die Skandinavier bezahlten das Metall vermutlich mit Bernstein und fertigten daraus Axtköpfe und andere Gebrauchsgegenstände. Erst die Verbindung von Kupfer und Zinn, etwa im Verhältnis 9:1, lässt Bronze entstehen. Es ist also eine menschengemachte Verbindung. Doch was brachte die Menschen dazu, unscheinbares Gestein so hoch zu erhitzen, dass Kupfer und Zinn ausgeschmolzen wurden? Warum brachten sie die beiden Metalle in einem bestimmten Mischungsverhältnis zusammen und entwickelten so die ungleich härtere Bronze? Das Ganze grenzt an ein Wunder.
Noch faszinierender ist die Nutzbarmachung des Eisens. Auch wenn unser Erdkern zum größten Teil daraus besteht, und sich in oberflächennahen Bereichen vielerorts Eisenerze (eisenhaltiges Gestein) finden lassen, ist die Gewinnung anspruchsvoll. In Mitteleuropa gelang dies erst ab dem 8. Jahrhundert vor Christus. In hocheffizienten Öfen erhitzten sie die Eisenerze mithilfe von Holzkohle so stark, dass eine sogenannte Eisenluppe entstand. Aus diesen schwammartigen, kohlenstoffhaltigen Eisenklumpen konnten fachkundige Schmiede hochwertigen Stahl gewinnen.
Eisen und dann Stahl machten Werkzeuge von bis dahin unbekannter Festigkeit und Schärfe möglich. Auch unsere moderne Welt wäre ohne Stahl undenkbar. Er ist die Grundlage fast all unserer Maschinen, Werkzeuge und Fortbewegungsmittel und stützt unsere höchsten Gebäude. Bei der Herstellung von Messerklingen führt sowieso kein Weg an Stahl vorbei. Um scharfe Klingen herzustellen, die selbst bei feinstem Ausschliff von Millimeterbruchteilen so stabil bleiben, dass man mit ihnen nicht nur Obst, Gemüse und Fleisch schneiden kann, sondern auch Harthölzer, Kunststoffe oder fasrige Materialien wie Karton oder Sisalseile, gibt es kein geeigneteres Material.
Steinzeit oder Holzzeit?
Der bislang längste Teil der Menschheitsgeschichte wird Steinzeit genannt. Und natürlich bearbeiteten die frühen Menschen Steine zu Klingen, zu Pfeilspitzen, Schabern, Bohrern oder Axtköpfen. Diese Steinwerkzeuge waren essenziell und man brauchte sie zur Bearbeitung von Holz, für die Jagd, zum Roden von Wäldern oder um sie unfreundlich gesonnenen Zeitgenossen über den Kopf zu hauen. Die Mehrzahl der Gerätschaften jedoch bestand damals aus Holz, Knochen und Geweihen, Leder, Pflanzenfasern und Keramik. Doch diese Materialien wurden nicht so beständig konserviert, weshalb sie lange Zeit vernachlässigt wurden. Würde es nach dem realen Bild gehen, müsste die Steinzeit eigentlich Holzzeit heißen.
Rauch über schwindenden Wäldern
Ab dem Mittelalter wurde der Bedarf an Eisen – es wurde für Werkzeuge, Rüstungen und Waffen benötigt – so hoch, dass zur Gewinnung der fürs Schmelzen notwendigen Holzkohle ganze Landstriche gerodet wurden. Denn aus 100 Kilogramm Hartholz können nur circa 30 Kilogramm Holzkohle gewonnen werden. Und so rauchten überall im Land die Kohlenmeiler.
Bis ins 13. Jahrhundert hinein waren die Rennöfen (neben der Eisenluppe entstand auch rinnende, abfließende Schlacke; daher der Name) der einzige Weg zur Stahlgewinnung. In den letzten Jahren entdecken viele Schmiede das alte Verfahren neu – es ist zwar extrem aufwendig, doch es hat seinen ganz eigenen Reiz, ein Stahlwerkzeug zu besitzen, dessen Entstehung so ursprünglich ist.
Heute stammt das Eisenerz meist aus Brasilien oder China. Mit der Eisenbahn und mit Frachtschiffen wird das Eisenerz zu den Stahlwerken gebracht, die überall auf der Welt verteilt sind. Nicht nur in Deutschland dürfte Thyssenkrupp den meisten ein Begriff sein. Besonders für die Produktion von Messer- und Werkzeugstählen sind auch Böhler-Uddeholm (Österreich und Schweden), Crucible (USA) oder Sandvik (Schweden) bekannt. In den Hochöfen wird das Eisenerz zunächst in Roheisen umgewandelt und durch die Beimengung von Legierungsbestandteilen bei Temperaturen von über 2000 Grad Celsius in Stahlschmelze umgewandelt. Doch Stahl ist nicht gleich Stahl. Um den unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden, gibt es Hunderte unterschiedlicher Stahlsorten. Die wichtigsten Messerstähle stellen wir in Kapitel 41 vor.
Komponiert: Allein für Messerklingen gibt es Hunderte geeigneter Stahllegierungen, deren jeweilige Zusammensetzung exakt gesteuert wird.
Solingen in Nordrhein-Westfalen war und ist das Zentrum der deutschen Schneidwarenherstellung. Die bergische Großstadt ist weltweit so sehr für Messer und Scheren bekannt, dass Solingen häufig sogar für eine Messermarke gehalten wird. Seit 2012 trägt Solingen sogar ganz offiziell den Zusatz Klingenstadt. Seitdem Solingen 1371 Stadtrechte erhielt, zierte der Ausspruch »Me fecit Solingen« unzählige Klingen – zunächst vor allem Schwertklingen. Diese martialische Vergangenheit ist noch an vielen Straßennamen zu erkennen: Schwertstraße, Degenstraße, Florettweg …
Warum gerade Solingen zur Kingenstadt wurde? Ganz einfach: Hier gab es sämtliche Ressourcen, die man zum Schmieden und Schleifen von Klingen benötigte: natürliche Eisenerzvorkommen, Eichenwälder zum Befeuern der Schmiedefeuer, viele Bäche und natürlich den Fluss Wupper, deren Wasserkraft Schmiedehämmer und Schleifsteine antrieb und deren Kühle Klingenstahl abschreckte und damit hart machte. Zu den wichtigsten Grundlagen Solingens gehörte das ansässige Fachwissen. Schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts gab es die Zünfte der Schleifer und Härter, Schwertfeger, Reider und Schwertschmiede. Die Handwerker waren streng in Bruderschaften organisiert. Schwertschmiede formten die Stahlbarren mit wuchtigen, aber gezielten Schlägen in Schwert-, Degen- oder Säbelform. Härter machten aus diesen Rohlingen durch gesteuertes Erhitzen und gezieltes Abschrecken harte und einsatzfähige Klingen, die dann zu den Schleifern gingen. Diese arbeiteten entweder im eigenen Kotten (was so viel wie kleines Haus bedeutet) oder hatten sich in große Kotten eingemietet. Typisch für die Kotten ist der Wasserzulauf von Bächen und Flüssen, der die scheibenförmigen Schleifsteine antrieb, mit denen die Klingen ihre endgültige Form und Schärfe erhielten.
Zum Schluss glätteten und polierten die Schwertfeger die Klingen, um die vorangegangenen Arbeitsschritte zu verfeinern. Sie waren es auch, die die Einzelteile montierten und Griff (»Gefäß«) und Klinge zu einem Ganzen verbanden. Die Schwertfeger brachten die Blankwaffen auch in den Handel.
Mich schuf Solingen
Mich schuf Solingen – »me fecit Solingen«: So mancher Hingerichteter dürfte diesen Schriftzug als Letztes in seinem Leben gelesen haben, zierte er doch viele Richtschwerter der damaligen Zeit.
Die handwerklichen Fähigkeiten der Bruderschaften – mit Ausnahme der Schwertfeger – wurden als so bedeutsam angesehen, dass ihnen Reise- und Tätigkeitsverbote auferlegt wurden. So wollte man verhindern, dass Fachwissen verschleppt wird. Aus dem Schwertmacherhandwerk entwickelten sich die anderen Handwerkskünste. 1571 wird die Zunft der Messermacher erstmals erwähnt, gut 200 Jahre später (1794) schlossen sich die Scherenmacher zu einer eigenen Zunft zusammen.
1,6 Kilogramm Wissen: An der historischen Darstellung der deutschen Messerindustrie im Buch »German Knife and Sword Makers« wurde 30 Jahre lang gearbeitet.
Mitte des 17. Jahrhunderts jedoch verließen immer mehr Solinger Fachkräfte die Stadt, gingen in andere deutsche Städte oder wanderten aus nach Frankreich, Schweden, England, Russland und Amerika.
Doch Solingen ist mit Herstellern wie Wüsthof, Zwilling, Böker, Windmühle, Felix, Güde, Hartkopf, Hubertus, Loewen, Otter oder Robert Klaas immer noch eines der wichtigsten europäischen Messerzentren.
Lebendig: Diese historische Gesenkschmiede in Solingen dient als ganz besonderes Museum – hier wird noch produziert.
Deutsche Scharfsinnigkeit Neben Solingen verblassen die anderen Messerorte Deutschlands – zumindest fast alle. Denn die weltweit wohl legendärsten Messer zur Obstbaumveredelung stammen aus Reutlingen von der Tina Messerfabrik, deren Ursprünge sich bis 1845 zurückverfolgen lassen – ja, die Baden-Württemberger können es halt auch.
Französische Lebensart Frankreich hat eine immense regionale Messervielfalt, und natürlich gibt es auch in Nontron, in Nogent, auf Korsika und in anderen Städten exzellente Schmieden. Doch die meisten Messer Frankreichs stammen aus der im Zentralmassiv gelegenen Stadt Thiers. Die Stadt klebt förmlich an einem steilen Berghang. Das starke Gefälle, mit dem das Flüsschen Durolle hier herunterrauscht und in die Dore mündet, wurde zum Antreiben der Schleifsteine, Fallhämmer und später auch der Generatoren genutzt. Vom Dore-Hafen aus konnten die Schneidwaren in die übrigen Landesteile verschifft werden.
Die Messerausstellung Coutellia (www.coutellia.fr) zieht jedes Jahr hunderte Messerschmiede aus Frankreich und der Welt an. Ein ganzes Wochenende lang spiegeln die kunstvollen Messer die Kultur ihrer Herkunftsländer wider und werden in der Ausstellung auch zum Kauf angeboten. Die Atmosphäre hier ist ganz besonders lebhaft.
Englische Ingenieurskunst Das zentral in England gelegene Sheffield war lange Zeit die größte Konkurrenz für Solingen. Bereits 1297 wurden hier Messer geschmiedet. Im »Zeitalter der Wasserkraft« war Sheffield mit seinen zahlreichen Flüssen und dem Vorkommen von Kohle und Sandstein, der zur Herstellung hochwertiger Schleifsteine geeignet war, geradezu privilegiert. Auch Feilenschmiede, Nägel-, Knopf- und Scherenmacher siedelten sich hier an. Die ganze Stadt war damals einer riesigen Fabrik ähnlich, deren einzelne Abteilungen die Stadtbezirke waren. Als es den Engländern um 1740 gelang, den für damalige Zeiten unübertroffenen Gussstahl zu produzieren, wurde Sheffield zur Welthauptstadt des Stahls.
Amerika war der wichtigste Markt für die Sheffielder Messerhersteller. Sogar für den Handel mit den amerikanischen Ureinwohnern wurden spezielle Messer gefertigt. In Aufzeichnungen aus den 1830ern werden »Skalpier-Messer« aus Sheffield genannt. Auch das uramerikanische Barlow-Taschenmesser, das durch Mark Twains Roman »Huckleberry Finn« zu Ruhm gelangte, ist ursprünglich ein Sheffielder Messertyp.
Italienische Eleganz: Das von Fantoni gefertigte Dweller ist ein Slipjoint, das mit Understatement und Funktionalität punktet.
Heute ist von dieser Pracht und Macht kaum mehr etwas erkennbar. Dank des Know-hows eingewanderter Messerprofis aus Solingen und Sheffield fertigten die Amerikaner bald ihre eigenen Messer. Und in den Weltkriegen wurde Sheffield als Zentrum der britischen Waffenindustrie fast völlig zerstört und hat sich davon nicht mehr erholt. Heute gibt es nur noch wenige Hersteller.
Italienischer Stil In der Kleinstadt Maniago im Nordosten Italiens wurden schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts Messer in größerem Maßstab gefertigt. Heute ist Maniago einer der Produktionsstandorte mit der weltweit höchsten Fertigungsqualität. Scarperia befindet sich 300 Kilometer weiter südlich bei Florenz. Das Messerhandwerk lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Von den teilweise stark handwerklich ausgerichteten Unternehmen wie Coltellerie Berti (seit 1895), der Coltellerie Consigli und der Coltelleria Saladini werden zahlreiche historische Taschenmessertypen Italiens gefertigt sowie eine kleine Auswahl an schönen Kochmessern.
Spanischer Esprit Im »Handbook for Travellers in Spain« des englischen Autors Richard Ford aus dem Jahr 1855 wird eindrucksvoll geschildert, wie die spanischen Klappmesser zur Lebenskultur Albacetes und ganz Spaniens gehören. Sie seien dazu da, das »Brot zu teilen und Männer zu töten«. Sie sind »wie die Zunge einer Frau geformt – lang, scharf und spitz«, so Ford. Die Messerherstellung im zentral gelegenen Albacete ist seit dem 16. Jahrhundert gut dokumentiert und kann heute in ihrer ganzen Vielfalt im Museo de la Cuchillería de Albacete bestaunt werden. In Santa Cruz de Mudela werden Messer seit Jahrhunderten – und auch heute noch – mit besonders hohem Handarbeitsanteil hergestellt. Die Kanaren haben mit dem feststehenden Naife einen ganz eigenen Messertyp und in Asturien wird mit dem Taramundi ein ebenso charakteristisches Klappmesser gefertigt. Beim Familienbetrieb Pallarès Solsona in Katalonien werden ebenfalls einfache, aber tolle Arbeits- und Kochmesser gefertigt. Das mittelalterliche Toledo in Zentralspanien ist Unesco-Weltkulturerbe und seit dem Mittelalter berühmt für seine Schwertschmiede. Der Toledo-Stahl ist bekannt dafür, extreme Federkraft zu besitzen.
Moderner Klassiker: Das in den USA gefertigte Benchmade Griptilian, hier ganz »State of the Art« mit »CPM 20CV«-Klinge, ist eine Empfehlung.
The Easy Way Die Ostküste war für Immigranten aus Europa – darunter auch Messerspezialisten aus Sheffield und Solingen – die erste Anlaufstation bei der Besiedelung der USA. Die Tidioute Cutlery Company aus der später unter anderem Ka-Bar hervorging, wurde 1898 in New England gegründet. George Schrade, der Gründer des legendären Messerherstellers Imperial Schrade, war ein Ingenieur aus Sheffield und fertigte in New York seine ersten Messer. Auch die Geschichte von W. R. Case & Sons Cutlery Co. begann im Bundesstaat New York. Erst später siedelte man in den benachbarten Bundesstaat Pennsylvania um. Dieser Bundesstaat im Nordosten der USA ist auch heute noch Sitz traditioneller Messerhersteller wie der Great Eastern Cutlery. In Oregon, auf der anderen Seite des Kontinents am Pazifik, sitzen mit Leatherman, Columbia River Knives and Tools, Gerber, Benchmade und Kershaw gleich fünf aktuelle Größen der US-amerikanischen Messerherstellung. Direkt nebenan im Bundesstaat Idaho wird das legendäre Buck Knives 110 gefertigt, zwei Ecken weiter in Golden, Colorado, sitzt mit Spyderco einer der innovativsten Messerhersteller des Kontinents.
Archaisch: eine japanische Kiridashi-Klinge im gefalzten Messinggriff mit nachträglich angebrachter Paracord-Wicklung
Asiatische Vielfalt Zu den wichtigsten Messerlandschaften Japans gehören Sakai, Takefu, Kyoto und Seki. Sakai liegt in der Nähe von Osaka, dem traditionellen Handelszentrum Japans. In Sakai wurden schon ab dem 14. Jahrhundert Schwerter hergestellt.
Die Fertigung von Messern – zunächst vor allem für die Tabakverarbeitung, denn die Portugiesen hatten den Tabak nach Japan eingeführt – begann im 16. Jahrhundert. Heute ist Sakai wichtigster Standort für die klassischen Kochmesser Japans, die Wabocho. Das ist auch auf die Nähe zu Osaka und Kyoto zurückzuführen. Beides sind traditionelle Zentren der japanischen Esskultur. Takefu gilt wie Sakai als überwiegend handwerklich orientierter Standort und hat ebenfalls eine lange Tradition der Messerfertigung.
Von China nach Japan